VwGH 94/17/0278

VwGH94/17/027823.9.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden der XY-AG in W, vertreten durch Dr. RB, RA in W, 1. gegen den Bescheid des Vizepräsidenten der Wiener Börsekammer vom 30. März 1994, Zl. 8195/93-1763/94, betr Einleitung des Verfahrens zum Ausschluß von der Mitgliedschaft der Wiener Wertpapierbörse und Ruhen der Mitgliedschaft zur Wiener Wertpapierbörse, 2. gegen den Bescheid des Kartenausschusses der Wiener Börsekammer vom 3. Juni 1994, Zl. 8195/93, betr Nichtaufhebung des Bescheides über die Einleitung des Verfahrens zum Ausschluß von der Mitgliedschaft zur Wiener Wertpapierbörse, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
BAO §93;
BörseG 1989 §14 Z2;
BörseG 1989 §19 Abs1;
BörseG 1989 §19 Abs2;
BörseG 1989 §19;
B-VG Art131;
B-VG Art132;
BWG 1993 §70 Abs2 Z2;
BWG 1993 §82;
FinStrG §82;
FinStrG §83;
EMRK Art6;
UVSG Stmk 1990 §6;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §36 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
BAO §93;
BörseG 1989 §14 Z2;
BörseG 1989 §19 Abs1;
BörseG 1989 §19 Abs2;
BörseG 1989 §19;
B-VG Art131;
B-VG Art132;
BWG 1993 §70 Abs2 Z2;
BWG 1993 §82;
FinStrG §82;
FinStrG §83;
EMRK Art6;
UVSG Stmk 1990 §6;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §36 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

I. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 30. März 1994 wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Wiener Börsekammer Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Der Bescheid vom 3. Juni 1994 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Wiener Börsekammer hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Unbestrittenermaßen ist die Beschwerdeführerin nach den ihr vom Bundesminister für Finanzen erteilten Konzessionen unter anderem zur Durchführung des Effektengeschäftes gemäß § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. e des Bankwesengesetzes, Art. 1 des Finanzmarktanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 532/1993 (BWG), (früher § 1 Abs. 2 Z. 5 Kreditwesengesetz, BGBl. Nr. 63/1979 - KWG -) berechtigt.

Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 70 Abs. 2 Z. 4 BWG die Fortführung des Geschäftsbetriebes mit sofortiger Wirkung ganz untersagt.

Mit dem nunmehr erstangefochtenen Bescheid des Vizepräsidenten der Wiener Börsekammer vom 30. März 1994 wurde in Spruchpunkt 1. das Verfahren zum Ausschluß der Beschwerdeführerin von der Mitgliedschaft der Wiener Wertpapierbörse eingeleitet und in Spruchpunkt 2. für die Dauer des Ausschlußverfahrens über die Beschwerdeführerin das Ruhen der Mitgliedschaft zur Wiener Wertpapierbörse ausgesprochen. In der Begründung dieses Bescheides wird auf den erwähnten Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 Bezug genommen. Die Berechtigung zur Ausübung des Wertpapiergeschäftes sei ein Erfordernis für die Zulassung als Mitglied der Wertpapierbörse. Durch die Verfügung des Bundesministers für Finanzen sei dieses Zulassungserfordernis nachträglich weggefallen. Gemäß § 19 des Börsegesetzes 1989, BGBl. Nr. 555 (BörseG), sei daher das Ausschlußverfahren einzuleiten. Für dieses sei der Kartenausschuß der Wiener Börsekammer zuständig, welcher jedoch im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr rechtzeitig tätig werden könne. Durch die Teilnahme der Beschwerdeführerin am Börsehandel würde den anderen Börsemitgliedern die erhebliche Gefahr der Nichterfüllung von mit der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Börsegeschäften drohen, da ihr durch die Verfügung des Bundesministers für Finanzen auch die zur Erfüllung notwendigen Maßnahmen verboten seien. Die Verfahrenseinleitung habe daher durch den Präsidenten (Vizepräsidenten) der Wiener Börsekammer im Wege der Befugnis des § 9 Abs. 3 BörseG zu erfolgen. Gleichzeitig sei das Ruhen der Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin zur Wertpapierbörse zu verfügen gewesen.

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. April 1994, AW 94/17/0008, wurde der von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 eingebrachten Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Auf Grund dessen hob der Präsident der Wiener Börsekammer mit Bescheid vom 8. April 1994 das mit dem hier angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt 2.) verfügte Ruhen der Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin zur Wiener Wertpapierbörse auf.

Mit dem an den Präsidenten der Wiener Börsekammer gerichteten Schreiben vom 9. Mai 1994 beantragte die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsfreund, auch den ersten Teil des Spruches des Bescheides vom 30. März 1994 "ersatzlos aufzuheben". Nachdem der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, lägen die Zulassungsvoraussetzungen gemäß den §§ 14 und 15 BörseG weiterhin vor. Es bestehe daher kein Grund dafür, daß das Ausschlußverfahren weiterhin anhängig sei.

Mit dem nunmehr zweitangefochtenen Bescheid vom 3. Juni 1994 wies der Kartenausschuß der Wiener Börsekammer den zuletzt genannten Antrag der Beschwerdeführerin ab. Dies im wesentlichen mit der Begründung, für die Einleitung, die Durchführung und die Beendigung des Ausschlußverfahrens sei nicht der Präsident, sondern der Kartenausschuß der Wiener Börsekammer zuständig. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei daher an diese Behörde weiterzuleiten gewesen. Dem Antrag komme jedoch keine Berechtigung zu. Zum einen handle es sich um ein amtswegiges Verfahren, das der Disposition der Partei entzogen sei; es gebe daher auch kein formelles Antragsrecht auf Einleitung und/oder Beendigung. Zum anderen sei das Ausschlußverfahren im derzeitigen Stadium noch nicht beendet. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin bedeute bei einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung noch keineswegs, daß auch der Beschwerde selbst stattgegeben werde. Der Bescheid des Bundesministers für Finanzen, auf Grund dessen das Ausschlußverfahren eingeleitet worden sei, sei nicht behoben. Sollte der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der Beschwerdeführerin "verwerfen", werde das Ausschlußverfahren weiterzuführen sein. Nur im Fall eines stattgebenden Erkenntnisses werde - nach Vorliegen desselben - das Ausschlußverfahren einzustellen sein.

Nur mehr gegen Spruchpunkt 1. des (erstangefochtenen) Bescheides des Vizepräsidenten der Wiener Börsekammer vom 30. März 1994 richtet sich die vorliegende, zur Zl. 94/17/0278 protokollierte Beschwerde. Nach dem Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht darauf, daß kein Ausschlußverfahren gemäß § 19 Abs. 1 BörseG einzuleiten sei, wenn die Zulassungsvoraussetzungen gemäß den §§ 14 und 15 leg. cit. weiterhin vorlägen, verletzt. Sie beantragt, den erstangefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde (Präsident der Wiener Börsekammer) erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerin replizierte.

Gegen den (zweitangefochtenen) Bescheid des Kartenausschusses der Wiener Börsekammer vom 3. Juni 1994 richtet sich die vorliegende, zur Zl. 94/17/0308 protokollierte Beschwerde. Nach ihrem Vorbringen erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht darauf, daß die bescheidmäßige Einleitung eines Ausschlußverfahrens gemäß § 19 Abs. 1 BörseG aufgehoben werde, wenn die Zulassungsvoraussetzungen gemäß den §§ 14 und 15 BörseG weder vorlägen, verletzt. Sie beantragt, den zweitangefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde (Kartenausschuß der Wiener Börsekammer) erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres engen sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und hierüber erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 BörseG obliegt die Leitung und Verwaltung einer Börse einer mit Bundesgesetz als juristische Person des öffentlichen Rechts einzurichtenden Börsekammer.

Gemäß § 4 leg. cit. sind die Organe der Börsekammer

  1. 1. die Vollversammlung;
  2. 2. die nach § 6 einzurichtenden Ausschüsse der Vollversammlung;

    3. der Präsident.

    Gemäß § 6 Abs. 2 BörseG ist an einer Börse nach § 1 Abs. 2 leg. cit. (Wertpapierbörse) unter anderem ein Kartenausschuß einzurichten, der für die Zulassung und den Ausschluß von Börsemitgliedern sowie für die Festsetzung von Kautionen und Sicherheiten zuständig ist.

    Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wird der Präsident im Falle der Verhinderung durch einen der Vizepräsidenten vertreten.

    Gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. kann der Präsident Entscheidungen in Angelegenheiten, für die die Vollversammlung oder ein Ausschuß zuständig sind, treffen, sofern dadurch nicht das Statut geändert wird und wenn die zuständigen Organe nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden können und bei Unterbleiben einer sofortigen Entscheidung

    1. der Börse oder ihren Mitgliedern ein erhebliche Gefahr droht,

    2. die Börse oder ihre Mitglieder einen erheblichen Nachteil erleiden würden oder

    3. ein geordneter Börsehandel oder Interessen des anlagesuchenden Publikums gefährdet wären.

    Gemäß § 14 leg. cit. darf die Zulassung als Börsemitglied nur erteilt werden, wenn

    1. keine Tatsachen vorliegen, die es zweifelhaft machen, daß der Antragsteller die für die Teilnahme am Börsehandel erforderliche Zuverlässigkeit besitzt,

    2. der Antragsteller nicht in seiner Geschäftsfähigkeit, insbesondere durch Insolvenz oder Geschäftsaufsicht, beschränkt ist,

    ...

    Gemäß § 15 Abs. 1 leg. cit. können Mitglieder einer Wertpapierbörse nur protokollierte Einzelkaufleute, Personengesellschaften des Handelsrechtes sowie juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechtes werden, die zur Ausübung

    1. des Effektengeschäftes nach § 1 Abs. 2 Z. 5 KWG (das ist die Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren für

    andere) ... berechtigt sind. Hiezu ist zu bemerken, daß nach

    der Definition des § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. e BWG unter "Effektengeschäft" nunmehr der Handel mit Wertpapieren nicht nur auf fremde, sondern auch auf eigene Rechnung verstanden wird.

    Gemäß § 19 Abs. 1 leg. cit. sind Börsemitglieder auszuschließen, wenn

    1. bei ihnen die Zulassungsvoraussetzungen zum Zulassungszeitpunkt nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind,

    2. sie ihren Pflichten nicht nachkommen.

    Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kann der Präsident für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft verfügen.

    Gemäß § 49 Abs. 1 BörseG ist die Wiener Börse zugleich Wertpapierbörse und allgemeine Warenbörse und wird von der Wiener Börsekammer geleitet und verwaltet. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist die Wiener Börsekammer eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 1.

    Ad I.): Ihren Antrag auf Zurückweisung der zuerst genannten Beschwerde begründet die belangte Behörde zunächst damit, daß die Beschwerdeführerin die belangte Behörde (im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG) unrichtig bezeichnet habe. Die Wiener Börsekammer sei eine juristische Person öffentlichen Rechts, jedoch nicht Behörde.

    Letzteres trifft nach Obgesagtem zwar zu. Welche Behörde belangte Behörde des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, kann allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur aus der zutreffenden Bezeichnung der Behörde durch den Beschwerdeführer ersehen werden, sondern ist auch aus dem Inhalt der Beschwerde insgesamt und den der Beschwerde angeschlossenen Beilagen sowie aus der dem Verwaltungsgerichtshof bekannten Rechtslage betreffend den Vollzugsbereich und die Behördenorganisation erschließbar. Jene Behörde ist Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, welche bei verständiger Wertung des gesamten Beschwerdevorbringens einschließlich der der Beschwerde angeschlossenen Beilagen als belangte Behörde zu erkennen ist (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. März 1986, Zl. 85/18/0078 - Rechtssätze veröffentlicht in Slg. Nr. 12.088/A -, weiters die Erkenntnisse vom 20. Jänner 1989, Zl. 88/17/0183, vom 22. Februar 1991, Zl. 90/17/0181, und vom 20. Februar 1992, Zl. 92/08/0005).

    Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin unter der Rubrik "BELANGTE BEHÖRDE" folgendes ausgeführt:

    "Wiener Börsekammer, Bescheid des Vizepräsidenten der Wiener Börsekammer vom 30. März 1994 ..."

    Der Verwaltungsgerichtshof ist daher - ebenso wie im ähnlich gelagerten, mit Erkenntnis vom 29. April 1983, Zl. 81/17/0137, entschiedenen Fall - gerade unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei der Wiener Börsekammer nicht um eine Behörde (d.h. um ein bestimmte Merkmale aufweisendes ORGAN EINES RECHTSTRÄGERS), sondern um einen RECHTSTRÄGER handelt, der Auffassung, daß sich (insbesondere auf Grund des angeschlossenen angefochtenen Bescheides) die im Spruch dieses Erkenntnisses genannte Behörde als belangte Behörde eindeutig ergibt.

    Die belangte Behörde begründet ihren Zurückweisungsantrag weiters damit, daß es der Beschwerdeführerin an der Beschwer mangle. Die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin würde sich nämlich nach Auffassung der belangten Behörde auch im Falle der Aufhebung des angefochtenen Bescheides (erg.: im Umfang der Anfechtung) nicht ändern. Das Ausschlußverfahren könnte nämlich jederzeit und formlos, etwa durch Aufnahme eines Aktenvermerkes, wieder eingeleitet werden. Das Ruhen der Mitgliedschaft könnte dann genauso rasch verfügt werden.

    Auch in dieser Hinsicht kann der belangten Behörde nicht gefolgt werden:

    Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt der Einleitung eines bestimmten Verfahrens dann Bescheidcharakter zu, wenn daran in anderen Rechtsvorschriften bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind bzw. damit die rechtliche Voraussetzung für weitere Verwaltungsakte geschaffen wird (vgl. für die Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 83 Abs. 2 letzter Satz des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 329, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 8686/1979 - ihm folgend die Erkenntnisse VfSlg. Nr. 9489/1982, 10.086/1984 und 10.997/1986 -, für die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 11.680/1988 sowie die hg. Erkenntnisse vom 5. April 1989, Zl. 88/13/0021, vom 25. Jänner 1990, Zl. 89/16/0183, und vom 8. Februar 1990, Zl. 89/16/0201). Nur dann, wenn mit der Einleitung eines Verfahrens für sich allein keinerlei Rechtswirkungen verbunden sind - so etwa im Fall der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens nach dem UVS-Gesetz 1990, LGBl. für die Steiermark Nr. 78 -, handelt es sich lediglich um eine Verfahrensanordnung ohne normative Wirkung und ohne Bescheidcharakter (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 1993, B 1011/93-14).

    In gleicher Weise ist auch die Vorschrift des § 19 Abs. 2 BörseG zu beurteilen. Obwohl in dieser Vorschrift die Einleitung des Ausschlußverfahrens nicht ausdrücklich geregelt ist, wird doch durch die Bezugnahme dieser Gesetzesstelle auf die "Dauer des Ausschlußverfahrens" dessen Einleitung logisch vorausgesetzt. Die dem Präsidenten der Börsekammer eingeräumte Möglichkeit, für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft zu verfügen, hat daher die Einleitung des Ausschlußverfahrens zur rechtlichen Voraussetzung, zumal auch für die Einleitung des Ausschlußverfahrens mangels einer abweichenden gesetzlichen Regelung grundsätzlich der Kartenausschuß zuständig ist. Im Sinne obiger Rechtsprechung hat daher diese Einleitung des Ausschlußverfahrens in Bescheidform zu ergehen, so wie dies auch im vorliegenden Fall tatsächlich geschehen ist.

    Die (nunmehrige) Auffassung der belangten Behörde, das Ausschlußverfahren könne "jederzeit und formlos" durch "bloß internen Akt, etwa durch Aufnahme eines Aktenvermerkes" (wieder) eingeleitet werden, erweist sich daher als verfehlt. Es trifft auch nicht zu, daß der Präsident, wie die Parteien des Verfahrens meinen, für die Dauer des Ausschlußverfahrens das Ruhen der Mitgliedschaft verfügen kann, "ohne daß es hiefür einer weiteren Begründung oder des Vorliegens einer zusätzlichen Voraussetzung bedarf". Vielmehr bildet die - bescheidmäßige - Einleitung des Ausschlußverfahrens eine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung für die (entsprechend zu begründende) Entscheidung des Präsidenten über das Ruhen der Mitgliedschaft.

    Die Beschwerde erweist sich daher als zulässig.

    Sie ist jedoch nicht begründet. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides in der Regel nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu beurteilen. Nach dem im Akt der belangten Behörde erliegenden Zustellausweis wurde der angefochtene Bescheid der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vorstandes zwar nicht, wie sie behauptet, am 30. März, wohl aber am 31. März 1994 zugestellt. In diesem Zeitpunkt war der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem der gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, noch nicht ergangen. Schon aus diesem Grunde konnte dieser Beschluß - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides haben. Auch der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Umstand, die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ausschlußverfahrens gemäß § 19 BörseG lägen "NICHT MEHR" vor, könnte den Verwaltungsgerichtshof nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides veranlassen, wenn die Voraussetzungen zu seiner Erlassung in DIESEM Zeitpunkt vorlagen.

    Daß der angefochtene Bescheid und insbesondere Spruchpunkt 1. IM ZEITPUNKT SEINER ERLASSUNG rechtswidrig gewesen seien, behauptet jedoch auch die Beschwerdeführerin nicht. Tatsächlich kam ja als Voraussetzung zur Zulassung der Beschwerdeführerin als Mitglied der Wiener Wertpapierbörse lediglich die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Z. 1 BörseG, nämlich die Berechtigung zur Ausübung des Effektengeschäftes, in Frage. Diese Voraussetzung war am 30. März 1994 durch die Erlassung des Bescheides des Bundesministers für Finanzen im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 1 BörseG nachträglich weggefallen, weshalb die Einleitung des Ausschlußverfahrens nicht rechtswidrig war.

    In diesem Zusammenhang ist es auch ohne Bedeutung, daß die Einleitung des Ausschlußverfahrens - wie die Beschwerdeführerin behauptet - geeignet sei, das Vertrauen der Kunden in ihr Unternehmen weiter zu schwächen.

    Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die hier anzuwenden Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 6 MRK sind beim Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Nach der vom Verwaltungsgerichtshof geteilten Auffassung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. Slg. Nr. 11.500/1987) wird für den österreichischen Rechtsbereich bei Entscheidung der Frage, ob es sich im Sinne des Art. 6 MRK um "civil rights and obligations" handelt oder nicht, darauf abgestellt, ob es sich um Rechte und Pflichten der Bürger UNTER SICH (§ 1 ABGB) oder um die Stellung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit geht. Sind die zivilrechtlichen Auswirkungen nur die (sekundäre) Folge eines (primär) im öffentlichen Interesse liegenden Verbotes eines tatsächlichen Verhaltens, liegt KEINE Entscheidung über civil rights vor (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 1993, G 226/92-7, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung). Nichts anderes kann für den Ausspruch des Ruhens der Mitgliedschaft bei einer Wertpapierbörse gelten.

    Die erstgenannte Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Ad II.): Wie oben ausgeführt, setzt die Verfügung des Ruhens der Mitgliedschaft durch den Präsidenten nach § 19 Abs. 2 BörseG voraus, daß das Ausschlußverfahren eingeleitet wurde. Das Mitglied hat daher einen Rechtsanspruch darauf, daß ein eingeleitetes Ausschlußverfahren eingestellt oder - was auf dasselbe hinausläuft - der Bescheid über die Einleitung des Ausschlußverfahrens (mit Wirkung ex nunc) aufgehoben wird, wenn die Gründe für die Einleitung des Ausschlußverfahrens weggefallen sind. An sich mit Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 30 Abs. 2 VwGG der Eintritt der durch die Rechtsordnung an den Bescheid geknüpften Rechtswirkungen hinausgeschoben wird. Dies bewirkt bei Leistungsbescheiden, daß die auferlegte Leistung vorläufig nicht zu erbringen ist, bei rechtsgestaltenden Bescheiden, daß die Rechtsgestaltung vorläufig nicht eintritt, und bei Feststellungsbescheiden, daß die Feststellung noch nicht als verbindlich gilt (vgl. die hg. Beschlüsse vom 18. April 1988, AW 88/17/0004, 0005, und vom 28. August 1989, AW 89/17/0013 m. w.N.).

    Freilich kam dem hg. Beschluß vom 2. April 1994, mit der der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 30. März 1994 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, keine praktische Bedeutung zu. Denn mit Bescheid vom 31. März 1994, der Beschwerdeführerin am selben Tage zugestellt, änderte der Bundesminister für Finanzen gemäß § 68 Abs. 2 AVG den am 30. März 1994 mündlich verkündeten Bescheid in seinem Spruch dahin ab, daß der Beschwerdeführerin gemäß § 70 Abs. 2 Z. 4 BWG die Fortführung des Geschäftsbetriebes mit sofortiger Wirkung (neuerlich) ganz untersagt werde, dies jedoch nunmehr mit gewissen taxativ aufgezählten Ausnahmen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. September 1994, Zlen. 94/17/0159, 0160, 0161, 0280, dargetan hat, wurde damit der Bescheid vom 30. März 1994 nicht etwa nur modifiziert. Vielmehr stellte er gegenüber diesem Bescheid eine vollinhaltlich anfechtbare Neuerlassung dar und trat damit zur Gänze an seine Stelle. Mit der gegen DIESEN Bescheid zur hg. Zl. 94/17/0280 erhobenen Beschwerde war KEIN Antrag auf aufschiebende Wirkung verbunden.

    Zu berücksichtigen ist jedoch weiters, daß der Bundesminister für Finanzen mit Bescheid vom 7. April 1994 Prof. K gemäß § 70 Abs. 2 Z. 2 lit. a "i.Vdg. mit § 70 Abs. 3" BWG zur fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär) bei der Beschwerdeführerin ab 7. April 1994, 14 Uhr, bis 31. Juli 1994, 24 Uhr, bestellt hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem zuletzt zitierten Erkenntnis vom 16. September 1994 weiters ausgesprochen hat, hat der Bescheid vom 31. März 1994 durch jenen vom 7. April 1994 kraft Derogation ex nunc seine Wirkung verloren. Des näheren wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die ausführlichen Entscheidungsgründe jenes Erkenntnisses verwiesen.

    Dadurch, daß die Bescheide vom 30. und 31. März 1994 auf die dargestellte Art ihre Rechtswirksamkeit verloren haben, ist auch der einzige Grund, der zur Einleitung des Ausschlußverfahrens führte - nämlich, daß mit der Berechtigung zur Ausübung des Wertpapiergeschäftes ein Erfordernis für die Zulassung als Mitglied der Wertpapierbörse weggefallen sei -, seinerseits in Wegfall geraten.

    Zutreffend verweist nämlich die Beschwerdeführerin in ihrer zur Zl. 94/17/0278 erstatteten Replik auch darauf, daß die Beschwerdeführerin trotz der Bestellung des Prof. K zur fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär) weiterhin berechtigt ist, Wertpapiergeschäfte durchzuführen, weil diese Geschäfte - wie aus den im hg. Beschwerdeverfahren zu Zl. 94/17/0159 u.a. vorgelegten Verwaltungsakten hervorgeht - im Annex zum Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 7. April 1994 (Katalog jener Geschäfte, die generell nur mit Zustimmung des Regierungskommissär durchgeführt werden dürfen) nicht genannt sind. Daß der Regierungskommissär im Einzelfall der Beschwerdeführerin die Durchführung von Wertpapiergeschäften untersagt hätte, ist diesen Akten nicht zu entnehmen und wurde auch nicht behauptet.

    Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, es bestehe durchaus die Möglichkeit, daß die belangte Behörde zum Ergebnis komme, der Beschwerdeführerin mangle es an der Vertrauenswürdigkeit gemäß § 14 Z. 1 BörseG, so ist ihr zu erwidern, daß weder die Einleitung des Ausschlußverfahrens noch der nunmehr angefochtene Bescheid auf DIESEN Tatbestand gestützt wurden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann jedoch eine mangelnde Bescheidbegründung in der Gegenschrift nicht mehr nachgeholt werden (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 533 f., angeführte Rechtsprechung). Aus diesem Grund kann auch dahingestellt bleiben, ob es zulässig ist, die Einstellung des Ausschlußverfahrens wegen nachträglich aufgetretener Ausschlußgründe zu verweigern oder nicht.

    Unzutreffend ist auch die von der belangten Behörde in ihrer zu Zl. 94/17/0278 erstatteten Gegenschrift vertretene Auffassung, die Bestellung einer fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär) sei der "Geschäftsaufsicht" im Sinne des § 14 Z. 2 BörseG gleichzuhalten. Mit Recht verweist die Beschwerdeführerin in ihrer bereits erwähnten Replik auch darauf, daß der Begriff der Geschäftsaufsicht nach § 14 Z. 2 BörseG im Sinne der Bestimmungen der §§ 82 ff BWG zu verstehen ist. Daß über die Beschwerdeführerin die Geschäftsaufsicht nach diesen Bestimmungen beantragt oder eingeleitet worden wäre, ist nicht aktenkundig.

    Da die belangte Behörde die Rechtslage im aufgezeigten Sinn verkannte, war der zweitgenannte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auch auf § 59 Abs. 3 letzter Satz VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994 (zur Frage der Eigenschaft der Wiener Börsekammer als "Rechtsträger" im Sinne des § 47 Abs. 5 VwGG vgl. das Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 90/17/0433).

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