VwGH Ro 2021/14/0001

VwGHRo 2021/14/00019.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel, Dr.in Sembacher, Mag. I. Zehetner und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2020, W237 2231460‑1/7E, betreffend Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (mitbeteiligte Partei: S B in S), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §2 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs1 Z1
AsylG 2005 §34 Abs1 Z3
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §6 Abs1 Z3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs1 Z2
AsylG 2005 §9 Abs1 Z3
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs3
EURallg
FlKonv Art1 AbschnA Z2
FlKonv Art1 AbschnC Z5
VwGG §42 Abs2 Z1
32011L0095 Status-RL Art12
32011L0095 Status-RL Art16 Abs2
32011L0095 Status-RL Art3
62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORAB
62016CJ0652 Ahmedbekova VORAB
62017CJ0720 Bilali VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021140001.J00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Verfahrensgang

1 Der im Jahr 2001 geborene Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an.

2 Mit Bescheid vom 17. September 2008 erkannte das (damals zuständige) Bundesasylamt der ebenfalls aus Russland stammenden Mutter des Mitbeteiligten ‑ unter Abweisung des Asylbegehrens ‑ den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Es wurde festgestellt, dass sie an multipler Sklerose leide und dauerhafter ärztlicher Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damaligen aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das Bundesasylamt zum Schluss, dass für sie nach einem Abbruch der Behandlung ihrer Krankheit in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Heimatstaat nicht sichergestellt sei.

3 Mit Bescheid vom selben Tag wurde dem Mitbeteiligten vom Bundesasylamt der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Anwendung der Bestimmungen über das asylrechtliche Familienverfahren nach § 34 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) in Ableitung von seiner Mutter zuerkannt. In der Folge wurde die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung wiederholt verlängert. Zuletzt erteilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 12. Oktober 2018 eine bis zum 17. September 2020 gültige befristete Aufenthaltsberechtigung.

4 Der Mitbeteiligte wurde in Österreich mehrfach straffällig.

5 Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. August 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 5 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

6 Am 26. September 2019 wurde der Mitbeteiligte vom Landesgericht Salzburg rechtskräftig wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127129 Abs. 1 Z 3 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, bedingt nachgesehen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt.

7 Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. Dezember 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1143 Abs. 1 2. Fall StGB sowie des versuchten Raubes nach §§ 15 Abs. 1, 142 Abs. 1 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von 22 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

8 Aus Anlass der ersten Verurteilung leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des dem Mitbeteiligten zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten ein. Es ging davon aus, dass dem Mitbeteiligten dieser Status aufgrund der Verurteilung abzuerkennen sein werde. Gegenüber seiner Mutter sei kein Aberkennungsverfahren einzuleiten, weil sie über ihren „Schutzstatus wegen schwerer Erkrankung (multiple Sklerose)“ verfüge und sich diese Erkrankung seit Zuerkennung des Schutzstatus verschlimmert habe.

9 Mit Bescheid vom 6. März 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Mitbeteiligten den mit Bescheid vom 17. September 2008 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), entzog ihm die mit Bescheid vom 12. Oktober 2018 zuletzt verlängerte befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II), gewährte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III) und erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) (Spruchpunkt IV). Weiters stellte das Bundesamt gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V), legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII).

10 Begründend führte die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten „bloß“ abgeleitet von seiner Mutter gewährt worden sei, der ihr aufgrund ihrer Erkrankung an multipler Sklerose und ihrer im Herkunftsstaat nicht sichergestellten Versorgung zuerkannt worden sei. Der Mitbeteiligte habe mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet, weshalb er aus dem Familienverband ausgeschieden sei. Er habe niemals „eigene Schutzgründe“ gehabt, sei gesund, mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaats vertraut, spreche die tschetschenische Sprache und verfüge überdies über Familienangehörige in der Russischen Föderation, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin möglich und zumutbar sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen daher nicht mehr vor. Abgesehen davon sei der Mitbeteiligte mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 2. August 2019 und vom 10. Dezember 2019 zweimal wegen Verbrechen verurteilt worden, weshalb eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch auf Basis des § 9 Abs. 2 Z 3 Asylgesetz 2005 zu erfolgen habe.

Angefochtener Beschluss

11 Über die dagegen erhobene Beschwerde entschied das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Beschluss, dass der bei ihm angefochtene Bescheid behoben und die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen werde. Die Erhebung einer Revision erklärte das Verwaltungsgericht für gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig.

12 In seiner rechtlichen Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 sei vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen sei. Sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den darin genannten Gründen abzuerkennen, so habe die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der im § 9 Abs. 2 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände erfüllt sei. Die Behörde habe sich in ihrem Bescheid auf die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 gestützt, wonach die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht mehr“ vorlägen. Dem Mitbeteiligten sei damals als minderjährigem Sohn seiner Mutter subsidiärer Schutz im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 3 AsylG 2005 gewährt worden, eigene Schutzgewährungsgründe habe er diesem Bescheid zufolge nicht gehabt. Somit stelle sich die Frage, wie § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle anzuwenden sei, in denen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ursprünglich allein im Weg des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson abgeleitet worden sei. Zum Asylaberkennungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 2 Abschnitt C Z 5 GFK („Wegfall der Umstände“‑Klausel) habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass im Unterschied „zu allen anderen Aberkennungstatbeständen“ des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene „Wegfall der Umstände“‑Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer anderen Person abgeleitet habe, geprüft werden könne. Es sei nämlich bei einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukomme, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Somit komme es darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden und es diese daher nicht mehr weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Ausgehend von dieser Rechtsprechung stelle sich die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 im Fall des Mitbeteiligten, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an die Bezugsperson ‑ hier: die Mutter des Mitbeteiligten ‑ nicht mehr vorlägen. Die Behörde habe diese entscheidungswesentliche Frage nicht nur keiner Beurteilung unterzogen, sondern es unterlassen, diesbezüglich ‑ wegen der im angefochtenen Bescheid unzutreffend vertretenen Annahme, dass „nach dem Ausscheiden aus dem Familienverband zu prüfen sei, inwiefern die konkrete Verfahrenspartei selbst im Falle der Rückkehr mit schutzrelevanten Schwierigkeiten konfrontiert sein werde“ ‑ überhaupt jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Infolgedessen lägen auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhang mit einer Verhandlung bloß zu vervollständigen wären, weil zu den Fragen des Wegfalls der Umstände und der Gewährung von subsidiärem Schutz an die Mutter des Mitbeteiligten „kein Verwaltungsverfahren durchgeführt“ worden sei.

13 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass seine Auslegung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 für die vorliegende Konstellation nicht zwingend sei. Abgesehen davon, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, nicht nur auf den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005, sondern auch spezifisch auf den Telos der Beendigungsklausel des Art. 1 Abs. C [Z 5] GFK abgestellt habe, der im vorliegenden Zusammenhang nicht einschlägig sei, enthalte § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in seinem ersten Fall auch den Tatbestand des Nicht-Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich zwar zu diesem Tatbestand in seiner Rechtsprechung schon geäußert, aber sich bislang noch zu keiner Aussage im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation veranlasst gesehen. Es sei denkbar, dass § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 auch die Möglichkeit eröffne, für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, den der betreffende Fremde nur im Weg des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson abgeleitet habe, die aktuelle, eigene Gefährdung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK zu prüfen, ohne die Situation seiner ehemaligen Bezugsperson in den Blick nehmen zu müssen.

Amtsrevision

14 Gegen diesen Beschluss richtet sich die ordentliche Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten nach Durchführung des Verfahrens nach § 30a VwGG dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

16 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schließt sich in der Revision den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit der Revision an und macht zudem geltend, dass ferner zu klären sei, ob Abs. 2 des § 9 AsylG 2005 auch in einem Verfahren betreffend die Aberkennung eines im Familienverfahren zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten nur subsidiär zu dessen Abs. 1 heranzuziehen sei und in jedem Fall die auf Abs. 2 gestützte Aberkennung mit der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat zu verbinden sei. Vor dem Hintergrund, dass der Mitbeteiligte unbestritten nicht schutzbedürftig sei, würde seine Außerlandesbringung nicht die reale Gefahr einer der in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 genannten Rechtsverletzungen bedeuten, sodass eine darauf gestützte Aberkennung auch ohne Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ergehen dürfe. Ausgehend von einem solchen Verständnis des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 falle auch „der Sinn der subsidiären Prüfung weg“. Wäre nämlich eine Aberkennung des Schutzstatus nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 nicht mit der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zu verbinden, wäre es konsequent, auch die Prüfung des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 nicht subsidiär zu der des Abs. 1 vorzunehmen. Eine materielle Prüfung, ob dem subsidiär Schutzberechtigten eine der in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 angeführten Rechtsverletzungen drohe, hätte unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts nämlich nur im Hinblick auf den Familienangehörigen des Mitbeteiligten zu erfolgen, sodass der der Subsidiarität zugrundeliegende Gedanke wegfiele.

17 Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist im Ergebnis auch begründet.

Gesetzliche Bestimmungen

18 Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten (auszugsweise und mit Überschriften):

„Begriffsbestimmungen

§ 2 (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

(...)

22. Familienangehöriger:

a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.

...

(3) Ein Fremder ist im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er

1. wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in

die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder

2. mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist

rechtskräftig verurteilt worden ist.

...

Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

...

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) ...

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) ...

...

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. ... ;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) ...

...

4. Abschnitt

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34.

[...]

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“

Zuerkennung des Schutzstatus im Familienverfahren

19 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17. September 2008 wurde dem damals knapp siebenjährigen Mitbeteiligten ‑ abgeleitet von seiner Mutter im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 ‑ der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

20 Die Prüfung, ob auch in Bezug auf den Mitbeteiligten eine in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 umschriebene Gefährdung gegeben war, wurde infolgedessen nicht vorgenommen. Auch anlässlich der mehrfachen Verlängerungen der nach § 8 AsylG 2005 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung des Mitbeteiligten erfolgte eine solche Beurteilung nicht.

21 Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ‑ anders als etwa bei der Anwendung des § 35 AsylG 2005, der in seinem Abs. 5 festlegt, wer nach dieser Bestimmung als Familienangehöriger anzusehen ist ‑ ist im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen (vgl. VwGH 14.9.2022, Ra 2022/20/0191, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt, dass § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Ziel der Bestimmungen ist es, Familienangehörigen (im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen (vgl. VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0105; 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, jeweils mwN).

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits festgehalten, dass Art. 3 StatusRL nach dem Urteil des EuGH vom 4. Oktober 2018, C-652/16, Ahmedbekova und Ahmedbekov, dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, in Fällen, in denen einem Angehörigen einer Familie nach der mit dieser Richtlinie geschaffenen Regelung internationaler Schutz gewährt wird, die Erstreckung dieses Schutzes auf andere Angehörige dieser Familie vorzusehen, sofern diese nicht unter einen der in Art. 12 der Richtlinie genannten Ausschlussgründe fallen und sofern ihre Situation wegen der Notwendigkeit, den Familienverband zu wahren, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweist (s. Pkt. 3 des Tenors des Urteils C-652/16 sowie Rn 72 bis 74 der Begründung). Vor diesem Hintergrund stellen sich die im Sinn des Art. 3 StatusRL gegenüber den Vorgaben der StatusRL für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten günstigeren Regelungen des § 34 AsylG 2005 mit der StatusRL als vereinbar dar (vgl. erneut VwGH Ra 2018/14/0040 bis 0044; dies gilt jedenfalls, soweit es die dortige Konstellation der gemeinsamen Einreise betrifft).

23 Als Voraussetzung dafür, dass der Familienangehörige ‑ wie hier im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ‑ die Begünstigung im Familienverfahren, nämlich die Gewährung desselben Schutzes der Bezugsperson ohne Prüfung der sonst für die Erlangung dieses Status erforderlichen Voraussetzungen erhält, sieht § 34 Abs. 3 AsylG 2005 vor, dass der Antragsteller, neben seiner Eigenschaft als Familienangehöriger der Bezugsperson im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, nicht straffällig (im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005; vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/19/0421, im Zeitpunkt der Zuerkennung) geworden und gegen die Bezugsperson kein Verfahren zur Aberkennung des eingeräumten Schutzstatus anhängig ist.

24 Im gegenständlichen Fall lagen diese Voraussetzungen beim Mitbeteiligten unzweifelhaft vor. Er war damals der minderjährige Sohn einer subsidiär Schutzberechtigten. Gegen seine Mutter war ein Aberkennungsverfahren nicht anhängig. Er war zu dieser Zeit (noch) nicht straffällig geworden. Eigene Fluchtgründe hatte der Mitbeteiligte nicht vorgebracht.

Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Zuerkennung infolge einer den Fremden selbst betreffenden Gefährdung

25 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im vorliegenden Fall die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkennbar (auch) auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, also den nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Status, gestützt.

26 Nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen.

27 § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthält zwei unterschiedliche Aberkennungstatbestände. Der erste Fall erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153).

28 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einer Konstellation nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155). Diese Überlegungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, auch auf jene Fälle übertragen, in denen ‑ wie im gegenständlichen Fall ‑ die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 gestützt wird. Demnach bringt die Behörde durch die Entscheidung, die befristete Aufenthaltsberechtigung zu verlängern, vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zum Ausdruck, dass sie davon ausgeht, es seien im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, mit der sie die Verlängerung bewilligt, weiterhin jene Umstände gegeben, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich waren. Hat die Behörde keine konkreten Hinweise dafür, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung die für dessen Bewilligung notwendigen Voraussetzungen nicht mehr bestehen könnten, also die diesbezüglich maßgeblichen Umstände sich nicht im Sinn der unionsrechtlichen Vorgaben in hinreichend bedeutsamer und endgültiger Weise geändert haben, werden insoweit weitere Ermittlungen unterbleiben können.

29 Ist aber eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zulässig, hat die Aberkennung dieses Status gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 dennoch zu erfolgen, wenn eine der dort unter Z 1 bis 3 normierten Voraussetzungen vorliegt.

30 In den Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 ‑ FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122/2009, mit dem die Aberkennungstatbestände des Abs. 2 des § 9 AsylG 2005 eingeführt wurden, wird dazu Folgendes ausgeführt (vgl. RV 330 BlgNR 24. GP  9):

„Die geltende Rechtslage führt zu dem rechtspolitisch unbefriedigenden Ergebnis, dass Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten - samt den damit verbundenen Rechten (Arbeitsmarktzugang uä.) - nicht aberkannt werden kann, solange die Abschiebung in den Herkunftsstaat eine Menschenrechtsverletzung im Sinne der EMRK bedeuten würde. Dies gilt auch dann, wenn der Fremde in Österreich mittlerweile (auch schwerste) Straftaten begangen hat. Nunmehr soll dies möglich sein und damit ein Zeichen gesetzt werden, dass Straffälligkeit mit dem Verlust von Rechten einhergeht und die Rechtsposition dieser Fremden auf das notwendige Maß beschränkt werden.

Der neue Abs. 2 stellt demgemäß eine Erweiterung der Aberkennungstatbestände des Abs. 1 dar. So hat eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch in drei weiteren Fällen von Amts wegen zu erfolgen (Z 1 bis 3). Diese Aberkennungstatbestände entsprechen den in Art. 19 Abs. 3 iVm Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie (RL 2004/83/EG des Rates) normierten Aberkennungstatbeständen. Von diesen europarechtlich vorgesehenen Aberkennungsmöglichkeiten soll nun innerstaatlich Gebrauch gemacht werden. Die Z 1 und 2 orientieren sich dabei auch an den Aberkennungs- bzw. Ausschlussgründen für den Status des Asylberechtigten gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 und 3. Abweichend von der in Z 3 geforderten formalen Grenze des ‚Verbrechens (§ 17 StGB)‘ kann der Aberkennungstatbestand der Z 2 auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium der Z 3 nicht erfüllen. Der in Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie geregelte Aberkennungstatbestand der ‚schweren Straftat‘ wird im Sinne der österreichischen Strafrechtsterminologie mit der ‚rechtskräftigen Verurteilung zu einem Verbrechen (§ 17 StGB)‘ umgesetzt (Z 3). Die hier geforderte Schwelle des Verbrechens im Sinne des § 17 StGB steht in keinem direkten Bezug zum ‚besonders schweren Verbrechen‘ gemäß § 6 Abs. 1 Z 4. Die Beurteilung einer Tat (oder mehrerer Taten) als besonders schweres Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 ist vielmehr unabhängig von dieser formalen Einordnung und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Straftat, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzt.

Die neuen Aberkennungstatbestände des Abs. 2 sind nur subsidiär anzuwenden, wenn die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 zu erfolgen hat. Dies ergibt sich daraus, dass in den Fällen einer Aberkennung nach Abs. 1 die Gefahr einer durch die Abschiebung drohenden Menschenrechtsverletzung jedenfalls nicht gegeben ist und die Ausweisung und Abschiebung dieser Fremden daher zulässig ist. Der Berufung auf diese Aberkennungstatbestände ist sohin konsequenterweise der Prüfvorrang einzuräumen. Da die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bei einer drohenden Verletzung der Rechte nach der EMRK im Sinne des Refoulementverbots selbstverständlich nicht zu einer Abschiebung des Fremden führen soll, ist die Aberkennung nach Abs. 2 mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist. Siehe dazu auch die Änderung des § 10 Abs. 1, wonach eine Aberkennung nach Abs. 2 nicht mit einer Ausweisung zu verbinden ist. Der Aufenthalt dieser Fremden im Bundesgebiet ist gemäß dem neuen § 46a FPG geduldet, solange eine Abschiebung unzulässig ist.

Der neue Abs. 3 normiert analog zur neuen Bestimmung des § 7 Abs. 2, dass ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bei Straffälligkeit (§ 2 Abs. 3) des Fremden jedenfalls einzuleiten ist, wenn das Vorliegen einer Aberkennungsvoraussetzung wahrscheinlich ist. ...“

31 Aus den in § 9 AsylG 2005 enthaltenen Anordnungen (Abs. 2: „Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn ...“) folgt, dass im Aberkennungsverfahren folgendes Prüfschema einzuhalten ist: Nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist zunächst zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2019/19/0522; 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

32 Mit der weitergehenden Anordnung des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, wonach die Aberkennung (mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie) zwingend mit der Feststellung zu verbinden ist, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat unzulässig ist, trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass im Fall der auf Abs. 2 gestützten Aberkennung zuvor im Rahmen der Prüfung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 das Ergebnis erzielt wurde, dass die tatsächliche Vornahme der Rückführung zu einer maßgeblichen Gefährdung des Fremden führen würde und auch kein Fall der Z 2 oder Z 3 leg. cit. vorliegt.

Zur Aberkennung bei ursprünglicher Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren

33 Für die Aberkennung des im Familienverfahren zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten fehlen ausdrückliche gesetzliche Regelungen. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Zulassungsbegründung zutreffend festhielt ‑ und von der Amtsrevision auch aufgegriffen wird ‑, existiert dazu auch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

34 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 über das Familienverfahren im Inland nur das Verfahren zur Zuerkennung von internationalem Schutz regeln. Im AsylG 2005 finden sich aber keine (eigenen) Normen, unter welchen Voraussetzungen einem Familienangehörigen, dem internationaler Schutz im Weg des Familienverfahrens (ohne eigene Gründe) gewährt wurde, dieser Schutzstatus abzuerkennen ist (vgl. (vgl. Nedwed, Familienverfahren - Schutz des Einzelnen und des Kollektivs, in Filzwieser/Taucher, Asyl‑ und Fremdenrecht. Jahrbuch 2019 [2019] 229).

35 Weiters ist festzuhalten, dass die Bestimmungen des § 7 AsylG 2005 über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und jene des § 9 AsylG 2005 über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (deutlich) unterschiedlich formuliert sind.

36 Es erscheint an dieser Stelle zweckmäßig, zunächst die für Asylberechtigte maßgeblichen Bestimmungen in den Blick zu nehmen.

37 § 7 Abs. 1 AsylG 2005 sieht die Aberkennung des Status des Asylberechtigten in jenen Konstellationen vor, in denen (Z 1) ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt, (Z 2) einer der in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder (Z 3) der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

38 Schon an dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dass § 7 AsylG 2005 ‑ im Gegensatz zu § 9 AsylG 2005 ‑ keine Reihenfolge, in der die Aberkennungsgründe geprüft werden müssen, vorsieht.

39 Bei der auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 1 bis Z 4 AsylG 2005 gestützten Aberkennung des Status des Asylberechtigten kommt es auf die Art der Zuerkennung dieses Schutzstatus, sohin ob er originär oder abgeleitet erworben wurde, nicht an (vgl. in diesem Sinn VwGH 5.4.2022, Ra 2022/14/0001, Rn. 15, dort betreffend das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005). Allein maßgeblich ist, ob der Asylberechtigte ein Verhalten gesetzt hat, das einer der in § 6 AsylG 2005 aufgezählten Fallkonstellationen unterliegt. Ist ein solcher Ausschlussgrund verwirklicht, ist der Status des Asylberechtigten mit Bescheid abzuerkennen und (nach § 7 Abs. 4 AsylG 2005) mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Darauf, ob die Bezugsperson, von der der Status als Asylberechtigter zuvor im Familienverfahren abgeleitet worden war, im Herkunftsstaat weiterhin asylrechtlich relevante Verfolgung zu befürchten hat, kommt es dabei nicht an.

40 Anderes hat jedoch im Fall der auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK gestützten Aberkennung zu gelten, mit der sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, befasst hat. Dort ist er zum Ergebnis gelangt, dass es bei der Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK des einem Familienangehörigen zuvor im Familienverfahren (oder nach früheren Asylgesetzen durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (im Beschwerdeverfahren: das Verwaltungsgericht) ‑ als Vorfrage ‑ selbständig zu beurteilen. Gelangt die Behörde ‑ oder im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht ‑ in einem solchen Fall zu der Beurteilung, dass diese Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Status des Asylberechtigten eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren oder durch Asylerstreckung zuerkannt worden war, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen. Für die Asylaberkennung in einem solchen Fall ist hingegen nicht maßgeblich, ob alle Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren noch vorliegen.

41 Dies wurde maßgeblich damit begründet, dass im Unterschied zu anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene „Wegfall der Umstände“-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden könne. Es sei nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukommt, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar (vgl. dazu nochmals das bereits zitierte Erkenntnis vom 23.10.2019, Rn 26, dem folgend VwGH 3.9.2021, Ra 2021/14/0108, mwN). Es habe aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden können, dass Familienangehörigen dieser Status selbst dann nicht aberkannt werden könnte, wenn sich die Umstände, auf Grund deren ihre Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden war, nicht mehr bestehen und die Bezugsperson es nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen (Rn. 27 des zitierten Erkenntnisses Ra 2019/19/0059).

42 Die in § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthaltenen Gründe für die Aberkennung von subsidiärem Schutz, die auf das Nicht‑Vorliegen oder das Nicht‑mehr‑Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz abstellen, unterscheiden sich ‑ wie bereits oben erwähnt ‑ in ihrem Wortlaut deutlich von § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.

43 Zudem sieht § 9 AsylG 2005 im Gegensatz zu § 7 AsylG 2005 ‑ wie ebenfalls bereits erwähnt ‑ eine Reihenfolge der Prüfung (zunächst) der in Abs. 1 und (erst im Fall des Bejahens einer maßgeblichen Gefährdung) der in Abs. 2 enthaltenen Aberkennungsgründe vor. Daraus sowie aus den nachstehenden Überlegungen ergibt sich, dass die in Ra 2019/19/0059 zu § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK angestellten Überlegungen nicht auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zu übertragen sind.

44 Würde man, wie das Bundesverwaltungsgericht meint, die in Ra 2019/19/0059 für die Aberkennung von Asyl dargelegten Grundsätze auch für das Aberkennungsverfahren von (im Familienverfahren abgeleiteten) subsidiär Schutzberechtigten als maßgeblich ansehen, müsste für eine auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützte Aberkennung das Vorliegen einer (weiteren) Gefährdung im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Bezugsperson einer Prüfung unterzogen werden. Erst wenn eine solche Gefährdung der Bezugsperson zu verneinen wäre, wäre zu prüfen, ob der betreffende Fremde im Fall seiner Rückführung selbst eine solche Gefährdung zu gewärtigen hätte.

45 Ergäbe aber eine solche Prüfung, dass jene Gründe, die ursprünglich für die Bezugsperson zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz geführt haben, weiterhin bestünden, wäre ‑ ginge man von den Erwägungen zu § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in Ra 2019/19/0059 aus ‑ kein Raum für die Beurteilung, ob in Bezug auf den Familienangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wegen Fehlens einer ihn betreffenden Gefährdung aberkannt werden könnte.

46 Dies hätte ‑ läge auch sonst kein Grund des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 vor ‑ zur Folge, dass eine Aberkennung nach Abs. 1 des § 9 AsylG 2005 nicht möglich wäre und im Fall der Verwirklichung eines in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 enthaltenen Tatbestandes die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten selbst dann zwingend mit der Feststellung zu verbinden wäre, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, obwohl für ihn eine reale Gefahr der Verletzung der im Abs. 2 genannten Rechte (von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention) oder die dort genannte ernsthafte Bedrohung (des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) gar nicht gegeben ist.

47 Für den vorliegenden Fall würde dies bei einer solchen Sichtweise bedeuten, dass geprüft werden müsste, ob jene Gründe, die zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Mutter geführt haben (ob also ihr Gesundheitszustand und die diesbezüglichen Möglichkeiten der Versorgung im Herkunftsstaat im Fall ihrer Rückführung [insbesondere] zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen), weiterhin vorlägen. Wäre zu bejahen, dass die Mutter des Mitbeteiligten weiterhin Anspruch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz erheben könnte, dürfte die Aberkennung des dem in Österreich straffällig gewordenen Mitbeteiligten im Familienverfahren zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten nur nach dem Abs. 2 des § 9 AsylG 2005 mit der Folge, dass (insbesondere) seine Abschiebung für unzulässig zu erklären wäre, erfolgen.

48 Das bedeutet aber auch, dass diesfalls einem straffällig gewordenen subsidiär Schutzberechtigten, der selbst im Heimatland keine Gefährdung im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu befürchten hat, Schutz vor Abschiebung zu Teil werden würde. Im Gegensatz dazu kommt einem Asylberechtigten im Fall der gravierenden Straffälligkeit ein solcher Schutz nicht zu, weil die Aberkennung von Asyl nach § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ‑ wie oben dargelegt ‑ losgelöst von der Frage der (weiteren) Verfolgung der Bezugsperson auszusprechen ist und sich die daran anschließende Beurteilung nach § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nur auf ihn, nicht aber auf die Bezugsperson zu beziehen hat.

49 Somit käme es bei der Anwendung der zu § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK im Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, enthaltenen Grundsätze ‑ gerade im Fall der Straffälligkeit eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren zuerkannt worden war ‑ zu einem unüberbrückbaren und verfassungsrechtlich bedenklichen Wertungswiderspruch.

50 Unter Einbeziehung der oben dargestellten Erwägungen des Gesetzgebers zur Schaffung des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, aus denen abzuleiten ist, dass im Fall von straffällig gewordenen Fremden vorrangig zu prüfen ist, ob der Rückführung in den Herkunftsstaat ein ihn betreffendes Hindernis entgegensteht und eine solche aus diesem Blickwinkel betrachtet nur dann unterbleiben soll, wenn der betreffende Fremde selbst eine in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 genannte Gefahr zu befürchten hat, ist nicht zu sehen, dass der Gesetzgeber eine solche von einem Wertungswiderspruch gekennzeichnete Rechtslage hätte schaffen wollen. Im Ergebnis würde dies nämlich nach dem Gesagten dazu führen, dass insoweit ein Asylberechtigter schlechter gestellt wäre als ein straffällig gewordener subsidiär Schutzberechtigter.

51 Um den angesprochenen Wertungswiderspruch, der dem Gesetzgeber nicht als beabsichtigt unterstellt werden kann, zu vermeiden, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die in § 9 AsylG 2005 enthaltenen Anordnungen in Bezug auf Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren zuerkannt wurde, in folgender Weise zu verstehen sind:

52 Nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen.

53 Zwar verweist § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 im dort vorhandenen Klammerausdruck auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren kommt es aber nach § 34 AsylG 2005 gerade nicht darauf an, dass der Familienangehörige einen Schutzbedarf haben muss, um in den Genuss der daraus resultierenden Rechtsstellung zu kommen.

54 Um den zuvor erwähnten Wertungswiderspruch aufzulösen, ist § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sohin dahin zu verstehen, dass der Blick nicht allein auf die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu richten ist. Vielmehr ist auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren abzustellen. Es ist somit insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen.

55 Zu ergänzen ist, dass der Frage, ob dies angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, 2001/01/0429, auch für den Wegfall der Eigenschaft als Familienangehöriger gilt, hier aufgrund der Lage des Falles nicht nachgegangen werden muss. Es sei aber an dieser Stelle angemerkt, dass sich die frühere Rechtslage nach dem Asylgesetz 1997, die dort zur Beurteilung anstand, maßgeblich von der aktuell geltenden Rechtslage unterschieden hatte, weil nach dem Asylgesetz 1997 die Eigenschaft als Familienangehöriger (im Sinn des Asylgesetzes 1997) als Prozessvoraussetzung für die Erstreckung von Asyl festgelegt war. Zudem hat der Gesetzgeber mittlerweile Bestimmungen geschaffen, die einem subsidiär Schutzberechtigten ermöglichen, einen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu erhalten (§ 45 Abs. 12 NAG). Weiters ist der Wegfall der Voraussetzungen für den subsidiären Schutz nicht automatisch mit einer Beendigung des Aufenthalts verbunden (vgl. insbesondere § 9 Abs. 3 BFA‑VG und § 58 Abs. 2 AsylG 2005 sowie § 55 AsylG 2005).

56 Wie bereits angesprochen, hat der Gesetzgeber ‑ mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung und der Beschleunigung von Asylverfahren ‑ (auch) für den Fall der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Weg des Familienverfahrens die Prüfung einer allfälligen Gefährdung im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 des Familienangehörigen als nicht erforderlich erachtet.

57 Somit ist es zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke erforderlich, in jenem Fall, in dem die Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Aufrechterhaltung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht länger vorliegen, auch zu prüfen, ob der Familienangehörige aufgrund ihn selbst betreffender Gründe die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt. Nur so kann der in der Rechtsprechung getätigten ‑ oben wiedergegebenen ‑ Aussage, wonach § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient und Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, sie aber nicht um ihr Verfahren im Einzelfall gebracht werden sollen (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418, mwN), ausreichend Rechnung getragen werden.

58 Ergibt die ‑ im Rahmen des Verfahrens zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten dann erstmalig vorgenommene ‑ Prüfung, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, ist eine Aberkennung des ‑ wenn auch bloß abgeleiteten ‑ Schutzstatus nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht zulässig, weil ein (nunmehr originärer) Schutzbedarf des Fremden besteht.

59 Erst in diesem Fall (sofern nicht ausnahmsweise eine Aberkennung nach der Z 2 oder Z 3 des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 vorzunehmen wäre) ist in einem weiteren Schritt zu klären, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 erfolgen kann. Eine solche Aberkennung wäre sodann nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zwingend (u.a.) mit der Feststellung der Unzulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung zu verbinden.

Fallbezogene Beurteilung

60 Im vorliegenden Fall hob das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass aufgrund der von der Mutter im Familienverfahren abgeleiteten Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten die Beurteilung des Schutzbedarfes der Bezugsperson ‑ der Mutter ‑ maßgeblich sei, die Behörde aber dazu überhaupt keine Ermittlungen angestellt habe.

61 Nach dem bisher Gesagten kommt es jedoch bei der Frage, ob dem Mitbeteiligten der im Familienverfahren zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, darauf nicht an.

62 Damit ist aber auch dem vom Bundesverwaltungsgericht an die Behörde gerichteten Vorwurf, sie habe dazu überhaupt keine Ermittlungen getätigt, der Boden entzogen.

63 Im fortzusetzenden Verfahren wird zunächst zu beurteilen sein, ob im Sinn des Vorgesagten die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (im Familienverfahren) nicht länger vorliegen und ‑ falls dies zutreffen sollte (was angesichts der einleitend wiedergegebenen Urteile nicht zweifelhaft sein kann) ‑ ob der Mitbeteiligte selbst die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt. Sollte das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Aberkennung nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 bejahen, wird es sich zudem mit den Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ‑ im Besonderen vor dem Hintergrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des Mitbeteiligten ‑ eingehend zu beschäftigen haben. Sollten aber die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 zu verneinen sein, wird das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 für eine Aberkennung zu prüfen haben.

Ergebnis

64 Nach dem Gesagten hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage verkannt und den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Beschluss war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 9. November 2022

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