AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §52 Abs9
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:I403.2278047.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.10.2023 zu Recht:
A)
Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 21.03.2014 ihren insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 30.06.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, der Beschwerdeführerin zugleich jedoch im Rahmen eines Familienverfahrens – abgeleitet von ihrem Ehemann - der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von zwei Jahren erteilt. Im Hinblick auf die Beschwerdeführerin selbst waren keine Zuerkennungsgründe hervorgekommen. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Mit Bescheiden des BFA vom 18.04.2016 sowie vom 26.03.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin als subsidiär Schutzberechtigte auf Antrag jeweils rechtskräftig um zwei weitere Jahre verlängert.
Mit Schriftsatz vom 06.12.2019 brachte die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte bei der belangten Behörde ein und gab im Zuge dessen unter Anschluss einer Sterbeurkunde bekannt, dass ihr Ehemann – von welchem sie ihren Schutzstatus bislang abgeleitet hatte – im Juni 2018 verstorben und in Österreich begraben sei.
Am 18.02.2020 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem BFA einvernommen. Hierbei gab sie im Wesentlichen an, dass einer ihrer Söhne mit seinen Kindern und der Schwiegertochter in Österreich leben würde. Ein Sohn sei ebenso wie ihr Ehemann bereits verstorben, ein weiterer Sohn sei vor etwa zwei Jahren nach Bosnien abgeschoben worden, während ihre Tochter in Amerika lebe. Die Beschwerdeführerin sei Analphabetin, habe niemals eine Schule besucht und auch niemals in Österreich gearbeitet oder Kurse absolviert. Sie sei langjährige Diabetikerin und habe vor zwei oder drei Jahren auch mit einer Brustkrebserkrankung zu kämpfen gehabt. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie durch den Bezug von Pflegegeld sowie die finanzielle Unterstützung Angehöriger.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.05.2020 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin als subsidiär Schutzberechtigte aufgrund einer damals noch laufenden Therapie in Bezug auf ihre vormalige Krebserkrankung ein weiteres Mal rechtskräftig bis zum 29.03.2022 verlängert.
Mit Schriftsatz vom 04.03.2022 brachte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf eine abermalige Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte beim BFA ein und gab an, dass die Gründe für die Zuerkennung nach wie vor gegeben seien.
Am 25.05.2022 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem BFA einvernommen. Hierbei verwies sie im Wesentlichen abermals auf ihre Diabetes- und vormalige Krebserkrankung, wobei sie auch bereits zwei Herzinfarkte erlitten habe. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie nach wie vor durch den Bezug von Pflegegeld sowie weiterer Transferleistungen. Abgesehen von ihren beiden Söhnen habe sie keine Angehörigen mehr in Bosnien, ebenso wenig eine Wohnmöglichkeit. Aktuelle medizinische Befunde brachte sie keine in Vorlage.
Am 13.06.2022 übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde via E-Mail einen Meldezettel sowie einen medizinischen Befund.
Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 28.09.2022 wurde der Beschwerdeführerin eine Frist bis zum 15.10.2022 für die Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen eingeräumt.
Am 05.10.2022 übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde eine Korrespondenz mit einer Diabetes-Beratung, wonach am 14.12.2022 ein Termin für sie reserviert worden sei.
Mit Schriftsatz des BFA vom 18.11.2022 wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, dass sich in Anbetracht des erhobenen Sachverhaltes keine Umstände ergeben hätten, welche eine neuerliche Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte rechtfertigen würden. Insbesondere bedürfe sie keiner besonderen medizinischen Betreuung mehr, welche sie nicht auch in ihrem Herkunftsstaat in Anspruch nehmen könne. Der Beschwerdeführerin wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu beziehen.
Mit Schriftsatz vom 30.11.2022 brachte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sie sich aufgrund ihrer besonders schweren Diabeteserkrankung sowie den erfolgten Chemotherapien, welchen sie sich aufgrund ihrer vormaligen Krebserkrankung unterziehen habe müssen, gesundheitlich weiterhin in einem äußerst prekären Zustand befinde und es ihr keinesfalls möglich wäre, sich die erforderlichen Therapien in ihren Herkunftsstaat selbstständig und ohne ein geeignetes Unterstützungsnetzwerk zu organisieren und diese effektiv wahrzunehmen.
Mit Schriftsatz des BFA vom 04.07.2023 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, bis spätestens 14.07.2023 alle medizinischen Befunde vorzulegen, welche ihr seit Jänner 2023 ausgestellt worden waren.
Mit Schriftsatz vom 10.07.2023 übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde medizinische Befunde vom Dezember 2022 sowie Jänner und Februar 2023.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 14.08.2023 wurde der der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 30.06.2014 zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihr die mit Bescheid vom 30.06.2014 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihr nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bosnien und Herzegowina gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig erklärt (Spruchpunkt IV.). Überdies wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin gemäß § 58 Abs. 2 und 3 iVm § 55 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt V.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen, zumal die Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge und Zugang zu adäquater medizinischer Behandlung habe. Aufgrund ihres langjährigen Inlandaufenthaltes, ihrer strafgerichtlichen Unbescholtenheit und ihrer familiären Anknüpfungspunkte in Österreich sei ihr jedoch ein Aufenthaltstitel zu erteilen.
Gegen die Spruchpunkte I., II., III. und IV. des Bescheides wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 08.09.2023 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei deren inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides erwuchs indessen unbekämpft in Rechtskraft.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.09.2023 vorgelegt und langten am 15.09.2023 in der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin ein.
Am 12.10.2023 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung sowie der Lebensgefährtin ihres Enkels als Zeugin abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert. Zudem brachte die Beschwerdeführerin noch medizinische Befunde vom August 2023 in Vorlage.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina sowie Angehörige der Volksgruppe der Roma. Ihre Identität steht fest.
Sie verließ ihren Herkunftsstaat infolge des Bosnienkrieges im Jahr 1993 und hielt sich in der Folge zeitweise in Deutschland, den USA sowie in Österreich auf. Seit (spätestens) 21.03.2014 befindet sie sich nunmehr dauerhaft im Bundesgebiet.
Dem Ehemann der Beschwerdeführerin (IFA-Zl. XXXX ) war aufgrund seines Gesundheitszustandes, nachdem dieser u.a. bereits mehrfach Schlaganfälle und einen Herzinfarkt erlitten hatte, mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 29.03.2010 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Dieser Status wurde im Rahmen eines Familienverfahrens – nachdem sie am 21.03.2014 selbst einen insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte – erstmalig mit Bescheid des BFA vom 30.06.2014 auf die Beschwerdeführerin erstreckt und ihre befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige in der Folge noch drei weitere Male – zuletzt mit Bescheid vom 08.05.2020 mit einer Gültigkeit bis zum 29.03.2022 - verlängert. Der Ehemann der Beschwerdeführerin war hingegen bereits im Juni 2018 verstorben und ist in Österreich begraben.
Die Beschwerdeführerin hatte insgesamt drei Söhne und eine Tochter, wobei einer der Söhne bereits verstorben ist. Ihre Tochter lebt in den USA, ihre beiden Söhne – welche sich ebenfalls vorübergehend in Österreich aufgehalten hatten – leben mittlerweile seit November 2018 bzw. Februar 2021 wieder in Bosnien und steht die Beschwerdeführerin in aufrechtem Kontakt zu ihnen. Beide Söhne sind um die 40, gesund und arbeitsfähig und wurden – teils auch mehrfach – nach Bosnien abgeschoben, wobei gegen einen von ihnen ein bis zum Jahr 2031 aufrechtes Einreiseverbot für den Schengen-Raum besteht. Sie verdingen sich in ihrem Herkunftsstaat als Tagelöhner und haben keine feste Unterkunft, wobei sie fallweise auch von ihren in Österreich lebenden Angehörigen finanziell unterstützt werden.
In Österreich leben noch die Schwiegertochter sowie die beiden Enkelsöhne der Beschwerdeführerin, ebenso wie diverse weitere Angehörige ihres verstorbenen Ehemannes.
Die Beschwerdeführerin lebt alleine in einem Haushalt, wird jedoch insbesondere von ihrer Schwiegertochter, ihren Enkelsöhnen und der Lebensgefährtin eines ihrer Enkelsöhne bei der Bestreitung ihres Alltages unterstützt. Die Schwiegertochter kocht für die Beschwerdeführerin und hilft ihr mit der Wäsche sowie der Reinigung ihrer Wohnung. Auch erledigen die Angehörigen ihre Einkäufe. Bei Arzt- und Behördengängen wird sie regelmäßig von ihrem Neffen begleitet, welcher als Dolmetscher fungiert, während sie etwa zur gegenständlichen Beschwerdeverhandlung von der Lebensgefährtin eines ihrer Enkelsöhne begleitet wurde. Für ihre tägliche Körperpflege ist die Beschwerdeführerin in der Lage, selbständig Sorge zu tragen.
Die Kosten für ihren Lebensunterhalt deckt die Beschwerdeführerin über den Bezug von Pflegegeld in Höhe der Stufe 3 und Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, zudem durch die finanzielle Unterstützung ihrer Angehörigen. Sie ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach.
Die Beschwerdeführerin litt bereits vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat – und somit seit mehr als 30 Jahren – an einer insulinpflichten Diabetes mellitus Typ 2 und hatte sich aufgrund dessen schon in Bosnien in medizinischer Behandlung befunden. Als Folge ihrer Diabeteserkrankung hat sie auch mit diversen Begleiterkrankungen zu kämpfen, konkret einer koronaren Herzkrankheit, einer arteriellen Hypertonie, einer Hyperlipoproteinämie und einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Im Jahr 2012 hatte sie einen Herzinfarkt erlitten und wurde ihr aufgrund dessen ein Stent gesetzt.
Im Jahr 2016 war an der Beschwerdeführerin überdies linksseitig Brustkrebs (ein invasiv duktales Mammakarzinom) diagnostiziert und dieser in der Folge operativ entfernt worden. Aufgrund dessen befand sie sich noch bis August 2019 in engmaschiger medizinischer Betreuung in der Onkologie eines Krankenhauses.
Die Beschwerdeführerin bedarf in Bezug auf ihre vormalige Brustkrebserkrankung mittlerweile nur noch einmal jährlich einer gynäkologischen sowie einer Mammographie-Kontrolle. Im Zuge ihrer Nachsorgeuntersuchungen in einer Onkologie in den Jahren 2020, 2021 und 2022 wurde mit ihr aufgrund ihrer Diabeteserkrankung stets eine engmaschige Anbindung an eine Diabetes-Ambulanz oder an einen niedergelassenen Internisten vereinbart, wobei sie dieser Vereinbarung erst Ende des Jahres 2022 nachkam, nachdem sie im gegenständlichen Verfahren seitens der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 28.09.2022 zur Vorlage entsprechender medizinischer Befunde aufgefordert worden war. In der Folge wurde sie drei Mal – am 14.12.2022, am 11.01.2023 sowie am 13.02.2023 – in der Diabetes-Ambulanz eines Landesklinikums vorstellig, wobei sie im Rahmen des jüngsten Besuchs lediglich mitgeteilt hatte, dass sie nunmehr ihren Wohnort wechseln werde und eine weitere Betreuung ihrerseits durch die betreffende Einrichtung folglich nicht mehr notwendig sei. Dem jüngsten dieser Befunde vom 13.02.2023 war zu entnehmen, dass sich die Blutzuckerwerte der Beschwerdeführerin anamnestisch gebessert hätten und ihr ein Therapievorschlag bestehend aus den Medikamentenwirkstoffen Metformin, Empagliflozin und zwei unterschiedlicher Insulinarten unterbreitet wurde. In der Beschwerdeverhandlung wurde ein weiterer Laborbericht mit Blutwerten vom 09.08.2023 vorgelegt, in welchem lediglich moderat erhöhte Blutzucker-, Cholesterin- und Triglyzeridwerte dokumentiert sind, der ansonsten jedoch weitgehend unauffällig ist. Der Blutzuckerwert der Beschwerdeführerin lag hierbei bei 196 mg/dl bei einem definierten Referenzbereich von 60 bis 115 mg/dl, bei älteren Befunden im Verwaltungsakt lag dieser Wert teilweise noch bei 271 (siehe etwa Befundbericht vom 16.08.2018, AS 387). Ein anderer im Zuge der Verhandlung vorgelegter Laborbericht vom 09.08.2023 bescheinigt, dass sich ihre Tumormarker im Normbereich befinden, darüber hinaus war noch ein Karteiauszug eines Arztes für Allgemeinmedizin beigefügt. Auf die Frage der erkennenden Richterin, ob die Beschwerdeführerin nunmehr durch eine andere Diabetes-Ambulanz nahe ihres nunmehrigen Wohnortes, wo sie seit 10.02.2023 melderechtlich erfasst ist, betreut wird, entgegnete diese, dass sie dort in zwei Wochen einen Termin hätte.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
Die Voraussetzungen, welche im Falle der Beschwerdeführerin zur Zuerkennung bzw. in weiterer Folge Verlängerung des Status der subsidiär Schutzberechtigten geführt hatten, liegen nicht mehr vor.
Sie wird im Falle ihrer Rückkehr nach Bosnien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihr ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Gemäß § 1 Z 1 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) gilt Bosnien und Herzegowina als sicherer Herkunftsstaat.
Zur aktuellen Lage in Bosnien und Herzegowina werden folgende Feststellungen getroffen:
COVID-19
Bosnien und Herzegowina hat die Covid-Einreisebestimmungen mit 26. Mai 2022 aufgehoben. D.h. derzeit ist die Einreise nach Bosnien und Herzegowina ohne jegliche Covid Nachweise möglich. Es bestehen für Staatsbürger des Landes keine besonderen Auflagen bei der Einreise nach Bosnien und Herzegowina (WKO 20.7.2022).
Ein landesweites Impfprogramm wurde erst im April 2021 eingeleitet, nachdem das Land über den COVAX-Initiativmechanismus und andere Spenden eine bescheidene Menge an Impfstoffen erhalten hatte. Die Impfraten lagen Ende 2021 unter 20 %, was auf eine weitverbreitete Impfzurückhaltung und das Fehlen wirksamer Kampagnen gegen Fehlinformationen zurückzuführen ist (AI 29.3.2022). In Bosnien und Herzegowina wurden bislang 371.381 COVID-19-Infektionen erfasst. Gesamtzahl der an oder mit einer COVID-19 gestorbenen Personen beträgt 15.470 (Stand: 2.3.2022). Dies entspricht einer Infektionsrate von 11,38 % sowie eine Todes- bzw. Letalitätsrate von 4,17 %. Es wurden bislang 943.394 COVID-19 Erstimpfungen durchgeführt (Stand: 29.01.2022). Dies entspricht einer Impfquote mindestens einmal geimpfter Personen von 28,9 %. Grundimmunisiert sind 25,9 % der Bevölkerung. Insgesamt wurden in Bosnien und Herzegowina bislang 1.499.302 durchgeführte Tests gemeldet. Die Quote der positiven Testergebnisse liegt bei 19,7 % (CIZ 2.3.2022; vgl. OWID 27.2.2022).
Seit zweiter Februarwoche 2022 wird ein ständiger Rückgang der aktiven Fälle verzeichnet. Die 14-tätige Inzidenz auf 100.000 Einwohner beträgt derzeit 107. Die tägliche Anzahl der positiven Corona Virus-Fälle im ganzen Land beläuft sich bei ca. 200 (Höhepunkt war am 18.1.2022 mit 3.342 neue Fälle). Der Prozentsatz der positiven Fälle im Verhältnis zur Gesamtzahl der durchgeführten PCR-Tests liegt landesweit bei etwa 10 %. Die Sterblichkeitsrate ist im Vergleich zu den Nachbarländern noch immer deutlich höher. Mitte Februar 2021 wurden die ersten Fälle der britischen Mutation, Mitte März der südafrikanischen Mutation und Anfang Juli Delta- und Gama-Variante in Bosnien und Herzegowina bestätigt. Im Kanton Sarajevo werden alle im Krankenhaus untergebrachten Patienten auf Virusvarianten getestet. Die Omikron-Variante wurde am 29.12.2021 und am 06.01.2022 auch das erste Fall der Lambdavariante bestätigt. Untervariante B2.A wurde am 07.02.2022 bestätigt (WKO 16.3.2022).
Von den verantwortlichen Institutionen auf gesamtstaatlicher Ebene wurde im August 2021 erstmalig auch für MigrantInnen in den vier offiziellen Migrationszentren und in Lipa die Möglichkeit einer Impfung gegeben. Nach vorliegenden Informationen haben sich ca. 50 % der MigrantInnen für eine Impfung gemeldet. Weitere Aktionen sollen folgen. Im Dezember 2021 wurde eine Reduktion der Zahlen bei Infektionen und Todesfällen festgestellt. Sowohl die Zahl der vollständig Geimpften (Ende Dezember bei circa 27 %) als auch die Zahl der Impfwilligen haben sich nicht wirklich verbessert. Im weiteren Verlauf - bis Juni 2022 - sind sowohl die Zahlen der Infektionen als auch die der Todesfälle in BuH rückläufig. Dies ist jedoch nicht einer hohen Zahl von Geimpften, Mehrfach-geimpften und mit „Booster“ versehenen Personen zu verdanken, sondern wohl eher der rückläufigen Testungen und strikten Maßnahmen in BuH geschuldet. Zum Beispiel ist die Zahl der 3-fach geimpften Personen noch immer nicht im zweistelligen Prozentbereich. Gleichzeitig mussten die zuständigen Behörden (auch hier alles sehr fragmentiert und nichtzentralisiert) gespendete Impfstoffe weiterschenken, bzw. „einstampfen“ da deren Gültigkeitsdauer abgelaufen war. Am 1.6.2022 hat BuH wie die Nachbarstaaten ebenfalls, die 3G-Regeln für eine Einreise nach BuH aufgehoben (VB 29.6.2022).
Im April 2021 berichtete das Roma-Informationszentrum Kali Sara, dass die Roma während der Covid-19-Pandemie besonders betroffen waren, weil etwa 35-40 % keine Krankenversicherung hatten, um Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Im Schuljahr 2020/21 hatten Roma, Armutsgefährdete und Kinder mit Behinderungen größere Schwierigkeiten beim Zugang zum Online-Unterricht, da es an erforderlichen Geräten, zuverlässigem Internet und besonderer Betreuung mangelte (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bosnia and Herzegovina 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070268.html , Zugriff 28.6.2022
CIZ - Corona-in-Zahlen.de (2.3.2022): Corona-Zahlen für Bosnien und Herzegowina, https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/bosnien%20und%20herzegowina/ , Zugriff 28.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 29.6.2022
OWID - Our world in data (27.2.2022): Coronavirus (COVID-19) Vaccinations, Bosnia and Herzegowina, Share of people vaccinated against COVID-19, Feb 27, 2022, https://ourworldindata.org/covid-vaccinations , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
WKO - Die Wirtschaftskammer Österreich (16.3.2022): Außenwirtschaft, Coronavirus: Situation in Bosnien und Herzegowina, Aktuelle Lage und laufende Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-bosnien-herzegowina.html , Zugriff 28.6.2022
WKO - Die Wirtschaftskammer Österreich (20.7.2022): Coronavirus: Situation in Bosnien und Herzegowina, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-bosnien-herzegowina.html#heading_Einreise_und_Reisebestimmungen , Zugriff 28.7.2022
Politische Lage
Der Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina (BuH) wurde im November/Dezember 1995 durch das Daytoner „Rahmenabkommen für den Frieden“ geschaffen, dessen Annex 4 die gesamtstaatliche Verfassung festschreibt. BuH besteht aus zwei flächenmäßig nahezu gleich großen, weitgehend autonomen Gebietskörperschaften, genannt Entitäten: Die überwiegend bosniakisch-kroatische Föderation BuH (51 % des Territoriums, ca. 63 % der Gesamtbevölkerung) und die überwiegend serbische Republika Srpska (RS) (49 % des Territoriums, ca. 35 % der Gesamtbevölkerung). Neben den beiden Entitäten gibt es den multiethnischen Sonderdistrikt Brčko. Die Föderation BuH gliedert sich in zehn Kantone, die wiederum aus mehreren Gemeinden bestehen. Die RS ist zentral organisiert und nur in Gemeinden gegliedert. Als kollektives Staatsoberhaupt des Gesamtstaats fungiert das Staatspräsidium, das in direkter Wahl für eine Amtszeit von vier Jahren bestimmt wird. Es besteht aus je einem Vertreter der drei konstituierenden Völker. Der Vorsitz rotiert alle acht Monate. Die Regierungen des Gesamtstaates, der beiden Entitäten, des Distrikts Brčko und der zehn Kantone in der Föderation BuH kommen zusammen auf über 150 Ministerien (AA 5.4.2021). Die heutige Verfassung des Landes ist in Annex 4 des Friedensabkommens von Dayton festgelegt. Sie garantiert die paritätische Machtteilung der drei konstituierenden Völker: bosnische Kroaten, bosnische Serben und Bosniaken (AA 20.12.2021a).
Der Staat wird von einem dreiköpfigen Präsidium geführt, das aus jeweils einem Kroaten, einem Serben und einem Muslim (Bosniaken) besteht, die sich nach acht Monaten im Vorsitz abwechseln. Die drei Mitglieder des Präsidiums werden alle vier Jahre direkt gewählt. Die Legislative liegt beim Zwei-Kammern-Parlament (Skupstina). Die 42 Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden vom Volk für vier Jahre direkt gewählt (28 Föderation Bosnien und Herzegowina, 14 Serbische Republik). Die Mitglieder der Kammer der Völker werden von den Parlamenten der Teilstaaten gewählt (zehn Föderation Bosnien und Herzegowina, fünf Serbische Republik). Jeder der zwei Teilstaaten hat eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament. In der Föderation Bosnien-Herzegowina besteht das Parlament aus zwei Kammern (Abgeordnetenhaus/ 98 Sitze und Kammer der Völker/ 58 Sitze). Ebenso in der Serbischen Republik: Nationalversammlung/ 83 Sitze und Rat der Völker/ 28 Sitze. Der jeweilige Präsident wird vom Parlament gewählt (Länder-Lexikon o.D.).
Bosnien und Herzegowina (BiH) erlebt (derzeit) die schwerste politische Krise seit dem Ende des Krieges im Jahr 1995. Die Entscheidung des Hohen Repräsentanten im Juli 2021, die öffentliche Leugnung des Völkermords unter Strafe zu stellen, löste einen weit verbreiteten Boykott staatlicher Einrichtungen durch die Führer der Republika Srpska (RS) und eine monatelange Verschärfung der nationalistischen Rhetorik aus. Im Dezember 2021 nahm die Nationalversammlung der RS eine Resolution an, die den Prozess des Rückzugs der RS aus den staatlichen Institutionen von Bosnien und Herzegowina einleitete, was zur Auflösung des Staates Bosnien und Herzegowina führen und Frieden und Stabilität gefährden könnte (AI 29.3.2022).
Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt will noch im Juli 2022 die Verfassung des Landesteils Föderation nach Vorstellungen aus dem Nachbarstaat Kroatien ändern, wie dies die nationalistisch-kroatische HDZ in BuH und Lobbyisten, Diplomaten und Politiker aus dem Nachbarstaat Kroatien seit Jahren verlangen. Er will eine Dreiprozenthürde für die Entsendung von Vertretern aus einem der zehn Kantone einführen. Dort, wo eine der drei konstituierenden Gruppen weniger als 3 % hat, soll kein Vertreter mehr entsandt werden. Dadurch kann sich de facto die HDZ mehr Sitze im Haus der Völker sichern. Kroatien mischt sich ohnehin massiv in die Innenpolitik in BuH ein und wird dabei von internationalen und europäischen Politikern unterstützt. Die HDZ in BuH übt zudem seit Jahren eine Erpressungs- und Blockadepolitik aus, um zu erreichen, dass das Wahlgesetz geändert wird (DS 25.7.2022). Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, will nach Spannungen und Protesten vorerst nur kleine Teile seiner Vorschläge umsetzen. Schmidt hatte zahlreiche Gesetzesvorschläge vorgehabt, allerdings waren seine anderen Vorschläge in der Diskussion rund um die Drei-Prozent-Hürde untergegangen. Er kündigte nun an, die "politischen Vorschläge" - also die Drei-Prozent-Hürde - für sechs Wochen auf Eis zu legen, und setzte damit eine Frist für Politiker, zuvor eine Einigung zu finden (DS 27.7.2022).
Der Chef der HDZ, Dragan Čović, will das alte Kriegsziel, die Schaffung einer kroatischen Entität, umsetzen. Die USA und Großbritannien verurteilen die Drohung. Dragan Čović drohte nach der Ankündigung der Wahlkommission, im Herbst Wahlen abzuhalten, damit, einen eigenen "kroatischen" Landesteil im Land zu schaffen. Bereits im Krieg (1992–1995) wurde so ein Landesteil mit mehrheitlich kroatischer Bevölkerung illegalerweise geschaffen. Ziel einiger kroatischer Nationalisten war es damals, diesen Landesteil - genannt Herceg Bosna - abzuspalten und an Kroatien anzuschließen. Während des Krieges versuchten auch serbische Nationalisten, durch solche Abspaltungen den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören. Bis heute versuchen diese Nationalisten, ihre Kriegsziele umzusetzen. Čović ist dabei ein enger Verbündeter des bosnisch-serbischen prorussischen Separatisten Milorad Dodik. Čovićs Drohungen haben nun vor allem damit zu tun, dass seine HDZ ihre Ziele bei Verhandlungen für eine mögliche Wahlrechtsreform in den vergangenen Monaten nicht durchsetzen konnte. Die HDZ möchte nämlich, dass im dreiköpfigen Staatspräsidium nur mehr ein Kroate vertreten sein kann, der der HDZ zugehört - und nicht wie jetzt der Mitte-links-Politiker Željko Komšić [der auch ein Kroate ist; Anm.] (DS 5.5.2022).
Ein Versuch zur Einigung auf eine Verfassungsreform in Bosnien ist Ende Januar 2022 gescheitert. Verhandlungen der EU und der USA in der Küstenstadt Neum endeten ohne Ergebnis. Inhaltlich ging es um die Wahl des Staatspräsidiums und die Zusammensetzung der zweiten Parlamentskammer. Doch einige Parteien waren erst gar nicht in den Küstenort gereist, weil sie es für verfehlt halten, über ein Thema wie eine Wahlgesetzgebung zu diskutieren - angesichts der Drohungen von Milorad Dodik, dem Chef der extrem nationalistischen Partei SNSD, Bosnien und Herzegowina zu zerstören. Die beiden Verhandler, der noch von Donald Trump entsandte Matthew Palmer und Angelina Eichhorst vom Europäischen Auswärtigen Dienst, hatten zudem bereits zuvor bei bosnischen Politikern und Diplomaten an Glaubwürdigkeit verloren, weil sie vor einigen Jahren einen Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien, der für Bosnien-Herzegowina eine Katastrophe bedeutet hätte, unterstützt hatten. Der Chef der HDZ in Bosnien-Herzegowina [Kroatische demokratische Gemeinschaft Bosnien und Herzegowinas; Anm.], Dragan Čović, drohte nun nach den gescheiterten Verhandlungen, die Wahlen im Oktober 2022 zu blockieren (DS 31.1.2022).
Ende 2021 hat vor allem Milorad Dodik als Präsidiumsmitglied der Entität der Republika Srpska trotz mehrfacher internationaler Interventionen und Besprechungen Teile seiner Ankündigungen über den Ausstieg aus gesamtstaatlichen Institutionen nicht nur wiederholt, sondern auch durch Abstimmungen im Parlament der Entität der Republika Srpska bestätigen lassen. Zur Unterstützung dieser Vorgehensweise und getroffenen Maßnahmen war Milorad Dodik im Berichtszeitraum zu Besuch in der Russischen Föderation, wo er unter anderem Präsident Vladimir Putin zu Gesprächen traf. Zusätzlich erhielt er durch Besuche von Oliver VARHELYI, EU‐Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, dem ungarischen Präsidenten, Viktor Orban, und dessen Außenminister, Peter SZIJARTO, weitere Unterstützung von EU‐Mitgliedstaaten (VB 29.6.2022).
Im gesamten bisherigen Verlauf des Jahres 2022 wurden speziell von der RS-Regierung und allen voran von dem Präsidiumsmitglied Milorad DODIK diese Rhetorik fortgesetzt. Speziell mit dem in der Ukraine beginnenden Krieg und den in Folge beschlossenen Sanktionen hat sich gezeigt, dass sich die politische Führung in der RS stark an die Republik Serbien orientiert und zu Sanktionen eine nicht mit dem Rest des Landes abgestimmte Haltung einnimmt. Neutralität wurde hier ebenso strapaziert, als auch die unverhohlene Nähe zum großen Freund und Förderer, dem russischen Präsidenten Putin. Sowohl auf kantonaler, föderaler, aber auch gesamtstaatlicher Basis zieht sich diese „Trennlinie“ durch und fördert die ohnehin schon kritische Stimmung auf allen Ebenen. Seitens der politischen Parteien in BuH ist klar erkenntlich, dass im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland, „alle Parteien“ außer die in der RS tätigen Parteien, diese Maßnahmen unterstützen und mittragen (VB 29.6.2022).
Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen im Oktober 2022 wurde und wird nach wie vor versucht eine Konfliktlösung zur Wahlrechtsreform zu finden. Die Internationale Gemeinschaft unter der Federführung der EU und USA hat ihre Bestrebungen eingestellt und eingestanden das Ziel nicht erreicht zu haben. In dieser Angelegenheit sind sich vor kurzem die Parteiführung der BuH-Kroaten und BuH-Serben einig geworden und haben einen Gesetzesantrag zur Wahlrechtsreform eingebracht, der sämtlichen internationalen Empfehlungen zuwiderläuft und die ethnischen Trennungen verstärkt anstelle sie aufzuheben. Der Einfluss der Nachbarländer Republik Serbien und Kroatien auf ihre jeweiligen „Landsleute“ und „Schwesterparteien“ ist ein weiterer großer Störfaktor in diesem Prozess. Nach derzeitiger Einschätzung ist die Stimmung in BuH volatil und dies dürfte sich bis zu den Wahlen am 2.10.2022 nicht ändern. Die Gefahr eines bewaffneten Konflikts kann aber derzeit ausgeschlossen werden (VB 29.6.2022).
Im Schatten der Ukraine-Krise wird Bosnien-Herzegowina zurzeit von allen möglichen Seiten attackiert. Die mit Dodik seit vielen Jahren verbündete kroatisch-nationalistische Partei HDZ droht nun etwa damit, das alte Kriegskonstrukt in der Herzegowina, die sogenannte "Kroatische Republik Herceg-Bosna", wieder zu errichten, also einen dritten Landesteil innerhalb von Bosnien-Herzegowina. "Herceg-Bosna" wurde 1993 von extremen kroatischen Nationalisten ausgerufen, mit der Möglichkeit einer späteren Angliederung an die Republik Kroatien. Das Gebiet war Schauplatz von Massakern an der Zivilbevölkerung, "ethnischen Säuberungen" und Plünderungen. Militärs der Herceg-Bosna und ihre politischen Vertreter wurden später wegen Kriegsverbrechen angeklagt und verurteilt. Die Herceg-Bosna wurde nach dem Krieg wieder in den Staat Bosnien-Herzegowina eingegliedert (DS 23.2.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 30.6.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.12.2021a): Bosnien und Herzegowina, Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bosnienundherzegowina-node/politisches-portraet/207724 , Zugriff 30.6.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bosnia and Herzegovina 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070268.html , Zugriff 30.6.2022
DS - Der Standard (5.5.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Kroatische Nationalisten drohen mit eigenem Landesteil in Bosnien, https://www.derstandard.at/story/2000135467001/kroatische-nationalisten-drohen-mit-eigenem-landesteil-in-bosnien , Zugriff 30.6.2022
DS - Der Standard (23.2.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Ungarn und Kroatien verhindern Sanktionen gegen Dodik, https://www.derstandard.at/story/2000133566994/ungarn-und-kroatien-verhindern-sanktionen-gegen-dodik , Zugriff 30.6.2022
DS - Der Standard (31.1.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Versuch zur Einigung auf Verfassungsreform in Bosnien gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000132988881/versuch-zur-einigung-auf-verfassungsreform-in-bosnien-gescheitert , Zugriff 30.6.2022
DS - Der Standard (25.7.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Spannungen in Bosnien-Herzegowina wegen angekündigter Gesetze, https://www.derstandard.at/story/2000137726476/spannungen-in-bosnien-herzegowina-wegen-angekuendigter-gesetze , Zugriff 26.7.2022
DS - Der Standard (27.7.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Spannungen, Bosnien: Repräsentant Schmidt legt umstrittene Gesetzesvorschläge auf Eis, https://www.derstandard.at/story/2000137814673/bosnien-repraesentant-schmidt-legt-umstrittene-gesetzesvorschlaege-auf-eis , Zugriff 27.7.2022
Länder-Lexikon (o.D.): Bosnien-Herzegowina, https://www.laender-lexikon.de/Bosnien-Herzegowina , Zugriff 30.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Sicherheitslage
Sowohl die politische Situation als auch die allgemeine Konfliktlage in der Region bleiben auch Jahrzehnte nach Kriegsende angespannt. Zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien bestehen einige ungelöste, andauernde Grenz- und Territorialfragen, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung der Adria. Ebenso gibt es zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien Territorialstreitigkeiten entlang des Flusses Drina. Im Rahmen der EUFOR Mission Operation Althea, die 2004 mit dem Ende von SFOR die Überwachung des Dayton-Abkommens übernahm, sind derzeit 763 SoldatInnen aus 17 Staaten stationiert. Zusätzlich ist eine OSZE-Mission in Bosnien-Herzegowina mit 33 internationalen und 287 nationalen Mitgliedern weiterhin im Land präsent und operiert unter der Führung der USA. Ziel der Mission ist es, die allgemeine Sicherheitslage zu verbessern und die Verteidigungsstrukturen zu stärken. Darüber hinaus hat die Mission zum Ziel, die bosnische Regierung beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, einer funktionierenden Zivilgesellschaft und eines guten Regierungssystems zu unterstützen (BICC 12.2021).
Obwohl Bosnien und Herzegowina seit dem Kriegsende im Jahr 1995 große Fortschritte im Wiederaufbau und in der Normalisierung gemacht hat, kommen allerdings weiterhin sowohl soziale Probleme als auch politische, religiöse und ethnisch motivierte Spannungen vor. Minen und Blindgänger bilden in einigen Landesteilen nach wie vor eine Gefahr, vor allem abseits der touristisch gut besuchten Regionen. Das Risiko von Anschlägen kann auch in Bosnien und Herzegowina nicht ausgeschlossen werden (EDA 3.3.2022).
Immer öfter wird sowohl von nationalen als auch internationalen Organisationen und Medien, aber auch von PolitikerInnen der internationalen Gemeinschaft von einer veritablen Krise gesprochen und über ähnliche Situationen und Szenarien, die letztendlich zum Bosnienkrieg geführt haben, diskutiert. Einigkeit herrscht auch darüber, dass es seitens der Vertreter der Entität der Republika Srpska für diese Vorgehensweise nur zweierlei Möglichkeiten gibt, nämlich bereits beginnendes Wahlkampfgetöse für die im Herbst 2022 stattfindenden Nationalratswahlen, oder die Angst des Milorad DODIK vor seriösen strafrechtlichen Verfolgungen aufgrund diverser Machenschaften (VB 29.6.2022). Wegen der Instabilität in Bosnien-Herzegowina beschloss die EU-Mission EUFOR, ihre Truppen zu verstärken. Man befürchtet weiteren russischen Einfluss auf die Republika Srpska. Der Angriff Russlands auf die Ukraine führt dazu, dass auch in Südosteuropa vorsorglich Maßnahmen ergriffen werden. So werden etwa 500 weitere Soldaten und Soldatinnen der EUFOR-Reservetruppe, die außerhalb von Bosnien und Herzegowina stationiert sind, in den nächsten zwei Wochen als Verstärkung der bestehenden Streitkräfte im Land stationiert. Sie sollen aus Österreich, Bulgarien, Rumänien und der Slowakei kommen (DS 25.2.2022).
Die Ukraine-Krise hinterlässt in Bosnien und Herzegowina Spuren. Der Kreml unterstützt den Nationalisten Dodik, der an einem eigenen Staat arbeitet. Der Ukraine-Konflikt wirft seinen Schatten auf den Balkan. Nachdem die NATO vor wenigen Tagen den Ausbau ihrer Präsenz im östlichen Bündnisgebiet auf den Weg gebracht hat und jeweils 2.000 Soldaten nach Rumänien und Bulgarien schicken will, ist der Ton auch in Bosnien und Herzegowina rauer geworden. Schon oft griff die russische Botschaft in Sarajevo die Institutionen der internationalen Gemeinschaft im Land an. In Moskaus Fadenkreuz ist auch der Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft geraten. Der deutsche Ex-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der die Position seit 2021 bekleidet, wird von serbischer und russischer Seite nicht anerkannt. Angesichts der Ukraine-Krise sortieren sich die politischen Kräfte entlang der Kriegsparteien. Für den serbischen Autokraten Dodik ist es selbstverständlich, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu unterstützen. Das Herz der bosniakischen und nichtnationalistischen Mehrheitsbevölkerung dagegen schlägt für die Ukraine. Die kroatischen Nationalisten aus der bosnischen Region Herzegowina unter Führung von Dragan Čović hingegen zeigen offene Sympathien für Putin. Dass Čović am 1.2.2022 im Parlament der serbischen Teilrepublik aufgetreten ist und die Politik Dodiks, die Institutionen des gemeinsamen Staates Bosnien und Herzegowina zu unterminieren, begrüßt hat, ist bei den kroatischen Rechten gut angekommen. Nicht aber in ganz Kroatien (TAZ 16.2.2022).
Serbische Nationalisten provozieren Konflikte im multiethnischen Westbalkanstaat. Unterstützt werden sie von Rechtsextremisten aus der Europäischen Union. Die Kritik an der passiven Haltung Brüssels wächst. Seit Jahren lässt Milorad Dodik, seit Jahrzehnten der starke Mann der serbisch dominierten "Entität" Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska (RS) am 9. Januar den "Tag der Republika Srpska" feiern - obwohl dies vom bosnischen Verfassungsgericht verboten wurde. Das Datum markiert die Gründung der RS im ersten Kriegsjahr 1992. Direkt danach begannen in der Region die Verbrechen gegen Nicht-Serben, die Vertreibungen, die Massenmorde, die Massenvergewaltigungen. Die Gewalt kulminierte im Juli 1995 im Völkermord von Srebrenica. Trotz des neuerlichen Angriffs auf Bosniens staatliche Integrität fiel die Reaktion der Europäischen Union eher verhalten aus: Man verurteile die Entwicklungen, heißt es aus Brüssel, sie gefährdeten die Prosperität und Stabilität des Landes (DW 12.1.2022).
Die früheren Hohen Repräsentanten Christian Schwarz-Schilling und Valentin Inzko warnen vor einer Ausweitung des Krieges auf den Westbalkan. Der prorussische, äußerst rechts gerichtete Politiker Dodik, der seit vielen Jahren vom Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt wird, verlangt seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, dass Bosnien und Herzegowina eine "neutrale" Haltung einnehmen müsse. Die anderen beiden Mitglieder des Staatspräsidiums und die anderen großen Parteien in Bosnien-Herzegowina sind hingegen prowestlich ausgerichtet und unterstützen alle Sanktionen und Maßnahmen gegen Russland. Dodik versucht selbst seit vielen Jahren, den Staat Bosnien und Herzegowina zu zerstören, indem er den Landesteil Republika Srpska abspalten will. Seit vergangenem Oktober hat er erstmals konkrete Schritte zum Austritt aus gemeinsamen staatlichen Institutionen eingeleitet. Seit längerem schon wird von Diplomaten davor gewarnt, dass Russland auch die Republika Srpska als unabhängigen Staat anerkennen könnte oder Dodik die Situation in der Ukraine für seine Sezessionsvorhaben nützen könnte (DS 2.3.2022).
Im Jahr 2020 wurden in Bosnien und Herzegowina keine terroristischen Vorfälle gemeldet. Bosnien und Herzegowina bleibt ein kooperativer Partner bei der Terrorismusbekämpfung. Es sind keine registrierten bosnischen Staatsbürger bekannt, die 2020 versucht haben, in ausländische Kampfgebiete zu reisen. Das Land ist weiterhin ein bereitwilliger Partner bei der Rückführung von FTF [ausländische terroristische Kämpfer; Anm.] (USDOS 16.12.2021).
Die internationale Gemeinschaft arbeitet an einer Alternative zur EU-Mission Althea, die zurzeit von dem Österreicher Anton Wessely kommandiert wird. Im Nato-Hauptquartier in Brüssel folgt man der Interpretation von Rechtsexperten, wonach die Friedensmission in Bosnien-Herzegowina aus dem Annex 1-A des Friedensabkommens von Dayton abgeleitet werden kann. Demnach ist es gar nicht notwendig, dass der UN-Sicherheitsrat zustimmt, wenn etwa die Nato eine eigene Militärmission nach Bosnien-Herzegowina entsendet (DS 25.7.2022).
Quellen:
BICC - Bonn International Center for Conversion (12.2021): Informationsdienst, Sicherheit, Länderinformationen Bosnien-Herzegowina, https://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/bosnien/2021_Bosnien-Herzegowina.pdf , Zugriff 29.6.2022
DS - Der Standard (2.3.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Destabilisierung, Spannungen in Bosnien: Dodik verlässt Sitzung wegen Ukraine, https://www.derstandard.at/story/2000133784648/spannungen-in-bosnien-dodik-verlaesst-sitzung-wegen-ukraine , Zugriff 29.6.2022
DS - Der Standard (25.2.2022): Russland und Balkan, Eufor stockt wegen Angriffs auf Ukraine in Bosnien-Herzegowina auf, https://www.derstandard.at/story/2000133650098/eufor-stockt-wegen-angriffs-auf-ukraine-in-bosnien-herzegowina-auf , Zugriff 29.6.2022
DS - Der Standard (25.7.2022): International, Europa, Bosnien-Herzegowina, Spannungen in Bosnien-Herzegowina wegen angekündigter Gesetze, https://www.derstandard.at/story/2000137726476/spannungen-in-bosnien-herzegowina-wegen-angekuendigter-gesetze , Zugriff 26.7.2022
DW - Deutsche Welle (12.1.2022): Themen, Welt, Europa, Im Gleichschritt gegen Bosnien, https://www.dw.com/de/im-gleichschritt-gegen-bosnien/a-60399268 , Zugriff 29.6.2022
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (3.3.2022): Außenpolitik, Reisehinweise für Bosnien und Herzegowina, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bosnien-und-herzegowina/reisehinweise-fuerbosnienundherzegowina.html#eda8e672d , Zugriff 29.6.2022
TAZ - Die Tageszeitung (16.2.2022): Russlands Einmischung auf dem Balkan: Moskau zündelt auch in Bosnien, https://taz.de/Russlands-Einmischung-auf-dem-Balkan/ !5831373/, Zugriff 29.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065382.html , Zugriff 29.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Rechtsschutz / Justizwesen
Im Jahr 2021 wurden im Bereich Justiz keine Fortschritte erzielt. Die Behinderung von Justizreformen durch politische Akteure und innerhalb der Justiz sowie das schlechte Funktionieren der Justiz untergraben die Ausübung der Rechte der Bürger und den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität. Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an Transparenz. Die Rechtsprechung des EGMR in der Rechtssache Sejdić-Finci ist immer noch nicht umgesetzt worden (EK 19.10.2021).
Die Staatsverfassung sieht das Recht auf ein faires Verfahren in Zivil- und Strafsachen vor, während die Verfassungen der Entitäten ein unabhängiges Justizwesen vorsehen. Dennoch beeinflussen politische Parteien und die Akteure des organisierten Verbrechens die Justiz sowohl auf Staats- als auch auf Entitätsebene in politisch sensiblen Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit Korruption, sowohl auf staatlicher als auch auf Entitätsebene. Die Behörden versäumen es bisweilen, Gerichtsentscheidungen durchzusetzen. Während die zivilen Behörden eine wirksame Kontrolle und Koordinierung der Strafverfolgungsbehörde und Sicherheitskräfte aufrechterhalten, führte das Fehlen einer klaren Aufteilung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Landes zu gelegentlichen Verwirrung und überlappenden Zuständigkeiten. Die Ineffizienz der Gerichte untergräbt die Rechtsstaatlichkeit, indem sie die Inanspruchnahme von Zivilurteilen weniger effektiv macht. In mehreren Fällen stellte das Verfassungsgericht Verstöße gegen das Recht auf einen Abschluss des Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist fest. Die Nichteinhaltung von Gerichtsentscheidungen durch die Regierung veranlasste die Beschwerdeführer, den EGMR anzurufen. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor. Der Angeklagte hat das Recht auf einen Anwalt und falls er sich keinen Anwalt leisten kann, wird auf Staatskosten ein Pflichtverteidiger bereitgestellt. Der Angeklagte hat das Recht auf einen gerichtlich bestellten Dolmetscher, die Zeugen und Beweise in seinen eigenen Namen vorzulegen und Urteile anzufechten. Die Behörden respektieren im Allgemeinen die meisten dieser Rechte, die sich auf alle Angeklagten erstrecken (USDOS 12.4.2022).
Wie viele Bereiche des täglichen Lebens in BuH ist auch die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis von Korruption durchzogen. Problematisch ist zudem, dass die existierenden, transparenten Regelungen zur Auswahl des Richters in einem Verfahren (gesetzlich bestimmter Richter) in der Praxis oft nur auf dem Papier angewandt werden. Sippenhaft wird nicht praktiziert. Die Justiz steht unter dem Einfluss der politischen Eliten, das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz ist gering. Es gibt ein Minderheitenschutzgesetz, nach dem das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten unmittelbar angewandt wird und das integraler Bestandteil des nationalen Rechtssystems ist. Kompliziert stellt sich die Judikative in Bosnien und Herzegowina dar. In der zentralstaatlich organisierten Republika Srpska besteht ein Gerichtssystem mit Amtsgerichten, Distriktgerichten, Oberstem Gerichtshof und Verfassungsgericht. In der Föderation Bosnien und Herzegowina bestehen Amtsgerichte sowie Kantonsgerichte, das in Sarajewo ansässige Oberste Gericht und ein Verfassungsgericht. Im Bezirk Brčko besteht ein zweigliedriges Gerichtssystem. Der Gesamtstaat verfügt zudem über einen Staatsgerichtshof und ein Verfassungsgericht. Insgesamt existieren damit über 70 Gerichte. Die Justiz ist immer wieder Einflussversuchen von Politikern bzw. politischen Parteien ausgesetzt. Die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen ist nach wie vor ein kontroverses Thema. Bosnien und Herzegowina bringt solche Fälle tatsächlich vor Gericht und erkennt im Gegensatz zu Nachbarländern auch gängige Rechtsfiguren wie „gemeinschaftliche Begehungsweise“ an. 2020 verabschiedete das Parlament eine überarbeitete Strategie zum Umgang mit Kriegsverbrechen („Revised War Crimes Strategy“), die auch zur effizienteren Bearbeitung des Rückstaus an offenen Fällen beitragen soll. Die klassische rechtsstaatliche Gewaltenteilung wird schließlich ergänzt durch den im Daytoner Rahmenabkommen für den Frieden vorgesehenen Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft (HR) und die ihm unterstehende Behörde, dem „Office of the High Representative“ (OHR). Der HR ist die höchste Instanz im Land für die Auslegung und Implementierung der zivilen Aspekte des Daytoner Friedensabkommens und steht damit rechtlich über den staatlichen Stellen. Er besitzt vom Sicherheitsrat der VN gedeckte, sehr weitreichende Vollmachten („Bonn Powers“), mit denen er u. a. politische Amtsträger entlassen und Gesetze suspendieren kann (auf die seit 2011 jedoch nicht mehr zurückgegriffen wurde) (AA 5.4.2021).
Die 2020 verabschiedete überarbeitete nationale Strategie zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen sah vor, dass die schwersten Kriegsverbrechen bis Ende 2023 aufgearbeitet werden sollten. Im Jahr 2021 dokumentierte die OSZE jedoch einen Rückgang der Zahl der verfolgten Fälle im Allgemeinen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 erhob die Staatsanwaltschaft nur gegen zwei Personen Anklage wegen Kriegsverbrechen, von denen eine bereits im Gefängnis saß. Im August 2021 waren nach Angaben der OSZE 250 Kriegsverbrecherverfahren mit 502 Angeklagten vor den Gerichten in Bosnien und Herzegowina anhängig. Aufgrund der mangelnden Bereitschaft in der Region, wegen Kriegsverbrechen angeklagte Personen auszuliefern, können 80 der Angeklagten außerhalb von BiH nicht vor Gericht gestellt werden. Nach Angaben der OSZE fällten die Gerichte in BiH in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 erstinstanzliche Urteile in 12 Fällen gegen 22 Angeklagte, von denen 14 für schuldig befunden wurden. Im gleichen Zeitraum wurden fünf Verfahren gegen 10 Angeklagte mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossen und 10 für schuldig befunden. Derzeit sind 57 Verfahren gegen 125 Angeklagte anhängig, in denen es um Vorwürfe kriegsbezogener sexueller Gewalt geht. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 wurden in vier Fällen erstinstanzliche Urteile gegen acht Angeklagte gefällt, von denen drei verurteilt wurden und in einem Fall erging ein rechtskräftiges Urteil, wobei ein Angeklagter vor dem Gericht von Bosnien und Herzegowina verurteilt wurde. Im Juni 2021 bestätigte ein Berufungsgremium des Internationalen Restmechanismus für Strafgerichte die Verurteilung des bosnisch-serbischen Militärbefehlshabers Ratko Mladić wegen Völkermordes und seine lebenslange Haftstrafe aus dem Jahr 2017. Im selben Monat warnten der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte und der UN-Sonderberater für die Verhinderung von Völkermord in einer Pressemitteilung vor einer zunehmenden Verherrlichung verurteilter Kriegsverbrecher in Bosnien (HRW 1.3.2022).
Systembedingte Mängel im Büro der Staatsanwaltschaft und die Nichtverfügbarkeit von Angeklagten, die in andere Länder geflohen sind, verzögerten weiterhin die Verfolgung von Kriegsverbrecherfällen. Ende 2021 waren fast 600 Fälle vor verschiedenen Gerichten in Bosnien und Herzegowina anhängig. Im Juli 2021 erließ der Hohe Repräsentant eine Änderung des Strafgesetzbuchs von Bosnien und Herzegowina, mit der die öffentliche Leugnung oder Verherrlichung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zu einer Straftat erklärt wurde, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet wird. Aus Protest begannen die politischen Führer der RS mit einem Boykott der staatlichen Institutionen (AI 29.3.2022).
Grundsätzlich gilt, dass sich jeder bosnische Staatsbürger im Falle von "Verfolgungshandlungen gegen seine/ihre Person" an Polizei oder direkt an die Staatsanwaltschaft wenden kann. Sollten die offiziellen Stellen nicht tätig werden bzw. sollte es sich bei der Verfolgungshandlung gegen den Betroffenen um eine Menschenrechtsverletzung handeln, stehen halb- bis nicht staatliche Organisationen mit Rechtsbeistand zur Seite. Auch hat das Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge in der Sektion für Menschenrechte eine Abteilung zum „Schutz von individuellen Menschenrechten und Bürgerrechten“, welche u.a. Anliegen und Beschwerden annimmt und bearbeitet und Bürgern fachliche Hilfe leistet (VB 29.6.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bosnia and Herzegovina 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070268.html , Zugriff 29.6.2022
EK - Europäische Kommission (19.10.2021): Bosnia and Herzegovina 2021 Report [SWD(2021) 291 final /2], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/system/files/2021-10/Bosnia%20and%20Herzegovina%202021%20report.PDF , Zugriff 28.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 28.6.2022
USDOS - US Department of State [USA) (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Sicherheitsbehörden
Auch im Bereich Sicherheit schlägt sich die komplexe bosnisch-herzegowinischen Verfassung nieder: Auf Gesamtstaatsebene existiert neben der dem deutschen BKA vergleichbaren Polizeibehörde SIPA (u. a. zuständig für Kriegsverbrechen, Organisierte Kriminalität und Korruption) die Grenzpolizei sowie die Direktion zur Koordinierung der Polizeidienste, der u. a. Interpol und der Objektschutz zugeordnet sind. Aufsicht über diese gesamtstaatlichen Polizeibehörden liegt beim Sicherheitsministerium. In der Föderation BuH existiert eine Föderationspolizei mit Sitz in Sarajevo, deren Zuständigkeit sich auf das Gebiet der Föderation erstreckt, die aber keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den auf Kantonsebene bestehenden Polizeibehörden hat. In der RS übt die Gesamtpolizei hingegen auch Aufsicht über die sechs regionalen Polizeibehörden der Entität aus. Die Polizei im Sonderdistrikt Brčko ist unabhängig. Jede dieser Behörden verfügt wiederum über Spezialeinheiten. Daneben besteht ein gesamtstaatlicher, sowohl In- als auch Auslandsaktivitäten abdeckender Geheimdienst (OSA), der aus der Zusammenlegung der früher existierenden beiden Entitätsgeheimdienste entstanden ist. Seit 2006 steht er formal unter parlamentarischer Kontrolle, allerdings ist das zuständige parlamentarische Komitee schon seit Längerem wegen politischer Streitigkeiten nicht mehr zusammengetreten. Das Militär befindet sich seit 2003 in einem Reformprozess (u. a. in Hinblick auf die NATO-Annäherung Bosnien und Herzegowinas). Mit Inkrafttreten des Verteidigungsgesetzes und des Wehrdienstgesetzes (beide 2005) wurde mit den bewaffneten Streitkräften (Oruzane Snage Bosne i Herzegowine - OSBIH) eine gesamtstaatliche Armee geschaffen. Die Armeen der Entitäten bzw. aus Kriegszeiten erhalten gebliebene Truppenteile der drei konstituierenden Volksgruppen ab Brigadeebene aufwärts wurden abgeschafft, die Wehrpflicht ebenfalls. Alle Staatsbürger unter 40 Jahren, darunter auch Frauen, haben Zugang zu den Streitkräften (AA 5.4.2021).
Die Polizeikräfte in BuH auf Kantons- Entitäts- und Staatsebene haben auf gesamtstaatlicher Ebene so gut wie keine Exekutivbefugnisse, ausgenommen die bekannten Institutionen SIPA, Grenzpolizei, DPC (Democratization Policy Council; Anm.). Deren Mandat und Aufgaben sind klar geregelt, ein direkter Zugriff des zuständigen Sicherheitsministers aber minimal vorhanden. Auf Entitätsebene hat FMUP (Innenministerium der Föderation BuH; Anm.) definitiv einen sehr komplexen Aufbau und Zuständigkeiten, worauf auch die Föderationsregierung so gut wie keinen Einfluss im Sinne von Kontrolle besitzt. Sowohl in der Entität der Republika Srpska (RS) als auch im Brcko Sonderdistrikt sieht diese Einschätzung definitiv anders aus, da hier klare vertikale Strukturen herrschen und diese durch die jeweiligen gesetzlichen Regelungen auch einfacher umsetzbar (Innenminister - Polizeidirektor in der RS, Polizeichef in Brcko) sind und somit eine Kontrolle durch die zuständigen Hierarchien besteht (VB 29.6.2022).
Parallel zum Militär fand auch innerhalb der Polizei ein umfassender Reformprozess statt. Erfolge bestehen darin, dass die Polizei, die einst Rückkehrer drangsalierte und Kriegsverbrecher schützte, nun zu den angesehensten Institutionen im ganzen Land zählt. Neben den traditionellen Schutz- und Verteidigungsaufgaben nahmen und nehmen die bosnischen Streitkräfte aktiv an Friedensmissionen teil, bspw. in Afghanistan (NATO), der Demokratischen Republik Kongo (UN) und Serbien (OSZE). Der Einsatz der seit 1996 im Land aktiven NATO-Schutzgruppe SFOR endete im Dezember 2004, im Anschluss übernahm die Europäische Union auch militärische Aufgaben in Bosnien-Herzegowina („Operation Althea“), die bis heute fortdauern. Bosnien-Herzegowina ist Kandidat für einen Beitritt zur NATO (BICC 12.2021).
Es gab und gibt eindeutige Versuche die gesamtstaatliche Führung des BuH-Militär zu unterminieren, dies wiederum speziell durch die politischen Vertreter der RS. So wurde zum Beispiel die Teilnahme von Offizieren (BuH-Serben) der gesamtstaatlichen Streitkräfte an der Veranstaltung in der RS Anfang des Jahres vom Oberkommandierenden kritisiert und Abklärungen eingeleitet. Die mediale Präsenz über diese Vorgehensweise ist aber nach wenigen Tagen eingestellt worden. Ob es tatsächlich zu Sanktionen innerhalb des Militärs gekommen ist, ist nicht bekannt (VB 29.6.2022).
Die Anklage gegen einen Grenzpolizisten, dem vorgeworfen wird, während seiner Dienste als Kommandant in Zusammenarbeit mit weiteren bosnischen StaatsbürgerInnen insgesamt 12 MigrantInnen aus Montenegro mit dem offiziellen Dienstfahrzeug der Grenzpolizei nach Bosnien und Herzegowina geschmuggelt zu haben, ist rechtskräftig. Weiters haben Angehörige der SIPA (gesamtstaatliches Kriminalamt; Anm.) am 4.10.2021 bei der Zentrale der Grenzpolizei Unterlagen beschlagnahmt und mehrere Personen verhaftet, die in Verbindung mit der geplanten Anstellung von 150 Kadetten stehen. Konkret wird den Tatverdächtigen vorgeworfen durch Manipulationen bei den Auswahlverfahren bestimmte Personen bevorzugt und in den Listen für aufzunehmende Kadetten vorgereiht zu haben. Für solche Bevorzugungen wurden zwischen KM 15.000 und 30.000 (EUR 7.500 bis 15.000) von den einzelnen Bewerbern verlangt und schließlich diese Listen entsprechend manipuliert. Vorläufig wurden drei hochrangige Grenzpolizisten und ein sogenannter ziviler Vermittler in U‐Haft genommen (VB 29.6.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
BICC - Bonn International Center for Conversion [Deutschland] (12.2021): Informationsdienst, Sicherheit, Länderinformationen Bosnien-Herzegowina, https://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/bosnien/2021_Bosnien-Herzegowina.pdf , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Ombudsmann
In BuH gibt es die Institution des Ombudsmannes für Menschenrechtsverletzungen (AA 5.4.2021). Der gesamtstaatliche Ombudsmann hat die Befugnis, Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Landesgesetze auf Hinweis der einzelnen Bürger zu untersuchen und Empfehlungen zur Nachbesserung an die Regierung unterbreiten. Die Empfehlungen des Bürgerbeauftragten sind rechtlich unverbindlich. Ein Bosniake, ein Kroate und ein Serbe teilen sich die Führung der Ombudsstelle. Dem Ombudsmann fehlen die Mittel, um effektiv zu arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Die Empfehlungen von Aufsichtsmechanismen wie der parlamentarischen Kontrolle sowie von unabhängigen Institutionen wie der staatlichen Rechnungsprüfungsbehörde und dem Ombudsmann für Menschenrechte werden nur selten umgesetzt. Mehrere Institutionen reagieren nicht einmal auf die, an sie gerichteten Empfehlungen, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Dadurch wird das Recht der Bürger auf eine gute Verwaltung beeinträchtigt. Bosnien und Herzegowina muss noch das Gesetz über den Ombudsmann für Menschenrechte ändern, um die Unabhängigkeit und Effizienz dieser Einrichtung zu verbessern und sie als nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter und Misshandlung zu benennen, was eine internationale Verpflichtung des Landes ist. In 2020 registrierte der Ombudsmann 2.716 Beschwerden (gegenüber 3.218 im Jahr 2019). 270 Empfehlungen wurden in 312 Fällen ausgesprochen, gegenüber 304 in 174 Fällen im Jahr 2019, was teilweise auf die Pandemie zurückzuführen ist. In Bezug auf Folter und Misshandlung erhielt der Ombudsmann im Jahr 2020 92 Beschwerden, gegenüber 129 im Jahr 2019 und 144 im Jahr 2018, was auch hier teilweise auf die Pandemie zurückzuführen ist, trotz der Möglichkeit der Online-Einreichung der Beschwerden. Im Jahr 2020 erhielt der Ombudsmann 185 Beschwerden betreffend Rechte von Kindern (198 im Jahr 2019, 216 im Jahr 2018). Im gleichen Jahr erhielt der Ombudsmann drei Beschwerden betreffend Minderheitenrechte (im Vergleich zu sieben im Jahr 2019 und vier im Jahr 2018). Diesbezüglich gab er eine Empfehlung (EK 19.10.2021).
Das Ombudsmann-Büro registrierte im Jahr 2021 insgesamt 2.946 neue Beschwerden. 1.891 Beschwerden wurden aus den früheren Jahren übertragen und insgesamt 3.176 Beschwerden wurden im Jahr 2021 abgeschlossen (OM 3.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
EK - Europäische Kommission (19.10.2021): Bosnia and Herzegovina 2021 Report [SWD(2021) 291 final /2], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/system/files/2021-10/Bosnia%20and%20Herzegovina%202021%20report.PDF , Zugriff 29.6.2022
OM - BuH Ombudsmann (3.2022) Bericht des Ombudsmanns für Menschenrechte 2021, https://ombudsmen.gov.ba/documents/obmudsmen_doc2022041413104027eng.pdf , Zugriff 29.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Gemäß der Verfassung müssen die Behörden mit allen Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeiten, die über ein Mandat des VN-Sicherheitsrats verfügen. Nach dem Daytoner Rahmenabkommen für den Frieden sind auch die Entitäten zur Unterstützung aller im Bereich der Menschenrechte tätigen internationalen Organisationen und NGOs verpflichtet. Es gibt keine Hinweise auf systematische Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen durch staatliche oder nicht staatliche Akteure. Dennoch bleibt die Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in Bosnien und Herzegowina eine wichtige Voraussetzung für die EU-Annäherung des Landes (AA 5.4.2021). Das Landesparlament verfügt über eine Gemeinsame Kommission für Menschenrechte, die gemeinsam mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen an menschenrechtsbezogenen Aktivitäten beteiligt ist. Bis September hatte die Kommission 10 Arbeitssitzungen abgehalten. Allerdings gibt es auch glaubwürdige Berichte über Menschenrechtsdefizite in den verschiedensten Bereichen staatlichen Handelns (USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2021 gab es in Bosnien und Herzegowina (BuH) kaum sichtbare Fortschritte im Hinblick auf die Menschenrechte. Beamte schürten Fremdenfeindlichkeit, versäumten es, gegen Diskriminierung vorzugehen, und übten Druck auf Journalisten aus. Die Verfolgung von Kriegsverbrechen verlangsamte sich. Der Schutz für Frauen und lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Menschen (LGBT) ist unzureichend (HRW 13.1.2022).
In Anlehnung an Fall Sejdić-Finci und ähnliche Fälle verstößt die Verfassung von Bosnien und Herzegowina weiterhin gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Land muss sich noch mit den Empfehlungen des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/BDIMR) befassen. Die Empfehlungen von Aufsichtsmechanismen, wie der parlamentarischen Kontrolle sowie von unabhängigen Institutionen und dem Ombudsmann für Menschenrechte werden nur selten umgesetzt. Bosnien und Herzegowina hat alle wichtigen europäischen und internationalen Menschenrechtsinstrumente ratifiziert, von denen die meisten in die Verfassung aufgenommen wurden. Der Schutz der Menschenrechte im Land ist nach wie vor nicht einheitlich (EK 19.10.2021).
Sehr problematisch ist das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügte Wahlrecht, das Minderheiten keine ausreichende Vertretung garantiert. Auch Teile der Verfassung, die stellenweise nur einen provisorischen Charakter haben, sind aus Sicht des Gerichtshofs kritisch. Trotz Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes und sich daraus ergebender Fortschritte bei der Bekämpfung der Diskriminierung, verdeutlichen beispielsweise die allgemeine Segregation und Diskriminierung in öffentlichen Schulen dieses grundlegende Problem, dass das Zusammenleben zukünftiger Generationen weiterhin erschweren wird. Defizite bestehen weiterhin bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und der gesellschaftlichen Versöhnung. Bei der Umsetzung der Nationalen Strategie zur Verfolgung von Kriegsverbrechen treten weiterhin Mängel auf (BICC 12.2021).
Eine Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten für die politische Opposition durch den Staat und seine Organe erfolgt grundsätzlich nicht. Allerdings hat die Regierung der Republika Srpska mehrfach angekündigt, ein Gesetz in das Parlament einzubringen, welches alle Politiker einschließlich der Opposition unter strenger Strafandrohung verpflichten würde, in den bosnisch-herzegowinischen Gesamtstaatsorganisationen ausschließlich die von der Regierung Republika Srpska vorgegebene Linie zu vertreten (AA 5.4.2021).
Es gibt keine Verbesserungen des Wahlgesetzes in Einklang mit EU‐Standards und der Transparenz der Finanzierungen der politischen Parteien (VB 29.6.2022).
Die Vereinigungsfreiheit wird durch die bosnisch-herzegowinische Verfassung sowie durch beide Entitätsverfassungen gewährleistet. Vereine und Stiftungen können auf Gesamtstaats Entitäts- oder Kantonsebene registriert werden. Das Verfahren kann allerdings langwierig und kompliziert sein. Die Regierung der Republika Srpska hat eine Gesetzesinitiative angekündigt, die NROs und politische Stiftungen einer Meldepflicht von ausländischer finanzieller Unterstützung auferlegen soll und dem Ziel der Überwachung von aus dem Ausland finanzierten Aktivitäten dient (AA 5.4.2021).
Obwohl die Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen weiterhin respektiert wird, werden Menschenrechtsverteidiger, die sich mit sensiblen Themen befassen (Frauenrechte, LGBTIQ, Migranten, Umwelt), weiterhin Drohungen, Schikanen, Beschimpfungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt. Die Behörden haben es bisher versäumt, solche Angriffe umgehend und systematisch zu verurteilen und angemessen zu untersuchen. Die meisten öffentlichen Einrichtungen verfügen nicht über Mechanismen für den Umgang mit Beschwerden betreffend Mobbing und Diskriminierung, was nicht im Einklang mit dem Antidiskriminierungsgesetz steht (EK 19.10.2021).
Die Versammlungsfreiheit ist formal nicht eingeschränkt, jedoch entsprechen die einzelnen Gesetze zur Versammlungsfreiheit in den Entitäten und Kantonen nicht vollumfänglich europäischen Standards. In der Republika Srpska konnten Versuche beobachtet werden, Demonstranten durch unverhältnismäßiges Vorgehen durch die Polizei oder Ankündigungen von restriktiven Gesetzesvorhaben einzuschüchtern. Dazu zählen bspw. das Vorgehen der Polizei gegen die Protestbewegung „Gerechtigkeit für David“ um den Jahreswechsel 2018/2019 oder der mittlerweile zurückgezogene Gesetzesentwurf, der das Stören von Amtspersonen durch Filmen bspw. bei Demonstrationen unter Strafe stellen sollte (AA 5.4.2021).
Die Versammlungsfreiheit ist immer noch nicht gegeben, in der Republika Srpska werden Aktivisten eingeschüchtert und gerichtlich belangt (VB 29.6.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
BICC - Bonn International Center for Conversion (12.2021): Informationsdienst, Sicherheit, Länderinformationen Bosnien-Herzegowina, https://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/bosnien/2021_Bosnien-Herzegowina.pdf , Zugriff 29.6.2022
EK - Europäische Kommission (19.10.2021): Bosnia and Herzegovina 2021 Report [SWD(2021) 291 final /2], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/system/files/2021-10/Bosnia%20and%20Herzegovina%202021%20report.PDF , Zugriff 28.6.2022
HRW - Human Rights Watch [NGO] (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 28.6.2022
USDOS - US Department of State ([USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/bosnia-and-herzegovina , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Ethnische Minderheiten
Es gibt ein Minderheitenschutzgesetz, nach dem das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten unmittelbar angewandt wird und das integraler Bestandteil des nationalen Rechtssystems ist. Gemäß der Verfassung stehen die Grundrechte allen Personen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in gleicher Weise zu. In Bosnien und Herzegowina werden 17 nationale Minderheiten anerkannt. Laut der Volkszählung von 2013 bezeichnen sich 3,7 % der Bevölkerung nicht als Bosniaken, Serben oder Kroaten. In Bosnien und Herzegowina gibt es folgende Minderheiten: Albaner, Deutsche, Italiener, Juden, Mazedonier, Montenegriner, Polen, Roma, Rumänen, Rusinen, Russen, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Türken, Ukrainer und Ungarn. Zu einigen staatlichen Ämtern haben Angehörige nationaler Minderheiten jedoch aufgrund der Verfassung keinen Zugang oder werden in anderer Weise schlechter gestellt als die Angehörigen der drei konstitutiven Volksgruppen. Anhaltspunkte für eine Praxis systematischer Verfolgung bestimmter Personengruppen sind nicht gegeben (AA 5.4.2021).
Laut der Volkszählung im Jahr 2013 leben in BuH 50,1 % Bosniaken, 30,8 % Serben, 15,4 % Kroaten, 2,7 % Andere; 1 % der Bevölkerung hat keine Angabe über die ethnische Zugehörigkeit gegeben
Ethnische Minderheiten sind besonders anfällig für Ausgrenzung, während Binnenvertriebene einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind. Andere Gruppen, die einem erhöhten Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt sind, sind ältere Menschen, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Roma und Frauen (BTI 23.2.2022).
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) registrierte zwischen Januar und August 2021 98 Hassverbrechen, die hauptsächlich auf ethnischer oder religiöser Grundlage begangen wurden. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts gab es sieben laufende Verfahren gegen die Täter. Im März 2021 kritisierte das Ministerkomitee des Europarates, dass die politische Führung in Bosnien und Herzegowina elf Jahre lang versäumt hat, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen und die Verfassung und die Wahlgesetze zu ändern, um die politische Diskriminierung von Juden, Roma und anderen zu beenden (HRW 13.1.2022).
Angehörige von Minderheiten werden weiterhin in den Bereichen Beschäftigung und Bildung, sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor diskriminiert. Während das Gesetz die Diskriminierung verbietet, beklagen sich Menschenrechtsaktivisten häufig darüber, dass die Behörden das Gesetz nicht ausreichend durchsetzen. Die Belästigung und Diskriminierung von Minderheiten im ganzen Land hält an, wenn auch nicht so häufig wie in den Vorjahren. Gewalt und Einschüchterungsversuche im Zusammenhang mit ethnischen Minderheiten richten sich manchmal gegen religiöse Symbole und Einrichtungen dieser Minderheit (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021 - geändert 26.8.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
BTI - Bertelsmann Stiftung [deutsche gemeinnützige Denkfabrik] (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069783/country_report_2022_BIH.pdf , Zugriff 29.6.2022
CIA - The World Fastbook [USA] (2.3.2022): Bosnia and Herzegovina, People and Society, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/bosnia-and-herzegovina/#people-and-society , Zugriff 28.6.2022
HRW - Human Rights Watch [NGO] (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 28.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
Roma
Die größte Minderheit sind die Roma, wobei die Gesamtzahl je nach Quelle stark variiert. Roma können - auch im Vergleich zu Angehörigen anderer Minderheiten - in verschiedenen Bereichen nicht auf ausreichende Unterstützung staatlicher Stellen hoffen. Ursache der Benachteiligung ist u. a., dass Roma-Kinder häufig nach der Geburt nicht in die öffentlichen Register eingetragen werden; nach Schätzungen leben heute ungefähr 2.000 nicht registrierte Kinder in Bosnien und Herzegowina. Lediglich ein Drittel der Roma verfügt über eine Krankenversicherung. Roma haben größere Schwierigkeiten als andere Bevölkerungsgruppen, einen Arbeitsplatz zu finden. Da ein Großteil der Roma im informellen Sektor arbeitet, sind sie überproportional von Corona-bedingten Verdienstausfällen betroffen. Besonders problematisch sind Fragen der Ansiedlung und Unterkunft. Als Rückkehrer leben Roma häufig in provisorischen Siedlungen mit unzureichenden Versorgungsverhältnissen und mangelnder Hygiene. Insbesondere der Zugang zu Bildung stellt ein Problem dar: So besuchen nur zwei Drittel (69 %) der schulpflichtigen Roma-Kinder eine Grundschule. Durch die Schulschließung im Zuge der Corona-Pandemie verschlechterte sich der Zugang zu Bildung maßgeblich, da der Unterricht digital stattfindet und Roma-Kindern oftmals die technische Ausrüstung fehlt. Bei der OSZE in Bosnien und Herzegowina gibt es das Amt des Roma-Referenten, ferner einen Roma-Projektbeauftragten und einen Roma-Beobachter. Beim Ministerrat von Bosnien und Herzegowina gibt es einen neunköpfigen Roma-Rat und ein sog. „Advisory Board on Roma“, in dem Vertreter der Ministerien, des Roma-Rats und der internationalen Gemeinschaft vertreten sind (AA 5.4.2021; vgl. VB 29.6.2022, USDOS 12.4.2022).
Der Staat und NGOs sind sich der schlechten Lage der Roma bewusst, und durch den Druck von EU und OSZE befassen sich die Behörden aller Ebenen mit Problemen, die Roma betreffen: Arbeitslosigkeit, Bildung, Lebensumstände, Krankenversicherung etc. Aus dem Staatsbudget werden jährlich Beträge für die Verwirklichung von Aktionsplänen zugunsten der Roma-Bevölkerung in BuH bereitgestellt, die aber von Jahr zu Jahr reduziert werden. Von 2009 bis 2015 betrugen diese Mittel KM 3.000.000 (ca. EUR 1.500.000) von 2015 bis 2020 waren es KM 2.100.000, und in 2020 soll Betrag noch kleiner sein. Mit Hilfe der Internationalen Gemeinschaft und der IPA-Projekte wurden bis heute mehr als 1.000 Wohnobjekte erbaut, 7-8 % der Roma bekamen eine Arbeit, 15-20 % wurden krankenversichert, die Zahl der Schuleinschreibungen und der Abschluss der schulischen Grundausbildung stieg von 35 auf 50-60 %. BuH hätte sich verpflichtet, mit der Erstellung von neuen Aktionsplänen für den Zeitraum 2021-2025 größere Anstrengungen und Mittel in die Lösung der genannten Probleme zu investieren (VB 29.6.2022).
Gesellschaftliche Diskriminierung und Hassreden haben wesentlich zugenommen. Eine große Anzahl an Roma ist im Begriff, das Land zu verlassen, weil es immer weniger Arbeit gibt, aber auch wegen der Angst vor einem erneuten Konflikt, geschürt durch politische Spannungen. Verantwortliche aus dem Zentrum für Roma-Unterstützung „Romalen“ aus Kakanj erklärten, dass Roma nie, auch nicht unmittelbar nach dem Bosnienkrieg, in einer so misslichen Lage waren. Aktivisten hatten bereits frühzeitig gewarnt und darauf verwiesen, dass die für die Roma vorgesehenen Finanzmittel aufgrund des fehlenden Staatsbudgets nicht zur Verfügung standen. Das BuH Ministerium für Menschenrechte stellte schon das zweite Jahr in Folge keine Mittel für die Durchführung von Aktionsplänen in den Bereichen Anstellungen, Wohnversorgung und Gesundheitsschutz der Roma zur Verfügung. Ebenfalls wurde der Aktionsplan für die Gesellschaftliche Inklusion der Roma für den Zeitraum 2021-2025 nie verabschiedet, obwohl er 2020 erstellt wurde (VB 29.6.2022).
Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung liegt bei 18 Jahren, kann aber mit Zustimmung der Eltern auch auf 16 Jahre herabgesetzt werden. In bestimmten Roma-Gemeinschaften werden jedoch Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren geheiratet, wobei Roma-Menschenrechtsaktivisten berichten, dass die Zahl der frühen Eheschließungen zunimmt. Aktivisten für Kinderrechte und Bekämpfung des Menschenhandels merkten an, dass Staatsanwälte oft zögerten, Zwangsverheiratungen von minderjährigen Roma zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, da sie dies auf Roma-Bräuche zurückführen (USDOS 12.4.2022).
Im März 2021 kritisierte das Ministerkomitee des Europarates, dass die politische Führung in Bosnien und Herzegowina elf Jahre lang versäumt hat, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen und die Verfassung und die Wahlgesetze zu ändern, um die politische Diskriminierung von Juden, Roma und anderen zu beenden. Im April 2021 berichtete das Roma-Informationszentrum Kali Sara, dass die Roma während der Covid-19-Pandemie besonders betroffen waren, weil etwa 35-40 % keine Versicherung hatten, die für den Zugang zur Gesundheitsversorgung erforderlich ist. Im Schuljahr 2020/21 hatten Roma größere Hindernisse beim Zugang zum Online-Unterricht, da es an Geräten, zuverlässigem Internet und spezieller Unterstützung mangelte, sodass Roma-Kinder während der Pandemie keinen Zugang zu Online-Bildung hatten (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 29.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2021): Auskunft des VB, per E-Mail
Frauen
Die Verfassung garantiert die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz. Nach dem Gleichberechtigungsgesetz sind Frauen und Männer unabhängig von ihrem Familienstand in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichgestellt. In der konservativen Gesellschaft sind Frauen jedoch häufig geschlechtsspezifischen Benachteiligungen in Politik, Wirtschaft, Bildung und Erziehung ausgesetzt, insbesondere, wenn sie der jeweiligen Minderheitsbevölkerung angehören. Frauen werden wirtschaftlich benachteiligt: So sind z. B. Frauen bei gemeinsamem Grundbesitz oft nicht im Grundbuch eingetragen. Sexuelle Belästigung ist zwar strafbar, findet aber laut Aussage von Menschenrechtsorganisationen und NGOs dennoch häufig statt. Primär werden Frauen am Arbeitsplatz belästigt, zeigen dies jedoch nur selten an. Trotz der Verabschiedung von Gesetzen zum Schutz vor häuslicher Gewalt auf Entitätsebene im Jahr 2006 ist häusliche Gewalt gegen Frauen nach wie vor weit verbreitet. Im Zuge der Pandemie-bedingten Restriktionen ist eine Zunahme an häuslicher Gewalt zu beobachten, während sich die Ressourcen für Betroffene reduzierten. Im Mai 2020 trat das überarbeitete Law on Protection from Domestic Violence in der Republika Srpska in Kraft, welches häusliche Gewalt zur Straftat macht. Aufgrund des bestehenden gesellschaftlichen Tabus kommt es jedoch nur selten zur Anzeige. Vergewaltigung (auch in der Ehe) ist strafbar und wird mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren geahndet. Erst langsam findet das Thema Gewalt gegen Frauen Beachtung. Mit Kampagnen wie „#nisam trazila“ (I didn’t ask for it) wird es zunehmend enttabuisiert (AA 5.4.2021).
Frauen leiden überproportional unter sozialer Ausgrenzung und Armut. Der Gender Inequality Index 2019 des UNDP stufte BuH auf Platz 38 von 62 Ländern ein. Chancengleichheit wird nur teilweise erreicht. Frauen und Angehörige ethnischer, religiöser und anderer Minderheitengruppen haben nur eingeschränkten Zugang zu Bildung, öffentlichen Ämtern und Beschäftigung. Im Jahr 2019 lag die Erwerbsquote der Frauen in Bosnien und Herzegowina bei 37,4 %, verglichen mit einer Quote von 58,15 % bei den Männern, die zu den niedrigsten Quoten in Europa gehört. Darüber hinaus verfügten 74 % der Frauen im Vergleich zu 89,3 % der männlichen Bevölkerung über mindestens einen Sekundarschulabschluss (BTI 23.2.2022).
Der Schutz für Frauen ist unzureichend. Die Ombudsfrau erklärte im März 2021, dass die strafrechtliche Gesetzgebung in Bosnien mit den Verpflichtungen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt im Rahmen des Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, der sogenannten Istanbul-Konvention, die Bosnien 2013 ratifiziert hat, nicht übereinstimmt (HRW 13.1.2022).
Dem Land fehlt ein System zur Sammlung von Daten über die Fälle häuslicher Gewalt. Die staatliche Agentur für Geschlechtergleichstellung (GEA) arbeitete 2019 an der Errichtung eines Mechanismus auf lokaler Ebene, um die Unterstützung der Opfer zu koordinieren. Die GEA setzte auch die Entwicklung eines computergestützten Datenerfassungssystems zu häuslicher Gewalt in der Föderation fort, nachdem die RS die Teilnahme an diesem international unterstützten Projekt mit der Begründung ablehnte, dass sie diese Initiative als Übertragung von Kompetenzen von der Entitäts- auf die Staatsebene ansah. Die GEA hat die Gleichstellungskommissionen initiiert, sodass diese auf Staats-, Entitätsebene sowie auf kantonaler und lokalen Ebene gibt. Obwohl die Polizei eine spezielle Ausbildung im Umgang mit Fällen häuslicher Gewalt erhält, halten sich die Beamten in beiden Entitäten zurück, Familien durch die Verhaftung von Tätern zu trennen. Als Reaktion auf die Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt während der COVID-19-Pandemie stellte die Regierung (über die GEA) im Jahr 2020 zusätzlich 160.000 KM (94.600 USD) für Sichere Häuser bereit (USDOS 12.4.2022).
Die bis Mai 2021 geltenden restriktiven Covid-19-Maßnahmen verschärften die geschlechtsspezifische Gewalt und schränkten den Zugang der Opfer zu Unterkünften, Rechtsbeistand und psychologischer Beratung erheblich ein. Bei der Anpassung der Rechtsvorschriften an das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), das Bosnien und Herzegowina 2013 ratifiziert hat, gab es kaum Fortschritte (AI 29.3.2022).
Das Gesetz schreibt nicht ausdrücklich gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit vor, aber es verbietet geschlechtsspezifische Diskriminierung. Frauen und Männer erhalten in staatlichen Unternehmen für gleiche Arbeit in der Regel den gleichen Lohn, im Großteil der Privatwirtschaft aber nicht (USDOS 12.4.2022).
Laut Daten des Gendercenters der Föderation BuH gibt es in Bosnien und Herzegowina acht Sichere Häuser, davon fünf in der Föderation BuH und drei in der Republika Srpska mit einer Gesamtkapazität von 181 Betten, die gleichzeitig rechtliche, psychologische und soziale Beratung und Betreuung leisten. Brcko Distrikt verfügt über kein Sicheres Haus. Diese Häuser werden von den NGOs betrieben und werden primär eine sichere Unterkunft für Opfer von Gewalt in der Familie bereitgestellt. Die Opfer können dort bis zu sechs Monate bleiben, mit der Möglichkeit, dass der Aufenthalt des Centers für Sozialarbeit genehmigt wird. Opfer von Gewalt in der Familie aus dem Brcko Distrikt können in sicheren Häusern in der Föderation BuH und der Republika Srpska untergebracht werden (VB 3.5.2022).
Laut Informationen des Gendercenters der Föderation BuH bieten Sichere Häuser verschiedene Programme für die Unterstützung und wirtschaftliche Stärkung von Gewaltopfern während und nach ihrem dortigen Aufenthalt. Organisiert werden Präqualifikationen und Kurse für Friseurinnen und Schneiderinnen, bei Frauen in der Landwirtschaft werden selbstständige Tätigkeiten angeregt und eingeleitet, so auch für Frauen, die kreativ tätig sind, ihre Produkte werden unterstützend auf den Markt gebracht, Subventionen für selbstständige Tätigkeiten und Treibhäuser für Gemüse- und Obstanbau, Vieh- und Geflügelzucht werden zugeteilt. Diese Programme werden nicht kontinuierlich durchgezogen und hängen von den Budgets der Projekte ab, im Rahmen derer sie organisiert werden. Die Programme der Sicheren Häuser sind uneinheitlich, d.h. nicht alle haben dieselben Programme, aber es besteht Zusammenarbeit zwischen Sicheren Häusern untereinander und anderen Nichtregierungsorganisationen (VB 3.5.2022).
In der Föderation BuH gibt es ein einheitliches SOS-Telefon „1265“ und in der Republika Srpska „1264“, die kostenlos sind. 2021 wurde das SOS-Telefon in der Republika Srpska insgesamt 4.333 Mal angerufen. In der Föderation BuH gab es im Jahr 2021 insgesamt 2.068 solche Anrufe. Es gibt keine offizielle Berichte über Frauen, die im Jahr 2021 infolge häuslicher Gewalt, getötet worden sind. In den beiden Entitäten gibt es Programme, die neben der fachlich ausgerichteten Ausbildung des Personals in den Sicheren Häusern jedes Jahr realisiert werden, inklusive Kampagnen, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit über die verschiedenen Formen von geschlechtsbezogener Gewalt wie auch über die Wichtigkeit die Gewaltakten anzuzeigen und der generellen Erlangung der Nulltoleranzstrategie, wenn es um Gewalt gegenüber Frauen geht, steigern sollen. Gemäß offizieller Statistik des Innenministeriums der Republika Srpska wurden 2021 948 Fälle von Gewalt in der Familie angezeigt. Das Gendercenter der Föderation BuH sammelt regelmäßig Daten aus dem Bereich Gewalt in der Familie, die von den offiziellen Behörden periodisch übermittelt werden. Die Daten des Föderalen Innenministeriums für 2021 standen zum Zeitpunkt des Erstellens dieses Berichtes (Anm.: April 2022) noch aus. Es gibt keine offizielle Berichte über Frauen, die im Jahr 2021 infolge häuslicher Gewalt, getötet worden sind (VB 3.5.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Bosnia and Herzegovina 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070268.html , Zugriff 29.6.2022
BTI - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069783/country_report_2022_BIH.pdf , Zugriff 29.6.2022
HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066534.html , Zugriff 29.6.2022
USDOS - US Department of State [USA) (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (3.5.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Bewegungsfreiheit
Reisende bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige wie auch andere Staatsangehörige werden an den Außengrenzen kontrolliert. Allein oder mit nur einem der beiden Sorgeberechtigten reisende Kinder benötigen eine schriftliche Zustimmung der Eltern bzw. des mitsorgeberechtigten Elternteils. Soweit Angehörige einer der drei konstitutiven Volksgruppen Repressionen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe entgehen möchten, können sie sich i. d. R. in einen anderen Teil des Staatsgebiets begeben. Für Angehörige gemischter Ehen und gemischter Familien gibt es kein „Mehrheitsgebiet“ ihrer Volksgruppe. In der Republika Srpska stellt sich die gesellschaftliche Akzeptanz gemischt-ethnischer Ehen bzw. Familien schwieriger dar (AA 5.4.2021).
Die Freiheit sich innerhalb des Landes frei zu bewegen, zu reisen, zu emigrieren und wieder zurückzukehren ist gesetzlich garantiert, wobei es jedoch in der Praxis zu gewissen Einschränkungen kommen kann (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
Grundversorgung / Wirtschaft
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizmaterial und Strom ist landesweit sichergestellt. Insgesamt ist der Lebensstandard der Gesamtbevölkerung dennoch niedrig. Die durchschnittliche Rentenhöhe von ca. EUR 195 in der Republika Srpska und ca. EUR 240 in der Föderation ist ohne die in ländlichen Gebieten, nicht jedoch in den Städten, mögliche Subsistenzwirtschaft für eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln für eine Einzelperson nicht ausreichend (AA 5.4.2021).
Nach vorliegenden Daten wird für 2021 ein gegenüber den Vorjahren deutliches Wachstum der Wirtschaft um etwa 6,8 % errechnet, ausgelöst von einer starken Zunahme der Exporte von Waren um 35,3 % und der Industrieproduktion um 10,7 %. Die ausländischen Direktinvestitionen liegen allerdings noch unter dem Vorkrisenniveau. Hemmende Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind generell die politische Unsicherheit, mangelnde Transparenz und Rechtssicherheit, komplexe Bürokratie sowie die ungünstige demografische Entwicklung aufgrund hoher Auswanderung, insbesondere jüngere und besser ausgebildeter Arbeitskräfte, welche zu einer Bevölkerungsabnahme führt. Letzter dürfte sich Post Covid19 noch beschleunigen (WKO 6.4.2022).
Der Rohstoffreichtum des Landes (Eisenerz, Bauxit, Barit, Magnesit, Gips, Kohle, Silber usw.) bildete die Basis für den metallverarbeitenden Sektor. Die Metallindustrie hat daher eine lange Tradition und ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige im Land. Es werden sowohl komplette Maschinen und Anlagen gebaut, als auch Teile und Komponenten, welche vor allem für den Export immer mehr an Bedeutung gewinnen. Für die Automobilindustrie werden KFZ-Komponenten und – Zubehör hergestellt. Die Lebensmittelindustrie in Bosnien und Herzegowina ist zwar keine traditionelle Säule der bosnisch-herzegowinischen Wirtschaft, jedoch hat die Branche gemeinsam mit der Landwirtschaft einen noch immer relativ hohen Anteil am BIP von 8,47 %, sowie eine erhebliche Beteiligung an den Exporten Bosnien und Herzegowinas von 8,69 %. Bosnien und Herzegowina ist derzeit von Lebensmittelimporten abhängig. 2017 wurden Nahrungsmittel im Gesamtwert von 1,45 Mrd. Euro importiert. Hauptlieferländer sind Serbien, Kroatien, Deutschland und Italien. Die wichtigsten Energiequellen Bosnien und Herzegowinas sind bisher Kohle und Wasser, wobei der Anteil an erneubaren ansteigt. Nur rund 40 % des Wasserkraftpotenzials werden zurzeit genutzt, dennoch trägt die erneuerbare Energiequelle rund ein Drittel zur gesamten Stromerzeugung bei. Zwei Drittel der installierten Kapazitäten für die Stromerzeugung kommen derzeit noch aus den großen Kohlereserven (WKO 6.4.2022).
Das monatliche ausgezahlte durchschnittliche Nettogehalt in BuH für Januar 2022 betrug KM 1.043 (ca. EUR 533) (ASBuH 18.3.2022). Der Verband unabhängiger Gewerkschaften von BiH (SSSBiH) gab bekannt, dass der Warenkorb im Februar 2022 KM 2.389,12 (ca. EUR 1.200) ausmachte (SSSBiH 2.2022).
Die Arbeitslosenrate in Bosnien und Herzegowina betrug im Jahr 2021 ca. 15,2 % (WKO 7.2022).
Es gibt mehrere Gesetze, die Sozialhilfeleistungen für alle Personen vorsehen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, oder über keine finanzielle Mittel verfügen und keine Angehörigen haben, die sich um sie kümmern. Auch Personen, die aufgrund von Zwangsmigration, Rückführung, verstorbenen Familienangehörigen, Krankheit, Naturkatastrophen und/oder Haftentlassungen plötzlich in Not geraten, sind in das Sozialhilfesystem eingebunden. Die Bewilligung von Anträgen und die anschließenden Sozialleistungen erfolgen über das kommunale Zentrum für Sozialhilfe. In der Föderation BuH umfasst die Sozialhilfe die Krankenversicherung für den Antragsteller und seine Familienangehörigen. Finanzielle Unterstützung in der Föderation beläuft sich auf 10 - 20 % des durchschnittlichen Nettolohns und beträgt KM 100 - 120 (ca. EUR 25 - 60). In der FBuH, beträgt die Kinderzulage KM 10 - 33 pro Monat (ca. EUR 5 - 16). In der RS beträgt die Sozialhilfe 15 % des durchschnittlichen Nettolohns und, abhängig von Zahl der Familienmitglieder, erhöht sich der Prozentsatz auf 30 % des durchschnittlichen Nettolohns, wenn die Familie als förderungswürdig eingestuft wird (IOM - CFS 2020).
Die Höhe der Sozialhilfe ist nicht einheitlich geregelt. In der Föderation Bosnien und Herzegowina beträgt sie 20 % des Durchschnittslohns im jeweiligen Monat, in der Republika Srpska 15 % des Durchschnittslohns. Sie kann jedoch oftmals nicht ausgezahlt werden. Laut dem Zentrum ziviler Initiativen leben 20 % der Bevölkerung in absoluter Armut (AA 5.4.2021).
Die Gesetzgebung in BuH garantiert Sozialhilfe. Über die Empfänger und die Höhe der Unterstützungsgelder wird im Einzelfall entschieden. Die Höhe der jeweiligen Unterstützung (z.B. monatliche Geldbeträge) bzw. Qualität der Einrichtungen für Unterbringung, falls notwendig, hängt auch von den Möglichkeiten der jeweiligen administrativen Einheit (z.B. Kanton) ab. Weiters besteht die Möglichkeit, dass örtliche NGOs (kirchliche, humanitäre etc.) verschiedene Hilfeleistungen für Bedürftige zur Verfügung stellen. Das Gesetz über den Sozialschutz der Entität Republika Srpska (RS) regelt die Höhe der Beträge und Zulagen in diesem Bereich. Primär verwirklichen das Recht auf diese Leistungen arbeitsunfähige Personen, die keine eigenen/anderen Einkünfte haben. Die Höhe der Beträge werden als Prozentsätze des Durchschnittsgehaltes in der Republika Srpska vom Vorjahr berechnet z.B. für eine Einzelperson 15 % von diesem Betrag (Durchschnittsgehaltes), für einen Zweipersonenhaushalt 20 % usw. Für den Distrikt Brcko waren zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Info keine aktuellen Informationen verfügbar, außer, dass Sozialhilfe natürlich gewährt wird. Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese aktuellen Werte ändern werden, bevor es in Bosnien und Herzegowina zum wirtschaftlichen Aufschwung kommt (VB 29.6.2022).
In der Föderation BuH betrug die Mindestpension im Februar 2022 KM 382,18 (ca. EUR 195), die Durchschnittspension KM 490,05 (ca. EUR 250) und die höchste Pension KM 2.174,48 (ca. EUR 1.100) (FZMIO-PIO 28.2.2022). In Republika Srpska betrug die Durchschnittspension im Februar 2022 KM 483,38 (ca. EUR 200) bzw. KM 636,62 (ca. EUR 325) bei einer vollen Versicherungsdauer von 40 Jahren. Die Mindestpension in gleichem Monat betrug KM 220,50 (ca. EUR 112) und die höchste Pension KM 2.268,67 (ca. EUR 1.100) (Fond PIO RS 2.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
ASBuH - Agency for Statistics of the Bosnia and Herzegovina [Bosnien und Herzegowina] (18.3.2022): DEMOGRAPHY AND SOCIAL STATISTICS, Average monthly paid off net earnings of persons in employment January 2022, https://bhas.gov.ba/data/Publikacije/Saopstenja/2022/LAB_05_2022_01_1_BS.pdf , Zugriff 29.6.2022
Fond PIO Republike Srpske (Pensionsversicherungsfonds der Republika Srpska) [Bosnien und Herzegowina] (2.2022): Statistički bilteni - 2022 (Statistische Bulletins - 2022), Februar 2022, https://www.fondpiors.org/statisticki-bilteni/statisticki-bilteni-2022/ , Zugriff 29.6.2022
FZMIO-PIO (Pensionsversicherungsfonds der Föderation BuH) [Bosnien und Herzegowina] (28.2.2022): Penzije za Februar 2022. (Höhe der Pensionen im Februar 2022), https://www.fzmiopio.ba/penzije-za-februar-5-marta/ , Zugriff 29.6.2022
FZZZ - Bosnien und Herzegowina, FBuH, Federalni zavod za zaposljavanje (Arbeitsamt FBuH) [Bosnien und Herzegowina] (2.2022), Osnovni pokazatelji - Nezaposleni (Arbeitslosendaten Februar 2022), https://www.fzzz.ba/statistics/county , Zugriff 29.6.2022
IOM - CFS - Internationale Organisation für Migration (2020): Bosnien und Herzegowina, Country Fact Sheets - Länderinformationen, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_BiH_EN.pdf , Zugriff 29.6.2022
SSSBiH - Der Verband unabhängiger Gewerkschaften von BuH (2.2022): Potrosacka korpa februar-2022 (Warenkorb im Februar 2022), http://www.sssbih.com/wp-content/uploads/2022/03/Potrosacka-korpa_februar-2022.pdf , Zugriff 29.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
WKO - Die Wirtschaftskammer Österreich (6.4.2022): Außenwirtschaft, Die bosnisch-herzegowinische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-bosnisch-herzegowinische-wirtschaft.html#heading_ausfuehrliche_informationen , Zugriff 28.6.2022
WKO - Die Wirtschaftskammer Österreich (7.2022): Länderprofil Bosnien und Herzegowina, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-bosnien.pdf , Zugriff 28.7.2022
Medizinische Versorgung
Der primäre Gesundheitsschutz umfasst medizinische Vorsorge, Notfallmedizin, Schul- und Arbeitsmedizin, Vorsorge für Mutter und Kind, hausärztliche, allgemeinärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie Arzneimittelversorgung. Er wird durch sog. Gesundheitshäuser, Erste-Hilfe-Stationen (i. d. R. angegliedert an Ambulanzen und Krankenhäuser), Zahnarztpraxen und Apotheken sichergestellt. Sekundärer (fachärztlich-konsultativer) Gesundheitsschutz umfasst Diagnostik, Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen in Fällen, in denen keine stationäre Behandlung notwendig ist. Er wird durch Gesundheitshäuser, ärztliche Privatpraxen und Krankenhäuser sichergestellt. Im tertiären Bereich findet man alle medizinischen Anwendungen in stationären Einrichtungen, also in Krankenhäusern und Kliniken, die überwiegend staatlich organisiert und finanziert sind. Es gibt über 300 Ambulanzen, die jeweils zwischen 2.000 und 10.000 Einwohner versorgen. Grundsätzlich existiert in jeder größeren Gemeinde (ca. 120) ein Gesundheitshaus, das eine medizinische Versorgung für 20.000 bis 50.000 Einwohner sicherstellen soll. Es existieren fünf klinische Zentren (drei in der Föderation BuH und zwei in der RS) in den größten Städten des Landes, hinzukommen landesweit 20 staatliche (Kantonal-)Krankenhäuser. Dazu kommen diverse private Krankenhäuser, Poli- und Fachkliniken. In größeren Städten gibt es eine wachsende Zahl an privatärztlichen Praxen und Kliniken (AA 5.4.2021). Die medizinische Versorgung im Land ist mit EU-Standards noch nicht zu vergleichen und ist oft bezüglich technischer Ausstattung, hygienischen Verhältnissen und fachlicher Ausbildung problematisch (AA 27.5.2022b). Eine breite medizinische Versorgung ist nur in den Krankenhäusern der größeren Städte gewährleistet (EDA 26.4.2022).
Die Gesundheitsversorgung ist für Personen der folgenden Kategorien kostenlos: Kinder bis zum Alter von 15 Jahren, Schüler und ordentliche Studenten bis zum Alter von 26 Jahren, Kinder zwischen 16 und 18 Jahren, die eine Schule besuchen, Schwangere Frauen und Frauen nach der Entbindung, bis ihr Kind ein Jahr alt ist, (Minderjährige über 15 Jahre, die keine Schule besuchen, müssen sich freiwillig versichern, wenn sie nicht anderweitig versichert sind), Personen älter als 65 Jahre, Sozialhilfeempfänger, Personen, die an Tuberkulose und anderen epidemischen Krankheiten leiden, Personen, die an einer psychischen Störung leiden (die Anspruchsberechtigung erfordert eine Untersuchung durch eine spezielle medizinische Kommission), Dialysepatienten, Patienten mit Diabetes und regelmäßiger Insulineinnahme (Voraussetzung für die Aufnahme ist eine Untersuchung durch eine spezielle medizinische Kommission), Patienten, die an bösartigen Krankheiten leiden, Transplantationspatienten, Personen, die an Dystrophie leiden (IOM - CFS 2020).
Korruption in Bosnien und Herzegowina trifft auch auf das Gesundheitswesen zu. Grundsätzlich sind alle Arbeitstätigen, Rentner und als arbeitslos gemeldete Personen gesetzlich krankenversichert. Das Krankenversicherungsgesetz der Föderation deckt aber nur Rückkehrer ab, die bereits vor ihrer Ausreise krankenversichert waren. Alle Vorschulkinder, Schüler bis 18 Jahre, Kinder von 15 bis 18 Jahren, die keine weitere Ausbildung machen, Studenten bis 26 Jahre, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose sowie alle Personen ab 65 Jahren sind krankenversichert. Der für viele Gesundheitsleistungen zu erbringende Eigenanteil an den Kosten kann zu einer eingeschränkten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen führen. Nach Schätzungen des Helsinki-Komitees haben etwa 60 % der Bevölkerung, darunter auch Kinder, keinen Zugang zu einer regelmäßigen Gesundheitsvorsorge. Das Krankenversicherungswesen liegt in der Föderation Bosnien und Herzegowina bei den Kantonalverwaltungen und der Entitätsverwaltung, in der Republika Srpska auf Entitätsebene bei einem Versicherungsfonds. Das Gesundheitssystem gliedert sich in drei Bereiche (AA 5.4.2021).
Die Krankenversicherung ist garantiert für Erwerbstätige, Rentner und ihre Ehegatten, Arbeitslose und ihre Angehörigen (Ehepaare und Kinder bis zu 15 Jahren), behinderte Personen, landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Sozialhilfeempfänger. Personen, die krankenversichert sind, erhalten einen Großteil der Medikamente kostenlos. Nur für einige bestimmte Arzneimittel ist es erforderlich die Zuzahlung eines Selbstbehalts, der jedoch variiert von Entität zu Entität und Kanton zu Kanton. Wenn der Patient nicht versichert ist, beträgt die Beteiligung 100 %. Den versicherten Patienten wird eine vorgeschriebene Kostenbeteiligung nach der Art der medizinischen Leistung berechnet. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage in BuH ist die medizinische Versorgung im öffentlichen Gesundheitssektor nicht völlig kostenlos. Die Patienten müssen eine geringe Gebühr entrichten. Dieser Betrag hängt von der erbrachten medizinischen Behandlung ab. Patienten müssen über eine zertifizierte Gesundheitskarte des Krankenversicherungsinstituts verfügen, um Zugang zu den medizinischen Zentren zu erhalten (IOM - CFS 2020).
Die Anmeldung zur gesetzlichen Krankenversicherung ist eine langwierige Prozedur. Dies kann bei der Rückkehr des Patienten zu Behandlungslücken führen. Befindet sich der Patient in einem instabilen psychiatrischen Zustand, wird geraten, sich bei der Handhabung dieser administrativen Probleme unterstützen zu lassen, etwa durch einen Verwandten oder Freund. Versicherungsbeiträge werden geleistet aufgrund der Berufstätigkeit (jeweilige Prozentsätze des Gehalts werden an die gesetzliche Krankenkasse gezahlt) oder aufgrund von Selbstversicherung. Von der Zahlung von Versicherungsbeiträgen sind bestimmte Gruppen von Menschen, wie oben schon erwähnt, ausgenommen. Trotz allem sind out-of-pocket-Zahlungen (Selbstbehalte) für die Gesundheitsversorgung in Bosnien und Herzegowina immer noch beträchtlich und eine finanzielle Belastung vor allem für Haushalte mit niedrigem Einkommen (IOM Anfragebeantwortung 29.4.2022).
Alle zurückkehrenden BuH Staatsbürger, haben das Recht auf Krankenversicherung und können dieses Recht über das Amt für das öffentliche Gesundheitswesen unter den nachstehend beschriebenen Bedingungen erwirken: In der Föderation BuH erhält man eine Krankenversicherung, wenn man sich innerhalb von 30 Tagen nach der Rückkehr aus dem Ausland beim Arbeitsamt meldet. Die weiteren Meldungen beim Arbeitsamt erfolgen einmal innerhalb von 60 Tagen und dürfen nicht versäumt werden, da sonst das Recht auf Krankenversicherung erlischt. In der Republika Srpska und im Distrikt Brcko BuH erhält man eine Krankenversicherung, wenn man sich nach der Rückkehr aus dem Ausland beim Arbeitsamt meldet. Die Meldungen beim Arbeitsamt erfolgen einmal innerhalb von 60 Tagen und dürfen nicht versäumt werden. Anmeldungsprozedur: Nachdem man sich beim Arbeitsamt gemeldet hat, füllt dieses die Anmeldung für die Krankenversicherung aus, welche dann beim nach dem Wohnort zuständigen Finanzamt eingereicht wird (auch vom Arbeitsamt). Die angemeldete Person wendet sich an das Amt für Gesundheitsversicherung, wo die Krankenversichertenkarte ausgestellt wird (VB 29.6.2022).
Laut VN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte haben das dezentralisierte und zersplitterte Krankenversicherungssystem und die Gesundheitsdienste in Verbindung mit den unterschiedlichen finanziellen Ressourcen der Entitäten und Kantone der Föderation Bosnien und Herzegowina zu großen regionalen Unterschieden beim Zugang und Qualität von Gesundheitsdiensten geführt. Weiters wird lt. VN-Ausschuss festgehalten, dass etwa 15 % der Bevölkerung, vor allem Roma, Selbstständige und Beschäftigte im informellen Sektor, nicht krankenversichert sind und dass der Umfang der von der Versicherung angebotenen Gesundheitsdienste begrenzt ist. Darüber hinaus bemängelt der Ausschuss den chronischen Mangel an medizinischem Fachpersonal und medizinischer Ausrüstung in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und die häufige Praxis, dass Patienten die Behandlung aus eigener Tasche zahlen müssen. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, seine Bemühungen zu verstärken, um die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Qualität von Gesundheitsdiensten zu verbessern (CESCR 11.11.2021).
Rehabilitationsmaßnahmen können nur in Fojnica, Gračanica, Tuzla, Olovo (Föderation) und in Slatina (Laktaši) und Teslić, beide in der Republika Srpska, durchgeführt werden. Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen wie z. B. Krankengymnastik sind privat in vielen größeren Orten möglich. Insgesamt sind viele - insbesondere staatliche - medizinische Einrichtungen, vor allem außerhalb von Sarajevo, in einem schlechten Zustand. Ärzte und Pflegepersonal wandern zunehmend ins Ausland ab, vorwiegend nach Deutschland. Die finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitswesens ist vorwiegend wegen ineffizienten Mitteleinsatzes unzureichend. Aufgrund fehlender Medikamente sind einige Behandlungen (HIV- und Krebserkrankungen, Hepatitis B/C, Versorgung nach Organtransplantationen und anderen schwerwiegenden operativen Eingriffen, bei frühgeburtlichen Komplikationen, etc.) nur in eingeschränktem Umfang durchführbar. Während Herzoperationen bei Erwachsenen weitestgehend erfolgreich durchgeführt werden können, erfolgen herzchirurgische Eingriffe an Minderjährigen mangels Kinderherzchirurgen nur in seltenen Fällen. Die Bedingungen für die Behandlung von Dialysepatienten haben sich verbessert, sind aber immer noch nicht ausreichend, um eine reibungslose Behandlung aller Dialysepatienten sicherzustellen (AA 5.4.2021).
Gängige Medikamente sind auf dem örtlichen Markt erhältlich und werden, soweit Krankenversicherungsschutz besteht, bei ärztlicher Verordnung von der Krankenversicherung bezahlt. Kosten für Spezialmedikamente werden in der Regel nicht erstattet. Sie können auf dem Importweg oder privat aus dem Ausland beschafft werden. Die Insulinversorgung, die ausschließlich gegen Rezeptvorlage und kostenlos in Apotheken erfolgt, ist grundsätzlich gewährleistet (AA 5.4.2021).
Die schlechte Haushaltslage erschwert die Versorgung von Pflegefällen. Zur Behandlung psychisch Kranker und traumatisierter Personen fehlt es weitgehend an ausreichend qualifizierten Ärzten und an klinischen Psychologen und Sozialarbeitern. Therapien beschränken sich überwiegend auf Medikamentengaben. Nur einige wenige NGOs bieten psychosoziale Behandlung in Form von Gesprächs- und Selbsthilfegruppen und Beschäftigungsinitiativen an. Eine adäquate Therapie Traumatisierter ist weiterhin nur unzureichend möglich. Die Behandlung von Opfern sexueller Gewalt ist zwar grundsätzlich möglich, es fehlt jedoch auch hier an personellen und materiellen Kapazitäten (AA 5.4.2021).
Psychotherapie ist in Bosnien und Herzegowina nicht kostenlos. Der durchschnittliche Preis für Psychotherapie mit einem Psychotherapeuten in eigener Praxis reicht von 50 Bosnische Mark (BAM) (EUR 25,56) bis BAM 150 (EUR 76,69) pro Stunde (IOM Anfragebeantwortung 29.4.2022).
In Bosnien und Herzegowina gibt es kantonale Institutionen zur Behandlung von Alkohol- und Substanzmissbrauchsstörungen. Diese verfügen über Präventions- und Früherkennungsprogramme und bieten Behandlungen und Rehabilitation für Personen mit Alkohol- und Drogensüchtige an. Die medikamentöse Substitutionstherapie ist möglich, was für Personen, die in der Föderation BiH oder der Republika Srpska (RS) gesetzlich versichert sind, generell kostenlos ist. Die Ausgabe von Substitutionspräparaten ist strikt auf zertifizierte klinische Zentren und Institutionen beschränkt. Es sind also keine Aussagen zum Marktpreis dieser Medikamente für Private möglich (IOM Anfragebeantwortung 29.4.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.6.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (27.5.2022b): Bosnien und Herzegowina: Reise- und Sicherheitshinweise [Deutschland], https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bosnienundherzegowina-node/bosnienundherzegowinasicherheit/207694 , Zugriff 28.6.2022
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (26.4.2022): Außenpolitik, Reisehinweise für Bosnien und Herzegowina, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bosnien-und-herzegowina/reisehinweise-fuerbosnienundherzegowina.html#eda8e672d , Zugriff 28.6.2022
CESCR - UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (11.11.2021): Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina [E/C.12/BIH/CO/3], https://www.ecoi.net/en/file/local/2063955/G2132188.pdf , Zugriff 28.6.2022
IOM - CFS - Internationale Organisation für Migration (2020): Bosnien und Herzegowina, Country Fact Sheets - Länderinformationen, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_BiH_EN.pdf , Zugriff 29.6.2022
IOM - International Organisation for Migration (29.4.2022): Anfragebeantwortung von IOM, per E-Mail
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
Rückkehr
Die Verfassung und die Gesetze des Landes sehen die freiwillige Rückkehr oder lokale Integration von Binnenvertriebenen im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Binnenvertriebene vor. Aus den Statistiken des Ministeriums für Menschenrechte und Flüchtlinge geht hervor, dass 96.305 Personen infolge des Konflikts von 1992-95 noch immer den IDP-Status besitzen. Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylbewerbern sowie anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu gewähren. Zu Beginn des Jahres 2021 bot das UNHCR Schutz und Hilfe für 479 Binnenvertriebenen. Nach Angaben des UNHCR leben schätzungsweise 3.000 Personen, darunter auch Binnenvertriebene, weiterhin in Sammelunterkünften im ganzen Land. Obwohl diese Unterkünfte nur vorübergehend sein sollten, leben einige bereits seit 20 oder mehr Jahren in solchen Einrichtungen. Eine beträchtliche Zahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern lebt weiterhin unter minderwertigen Bedingungen (USDOS 12.4.2022).
Die Situation für Rückkehrer, die während des Balkankriegs aus dem Land flohen, hat sich verbessert. Ist die ursprünglich verlassene Wohnung beziehbar, ist eine Registrierung nur an diesem Ort möglich. Bei Zerstörung oder Besetzung der Wohnung erfolgt die Registrierung anderweitig, in der Föderation Bosnien und Herzegowina in dem Kanton, der dem Vorkriegswohnort am nächsten liegt. Wer über kein Identitätsdokument verfügt, muss ein solches beantragen. Zum Teil wird hierfür eine Reihe von Dokumenten verlangt (z. B. Wehrdienst-oder Steuerbescheinigung). Die Zuständigkeit für die Koordination der Flüchtlingsrückkehr liegt beim bosnisch-herzegowinischen Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge, das die staatliche Rückkehrkommission zur Durchführung von Wiederaufbaumaßnahmen gebildet hat. Das zwischen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowina geschlossene Rückübernahmeabkommen ist seit 1.1.2008 in Kraft. Zurückgeführte Staatsangehörige aus dem Ausland werden zur Aufnahme der Personalien von der Polizei befragt. Die Rückführungen erfolgen über den Flughafen Sarajevo oder über den Flughafen Tuzla (AA 5.4.2021).
Die Regierung hat die sichere Rückkehr und Wiederansiedlung oder die lokale Integration von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen je nach ihren Möglichkeiten aktiv gefördert, stellte Mittel für die Rückkehr bereit und beteiligte sich an international finanzierten Rückkehrprogrammen. Es gibt weiterhin vereinzelte Angriffe auf Rückkehrer aus Minderheitengruppen, die jedoch im Allgemeinen nicht angemessen untersucht oder strafrechtlich verfolgt werden. Auch gibt es für schutzbedürftige Binnenvertriebene und Rückkehrer keine wesentlichen Entwicklungen im Hinblick auf einen verbesserten Zugang zu Rechten und Dienstleistungen, insbesondere zum Recht auf Bildung in eigenen Sprache. Rückkehrer, die einer Minderheit angehörten, sehen sich weiterhin mit Hindernissen bei der Ausübung ihrer Rechte an den Rückkehrorten konfrontiert (USDOS 12.4.2022).
Die Schlechterstellung von Rückkehrern, die einer Minderheit angehören, durch öffentliche Stellen hat abgenommen, ist aber in einigen Regionen wie im Osten der Republika Srpska und der Herzegowina noch Praxis. Dies betrifft u. a. die Versorgung mit Strom, Wasser, Gas und Telefon durch die öffentlichen Versorgungsunternehmen, Rentenversorgung, Arbeitsaufnahme, Ausgabe von Personaldokumenten sowie den Zugang zu Bildung. Bei Roma ergeben sich oft zusätzliche Probleme dahingehend, dass sich diese bereits vor Ausreise nicht ordnungsgemäß registrieren ließen und dadurch nach Rückkehr zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Die Behandlung der Rückkehrer durch Dritte ist abhängig davon, ob eine Rückkehr in Minderheitengebiete (z. B. Bosniaken in die Republika Srpska) oder Mehrheitsgebiete (z. B. Serben in die Republika Srpska) erfolgt. Dort, wo sich die Volksgruppe, der die Rückkehrer angehören, in der Minderheit befindet, kommt es immer wieder zu Übergriffen. Während sich die Vorfälle in der Föderation Bosnien und Herzegowina meist auf verbale Angriffe und Sachbeschädigungen beschränken, kommt es auch heute noch in der Republika Srpska zu schwereren Angriffen pro Jahr, die angezeigt werden. Racheakte für im Krieg verübtes Unrecht sind bisher nicht bekannt geworden. Schwierigkeiten für Rückkehrer bei der Einreise sind nicht bekannt. Rückkehrer aus Ausland/EU müssen im Besitz eines gültigen Reisepasses sein; auch Kinder benötigen ein eigenes Dokument, was problematisch sein kann, wenn die Geburt im Ausland nicht bei den Behörden registriert wurde. Anerkannt werden auch ein Ersatzreiseausweis („putni list“) oder ein abgelaufener Reisepass (in diesem Fall wird nach der Einreise gegen den Betroffenen jedoch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eröffnet) (AA 5.4.2021).
Die größte Anzahl von Rückkehrern, welche mit Ausbruch des Bosnienkrieges 1992 weltweit Zuflucht suchten, wurde in den drei ersten Nachkriegsjahren verzeichnet. Danach verringerte sich diese Zahl stetig, insgesamt wurden im Zeitraum 1996-2005 die Rückkehr von 441.995 Flüchtlingen registriert. Danach emigrieren Familien und Individuen nur noch vereinzelt nach BuH und die letztveröffentlichen Daten zu BuH Rückkehrern seit der Unterzeichnung des Daytoner-Friedensabkommens bis zum 30.09.2011 belegen, dass 1.033.058 migrierte und geflüchtete Personen auf das Gebiet von BuH zurückkehrten. Auf das Gebiet der Föderation BuH kehrten 743.641 Personen zurück, auf das Gebiet der Republika Srpska 267.322, und in den Distrikt-Brcko BiH kehrten 22.095 Personen zurück. Im Zeitraum ab 2010 wurden Rückkehraktionen z.B. im Rahmen der Unterstützung von IOM durchgeführt. Da die Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen Rückkehrern nicht von statistischer Bedeutung ist, gibt es für diese Gruppe keinen Bedarf für spezielle Aufnahmezentren. Solche Fälle werden von den zuständigen Sozialämtern im Rahmen ihrer Tätigkeit übernommen (VB 29.6.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2021): Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050119/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_von_Bosnien_und_Herzegowina_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Februar_2021%29%2C_05.04.2021.pdf , Zugriff 28.5.2022
USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Bosnia and Herzegovina, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071146.html , Zugriff 28.6.2022
VB des BMI für Bosnien und Herzegowina [Österreich] (29.6.2022): Auskunft des VB, per E-Mail
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, in die zitierten Länderberichte zu Bosnien und Herzegowina sowie in die seitens der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen.
Auskünfte aus dem Strafregister, dem zentralen Melderegister, dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, der Betreuungsinformation (Grundversorgung) sowie dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger wurden ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt eingeholt.
Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 12.10.2023 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung sowie der Lebensgefährtin ihres Enkels als Zeugin.
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihrer vor den österreichischen Behörden im Original in Vorlage gebrachten – und im zentralen Fremdenregister als "authentisch (echt)" hinterlegten - bosnischen Geburtsurkunde sowie Staatsbürgerschaftsnachweises fest.
Die Feststellungen zur Herkunft, den Lebensumständen, den Familienverhältnissen und der Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen auf dem unbestrittenen Akteninhalt sowie den diesbezüglich glaubhaften Angaben seitens der Beschwerdeführerin und der Zeugin im Verfahren.
Die Feststellungen zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seit (spätestens) 21.03.2014 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister sowie dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister.
Dass die Beschwerdeführerin in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nachging, geht aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger hervor, während eine Abfrage in der Betreuungsinformation (Grundversorgung) bescheinigt, dass sie Grundversorgungsleistungen bezieht.
Die Feststellungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin fußen auf einem Konvolut an sich im Akt befindlichen, von ihr in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen, insbesondere den onkologischen Befunden des Krankenhauses XXXX aus den Jahren 2016 bis 2019, den Befunden hinsichtlich ihrer Besuche in der Diabetes-Ambulanz des Landesklinikums XXXX im Dezember 2022 sowie im Jänner und Februar 2023, den im Zuge der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Laborbefunden vom August 2023, sowie ihren Angaben insbesondere zuletzt in der Verhandlung.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ist durch eine Abfrage im Strafregister der Republik belegt.
2.2. Zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
Gegenständlich wurde der Beschwerdeführerin mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.06.2014 im Rahmen eines Familienverfahrens – abgeleitet von ihrem Ehemann - der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, wobei im Hinblick auf sie selbst keine Zuerkennungsgründe hervorgekommen waren. Mit Bescheiden vom 18.04.2016 sowie vom 26.03.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin als subsidiär Schutzberechtigte – abermals abgeleitet von ihrem subsidiär Schutzberechtigten Ehemann - auf Antrag jeweils um zwei weitere Jahre verlängert. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Juni 2018 wurde ihre befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte letztmalig mit Bescheid vom 08.05.2020 aufgrund einer damals noch laufenden Therapie in Bezug auf ihre vormalige Krebserkrankung bis zum 29.03.2022 verlängert.
Im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen Antrag der Beschwerdeführerin vom 04.03.2022 auf eine abermalige Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gelangt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des erhobenen Sachverhaltes zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen, welche in ihrem Fall ursprünglich zur Zuerkennung bzw. in weiterer Folge zur Verlängerung ihres subsidiären Schutzstatus geführt hatten, nicht mehr vorliegen.
In Bezug auf die gegenwärtige Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin ist zunächst festzuhalten, dass sich auf Grundlage der unter Punkt II.1.3. zitierten unbestrittenen Quellen und Berichte eine stabile Sicherheitslage in Bosnien ergibt, so dass man nicht damit rechnen muss, Opfer von willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden. Nicht zuletzt gilt Bosnien gemäß § 1 Z 1 HStV als sicherer Herkunftsstaat.
Wenngleich nicht verkannt wird, dass es der Beschwerdeführerin in Anbetracht ihres Alters und Gesundheitszustandes nicht mehr zumutbar sein wird, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ist vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderberichte selbst unter der Annahme, dass sie von ihren beiden in Bosnien lebenden Söhnen keine maßgebliche Unterstützung erfahren wird, ebenso wenig davon auszugehen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr automatisch in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizmaterial und Strom ist in Bosnien landesweit sichergestellt und gibt es mehrere Gesetze, die Sozialhilfeleistungen für alle Personen vorsehen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, oder über keine finanzielle Mittel verfügen und keine Angehörigen haben, die sich um sie kümmern. Auch Personen, die aufgrund von Zwangsmigration, Rückführung, verstorbenen Familienangehörigen, Krankheit, Naturkatastrophen und/oder Haftentlassungen plötzlich in Not geraten, sind in das Sozialhilfesystem eingebunden. Die Bewilligung von Anträgen und die anschließenden Sozialleistungen erfolgen über das kommunale Zentrum für Sozialhilfe. In Bosnien umfasst die Sozialhilfe die Krankenversicherung für den Antragsteller und seine Familienangehörigen. Über die Empfänger und die Höhe der Unterstützungsgelder wird im Einzelfall entschieden. Die Höhe der jeweiligen Unterstützung (z.B. monatliche Geldbeträge) bzw. Qualität der Einrichtungen für Unterbringung, falls notwendig, hängt auch von den Möglichkeiten der jeweiligen administrativen Einheit (z.B. Kanton) ab. Weiters besteht die Möglichkeit, dass örtliche NGOs (kirchliche, humanitäre etc.) verschiedene Hilfeleistungen für Bedürftige zur Verfügung stellen. Auch wenn die Beschwerdeführerin der Minderheit der Roma angehört, ist nicht zwangsläufig davon auszugehen, dass sie in Bosnien einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Der Staat und NGOs sind sich der schlechten Lage der Roma bewusst, und durch den Druck von EU und OSZE befassen sich die Behörden aller Ebenen mit Problemen, die Roma betreffen. Aus dem Staatsbudget werden jährlich Beträge für die Verwirklichung von Aktionsplänen zugunsten der Roma-Bevölkerung in Bosnien bereitgestellt. Die Schlechterstellung von Rückkehrern, die einer Minderheit angehören, durch öffentliche Stellen hat ebenfalls abgenommen (vgl. Punkt II.1.3.).
Der Beschwerdeführerin steht es naturgemäß offen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen oder sich im Falle der Bedürftigkeit an eine in ihrem Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Ebenso wenig wurden im Verfahren Umstände dargelegt, weswegen es ihren in Österreich lebenden Angehörigen nicht möglich sein sollte, die Beschwerdeführerin im Bedarfsfall auch in Bosnien weiterhin finanziell zu unterstützen, zumal auch bereits ihre dort lebenden Söhne von den Angehörigen in Österreich finanzielle Unterstützung erfahren.
Auch ergeben sich aus gesundheitlichen Erwägungen keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf die Beschwerdeführerin. Im Hinblick auf ihre vormalige Brustkrebserkrankung bedarf sie mittlerweile nur noch einmal jährlich einer gynäkologischen sowie einer Mammographie-Kontrolle, jedoch keiner engmaschigen Untersuchungen oder gar einer Chemotherapie mehr. Auch ist sie hinsichtlich ihrer Diabeteserkrankung medikamentös gut eingestellt und haben sich ihre Blutzuckerwerte zuletzt anamnestisch nachhaltig gebessert. In Bosnien existiert insbesondere im urbanen Raum eine breite medizinische Versorgung und ist die Gesundheitsversorgung darüber hinaus für Personen älter als 65 Jahre, Sozialhilfeempfänger, Patienten mit Diabetes und regelmäßiger Insulineinnahme sowie für Patienten, die an bösartigen Krankheiten leiden, kostenlos (vgl. Punkt II.1.3.). Die Beschwerdeführerin wird sohin im Hinblick auf ihre im Verfahren geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen – insbesondere ihre Diabeteserkrankung samt Begleiterkrankungen sowie die in Bezug auf ihrer vormalige Brustkrebserkrankung jährlich erforderlichen Nachsorgeuntersuchungen – auch in Bosnien adäquate und ihr zugängliche Behandlungsmöglichkeiten vorfinden, wobei es im Hinblick auf schwere Erkrankungen Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen. Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (vgl. VwGH 25.08.2022, Ra 2022/20/0048, mwN), was die Beschwerdeführerin mit ihren Angaben und vorgelegten Befunden gegenständlich jedoch nicht zu bewirken vermochte.
Aus dem Gesagten war festzustellen, dass die Voraussetzungen, welche im Falle der Beschwerdeführerin zur Zuerkennung bzw. in weiterer Folge Verlängerung des Status der subsidiär Schutzberechtigten geführt hatten, nicht mehr vorliegen.
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 04.04.2001, 2000/01/0348, mwN).
Die Beschwerdeführerin trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthält zwei unterschiedliche Aberkennungstatbestände: Dem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen. Der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0262, mwN).
Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verfolgt das Ziel sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt. Dies wird auch in den Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP , 38) - wenngleich dort nur kurz angesprochen, so dennoch deutlich - zum Ausdruck gebracht, indem betont wird, dass der Fremde (auch) in einem solchen Fall den Schutz Österreichs nicht mehr benötige. Während der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation erfasst, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiären Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, betrifft § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind. Dies steht im Einklang mit Art. 19 Abs. 1 der Statusrichtlinie (vgl. VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038).
Die Heranziehung des Tatbestands des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat. Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (vgl. VwGH 21.06.2021, Ra 2021/20/0024, mwN).
In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation, darstellen. In diesem Sinn kann bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (vgl. VwGH 01.09.2021, Ra 2021/19/0266, mwN).
Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind zwar nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben. Für die Entscheidung maßgebliche Elemente können jedoch schon aus chronologischen Gründen jedenfalls nur solche Sachverhaltselemente sein, die zeitlich nach der ursprünglichen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen (vgl. VwGH 21.04.2020, Ra 2019/19/0466, mwN).
Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden ist es nicht zulässig, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat. Bei Hinzutreten von neuen Sachverhaltselementen, die für die Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des zur Anwendung gebrachten Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben sind (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0203, mwN).
Das BFA beruft sich im angefochtenen Bescheid auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und führt begründend im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im Falle der Beschwerdeführerin – insbesondere in Anbetracht einer nachhaltigen Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes - nicht mehr vorlägen. Dieser Einschätzung ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts – wie unter Punkt II.2.2. beweiswürdigend dargelegt – im Ergebnis beizutreten.
Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Bosnien mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).
Es wurden im Verfahren auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführerin keine exzeptionellen Umstände aufgezeigt, wonach im Falle ihrer Rückkehr nach Bosnien die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall nicht gedeckt werden könnten (vgl. Punkt II.2.2.). Der Umstand, dass ihr Lebensunterhalt in Bosnien möglicherweise bescheidener ausfallen mag als er in Österreich sein könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, ihr wäre im Falle ihrer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die "Schwelle" des Art. 3 EMRK überschritten (vgl. VfGH 24.02.2020, E 3683/2019; zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).
Es ist letztlich davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Bosnien nicht automatisch in eine existenzbedrohende Lage geraten würde und ist sie angesichts der dort weitgehend stabilen Sicherheitslage auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht. Nicht zuletzt gilt Bosnien gemäß § 1 Z 1 HStV als sicherer Herkunftsstaat.
In Bezug auf die seitens der Beschwerdeführerin im Verfahren geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen ist zu betonen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Art. 3 EMRK ein Fremder im Allgemeinen kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 15.06.2021, Ra 2021/19/0071, mwN und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10).
Hinsichtlich schwerer Erkrankungen hat der EGMR jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 07.12.2021, Savran/Dänemark, 57467/15, neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen. Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als "Schwellentest" ["threshold test"] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen) (vgl. VwGH 06.05.2022, Ra 2022/20/0108, mwN).
Umstände, welche die Annahme rechtfertigen würden, dass im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Bosnien in Anbetracht ihrer Diabeteserkrankung samt Begleiterkrankungen oder vormaligen Brustkrebserkrankung die (hohe) Eingriffsschwelle, bei deren Überschreitung im Lichte der Judikatur des EGMR von einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann, fallgegenständlich überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059), wurden zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens substantiiert dargelegt und sind auch nicht hervorgekommen. Im Hinblick auf ihre vormalige Brustkrebserkrankung bedarf sie mittlerweile nur noch einmal jährlich einer gynäkologischen sowie einer Mammographie-Kontrolle, jedoch keiner engmaschigen Untersuchungen oder gar einer Chemotherapie mehr. Auch ist sie hinsichtlich ihrer Diabeteserkrankung medikamentös gut eingestellt und haben sich ihre Blutzuckerwerte zuletzt anamnestisch nachhaltig gebessert. In Bosnien existiert insbesondere im urbanen Raum eine breite medizinische Versorgung und ist die Gesundheitsversorgung darüber hinaus für Personen älter als 65 Jahre, Sozialhilfeempfänger, Patienten mit Diabetes und regelmäßiger Insulineinnahme sowie für Patienten, die an bösartigen Krankheiten leiden, kostenlos (vgl. Punkt II.1.3.). Die Beschwerdeführerin wird sohin im Hinblick auf ihre im Verfahren geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen – insbesondere ihre Diabeteserkrankung sowie die in Bezug auf ihrer vormalige Brustkrebserkrankung jährlich erforderlichen Nachsorgeuntersuchungen – auch in Bosnien adäquate und ihr zugängliche Behandlungsmöglichkeiten vorfinden, wobei es im Hinblick auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK unerheblich ist, dass die Behandlung im Herkunftsstaat gegebenenfalls nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt, welche dem Fremden auch zugänglich sind (vgl. VwGH 15.06.2021, Ra 2021/19/0071, mwN und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10).
Da somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen, hat sich die belangte Behörde zutreffend auf § 9 Abs. 1 AsylG 2005 gestützt um der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist gemäße § 9 Abs. 4 AsylG 2005 mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.
Nachdem die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten vorliegend erfüllt sind (vgl. Punkt II.3.1.), erweist sich die Beschwerde insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.3. Zur Nichterteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und wurden im Beschwerdeverfahren auch nicht behauptet. Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" war der Beschwerdeführerin daher nicht zuzuerkennen.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
3.4. Zur Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
Mit Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wurde ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bosnien gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG unzulässig ist.
Aus den in § 9 AsylG 2005 enthaltenen Anordnungen (Abs. 2: "Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn ...") folgt, dass im Aberkennungsverfahren folgendes Prüfschema einzuhalten ist: Nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist zunächst zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist. Mit der weitergehenden Anordnung des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, wonach die Aberkennung (mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie) zwingend mit der Feststellung zu verbinden ist, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat unzulässig ist, trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass im Fall der auf Abs. 2 gestützten Aberkennung zuvor im Rahmen der Prüfung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 das Ergebnis erzielt wurde, dass die tatsächliche Vornahme der Rückführung zu einer maßgeblichen Gefährdung des Fremden führen würde und auch kein Fall der Z 2 oder Z 3 leg. cit. vorliegt (vgl. VwGH 09.11.2022, Ro 2021/14/0001, mwN).
Da der Status der subsidiär Schutzberechtigten der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall bereits aus Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt wurde, bleibt gegenständlich kein Raum, um noch zusätzlich das Vorliegen der Aberkennungstatbestände des Abs. 2 leg. cit. zu prüfen.
Angesichts des Umstandes, dass in Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides überdies die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin auf Dauer für unzulässig erklärt wurde, kommt ebenso wenig ein auf § 52 Abs. 9 FPG gestützter, rechtlich erst auf der Erlassung einer Rückkehrentscheidung aufbauender Ausspruch hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Abschiebung in Betracht (vgl. VwGH 25.05.2023, Ra 2023/19/0099, mwN).
Bei dem insoweit getätigten Ausspruch handelt es sich offenkundig um einen Irrtum der belangten Behörde, da in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides unter Spruchpunkt IV. bereits die Zulässigkeit einer gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Rückkehrentscheidung geprüft wurde, die Zulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung hingegen an keiner Stelle. Auch finden sich in der rechtlichen Beurteilung keinerlei Ausführungen hinsichtlich eines etwaigen Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides.
Mangels des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen in der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation für einen etwaigen Ausspruch gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG im Hinblick auf die Unzulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Bosnien und Herzegowina war Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides daher ersatzlos zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
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