VwGH Ra 2016/11/0112

VwGHRa 2016/11/011219.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Höhl, über die Revision des T M in K, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 15/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 6. Juni 2016, Zl. LVwG-S-686/001-2016, betreffend Übertretungen des AZG und des ARG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), den Beschluss gefasst:

Normen

ARG 1984;
AZG §28;
AZG;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
ARG 1984;
AZG §28;
AZG;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis, mit welchem die Beschwerde gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde abgewiesen wurde, wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe als verantwortlicher Beauftragter eines näher genannten Transportunternehmens zahlreiche, im Einzelnen angeführte Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) iVm. der Verordnung (EG) 561/2006 zu verantworten. Die Übertretungen, die sich detailliert aus den Tabellen zu den einzelnen Übertretungsgruppen im Straferkenntnis ergeben, hätten sich während eines Zeitraums von Februar bis März 2014 ereignet. Über den Revisionswerber wurden wegen dieser Verwaltungsübertretungen Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 72,-- bis EUR 540,-- verhängt.

2 Unter einem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. die hg. Beschlüsse vom 25. März 2014, Zl. Ra 2014/04/0001 und vom 18. Februar 2015, Zl. Ra 2015/08/0008).

6 2.2. Die Revision erblickt das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das angefochtene Erkenntnis von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Bei Ungehorsamsdelikten sei gemäß § 5 Abs. 1 VStG Fahrlässigkeit anzunehmen, es sei denn, der Beschuldigte mache glaubhaft, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. Dies sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann der Fall, wenn der Beschuldigte im Betrieb ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet habe, sodass er unter den vorhersehbaren Verhältnissen mit gutem Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten konnte. Von einem wirksamen Kontrollsystem mit exkulpierender Wirkung sei dann auszugehen, wenn dadurch die Überwachung des Zustandes aller im Betrieb eingesetzter Fahrzeuge jederzeit sichergestellt werden könne. Im vorliegenden Fall bestehe ein wirksames Kontrollsystem, weil neben vielen anderen wirksamen Maßnahmen seitens des Revisionswerbers jederzeit sichergestellt gewesen sei, dass die Überwachung aller im Betrieb eingesetzter Fahrzeuge gegeben sei. Die Disposition im Unternehmen des Revisionswerbers sei durch das seit dem Jahr 2005 bestehende digitale Fahrzeugortungssystem in der Lage, in Echtzeit die Lenkbzw. Ruhezeiten des jeweils betreffenden Fahrzeuges bzw. Lenkers einzusehen und darauf basierend die entsprechenden Dispositionen möglichst exakt vornehmen zu können. Diese Listen würden stichprobenartig abgerufen. Nicht erforderlich sei, dass diese Überprüfung laufend und umfassend zu erfolgen habe, vielmehr dürfe sich der Auftraggeber zunächst darauf verlassen, dass seine Aufträge erfüllt oder Zusagen eingehalten würden.

7 Schließlich bringt die Revision vor, das angefochtene Erkenntnis stehe in krassem Widerspruch zu den Verfahrensgrundsätzen, insbesondere zur Beweislastverteilung bei Ungehorsamsdelikten im Verwaltungsverfahren. Die Regelung des § 5 Abs. 1 2. Satz VStG befreie die Behörde nicht von der Verpflichtung von sich aus Umstände zu berücksichtigen bzw. zu ermitteln, von denen sie bereits bei der Ermittlung des äußeren Tatbestandes Kenntnis erlangt habe. Fahrlässiges Verhalten setze das Außerachtlassen zumutbarer Sorgfalt voraus. Bei der Frage des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht sei der einsichtige und besonnene Mensch als Maßstab heranzuziehen. Im vorliegenden Fall sei seitens des Beschuldigten im Verfahren erster Instanz alles Erdenkliche hinsichtlich der Gewährleistung eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung derartiger Verwaltungsübertretungen unternommen worden. Der Revisionswerber habe auch alle erdenklichen Beweise dargelegt und ein Sachverständigen-Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für Transportwesen vorgelegt. Die belangte Behörde bzw. das Verwaltungsgericht habe sich weder mit dem Gutachten noch mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und sich auf eine formelhafte Begründung zurückgezogen. Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes fordere hinsichtlich der Glaubhaftmachung bei § 5 Abs. 1 VStG auf den individuellen Fall bezogene, variable Maßstäbe und Möglichkeiten der Schuldfeststellung, die bis zu einer amtswegigen Ermittlung der Verschuldensfrage führen könnten. Diese Grundsätze vertrügen sich nicht mit starren, alle anderen Möglichkeiten ausschließenden Beweisstandards, bei deren Fehlen eine Entlastung unmöglich wäre.

8 2.3. Mit diesem Vorbringen wird jedoch das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt.

9 2.3.1 Der Verantwortliche nach § 9 Abs. 1 VStG ist - worauf der Verwaltungsgerichtshof zur ständigen Judikatur verweist - hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften verpflichtet, ein dem konkreten Betrieb entsprechendes Kontrollsystem einzurichten und darüber hinaus alle sonstigen im konkreten Betrieb möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Arbeitszeit sicherzustellen, wozu es etwa gehört, die Arbeitsbedingungen und Entlohnungsmethoden so zu gestalten, dass sie keinen Anreiz zur Verletzung der Arbeitszeitvorschriften darstellen. Nur wenn der Verantwortliche nach § 9 Abs. 1 VStG glaubhaft macht, dass ein Verstoß gegen Arbeitszeitvorschriften durch einen Lenker trotz Bestehens und Funktionierens eines solchen, von ihm im einzelnen darzulegenden Systems ohne sein Wissen und ohne seinen Willen erfolgt ist, kann ihm sein Verstoß in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht nicht zugerechnet werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2011, Zl. 2007/11/0256, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 4. Juli 2002, Zl. 2000/11/0123, vom 29. Jänner 2004, Zl. 2003/11/0289, und vom 21. März 2006, Zl. 2003/11/0231).

10 Soweit sich der Revisionswerber auf die von ihm "stichprobenweise" durchgeführten Kontrollen der Aufzeichnungen der Arbeitszeiten beruft, ist ihm zu erwidern, dass stichprobenweise Kontrollen ein wirksames Maßnahmen- und Kontrollsystem im oben umschriebenen Sinne nicht zu ersetzen vermögen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2001, Zl. 99/11/0227, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 12. Juni 1992, Zl. 92/18/0036, und vom 9. Juli 1992, Zl. 91/19/0270).

11 Soweit die Revision das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erkennbar darin erblickt, dass das Verwaltungsgericht das vom Revisionswerber im Verfahren behauptete Vorliegen eines ausreichenden Kontrollsystems übergangen habe, so ist ihr zu entgegnen, dass - vor dem Hintergrund der unstrittig zahlreichen (insgesamt 140), 16 verschiedene Lenker betreffenden Verstöße, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg ereigneten und teilweise als schwerwiegende Verstöße zu qualifizieren sind - auch damit nicht aufgezeigt wird, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung und Einschätzung des Kontrollsystems von der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 25. Juli 2007, Zl. 2004/11/0100, und den hg. Beschluss vom 23. Oktober 2014, Zl. Ra 2014/11/0045 bis 0047). Ein geeignetes Kontrollsystem hat nach der hg. Rechtsprechung nämlich nicht nur Vorkehrungen für die Kontrolle durch den Arbeitgeber (fallbezogen: Verkehrsunternehmer), sondern auch ein geeignetes Sanktionssystem bei Zuwiderhandeln des Arbeitnehmers (fallbezogen: des Lenkers) zu enthalten (vgl. den hg. Beschluss vom 26. März 2015, Zl. Ra 2014/11/0049, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 2008, Zl. 2005/03/0175, vom 29. März 2011, Zl. 2007/11/0256, vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/11/0188, 17. Juni 2013, Zl. 2010/11/0079, und vom 21. August 2014, Zl. 2010/11/0193).

12 Das Verwaltungsgericht hat das Beschwerdevorbringen zur Beurteilung im Erkenntnis herangezogen und die Auffassung vertreten, der Revisionswerber habe nicht darzulegen vermocht, dass die Verstöße ohne sein Wissen und seinen Willen erfolgt wären. Abgesehen davon, dass es im Hinblick auf die dargelegte hg. Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung der Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems an dem Revisionswerber gelegen wäre, darzustellen, wie die Kontrollen und Sanktionierungen konkret durchgeführt werden, zeigt er mit seinem Vorbringen auch insofern keine Relevanz auf, als er nicht darlegt, welche Ermittlungen von der belangten Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht durchzuführen gewesen wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2014, Zl. 2010/11/0193).

13 Auch insoweit ist demnach nicht zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht von der hg. Judikatur abgewichen wäre.

14 2.3.2. Der erkennende Senat hat aus diesen Erwägungen beschlossen, die Revision zurückzuweisen.

Wien, am 19. September 2016

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