VwGH Ra 2015/03/0051

VwGHRa 2015/03/005130.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Lehofer als Richter, unter Beiziehung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der G GmbH in G, vertreten durch Eckert Fries Prokopp Rechtsanwälte GmbH in 2500 Baden, Erzherzog Rainer-Ring 23, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 19. Mai 2015, Zl LVwG 41.36-4704/2014-11, betreffend Zurückweisung von Beschwerden iA Eisenbahnkreuzung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark; mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde S, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10; 2. Marktgemeinde D in D), im Umlaufweg zu Recht erkannt:

Normen

AVG §18 Abs4;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §58 Abs3;
EMRK Art6;
VwGG §39 Abs2 Z6;
AVG §18 Abs4;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §58 Abs3;
EMRK Art6;
VwGG §39 Abs2 Z6;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt

1. Mit dem in Revision gezogenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Beschwerden der beiden mitbeteiligten Parteien gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Steiermark vom 26. Juni 2014 nach Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 31 VwGVG als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.) und erachtete die Erhebung einer ordentlichen Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG als unzulässig (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Der Landeshauptmann von Steiermark habe mit Bescheid vom 26. Juni 2014 angeordnet, dass eine näher bezeichnete Eisenbahnkreuzung auf der Strecke Lieboch - Wies/Eibiswald aufgelassen werde (Spruchpunkt I.); zur Durchführung dieser Anordnung sei eine Frist von zwei Jahren normiert worden. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides sei als Ersatzvornahme vorgeschrieben worden, dass die Erreichbarkeit des Anwesens rechts der Bahn, die im Fall einer Auflassung der gegenständlichen Eisenbahnkreuzung nicht mehr in jedem Fall gegeben wäre, in der gleichen Qualität wie bisher neu herzustellen sei.

Gegen diesen Bescheid hätten die beiden mitbeteiligten Gemeinden beim Verwaltungsgericht Beschwerden erhoben, weil (zusammengefasst) ihrer Auffassung nach die Voraussetzungen für die Auflassung einer Eisenbahnkreuzung nach § 48 Abs 1 des Eisenbahngesetzes 1957 nicht vorlägen und die angeordnete Ersatzmaßnahme nicht dem Konkretisierungsgebot entspräche.

In der Folge ging das Verwaltungsgericht (unter partieller Wiedergabe des Bescheides) auf die Gestaltung des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheides sowie der daraus ersichtlichen Zustellverfügung ein.

Nach Ausweis der vorgelegten Akten scheinen in der Kopfzeile der ersten Seite des Bescheides "Amt der Steiermärkischen Landesregierung" sowie "Das Land Steiermark" sowie darunter insbesondere die Bezeichnungen "Abteilung 16", weiters die Geschäftszahl sowie das Datum "26.06.2014" auf. Als Gegenstand wird genannt:

"G GmbH, Strecke Lieboch - Wies/Eibiswald, Auflassung der Eisenbahnkreuzung in km 6,490 mit einer Gemeindestraße im Gemeindegebiet von D;"

Im Weiteren lautet der Text des Bescheides auszugsweise:

"Bescheid

Spruch I:

Aufgrund des Antrages der G-GmbH vom 09.05.2014 sowie aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2014 wird gemäß § 48 Abs. 1 Ziff. 2 Eisenbahngesetz 1957 idgF angeordnet, dass die Eisenbahnkreuzung in km 6,490 der Strecke Lieboch - Wies/Eibiswald

aufgelassen wird.

Für die Durchführung dieser Anordnung wird eine Frist von

2 Jahren festgelegt.

Spruch II:

Als Ersatzmaßnahme wird vorgeschrieben, die Erreichbarkeit des Anwesens rechts der Bahn, welche im Falle einer Auflassung der gegenständlichen Eisenbahnkreuzung nicht mehr in jedem Fall gegeben ist, in der gleichen Qualität wie bisher neu herzustellen.

Begründung

...

Rechtsmittelbelehrung

Sie haben das Recht, gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Verwaltungsgericht zu erheben. Die Beschwerde ist innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich bei uns einzubringen.

...

Hievon werden verständigt:

1) Die G GmbH., Direktion ... G,

  1. 2) die G GmbH., ... L,
  2. 3) das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Verkehrs-Arbeitsinspektorat ... 1010 Wien, (Bezug: BMASK-751.7089/0007-VII/A/VAI/11/2014),
  3. 4) der Marktgemeinde D, D,
  4. 5) die RA-Kanzlei EISENBERGER-HERZOG ... G,
  5. 6) die Abteilung 16 ... 8010 Graz,
  6. 7) Herrn Dipl.-Ing. ... Baubezirksleitung Obersteiermark West ... J,

    Für den Landeshauptmann:

    Für den Abteilungsleiter:

    ...

    (elektronisch gefertigt)"

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Bescheid als individuelle Norm an eine oder mehrere bestimmte Personen adressiert sein müsse. Die damit getroffene Wahl des Normadressaten sei ein notwendiges Inhaltserfordernisses eines jeden Bescheides. Die Benennung zumindest einer tauglichen Person, der gegenüber die Verwaltungsbehörde die in Betracht kommende Angelegenheit des Verwaltungsrechts in förmlicher Weise gestalten wolle bzw die Träger der bescheidförmig begründeten Rechte und Pflichten sein solle, zähle zu den konstitutiven Merkmalen eines Bescheides, deren Fehlen einen Bescheid gar nicht entstehen lassen würde, diesen also absolut nichtig mache. Nach §§ 58 ff iVm § 18 Abs 4 AVG bestehe zwar nicht ausdrücklich die Pflicht, im Bescheid den Adressaten zu nennen, diese Pflicht ergebe sich aber schon aus den sachlichen Gegebenheiten, insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Vollstreckung. Die Bezeichnung des Normadressaten gehöre überdies zum normativen Spruchinhalt iSd § 59 Abs 1 AVG, weshalb der Bescheid die Person, an die er ergehe, im Spruch zu nennen habe. Es stelle keinen Verstoß gegen § 59 AVG dar, wenn die Verwaltungsbehörde im Spruch den Verpflichteten zunächst abstrakt bezeichne, dann aber in der Zustellverfügung diejenige physische oder juristische Person benenne, auf welche sich der Spruch beziehe. In einem solchen Fall komme der Zustellverfügung wesentliche Bedeutung zu, weil dadurch die notwendige Individualisierung bewirkt werde, der Spruch damit also seinen vollen Inhalt erhalte. Unterbleibe eine deutliche Konkretisierung des Bescheidadressaten auch in der Zustellverfügung, mangle es einer Erledigung an der Bescheidqualität. Dem Spruch der in Beschwerde gezogenen behördlichen Erledigung sei nicht zu entnehmen, wem gegenüber die Verwaltungsbehörde die gegenständliche Angelegenheit in förmlicher Weise gestalten wolle bzw wer Träger der begründeten Pflichten sein solle. Mit der Zustellverfügung werde die "Verständigung" verschiedener natürlicher und juristischer Personen verfügt. Es sei jedoch nicht zu erkennen, weder aus der Zustellverfügung noch aus der Gesamtheit der behördlichen Erledigung, wer Adressat derselben sein solle bzw auf welcher rechtlichen Grundlage die Verständigung an verschiedene Personen erfolgen solle. Somit sei eine deutliche Konkretisierung des Bescheidadressaten unterblieben. Infolge des Fehlens dieses konstitutiven Bescheidmerkmales könne die angefochtene behördliche Erledigung nicht als Bescheid qualifiziert werden. Da im konkreten Fall kein Bescheid vorliege, sei eine Beschwerde dagegen unzulässig. Im Übrigen sehe die Zustellverfügung eine Zustellung an die erstmitbeteiligte Partei nicht vor, weshalb deren Beschwerde schon deshalb unzulässig sei.

2. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, den angefochtenen Beschluss nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 42 Abs 2 VwGG aufzuheben.

Die erstmitbeteiligte Partei trat in ihrer Revisionsbeantwortung der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei, weil die Adressaten der in Rede stehenden Entscheidung des Landeshauptmanns von Steiermark völlig unklar geblieben seien.

II. Erwägungen

1. Die Revision ist - wie sich aus dem Folgenden ergibt - zulässig und begründet.

2. Zunächst ist festzuhalten, dass Bescheide nach § 56 AVG alle jene hoheitlichen Erledigungen von Verwaltungsbehörden sind, durch die in bestimmten einzelnen Angelegenheiten der Verwaltung gegenüber individuell bestimmten Personen in einer förmlichen Weise über Rechtsverhältnisse materiellrechtlicher oder formellrechtlicher Art abgesprochen wird, sei es dass Rechtsverhältnisse festgestellt, sei es, dass sie gestaltet werden (vgl dazu und zum Folgenden etwa VwGH vom 16. September 2003, 2003/05/0142; VwGH vom 23. März 2006, 2005/07/0091; VwGH vom 21. Dezember 2012, 2012/17/0473; VwGH vom 24. März 2015, Ra 2014/03/0021). Behördliche Erledigungen, die weder ein Rechtsverhältnis feststellen noch gestalten, können keine Bescheide im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes sein. Gemäß § 58 Abs 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat Spruch und Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Erledigungen, die weder nach Form noch nach Inhalt darauf schließen lassen, dass damit die Behörde in einer der Rechtskraft fähigen Weise über konkrete Rechtsverhältnisse abgesprochen hat, sind keine Bescheide. Gemäß § 58 Abs 3 iVm § 18 Abs 4 AVG haben Bescheide die Bezeichnung der Behörde zu enthalten, allerdings nicht notwendigerweise im Spruch. Fehlt die Bezeichnung der Behörde, so kann das betreffende Schriftstück nicht als Bescheid angesehen werden. Ob ein Bescheid vorliegt, ist ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen, also danach, ob für jedermann erkennbar ist, dass es sich um einen Bescheid handelt und daher auch, welcher Behörde das betreffende Schriftstück zuzurechnen ist, unabhängig von der subjektiven Kenntnis des Adressaten dieses Schriftstückes. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auf die ausdrückliche Bezeichnung einer Erledigung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung und auch aus der Form der Erledigung ergeben. Handelt es sich nach dem Inhalt um Mitteilungen, die keinen autoritativen Abspruch enthalten, kann diesen Schreiben kein Bescheidcharakter zugemessen werden. Hinweise, Mitteilungen und Belehrungen können mangels eines rechtserzeugenden oder rechtsfeststellenden Inhaltes nicht als verwaltungsrechtliche Bescheide angesehen werden.

An wen ein Bescheid gerichtet ist, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aus dessen Formulierung, nämlich der Adressierung, dem Spruch und der Zustellverfügung (vgl etwa VwGH vom 9. Oktober 2014, 2011/05/0198; VwGH vom 25. Juni 2008, 2004/03/0208; VwGH vom 20. März 2007, 2003/03/0214; VwGH vom 21. Oktober 1994, 94/11/0192).

3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist festzuhalten, dass am normativen Charakter der ohnehin als "Bescheid" bezeichneten Entscheidung des vor dem Verwaltungsgericht belangten Landeshauptmannes vom 26. Juni 2014 angesichts des normativen Textes ihrer beiden Spruchpunkte keine Zweifel bestehen.

Davon ausgehend kann die Überschrift "Hievon werden verständigt:" nur als Zustellverfügung in dem Sinn verstanden werden, dass damit insbesondere die revisionswerbende Partei als Adressat dieses Bescheides fixiert wird, zumal auch im Spruchpunkt I. auf deren (verfahrenseinleitenden) Antrag Bezug genommen wird. Darüber hinaus wird die revisionswerbende Partei auch in dem als "Gegenstand" bezeichneten Betreff des Bescheides (vgl S 1) ausdrücklich genannt.

Damit erweist sich die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass die vorliegende Entscheidung des vor dem Verwaltungsgericht belangten Landeshauptmannes nicht als Bescheid zu deuten sei, weil eine deutliche Konkretisierung des Bescheidadressaten fehle, als unzutreffend. Mit seiner unzutreffenden Auffassung ist das Verwaltungsgericht von der skizzierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Gleiches gilt daher auch für den Ausspruch gemäß § 25a VwGG, dass die ordentliche Revision gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss nicht zulässig wäre (vgl dazu etwa VwGH vom 27. November 2014, Ra 2014/03/0036).

III. Ergebnis

1. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

2. Eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte unterbleiben, weil die in der angefochtenen Entscheidung getroffene rechtliche Beurteilung - wie dargestellt - von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht (vgl § 39 Abs 2 Z 4 VwGG). Ferner konnte auch gemäß § 39 Abs 2 Z 6 VwGG von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da das Verwaltungsgericht, ein Tribunal iSd EMRK, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl VwGH vom 30. Juni 2015, Ra 2015/03/0020).

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das den Ersatz der Umsatzsteuer betreffende Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl VwGH vom 9. September 2015, Ra 2015/03/0040).

4. Diese Entscheidung konnte im Umlaufweg getroffen werden, weil im Revisionsfall die Voraussetzungen des § 15 Abs 4 iVm § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gegeben sind.

Wien, am 30. Oktober 2015

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