VwGH Ra 2015/07/0013

VwGHRa 2015/07/001326.2.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision des Ing. E M in M, vertreten durch Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 17. Juni 2014, Zl. LVwG-AB-14-0081, betreffend einen abfallwirtschaftsrechtlichen Auftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Niederösterreich), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §13a;
AVG §7 Abs1 Z3;
AVG §7 Abs1;
AVG §7;
B-VG Art134 Abs7;
B-VG Art87 Abs1;
LVwGG NÖ 2014 §4 Abs1;
EMRK Art6;
VwGG §31 Abs2;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §6;
AVG §13a;
AVG §7 Abs1 Z3;
AVG §7 Abs1;
AVG §7;
B-VG Art134 Abs7;
B-VG Art87 Abs1;
LVwGG NÖ 2014 §4 Abs1;
EMRK Art6;
VwGG §31 Abs2;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §6;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

In der Revision wird als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht, es fehle an Rechtsprechung zu § 6 VwGVG; im Wesentlichen gehe es darum, ob die in Rede stehende Befangenheit gemäß § 6 VwGVG dazu hätte führen müssen, dass sich die erkennende Richterin unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes enthalte oder nicht. Es gehe auch um die Grundsatzfrage, ob ein Mitglied des Verwaltungsgerichts, welches von den Vollzugsbehörden in die Funktion eines Richters gewechselt sei, für die Erledigung von Rechtsmitteln gegen Erledigungen der ehemaligen Behörde oder Abteilung überhaupt zuständig sein dürfe.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im - auch in der Revision erwähnten - hg. Beschluss vom 22. Mai 2014, Ra 2014/06/0004, zum Ausdruck brachte, haben sich nach dem klaren Wortlaut des § 6 VwGVG u.a. Mitglieder des Verwaltungsgerichtes unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes "wegen Befangenheit" - und nicht bereits bei bloßer Behauptung des Vorliegens einer Befangenheit durch eine Partei - zu enthalten (vgl. zur ebenso von Amts wegen wahrzunehmenden Befangenheit von Verwaltungsorgangen nach § 7 AVG und zum diesbezüglich fehlenden Ablehnungsrecht der Parteien die in Hengstschläger/Leeb, AVG I2 § 7 Rz 17, dargestellte Rechtsprechung; vgl. demgegenüber das in § 31 Abs. 2 VwGG ausdrücklich normierte Ablehnungsrecht der Parteien).

Soweit die Revisionsausführungen im Ergebnis auf ein Ablehnungsrecht der Parteien hinauslaufen, scheitern sie daher bereits an der Rechtslage.

Die in § 6 VwGVG genannten Organe, darunter auch die Mitglieder des Verwaltungsgerichts, haben sich bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes nach § 7 Abs. 1 AVG der Ausübung ihres Amtes zu enthalten. Die zu § 7 AVG ergangene Rechtsprechung erweist sich daher in Bezug auf das Verständnis des § 6 VwGVG als einschlägig.

Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit iSd § 7 Abs. 1 Z 3 AVG vorliegt, ist demnach maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. März 2012, 2009/10/0167, und vom 24. April 2014, 2013/09/0049, mwN). Im Anwendungsbereich des Art. 6 MRK ist die Befangenheit eines Mitglieds eines Tribunals in verfassungskonformer Weise dann anzunehmen, wenn einem Organwalter auch nur der äußere Anschein der Unparteilichkeit mangelt, die Unparteilichkeit kann in subjektiver und in objektiver Hinsicht betrachtet werden (vgl. Urteil EGMR 15. Dezember 2005, Kyprianou, 73797/01). In subjektiver Hinsicht ist eine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit eines Richters dann anzunehmen, wenn er vor der Verhandlung etwa durch Äußerungen zu erkennen gibt, dass er sich in der Sache bereits auf eine Entscheidung festgelegt hat (vgl. Urteile EGMR 7. August 1996, Ferrantelli and Santangelo gegen Italien, Reports 1996-III; 16. September 1999, Buscemi gegen Italien, 29569/95; 28. November 2002, Lavents gegen Lettland, 58442/00).

Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2009, 2007/07/0050, ua).

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 23. September 2003, VfSlg 16.959, unter Hinweis auf seine bereits ergangene Rechtsprechung (zB VfSlg 12470/1990, 14909/1997, 15507/1999, 15668/1999, 15698/1999) die Ansicht vertreten, dass ein Verstoß gegen die - auch dem Anschein nach - gebotene Unabhängigkeit jeweils nur unter besonderen Umständen vorliegen könnte, die sich etwa aus einer entscheidungsrelevanten dienstlichen oder organisatorischen Abhängigkeit des einzelnen Behördenmitgliedes ergeben.

Auf eine der in der Revision aufgeworfenen Fragestellung vergleichbare Situation nahm der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. Juni 2008, VfSlg 18.493, betreffend ein Mitglied eines Unabhängigen Verwaltungssenates (UVS), Bezug und legte dar, dass angesichts der gesetzlich normierten Weisungsfreiheit und Unbefristetheit der Bestellung der Mitglieder des UVS - insofern im Unterschied zu der Fallkonstellation einer bloß befristeten Bestellung, die dem dg. Erkenntnis vom 27. November 2006, VfSlg 17.990, zu Grunde lag - eine dem Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit entgegenstehende Konstellation nur dann vorliegen könnte, wenn besondere Gründe gegeben wären, die ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zur Entscheidung in bestimmten Rechtssachen mit Recht in Zweifel ziehen ließen. Die frühere Tätigkeit des erkennenden Mitgliedes des UVS im Amt der Landesregierung als solche sei für sich allein nicht geeignet, den Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des UVS zu beeinträchtigen.

Diese Rechtsprechung ist auf die Beurteilung der Befangenheit von Mitgliedern eines Verwaltungsgerichts, die unbefristet bestellt und nach Art. 134 Abs. 7 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 1 B-VG und (hier:) § 4 Abs. 1 NÖ LVGG in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig sind, übertragbar. Deren frühere Tätigkeit in der Behörde ist daher ebenfalls grundsätzlich nicht geeignet, den Anschein ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu beeinträchtigen. Es müssen besondere Gründe gegeben sein, um ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zur Entscheidung in bestimmten Rechtssachen in Zweifel zu ziehen.

Dass im vorliegenden Fall besondere Gründe im Sinne der genannten Rechtsprechung gegeben wären, zeigt die Revision aber nicht erfolgreich auf.

Der mit ihrer Bestellung als Mitglied des Verwaltungsgerichts (und der Geschäftsverteilung) unmittelbar verbundene Umstand, dass die Richterin nun über Beschwerden gegen Bescheide "ehemaliger Kollegen" (der Behörde) zu entscheiden hat, ist - wie dargestellt -

grundsätzlich nicht geeignet, den Anschein der Unparteilichkeit zu beeinträchtigen. Dass die Richterin in ihrer damaligen Tätigkeit bei der Behörde bereits im Zusammenhang mit einem anderen Verwaltungsverfahren mit dem Revisionswerber zu tun hatte, stellt ebenfalls keinen besonderen Grund für die Annahme einer Befangenheit dar (vgl. in diesem Sinne etwa die zu § 7 AVG ergangenen hg. Erkenntnisse vom 31. März 1992, 92/04/0003, und vom 17. Dezember 2002, 2000/04/0020).

In Bezug auf das hier anhängige Verfahren erscheint auch der Umstand, dass die Richterin im Zuge der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung mit dem Vertreter der belangten Behörde eine hier gar nicht zur Anwendung gelangende Bestimmung des AWG 2002 erörterte, unbedenklich. Schon angesichts der Komplexität und der Vielzahl der im Zusammenhang mit dem Revisionswerber abgewickelten Verfahren wird auch mit der in der Revision nicht näher ausgeführten Behauptung, wonach sich in der Verhandlungsschrift Passagen fänden, auf die in einem anderen behördlichen Verfahren seitens der Behörde wörtlich Bezug genommen worden sei, kein Grund für die Annahme der Befangenheit der Richterin aufgezeigt.

Dies gilt auch für das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach die Richterin seiner Ansicht nach in einem anderen, auch ihn betreffenden Fall (Verhängung einer Verwaltungsstrafe) inhaltlich falsch entschieden habe (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2012, 2012/03/0035, 0036; vgl. zum erwähnten anderen Fall aber auch den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2015/07/0014).

Was schließlich die angeblich unterlassene Belehrung nach § 13a AVG im Rahmen der mündlichen Verhandlung betrifft, so übersieht der Revisionswerber, dass er bei der mündlichen Verhandlung (vormittags) anwaltlich vertreten war. Eine Verletzung der Anleitungspflicht gemäß § 13a AVG kann aber nicht vorliegen, wenn die Partei anwaltlich vertreten war (vgl. unter vielen die hg. Erkenntnisse vom 9. November 2009, 2009/18/0273, und vom 15. Dezember 2011, 2009/18/0011). Was aber den Zeitraum betrifft, in dem der Revisionswerber bei der mündlichen Verhandlung nicht mehr anwaltlich vertreten war (nachmittags), so versäumt er es darzutun, worauf sich die von ihm vermisste Belehrung überhaupt hätte beziehen sollen. Auch dieser Aspekt des Revisionsvorbringens legt daher keinen besonderen Grund für die Annahme der Befangenheit der Richterin dar.

In der Revision werden somit - vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Rechtsprechung der Höchstgerichte und der Aspekte des hier vorliegenden Einzelfalls - keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 26. Februar 2015

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