Normen
AVG §73 Abs2;
B-VG Art132;
VStG §51 Abs5;
VStGNov 1984;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs2;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art132;
VStG §51 Abs5;
VStGNov 1984;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §27;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs2;
Spruch:
Das auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 25. Februar 1982, Zl. 3-St-79191/3, anhängige Verwaltungsstrafverfahren wird gemäß § 62 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit § 51 Abs. 5 VStG 1950, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 229/1984, eingestellt.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 25. Februar 1982 wurde der Beschwerdeführer einer am 3. Dezember 1981 begangenen Verwaltungsübertretung nach der Straßenverkehrsordnung 1960 schuldig erkannt. Dagegen erhob er rechtzeitig die mit 16. März 1982 datierte, an diesem Tag zur Post gegebene Berufung, die am darauffolgenden Tag bei der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz einlangte.
Mit der vorliegenden, am 17. November 1982, somit nach Ablauf der sechsmonatigen Entscheidungsfrist des § 27 VwGG zur Post gegebenen, und am darauffolgenden Tag beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Verletzung der Entscheidungspflicht geltend. Als belangte Behörde bezeichnete der Beschwerdeführer das "Amt der Niederösterreichischen Landesregierung".
Die Beschwerde wurde mit hg. Verfügung vom 3. Dezember 1982 der "Niederösterreichischen Landesregierung" als belangter Behörde gemäß § 36 Abs. 1 VwGG 1965 mit der Aufforderung zugestellt, binnen acht Wochen eine Gegenschrift einzubringen und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Gleichzeitig wurde der genannten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 leg. cit. freigestellt, innerhalb derselben Frist den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides vorzulegen.
Die NÖ Landesregierung holte den versäumten Bescheid nicht nach, sondern legte mit Schriftsatz vom 5. April 1983 die Verwaltungsstrafakten erster Instanz vor. Zuvor hatte sie in der von ihr erstatteten Gegenschrift vom 23. Dezember 1982 ausgeführt, die Verwaltungsstrafakten und die Berufung des Beschwerdeführers seien ihr nicht vorgelegt worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG verstärkten Senat erwogen:
Vorweg ist zu bemerken, daß Art. 132 zweiter Satz B-VG, in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 296/1984, der sachlichen Erledigung der vorliegenden Beschwerde zufolge der Übergangsregelung für die bereits vor dem Inkrafttreten dieser Novelle anhängigen Säumnisbeschwerden in Verwaltungsstrafsachen nicht entgegensteht (Art. II Abs. 1 der genannten Novelle).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGG ist bei Beschwerden nach Art. 132 B-VG als belangte Behörde die oberste Behörde zu bezeichnen, deren Entscheidung in der Rechtssache verlangt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Beschlüssen die Rechtsansicht vertreten, es liege ein nicht verbesserungsfähiger, zur Zurückweisung führender Mangel vor, wenn oberste Behörde im Sinne des § 28 Abs. 3 leg. cit. die "Landesregierung" ist, der Beschwerdeführer aber als belangte Behörde das "Amt der Landesregierung" angibt (vgl. für viele die hg. Beschlüsse vom 30. März 1984, Zl. 84/02/0072, und vom 13. April 1984, Zl. 84/02/0127). Anders ist der Gerichtshof mit Beschluß vom 29. Juni 1984, Zl. 83/02/0353, vorgegangen. In jenem Fall wurde als säumige Behörde das "Amt der Wiener Landesregierung" angegeben und dessenungeachtet das Vorverfahren gemäß § 36 VwGG gegen die "Wiener Landesregierung" eingeleitet. Da die belangte Behörde damals den versäumten Bescheid nachgeholt hatte, wurde das Verfahren wegen Klaglosstellung zufolge Nachholung des versäumten Bescheides gemäß § 33 VwGG eingestellt.
Damit ist zur Auslegung des § 28 Abs. 3 VwGG widersprechende Judikatur gegeben, und der Strafsenat durch sechs weitere Mitglieder zu verstärken (§ 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG).
Sinn des § 28 VwGG ist es, in einer jeden Zweifel ausschließenden Art und Weise dem Verwaltungsgerichtshof den Streitgegenstand erkennen zu lassen. Im Säumnisbeschwerdeverfahren ist Streitgegenstand die Verwaltungssache, in der Säumnis behauptet wird. Der Streitgegenstand wird noch zusätzlich durch das Parteienbegehren abgegrenzt.
Aus der Beschwerde muß für den Verwaltungsgerichtshof bei zutreffender Gesetzesauslegung der Streitgegenstand des vom Beschwerdeführer anhängig gemachten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens deutlich erkennbar sein. Zur unmißverständlichen Kennzeichnung des Streitgegenstandes gehört auch die Erkennbarkeit, welcher Behörde Säumnis vorgeworfen wird. Überdies muß der Verwaltungsgerichtshof in der Lage sein, zu beurteilen, ob die oberste im Instanzenzug oder im Devolutionsweg anrufbare Behörde säumig geworden ist.
Welche Behörde belangte Behörde des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, kann aber nicht nur aus der zutreffenden Bezeichnung der Behörde durch den Beschwerdeführer ersehen werden, sondern ist auch aus dem Inhalt der Beschwerde insgesamt (dafür kommt insbesondere auch die Sachverhaltsdarstellung in Betracht) und den der Beschwerde angeschlossenen Beilagen sowie aus der dem Verwaltungsgerichtshof bekannten Rechtslage betreffend den Vollzugsbereich und die Behördenorganisation erschließbar. Als für die Feststellung des Streitgegenstandes maßgebliche (der Beschwerde angeschlossene) Beilagen kommen im Säumnisbeschwerdeverfahren etwa auch die der Beschwerde gegebenenfalls beigelegten Ausfertigungen der unterinstanzlichen Bescheide und der dagegen erhobenen Berufungen in Betracht. Es ist daher jene Behörde Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, welche bei verständiger Wertung des gesamten Beschwerdevorbringens einschließlich der der Beschwerde angeschlossenen Beilagen als belangte Behörde zu erkennen ist.
Mit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Zl. 81/11/0119, Slg. N. F. Nr. 11.625(A), auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, hat der Gerichtshof in der Angelegenheit einer Bescheidbeschwerde folgenden Rechtssatz ausgesprochen: "Ist in der Beschwerde als belangte Behörde das 'Amt der Landesregierung' bezeichnet und wurde auf einen Verbesserungsauftrag hin als
belangte Behörde abermals das 'Amt der .... Landesregierung'
genannt, ist das Verwaltungsgerichtshof-Verfahren dann nicht einzustellen, wenn die belangte Behörde aus dem vorgelegten angefochtenen Bescheid einwandfrei hervorgeht". In jenem Beschwerdefall konnte es sich - so führte der Gerichtshof im zitierten Erkenntnis weiter aus - bei der vom Beschwerdeführer bezeichneten belangten "Behörde" in Wahrheit nicht um eine Behörde, sondern lediglich um deren Hilfsapparat handeln. Da der Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG erkennbar Identität dieses Hilfsapparates mit der Behörde angenommen hat, wurde mit der Bezeichnung "Amt der .... Landesregierung" auch hier die belangte Behörde eindeutig bezeichnet. Darauf, daß im Beschwerdefall auch aus der im vorgelegten Bescheid enthaltenen Fertigungsklausel von Anfang an klar war, gegen welche Behörde sich die Beschwerde gerichtet hatte, und der erteilte Mängelbehebungsauftrag daher in diesem Punkt entbehrlich war, kommt es nicht an.
Die unterschiedlichen Prozeßvoraussetzungen und die verschiedenen gesetzlichen Formvorschriften für Beschwerden im Sinne des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG einerseits und des Art. 132 B-VG anderseits lassen nicht erkennen, daß die im zitierten Erkenntnis vom 19. Dezember 1984 dargelegten Überlegungen nicht auch auf Säumnisbeschwerden anwendbar sind, wenn aus der Beschwerde in ihrem Gesamtzusammenhang (einschließlich allfälliger Beilagen, wie z.B. Berufung an die säumige Behörde) zweifelsfrei hervorgeht, die Verletzung der Entscheidungspflicht welcher obersten Behörde im Sinne des Art. 132 B-VG geltend gemacht wird. Im vorliegenden Beschwerdefall trifft das zu. Es ist nach der Aktenlage eindeutig erkennbar, daß die Beschwerde sich nicht gegen den "Hilfsapparat" des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung richtet, sondern gegen die genannte Landesregierung selbst.
Beurteilt man den Beschwerdefall aus den dargelegten Überlegungen, so ergibt sich die Entscheidung der Frage von selbst, ob in Fällen der Art des vorliegenden ein Auftrag zur Behebung eines Mangels wegen fehlerhafter Bezeichnung der belangten Behörde (§ 34 Abs. 2 VwGG) zu ergehen hat oder nicht. Denn ist auf Grund der Beschwerde (Gesamtvorbringen unter Berücksichtigung der Beilagen) für den Gerichtshof erkennbar, welcher Behörde Verletzung der Entscheidungspflicht vorgeworfen wird, dann könnte ein Mängelbehebungsauftrag, dessen Ziel es wäre, statt des "Hilfsapparates" der Behörde diese ohne Anführung des "Hilfsapparates" zu bezeichnen, bloß als entbehrlicher Auftrag beurteilt werden, dessen Erfüllung für die Entscheidung in der Sache überhaupt keine Bedeutung beikäme.
Die vorliegende Beschwerde war daher nicht zurückzuweisen und es erwies sich auch ein Auftrag zur Behebung von Mängeln im Sinne des § 34 Abs. 2 VwGG entbehrlich.
Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift die Auffassung vertreten hat, sie treffe kein Verschulden an der Nichterlassung des Berufungsbescheides, weil ihr von der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz weder die Verwaltungsstrafakten noch die Berufung des Beschwerdeführers vorgelegt worden seien, ist ihr entgegenzuhalten, daß die sechsmonatige Frist des § 27 VwGG mit dem Tage zu laufen beginnt, an dem die Berufung bei der Behörde erster Instanz eingelangt ist (vgl. dazu u.a. den hg. Beschluß vom 13. Jänner 1984, Zl. 83/02/0394); das Versäumnis der Weiterleitung der Berufung durch die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz an die Berufungsbehörde ist der Berufungsbehörde zuzurechnen. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist es im übrigen für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde gemäß § 27 VwGG - anders als bei einem Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 - nicht entscheidend, ob die Verzögerung auf ein Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen ist oder nicht.
Da die Beschwerde somit auch nicht deswegen zurückzuweisen war, weil sie etwa zu früh erhoben worden wäre, war sie gemäß § 42 Abs. 5 zweiter Satz VwGG meritorisch zu erledigen.
Zufolge § 62 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof jene Verwaltungsvorschriften anzuwenden, die die säumig gewordene Behörde anzuwenden gehabt hätte. Daher war von der am 1. August 1984 in Kraft getretenen Bestimmung des § 51 Abs. 5 VStG 1950 (angefügt durch die Novelle BGBl. Nr. 299/1984) auszugehen. Danach gilt der angefochtene Bescheid als aufgehoben und das Verfahren ist einzustellen, wenn - abgesehen von im Beschwerdefall nicht in Betracht kommenden Privatanklagesachen - eine Berufungsentscheidung nicht innerhalb eines Jahres ab Einbringung der Berufung erlassen wird.
Da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der zitierten Gesetzesstelle bereits mehr als ein Jahr ab Einbringung der Berufung verstrichen war, war die kraft Gesetzes bewirkte Aufhebung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses zu beachten und spruchgemäß zu entscheiden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 55 Abs. 1 erster Satz VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 21. März 1986
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