BVwG I423 2283771-1

BVwGI423 2283771-118.1.2024

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:I423.2283771.1.00

 

Spruch:

I423 2283771-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela GREML über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 22.11.2023, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, reiste ins Bundesgebiet ein und stellte am 03.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am darauffolgenden Tag erfolgte durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers. Dieser gab befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass in Syrien Bürgerkrieg herrsche und er seit 2015 auf der Flucht sei, weil er keinen Militärdienst machen und keine Waffen tragen wolle. Weitere Fluchtgründe habe er nicht.

2. Am 30.10.2023 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde oder BFA bezeichnet, eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen aus, dass in Syrien Krieg herrsche und er nicht zum Militär wolle. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, ins Gefängnis zu kommen oder zum Militär zu müssen.

3. Mit Bescheid des BFA vom 22.11.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 03.11.2022 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine für die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet sich die Beschwerde vom 18.12.2023, in der die inhaltliche Rechtswidrigkeit, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert wurden.

5. Mit Schriftsatz vom 02.01.2024, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 05.01.2024, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der volljährige Beschwerdeführer syrischer Staatsangehörigkeit ist der Volksgruppe der Araber zugehörig und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Er stammt aus dem Dorf XXXX (auch: XXXX ) im Gouvernement Aleppo. In Syrien besuchte er für die Dauer von acht Jahren die Schule. Bis Ende 2014, Anfang 2015 lebte der Beschwerdeführer durchgehend in seinem Heimatdorf, bevor er in die Türkei ausreiste und dort bis Oktober 2022 verblieb. In der Türkei war der Beschwerdeführer als Friseur tätig und arbeitete auch in einem Lebensmittelgeschäft. Über Bulgarien, Serbien und Ungarn gelangte er schließlich nach Österreich, wo er am 03.11.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Mutter des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Syrien, ebenso zwei Schwestern. Ein weiterer Bruder ist im Libanon aufhältig, ein anderer in der Türkei. Eine Schwester des Beschwerdeführers ist ebenfalls in der Türkei wohnhaft, ein weiterer Bruder lebt in Österreich.

Mit Bescheid des BFA vom 22.11.2023 wurde dem Beschwerdeführer in Anbetracht der prekären Sicherheitslage in Syrien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers

Das Dorf XXXX im Gouvernement Aleppo sowie dessen gesamtes Umgebungsgebiet befindet sich unter kurdischer Kontrolle. Manbidsch steht ebenfalls unter der Kontrolle der Selbstverwaltung der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien, welche der Verlegung von syrischen Truppen in diese Region zustimmte, weshalb sich seit 01.01.2020 dort auch Regierungstruppen aufhalten und operieren. Eine gleichwertige gemeinsame Kontrolle besteht jedoch nicht.

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsland Syrien weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt.

Er hat seinen Wehrdienst für die syrische Armee bislang nicht abgeleistet. Ein Wehrdienstbuch oder einen Einberufungsbefehl hat er zu keinem Zeitpunkt erhalten. Er hat sich nicht geweigert, den Wehrdienst zu leisten, sondern befand sich mehrere Jahre vor Erreichen seiner Volljährigkeit im Ausland. Im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet besteht für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr, zum Wehrdienst des syrischen Militärs eingezogen zu werden.

Im Falle einer Einziehung durch die kurdischen Streitkräfte ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer an völkerrechtswidrigen Militäraktionen beteiligen müsste.

Weiters kann auch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimatregion einer Verfolgung zum Opfer fallen würde, weil ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde bzw. aufgrund seiner Familienangehörigkeit. Es liegen auch sonst keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Heimatregion vor.

Die Heimatregion des Beschwerdeführers ist ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar, etwa über Semalka- Faysh Khabur (AANES/SDF Gebiet).

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

1.3.1. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 11.07.2023

Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).

Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).

Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 1.2023) [Anm.: die ausländischen Verbündeten des Regimes wie Iran, Russland und libanesische Hizbollah fehlen - siehe Karten weiter unten]:

Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:

Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten

Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023).

Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der 'wichtigsten' Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023).

Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).

Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).

Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).

Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023).

Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).

Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifizierte Akteure (SNHR 1.5.2023).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2072999/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien%2C_%28Stand_November_2021%29%2C_29.11.2021.pdf , Zugriff 6.7.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 6.7.2023

 ACLED/ACCORD - Armed Conflict Location & Event Data Project, zusammengestellt von ACCORD (25.3.2021): Syrien, Jahr 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050734/2020ySyria_en.pdf , Zugriff 6.7.2023

 ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/ , Zugriff 6.7.2023

 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (6.12.2022): Briefing Notes KW 49, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw49-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 6.7.2023

 BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (12.10.2022): Antwortschreiben Version 2 (Stand 16.9.2022)

 CC - The Carter Center (12.6.2023): Quarterly Review on Syrian Political and Military Dynamics January - March 2023, https://storymaps.arcgis.com/stories/6262e1711e94493690195b78e278d035 , Zugriff 6.7.2023

 CNN - Cable News Network (30.11.2022): ISIS acknowledges the death of its leader, announces his successor, https://edition.cnn.com/2022/11/30/middleeast/isis-leader-dies-intl/index.html , Zugriff 6.7.2023

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 DZ - Die Zeit (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg , Zugriff 6.7.2023

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 VOA - Voice of America (24.10.2022): Islamic State Group Still Active in Southern Syria, Observers Say, https://www.voanews.com/a/islamic-state-group-still-active-in-southern-syria-observers-say-/6804095.html , Zugriff 6.7.2023

 Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien , Zugriff 6.7.2023

1.3.2. Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Letzte Änderung: 13.07.2023

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der PKK zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Defence Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und and Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Trigris im äußersten Nordosten verzeichnet:

 

Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 29.3.2023).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022).

Die kurdischen, sogenannten 'Selbstverteidigungseinheiten' (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet wurden (AA 29.3.2023).

Der IS führt weiterhin militärische Operationen und Gegenangriffe durch, und IS-Zellen sind nach wie vor in der Lage, ein Sicherheitsvakuum zu nutzen und Attentate zu verüben. SOHR hat seit Anfang 2022 181 Operationen des IS, darunter bewaffnete Angriffe und Explosionen, in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung dokumentiert. Laut Statistiken des SOHR wurden bei diesen Operationen 135 Menschen getötet, darunter 52 Zivilisten und 82 Angehörige der SDF, der Inneren Sicherheitskräfte und anderer militärischer Formationen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung operierten. Bei diesen Angriffen wurde der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah nicht berücksichtigt (SOHR 29.11.2022).

Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Al-Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.3.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (Al Jazeera 26.1.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.1.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 8.2.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 20223 waren Human Rights Watch keine Wiederaufbaupläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.1.2023).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS in letzter Zeit im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.3.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022).

Für weitere Informationen über die Aktivitäten des IS in Syrien siehe das Kapitel "Sicherheitslage".

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden. 64 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder (MSF 7.11.2022b), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vgl. MSF 7.11.2022a). Laut Ärzte ohne Grenzen wurden zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen - der mit 38 Prozent häufigsten Todesursache in dem Lager - auch 30 Mordversuche gemeldet (MSF 7.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 14.4.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2072999/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien%2C_%28Stand_November_2021%29%2C_29.11.2021.pdf , Zugriff 6.7.2023

 Al Jazeera (26.1.2022): Kurdish-led forces in Syria recapture prison from ISIL, https://www.aljazeera.com/news/2022/1/26/kurdish-led-forces-in-syria-recapture-prison-from-isil , Zugriff 6.7.2023

 Al-Sharq - Al Sharq Strategic Research (27.8.2021): Heated Conflict or Consolidation of the Status Quo in Northeast Syria: What is next for the AANES?, https://research.sharqforum.org/2021/08/27/heated-conflict-or-consolidation-of-the-status-quo-in-northeast-syria-what-is-next-for-the-aanes/ , Zugriff 6.7.2023

 AM – Al-Monitor (26.1.2022): How attack on Kurdish-run prison in northeast Syria will affect Islamic State, https://www.al-monitor.com/originals/2022/01/how-attack-kurdish-run-prison-northeast-syria-will-affect-islamic-state , Zugriff 6.7.2023

 AM - Al-Monitor (30.5.2021): Syrian Arab tribes put Kurdish administration on notice, https://www.al-monitor.com/originals/2021/05/syrian-arab-tribes-put-kurdish-administration-notice , Zugriff 6.7.2023

 AN - Arab News (17.10.2021): How viable is the Kurds’ autonomous rule in northeastern Syria?, https://www.arabnews.com/node/1949126/middle-east , Zugriff 6.7.2023

 ANI – Asian News International (26.1.2022): Over 500 Islamic State terrorists surrender in Syrian Al-Hasakah after prison break: SDF, https://www.aninews.in/news/world/asia/over-500-islamic-state-terrorists-surrender-in-syrian-al-hasakah-after-prison-break-sdf20220126120507/ , Zugriff 6.7.2023

 AO - Ahram Online (3.12.2022): IS coming back? https://english.ahram.org.eg/News/480731.aspx , Zugriff 6.7.2023

 Brookings (Heydemann, Steven) (27.1.2023): Syria’s dissolving line between state and nonstate actors, https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2023/01/27/syrias-dissolving-line-between-state-and-nonstate-actors/ , Zugriff 28.3.2023

 CC - The Carter Center (3.11.2022): Quarterly Review on Syrian Political and Military Dynamics July-September 2022, https://storymaps.arcgis.com/stories/bb84958f3b0f456d9139f1447ba3e638 , Zugriff 6.7.2023

 CMEC - Carnegie Middle East Center (2.10.2020): A Fluid Frontier, https://carnegie-mec.org/diwan/82858 , Zugriff 6.7.2023

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 ICG - International Crisis Group (11.10.2019): Averting an ISIS Resurgence in Iraq and Syria, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/eastern-mediterranean/syria/207-averting-isis-resurgence-iraq-and-syria , Zugriff 6.7.2023

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 MSF - Medecins Sans Frontieres (7.11.2022a): Between two fires: Danger and desperation in Syria's Al-Hol camp, https://www.msf.org/danger-and-desperation-syria%E2%80%99s-al-hol-camp-report-msf , Zugriff 6.7.2023

 MSF - Medecins Sans Frontieres (7.11.2022b): A lost generation live in fear inside Syria's Al-Hol camp, https://www.msf.org/generation-lost-danger-and-desperation-syria%E2%80%99s-al-hol-camp , Zugriff 6.7.2023

 NBC News - National Broadcasting Company (6.10.2022): ISIS infiltrated a refugee camp to recruit fighters. Inside the Biden admin’s plan to stop it, https://www.nbcnews.com/news/world/isis-syria-al-hol-camp-population-reduced-biden-administration-plan-rcna50877 , Zugriff 6.7.203

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 NYT - New York Times (25.1.2022): Prison Attack in Syria Is Latest Sign of ISIS Resurgence, https://www.nytimes.com/live/2022/01/25/world/syria-news-isis-us ,Zugriff 6.7.2023

 ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 6.7.2023

 PBS - Public Broadcasting Service (22.2.2022): In one-time ISIS capital of Raqqa, poverty and fear drive residents out, https://www.pbs.org/newshour/world/in-one-time-isis-capital-of-raqqa-poverty-and-fear-drive-residents-out , Zugriff 6.7.2023

 SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (2.12.2022): "Putin-Erdogan" area in November 2022 | Nearly 50 fata*lities in acts of vio*lence…chronic crises…withdrawal of Turkish brigade from Idlib, https://www.syriahr.com/en/278644/ , Zugriff 6.7.2023

 STC - Save the Children (5.5.2022): Syrien: Kinder im Al Hol-Camp täglicher Gewalt ausgesetzt, https://www.savethechildren.de/news/syrien-kinder-im-al-hol-camp-taeglicher-gewalt-ausgesetzt/ , Zugriff 6.7.2023

 TWI - The Washington Institute for Near East Policy (12.10.2022): The SDF Is Caught Between Turkey and the Islamic State Again, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/sdf-caught-between-turkey-and-islamic-state-again , Zugriff 6.7.2023

 TWI - The Washington Institute for Near East Policy (15.3.2022): How to Preserve the Autonomy of Northeast Syria, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-preserve-autonomy-northeast-syria , Zugriff 6.7.2023

 TWP - The Washington Post (Loveluck, Louisa) (24.2.2022): How the Islamic State used bullying and bribes to rebuild in Syria, https://www.washingtonpost.com/world/2022/02/24/islamic-state-syria-attacks/ , Zugriff 6.7.2023

 Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien , Zugriff 6.7.2023

1.3.3. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 14.07.2023

Anmerkungen:

In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.

Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht, klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".

Zu den Themen Wehrdienst und Desertion darf auch auf die folgenden Anfragebeantwortungen verwiesen werden (abrufbar auf ecoi.net sowie dem Koordinationsboard (KoBo) der Staatendokumentation:

In Gebieten unter Kontrolle der syrischen Regierung:

 SYRI_SM_Wehrdienst_2022_01_27_KE

 SYRI_SM_MIL_Fragen+BVwG+Wehrdienstgesetze_2022_09_16_KE

 SYRI_SM_MIL_Fragen+BVwG+Bestrafung+Wehrdienstverweigerung,+Desertion_2022_09_16_KE

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion [a-11951] (ACCORD)

 SYRI_SM_MIL_Einberufung_über_syrische_Botschaft_2023_03_21_K

 SYRI_RF_MLD_Kommunalbediensteten Ausreisemöglichkeiten, Kontrolle und dienstrechtliche Folgen einer unerlaubten Auslandsreise_2023_03_29_K

 SYRI_RF_MLD_Zivile Angestellte des öffentlichen Diensts Ausreisemöglichkeiten, Kontrolle und dienstrechtliche Folgen einer unerlaubten Auslandsreise_2023_03_28_K

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Genehmigung der Ausreise eines Staatsangestellten durch den Vorgesetzten; Kontrolle bei Ausreise; Folgen illegaler Ausreise und zuständige Behörde; Folgen bei unerlaubtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz; Ausreisegenehmigung für männliche Staatsangestellte im wehrdienstpflichtigen Alter [a-12103-1] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Reisepässe der syrischen Regierung für Männer im wehrdienstfähigen Alter; mögliches Sicherheitsrisiko für diese Personengruppe, im Ausland (insbesondere in der Türkei) einen Reisepass zu beantragen [a-12067-1] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Unterliegen Palästinenser, die den Wehrdienst absolviert haben, auch einer Pflicht zum Reservedienst? (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Einsatz von Wehrpflichtigen mit starker Sehschwäche [a-11869] (ACCORD)

 SYRI_RF_MLD_Staatenlosigkeit_2022_12_15_KE

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Restriktionen bei der Beschaffung von Dokumenten für Syrer im Ausland im Wehrpflichtsalter, die der Wehrpflicht nicht nachgekommen sind und keine Ersatzzahlungen geleistet haben [a-11903] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit eines Familienbesuchs ohne Sanktionen trotz nicht abgeleisteten Militärdienst [a-11857-1] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Abgabe des Wehrdienstbuches und des Personalausweises zu Beginn des Wehrdienstes und Einbehaltung der Dokumente bis zur Ausmusterung von der Militärbehörde [a-11840] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Zöllner als Teil des Sicherheitsapparats, Desertion, militärische und polizeiliche Aufgaben von Zöllnern im Krieg [a-11786] (ACCORD)

In Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung:

 SYRI_SM_MIL_ergänzende+AFB+zu+Wehrdienstpflicht+in+Gebieten+außerhalb+Regierungskontrolle+ 2022_10_14_KE

 SYRI_SM_MIL_Zwangsrekrutierung,+Kontrolle+Idlib_2022_03_17_KE

 SYRI_MIL_Zwangsrekrutierung+von+Frauen+für+YBJ+bzw.+SDF_2022_09_22_KE

 SYRI_SM_Rekrutierungspraxis YPG_2023_03_02_KE

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Höchstalter für die „Wehrpflicht“ im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet; unterlagen Altersvorgaben für „Wehrpflicht“ seit ihrer Einführung Schwankungen/Änderungen? [a-11932] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Stadt Ar-Raqqa: Bedrohung von Kommunalbediensteten bzw. insbesondere von Fahrern für die staatliche/städtische Müllentsorgung oder Angestellten in der Wasserversorgung durch die kurdische Selbstverwaltung (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) [a-12103-2] (ACCORD)

 Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Erwachsenen durch die Syrische Nationale Armee (SNA) oder andere oppositionelle militärische Gruppierungen in Dscharabulus; Personengruppen mit höherer Wahrscheinlichkeit von derartigen Rekrutierungen; Sanktionen gegen Personen, die eine Rekrutierung verweigern; Unterstellung oppositioneller Gesinnung im Falle einer Verweigerung; Zugriffsmöglichkeiten der syrischen Armee auf wehrdienstpflichtige Personen in Dscharabulus [a-12101] (ACCORD)

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung: 14.07.2023

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.3.2023). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022).

Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 29.3.2023). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.3.2023; vgl. ICWA 24.5.2022).

Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vgl. BAMF 2.2023).

Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 5.2022).

Die syrische Regierung hat im Jahr 2016 begonnen, irreguläre Milizen im begrenzten Ausmaß in die regulären Streitkräfte zu integrieren (CMEC 12.12.2018). Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 9.5.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.3.2023).

Rekrutierungspraxis

Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 29.3.2023; vgl. NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. ICG 9.5.2022, EB 6.3.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Das Gesetz verbietet allerdings die Publikation jeglicher Informationen über die Streitkräfte (USDOS 20.3.2023).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 8.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 4.4.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. EASO 4.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als "Kanonenfutter" im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.3.2023).

Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 29.3.2023).

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) (STDOK 8.2017). Reservisten können laut Gesetz bis zum Alter von 42 Jahren mehrfach zum Militärdienst eingezogen werden. Die syrischen Behörden ziehen weiterhin Reservisten ein (NMFA 5.2022). Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können (ÖB Damaskus 12.2022). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen Über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020). Das niederländische Außenministerium berichtet unter Berufung auf vertrauliche Quellen, dass Männer über 42 Jahre, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, Gefahr laufen, verhaftet zu werden, um sie zum Reservedienst zu bewegen. Männer, auch solche über 42 Jahren, werden vor allem in Gebieten, die zuvor eine Zeit lang nicht unter der Kontrolle der Behörden standen, als Reservisten eingezogen. Dies soll eine Form der Vergeltung oder Bestrafung sein. Personen, die als Reservisten gesucht werden, versuchen, sich dem Militärdienst durch Bestechung zu entziehen oder falsche Bescheinigungen zu erhalten, gemäß derer sie bei inoffiziellen Streitkräften, wie etwa regierungsfreundlichen Milizen, dienen (NMFA 5.2022).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.1.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebs, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches "Hochfahren" dieses Systems scheint derzeit [Anm.: Stand 16.9.2022] nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

In Syrien besteht seit 2011 de facto eine unbefristete Wehrpflicht (AA 29.3.2023), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte. Als die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Zuletzt erließ der syrische Präsident einen ab Oktober 2022 geltenden Verwaltungserlass mit Blick auf die unteren Ebenen der Militärhierarchie, der die Beibehaltung und Einberufung von bestimmten Offizieren und Reserveoffiziersanwärtern, die für den obligatorischen Militärdienst gemeldet sind, beendete. Bestimmte Offiziere und Offiziersanwärter, die in der Wehrpflicht stehen, sind zu demobilisieren, und bestimmte Unteroffiziere und Reservisten dürfen nicht mehr weiterbeschäftigt oder erneut einberufen werden (TIMEP 17.10.2022; vgl. SANA 27.8.2022). Ziel dieser Beschlüsse ist es, Hochschulabsolventen wie Ärzte und Ingenieure dazu zu bewegen, im Land zu bleiben (TIMEP 17.10.2022). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 5.2022).

Einsatz von Rekruten im Kampf

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen, wie zuletzt beispielsweise in Dara'a, trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022). Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.3.2023). Alle Eingezogenen können dagegen laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 2.2023). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 12.5.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/de/dokument/2042795.html , Zugriff 19.5.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/de/dokument/1451486.html , Zugriff 19.5.2023

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (20.3.2023): Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Erwachsenen durch die Syrische Nationale Armee (SNA) oder andere oppositionelle militärische Gruppierungen in Dscharabulus; Personengruppen mit höherer Wahrscheinlichkeit von derartigen Rekrutierungen;. Sanktionen gegen Personen, die eine Rekrutierung verweigern; Unterstellung oppositioneller Gesinnung im Falle einer Verweigerung; Zugriffsmöglichkeiten der syrischen Armee auf wehrdienstpflichtige Personen in Dscharabulus [a-12101], https://www.ecoi.net/en/document/2091203.html , Zugriff 24.5.2023

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (21.9.2022): Anfragebeantwortung zu Syrien: Unterliegen Palästinenser, die den Wehrdienst absolviert haben, auch einer Pflicht zum Reservedienst?, https://www.ecoi.net/de/dokument/2080420.html , Zugriff 19.5.2023

 ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (1.12.2022): The State of Syria: Q2 2022 – Q3 2022, https://acleddata.com/2022/12/01/the-state-of-syria-q2-2022-q3-2022/ , Zugriff 19.5.2023

 Action PAL - Action Group for Palestinians of Syria (3.1.2023): Syrian Regime Deprives Military Service Evaders of Their Property in Yarmouk Camp, https://www.actionpal.org.uk/en/post/13782/news-and-reports/syrian-regime-deprives-military-service-evaders-of-their-property-in-yarmouk-camp , Zugriff 12.5.2023

 Al-Majalla (van Dam, Nikolaos) (15.3.2023): Was the Syrian Revolution sectarian?, https://en.majalla.com/node/287796/politics/was-syrian-revolution-sectarian , Zugriff 17.5.2023

 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2.2023): Status palästinensischer Geflüchteter in Syrien, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684464/684546/24088313/-/Deutschland%2E_Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Status_pal%C3%A4stinensischer_Gefl%C3%BCchteter_in_Syrien%2C_01%2E02%2E2023._%28Kurzinformation_%2D_%C3%B6ffentlich%29.pdf?nodeid=24088418&vernum=-2 , Zugriff 12.5.2023

 BMLV - Militärexperte des Bundesministeriums für Landesverteidigung [Österreich] (12.10.2022): Antwortschreiben Version 2 (Stand 16.9.2022), per e-Mail [liegt im Archiv der Staatendokumentation auf]

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (9.5.2023): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/syria/#military-and-security , Zugriff 19.5.2023

 CMEC - Carnegie Middle East Center (12.12.2018): Reintegrating Syrian Militias: Mechanisms, Actors, and Shortfalls, https://carnegie-mec.org/2018/12/12/reintegrating-syrian-militias-mechanisms-actors-and-shortfalls-pub-77932 , Zugriff 19.5.2023

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (28.1.2021): Syria in 2021, https://coar-global.org/2021/01/28/syria-in-2021/ , Zugriff 17.5.2023

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (4.2023): Syria - The Secial Forces and the elite units, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091463/syria-the-special-forces-and-the-elite-units_april_2023.pdf , Zugriff 17.5.2023

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.2022): Syria: Military recruitment in Hasakah Governorate, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075255/syria_fmm_rappport_military_recruitment_hasakah_governorate_june2022.pdf , Zugriff 24.5.2023

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 ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (12.2022): Asylländerbericht Syrien 2022, Antwortschreiben per E-Mail [liegt im Archiv der Staatendokumentation auf]

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 Rechtsexperte der ÖB Damaskus [Österreich] (14.9.2022): Antwortschreiben per e-Mail [liegt im Archiv der Staatendokumentation auf]

 SANA - Syrian Arab News Agency (27.8.2022): الرئيس الأسد يصدر أمراً إدارياً بإنهاء الاحتفاظ والاستدعاء والتسريح للضباط المجندين الاحتياطيين وصف الضباط والأفراد الاحتياطيين [Präsident al-Assad erlässt eine Verwaltungsanordnung, um die Zurückhaltung, Einberufung und Demobilisierung der Reserveoffiziere sowie die Beschreibung der Reserveoffiziere und des Personals zu beenden], https://www.sana.sy/?p=1727192 , Zugriff 17.5.2023

 SO - Syrian Observer, the (12.9.2022): Government Forces Conduct Arrests, Build Posts In Syria’s Daraa, https://syrianobserver.com/news/78667/government-forces-conduct-arrests-build-posts-in-syrias-daraa.html , Zugriff 17.5.2023

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 19.5.2023

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Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

Letzte Änderung: 14.07.2023

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen [als vor dem Konflikt] und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Einem von der European Union Asylum Agency (EUAA) befragten syrischen Akademiker zufolge werden Männer mit deutlich sichtbaren medizinischen Problemen, die nicht wehrdiensttauglich sind, weiterhin freigestellt. Die medizinischen Ausschüsse, welche die Personen untersuchen, sind jedoch eher streng in ihren Urteilen. In einigen Fällen wurden Männer mit einem bestimmten Gesundheitszustand dennoch in die Armee einberufen, um militärische Tätigkeiten außerhalb des Feldes auszuüben (EUAA 9.2022). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge werden medizinische Befreiungen häufig ignoriert und die Betroffenen müssen dennoch ihren Wehrdienst ableisten (NMFA 5.2022). Die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien ist schwer eruierbar, da sie von den Entscheidungen der medizinischen Ausschüsse abhängen (DIS 5.2020).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter [offizieller] Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten, oder dass Personen mit gesundheitlichen Problemen, die eigentlich vom Wehrdienst befreit sein sollten, mitunter Bestechungsgelder bezahlen müssen, um eine Befreiung zu erwirken (DIS 5.2020).

Polizeidienst als Befreiung vom Wehrdienst

Gemäß Abschnitt 12 des Wehrpflichtgesetzes war eine Person vom Wehrdienst befreit, wenn sie mindestens zehn Jahre in den Diensten der inneren Sicherheit stand, einschließlich der Polizei. Diese Frist wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 1 von 2012 auf fünf Jahre verkürzt. Hat eine Person nicht die vollen fünf Jahre gedient, muss sie dennoch ihren Militärdienst ableisten. Wer bei der Polizei akzeptiert wird, unterschreibt jedoch einen Zehnjahresvertrag. Es ist auch möglich, dass ein Rekrut der Polizei beitritt und dort seinen Militärdienst ableistet, da die internen Sicherheitsdienste gemäß Artikel 10 des Wehrpflichtgesetzes zu den syrischen Streitkräften gezählt werden. Wenn eine Person der Polizei beitritt, wird das Rekrutierungsbüro, dem sie untersteht, angewiesen, sie nicht zum Militärdienst einzuberufen (NMFA 5.2022).

Rechtlich gesehen ist es möglich, aus dem Polizeidienst auszutreten. Die Kündigung muss samt einer Erklärung über die Gründe eingereicht werden. Alle Rücktrittsgesuche werden auf der Grundlage einer Sicherheitsanalyse geprüft. In der Praxis werden die meisten Anträge aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Polizeibeamte können während der ersten zehn Jahre ihres Vertrags de facto nicht kündigen. Eine Laufbahn innerhalb des erweiterten Sicherheitsapparats ist grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt und es ist nicht üblich, eine solche Position vorzeitig zu verlassen. Bei einer Laufbahn in einer Sicherheitsbehörde ist es laut einer Quelle praktisch unmöglich, die Erlaubnis zur Kündigung zu erhalten. Das unerlaubte Verlassen eines Polizeidienstpostens wird als eine Form der Desertion angesehen, die mit Strafe bedroht werden kann. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, welches Gesetz in diesem Fall gilt (NMFA 5.2022). Zollbeamte gelten im Rahmen ihrer Zuständigkeit als allgemeine Sicherheitskräfte und Kriminalbeamte (ACCORD 17.1.2022).

Anm.: Zur Rolle des Sicherheitsapparats im Laufe des Kriegs und bei Menschenrechtsverletzungen siehe die Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage, Folter und unmenschliche Behandlung, Hinrichtungen und außergerichtliche Tötungen sowie das Kapitel Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen.

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 2.9.2019; vgl. SB Berlin o.D.). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 31 (Rechtsexperte 14.9.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht (NMFA 6.2021). Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.3.2023).

Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an (DIS 5.2020; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden (NMFA 5.2022; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen "Versöhnungsprozess" bereinigen (NMFA 5.2022).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird ("bayan harakat"). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird wie ein ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017).

Diese mit dem Gesetz Nr. 35 vom 15.11.2017 beschlossene Änderung ermöglicht es der Direktion für militärische Rekrutierung, Vermögen wie Immobilien und bewegliche Güter von syrischen Männern zu beschlagnahmen, die ihren Verpflichtungen zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachgekommen sind. Gesetz Nr. 39 vom 24.12.2019 zur Änderung von Artikel 97 des Wehrdienstgesetzes Nr. 30 aus dem Jahr 2007 veränderte die Art der vorgesehenen Beschlagnahmung. Es ermöglicht die Beschlagnahme von Eigentum von Männern, die das 42. Lebensjahr vollendet haben und weder den Militärdienst abgeleistet noch die Kompensationszahlung von 8.000 USD ordnungsgemäß beglichen haben, oder von deren Ehefrauen oder Kindern, ohne dass die betroffenen Personen davon in Kenntnis gesetzt werden. Derzeit kann das Vermögen dieser Person vorsorglich beschlagnahmt werden, was bedeutet, dass es weder verkauft noch an eine andere Partei übertragen werden kann. Das Vermögen kann ohne weitere Ankündigung vom Staat versteigert werden, anstatt es bis zu einer Lösung der Frage einzufrieren. Der Staat kann den geschuldeten Betrag aus der Versteigerung einbehalten und den Restbetrag (falls vorhanden) an die Person zurückzahlen, deren Eigentum versteigert wurde. Erreicht das Vermögen des Mannes nicht den Wert der Kompensationszahlung, kann das gleiche Versteigerungsverfahren auf das Vermögen seiner Frau oder seiner Kinder angewandt werden, bis der Wert der Gebühr erreicht ist (Rechtsexperte 14.9.2022).

Unter anderem wurde auch berichtet, dass Palästinensern, die keinen Wehrdienst abgeleistet haben, der Zugang zum Camp Yarmouk verweigert wurde, um sich dort ihren Besitz zurückzuholen (Action PAL 3.1.2023).

Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten

Christliche und muslimische religiöse Führer sind weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit, wobei muslimische Geistliche dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 15.5.2023). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht, und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Anders als in vielen Gebieten unter Regierungskontrolle konnten sich Männer im Gouvernement Suweida der gesetzlich festgelegten allgemeinen Wehrpflicht in den syrischen nationalen Streitkräften weitgehend entziehen (Syria Untold 9.1.2020; vgl. COAR 30.9.2020), viele Gemeindevorsteher und hochrangige drusische Religionsführer haben sich geweigert, die Einberufung in die Armee zu genehmigen (AW 5.12.2022). Stattdessen hat die drusische Gemeinschaft gut organisierte Nachbarschaftsschutzgruppen und Einheiten der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) unterhalten. Die syrische Regierung hält jedoch offiziell weiterhin an der verfassungsmäßig verankerten "heiligen Pflicht" des allgemeinen Wehrdienstes - auch für die in Suweida heimische drusische Gemeinschaft - fest (COAR 30.9.2020). Das Regime behandelt diese Menschen als Wehrdienstverweigerer und zwingt sie von Zeit zu Zeit, an so genannten "Sicherheitsregelungen" teilzunehmen. Die letzte dieser Maßnahmen fand am 5.10.2022 statt. Sie beinhaltete einerseits einen administrativen Aufschub für einen Zeitraum von sechs Monaten vor dem Eintritt in die im Süden Syriens stationierten Armeeeinheiten und andererseits die Einstellung der Verfolgung von Personen, die von den Sicherheitsapparaten gesucht werden. Allerdings nehmen viele Drusen diese Sicherheitsregelungen nicht ernst, da sie sich nicht als Rechtsbrecher betrachten. Im Oktober 2022 nahmen nur 2.500 junge Männer von 30.000 Wehrdienstverweigerern und Überläufern in Suweida an der Sicherheitsregelung teil. Für diejenigen, die einen Vergleich abschließen, besteht das Hauptmotiv darin, eine "Schlichtungskarte" zu erwerben, die ihnen Freizügigkeit gewährt und es ihnen ermöglicht, Transaktionen bei staatlichen Einrichtungen, wie z. B. die Beantragung von Reisedokumenten, ohne Angst vor Verhaftung und Inhaftierung durchzuführen (MED Blog 12.12.2022). Die Grauzone bezüglich der Umsetzung der Wehrpflicht hat zur Folge, dass die derzeit rund 30.000 zum Wehrdienst gesuchten Personen Suweida nicht verlassen bzw. nicht in von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete reisen können (Alaraby 11.2.2022).

Quellen:

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 COAR - Center for Operational Analysis and Research (30.9.2020): The Syrian Economy at War, https://coar-global.org/2020/09/30/the-economy-of-war-in-syria-armed-group-mobilization-as-livelihood-and-protection-strategy/ , Zugriff 19.5.2023

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 Syria Untold (9.1.2020): Men evading military service in southern Syria’s Suwayda feel ‘trapped’, https://syriauntold.com/2020/01/09/men-evading-military-service-in-southern-syrias-suwayda-feel-trapped/ , Zugriff 19.5.2023

 USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091896.html , Zugriff 19.5.2023

Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung: 17.07.2023

Anm.: Rekrutierungspraktiken durch die PKK oder die Revolutionäre Jugend, einem mutmaßlichen Teil der PKK, die nicht unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallen, werden hier nicht thematisiert. Informationen zu diesem Thema können u. a. dem Bericht "Syria - Military recruitment in Hasakah Governorate" des Danish Immigration Service (DIS) vom Juni 2022 entnommen werden.

Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 29.3.2023). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) beschränkt. Zuvor war das Alterslimit - bis 40 Jahre - höher. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z.B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 29.3.2023), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).

Aufschub des Wehrdienstes

Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).

Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"

Das Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht" stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung, insbesondere bei vielen jungen Männern, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2019). Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022).

Militärdienst von Frauen

[…]

Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst

Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien (DIS 6.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z. B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Anm.: Siehe Abschnitt "Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle" im Kapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst" für Informationen zur Rekrutierungspraxis der Syrian Arab Army (SAA) in Nordostsyrien.

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 12.5.2023

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/ , Zugriff 24.5.2023

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.2022): Syria: Military recruitment in Hasakah Governorate, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075255/syria_fmm_rappport_military_recruitment_hasakah_governorate_june2022.pdf , Zugriff 24.5.2023

 EB - Enab Baladi (15.8.2022): Northeastern Syria students are target of double recruitment campaigns, https://english.enabbaladi.net/archives/2022/08/northeastern-syria-students-are-target-of-double-recruitment-campaigns/ , Zugriff 24.5.2023

 EB - Enab Baladi (12.7.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/# , Zugriff 24.5.2023

 HRW - Human Rights Watch (11.10.2019): Turkey/Syria: Civilians at Risk in Syria Operation, https://www.hrw.org/news/2019/10/11/turkey/syria-civilians-risk-syria-operation , Zugriff 24.5.2023

 ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (12.2022): Asylländerbericht Syrien 2022, Antwortschreiben per E-Mail [liegt im Archiv der Staatendokumentation auf]

 RIC - Rojava Information Center (10.6.2020): Translation: Law concerning military service in North and East Syria, https://rojavainformationcenter.com/2020/06/translation-law-concerning-military-service-in-north-and-east-syria/ , Zugriff 24.5.2023

 Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf , Zugriff 24.5.2023

1.3.4. Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Letzte Änderung: 12.07.2023

Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, 'außer eine gerichtliche Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen' schränken diese ein. Das Regime, HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen bei der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen dazu zur Überwachung Checkpoints ein (USDOS 20.3.2023).

Regierungsangriffe auf die Provinz Idlib und Teile Südsyriens schränkten die Bewegungsfreiheit ein und führten zu Todesfällen, Hunger und schwerer Mangelernährung, während die Angst vor der Vergeltung der Regierung zur Massenflucht von ZivilistInnen und dem Zusammenbruch u. a. der humanitären Hilfe führte. Im Februar 2022 ergab eine UN-Umfrage, dass 51 % der geprüften Gemeinschaften von Bewegungseinschränkungen betroffen waren (USDOS 20.3.2023).

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten (USDOS 20.3.2023). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt (AA 15.5.2023). Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (NFMA 5.2022).

Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Verbot, sie zu betreten. Der Begriff der militärischen Einrichtung wird von den syrischen Sicherheitsdiensten umfassend ausgelegt und kann neben klar erkennbaren Kasernen, Polizeistationen und Militärcheckpoints auch schwerer zu identifizierende Infrastruktur wie z. B. Wohnhäuser hochrangiger Personen, Brücken, Rundfunkeinrichtungen oder andere staatliche Gebäude umfassen (AA 15.5.2023). Zudem wurden Kontrollpunkte eingerichtet, um diejenigen, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete leben, am Zugang zu ihren Grundstücken oder Eigentumsdokumenten zu hindern. Es gibt auch Berichte über die Beschlagnahmung von Eigentumsdokumenten und anderen Ausweispapieren an Kontrollpunkten, einschließlich Heiratsurkunden. Dies birgt für Frauen ein besonders hohes Risiko, den Zugang zu ihrem Eigentum zu verlieren, falls das Eigentum auf den Namen des Ehemannes eingetragen ist (AA 29.3.2023). Die Regimesicherheitskräfte erpressen Leute an den Checkpoints (USDOS 20.3.2023) für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte. So werden z. B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben (HRW 20.10.2021).

Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021). Die Vierte Division, angeführt von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar al-Assad, übernahm die Kontrolle über alle Transportrouten Richtung Libanon und Jordanien sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Süd-Syrien. Eine große Rekrutierungskampagne für die Besatzungen der Kontrollpunkte ist im Gang. Die Checkpoints sichern die Drogentransitrouten [Anm.: Siehe Informationen zu Ceptagon in den jeweiligen Kapiteln] und sind dabei ein Monopol auf Bestechungsgelder für Reisen durch das Land zu schaffen (FP 1.2.2023).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte 'Versöhnungskarte' vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, u. a. wenn sie z. B. aus früher oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (DIS 9.2019). Es gibt keine Rechtssicherheit, und die Gefahr, Opfer staatlicher Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Die Regimesicherheitskräfte halten in einigen Fällen ZivilistenInnen von der Flucht aus belagerten Städten ab (USDOS 20.3.2023). Im Fall von Dara’a al-Balad im Jahr 2021 verletzte laut UN Commission of Inquiry for Syria die Belagerungstaktik der Pro-Regimekräfte die Bewegungsfreiheit und könnte auf eine Kollektivbestrafung hinauslaufen (USDOS 20.3.2023).

Ausländischen DiplomatInnen - einschließlich von der UNO und dem OPCW Investigation and Identification Team (IIT) (OPCW - Organization for the Prohibition of Chemical Weapons) - wurde von der syrischen Regierung der Besuch vieler Landesteile untersagt, und sie erhielten selten die Erlaubnis, außerhalb von Damaskus zu reisen (USDOS 20.3.2023).

Anm.: Zum dahinschwindenden öffentlichen Verkehrssystem und seinen gestiegenen Fahrpreisen siehe Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.

Betreten und Verlassen des Regimegebiets

Zum Betreten und Verlassen des Regimegebiets ist eine Sicherheitsfreigabe durch das Regime nötig, was ein Hindernis für Flüchtlinge und Binnenvertriebene darstellt, welche in ihre Heimatorte zurückkehren möchten. Personen, die vom Regime als kritisch wahrgenommen werden, erhalten diese Genehmigung oft nicht - ebenso ihre Verwandten, frühere Oppositionelle sowie ehemalige BewohnerInnen von als Hochburgen der Opposition wahrgenommen Gebieten (USDOS 20.3.2023).

Laut niederländischem Außenministerium ist es unmöglich, einen Überblick zu vermitteln, welche Übergänge zwischen den Oppositionsgebieten und dem Regimegebiet im Berichtszeitraum offen waren - und zu welchem Zeitpunkt und für welche Personen und Reisezwecke. Es wird aber auf die potenzielle Gefahr von Reisen für ZivilistInnen innerhalb Syriens allgemein und besonders bei Einreisen aus den Oppositionsgebieten in das Regimegebiet wegen der Notwendigkeit des Passierens von Checkpoints der syrischen Geheimdienste, des Militärs und anderer Pro-Regime-Milizen hingewiesen (NMFA 6.2021).

Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung (Anm.: mit HTS als dominante Kraft) oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung (Anm.: mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind unbekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Leute, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir az-Zour stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren (NMFA 5.2022).

Die Situation bezüglich des Warenverkehrs stellt sich anders dar als bei Personen - landwirtschaftliche Produkte können vom Regimegebiet aus in andere Landesteile gebracht werden (NMFA 5.2022).

Anm.: Bezüglich der Frage, welche Personen unter welchen Bedingungen dauerhaft in ihre Heimatorte im Selbstverwaltungsgebiet zurückkehren können, wird auf die folgende AFB verwiesen: ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (6.5.2022): Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2073007.html , Zugriff 15.5.2023

Die Bewegungsfreiheit von Frauen und Frauen sowie ihre Einschätzung von Gefahren im öffentlichen Raum

[…]

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.5.2023): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung Stand - 15.5.2023 (Unverändert gültig seit: 31.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 15.5.2023

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 14.4.2023

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (9.2019): Syria - Access to Damascus Province for Individuals from Former Rebel-held Areas, https://www.ecoi.net/en/file/local/2017468/COI_report_Syria_Access+to+Damascus+Province_sept_2019.pdf , Zugriff 15.5.2023

 DIS/DRC - Danish Immigration Service [Dänemark] / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 15.5.2023

 FP - Foreign Policy (Lister, Charles) (1.2.2023): Something Has to Give in Postwar Syria, https://foreignpolicy.com/2023/02/01/something-has-to-give-in-postwar-syria/ , Zugriff 15.5.2023

 HRW - HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): 'Our Lives Are Like Death'; Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062564/syria1021_web.pdf , Zugriff 15.5.2023

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2022): Country of origin information report Syria May 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2081724/Country+of+origin+information+report+Syria.pdf , Zugriff 29.4.2023

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria June 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069799/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf , Zugriff 29.4.2023

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 15.5.2023

 UNFPA – UN Population Fund, GPC – Global Protection Cluster (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (28.3.2023): Whole of Syria; Gender-Based Violence Area of Responsibility; Voices from Syria 2023; Assessment Findings of the Humanitarian Needs Overview, https://reliefweb.int/attachments/338b5a3e-2c43-405b-8298-86612ec88e09/Voices%20from%20Syria%202023_FINAL_online%20version_En.pdf , Zugriff 29.4.2023

 USDOS - USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089061.html , Zugriff 14.4.2023

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Letzte Änderung 13.07.2023

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern. Die Kosten für einen Reisepass von 800 bis 2.000 USD macht diesen für viele unerschwinglich. Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, eine Ausreise zu versuchen, aus Angst vor Angriffen/Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu ihnen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten AktivistInnen oder JournalistInnen eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.3.2023). Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten, und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.3.2023).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.5.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit Gewalt, bzw. drohender Gewalt (USDOS 20.3.2023) (Anm.: Bzgl. der Schließung von zivilen Flughäfen wegen israelischer Luftangriffe siehe auch Kapitel Sicherheitslage). Im Anschluss an israelische Luftschläge auf die Flughäfen Aleppo und Damaskus musste der Flugverkehr teilweise für mehrere Wochen eingestellt werden (AA 29.3.2023).

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanon sind mehr der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022) (Anm.: bzgl. Personenverkehr zwischen Türkei und Syrien seit 6.2.2023 siehe auch Kapitel Rückkehr).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen per Antrag an das Innenministerium die Ausreise aus Syrien zu verbieten, auch wenn Frauen, die älter als 18 Jahre sind, eigentlich das Recht haben, ohne die Zustimmung männlicher Angehöriger zu verreisen (USDOS 20.3.2023).

Einige in Syrien aufhältige PalästinenserInnen brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).

Anm.: Für weitere Informationen zu Einreisemöglichkeiten in Nachbarländer siehe Abschnitt „Bewegungsfreiheit“ und die jeweiligen Länderinformationsblätter zum Libanon und Jordanien, den einzigen Nachstaaten, welche ebenfalls Mandatsgebiet von UNRWA sind. Dort finden sich auch Informationen, aus denen hervorgeht, dass eine legale Umsiedlung von staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien nicht vorgesehen ist, und auch eine etwaige UNRWA-Registrierung nicht zu einer Legalisierung des Aufenthalts oder etwa zu einem gesicherten, dauerhaften Aufenthaltsrecht führt, wie das seit Oktober 2012 geltende Einreiseverbot Jordaniens für Palästinenser illustriert.

Rückkehr

Die Regierung erlaubt SyrerInnen, die im Ausland leben, ihre abgelaufenen Reisepässe an den Konsulaten zu erneuern. Viele SyrerInnen, die aus Syrien geflohen sind, zögern jedoch, die Konsulate zu betreten, aus Angst, dass dies zu Repressalien gegen Familienangehörige in Syrien führen könnte (USDOS 20.3.2023).

Anm.: Zur Sammlung nachrichtendienstlicher Informationen im Zuge von Dokumentenanträgen an syrischen Botschaften inklusive Bedingung der Offenlegung des Aufenthaltstitels siehe AFBs zu den jeweiligen Dokumenten. Für grundsätzliche Informationen siehe: BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien: SYRI_SM_Sammlung von Personendaten für nachrichtendienstliche Zwecke 2019_11_04_KE

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen 'black lists' betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt. Damit einher geht ein Kursverlust gegenüber Umtausch zum Marktkurs von mittlerweile bereits mehr als 50 % (ÖB Damaskus 12.2022).

Auch länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z. B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Z.B. müssen deutsche männliche Staatsangehörige, die nach syrischer Rechtsauffassung auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltstitel in Deutschland auch bei nur besuchsweiser Einreise damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen oder zur Zahlung eines Geldbetrages zur Freistellung vom Militärdienst gezwungen zu werden. Eine vorab eingeholte Reisegenehmigung der syrischen Botschaft stellt keinen verlässlichen Schutz vor Zwangsmaßnahmen seitens des syrischen Regimes dar. Auch aus Landesteilen, die aktuell nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, sind Fälle zwangsweiser Rekrutierung bekannt (AA 16.5.2023). Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt (AA 29.3.2023).

Es ist nicht Standard, dass SyrerInnen bei der legalen Ein- und Ausreise nach ihren Login-Daten für ihre Konten für soziale Medien gefragt werden, aber für Einzelfälle kann das nicht ausgeschlossen werden, z. B. wenn jemand - aus welchem Grund auch immer - auf dem Flughafen das Interesse der Behörden bei der Ausreise - erweckt (NMFA 5.2022) (Anm.: bzgl. Abfrage derartiger Daten bei Verhören siehe Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage).

Durch das Fehlen klarer Informationen über das Prozedere für eine Rückkehr, durch das Zurückhalten der Gründe für die Ablehnung einer Rückkehr, bzw. durch das Fehlen einer Einspruchsmöglichkeit enthält die syrische Regierung ihren BürgerInnen im Ausland das Recht auf Einreise in ihr eigenes Land vor (UNCOI 7.2.2023).

Anm.: für weitere Informationen siehe Kapitel "Rückkehr".

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.5.2023): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung Stand - 15.5.2023 (Unverändert gültig seit: 31.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 16.5.2023

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 14.4.2023

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2022): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2081724/Country+of+origin+information+report+Syria.pdf , Zugriff 11.3.2023

 ÖB Damaskus - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (12.2022): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand Ende Dezember 2022) [Der Bericht ist in der Staatendokumentation archiviert.]

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 16.5.2023

 UNCOI - United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (7.2.2023): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://undocs.org/en/A/HRC/52/69 , Zugriff 18.3.2023

 USDOS - USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089061.html , Zugriff 14.4.2023

1.3.5. Rückkehr

Letzte Änderung: 12.07.2023

Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben (UNCOI 7.2.2023). Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten. Gleichzeitig steigt durch die diplomatische Normalisierung zwischen Syrien und der Arabischen Liga in manchen Staaten der Druck auf die Flüchtlinge, trotz der für sie unsicheren Lage nach Syrien zurückzukehren (CNN 10.5.2023).

Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (HRW 12.1.2022) RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen (HRW 12.1.2023, vgl. Al Jazeera 17.5.2023) bis hin zu Schikanen durch die syrischen Behörden (HRW 12.1.2023). Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften an Rückkehrenden, die sich an verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassen Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).

Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 29.3.2023).

Laut UNHCR sind von 2016 bis Ende 2020 170.000 Flüchtlinge (40.000 2020 gegenüber 95.000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30.000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187.000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID-bedingt kam die Rückkehr 2020 zum Erliegen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt. Als ein Argument für ihre Militäroperationen führt die Türkei auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von Russland Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up 2021 sowie 2022), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen, vermochte an diesen Trends nichts zu ändern (ÖB Damaskus 12.2022).

Laut Vereinten Nationen (u. a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben (ÖB Damaskus 12.2022).

Hindernisse für die Rückkehr

Rückkehrende sind auch Human Rights Watch zufolge mit wirtschaftlicher Not konfrontiert wie der fehlenden Möglichkeit, sich Grundnahrungsmittel leisten zu können. Die meisten finden ihre Heime ganz oder teilweise zerstört vor, und können sich die Renovierung nicht leisten. Die syrische Regierung leistet keine Hilfe bei der Wiederinstandsetzung von Unterkünften (HRW 12.1.2023). In der von der Türkei kontrollierten Region um Afrin nordöstlich von Aleppo Stadt wurde überdies berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt vorgefunden haben. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation 'Friedensquelle' im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022). Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen. Am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch laut ÖB Damaskus an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Darunter fällt auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von Russland, der Nachbarländer sowie der Vereinten Nationen wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufs von 30 Tagen auf ein Jahr (ÖB Damaskus 12.2022). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Zudem kommt es zum Diebstahl durch Betrug von Immobilien, deren Besitzer - z.B. Flüchtlinge - abwesend sind (The Guardian 24.4.2023). Viele von ihren Besitzern verlassene Häuser wurden mittlerweile von jemandem besetzt. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021). Der Mangel an Wohnraum und die Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021).

Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).

Die laut Experteneinschätzung katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 1.10.2021).

Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren (Weltbank 2020). Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Raqqa, Deir Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 Prozent der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden und mehr als 20 Prozent haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs (ÖB Damaskus 12.2022) [Anm.: Infolge der Erdbeben im Februar 2023 erhöht sich die Gefahr, dass Explosivmaterialen wie Minen durch Erdbebenbewegungen, Wasser etc. verschoben werden].

Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (NMFA 7.2019). So berichtet UNHCR von einer 'sehr begrenzten' und 'abnehmenden' Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück. Hierbei handelte es sich allerdings zu 94 Prozent um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022). Insgesamt ging im Jahr 2022 laut UN-Einschätzung die Bereitschaft zu einer Rückkehr zurück, und zwar aufgrund von Sicherheitsbedenken der Flüchtlinge. Stattdessen steigt demnach die Zahl der SyrerInnen, welche versuchen, Europa zu erreichen, wie beispielsweise das Bootsunglück vom 22.9.2022 mit 99 Toten zeigte. In diesem Zusammenhang wird Vorwürfen über die willkürliche Verhaftung mehrer männlicher Überlebender durch die syrische Polizei und den Militärnachrichtendienst nachgegangen (UNCOI 7.2.2023).

Während die syrischen Behörden auf internationaler Ebene öffentlich eine Rückkehr befürworten, fehlen syrischen Flüchtlingen, im Ausland arbeitenden SyrerInnen und Binnenflüchtlingen, die ins Regierungsgebiet zurückkehren wollen, klare Informationen für die Bedingungen und Zuständigkeiten für eine Rückkehr sowie bezüglich einer Einspruchsmöglichkeit gegen eine Rückkehrverweigerung (UNCOI 7.2.2023) [Anm.: mehr dazu siehe in dem Unterkapitel Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort sowie im Unterkapitel Perspektiven des Staatsapparats bezüglich Emigration und Rückkehr].

Weitere Informationen zu Enteignungen und der Wohnraumsituation finden sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.3.2023): Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: März 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2089904/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_%28Stand_M%C3%A4rz_2023%29%2C_29.03.2023.pdf , Zugriff 14.4.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2072999.html , Zugriff 6.6.2023

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/de/dokument/2059734.html , Zugriff 6.6.2023

 Al Jazeera (17.5.2023): Syrian refugees in fear as Lebanon steps up deportations, https://www.aljazeera.com/news/2023/5/17/syrian-refugees-in-fear-as-lebanon-steps-up-deportations , Zugriff 19.5.2023

 Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videocall

 BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069699/country_report_2022_SYR.pdf , Zugriff 11.3.2023

 CNN - Cable News Network.(10.5.2023): For Syrian refugees, Assad’s rehabilitation prompts fear of forced return, https://edition.cnn.com/2023/05/10/middleeast/syria-refugees-fear-assad-rehabilitation-mime-intl/index.html , Zugriff 6.6.2023

 HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085501.html , Zugriff 24.5.2023

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066477.html , Zugriff 6.6.2023

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria: The security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016076/Country+of+Origin+Information+Report+Syria+%28July+2019%29.pdf , Zugriff 6.6.2023

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (12.2022): Asylländerbericht Syrien (Stand Ende Dezember 2022) (in der Staatendokumentation aufliegend)

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 6.6.2023

 The Guardian (24.4.2023): Scandal of Syria’s stolen homes: fraudsters use courts to legitimise thefts from refugees, https://www.theguardian.com/global-development/2023/apr/24/scandal-of-syrias-stolen-homes-fraudsters-use-courts-to-legitimise-thefts-from-refugees , Zugriff 6.6.2023

 UNCOI - United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (7.2.2023): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/iici-syria/report-coi-syria-march2023 , Zugriff 18.3.2023

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (6.2022): Protection Analysis Update June 2022, https://www.globalprotectioncluster.org/wp-content/uploads/GOS-and-NES-PAU-June-2022-Final.pdf , Zugriff 6.6.2023

 Weltbank (2020): The Mobility of Displaced Syrians, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/31205/9781464814013.pdf , Zugriff 6.6.2023

1.3.6. Zur Einreise nach Syrien:

Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien – Grenzübergänge [auszugsweise]

Datum der Veröffentlichung: 25.10.2023

Allgemeine Bemerkungen zu den syrischen Grenzen und Ausblick

Während sich die Staatsgrenzen Syriens in den letzten Jahren offiziell nicht verändert haben, und das syrische Regime inzwischen wieder rund zwei Drittel des Staatsgebiets - inklusive der sechs wichtigsten Städte (Damaskus, Aleppo, Homs, Hama, Latakia, Tartus, Dara’a und Deir ez-Zor) - kontrolliert, ist der Einfluss des Regimes auf das „Souveränitätssymbol par excellence“, nämlich die Staatsgrenzen, enden wollend. Die syrische Armee kontrolliert laut Fabrice Balanche, einem Experten für politische Geografie, nur ca. 15% der internationalen Landgrenzen. Die Kontrolle über den restlichen Grenzverlauf ist zwischen ausländischen Akteuren aufgeteilt (TWI/Balanche 10.2.2021).

Die Hisbollah und andere von Iran unterstützte schiitische Milizen kontrollieren rund 20 % der Staatsgrenzen. Während die syrischen Zollbehörden offiziell die Grenzübergänge in den Irak, nach Jordanien und in den Libanon kontrollieren (TWI/Balanche 10.2.2021), sind am Grenzübergang al-Bukamal/al-Qa’im zum Irak beispielsweise auf beiden Seiten pro-iranische Milizen präsent (TWI/Balanche 10.2.2021; vgl. Haaretz 3.2.2023). Das syrische Regime hat allerdings nicht nur die Kontrolle über einen Großteil seiner Landgrenzen abgegeben, sondern auch die Souveränität über den Luftraum und die Seegrenzen bislang nicht wiedererlangt, die von den russischen Basen in Hmeimim (Luftraum) und Tartus (Seegrenzen) überwacht werden (TWI/Balanche 10.2.2021).

Nachstehend kann eine Übersichtskarte zu den Kontrollzonen unterschiedlicher Akteure entnommen werden:

Anmerkung: Die von Israel im Jahr 1967 besetzten Golanhöhen werden von der internationalenGemeinschaft als syrisches Staatsgebiet anerkannt, die Besetzung wurde in einer UN-Sicherheitsresolution des Jahres 1981 für nichtig erklärt (REU 25.3.2019). Der Kontrollpunkt zu den Golanhöhen nahe Quneitra ist auf der Karte als „Grenzübergang“ und die Waffenstillstandslinie als „internationale Grenze“ eingezeichnet, was entsprechend dem Status des Gebiets de jure nicht zutrifft. Weiters hat sich der Status von manchen internationalen Grenzübergängen inzwischen verändert (s. dazu die jeweiligen Abschnitte zu den konkreten Grenzübergängen).

Innerhalb des syrischen Staatsapparats konnte sich Präsident Bashar al-Assad unter anderem an der Macht halten, indem er kriminellen Gruppierungen und mächtigen Akteuren innerhalb des Sicherheitsapparats Handlungsspielraum für (illegale) wirtschaftliche Aktivitäten zugestand (Spiegel 17.6.2022; vgl. BI 27.1.2023). Diese reichen von der groß angelegten Herstellung illegaler Drogen wie Captagon bis hin zu Schmuggel, Erpressung, informeller Besteuerung des grenzüberschreitenden Handels und anderen Formen der illegalen Geschäftemacherei (BI 27.1.2023). Innerhalb der syrischen Sicherheitskräfte übt dabei die als Iran-nahe geltende Vierte Division der Syrischen Arabischen Armee (SAA) Einfluss auf die Zoll- und Grenzkontrollen sowie für den grenzübergreifenden Schmuggel wichtigen Routen aus [Anm.: s. das Kapitel „Grenzbehörden der Syrischen Arabischen Republik“ für weitere Informationen] (Enab 30.1.2023; vgl. FP 1.2.2023, AAA 14.1.2016).

Neben den mit der syrischen Regierung verbundenen Kräften sind auch Akteure ohne die Zustimmung der syrischen Regierung in Grenzregionen auf syrischem Staatsgebiet aktiv. An der Grenze zu Jordanien und dem Irak (TWI/Balanche 10.2.2021) im Südwesten Syriens unterhalten die USA in der Militärbasis at-Tanf eine strategische Präsenz, die auf die Bekämpfung des Islamischen Staats (IS) und des iranischen Einflusses in der Region abzielt (Jasim/STDOK 10.10.2023). Der Grenzübergang in at-Tanf, der im Irak auch als al-Waleed-Übergang bekannt ist, ist die kürzeste und schnellste Landverbindung von Iran zum Irak, dann nach Syrien und weiter in den Libanon zur Hisbollah. Der geografische Raum um at-Tanf bietet eine Art Autonomie für anti-Assad-Kräfte, die dort unter der Schirmherrschaft des US-amerikanischen Militärs stationiert sind (Alma 8.6.2023), sehr zum Missfallen der syrischen, iranischen und russischen Kräfte, die betonen, dass die US-Präsenz ohne Einladung und Abstimmung mit dem Assad-Regime gegen das Völkerrecht verstößt (Alma 8.6.2023; vgl. MEHR 13.1.2021).

Entlang des weitgehend außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden syrischen Staatsgebiets im Nordwesten und Nordosten des Landes agieren ebenfalls unterschiedliche Akteure an den Grenzübergängen (TWI/Balanche 10.2.2021). Im Nordwesten sind dies insbesondere Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie mit der Türkei verbundene Kräfte (TWI/Balanche 10.2.2021; vgl. UNOCHA 25.4.2023). Mit dem Verweis, dass die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) ein autonomes Verwaltungsprojekt innerhalb des Staats sei und nicht den Anspruch stellt, selbst staatliche Aufgaben zu übernehmen, hat die AANES die syrische Regierung nach türkischen Einmärschen dazu aufgerufen, die Grenzkontrolle entlang der türkisch-syrischen Grenze in Nordostsyrien zu übernehmen (Jasim/STDOK 10.10.2023). Im Zuge der „Peace Spring“-Militäroperation, bei der die türkischen Streitkräfte 2019 die beiden Städte Tel Abyad und Serekaniye (Ra’s al-’Ain) einnahmen, unterzeichnete die Türkei je ein Waffenstillstandsabkommen mit Russland und eines mit den USA. Die Abkommen sahen einen Abzug der Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: Streitkräfte der AANES] in einem 30km breiten Streifen entlang der türkischen Grenze vor, in Kombination mit gemeinsamen Grenzpatrouillen der Türkei und Russlands, um die Umsetzung der Abkommen zu überwachen (SO 30.5.2022). Die Grenzpatrouillen sollten gemeinsame US-türkische Patrouillen in dem Gebiet weitgehend ersetzen (TWI/Balanche 10.2.2021). Entlang der Grenze gibt es Kontrollpunkte der syrischen Armee (van Wilgenburg 2.9.2023; vgl. TWI/Balanche 10.2.2021). Balanche bezeichnet die Präsenz der Regierungstruppen dort allerdings als „lediglich symbolisch“ (TWI/Balanche 10.2.2021).

Die Ein- und Ausreisebestimmungen zwischen Syrien und der Türkei werden in Nordwestsyrien vor allem von der türkischen Seite bestimmt (FNWS 13.9.2023), während die Grenzübergänge zwischen der Türkei und der AANES auf Betreiben der Türkei durchwegs geschlossen sind.

Eine Grenzmauer riegelt das Gebiet auf türkischer Seite ab (Jasim/STDOK 10.10.2023; vgl. TWI/Balanche 10.2.2021). Am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour benötigen Syrer:innen die Zustimmung der Grenzbehörde der Kurdistan Region Irak (KRI), um den Grenzübergang zu passieren (van Wilgenburg 9.10.2023).

Der Grenzübergang Semalka/Fishkhabour mit dem Irak bzw. der KRI ist für die AANES der einzige Grenzübergang, den die zahlreichen, für die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) benutzen können: auf der irakischen Seite an Syriens Ostgrenze hat die Kurdistan Regionalregierung (KRG) 2017 die Kontrolle über umstrittene Gebiete zwischen Kirkuk und Sinjar verloren und schiitische Milizen sind nachgerückt. Iranische Stellvertreter haben - zum Teil mit russischer diplomatischer Hilfe - seitdem verhindert, dass die AANES oder andere Akteure andere Grenzübergänge benutzen. Hierbei ist allerdings bedeutsam, dass die involvierten NGOs nicht auch in den Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes tätig sind: letzteres betrachtet einen Grenzübertritt via Semalka nämlich als illegal und alle NGOs, die eine Akkreditierung beim Syrischen Arabischen Roten Halbmond beantragen, um in den Gebieten des Regimes tätig zu werden, müssen sich verpflichten, Aktivitäten einzustellen, die mit einem Grenzübertritt aus den Nachbarländern in die AANES einhergehen (TWI/Balanche 10.2.2021). Der offizielle Grenzübergang al-Yaroubiya zwischen dem Irak und dem Gebiet der AANES ist für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen seit einem UN-Sicherheitsratsveto Russlands im Dezember 2019 geschlossen (TWI/Balanche 10.2.2021), wobei auch die Türkei versucht, auf die internationale Gemeinschaft Druck auszuüben, um die Isolierung der AANES aufrecht zu erhalten (Jasim/STDOK 10.10.2023). Damit müssen alle UN-Hilfsgüter für die AANES zunächst nach Damaskus geschickt werden, bevor sie in den Nordosten transportiert werden können (TWI/Balanche 10.2.2021).

Die Situation an den Grenzübergängen ist somit ein Spiegel der Machtverhältnisse in Syrien.

Neben den offiziellen Grenzübergängen gibt es auch im Gebiet unter Kontrolle der syrischen Regierung inoffizielle Grenzübergänge, die teils auch von staatlichen Akteuren benutzt werden, beispielsweise bei Rückführungen von Syrer:innen aus dem Libanon nach Syrien (SR 8.11.2022).

Ob ein Grenzübergang „offen“ ist, hängt mitunter vom Profil einer Person ab (CMEC/Tokmajyan 3.10.2023) und die Souveränität der Syrischen Arabischen Republik wird von diversen Akteuren eingeschränkt (TWI/Balanche 10.2.2021). Ebenso ist die Frage der Kontrolle von Grenzübergängen im syrischen Kontext nicht immer eindeutig zu beantworten. Neben der nominalen Kontrolle über Grenzübergänge berichten diverse Quellen von einer teils abweichenden, wirtschaftlichen Kontrolle über lukrative Grenzübergänge (FNWS 13.9.2023; vgl. Haaretz 3.2.2023).

Ausblick - „Kantonalisierung“ von Syriens Nordgrenze

Die syrische Regierung unter Präsident Bashar al-Assad pocht seit langem darauf, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet zurückzuerobern und die türkischen wie auch US-amerikanichen Sicherheitskräfte aus dem Land zu vertreiben (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022).

Dies kann allerdings nur in Absprache mit den in Nordwest- und Nordostsyrien präsenten internationalen Mächten gelingen (CMEC/Tokmajyan/Khaddour 27.3.2023). Sollten die USA nach den Präsidentschaftswahlen im November 2024 beispielsweise ihre Politik ändern und aus Syrien (oder sogar dem Irak) abziehen, könnten sich die Machtverhältnisse in Nordostsyrien, das sich derzeit weitgehend unter Kontrolle der [von den USA unterstützten] SDF befindet, deutlich verändern (van Wilgenburg 9.10.2023).

Seit dem 5.10.2023 führt das türkische Militär wieder schwere Luftangriffe und Drohnenschläge gegen Infrastruktur in Nordostsyrien durch, nachdem die Türkei zwei Militante aus Syrien für einen PKK-Anschlag in Ankara verantwortlich gemacht hat. Auch im November 2022 reagierte die Türkei mit Luftschlägen in Nordostsyrien auf einen Anschlag in Istanbul, den sie der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD)/SDF zuschrieb. Die Türkei drohte zudem vor den allgemeinen Wahlen vom 14.5.2023 (van Wilgenburg 9.10.2023) wie auch im Jahr 2022 mit einer weiteren groß angelegten Bodenoffensive in Nordsyrien (Lead IG 1.11.2022; vgl. Lead IG 3.8.2023). Die Bodenoffensive scheiterte bislang an der mangelnden Zustimmung von Syriens Verbündeten Iran und Russland wie auch der USA (van Wilgenburg 9.10.2023, Lead IG 1.11.2022; vgl. Lead IG 3.8.2023). Manche kurdische Aktivist:innen fürchten jedoch, dass die Türkei vom jüngsten Aufflammen des palästinensisch-israelischen Konflikts profitieren könnte, indem sie eine neue Offensive in Nordostsyrien startet, während die Weltöffentlichkeit von einem neuen Gazakrieg abgelenkt ist. Derzeit [Stand 9.10.2023] sieht es allerdings nicht danach aus (van Wilgenburg 9.10.2023).

Der von Wladimir van Wilgenburg befragte Journalist Hisham Arafat beschrieb die Situation in Syrien als anhaltend „fluid, Bündnisse und Konkurrenzkämpfe wandeln sich weiterhin“. Gemäß seinem Letztstand vom September 2021 behält „Rojava einen bestimmten Grad an de facto-Autonomie in Nordostsyrien, während das syrische Regime weiterhin eine Präsenz in manchen

Gebieten aufrechterhält, insbesondere entlang der wichtigsten Fernstraßen. Verhandlungen zwischen den beiden Seiten haben zeitweise stattgefunden, aber eine umfassende politische Lösung blieb unerreichbar“ (van Wilgenburg 9.10.2023). Während die Lage ruhig wirkt (FNWS 13.9.2023) und van Wilgenburg sowie ein von ihm befragter kurdischer Aktivist aus al-Hassakah in naher Zukunft keine großen Machtverschiebungen in Nordostsyrien erwarten (van Wilgenburg 9.10.2023), ist die Lage trotzdem fragil (FNWS 13.9.2023) und es lassen sich manche Eskalationen im Gebiet beobachten (van Wilgenburg 9.10.2023). Als vor kurzem beispielsweise bestimmte arabische Stammesangehörige in Deir ez-Zor in Nordostsyrien gegen die SDF rebellierten, begannen türkische Kräfte zeitgleich, kurdisch kontrollierte Gebiete in Manbij anzugreifen (FNWS 13.9.2023; vgl. van Wilgenburg 2.9.2023). Bei den schweren Kämpfen zwischen den SDF und gegnerischen arabischen Kämpfern zwischen 27.8. und 12.9.2023 in Deir ez-Zor wurden über 100 Personen getötet. Während die SDF ursprünglich Territorium verloren, konnten sie es später wieder zurückerobern und sehen sich jetzt mit Aufständischenangriffen konfrontiert, die vom syrischen Regime unterstützt werden (van Wilgenburg 9.10.2023).

Darüber hinaus verfügt das syrische Regime gegenwärtig nicht über die notwendigen Kapazitäten, um beispielsweise Nordwestsyrien und seine Bevölkerung in das syrische Staatsgefüge wiederaufzunehmen, wie die seit 2018 bestehenden Mühen des Regimes um die Herrschaft über Dara’a in Südsyrien nahelegen (CMEC/Tokmajyan/Khaddour 27.3.2023). Als Folge der Gebietsgewinne des syrischen Regimes in anderen Landesteilen wurden rund 200.000 Syrer:innen in den Nordwesten des Landes vertrieben, was die vorherrschende sunnitisch-ländliche gesellschaftspolitische Einstellung, die dem Regime kompromisslos feindlich gegenübersteht, in dem Gebiet noch weiter konsolidiert hat. In Nordwestsyrien leben damit bis zu 4.5 Mio. Menschen, die seit den verstärkten türkischen Grenzkontrollen ab 2015/2016 und einer abnehmenden Akzeptanz von Flüchtlingen in Europa nicht mehr wegkönnen (CMEC/Tokmajyan 3.10.2023).

Die „Kantonalisierung“ von Syriens Norden dürfte damit in naher Zukunft nicht rückgängig gemacht werden (CMEC/Tokmajyan/Khaddour 27.3.2023), allerdings kann es weiterhin zu „Anpassungen“ der Grenz- bzw. Frontverläufe kommen, schließlich ist keiner der vier involvierten Staaten mit der derzeitigen Situation zufrieden (CMEC/Tokmajyan 3.10.2023) - auch wenn Drohszenarien des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bezüglich eines erneuten groß angelegten militärischen Einmarschs bislang [Stand 10.10.2023] nicht Wirklichkeit wurden und die syrisch-türkischen diplomatischen Beziehungen 2022 intensiviert wurden (Lead IG 1.11.2022; vgl. Lead IG 3.8.2023). Wie schon in der Vergangenheit ist davon auszugehen,mdass diese „Adjustierungen“ der Grenz- und Frontverläufe nicht ohne Härten stattfinden, einschließlich Kriegshandlungen und Militarisierung, Massenvertreibungen, niedergeschlagener Aufstände, demografischem Wandel und einem verstärkten Wettbewerb um begrenzte Ressourcen, bei denen Zivilist:innen den höchsten Tribut zahlen (CMEC/Tokmajyan 3.10.2023).

4.1 Grenzbehörden der Syrischen Arabischen Republik

Laut Gregory Waters, der unter anderem umfangreiche Recherchen zur syrischen Truppenaufstellung durchgeführt hat, verfügt das syrische Regime über Grenzschutztruppen, auch als Hajjane bekannt. Obwohl der Hauptaufgabenbereich der Grenzschutztruppen in der Bewachung der internationalen Landesgrenzen liegt, einschließlich der Bekämpfung von Schmuggel, und die Truppen vor allem Hilfsfunktionen an der Seite der Syrischen Arabischen Armee (SAA) - z. B. zum Objektschutz und bei defensiven Operationen - übernehmen, waren sie im Verlauf des Konflikts auch in Kampfhandlungen verwickelt. Vor dem Krieg unterstanden die Grenzschutztruppen dem General Intelligence Directorate (GID) [Anm.: auch als Staatssicherheit bekannt]. Nach Schaffung des 5. Korps im November 2016 [Anm.: eine von Russland unterstützte Einheit der SAA] wurden die Grenzschutztruppen zeitweise dieser Einheit zugeordnet. Ein von Waters befragter Angehöriger eines Regiments der Grenzschutztruppen behauptete im September 2019 jedoch, dass die Truppe offiziell keinem Divisions- oder Korpskommando untersteht, sondern jedes Regiment dem Divisionskommando der Region, in der es gerade eingesetzt ist, zugeordnet wird (IREV 25.9.2019). [Anm.: Abseits dieser Quelle konnten nur sehr wenige Informationen zu den Grenzschutztruppen gefunden werden.]

Ein Rundschreiben des Nationalen Sicherheitsbüros vom Jänner 2023 schuf eine neue Einheit zur Verwaltung der offiziellen und inoffiziellen Grenzübergänge Syriens mit seinen Nachbarstaaten, wobei in diesem Zusammenhang insbesondere die Grenzübergänge mit dem Libanon und Jordanien erwähnt werden. Die Einheit setzt sich aus Mitgliedern von vier Nachrichtendiensten und der Vierten Division der SAA zusammen (Enab 30.1.2023). Demnach sollen an den offiziellen Grenzübergängen gemeinsame Kontrollpunkte der Politischen Sicherheit, Militärsicherheit, Staatssicherheit und des Luftwaffengeheimdienstes geschaffen werden (Enab 30.1.2023; vgl. SYD 3.2.2023). Die Vierte Division kontrolliert darüber hinaus gemeinsam mit Zollbeamt:innen Personen und zivile Fahrzeuge, welche die Grenze passieren. An den inoffiziellen Grenzübergängen und an der Grenze patrouilliert die Vierte Division, um den Schmuggel von Waren zu kontrollieren (Enab 30.1.2023).

Das Generaldirektorat für Zoll (General Directorate of Customs) in Syrien untersteht dem Finanzministerium und ist unter anderem mit der Bekämpfung von Schmuggel betraut (CUSTOMS o.D.). Das Generaldirektorat operiert hierbei nicht nur an den Grenzen, sondern ist auch dazu berechtigt, innerhalb Syriens Inspektionen durchzuführen (NPA 5.5.2021). Eine syrische Zeitung berichtete im August 2022 von einem Gesetzesentwurf, dem zufolge die Behörde unter dem Namen Generalbehörde für Zoll (General Authority of Customs) reorganisiert und die Angehörigen der derzeit dem Generaldirektorat unterstehenden Zollpolizei dem Verteidigungsministerium zugewiesen werden sollen (SO 1.8.2022; vgl. Syria TV 10.10.2022). Ein Zeitungsbericht vom Mai 2023 erwähnt allerdings weiterhin das Generaldirektorat für Zoll als Zollbehörde (Shaam 10.5.2023). Das Generaldirektorat für Zoll gilt aufgrund seiner wichtigen Rolle bei der Versorgung des syrischen Regimes mit Geld und Devisen durch die Kontrolle des Handelsverkehrs und des Warentransports als eine der sehr wichtigen Institutionen des syrischen Regimes. Sie ist mittlerweile auch die Hauptaufsichtsbehörde des syrischen Regimes über den Schmuggel und Handel mit Drogen (Captagon-Pillen), die in den Regimegebieten in Syrien hergestellt werden (Syria TV 10.10.2022). Laut einem Bericht der oppositionsnahen Nachrichtenorganisation Shaam Network ist das Zolldirektorat eines der korruptesten Direktorate, und die in diesem Korps Beschäftigten zahlen Millionen [syrische Pfund] für ihre Anstellung an den Grenzübergängen, wobei sie dazu auch enge Verbindungen zu Offizieren der Assad-Streitkräfte und Direktoren öffentlicher Institutionen benötigen. An den Grenzübergängen beteiligen sie sich am Schmuggel aller Waren mit großen Geldbeträgen, insbesondere am Schmuggel von Waffen und Drogen (Shaam 10.5.2023; vgl. AAA 14.1.2016).

Laut einem Bericht aus dem Jahr 2016 wird das Zolldirektorat von der Vierten Division kontrolliert, die sich in die Verzollung importierter Waren einmischt und Waren beschlagnahmt (AAA 14.1.2016). Ein jordanischer Politikanalyst bezeichnete die Vierte Division im Jänner 2023 als den „Dynamo des Schmuggels, der Plünderung und der Entrichtung von Gebühren“, der eine Vorgeschichte auf dem Gebiet des Drogenschmuggels hat. Nichtsdestotrotz wurde die Einheit mit dem oben erwähnten Rundschreiben vom Jänner 2023 wieder am Grenzübergang zu Jordanien stationiert (Enab 30.1.2023). Die verschiedenen Nachrichtendienste und die Vierte Division der SAA konkurrieren untereinander um die Stationierung an den Straßen zu den wichtigsten Orten innerhalb Syriens. Die Vierte Division hat bei der Stationierung in grenznahen Gebieten und zwischen den Gouvernementgrenzen Vorrang (Alaraby 22.1.2023) und kontrolliert de facto alle Transportrouten, die Syrien mit dem Libanon und Jordanien verbinden, sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Südsyrien (FP 1.2.2023). Die Grenzgebiete zum Libanon stellen beispielsweise eine bedeutsame Einnahmequelle für die Mitglieder und Offiziere der Vierten Division sowie für hochrangige Beamt:innen des Regimes dar, in Partnerschaft mit der libanesischen Hisbollah, welche Schmuggelübergänge zwischen den beiden Ländern kontrolliert (Alaraby 22.1.2023).

4.2 Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung in Gebieten unter Kontrolle der Syrischen Arabischen Republik

Artikel 38 der syrischen Verfassung von 2012 sieht vor, dass syrische Staatsbürger:innen nicht aus Syrien abgeschoben oder an einer Rückkehr nach Syrien gehindert werden können (Abs. 1). Weiters haben syrische Staatsbürger:innen das Recht, sich innerhalb des Staatsgebiets frei zu bewegen oder dieses zu verlassen, es sei denn, die Entscheidung eines dazu bevollmächtigten Gerichts oder der Staatsanwaltschaft, oder Gesetze der öffentlichen Gesundheit sowie Sicherheit verbieten dies (Abs. 3) (Verf SYR 27.2.2012). In der Praxis bestehen dennoch Einschränkungen bezüglich der Einreisemöglichkeiten, die in den Länderinformationen Syrien im COI-CMS der Staatendokumentation (dzt. Version 9 vom 17.7.2023) in den Kapiteln „Bewegungsfreiheit“, Unterkapitel „Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen“ sowie „Rückkehr“, Unterkapitel „Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort“, ausführlich beschrieben werden - einschließlich Informationen zu Sicherheitsfreigaben und Statusregelungen vor einer Rückkehr. Sie werden daher hier nicht noch einmal (vollständig) wiedergegeben, es wird jedoch auf die Relevanz dieser Sachverhalte bei einer etwaigen Einreise nach Syrien verwiesen. Darüber hinaus wird auf die folgenden Anfragebeantwortungen zu verschiedenen Aspekten bezüglich der Ein- und Ausreisebestimmungen hingewiesen:

o ACCORD -Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (14.6.2023): Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt [a-12132-2], https://www.ecoi.net/de/dokument/2094281.html

o ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (9.6.2023): Anfragebeantwortung zu Syrien: Kontrollen durch Sicherheitsbehörden bei Einreise, Auswirkungen von negativem Asylbescheid [a-12124-5], https://www.ecoi.net/de/dokument/2094294.html

o ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (9.6.2023): Anfragebeantwortung zu Syrien: Wiederansiedlung von Personen, die im Ausland waren, und Binnenvertriebenen (besondere Erfordernisse und Hürden, Profile von Rückkehrenden und solchen, die gescheitert sind), insbesondere Damaskus und Umland, Latakia, Tartous [a-12124-4], https://www.ecoi.net/de/dokument/2094290.html

o ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (24.3.2023): Anfragebeantwortung zu Syrien: Genehmigung der Ausreise eines Staatsangestellten durch den Vorgesetzten; Kontrolle bei Ausreise; Folgen illegaler Ausreise und zuständige Behörde; Folgen bei unerlaubtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz; Ausreise genehmigung für männliche Staatsangestellte im wehrdienstpflichtigen Alter [a-12103-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2091208.html

Nachfolgend werden ein kursorischer Überblick sowie ergänzende Informationen zur Thematik bereitgestellt.

Reisedokumente und Einreisebestimmungen

Syrer:innen müssen in der Lage sein, bei einer Rückkehr ihre rechtliche Identität, ihren Status, ihre Staatsangehörigkeit und ihre familiäre Abstammung nachzuweisen. Bei der Einreise nach Syrien benötigen syrische Staatsbürger:innen einen gültigen Reisepass, ein Reisedokument (Laissez-Passer) oder eine andere, von den Behörden akzeptierte Form des Identitätsnachweises (Clutterbuck et al. 10.2019; vgl. HRW 20.10.2021). Zur Einreise vom Libanon nach Syrien können Syrer:innen beispielsweise ihren nationalen Personalausweis benutzen. Für eine legale Ausreise aus dem Libanon benötigen sie allerdings einen legalen Aufenthaltsstatus im Libanon, über den nur rund ein Viertel der im Libanon lebenden syrischen Flüchtlinge verfügt. Darüber hinaus sind schätzungsweise rund 100.000 im Libanon lebende Syrer:innen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren nicht im Besitz eines syrischen Personalausweises oder Auszugs aus dem Personenstandsregister, welcher ihre Identität bestätigen würde, da dieser in Syrien beantragt werden muss. Die libanesischen Behörden haben zwar einige Kategorien von Rückkehrer:innen von der Zahlung der mit einem irregulären Aufenthalt verbundenen Bußgelder befreit (Clutterbuck et al. 10.2019), doch gilt dies nicht für alle. Einige Personen können damit mit einem Wiedereinreiseverbot belegt werden (Clutterbuck et al. 10.2019; vgl. HRW 20.10.2021). Andere Syrer:innen, die ohne Nachweis eines formellen Wohnsitzes auf libanesischem Staatsgebiet ausreisen, können inhaftiert oder an der Grenze mit anderen Problemen konfrontiert werden. 75 % der syrischen Flüchtlinge in Jordanien besitzen keinen Reisepass, obwohl ein Laissez-passer, der zur einmaligen Rückkehr nach Syrien berechtigt, für 25 USD [Anm.: Stand 2019, s. auch nächster Absatz] bei der syrischen Botschaft erworben werden kann. Schätzungsweise sieben Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien sind völlig ohne Dokumente und möglicherweise nicht in der Lage, ein Reisedokument zu erhalten (Clutterbuck et al. 10.2019). Aus Jordanien zurückkehrenden Syrer:innen wurde von jordanischen Grenzbeamt:innen teils mitgeteilt, dass sie mit einem fünfjährigen Wiedereinreiseverbot belegt werden, wobei ein jordanischer Rechtsanwalt angab, dass es kein generelles Einreiseverbot für syrische Staatsangehörige in Jordanien gebe. Einreiseverbote stehen laut dem Rechtsanwalt vielmehr im Zusammenhang mit „Sicherheitsgründen“ oder Übertretungen wie gefälschten Dokumenten. Rückkehrer:innen brachten die Verhängung von Einreiseverboten mit einer illegalen Einreise nach Jordanien in Verbindung (HRW 20.10.2021).

Obwohl syrische Staatsbürger:innen das Recht haben, international zu reisen, verweigert das Regime Reisepässe und andere lebenswichtige Dokumente auf der Grundlage der politischen Ansichten des Antragstellers, seiner (vermeintlichen) Verbindung mit, oder Unterstützung von Oppositionsgruppen oder seiner Verbindungen zu geografischen Gebieten, in denen die Opposition dominiert (USDOS 21.3.2023). Die Kosten für Reisepasserneuerungen sind seit 2011 zudem deutlich gestiegen (HRW 27.6.2023) - von rund 30 USD vor 2011 auf gegenwärtig 300 USD für einen regulären Reisepass (AC 5.4.2021; vgl. HRW 27.6.2023), wobei dieser normalerweise für sechs Jahre ausgestellt wird (SJAC 31.3.2022). Personen, die von den syrischen Sicherheitskräften gesucht werden, erhalten jedoch nur einen für zwei Jahre gültigen Reisepass (SNHR 28.1.2019; vgl.SJAC 31.3.2022). Es wird von Verzögerungen bei Passausstellungen oder -erneuerungen berichtet (HRW 27.6.2023; vgl. SJAC 31.3.2022, COAR 28.2.2022), Mitte 2023 auch davon, dass die Bearbeitung von Passanträgen in den meisten Botschaften und innerhalb Syriens weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein scheint, ohne dass die Behörden dies erklären. Syrer:innen berichteten von Schwierigkeiten bei der Reservierung von Terminen für die Ausstellung von Pässen, dass sie ohne Erklärung abgewiesen werden, oder überhöhte Beträge zahlen müssen, um das Verfahren zu erleichtern (HRW 27.6.2023; vgl. Al-Hal Net 10.5.2023). Die Praxis, über Vermittler:innen, die mit Einwanderungsbeamt:innen in Verbindung stehen, mittels Bestechungsgeldern Termine für Passanträge zu erhalten, ist ein weitverbreitetes Phänomen an syrischen Konsulaten und Botschaften (COAR 28.2.2022; vgl. SJAC 31.3.2022). Die tatsächlichen Kosten für die Beantragung von Reisepässen sind dadurch weitaus höher als die offiziellen Gebühren und belaufen sich oftmals auf bis zu 1.500 USD (SJAC 31.3.2022). Die Kosten für eine Reisepassausstellung sind für viele Bürger:innen unerschwinglich (USDOS 21.3.2023).

Die syrische Regierung führt laut der Menschenrechtsorganisation Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) seit 2015 keine generellen nachrichtendienstlichen Überprüfungen von Passanträgen aus dem Ausland mehr durch, allerdings müssen die Antragsteller:innen Videobeweise vorlegen. Diese digitalen Inhalte ermöglichen es der syrischen Regierung, ihre im Ausland lebenden Bürger:innen zu lokalisieren, was die weitere Überwachung derjenigen erleichtert, die sie des Dissenses verdächtigt oder denen sie vorwirft, Syrien illegal verlassen zu haben. Die Beantragung von Reisepässen innerhalb des Landes werden vom Innenministerium überwacht. Antragsteller:innen oder Familienangehörige, die in ihrem Namen den Antrag stellen, sind dabei Gegenstand nachrichtendienstlicher Überprüfungen und laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder zum Verschwinden gebracht zu werden (SJAC 31.3.2022).

Staatsangestellte müssen um eine Ausreisegenehmigung ihres zuständigen Ministeriums ansuchen und Männer im wehrpflichtigen Alter benötigen für die Ausreise aus Syrien eine Genehmigung der Generaldirektion für Rekrutierung (ACCORD 24.3.2023; vgl. MBZ 8.2023), die bescheinigt, dass der Wehrdienst abgeleistet wurde. Ansonsten werden in Syrien aufhältigen Männern im wehrpflichtigen Alter Reisepässe vorenthalten (AA 29.3.2023). Wehrdienstverweigerer, Deserteure sowie Reservisten, die sich im Ausland aufhalten und für den Reservedienst gesucht werden, können dagegen einen Reisepass beantragen. Die syrischen Behörden sehen darin eine zusätzliche Einnahmequelle durch Personen, die meist nicht die Absicht haben, nach, Syrien zurückzukehren. Es ist auch möglich, dass Familienangehörige für einen im Ausland lebenden Mann, der sich dem Militärdienst entzogen hat oder als Reservist einberufen wurde, einen Pass beantragen. Ob dafür eine Einverständniserklärung der Armee erforderlich ist, ist nicht bekannt [Anm.: unberücksichtigt bleiben hier etwaige Fragen bzgl. eines Sicherheitsrisikos für vom syrischen Regime verfolgte Personen bei Betreten einer syrischen Vertretung oder für deren Angehörige bei einer stellvertretenden Passbeantragung innerhalb Syriens] (MBZ 8.2023).

Seit Juli 2020 müssen syrische Staatsangehörige bei der Einreise nach Syrien 100 USD zum offiziellen Wechselkurs in syrische Pfund eintauschen (HRW 10.2021; vgl. AA 16.8.2023), wobei der offizielle Wechselkurs weit unter dem tatsächlichen Marktwert von US-Dollars liegt und Einreisende somit Geld verlieren (Alaraby 22.1.2023; vgl. AC 5.4.2021). Die Regelung wurde im April 2021 teilweise gekippt, um Rückkehrer:innen davon auszunehmen. Human Rights Watch berichtete jedoch von Fällen, bei denen Rückkehrer:innen an der Grenze zu Jordanien gezwungen wurden, 100 USD pro Person zu übergeben und den entsprechenden Betrag in syrischen Pfund nicht zurückerhielten (HRW 10.2021).

Reisepässe werden bei der Ein- und Ausreise nach und aus Syrien gestempelt. Ob jemand illegal ausgereist ist, wird daher bei der erneuten Einreise durch einen Blick in den Pass ersichtlich. Darüber hinaus berichtet eine Quelle aus dem Jahr 2018 von einer Datenbank, die diesbezüglich an Grenzübergängen konsultiert werden kann [Anm.: bzgl. der Verfügbarkeit einer zentralen Datenbank an Grenzübergängen vgl. auch nachfolgende Informationen] (IRB 9.9.2019). Gemäß Gesetz Nr. 9 aus dem Jahr 2013 muss „jede Person, die illegal in syrisches Hoheitsgebiet einreist, […] mit einer Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren rechnen, verbunden mit einer Geldstrafe zwischen fünf und zehn Millionen syrischen Pfund oder einer der beiden Strafen“ (FSLA 21.9.2023; vgl. Arabiya 25.6.2013). 2014 wurde ein weiteres Gesetz erlassen (Gesetz Nr. 2/2014), das ähnliche Regeln enthält und sich explizit auf ausländische Staatsbürger:innen bezieht. Während das Gesetz von 2013 keinen Bezug auf die Staatsbürgerschaft nimmt, ist nach Angaben der syrischen Rechtsanwaltsvereinigung Free Syrian Lawyers Association (FSLA) in Kombination mit dem ähnlich lautenden Gesetz von 2014 davon auszugehen, dass sich Gesetz Nr. 9/2013 vor allem auf syrische Staatsangehörige bezieht (FSLA 21.9.2023). Das syrische Regime betrachtet beispielsweise einen Grenzübertritt über den von der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) kontrollierten Grenzübergang Semalka/Faysh Khabour als illegal (TWI/Balanche 10.2.2021). Als eine französische Delegation im Juli 2023 in das Gebiet der AANES einreiste, äußerte sich das syrische Außenministerium dementsprechend, verurteilte die Vorgehensweise als eine Verletzung der staatlichen Souveränität der Syrischen Arabischen Republik (K24 18.7.2023) und forderte Frankreich dazu auf, internationales Recht zu respektieren, wobei es die Akteure der AANES als „separatistische und terroristische Organisationen“ bezeichnete (Tasnim 18.7.2023). Bei einer Einreise aus dem Irak über Faysh Khabour nach Syrien ist eine legale Weiterreise in von der Regierung kontrollierte Gebiete laut Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität von Lyon 2, nicht möglich. Wenn eine aus dem Ausland einreisende Person etwa nach Damaskus reisen will, muss sie über einen offiziellen Grenzübergang unter Kontrolle der syrischen Regierung, etwa über den Libanon oder die jordanisch-syrische Grenze, einreisen. Eine Einreise über den Grenzübergang Fish Khabour gilt offiziell nicht als Einreise nach Syrien und der Reisepass wird nicht abgestempelt. Einreisende erhalten lediglich ein „Papiervisum“. Sollte eine Person dennoch versuchen, zum Beispiel nach Damaskus weiterzureisen, würde sie festgenommen werden (ACCORD 14.6.2023).

Falls die Ausreise aus Syrien illegal erfolgte, müssen Personen vor einer geplanten Rückkehr ihren Status mit der Regierung „klären“, um einer Strafverfolgung zu entgehen (DIS 5.2022). Obwohl das syrische Regime für diese Regularisierungsprozesse durch ihre Auslandsvertretungen wirbt, stellt es dafür laut der FSLA unerfüllbare Bedingungen auf. Die syrische Botschaft im Libanon fordert beispielsweise, dass Syrer:innen Ein- und Ausreisedokumente der libanesischen Behörde General Security [General Security Office, GSO] vorlegen, die vom libanesischen Außenministerium beglaubigt werden müssen. Syrer:innen, die illegal aus Syrien aus- und in den Libanon eingereist sind, können diese Dokumente nicht vorlegen. Hinzu kommen die Sicherheitsrisiken, welche für syrische Flüchtlinge bei einer Interaktion mit den libanesischen Sicherheitsbehörden bestehen. Die syrische Botschaft in Istanbul sieht dagegen beispielsweise weniger komplexe Bedingungen zur Statusregularisierung für syrische Flüchtlinge vor. Allerdings stellen die Reise- und Übernachtungskosten für einen Aufenthalt in Istanbul hierbei eine Herausforderung dar, verbunden mit Kosten für Makler, um Termine bei der Botschaft zu erhalten. In den meisten Fällen wird die Genehmigung zur Legalisierung des Status nur durch die Vermittlung von Maklern erteilt, die mit den Sicherheitsbehörden des Regimes zusammenarbeiten, und es wird eine Zahlung von mindestens 5.000 USD verlangt, die sich je nach Sicherheitsstatus der Person erhöhen kann. Unabhängig davon gibt es selbst bei einer Statusregelung keine rechtliche Garantie dafür, dass die Person bei ihrer Rückkehr nach Syrien nicht von den Sicherheitsbehörden verhaftet wird (FSLA 19.9.2023). Verschiedene Quellen berichten von rechtswidrigen Einreisen von Syrer:innen nach Syrien, beispielsweise aufgrund der strikten Ausreisebestimmungen der libanesischen Behörden, wie auch von Festnahmen von illegal eingereisten Syrer:innen, wobei nicht immer klar war, ob dies nur aufgrund der illegalen Einreise geschah (DIS 5.2022).

Einheitlichkeit bei der Vorgehensweise, Rechtsstaatlichkeit

Weitergehende Informationen zum Thema Rechtsstaatlichkeit und Willkür können den Länderinformationen zu Syrien im COI-CMS der Staatendokumentation (dzt. Version 9 vom 17.7.2023) entnommen werden, insbesondere den Kapiteln „Politische Lage“, „Rechtsschutz und Justizwesen“ und „Rückkehr“. Dem Kapitel „Bewegungsfreiheit“ können weitergehende Informationen zu den Kontrollpunkten und der Behandlung von Reisenden an diesen entnommen werden.

Die Ein- und Ausreisebedingungen für Syrien können sich kurzfristig ändern (DFAT 7.6.2023).

Es gibt keine systematischen Erhebungen zur Lage von Syrer:innen nach ihrer Rückkehr. Unabhängige Organisationen, darunter auch UNHCR, waren nicht in der Lage, in diesem Bereich Daten zu sammeln und sind mit starken Einschränkungen bei der Beobachtung von Rückkehrer:innen in Syrien konfrontiert (DIS 5.2022; vgl. MBZ 8.2023). Die vorhandenen Informationen zeigen kein klares Gesamtmuster bei ihrer Behandlung, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind. Die Tatsache, dass die zuständigen Beamt:innen am Grenzübergang oder in den örtlichen Sicherheitsdienststellen die Befugnis haben, eigene Entscheidungen über die einzelnen Rückkehrer:innen zu treffen, trägt zur Abwesenheit eines klaren Musters bei (DIS 5.2022).

Human Rights Watch (HRW) dokumentierte im Rahmen einer Erhebung zur Behandlung von Rückkehrer:innen aus Jordanien und dem Libanon im Jahr 2021 sowohl Verhaftungen direkt am Grenzübergang, als auch bei Kontrollstellen diverser Sicherheitsdienste am Weg von der Grenze in den Heimatort der Rückkehrer:innen sowie einige Tage oder Monate nach der Rückkehr in den Heimatort (HRW 20.10.2021; vgl. FSLA 19.9.2023).

Aufgrund der angespannten sozioökonomischen Lage in Syrien nützen Sicherheitsbeamt:innen sich bietende Möglichkeiten zur Erpressung ihrer Mitbürger:innen (DIS 5.2022), wobei Kontrollposten in den vergangenen Jahren eine wichtige Finanzierungsquelle für regimenahe Milizen und Sicherheitskräfte geworden sind und somit nicht nur der Ergreifung von Wehrdienstverweigerern und Reservisten dienen (Alaraby 22.1.2023). Wenn die verantwortlichen Beamt:innen an einem Grenzübergang herausfinden, dass Rückkehrer:innen im Besitz erheblicher Geldbeträge oder anderer Vermögenswerte sind, können sie der Person Schwierigkeiten machen, um diese zur Zahlung von Bestechungsgeldern zu bewegen. Einer von der dänischen Einwanderungsbehörde befragten syrischen Menschenrechtsorganisation waren mehrere Beispiele von Personen bekannt, die bei ihrer Rückkehr verhaftet und so lange festgehalten wurden, bis sie ein Bestechungsgeld zahlten, um freigelassen zu werden (DIS 5.2022).

Manche Quellen berichten, dass die Beamt:innen an bestimmten Grenzübergängen Zugang zu einer zentralen Fahndungsdatenbank haben (MBZ 8.2023; vgl. DIS 5.2020). Andere Quellen bestreiten dies hingegen (MBZ 8.2023). Hinzu kommt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste des syrischen Sicherheitsapparats jeweils eigene Fahndungslisten führen (DIS 5.2022; vgl. HRW 20.10.2021). Es kann daher vorkommen, dass der Name einer Person im Rahmen einer Sicherheitsfreigabe von der Fahndungsliste eines Nachrichtendiensts gestrichen wurde, nicht jedoch von der Liste eines anderen Dienstes (DIS 5.2022). Zwischen den Grenzposten und jeder Stadt im Gebiet unter Kontrolle der syrischen Regierung bestehen eine Reihe von Sicherheitspunkten der Nachrichten- und Militärdienste des syrischen Regimes, die voneinander unabhängig agieren (Alaraby 22.1.2023). Obwohl die syrischen Nachrichtendienste einer Reihe von Flüchtlingen die Rückkehr gestatten, gibt es somit keine Garantie, dass die Rückkehrer:innen nicht von den Sicherheitsdiensten verfolgt werden, da es an einer angemessenen Koordinierung zwischen den Nachrichtendiensten fehlt. Im Zusammenhang mit einem Rückführungsprogramm der libanesischen GSO in Koordination mit dem syrischen Nachrichtendienst General Intelligence Directorate (GID) [Anm.: s. dazu auch Abschnitt zur libanesisch-syrischen Grenze] merkte eine Quelle zudem an, dass manchen Personen die Rückkehr eventuell einfach deshalb gestattet wird, weil sie von einer Behörde in Syrien gesucht werden und damit dann Opfer der brutalen Praktiken des Regimes werden (TIMEP 23.1.2023). Manche Rückkehrer:innen bekommen ein Dokument ausgehändigt, welches sie dazu anweist, sich bei einem Nachrichtendienst zu melden (der Politischen Sicherheit, Militärsicherheit, Staatssicherheit [GID]) (FSLA 19.9.2023; vgl. TIMEP 23.1.2023). Wenn sie sich melden, werden sie verhört und aufgefordert, Informationen für das sogenannte Polizeidossier zu liefern. In diesem Dossier wird die Person, gegen die ermittelt wird, aufgefordert, alle männlichen Familienmitglieder aufzulisten, sodass die Sicherheitsbehörde die Akten der Familie innerhalb von 15 Tagen überprüfen kann. Diese Überprüfung entscheidet darüber, ob die zurückkehrende Person eine Reiseerlaubnis und ein „Versöhnungsdokument“ erhält. Obwohl das syrische Regime für „Versöhnungen“ wirbt, sind diese an Bedingungen geknüpft, die das syrische Regime festlegt und die rechtlich als „Unterwerfungsverträge“ einzustufen sind, da die andere Partei keine dieser Bedingungen ändern kann. Das syrische Regime hält sich nicht an die Vereinbarungen und ist dazu übergegangen, Personen unter dem Vorwand persönlicher Anzeigen zu verhaften, auch solche, die sich einer „Versöhnung“ unterzogen haben (FSLA 19.9.2023). Ob jemand bei einem Nachrichtendienst vorstellig werden muss, hängt von vielen Faktoren ab, u. a. davon, wer die zurückkehrende Person ist und welche Kapazitäten die Behörden vor Ort haben. Oft werden Bestechungsgelder an die Ermittler gezahlt, um die Verhöre zu erleichtern und die zurückgekehrte Person schließlich positiv zu bewerten, damit ihre Akte bei den Sicherheitsbehörden geschlossen werden kann (TIMEP 23.1.2023).

Es wurden mehrere Fälle von willkürlicher und illegaler Inhaftierung sowie Fälle von Vergewaltigung, sexueller Gewalt und gewaltsamem Verschwindenlassen von Rückkehrer:innen dokumentiert. Diese Praktiken haben nicht unbedingt etwas mit dem politischen Status der Rückkehrer:innen zu tun - ob sie nun der Opposition angehören oder nicht -, sondern mitunter auch einfach damit, dass sie Flüchtlinge sind oder einem Umfeld angehören, das sich gegen das Regime stellt (TIMEP 23.1.2023).

[…]

Möglichkeiten zum Aufgriff von Wehrdienstverweigerern und Reservisten in Nordwestsyrien und dem Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

Personen, die von der Türkei aus in Gebiete außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes in Nordwestsyrien reisen würden, können nicht von der syrischen Regierung gefunden und zum Dienst in der Armee einberufen werden, weil die syrische Regierung nicht von ihrer Einreise erfahren würde. Bei einer Einreise in die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) über den Grenzübergang Faysh Khabour [Semalka] aus dem Irak erfährt die syrische Regierung offiziell nichts von der Einreise nach Syrien. Daran bestünden laut Fabrice Balanche jedoch Zweifel, da es eine informelle Vereinbarung zwischen der AANES und der syrischen Regierung zu geben scheint. Die syrische Regierung weiß laut Balanche, wer über Faysh Khabour nach Syrien einreist (ACCORD 14.6.2023). Laut dem syrisch-kurdischen Journalisten Hisham Arafat sind es nur Gerüchte, dass es einen Informationsaustausch des syrischen Regimes und der AANES bezüglich einreisender Syrer:innen gibt und laut Bassam al-Ahmad, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) hat die syrische Regierung nicht die Möglichkeit, zu überwachen oder zu kontrollieren, wer das Gebiet betritt (van Wilgenburg 9.10.2023). Laut Balanche könnte es auch sein, dass sich Spitzel der syrischen Regierung in der Region befinden, da die syrische Regierung genau überwache, wer über Faysh Khabour nach Syrien einreist (ACCORD 14.6.2023). Reservisten können jedoch in der AANES-kontrollierten Region nicht von der syrischen Regierung gefasst werden, außer sie betreten von der Regierung kontrollierte Gebiete in Qamischli [kurdisch: Qamishlo] oder al-Hasakah [kurdisch: Hesekê], da beide Städte unter geteilter Kontrolle stehen. In Qamischli gibt es ein Sicherheitsquadrat („security square“), das unter der Kontrolle der syrischen Armee steht, während der Rest der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG) kontrolliert wird (ACCORD 14.6.2023; vgl. van Wilgenburg 9.10.2023). Die Streitkräfte des syrischen Regimes können Personen kontrollieren, wenn diese die Sicherheitsquadrate betreten (van Wilgenburg 9.10.2023). In der Nähe des Flughafens befindet sich eine Zone im Graubereich, wo es möglich ist, von regierungsnahen Kräften festgenommen zu werden (ACCORD 14.6.2023). Der Flughafen wird von Regimekräften kontrolliert. In den ländlichen Gebieten im Süden von Qamishli gibt es auch Kontrollpunkte des syrischen Regimes, an denen Passant:innen angehalten werden können (van Wilgenburg 2.9.2023). In al-Hasakah ist die Regierungskontrolle auf einen sehr kleinen Abschnitt beschränkt, der weniger als einen Quadratkilometer umfasst. Abgesehen von den aufgezählten Regionen ist es für Reservisten in den AANES-kontrollierten Gebieten relativ sicher („quite safe“) (ACCORD 14.6.2023). Es gibt außerdem Kontrollpunkte der syrischen Armee in den Grenzgebieten zu den von der Türkei unterstützten Gruppierungen in der Nähe von Ain Issa [kurdisch: Bozanê]/Tal Tamr [kurdisch: Til Temir] und an der Grenze zur Türkei, aber dort werden keine Personen kontrolliert. Die Kontrollpunkte wurden nach einer von Russland vermittelten Vereinbarung zwischen den Syrian Democatic Forces (SDF) [Anm.: Streitkräfte der AANES] und Damaskus im Oktober 2019 errichtet. Syrische Regierungstruppen sind auch an der Distriktgrenze von Manbij präsent. Diese Kontrollpunkte der syrischen Armee haben nicht die Befugnis, Menschen in den Städten zu kontrollieren, sie dienen der Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023).

Anmerkung: Es wird darauf verwiesen, dass die Beziehung zwischen dem syrischen Regime und den AANES nicht formalisiert ist und Veränderungen unterworfen ist (Jasim/STDOK 10.10.2023). Vgl. hierzu beispielsweise die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen im Gouvernement Deir ez-Zor im September 2023, die zwischen den SDF und Verbündeten des Anführers des Militärrats von Deir ez-Zor ausbrachen, nachdem die SDF den Anführer des eigentlich mit ihr verbundenen Militärrats verhafteten (FR24 4.9.2023) und in deren Verlauf die SDF die syrische Regierung beschuldigten, Truppen in das unter SDF-Kontrolle befindliche Gebiet von Deir ez-Zor östlich des Euphrat zu entsenden (K24 1.9.2023). Dadurch haben sich die Beziehungen zwischen dem syrischen Regime und den AANES verschlechtert (Jasim/STDOK 10.10.2023).

[…]

5 Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES)

Stabilität der Lage

Der Grenzübergang von Semalka/Fishkhabur [Anm.: auch Faysh Khabour, Peshkhabour] ist politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES]. Er stellt die einzige Einreisemöglichkeit für die zahlreichen NGOs dar, welche unverzichtbare Hilfe für die Bevölkerung dieser Region leisten. Da die syrische Regierung für die Einreise über Semalka weiterhin eine Strafe von fünf Jahren Haft vorsieht, müssen die Organisationen darauf achten, keine Aktivitäten in von der Regierung kontrollierten Gebieten durchzuführen. Jeder Akkreditierungsantrag beim Syrischen Roten Halbmond für die Arbeit im Regimegebiet setzt die Zusage der NGO voraus, jegliche Aktivitäten einzustellen, welche die Einreise aus Nachbarländern in das Selbstverwaltungsgebiet bedingen. Während Assad so zumindest einen Aspekt seiner Grenzsouveränität wieder zu erlangen versucht, bemühen sich russische Patrouillen, trotz Widerstands der SDF (Syrian Democratic Forces) bis nach Semalka vorzudringen, und irakische Milizen drohen mit der Besetzung des Grenzübergangs auf irakischer Seite (TWI/Balanche 10.2.2021). Vor den Wahlen am 14.5.2023 drohte auch die Türkei mit einer Invasion in Nordsyrien. Der Widerstand Russlands, Irans und der USA gebot dem jedoch Einhalt. Manche kurdische Aktivist:innen fürchten allerdings, dass die Türkei eine Militäroperation starten könnte, während die Welt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt abgelenkt ist. Gemäß dem Journalisten Wladimir van Wilgenburg, dessen Schwerpunkt auf den Kurdengebieten in Syrien und im Irak liegt, sieht es zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht danach aus (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Türkei übt allerdings durch die Lahmlegung von Infrastruktur Druck aus. Laut Thomas Schmidinger, einem Experten für die Lage in den kurdischen Gebieten Syriens, geht die Türkei ’systematisch’ gegen die zivile Infrastruktur vor und bombardierte Elektrizitätswerke, Getreidesilos sowie die Öl-, Gas- und Wasserversorgung. Mittlerweile sind gemäß Schmidinger alle Städte in der Selbstverwaltungsregion ohne Wasser- und Stromversorgung. Benzin, Öl und Gas sind kaum noch erhältlich, und wenn, dann zu extrem hohen Preisen. Der Großteil der heurigen Getreideernte ist vernichtet und Schmidinger warnt vor einer Hungersnot im Winter (Der Standard 13.10.2023).

Der Journalist Hisham Arafat beschrieb die Lage gegenüber van Wilgenburg als ’fließend’, in der ’Allianzen und Rivalitäten weiterhin wechseln’, wobei aktuell keine größere Machtverschiebung im Nordosten in Sicht scheint. Die SDF haben die Lage großteils unter Kontrolle, vorausgesetzt die USA halten ihre Militärpräsenz im Nordosten aufrecht. Die US-Wahlen im November 2024 könnten diesbezüglich die Lage ändern, falls die Republikanische Partei gewinnt, und den Abzug aus Syrien (und sogar dem Irak) beschließen sollte (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Präsenz von Regierungskräften im Selbstverwaltungsgebiet

’Rojava’ (AANES) erhält nach dem Wissensstand von Hisham Arafat vom September 2021 eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 9.10.2023).

Innerhalb der Städte Qamishli und al-Hassakah gibt es Gebiete unter Regimekontrolle. In Qamishli gibt es einen ’Sicherheitsabschnitt’ (’security square’), der unter der Kontrolle der syrischen Armee steht, während der Rest der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (KR: Yekîneyên Parastina Gel, YPG) kontrolliert wird. In al-Hassaka ist die Regierungskontrolle auf einen sehr kleinen Abschnitt beschränkt, der weniger als einen Quadratkilometer umfasst (ACCORD 14.6.2023). In beiden Städten können die syrischen Sicherheitskräfte beim Betreten der ’Sicherheitsabschnitte’ Kontrollen durchführen. Ein Checkpoint des Regimes befindet sich auch nach der Grenze, und der Flughafen [Anm.: von Qamishli] wird von syrischen Regierungskräften kontrolliert (van Wilgenburg 2.9.2023). In der Vergangenheit wurden einige Journalist:innen in Qamishli von Regierungskräften verhaftet, z. B. ein schwedischer Journalist im Jahr 2015. Dies geschah beim Filmen nach Betreten des ’Sicherheitsabschnitts’ (van Wilgenburg 9.10.2023), wobei der Journalist eine Woche später wieder freigelassen wurde (REU 22.2.2015). Das Betreten der regimekontrollierten Gebiete kann auch ohne Aufforderung zum Vorzeigen eines Identitätsnachweises erfolgen. Allerdings geht es im Sicherheitsabschnitt in al-Hassakah laut einem kurdischen Aktivisten strenger zu (van Wilgenburg 9.10.2023). In der Nähe des Flughafens von Qamishli befindet sich auch eine Zone im Graubereich, wo es ebenso möglich ist, von regierungsnahen Kräften festgenommen zu werden (ACCORD 14.6.2023). Auf dem Land im südlichen Qamishli gibt es ebenfalls syrische Checkpoints, an denen Personen angehalten werden können (van Wilgenburg 2.9.2023), wo es eine Anzahl arabischer Dörfer unter Regimekontrolle gibt (van Wilgenburg 9.10.2023). Die Armee-Checkpoints haben dort auch schon von Zeit zu Zeit US-Patrouillen aufgehalten und gezwungen, wieder wegzufahren (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Checkpoints sind mit Mitgliedern der syrischen Armee (SAA - Syrian Arab Army) oder der National Defence Forces (NDF) besetzt. Einmal kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der NDF und Mitgliedern des Jubour-Stammes, nachdem ein Stammesmitglied im Sicherheitsabschnitt von al-Hassakah beleidigt worden war. Daraufhin entfernte die SAA die NDF-Kämpfer von dem Sicherheitsabschnitt und ersetzte deren Kommandanten wegen Rebellion gegen die Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023).

Überdies gibt es syrische Armee-Positionen in den Gebieten, die an Regionen unter Kontrolle pro-türkischer Gruppen grenzen - nahe Ain Issa/Tal Tamr - sowie an der Grenze zur Türkei. Dort werden jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu gibt es ein Abkommen zwischen den SDF (Syrian Democratic Forces) und dem Regime vom Oktober 2019, das Russland vermittelt hat. Es sind auch Regierungstruppen an der Grenze der Provinz Manbij stationiert. Die Armee-Checkpoints sind nicht in der Lage, Personenkontrollen in den Städten durchzuführen, sie dienen vielmehr zur Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 2.9.2023). In Tal Rifaat ist die Situation laut van Wilgenburg eine andere als in den übrigen Gebieten. Er kann aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden gestatten es allgemein nicht, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einzieht (ACCORD 24.3.2023).

Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF haben der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte bestätigte auf Nachfrage im September 2023, dass die syrische Regierung seines Wissens nach keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne, was auch van Wilgenburg bekräftigte. Die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights (SNHR) gab in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD im August 2023 dagegen an, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei, was bedeute, dass junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (ACCORD 7.9.2023).

Die russischen Einheiten führen von Zeit zu Zeit Patrouillen zusammen mit der türkischen Armee oder den SDF durch. Sie überprüfen auch manchmal Orte, die von der Türkei bombardiert wurden. Sie unterhalten aber keine Checkpoints ebenso wenig wie die US-Armee. Diese betreibt Positionen in den Provinzen Deir ez-Zor und al-Hassakah, deren Perimeter von den SDF geschützt werden (van Wilgenburg 9.10.2023).

In den anderen Gebieten ist es laut Auskunft von Bassam al-Ahmad, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) viele Jahre her, dass die syrische Regierung jemanden festgenommen hat (van Wilgenburg 9.10.2023). Im nördlichen Aleppo, wo kurdische Kräfte aktiv sind, und vertriebene Flüchtlinge aus Afrin in Lagern leben, ist auch das Regime präsent. Dort ist die Lage anders. Mit der Partei der Demokratischen Union (PYD) alliierte Kräfte kontrollieren die Checkpoints von Sheikh Maqsoud und Ashrafiya [Anm.: zwei kurdische Stadtviertel in Aleppo Stadt], welche zuweilen von Regimekräften abgeriegelt werden, um Druck auf die AANES und die SDF auszuüben (van Wilgenburg 9.10.2023).

Anmerkung: Umfangreiche Informationen zum Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien können u. a. den entsprechenden Unterkapiteln zu den Kapiteln „Politische Lage“ und „Sicherheitslage“ der Länderinformationen zu Syrien im COI-CMS der Staatendokumentation (dzt. Version 9 vom 17.7.2023) entnommen werden.

5.1 Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung

Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt

Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka [Anm.: verschiedene Umschriften möglich, z. B. auch Faysh Khabour, Peshkhabour]. Es gibt zwei Flussübergänge - einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der [Anm.: selbst ernannten] Selbstverwaltungsregion AANES (Autonomous Administration of North and East Syria) vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent (van Wilgenburg 9.10.2023).

Auf der irakischen Seite betreibt das Kurdistan Regional Government (KRG) der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter der Leitung von Direktor Shawkat Barbuhari (Berbihary) den Grenzübergang Fishkhabour. Sein Stellvertreter ist Nazim Hamid Abdullah. Hamid Darbandi ist nicht nur Leiter der Abteilung für Public Relations der Präsidentschaft der KRG, sondern auch für die Beziehungen zu Syrien, bzw. den syrischen Kurd:innen. Er spielt eine Rolle bei Genehmigungen, besonders für Ausländer:innen, welche die Grenze überqueren wollen. Einer zweiten syrisch-kurdischen Quelle zufolge werden beide Seiten des Grenzübergangs von den jeweiligen Innenministerien der kurdischen Regionalverwaltungen KRG und AANES betrieben. So sind es auch auf der irakischen Seite Asayish der KRI (Kurdistan Region Irak) bzw. der KDP, welche in manchen Fällen Personen bei der Einreise aus Syrien oder ihrer Rückkehr befragen, insbesondere, wenn es sich um Ausländer:innen handelt, die nach Syrien reisen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Der Grenzübergang Semalka gilt politisch, humanitär und wirtschaftlich als Lebensader der AANES. Nur hier können laut Thomas Schmidinger auch politische Delegationen, NGOs und andere humanitäre Organisationen den Norden und Osten Syriens erreichen (Al-Monitor 21.5.2023).

Behandlung bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour

Es gibt laut Wladimir van Wilgenburg nur wenige Rückweisungen am Grenzübergang (van Wilgenburg 9.10.2023).

Dabei handelt es sich auf irakischer Seite um Fälle mit politischem Hintergrund, etwa Personen, gegen die in der KRI Dossiers vorliegen. So wurde Syrer:innen das Betreten der KRI wegen des Verdachts einer Verbindung zur PKK, YPG oder PYD (Kurdische Arbeiterpartei, Volksverteidigungseinheiten, Partei der Demokratischen Union), syrischen Nachrichtendiensten oder pro-türkischen Milizen wie der SNA (Syrian National Army) und FSA (Freie Syrische Armee) verwehrt. Personen mit wahrgenommenen Verbindungen zur Selbstverwaltung (AANES), YPG oder SDF (Syrian Democratic Forces) erlangen laut Einschätzung eines von van Wilgenburg befragten Aktivisten nicht so leicht Zutritt (van Wilgenburg 9.10.2023). Auf der syrischen Seite wurde auch syrischen Bewohner:innen der KRI die Rückkehr nach Syrien von AANES-Kräften verweigert - und zwar wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur PDK-S (dem syrischen Zweig der irakischen KDP der Barzani-Familie), zum Kurdish National Council (KNC) [Kurdischer Nationalrat, von Barzani unterstützter Zusammenschluss kurdischer Parteien] oder zu türkischen Nachrichtendiensten, syrischen Oppositionsmilizen (SNA, FSA) oder dem Islamischen Staat etc. (van Wilgenburg 9.10.2023). Laut van Wilgenburg war es früher für Mitarbeiter:innen der AANES bzw. des Syrian Democratic Council (SDC) [Anm.: Syrischer Demokratischer Rat, politisches Gremium der AANES] leichter, in die KRI einzureisen, während in den letzten Jahren die Einreise durch die KRI verweigert wurde. Gleichzeitig hat die AANES ihrerseits Vertreter:innen des KNC die Einreise verweigert. Hintergrund sind die verstärkten Spannungen zwischen der PKK und der KDP im irakischen Kurdistan. Die syrische PYD ist mit der PKK verbunden, bzw. steht ihr nahe, während der KNC und PDK-S der KDP bzw. KRG nahestehen. Nach früheren, nie umgesetzten Vermittlungsabkommen gab es auch einen Versuch der USA im Jahr 2020, einen Dialog zwischen den beiden Seiten zu vermitteln, der scheiterte. Oft kam es nach dem Bruch der Abkommen zu Spannungen, und die Grenzübergänge wurden geschlossen, und die beiden Seiten verweigerten jeweils den KNC-Funktionären oder den PYD-Vertreter:innen die Einreise (van Wilgenburg 9.10.2023).

Es kommt auch zu Fällen, wo die Grenzen ganz für Grenzübertritte geschlossen sind, und von beiden Seiten kein Passieren möglich ist (van Wilgenburg 9.10.2023).

Es gibt nicht viele Verhaftungen direkt an der Grenze, auch wenn Leuten die Einreise verweigert wird. Einige Fälle von Verhaftungen und Misshandlungen ereigneten sich laut Hisham Arafat in den letzten Jahren aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer (bewaffneten) Gruppe (van Wilgenburg 9.10.2023) oder weil die Betreffenden den Wehrdienst in der HXP (Selbstverteidigungseinheiten der AANES) vermieden hatten (van Wilgenburg 9.10.2023, van Wilgenburg 17.10.2023). Direkt am Grenzübergang kommt es nicht zu Misshandlungen (van Wilgenburg 9.10.2023).

So erwähnte Arafat das Beispiel von Regin Sherro, einer Korrespondentin des Medienunternehmens Rudaw, die von Asayish der AANES wegen ihrer Arbeit für Rudaw misshandelt wurde. Rudaw ist eine der führenden Fernsehstationen in der KRI. Sie hatte vor sechs Jahren politische Differenzen mit der „von der PKK kontrollierten“ AANES. Dies ereignete sich jedoch nicht an der Grenze, ebenso wie andere Vorwürfe von Folter und Tod in Haft (van Wilgenburg 9.10.2023).

Aufseiten der KRI wurden einige syrische kurdische Aktivist:innen durch KRI-Sicherheitskräfte misshandelt, weil sie verdächtigt wurden, mit der PKK oder anderen kurdischen Parteien in Verbindung zu stehen - so z. B. in einigen Fällen im Jahr 2015. Aber dies geschah auch nicht direkt an der Grenze (van Wilgenburg 9.10.2023).

Bassam al-Ahmad, der geschäftsführende Direktor von Syrians for Truth and Justice, gibt an noch nie von Verhaftungen oder Misshandlungen auf einer der beiden Seiten [direkt] an der Grenze gehört zu haben. Auch andere syrisch-kurdische Quellen bestätigten, dass es keine Verhaftungen an der Grenze gab (van Wilgenburg 9.10.2023).

Ausweisungen von kurdischen Syrer:innen aus dem AANES-Gebiet in die KRI

Die Asayish gehen auch von Zeit zu Zeit gegen Unterstützer:innen des KNC im Gebiet der AANES vor, brennen ihre Büros nieder oder diese werden von den lokalen AANES-Behörden geschlossen. Der Spitzenvertreter des KNC Ibrahim Birro wurde im August 2016 verhaftet und ausgewiesen. Auch syrisch-kurdische Journalist:innen mit KNC-Sympathien wurden in die KRI ausgewiesen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Legalität der Einreise via Fishkhabour/Semalka

Dastan Jasim weist darauf hin, dass dieser Grenzübergang weder von Syrien noch vom Irak offiziell anerkannt ist, und das Queren der Grenze ist illegal, auch wenn dies in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt wird, weil sich beide Seiten unter kurdischer Kontrolle befinden (Jasim/STDOK 10.10.2023). Reist jemand aus dem Irak über Fishkhabour nach Syrien ein, ist keine legale Einreise in von der Regierung kontrollierte Gebiete möglich, so der Syrienexperte Fabrice Balanche. Wenn eine aus dem Ausland einreisende Person etwa nach Damaskus reisen wollte, müsste sie über einen offiziellen Grenzübergang unter Kontrolle der syrischen Regierung, etwa über den Libanon oder die jordanisch-syrische Grenze, einreisen. Eine Einreise über den Grenzübergang Fishkhabour gilt nicht offiziell als Einreise nach Syrien und der Reisepass wird nicht abgestempelt. Man erhält bei der Einreise lediglich ein ’Papiervisum’. Sollte eine Person, dennoch versuchen, zum Beispiel nach Damaskus weiterzureisen, würde sie festgenommen (ACCORD 14.6.2023). 4

Semalka ist daher für viele Leute im Nordosten Syriens der bevorzugte Grenzübergang, weil er nicht von der syrischen Regierung anerkannt oder verwaltet wird. Der fehlende Eintrag im Reisepass ist auch für diejenigen Syrer:innen wichtig, die Angst haben, ihre Aufenthaltsgenehmigung im Ausland als Flüchtlinge zu verlieren, wenn ihre Reise nach Syrien aufscheinen würde (Al-Monitor 21.5.2023).

Für Zivilist:innen ist das Überqueren der irakisch-syrischen Grenze abseits der Benutzung von Semalka großteils gefährlich, zumal diese schwer durchdringbar ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

[…]

Öffnungen und Schließungen des Grenzübergangs

Der Grenzübergang ist aktuell [Stand 9.10.2023] offen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Semalka und Yaroubiya [Anm.: für Güter - siehe Unterkapitel ’Grenzübergänge’, auch Yaarubiyah] können von Schließungen betroffen sein. Semalka wird gelegentlich aus politischen Gründen von der KRG geschlossen, besonders wenn sich Spannungen zwischen der im Nordirak dominanten KDP und der PYD, welche die AANES dominiert, zuspitzen. Allerdings dauern diese Blockaden nicht lange, weil der Handel für beide Seiten sehr profitabel ist. Zwischen den beiden Autonomieverwaltungen gibt es ’diplomatische’ Beziehungen. Seit der Militäroffensive ’Claw Eagle Operations’ der Türkei im Jahr 2019 erhöht diese den Druck auf die KRG und den Irak, die Grenze zur AANES zu schließen, um diese zu isolieren (Jasim/STDOK 10.10.2023). Laut van Wilgenburg sorgten die Spannungen zwischen der KRG und der AANES und den mit ihr verbundenen Streitkräften besonders im Zeitraum 2013 bis 2018 für Schließungen von Semalka. Seither wurden die Schließungen weniger und die letzte war im Mai 2023, als die PYD bzw. AANES KNC-Funktionär:innen nicht erlaubte, zu einer Museumseröffnung in die KRI zu reisen. Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung aufgrund von Spannungen zwischen der KDP und PYD nach einem Protest oder Angriff einer PKK-Jugendgruppe an der Grenze. Im Jahr 2020 war die Grenze wegen der COVID-19-Pandemie geschlossen (van Wilgenburg 9.10.2023). Im Dezember 2021 kam es zu einer Schließung, die 40 Tage andauerte. Während der Schließung im Juni 2021 zum Höhepunkt neuerlicher inner-kurdischer Spannungen war der Grenzübergang für Reisende gesperrt, aber nicht für den humanitären Bereich (Al-Monitor 21.5.2023).

Gelegentlich zeigt auch die irakische Zentralregierung ihren Unmut über die Existenz der inoffiziellen Grenzübergänge der KRG, was dann dazu führt, dass diese für einige Tage geschlossen werden, bis die Aufmerksamkeit der Regierung geschwunden ist (Jasim/STDOK 10.10.2023).

Im Fall von Schließungen ist Nordost-Syrien dann nur über das Regierungsgebiet erreichbar (Al-Monitor 21.5.2023). Die KDP hat bisher auch im Fall von Schließungen immer Nahrungsmittel und Medikamente passieren lassen (CAP 26.5.2021).

Die Selbstverwaltung AANES ist (auch) an der irakischen Grenze an den essenziellen Grenzübergängen Fishkhabour und Yaroubiya mit Gefahren konfrontiert. Das Grenzgebiet ist politisch zwischen PKK, irakischen Sicherheitskräften, schiitischen Milizen und mit Barzani verbündeten KDP-Kräften umstritten. Die Türkei hat überdies gedroht, im nahe gelegenen Sinjar zu intervenieren, was die Lage völlig verändern würde. Vor dem Hintergrund des Eigeninteresses der US-Truppen an einer offenen Grenze und der Abhängigkeit der KDP von US-Unterstützung sollten die USA jedoch in der Lage sein, das Thema Fishkhabour zu regeln (CAP 26.5.2021).

Der Yarubiya-Grenzübergang ist insofern eine eigene Thematik, als dort nach einem russischen Veto im UN-Sicherheitsrat seit Jänner 2020 keine humanitäre Hilfe der UNO mehr passieren darf. Das schränkt die Einfuhr von essenziellem Medizinbedarf in die AANES ein - auch während der Pandemie gab Russland nicht nach (CAP 26.5.2021).

Informierung der syrischen Regierung über das Passieren des Grenzübergangs Semalka

Sowohl Hisham Arafat wie auch Bassam al-Ahmad sagten gegenüber van Wilgenburg aus, dass die syrische Regierung nicht am Grenzübergang präsent ist und keine Kontrollmöglichkeit hat (van Wilgenburg 9.10.2023). Bei einer Einreise in die AANES über den Grenzübergang Fishkhabour aus dem Irak erfährt die syrische Regierung offiziell nichts von der Einreise nach Syrien. Daran bestehen jedoch laut Balanche Zweifel, da eine informelle Vereinbarung zwischen der AANES und der syrischen Regierung zu bestehen scheint. Die syrische Regierung weiß seines Erachtens, wer über Fishkhabour nach Syrien einreist (ACCORD 14.6.2023). Laut dem kurdischen Journalist Hisham Arafat gibt es nur Gerüchte über einen Informationsaustausch zwischen AANES und der syrischen Regierung (van Wilgenburg 9.10.2023). Es könnte laut Balanche jedoch auch sein, dass sich Spitzel der syrischen Regierung in der Region befinden, da die syrische Regierung genau überwache, wer über Fishkhabour nach Syrien einreise (ACCORD 14.6.2023).

5.2 Internationale Grenzübergänge

Die folgende Karte zeigt einige Grenzübergänge zwischen Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) und den Nachbarländern Türkei und Irak:

Die Grenzübergänge zum Irak

Am 5. Juni 2023 öffnete der Grenzübergang Semalka/Fishkhabour wieder nach fast einem Monat Schließung (iMMAP 13.7.2023) [Anm.: Für mehr Informationen zu immer wieder vorkommenden Schließungen siehe Unterkapitel ’Einreisebestimmungen und ihre Umsetzung’].

Der südlich von Semalka befindliche Grenzübergang al-Waleed wird nur für Güter verwendet, nicht für Personenverkehr. Laut kurdischen Aktivisten kam es jedoch schon vor, dass Leute diesen (Land-) Grenzübergang wegen Überschwemmungen verwendeten, die eine Überquerung per Boot erschwerten. Einmal ertrank eine Person bei der Grenzüberquerung über den Fluss aufgrund des Regenfalls (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Selbstverwaltungsregion verfügt auch über den Grenzübergang Rabia/Yaroubiya, aber der Irak verbietet seine Nutzung für Personenverkehr (van Wilgenburg 9.10.2023). Seit 2020 ist der Grenzübergang nach einem Veto Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat geschlossen. Gelegentlich wird er für US-Militärfahrzeuge geöffnet (Jasim/STDOK 10.10.2023).

70 bis 100 LKW-Ladungen mit kommerziellen Gütern werden täglich via Semalka in die AANES gebracht und 150 bis 200 LKW-Ladungen werden pro Tag via al-Waleed eingeführt. Al-Waleed ist zentral für den Export des lokal geförderten Rohöls, das eine Haupteinnahmequelle der AANES darstellt (Al-Monitor 21.5.2023). Eine temporäre Schließung wie vom 20. Mai bis 5. Juni 2023 sorgte für das Fehlen wichtiger Güter in der AANES. Laut Welternährungsprogramm verteuerten sich die Waren innerhalb weniger Tage - im Fall von Zucker um 16% (UNSC 22.6.2023).

Manchmal haben sowohl die Partei der Demokratischen Union (PYD) als auch der Kurdische Nationalrat (KNC) während Spannungen zwischen den beiden Seiten Schmuggler zum Überqueren der Grenze verwendet. Auch einige Menschen, denen die Einreise verweigert wurde, sind gezwungen, auf Schmuggler zurückzugreifen (van Wilgenburg 9.10.2023).

Die Grenzübergänge zur Türkei

Anmerkung: Für Informationen zur Lage an den Grenzübergängen in Gebiete unter Kontrolle von mit der Türkei verbundenen Gruppierungen, s. Kap. „Nordwestsyrien: Gebiet unter Kontrolle der Syrischen Heilsregierung (SSG) und Syrischen Interimsregierung (SIG)“.

- Ain al-Arab (Kobani): Auf der türkischen Seite liegt der Grenzübergang Mursitpinar von Sanliurfa-Suruc. Der Grenzübergang ist seit 1970 geschlossen, war aber zumindest im Jahr 2014 (trotz Präsenz der Volksverteidigungseinheiten YPG) gelegentlich für humanitäre Transporte einschließlich der Evakuierung von Verwundeten offen (Al-Monitor 30.4.2014).

- Darbasiyah gegenüber von Senyurt ist seit 1953 geschlossen (Al-Monitor 30.4.2014).

- Qamishli liegt gegenüber dem türkischen Nusaybin. Auch dieser Grenzübergang ist wegen der YPG-Präsenz geschlossen. Im März 2014 wurde einem UN-Hilfskonvoi das Passieren des Grenzübergangs erlaubt (Al-Monitor 30.4.2014).

Als Faustregel gilt laut einem älteren al-Monitor-Artikel, dass Grenzübergänge zur Türkei, wenn sie auf syrischer Seite von Kurden oder dem ’Islamischen Staat’ gehalten werden, von türkischer Seite geschlossen werden (Al-Monitor 30.4.2014).

Auflistung bedeutsamer Grenzübergänge:

[…]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerdeschrift sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Syrien (Stand 17.07.2023). Zudem wurde ein Fremdenregisterauszug zur Person des Beschwerdeführers amtswegig eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Glaubenszugehörigkeit basieren auf den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Administrativverfahren (Erstbefragung am 04.11.2022, AS 7 f; niederschriftliche Einvernahme am 30.10.2023, AS 71). Zumal der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden zwar einen Auszug aus dem Personenregister in Vorlage gebracht hat (AS 79 f), nicht jedoch ein identitätsbezeugendes Dokument, wie etwa einen Reisepass oder Personalausweis, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA, aus dem Dorf XXXX (auch: XXXX ) zu stammen (Protokoll vom 30.10.2023, AS 71), die – in anderer Schreibweise – derart auch in der Beschwerde bestätigt wurden (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328), stellen sich vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme seinen Geburtsort korrigierte (Protokoll vom 30.10.2023, AS 70), als glaubhaft dar. Zudem stimmt es mit seinen Aussagen überein, dass Manbidsch sich in der Nähe befinde (https://www.google.at/maps/dir/ XXXX , Zugriff am 18.01.2024). Seine Schilderungen in Zusammenhang mit seinem Schulbesuch (Protokoll vom 04.11.2022, AS 8; Protokoll vom 30.10.2023, AS 71; Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328) stellen sich als miteinander in Einklang stehend dar. Hinsichtlich seiner Darlegungen zu seinen Erwerbstätigkeiten (Protokoll vom 30.10.2023, AS 71; Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328) haben sich keine Bedenken ergeben. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes noch vermeinte, im März 2015 aus Syrien in die Türkei ausgereist zu sein (Protokoll vom 04.11.2022, AS 10), vor dem BFA hingegen, dass seine Ausreise bereits Ende Dezember 2014 erfolgt wäre (Protokoll vom 30.10.2023, AS 72), konnte seine Ausreise lediglich grob mit Ende 2014, Anfang 2015 festgestellt werden. Seine Angaben zur Ausreise aus der Türkei im Oktober 2022 (Protokoll vom 04.11.2022, AS 10 und AS 11) sind vor dem Hintergrund seiner Asylantragstellung in Österreich am 03.11.2022, wie im Erstbefragungsprotokoll verschriftlicht (Protokoll vom 04.11.2022, AS 8) und im Fremdenregisterauszug vermerkt, plausibel, ebenso die dabei genannten Durchreisestaaten (Protokoll vom 04.11.2022, AS 11).

Die Angaben zu seinen Familienangehörigen und deren Aufenthaltsorten (Protokoll vom 04.11.2022, AS 9) bestätigte der Beschwerdeführer vor dem BFA (Protokoll vom 30.10.2023, AS 71), zum in Österreich aufhältigen Bruder ist zudem die IFA-Zahl aktenkundig (Protokoll vom 30.10.2023, AS 72).

Der Bescheid des BFA vom 22.11.2023 ist im Verwaltungsakt befindlich (AS 155 ff).

2.3. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers

Dass sich das Dorf XXXX sowie auch das gesamtes Umgebungsgebiet im Gouvernement Aleppo unter kurdischer Kontrolle befindet, lassen einerseits die Länderberichte (vgl. Punkt II. 1.3.1.), andererseits auch die tagesaktuelle Karte des Bürgerkriegs in Syrien (https://syria.liveuamap.com/# , Zugriff am 18.01.2024) sowie die historische Karte zu Syrien (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html , Zugriff am 18.01.2024) erkennen. Auch der Beschwerdeführer selbst schilderte, dass sein Heimatdorf unter kurdischer Kontrolle stehe (Protokoll vom 30.10.2023, AS 71; Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328). Dass sich Manbidsch, Provinz Aleppo Land, unter Kontrolle der SDF befindet und diese einer Verlegung von syrischen Truppen in diese Region zustimmten, weshalb sich dort auch Regierungstruppen aufhalten, in der Region operieren und als solche Präsenz zeigen, ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen in den Länderfeststellungen bzw. den dort abgebildeten Karten, welche die Kontroll- und Einflussgebiete verschiedener Akteure in Syrien skizzieren sowie die historische Online-Karte zu Syrien (vgl. https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html , Zugriff am 18.01.2024). Dass eine gleichwertige gemeinsame Kontrolle jedoch nicht besteht, lässt sich bereits den Länderberichten selbst entnehmen, denen zufolge syrische Behörden in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten – mit Ausnahme der „Sicherheitsquadrate“ in Qamishli und Deir ez Zor (konkret al-Hassakah) – etwa keine Rekrutierungen vornehmen können bzw. die syrischen Behörden von sich aus auch keine Rekrutierungen von Wehrpflichtigen in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten vornehmen, da sie diese als illoyal ansehen. In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang nichts Gegenteiliges aufgezeigt: Alleine die Präsenz des syrischen Regimes (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 335 und AS 345) ist nicht gleichzusetzen mit einer Zugriffsmöglichkeit (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328). Schließlich wird dies selbst in der Beschwerdeschrift dahingehend relativiert, als dass Rekrutierungsmöglichkeiten ausschließlich in Enklaven und Sicherheitsdistrikten bestehen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 345 f). Die in der Beschwerde zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 346) ist vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer gerade nicht in einer Enklave oder Sicherheitsdistrikt beheimatet war, nicht auf diesen anwendbar.

Eine in der Vergangenheit liegende Verfolgung brachte der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vor (und ist auch im Beschwerdevorbringen nicht ersichtlich); er verneinte sämtliche Nachfragen der belangten Behörde in Hinblick auf etwaige Konventionsgründe (Protokoll vom 30.10.2023, AS 73 f). Durchwegs betonte der Beschwerdeführer hingegen, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben und weil er nicht zum Militär wolle (Protokoll vom 04.11.2022, AS 12; Protokoll vom 30.10.2023, AS 73).

In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer Syrien noch als Minderjähriger verlassen hat, stellen sich seine Angaben, dass er seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat (Protokoll vom 30.10.2023, AS 73), als glaubhaft dar. Er selbst verneinte explizit, ein Wehrdienstbuch bzw. einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben (Protokoll vom 30.10.2023, AS 73). Zumal der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Verlassens von Syrien unstrittig 15 oder knapp 16 Jahre alt gewesen ist, war festzustellen, dass eine Wehrdienstverweigerung des Beschwerdeführers gar nicht in Betracht kam. Der Beschwerdeführer war folglich zum Ausreisezeitpunkt zu jung, um den Wehrdienst abzuleisten, was auch in den Länderberichten derart seine Deckung findet, nach welchen die Ableistung des Wehrdienstes für männliche syrisches Staatsbürger ab einem Alter von 18 Jahren gesetzlich verpflichtend ist (vgl. Punkt II. 1.3.3.).

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers hat jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach, seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Der Beschwerdeführer brachte im Zuge seiner Erstbefragung vor, dass er Syrien aufgrund des Bürgerkrieges verlassen habe und weil er keinen Militärdienst machen und keine Waffen tragen wolle (Protokoll vom 04.11.2022, AS 12).

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er Syrien verlassen habe, weil dort Krieg herrsche und er nicht zum Militär wolle. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er, ins Gefängnis zu kommen oder zum Militär gehen zu müssen (Protokoll vom 30.10.2023, AS 73 und AS 74).

In Hinblick auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers gilt nun auszuführen wie folgt:

2.3.1. Zum Vorbringen einer Rekrutierung durch die syrische Regierung

Eine in der Vergangenheit liegende Verfolgung seitens des syrischen Regimes brachte der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt vor (und ist auch im Beschwerdevorbringen nicht ersichtlich).

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 und 42 Jahren die Ableistung des Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (vgl. Punkt II. 1.3.3.).

Zum Entscheidungszeitpunkt ist der Beschwerdeführer entsprechend seinen Angaben bald 25 Jahre alt, weshalb er sich grundsätzlich im wehrdienstfähigen Alter des syrischen Regimes befindet. Dass für ihn bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien dennoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, zum Wehrdienst der syrischen Armee eingezogen zu werden, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

Wie bereits ausgeführt, befindet sich das Heimatgebiet des Beschwerdeführers unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und können die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen. Lediglich in den „Sicherheitsquadraten“ gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten auseinander (vgl. Punkt II. 1.3.3.). Die staatlichen Behörden haben damit in der Heimatregion des Beschwerdeführers keinen Zugriff auf diesen. Vor diesem Hintergrund vermögen die in der Beschwerdeschrift zitierten UNHCR-Erwägungen – denen, wie in der Beschwerde zutreffend dargelegt (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 344 und AS 351), besondere Beachtung zu schenken, eine Bindung der Asylbehörden jedoch nicht gegeben ist (vgl. zuletzt etwa VwGH 03.07.2023, Ra 2023/14/0182 mit Hinweis auf VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0457) – zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 331 ff) und der UNHCR-Bericht vom 07.05.2020 (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 332) keine Entscheidungsrelevanz entfalten. Auch der EUAA-Auszug, die angeführten Zitate aus Länderberichten zum Personalbedarf des syrischen Militärs und zur Befreiung sowie die ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juni 2023 (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 333 ff und AS 350) treffen in Anbetracht der kurdischen Kontrolle seiner Heimatregion auf den Beschwerdeführer nicht zu.

Auch bei einer Rückkehr in sein Heimatgebiet kann daher nicht von einer Verfolgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden, weil dieses Gebiet nach wie vor unter kurdischer Kontrolle steht und – wie noch weiter auszuführen sein wird – ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar ist. Für den Beschwerdeführer besteht in Anbetracht dessen gerade keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, eine Verfolgung seitens des syrischen Regimes erfahren zu müssen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 335, AS 344 und AS 346). Insbesondere steht nicht nur das Dorf XXXX unter der Kontrolle des kurdischen Regimes, sondern auch das gesamte Umgebungsgebiet. Der Beschwerdevorwurf, wonach die Heimatregion zu eng geografisch eingegrenzt worden sei (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 346), trifft somit schlichtweg nicht zu und verfügt das syrische Regime – wie zuvor ausgeführt – lediglich in Enklaven und Sicherheitsquadraten über Zugriffsmöglichkeiten. Der in der Beschwerde zitierte EUAA-Auszug (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 336) trifft vor diesem Hintergrund auf den Beschwerdeführer nicht zu. Auch die auszugsweise wiedergegebene Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom Juni 2023 (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 334) stellt ausschließlich auf von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete bzw. deren Möglichkeit dazu ab.

Dem Beschwerdeführer droht daher im Falle einer Rückkehr nach XXXX nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Rekrutierung durch die syrische Regierung bzw. Armee, ebenso wenig darauf aufbauende Konsequenzen einer etwaigen Wehrdienstverweigerung bzw. die maßgebliche Gefahr, dass er sich hier an völkerrechtswidrigen militärischen Aktionen beteiligen müsste, wie in der Beschwerde vorgebracht (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328 und AS 331).

Das BFA hat daher insgesamt zusammenfassend richtig erkannt, dass der Beschwerdeführer eine konkrete, ihn unmittelbar betreffende asylrelevante Bedrohungen oder Vorfälle, wie auch ihn unmittelbar betreffende Rekrutierungsversuche, nicht vorgebracht hat und er insgesamt auch keine künftige ihn unmittelbar konkret betreffende asylrelevante Gefährdung in Hinblick auf das syrische Regime vorbringen bzw. glaubhaft machen konnte.

2.3.2. Zum Vorbringen einer Rekrutierung durch die kurdische Selbstverwaltung bzw. kurdischen Milizen

Hinsichtlich einer Einziehung zum Wehrdienst durch kurdische Kräfte ist festzuhalten, dass mit Stand Juni 2022 das Dekret Nr. 3 vom 4.9.2021 weiterhin in Kraft ist, welches Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) zum „Wehrdienst“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ verpflichtet (vgl. Punkt II. 1.3.3.).

Es bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).

Die relevanten Länderfeststellungen, welche in Anbetracht ihres Aktualisierungsdatums 17.07.2023 weitaus aktueller sind, als die in der Beschwerde (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 336 f) angeführten UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, die zuletzt im März 2021 aktualisiert wurden (vgl. https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=6213ab6a4 , Zugriff am 18.01.2024) bzw. auch aktueller sind, als die zitierten EUAA-Berichte vom September 2022 (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 336), führen aus, dass die kurdischen Autonomiebehörden eine allfällige Verweigerung einer Einziehung zur Selbstverteidigung nicht als Ausdruck einer bestimmten, zB gegnerischen, Gesinnung ansehen. Der Wehrdienst ist mit ca. einem Jahr, im Falle einer früheren Entziehung mit berichtsweise max. 15 Monaten Dauer beschränkt und es werden berichtsweise die Rekruten normalerweise im Bereich des Nachschubs oder der Objektbewachung eingesetzt. Es wird nicht übersehen, dass die Länderinformationen auch teilweise davon ausgehen, dass eine, berichtsweise ein- bis zweiwöchige Inhaftierung für Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, vorgesehen sein kann; nach einer Quelle, um in dieser Zeit die Einziehung und den Ort der Dienstversehung zu planen.

Aus den relevanten Informationen der aktuellen Länderberichte selbst lässt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 349 f) nun weder ableiten, dass mit der Versehung der „Wehrpflicht“ im Rahmen der kurdischen Selbstverwaltung eine unverhältnismäßige Belastung noch eine unverhältnismäßige Bestrafung der betroffenen Personen im Falle der Entziehung einhergeht. Insbesondere ist hervorzuheben, dass mit einer Entziehung von der Wehrpflicht nicht automatisch die Unterstellung einer politischen Gegnerschaft durch die Autonomiebehörden stattfindet. Den Länderinformationen kann darüber hinaus nicht entnommen werden, dass eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Beteiligung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen gegeben wäre.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass hinsichtlich den Ergebnissen aus der Erstbehandlung es zwar zu berücksichtigen bleibt, dass diese insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient, nicht hingegen zur Erfragung der näheren Fluchtgründe, weshalb der Annahme, dass ein Asylwerber immer alles, was zur Asylgewährung führen könne bereits in der Erstbefragung vorgebracht werde, nicht beigetreten werden kann (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/19/0419). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429 mit Hinweis auf VwGH 14.06.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gegenständlich ist jedenfalls aber bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung, als auch in seiner niederschriftlichen Einvernahme etwaige Verfolgungsbefürchtungen seitens kurdischer Kräfte gänzlich unerwähnt ließ. Wenn in der Beschwerde dazu ausgeführt wird, dass es Amtswissen darstelle, dass für den Beschwerdeführer im von den Kurden kontrollierten Herkunftsgebiet die Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die kurdische Volksverteidigungseinheit bestehe, weil er im wehrpflichtigen Alter sei (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 329), so gilt drauf hinzuweisen, dass beim Beschwerdeführer mehrmals nachgefragt wurde, ob er alle Fluchtgründe genannt habe – was er bejahte – bzw. ob es weitere Fluchtgründe gebe – was er verneinte (Protokoll vom 30.12.2023, AS 73).

Daraus folgt, dass eine allfällige Einziehung des – mittlerweile bereits fast 25-jährigen, jedoch nach 1998 geborenen – Beschwerdeführers zum „Wehrdienst“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ nicht mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit bezüglich einer Beteiligung an völkerrechtswidrigen Militär- bzw. Kriegsaktionen verbunden ist. Auch folgt daraus, dass ihm im Entziehungs- und Weigerungsfall weder mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige Bestrafung noch die Unterstellung einer politischen Gegnerschaft seitens der Autonomiebehörden droht.

2.3.3. Zum Vorbringen einer Verfolgung aufgrund als Familienangehöriger

Das Vorbringen in Zusammenhang mit den nicht mehr in Syrien wohnhaften Familienangehörigen des Beschwerdeführers (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 328 und AS 337 bis AS 339), verblieb auf der bloßen Behauptungsebene und ist zudem vor dem Hintergrund zu betrachten, dass der Beschwerdeführer aus einem kurdisch kontrollierten Gebiet stammt und das syrische Regime somit nicht auf ihn zugreifen kann. Die Auszüge aus dem Länderinformationsblatt in der Beschwerdeschrift (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 337 bis AS 339) beziehen sich ausschließlich auf vom Regime kontrollierte Gebiete. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch das syrische Regime wird dadurch nicht aufgezeigt. Damit in Einklang steht auch, dass die Mutter und zwei Schwestern unbehelligt in der Heimatregion des Beschwerdeführers leben vermögen (Protokoll vom 04.11.2022, AS 9; Protokoll vom 30.10.2023, AS 72).

2.3.4. Zum Vorbringen einer Verfolgung aufgrund einer dem Beschwerdeführer unterstellten oppositionellen Haltung als Rückkehrer

Es ist zwar nicht zu verkennen, dass Berichte Menschenrechtsverletzungen gegenüber Rückkehren darlegen, wie auch in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wurde (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 339 ff). Das Gericht verkennt auch nicht, dass die Schwelle von Personen, die seitens des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist sowie, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es übersieht weiters nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. ihnen zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Bei diesen Berichten handelt es sich jedoch um Einzelfälle. Die Berichte zeigen dabei, insbesondere auch unter Betrachtung der hohen Anzahl von Personen, die in den letzten Jahren nach Syrien zurückgekehrt sind, das Bestehen einer verfahrensrelevanten Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer einer unmittelbar konkret systematischen und asylrelevanten Bedrohung iSd § 3 AsylG 2005 ausgesetzt sei, gegenständlichen nicht auf.

Aus den getroffenen Feststellungen zur Lage in Syrien ergibt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 329, AS 330 und AS 351) somit nicht, dass gleichsam jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird (vgl. etwa auch VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147). Ebenso wenig genügt eine Asylantragstellung in Österreich für die Asylzuerkennung, da diese Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt ist, zumal es den österreichischen Behörden ohnedies untersagt ist, diesbezüglich Daten an die syrischen Behörden weiterzuleiten. Zwar geht, wie im obigen Absatz ausgeführt, aus den Länderberichten hervor, dass es nach wie vor willkürliche Verhaftungen und andere Repressionen gegenüber Rückkehrern gibt und verschiedene Quellen immer wieder von derartigen Einzelfällen berichten, allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, dass Rückkehrer per se als politisch oppositionell angesehen würden oder der weitaus überwiegende Teil aller Rückkehrer systematischen Repressionen ausgesetzt wäre (vgl. Punkt II. 1.3.5.).

Der Beschwerdeführer würde jedoch gegenständlich ohnedies nicht in ein Gebiet des syrischen Regimes zurückkehren, sondern in ein von den kurdisch dominierten SDF kontrolliertes Gebiet. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein aufgrund seiner Ausreise als Minderjähriger und der Asylantragstellung im Ausland ist daher entgegen dem Beschwerdevorbringen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 339 ff) nicht wahrscheinlich. Die im Zuge der Beschwerde zitierten UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 340 f und AS 353 f), die Auszüge aus dem Länderinformationsbericht (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 341 f) und die EUAA- sowie Anmesty-Berichte (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 342 f) treffen vor diesem Hintergrund auf den Beschwerdeführer nicht zu. Es konnten im gesamten Verfahren – entgegen dem Beschwerdevorbringen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 340 und AS 353 f) – keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte ermittelt werden, dass der Beschwerdeführer mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit unmittelbar konkret persönlich gefährdet ist, im Herkunftsstaat bei einer Rückkehr nach XXXX im Gouvernement Aleppo wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung unmittelbar und konkret aus asylrelevanten Gründen verfolgt zu werden.

Abschließend konnte somit in einer Gesamtschau der vorangegangenen Ausführungen eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers durch die syrische Regierung bzw. die kurdischen Machthaber in der Heimatregion des Beschwerdeführers nicht erkannt werden.

Im Ergebnis vermochte der Beschwerdeführer entgegen dem Beschwerdevorbringen (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 344) zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt mit seinem Vorbringen nicht aufzuzeigen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht worden zu sein bzw. in Zukunft zu werden.

2.3.5. Erreichbarkeit der Herkunftsregion

Was die Heimatregion des Beschwerdeführers betrifft, so steht diese, wie bereits unter Punkt II. 2.3. ausgeführt, unter der Kontrolle der SDF.

Wie die selbst in der Beschwerde zitierten (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 347 ff) und unter Punkt II. 1.3.6. angeführten Feststellungen zu den Einreisemöglichkeiten nach Syrien belegen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, legal auf dem Landweg nach Syrien einzureisen, ohne unmittelbar mit den syrischen Behörden in Kontakt zu kommen. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass laut den Länderberichten die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten zwar geschlossen, zum Irak hin jedoch durchlässiger sind. Dem Beschwerdeführer ist es bei einer (hypothetischen) Rückkehr jedenfalls möglich, über den Grenzübergang Semalka nach Syrien einzureisen. Semalka/Fishkhabour – politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien – stellt einen offiziellen Grenzübergang dar, wie der selbst in der Beschwerde zitierte Themenbericht verschriftlicht (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 348), der bei Erfüllung der Einreisemodalitäten – deren Überprüfung entgegen der Beschwerdeschrift (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 348) nicht Gegenstand des Asylverfahrens ist – genutzt werden kann. Dass das syrische Regime – das naturgemäß kein Interesse daran hat, dass dieser Grenzübergang zur Einreise genutzt wird, weil es dort über keine Kontrollmöglichkeiten verfügt – diesen als illegal erachtet, vermag daran nichts zu ändern, ebenso wenig, dass das syrische Regime – gerüchteweise – die bloße Tatsache des Grenzübertritts in Erfahrung bringen könne, zumal die Möglichkeit, zu überwachen oder zu kontrollieren, wer das Gebiet betritt, gerade nicht für das syrische Regime besteht. Damit entfällt auch das Risiko, eine Befragung bzw. ein Verhör durch das Regime zu erfahren (Beschwerde vom 18.12.2023, AS 338 f).

Das weitere Gebiet ist schließlich von der irakischen Grenze – bis auf kleine Enklaven („Sicherheitsquadrate“) bei den Städten Qamishli und al-Hassakah – im Wesentlichen bis zum Ost- und Nordufer des Euphrat durchgehend unter Kontrolle der kurdischen Kräfte. Es ist somit grundsätzlich möglich vom Norden ohne Durchquerung von Gebieten, die unter syrischer Regierungskontrolle stehen, in die Heimatregion des Beschwerdeführers zu gelangen (vgl. auch https://syria.liveuamap.com/ , Zugriff am 18.01.2024), wobei dieser Übergang derzeit auch geöffnet ist (vgl. Punkt II. 1.3.6.). Hierbei wird nicht verkannt, dass es immer wieder zu Einschränkungen und Sperren bei Grenzübergängen kommen kann, wovon laut herangezogener Berichte jedoch selbst der Flughafen Damaskus regelmäßig betroffen ist. Schließungen von Grenzübergängen sowie Risikofaktoren auf den Reiserouten sind im Wesentlichen der allgemeinen (Bürgerkriegs-)Situation geschuldet, wobei sich die Sicherheitslage laut herangezogener Länderberichte in ganz Syrien als volatil erweist.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben.

Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0210). Der Beschwerdeführer hat die Länderberichte zudem auch nicht in seiner Beschwerde substantiiert bekämpft.

Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gegenständlich wurde ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) Beschwerde erhoben, weshalb die weiteren Spruchpunkte II. und III., mit denen dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, keiner Befassung bedürfen.

Zu A) Abweisung der Beschwerde (Nichtzuerkennung von Asyl, Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).

Der EuGH hat in seinem - Syrien betreffenden - Urteil vom 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ, zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen ausgesprochen, dass eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Wehrdienstverweigerung erfolgen. Allerdings spreche eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art 9 Abs 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen (also eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg, wenn der Militärdienst u.a. Kriegsverbrechen umfassen würde) mit einem Konventionsgrund in Zusammenhang stehe. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen.

Im Sinne dieser unionsrechtlichen Vorgaben war zu prüfen, ob eine Verknüpfung der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgungshandlungen mit dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung besteht (VwGH 21.12.2022, Ra 2022/18/0318).

3.2. Zur Anwendung der Rechtlage auf den gegenständlichen Fall

Wie unter Punkt II. 2.3. beweiswürdigend ausführlich dargelegt, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, individuelle Gründe für die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung seiner Person glaubhaft zu machen. Sein Vorbringen, gegen seinen Willen zur Ableistung des Wehrdienstes zur syrischen Armee eingezogen zu werden, erwies sich aufgrund der Verhältnisse bzw. mangelnde Zugriffsmöglichkeiten in seiner Heimatregion als nicht maßgeblich wahrscheinlich und damit ebenso wenig damit zusammenhängende Konsequenzen einer etwaigen Wehrdienstverweigerung. Ebenso erwies sich sein Vorbringen hinsichtlich einer Zwangsrekrutierung durch kurdische SDF als nicht asylrelevant. Auch hinsichtlich seines weiteren Vorbringens in Zusammenhang mit einer Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung haben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte ergeben, ebenso wenig aufgrund seiner Familienangehörigkeit. Wie in der Beweiswürdigung weiters dargelegt, läuft der Beschwerdeführer auch im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat und auf dem Weg in seine Herkunftsregion nicht Gefahr, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung infolge seines bislang nicht absolvierten Wehrdienstes ausgesetzt zu sein (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).

Es ist dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, ausreichend glaubhaft zu machen. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr bzw. asylrelevanten Verfolgung vorliegen.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Der allgemeinen Gefährdung des Beschwerdeführers durch die derzeitige Sicherheitslage und Versorgungslage in Syrien wurde im gegenständlichen Verfahren mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 durch das BFA Rechnung getragen.

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Nach dessen Absatz 4 kann von einer Verhandlung abgesehen werden, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Den Umfang der Verhandlungspflicht aufgrund dieser Bestimmung umschrieb der Verwaltungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, worin die Kriterien für die Annahme eines geklärten Sachverhaltes folgendermaßen zusammengefasst wurden (vgl. zum grundrechtlichen Gesichtspunkt auch VfGH 14.03.2012, U 466/11, U 1836/11, betreffend die inhaltsgleiche Bestimmung des § 41 Abs. 7 AsylG 2005): „Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen." Die Regelung des § 21 Abs. 7 BFA-VG steht auch mit Art. 47 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) im Einklang (VwGH 04.12.2017, Ra 2017/19/0316).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde weist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf und hat das erkennende Gericht die gegenständliche Entscheidung im unmittelbar zeitlichen Nahebereich zur erstinstanzlichen Entscheidung vorgenommen, zumal seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung bis dato weniger als zwei Monate vergangen sind. Das BFA führte ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren, in dessen Rahmen der Beschwerdeführer einvernommen und ausführlich befragt wurde. Die Verwaltungsbehörde hat die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das erkennende Gericht hat diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung geteilt. Die Länderfeststellungen sind aktuell.

Auch der eingebrachten Beschwerdeschrift sind insgesamt keine zentralen ergänzend zu ermittelnden Elemente zu entnehmen, die das aktuelle Vorliegen einer den Beschwerdeführer unmittelbar konkret und persönlich betreffenden Gefährdung aufzeigen konnten bzw. die Vornahme von weiteren Ermittlungen oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG als erforderlich erscheinen ließen. Das Vorbringen in der Beschwerdeschrift erschöpft sich in einer Auflistung von (Länder-)Berichten, die derart allerdings nicht auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers zutreffen. Damit ist es insgesamt nicht gelungen, das Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen hinsichtlich der Gewährung eines Schutzes gemäß § 3 AsylG 2005 aufzuzeigen. Aus welchen Gründen die Prüfung dieser Ausführungen hinsichtlich der Relevanz für eine Zuerkennung eines asylrechtlichen Schutzes gemäß § 3 AsylG 2005 einer Erörterung im Zuge einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bedarf, wurde nicht ausreichend konkret in der Beschwerdeschrift aufgezeigt.

Aus diesen Gründen konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Verfahren Abstand genommen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Frage einer Einberufung durch die syrische Armee bzw. Zwangsrekrutierung durch die Kurden in der Region (in und um) Manbidsch, einer unterstellten politischen Gesinnung aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder der Erreichbarkeit der Herkunftsregion, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH 09.03.2023, Ra 2023/20/0033, VwGH 21.03.2023, Ra 2023/19/0013, VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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