European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200108.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine der Volksgruppe der Han‑Chinesen zugehörige chinesische Staatsangehörige aus Shenyang (Provinz Liaoning), reiste ‑ wie sich aus den vorliegenden Akten ergibt ‑ am 31. Dezember 2018 auf dem Luftweg mit einem für sie (von Italien) ausgestellten und vom 30. Dezember 2018 bis 12. Februar 2019 gültigen Visum C in das Bundesgebiet ein. Sie wurde am 6. August 2020 in einer Wohnung in Wien 20., von Polizeibeamten betreten und infolge ihres zu dieser Zeit unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet festgenommen. Am selben Tag stellte sie einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 31. August 2020 ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Volksrepublik China zulässig sei, gewährte ihr keine Frist für die freiwillige Ausreise und sprach aus, dass einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
3 Das Bundesverwaltungsgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit (Teil‑)Erkenntnis vom 21. September 2020 betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung statt und hob den diesbezüglichen Ausspruch der Behörde ersatzlos auf.
4 Mit Erkenntnis vom 9. März 2022 wurde nach Durchführung einer Verhandlung der Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht weiters insoweit Folge gegeben, als der behördliche Ausspruch über die Erlassung eines Einreiseverbotes ersatzlos aufgehoben wurde [Spruchpunkt A) I.]. Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde im Wesentlichen ‑ lediglich den Ausspruch über die Nichtgewährung einer Frist für freiwillige Ausreise änderte es dahingehend ab, dass dafür eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft des nunmehr erlassenen Erkenntnisses festgelegt wurde ‑ als unbegründet ab [Spruchpunkt A) II.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revisionswerberin wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der von ihr gegen Spruchpunkt A) II. des Erkenntnisses vom 9. März 2022 erhobenen Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ihrem Vorbringen, weshalb sie im Heimatland einer asylrelevanten Verfolgung unterliege, kein Glauben geschenkt wurde.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtsicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 15.3.2022, Ra 2020/20/0045, 0046, mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit den Angaben der Revisionswerberin hinreichend auseinandergesetzt. Dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wäre, wird in der Revision nicht aufgezeigt.
11 Das Vorbringen in der Revision, allein „das Auftreten der Corona‑Pandemie“ hätte „zu einer stattgebenden Sachentscheidung über den Asylantrag“ führen müssen, erweist sich am Boden der geltenden Rechtslage als von vornherein verfehlt, zumal von der Revisionswerberin nicht einmal behauptet wird, es bestünde insoweit ein Zusammenhang mit einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund (vgl. dazu, dass Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht, etwa VwGH 18.3.2021, Ra 2020/18/0450, mwN).
12 Die Revisionswerberin führt weiters aus, die „Corona‑Pandemie“ habe die ganze Welt lahmgelegt. Diese Pandemie habe ihren Anfang in China genommen. „Corona“ sei „eine sehr gefährliche und hochansteckende Seuche“, die in nur einem Jahr weltweit Millionen Tote gefordert habe. Jeder, auch junge Menschen, könne lebensgefährlich erkranken. Infolge der „Corona‑Pandemie“ sei „die grenzüberschreitende Mobilität weitgehend zum Erliegen gekommen“. Langstreckenflüge seien „im Hinblick auf eine Ansteckung hochgefährlich“. Die Revisionswerberin stehe im 52. Lebensjahr und sei „somit erheblich gefährdet“. Es sei „nicht ausgeschlossen, sondern durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sie sich im Fall einer Rückkehr nach China anstecken, qualvoll leiden und sterben könnte“.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK ‑ auf eine solche bezieht sich die Revisionswerberin im Zusammenhang mit dem soeben wiedergegebenen Vorbringen ‑ eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 25.4.2022, Ra 2020/20/0088, mwN).
14 Soweit es Erkrankungen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. auch dazu VwGH 25.4.2022, Ra 2022/20/0088, mwN).
15 Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (Rn. 130). Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen [„As noted in paragraph 135 above, it is only after that test is met that any other questions, such as the availability and accessibility of appropriate treatment, become of relevance.“]; vgl. dazu nochmals VwGH 25.4.2022, Ra 2022/20/0088, mit Hinweis auf VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448).
16 Dass Derartiges gegeben sein könnte, wird von der Revisionswerberin nicht ansatzweise dargetan. Zunächst stellt sie lediglich die (im Übrigen auch in Österreich bestehende) bloße Möglichkeit einer im Heimatland stattfindenden Infektion mit dem SARS‑CoV‑2‑Virus in den Raum. Eine stichhaltige Begründung dafür, warum besondere Umstände vorlägen, aufgrund derer davon auszugehen gewesen wäre, es bestünde nicht nur die Möglichkeit, sondern ein reales Risiko, dass sie im Fall der Rückkehr in das Herkunftsland mit diesem Virus infiziert würde, enthält die Revision nicht. Des Weiteren legt die Revisionswerberin, die nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts gesund und arbeitsfähig ist, keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid‑19‑Erkrankung angehört und dreifach gegen eine solche Erkrankung geimpft wurde, keine stichhaltigen Gründe dafür dar, dass sie eine schwerkranke Person sei, die mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen werde.
17 Auch dem sonstigen bloß pauschal gehaltenen Revisionsvorbringen sind keine Gründe zu entnehmen, die geeignet wären, die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, eine Rückführung der Revisionswerberin in ihr Herkunftsland werde zu keiner Verletzung ihrer nach Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte führen, in Frage zu stellen.
18 Wenn die Revisionswerberin geltend macht, es hätte ihr ein Aufenthaltstitel nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt werden müssen, weil sie „Sexarbeiterin und als solche, wie allgemein bekannt“ sei „und jedermann“ wisse, „Opfer von Menschenhandel bzw. grenzüberschreitender Prostitution“ sei, ist sie darauf zu verweisen, dass sich aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ergibt, dass sie einer selbständigen Erwerbstätigkeit „im Rotlichtmilieu“ nachgehe. Dass sie Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden sei, wurde bisher von ihr nicht behauptet. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab die Revisionswerberin am 11. Februar 2022 vielmehr über Befragen des Richters ausdrücklich an, „das freiwillig“ zu machen und dieser Tätigkeit seit Oktober 2020 nachzugehen. Somit steht dem gegenteiligen, erstmals in der Revision erstatteten (und im Übrigen zudem unsubstantiiert gebliebenen) Vorbringen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen. Mit einem Vorbringen, das unter das Neuerungsverbot fällt, kann aber das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht begründet werden (vgl. VwGH 20.12.2018, Ra 2018/14/0348; 8.11.2021, Ra 2021/20/0301, jeweils mwN).
19 Soweit sich die Revisionswerberin auch gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 28.2.2022, Ra 2022/20/0009, mwN).
20 Dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung unvertretbar wäre, vermag die Revisionswerberin mit dem Hinweis auf die Begründung des von ihr gestellten Antrages auf internationalen Schutz, der sich allerdings als unberechtigt herausgestellt hat, die Dauer ihres bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet von dreieinhalb Jahren sowie ihre Tätigkeit als „Sexualdienstleisterin“ und die damit in Zusammenhang stehenden „Nahebeziehungen zu einer Vielzahl gebildeter Österreicher“ nicht darzutun.
21 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 6. Mai 2022
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