Normen
AVG §42 idF 1998/I/158;
AVG §8;
AVG §82 Abs7 idF 1998/I/158;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §27 Abs1;
AVG §42 idF 1998/I/158;
AVG §8;
AVG §82 Abs7 idF 1998/I/158;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §27 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bauansuchen vom 6. März 2003 stellte die erstmitbeteiligte Partei den Antrag auf Erteilung der Baubewilligung für den Umbau eines im Gemeindegebiet der mitbeteiligten Stadtgemeinde gelegenen Gebäudes. Die Beschwerdeführerin wurde zur mündlichen Bauverhandlung über dieses Vorhaben persönlich geladen, in der ihr zugestellten Kundmachung zur Bauverhandlung wird ausgeführt, dass gemäß § 42 AVG Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung finden und dass die Parteien dem Bauantrag, dem Vorhaben oder Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, als zustimmend angesehen werden. Etwaige Vorbehalte hinsichtlich nachträglicher Erklärungen könnten nicht mehr berücksichtigt werden.
Die Beschwerdeführerin brachte als Nachbarin gegen das Bauvorhaben der erstmitbeteiligten Partei in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2003 Folgendes vor:
"Ich bin mit dem Bauvorhaben nicht einverstanden, weil die Fenster im Obergeschoß der Wohnung 3 vis-a-vis von der Terrasse F... laut Plan wesentlich größer werden. Außerdem möchte ich mit Einverständnis vom Bürgermeister einen entsprechenden Sichtschutz aus Holz, wie bereits auf meiner Terrasse bestehend, auf meiner Terrasse, Grenze B..., anbringen. Außerdem möchte ich, dass die Fa. S... bzw. B... das zu mir angrenzende Mauerwerk beim Gang trocken legt."
Mit Bescheid vom 17. Juni 2003 wurde der Erstmitbeteiligten gemäß §§ 19 und 29 des Steiermärkischen Baugesetzes 1995 (Stmk BauG) die Baubewilligung für den Um- und Zubau beim bestehenden Objekt unter näher ausgeführten bestimmten Auflagen erteilt. Die Nachbareinwendung der Beschwerdeführerin, die mit dem laut Plan im Vergleich zum Bestand wesentlich größer werdenden Fenster im Obergeschoß der Wohnung 3 vis-a-vis ihrer Terrasse argumentiert habe, wurde als unbegründet abgewiesen. Was die Errichtung des gewünschten Sichtschutzes anbelange, so sei dies gesondert baurechtlich abzuhandeln. Bezüglich der geforderten Trockenlegung sei das Einvernehmen zwischen der Beschwerdeführerin und der Erstmitbeteiligten herzustellen bzw. gegebenenfalls der Zivilrechtsweg zu beschreiten.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin die Verletzung des Rechtes auf Einhaltung des Mindestabstandes, Gewährleistung von Schall- und Brandschutz sowie Belästigung durch Rauchabgase und Gefährdung durch Niederschlagswässer geltend.
Der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 28. August 2003 ab und führte aus, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich der erstmalig in der Berufung geltend gemachten Rechte als präkludiert anzusehen sei. Was ihr bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz erstattetes Vorbringen betreffend die Beeinträchtigung der bisherigen Sichtverhältnisse bzw. eine unzumutbare Störung durch neue Gaupenfenster anbelange, handle es sich hiebei um keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte im Sinne des Stmk BauG. Wenn die Beschwerdeführerin meine, dass ein neues Gebäude errichtet werde und die Baubewilligung untergegangen sei, so sei dazu auszuführen, dass der Gegenstand der mündlichen Bauverhandlung ident mit der Baubewilligung sei.
Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. November 2003 die dagegen gerichtete Vorstellung der Beschwerdeführerin ab. Sie begründete den angefochtenen Bescheid nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtsvorschriften im Wesentlichen damit, dass die einer Partei eingeräumten prozessualen Rechte nicht weiter reichen könnten als die ihr durch das Gesetz gewährleistete Sphäre materieller Rechte. Auch sei die Behörde nicht verpflichtet, der Partei Anleitungen in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung von Einwendungen zu geben. Sie sei im Rahmen der Manuduktionspflicht lediglich verpflichtet, die Partei dahingehend anzuleiten, welche Verfahrensschritte zu setzen möglich sind. Zum Einwand, die Beschwerdeführerin fühle sich durch die ihr zugewendeten drei großen Fenster unzumutbar gestört, werde festgehalten, dass diesbezüglich überhaupt kein subjektivöffentliches Nachbarrecht gegeben sei. Zum Vorbringen, dass die Dachgaupen nicht in der bewilligten Form beantragt worden und in der Verhandlung besprochen worden seien, werde ausgeführt, dass die drei Fenster sehr wohl im Plan dargestellt seien und darüber hinaus auch diese Fenster in der Bauverhandlung, nämlich im Befund des Bausachverständigen, erörtert worden seien. Diesbezüglich sei auch keine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin gegeben. Sämtliche Einwendungen, die die Beschwerdeführerin erstmalig im Berufungsverfahren und nunmehr auch im Vorstellungsverfahren vorbringe, könnten nicht dazu führen, dass die diesbezüglich eingetretene Präklusion durchbrochen werde.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil der Verhandlungsleiter im Bauverfahren vor der Behörde erster Instanz "wohlwollend die holprigen, unjuristischen und undeutlichen Äußerungen zu Protokoll nahm, da so ein möglicherweise langwieriges und komplexes Bauverfahren abgeschnitten werden konnte". Es sei pflichtwidrig unterlassen worden, die Beschwerdeführerin darüber aufzuklären, wie sie ihre Einreden im Sinne des § 26 Stmk BauG formulieren müsse.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zutreffend wurde nämlich bereits im Bauverfahren und auch durch die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass die Behörde im Rahmen ihrer in § 13a AVG grundgelegten Manuduktionspflicht nicht gehalten ist, den Parteien des Verfahrens Anleitungen zu geben, welche Rechte sie geltend zu machen hätten, um ein bestimmtes Verfahrensziel zu erreichen. Diese Manuduktionspflicht bezieht sich nur darauf, eine Hilfestellung bezüglich prozessualer Mittel zur Durchsetzung von von den Parteien selbst formulierten Rechten aufzuzeigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2002/06/0050, m.w.N.).
Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, u. v.a.). Dies gilt auch für den Nachbarn, der im Sinne des § 42 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 die Parteistellung beibehalten hat.
Gemäß § 26 Abs. 1 des Steiermärkischen Baugesetzes - Stmk BauG, LGBl. Nr. 59/1995, kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
"1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem
Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;
- 2. die Abstände (§ 13);
- 3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
- 4. die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
- 5. die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen
Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1);
6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6)."
Die den Parteien eingeräumten Verfahrensrechte reichen nicht weiter als die ihnen eingeräumten materiellen subjektiven Rechte. Die Aufzählung der Nachbarrechte im § 26 Abs. 1 leg. cit. ist, wie dieser Bestimmung zweifelsfrei zu entnehmen ist, taxativ (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 1997, Zl. 97/06/0019), sie ermöglicht keine die Nachbarrechte erweiternde Auslegung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2005, Zl. 2003/06/0001, m.w.N.).
Die Beschwerdeführerin wendet auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen den angefochtenen Bescheid ein, sie sei durch die im Bauverfahren erteilte Baubewilligung in ihrem Recht auf Einhaltung des Mindestabstands gemäß § 13 BauG, in ihrem Recht auf Schallschutz gemäß § 43 Abs. 2 Z. 5 BauG, in ihrem Recht auf Beeinträchtigung durch mangelnden Brandschutz gemäß § 51 Abs. 1 BauG verletzt und die Baubehörden und die belangte Behörde hätten sonstige Gefährdungen oder unzumutbare Belästigungen hinsichtlich Rauch- und Abgasfänge gemäß § 61 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Z. 5 Stmk BauG sowie hinsichtlich unzureichender Abwasserbeseitigung im Grunde des § 65 Abs. 1 BauG nicht ausreichend berücksichtigt.
§ 42 Abs. 1 und 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998, lautet:
"§ 42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, dass ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt.
(2) Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs. 1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben."
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinen Erkenntnissen vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/05/0271, vom 23. Mai 2001, Zl. 2000/06/0056, und vom 13. Dezember 2004, Zl. 2001/06/0145, ausgeführt, dass ein Verlust der Parteistellung nach § 42 AVG nF dann nicht eintreten kann, wenn in der Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung der Verhandlung - entgegen § 41 Abs. 2, zweiter Satz AVG nF - nicht auf diese im § 42 AVG nF vorgesehenen Rechtsfolgen verwiesen wird. Der Verwaltungsgerichtshof vertrat des Weiteren die Auffassung, dass die Frage der Beibehaltung bzw. des Verlustes der Parteistellung auf Grund der Derogationsvorschrift des § 82 Abs. 7 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 gemäß § 42 AVG in der Fassung dieser Novelle zu beurteilen ist (der somit, soweit hier erheblich, der abweichenden, vor dem 30. Juni 1998 kundgemachten Bestimmung im § 27 Abs. 1 Stmk BauG derogierte).
Im Beschwerdefall enthielten Ladung und Kundmachung zur Bauverhandlung zu Unrecht keinen Hinweis auf die im § 42 AVG i. d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 vorgesehenen Rechtsfolge des Verlustes der Parteistellung, vom Verlust der Parteistellung sind auch weder die Baubehörden noch die belangte Behörde ausgegangen.
Im Hinblick auf diesen Mangel von Ladung und Kundmachung ist auf dem Boden der dargestellten Rechtsprechung eine Präklusion hinsichtlich jener Einwendungen, die erst in der Berufung erhoben wurden, nicht eingetreten und es erweisen sich die von der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren erhobenen Einwendungen daher als zulässig erhoben (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 12. November 2002, Zl. 2000/05/0247). Die Baubehörde zweiter Instanz hätte über sie in inhaltlicher Hinsicht absprechen müssen.
Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht - im Rahmen des Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 24. Oktober 2006
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