BVwG W237 2231460-1

BVwGW237 2231460-123.10.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W237.2231460.1.00

 

Spruch:

 

 

W237 2231460-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2020, Zl. 770590602/ 190654924:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete mit Aktenvermerk vom 01.07.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des dem Beschwerdeführer zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten ein. Am 13.02.2020 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer statt.

Mit Bescheid vom 06.03.2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom 17.09.2008 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß „§ 9 Absatz 1 Z 1 und Absatz 2 Z 3“ AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die mit Bescheid vom 12.10.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), gewährte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG (Spruchpunkt IV.); weiters stellte das Bundesamt die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V.), legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegenüber dem Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII).

2. Am 26.05.2020 erhob der Beschwerdeführer über seinen zur Vertretung im weiteren Verfahren bevollmächtigten Rechtsberater gegen den Bescheid vom 06.03.2020 vollinhaltlich eine Beschwerde.

Der Beschwerdeschriftsatz samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 02.06.2020 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein russischer Staatsangehöriger, der als sechsjähriges Kind am 28.06.2007 mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder nach Österreich gelangte. Am selben Tag stellte seine Mutter für sich und für den Beschwerdeführer als dessen gesetzliche Vertreterin jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.1. Unter Abweisung des Asylbegehrens gewährte das damalige Bundesasylamt mit Bescheid vom 17.09.2008 der Mutter des Beschwerdeführers den Status der subsidiär Schutzberechtigten, wobei es feststellte, dass sie an Multipler Sklerose leide und dauerhafte ärztliche Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damals aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das Bundesasylamt zum Schluss, dass nach einem Abbruch der Behandlung ihrer Krankheit in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt sei. Eine menschenwürdige Existenz sei ebenso gefährdet wie die Versorgung ihrer Kinder. Da sie auch nicht auf die Unterstützung durch ihren Ehemann zählen könne, sei „die Schwelle der Unzumutbarkeit im Lichte der einschlägigen Regelungen der EMRK im Falle [i]hrer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt überschritten“.

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde im genannten Bescheid unter einem eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt, die in den darauffolgenden Jahren wiederholt verlängert wurde; zuletzt erteilte ihr das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 18.06.2019 eine bis zum 17.06.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung.

1.1.2. Das Bundesasylamt erkannte dem Beschwerdeführer am selben Tag wie seiner Mutter den Status des subsidiär Schutzberechtigten ausschließlich im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 (in der damaligen Fassung) in Ableitung des seiner Mutter zukommenden Schutzstatus zu. Auch die ihm zuerkannte befristete Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge wiederholt verlängert; zuletzt erteilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 12.10.2018 eine bis zum 17.09.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung.

1.2. Der Beschwerdeführer verbrachte seine Kindheit und Jugend bis zum Entscheidungszeitpunkt in Österreich und erlernte hier die deutsche Sprache. Er wurde mehrfach straffällig und beging Vermögens- sowie Gewaltdelikte.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete das gegenständliche Statusaberkennungsverfahren aufgrund der ersten strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ein. Es ging bei der Verfahrenseinleitung davon aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen der Verurteilung wegen eines schweren Verbrechens abzuerkennen sein würde; gegenüber seiner Mutter sei kein Aberkennungsverfahren einzuleiten, weil sie über ihren „Schutzstatus wegen schwerer Erkrankung (Multiple Sklerose)“ verfüge und sich diese „seit Zuerkennung des Schutzstatus verschlimmert“ habe. Das Bundesamt führte sodann eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer am 13.02.2020 durch, in der es ihn zu seinem Gesundheitszustand, seinen familiären Angehörigen in der Russischen Föderation und in Österreich, seinen Befürchtungen im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowie seinen Lebensumständen in Österreich näher befragte. Die der Mutter des Beschwerdeführers im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. sie erwartende Situation bildete kein Thema der Einvernahme.

Der angefochtene Bescheid stützt sich hinsichtlich der Statusaberkennung darauf, dass dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz bloß abgeleitet von seiner Mutter gewährt worden sei. Diese habe den Status der subsidiär Schutzberechtigten aufgrund ihrer Multiple Sklerose bzw. der nicht sichergestellten medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat erhalten. Der Beschwerdeführer habe mittlerweile das 18. Lebensjahr erreicht, weshalb er aus dem Familienverband ausgeschieden sei. Er habe niemals eigene Schutzgründe gehabt, sei gesund, mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaats vertraut, könne auf Tschetschenisch kommunizieren und verfüge überdies über familiäre Angehörige in der Russischen Föderation, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin möglich und zumutbar sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen daher nicht mehr vor. Abgesehen davon sei der Beschwerdeführer mit Urteilen des XXXX vom XXXX und vom XXXX zweimal wegen Verbrechen verurteilt worden, weshalb eine Aberkennung seines subsidiären Schutzes auch auf Basis des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 zu erfolgen habe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl knüpfte an die Statusaberkennung und den Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Zulässigerklärung der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation sowie ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot.

1.4. Zur fallrelevanten Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, werden folgende Feststellungen getroffen:

Grundversorgung

2018 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73,6 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 55%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 4,7% (WKO 7.2019), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region. Russische StaatsbürgerInnen haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2018). Das BIP lag 2018 bei ca. USD 1.630 Milliarden (WKO 7.2019, vgl. GIZ 2.2020b).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2019 den 98. Platz [2018 Platz 107] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftswachstum betrug 2019 1,3%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 2.2020b).

Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Behinderungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit RUB 10.444 [ca. EUR 141] entspricht. Auch der Mindestlohn wurde seit 1.5.2018 an das Existenzminimum angeglichen. Der Warenkorb, der zur Berechnung des Existenzminimums herangezogen wird, ist marktfremd. Die errechnete Summe reicht kaum zum Überleben aus. Diese Entwicklung kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. In den Regionen, die neben dem föderalen Existenzminimum ein höheres regionales Existenzminimum eingeführt haben, haben die Beschäftigten und die Rentner die Möglichkeit, eine aufstockende Leistung bis zur Höhe des regionalen Existenzminimums zu erhalten. Die Entwicklung hin zur Verarmung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Diese sind zum einen eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik. Zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält. Zum anderen resultieren die niedrigen Löhne aus der primär auf den Erhalt der Arbeitsplätze fokussierten russischen Beschäftigungspolitik. Ungünstig ist zudem die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören (33,4 Mio. von 73,1 Mio. Beschäftigten). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 13.2.2019).

Die Lage der Rentner (29,5% der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär. Die Durchschnittsrente beträgt RUB 13.348 [ca. EUR 180]. Die Durchschnittsaltersrente ist ein wenig höher und beträgt RUB 14.075 [ca. EUR 190]. Sie soll ab 2019 als Ausgleich zu der zugleich eingeführten Anhebung des Rentenalters um fünf Jahre (jährlich um ein Jahr bis auf 60 Jahre bei Frauen und 65 Jahre bei Männern) jährlich um durchschnittlich RUB 1.000 [ca. EUR 14] erhöht werden. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Rentenniveau zwischen 2012 und Ende 2018 um 18% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2018 um 49%. Seit 1.2.2018 sind die Löhne für alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst um 4% pauschal angehoben worden. Weitere Lohnerhöhungen sind im Bildungssystem und Gesundheitswesen geplant, wo die Löhne 23% respektive 19% unter dem landesweiten Durchschnittslohn liegen (AA 13.2.2019).

Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Rentner und Menschen mit Behinderung. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Renten, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Behinderung, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel 20.2 Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.2.2020a).

Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland bis Juni 2020 beschlossen (Standard.at 20.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 18.3.2020

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 18.3.2020

- IOM – International Organisation for Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101366&vernum=-2 , Zugriff 18.3.2020

- Standard.at (20.6.2019): EU verlängert Sanktionen gegen Russland, https://www.derstandard.at/story/2000105172803/eu-verlaengert-sanktionen-gegen-russland , Zugriff 18.3.2020

- Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020

- WKO – Wirtschaftskammer Österreich (7.2019): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf , Zugriff 18.3.2020

 

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 2.2020a, vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des Nordkaukasus-Ministeriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2019). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wiederaufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).

Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien im Juni 2019 bei RUB 27.443 [ca. EUR 388] (Chechenstat 2019), landesweit bei RUB 48.453 [ca. EUR 686] im zweiten Quartal 2019 (GKS 16.8.2019). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im August 2019 bei RUB 12.440 [ca. EUR 176] (Chechenstat 2019), landesweit im ersten Halbjahr 2019 bei RUB 14.135 [ca. EUR 200] (GKS 30.7.2019). Das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 lag in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung bei RUB 10.967 [ca. EUR 155], für Pensionisten bei RUB 8.553 [ca. EUR 121] und für Kinder bei RUB 10.552 [ca. EUR 150] (Chechenstat 2019). Landesweit lag das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei RUB 11.553 [ca. EUR 163], für Pensionisten bei RUB 8.894 [ca. EUR 126] und für Kinder bei RUB 10.585 [ca. EUR 150] (RIA Nowosti 23.7.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 18.3.2020

- Chechenstat (2019): Официальная статистика (Amtliche Statistiken), http://chechenstat.gks.ru/wps/wcm/connect/rosstat_ts/chechenstat/ru/statistics/indicators/ , Zugriff 18.3.2020

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 18.3.2020

- GKS.ru (16.8.2019): Среднемесячная номинальная начисленная заработная плата (durchschnittliches monatliches Gehalt), http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/trud/sr-zarplata/t1.docx , Zugriff 18.3.2020

- ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf , Zugriff 18.3.2020

- RIA Nowosti (23.7.2019): Минтруд рассчитал величину прожиточного минимума за I квартал 2019 года (Das Arbeitsministerium hat das Existenzminimum für das erste Quartal 2019 berechnet), https://ria.ru/20190723/1556815859.html , Zugriff 18.3.2020

 

Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018).

 

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Renteneintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Rente gehen (GIZ 2.2020c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 2.2020c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Dies gilt auch für Rückkehrende. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2018). Seit dem Jahr 2010 werden Renten, die geringer als das Existenzminimum für Rentner sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a).

 

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

- Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

- Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

- Familien mit geringem Einkommen;

- Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

 

Behinderung:

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2018).

 

Arbeitslosenunterstützung:

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindesthöhe pro Monat beträgt RUB 850 (EUR 12) und die Maximalhöhe RUB 4.900 (EUR 70). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zweimal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2018 lag dieser Zuschuss bei RUB 453.026 (ca. EUR 6.618). Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei RUB 3.200 (EUR 45) (IOM 2018).

 

Quellen:

- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 18.3.2020

- IOM – International Organisation for Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101366&vernum=-2 , Zugriff 18.3.2020

- RBTH – Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 18.3.2020

- Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020

- Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020

- Russland Capital (7.6.2019): Das Mutterschaftskapital wird auf 470.000 Rubel erhöht, https://www.russland.capital/das-mutterschaftskapital-wird-auf-470-000-rubel-erhoeht , Zugriff 18.3.2020

 

Medizinische Versorgung

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 2.2020c, vgl. ÖB Moskau 12.2018). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu notfallmäßiger medizinischer Versorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Fälle von Diskriminierung aufgrund von Religion oder ethnischer Herkunft bezüglich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sind nicht bekannt (ÖB Moskau 12.2019). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der „Nationalen Projekte“, die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert, sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 2.2020c).

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Jede/r russische Staatsbürger/in, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 12.2019). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2018). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt (ÖB Moskau 12.2019).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2019), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018, vgl. Ostexperte 22.9.2017).

 

Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 2.2020c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 2.2020c, vgl. AA 13.2.2019). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u. Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 12.2019).

 

Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht, die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem „zuständigen“ Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem „zuständigen“ Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2019).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2019). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). In Notfällen sind Medikamente in Kliniken, wie auch an Ambulanzstationen, kostenfrei erhältlich. Gewöhnlich kaufen russische Staatsbürger ihre Medikamente jedoch selbst. Bürgerinnen mit speziellen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. durch kostenfreie Medikamente, Behandlung und Transport. Die Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 2018). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2019). Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Als Gegenmaßnahme wurde 2018 ein neues System der Etikettierung eingeführt, sodass nun nachvollzogen werden kann, wo und wie die Arzneimittel hergestellt und bearbeitet wurden. Die Medikamentenversorgung ist zumindest in den Großstädten gewährleistet und teilweise kostenfrei (AA 13.2.2019).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist jedoch weniger die fehlende technische Ausstattung, sondern ein Ärztemangel, obwohl die Zahl der Ärzte 2018 leicht gestiegen ist. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf die klinische Behandlung ausgerichtet ist. Da in den letzten Jahren die Zahl der Krankenhäuser und Ärztezentren abgenommen hat, hat die Regierung darauf reagiert und 2018 beschlossen, dass bis 2024 360 neue medizinische Einrichtungen, darunter 30 onkologische Zentren, gebaut und weitere 1.200 saniert werden sollen. Zusätzlich sollen 800 mobile Einrichtungen eröffnet werden. Parallel zu diesen Beschlüssen wurden jedoch 2018 300 staatliche Krankenhäuser geschlossen. Den größten Fortschritt in der medizinischen Versorgung brachten 2018 die Einführung der Telemedizin und die digitale Erbringung der medizinischen Leistung. Patienten können seit dem 1.4.2018 einen Termin über ihr e-Konto vereinbaren oder einen digitalen Arzt in Anspruch nehmen. Diagnose und Behandlung erfolgen online. Mit der Einführung der Telemedizin haben sich die langen Wartezeiten auf eine Behandlung verkürzt (AA 13.2.2019).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 13.2.2019).

 

Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 12.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 19.3.2020

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 19.3.2020

- GTAI – German Trade and Invest (27.11.20186): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatkliniken-glaenzen-mit-hohem-wachstum,did=2183416.html, Zugriff 19.3.2020

- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 19.3.2020

- IOM – International Organisation for Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101366&vernum=-2 , Zugriff 19.3.2020

- ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf , Zugriff 19.3.2020

- Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 19.3.2020

 

Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:

- infektiöse und parasitäre Krankheiten

- Tumore

- endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

- Krankheiten des Nervensystems

- Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

- Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

- Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

- Krankheiten des Kreislaufsystems

- Krankheiten des Atmungssystems

- Krankheiten des Verdauungssystems

- Krankheiten des Urogenitalsystems

- Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett

- Krankheiten der Haut und der Unterhaut

- Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

- Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

- Geburtsfehler und Chromosomenfehler

- bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

- Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studenten, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 2.2020c, AA 13.2.2019). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramzan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 18.3.2020

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 18.3.2020

- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 18.3.2020

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

"Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

“The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital ‘Samashki’, "Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:

"Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny", "Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny", "Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Entwicklung der COVID-19-Situation

 

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals Ende des Jahres 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Die Erkrankung führt zu einer Atemwegserkrankung (vergleichbar mit der Grippe) mit Symptomen wie Husten und Fieber; in schwereren Fällen kann es zu gravierenden Atembeschwerden kommen. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

 

Während Russland zu Beginn der Pandemie eher schwach betroffen war, wurde das Land im Laufe des Mai 2020 zu einem neuen Hotspot der weltweiten Corona-Krise (Al Jazeera 8.5.2020).

 

Die Kapazitäten der Krankenhäuser vor allem in der Hauptstadt Moskau, die das Gros der Infektionszahlen verzeichnet haben, scheinen angemessen gewesen zu sein, wenngleich es lokal manchmal Engpässe gegeben haben mag. Notspitäler wurden errichtet, reguläre Krankenhäuser zu COVID-19 Einrichtungen umgewandelt. Aus den Regionen – z.B. Dagestan – wurde teilweise von unzureichenden Kapazitäten berichtet. Die Behandlung von COVID-19 in öffentlichen Krankenhäusern ist kostenlos (ÖB Moskau 2.6.2020).

 

In Russland gibt es mit Stand 08.10.2020 im ganzen Land 1.260.112 bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus und 22.056 Todesfälle. Die täglichen Neuinfektionen sanken seit Mai 2020 kontinuierlich, sind aber – wie in fast allen Ländern Europas – seit September 2020 wieder im Steigen begriffen (WHO 08.10.2020). Die höchsten Fallzahlen wurden in jüngster Zeit aus Moskau, St. Petersburg und der Oblast Moskau gemeldet (Lenta 25.8.2020).

 

Die arbeitsfreien Tage wurden in Russland zuletzt bis Mitte Mai verlängert. Mit dem Auslaufen der arbeitsfreien Tage gelten ausschließlich die regionalen Einschränkungen für das öffentliche und wirtschaftliche Geschehen in der jeweiligen Region. Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 21.8.2020).

 

Viele Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wurden in Russland bereits aufgehoben (WP 3.8.2020; vgl. BI 25.8.2020). Es gibt Quarantänemaßnahmen bei Einreise aus dem Ausland, teils auch bei Reisen zwischen russischen Regionen, und Beschränkungen am Arbeitsplatz und in öffentlichen Räumen. In Moskau besteht eine Maskenpflicht an öffentlichen Plätzen, beim Besuch des Einzelhandels, in medizinischen Einrichtungen sowie bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis. Auch das Tragen von Handschuhen ist in öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis, im Einzelhandel sowie am Bahnhof und in medizinischen Einrichtungen verpflichtend. Auch in St. Petersburg besteht eine Masken- und Handschuhpflicht. Die Region Moskau hat eine Maskenpflicht für öffentliche Verkehrsmittel, Taxis und öffentliche Plätze eingeführt (WKO 21.8.2020). Seit 13.7. müssen sich Ausländer, die nach Russland einreisen, nicht mehr in eine 14-tägige Quarantäne begeben (TMT 26.8.2020). Die Schulen öffneten wieder am 1.9. (TMT 26.8.2020).

 

Das Einreiseverbot für Ausländer wurde am 29.4.2020 auf unbestimmte Zeit verlängert. Anfang August wurden erstmals einzelne Länder vom Einreiseverbot ausgenommen (Großbritannien, Türkei, Tansania), Mitte August auch die Schweiz. Österreichische Staatsangehörige, die über keine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz besitzen, können jedoch grundsätzlich nicht über die Schweiz nach Russland einreisen. Seit 27. März sind keine regulären Flüge zwischen Österreich und Russland mehr möglich (WKO 21.8.2020).

 

Die russische Wirtschaftsleistung sank im zweiten Quartal 2020 um 8,5%. Es wird für das Jahr 2021 ein Schrumpfen des BIP um 4.5-5.5% erwartet, die russische Wirtschaft soll sich 2022 wieder von den Folgen der Corona-Maßnahmen erholen (Reuters 11.8.2020). Die russische Wirtschaft wurde laut Ökonomen vergleichsweise schwächer als andere Länder getroffen, weil der Dienstleistungssektor kleiner ist (TMT 12.8.2020).

 

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass die Hilfspakete im internationalen Vergleich eher gering ausfallen. Zu den staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen, Sozialabgabenreduktion, Kreditgarantien und zinslose Kredite, sowie Steuererleichterungen und direkte Zuschüsse. Viele der Maßnahmen sind nur für KMUs oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebunden Charakter. Es gibt keine staatlich subventionierte Kurzarbeitsregelung (WKO 21.8.2020).

 

Ein in Russland entwickelter Impfstoff gegen COVID-19 soll bereits zugelassen worden sein. Laut russischen Behörden soll ab Oktober 2020 eine Massenimpfkampagne starten (BBC 11.8.2020; derstandard 11.8.2020).

 

Quellen:

- Al Jazeera (8.5.2020): Moscow extends lockdown until May 31 as COVID-19 infections soar, https://www.aljazeera.com/news/2020/05/moscow-extends-lockdown-31-covid-19-infections-soar-200508100951552.html , Zugriff 11.5.2020

- BBC News (11.8.2020): Coronavirus: Putin says vaccine has been approved for use, https://www.bbc.com/news/world-europe-53735718 , Zugriff 26.8.2020

- BI – Business Insider (25.8.2020): Our ongoing list of how countries are reopening, and which ones remain under lockdown, https://www.businessinsider.com/countries-on-lockdown-coronavirus-italy-2020-3?r=DE&IR=T#russia-eased-restrictions-and-partially-reopened-borders-and-is-the-first-country-to-approve-a-vaccine-16 , Zugriff 27.8.2020

- Lenta (25.8.2020): Число новых случаев заражения коронавирусом в России ревысило 4,6 тысячи, https://lenta.ru/news/2020/08/25/cifra/ , Zugriff 26.8.2020

- ÖB Moskau (2.6.2020): Fragenkatalog an österreichische Botschaften, per Email

- TMT – The Moscow Times (12.8.2020): Russian Economy Shrank 8.5% in Second Quarter – Official Data, https://www.themoscowtimes.com/2020/08/11/russian-economy-shrunk-85-in-second-quarter-official-data-a71117 , Zugriff 26.8.2020

- TMT – The Moscow Times (26.8.2020): Coronavirus in Russia: The latest news, https://www.themoscowtimes.com/2020/08/26/coronavirus-in-russia-the-latest-news-aug-25-a69117 , Zugriff 26.8.2020

- derstandard (11.08.2020): derstandard.at, Russland überspringt Tests und genehmigt weltweit ersten Corona-Impfstoff, https://www.derstandard.at/story/2000119286056/russland-genehmigt-ersten-impfstoff-gegen-corona?ref=rec , Zugriff 17.08.2020

- WHO – World Health Organization, Coronavirus Disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMI4NLXtuqk7AIVEoFQBh3kWAjmEAAYASABEgIHkPD_BwE , Zugriff 08.10.2020

- WKO – Wirtschaftskammer Österreich (21.8.2020): Coronavirus: Situation in Russland, Aktuelle Lage und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff 26.8.2020

- WP – Washington Post (3.8.2020): In Dagestan, a covid recount adds to questions on Russia’s overall numbers, https://www.washingtonpost.com/world/europe/dagestan-russia-covid-count-mortality/2020/08/01/c8533220-cdc8-11ea-99b0-8426e26d203b_story.html , Zugriff 26.8.2020

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Die Zusammenarbeit zwischen föderalen und regionalen Behörden bei der innerstaatlichen Migration scheint verbesserungsfähig. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2019).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung von Problemen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Im Normalfall sind Rückkehrer aber nicht immer mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert (ÖB Moskau 12.2019).

 

Es besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern in den Nordkaukasus. Vereinzelt gibt es Fälle von Tschetschenen, die im Ausland einen negativen Asylbescheid erhalten haben, in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nach ihrer Ankunft unrechtmäßig verfolgt worden sind. Das unabhängige Informationsportal Caucasian Knot schreibt in einem Bericht vom April 2016 von einigen wenigen Fällen, in denen Tschetschenen, denen im Ausland kein Asyl gewährt worden ist, nach ihrer Abschiebung drangsaliert worden wären (ÖB Moskau 12.2019). Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 12.2019).

 

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Polizei gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 13.2.2019).

 

Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen StaatsbürgerInnen Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an (IOM 2018).

 

Neben der allgemeinen Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr haben Rückkehrer die Möglichkeit, eines der vom österreichischen Innenministerium unterstützten Reintegrationsprogramme in ihrem Heimatland in Anspruch zu nehmen. Diese freiwilligen Rückkehrer erhalten eine umfassende Beratung und eine Reintegrationsleistung vor Ort (besteht im Wesentlichen aus einer Sachleistung), welche eine erneute Existenzgrundlage im Herkunftsland ermöglichen und somit eine Nachhaltigkeit der Rückkehr fördern soll (ÖB Moskau 12.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 10.3.2020

- IOM – International Organisation for Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101366&vernum=-2 , Zugriff 10.3.2020

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_ÖB_Bericht_2018_12.pdf , Zugriff 10.3.2020

 

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Einreise nach Österreich und seinen bisherigen Verfahren ergeben sich unzweifelhaft aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts. Dem Bundesverwaltungsgericht liegen die den Beschwerdeführer selbst sowie seine Mutter betreffenden Bescheide des Bundesasylamtes vom 17.09.2008, mit denen ihnen subsidiärer Schutz gewährt wurde, vor; in diesen sind auch die jeweiligen Gründe für die Schutzgewährungen ausführlich genannt. Aus dem Verwaltungsakt ergeben sich auch die wiederholten Verlängerungen der den Beschwerdeführer und seine Mutter betreffenden befristeten Aufenthaltsberechtigungen.

2.2. Dass der Beschwerdeführer seine Kindheit und Jugend bis dato in Österreich zubrachte, ergibt sich aus seinen unbedenklichen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Ebenso war festzustellen, dass er die deutsche Sprache erlernte, weil die Einvernahme vor der belangten Behörde ohne Dolmetscher durchgeführt werden konnte. Seine Straftaten und nachfolgenden strafgerichtlichen Verurteilungen sind aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister in Verbindung mit den im Verwaltungsakt aufliegenden Strafurteilen ersichtlich. Der Beschwerdeführer bestritt auch zu keinem Zeitpunkt des vorliegenden Verfahrens das Bestehen der Verurteilungen.

2.3. Die Feststellungen zur Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren bzw. der Inhalt der Einvernahme vom 13.02.2020 ergeben sich aus dem Verwaltungsakt; aus der Niederschrift dieser Einvernahme ist ersichtlich, dass die der Mutter des Beschwerdeführers im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation allfällig drohende bzw. sie erwartende Situation kein Thema in der Befragung bildete; der Beschwerdeführer wurde lediglich kurz gefragt, wer derzeit seine Mutter pflege. Dass das Statusaberkennungsverfahren infolge der ersten strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers eingeleitet wurde, erhellt der im Verwaltungsakt aufliegende Aktenvermerk vom 01.07.2019. Die festgestellte wesentliche Begründung der belangten Behörde für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid.

2.4. Die Feststellungen zur fallrelevanten Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, speziell in Tschetschenien, beruhen auf dem unter Pkt. II.1.4. auszugsweise wiedergegebenen Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 27.03.2020. Dieses fußt auf aktuellen, themenspezifisch umfassenden und ausgewogenen Länderberichten zur Lage in der Russischen Föderation (welche ebenso unter Pkt. II.1.4. zitiert werden). Dem Bundesverwaltungsgericht liegen keine Berichte bzw. Länderdokumente vor, die ein anderes Bild der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zeichnen würden. Soweit es sich um aktuellere Länderfeststellungen als im angefochtenen Bescheid handelt, weichen diese in ihren wesentlichen Aussagen nicht von jenen Feststellungen ab, die im Bescheid enthalten sind. Da es sich beim herangezogenen Länderinformationsblatt um ein Produkt der BFA-Staatendokumentation – und somit einer bei der belangten Behörde selbst eingerichteten Institution – handelt, musste ihr dieses im Beschwerdeverfahren auch nicht vorgehalten werden. Die Feststellungen zur COVID-19-Situation in der Russischen Föderation fußen auf einer Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2020 sowie auf allgemein abrufbaren, tagesaktuellen Berichten und Informationen in – v.a. über das Internet – frei zugänglichen Medien.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 10.03.2020 durch Hinterlegung zugestellt. Gemäß § 6 iVm § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG wurde die vierwöchige Beschwerdefrist bis zum Ablauf des 30.04.2020 unterbrochen und begann am 01.05.2020 neu zu laufen. Die der belangten Behörde am 26.05.2020 per E-Mail übermittelte Beschwerde ist somit rechtzeitig.

Zu A)

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht prinzipiell nicht nur die gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. etwa VwGH 30.01.2019, Ra 2018/03/0131, mwN). Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist demnach unzutreffend (vgl. VwGH 09.09.2015, Ra 2015/03/0019, mit Hinweis auf VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066). Allerdings stellt die "Sache" des bekämpften Bescheides den äußersten Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts dar. "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. etwa VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0032, mwN).

Die gegenständlich zu entscheidende Angelegenheit ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an sich ohne Einschränkung auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid für erfüllt erachteten Tatbestände des § 9 AsylG 2005 (vgl. dazu ausführlich VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

3.2. Nach der Systematik dieser Bestimmung ist im Verfahren über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten folgendes Prüfschema zu befolgen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Korrespondierend damit sieht § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 für den Fall der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, wenn auch kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird. An die Erlassung der Rückkehrentscheidung knüpft das FPG wiederum die dort näher geregelten weiteren Aussprüche, insbesondere jenen nach § 52 Abs. 9 FPG.

Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat – subsidiär – eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist. In diesen Fällen ist die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus – seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl. I Nr. 145/2017 – mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, weil dies eine der in § 9 Abs. 2 letzter Satz AsylG 2005 angeführten Gefahren begründen würde (zu dieser Gesetzessystematik ausdrücklich VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

3.3. In der Sache ist daher zunächst zu prüfen, ob eine der in § 9 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Fall des Beschwerdeführers vorliegt.

3.3.1. Der Beschwerdeführer hat weder den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen außerhalb Österreichs (§ 9 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005) noch die Staatsangehörigkeit eines anderen Staats erlangt, in den er ohne reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention abgeschoben werden könnte (§ 9 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005).

3.3.2. § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthält wiederum zwei unterschiedliche Aberkennungs-tatbestände: Dem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) „nicht“ oder „nicht mehr“ vorliegen.

3.3.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat (vgl. VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038). Damit ist eine Konstellation gemeint, in der sich ergibt, dass der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung im Entscheidungszeitpunkt erfüllt gewesen sind, weil die Entscheidung sich auf Tatsachen gestützt hat, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen haben (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/19/0309).

Dieser Tatbestand ist im vorliegenden Fall, in dem der Beschwerdeführer seinen Schutzstatus im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von seiner Mutter ableitete, nicht erfüllt. Auch die belangte Behörde stützte sich im angefochtenen Bescheid nicht auf § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005.

3.3.2.2. Sie stützte sich dagegen auf den zweiten Fall dieser Bestimmung, wonach die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht mehr“ vorliegen. In diesem Zusammenhang geht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl tragend davon aus, dass der Beschwerdeführer mittlerweile volljährig und aus dem Familienverband ausgeschieden sei. Er habe niemals eigene Schutzgründe gehabt, sei gesund, mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaats vertraut, könne auf Tschetschenisch kommunizieren und verfüge überdies über familiäre Angehörige in der Russischen Föderation, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin möglich und zumutbar sei. Ihm drohe in seinem Herkunftsstaat keine Gefahrenlage.

In Hinblick auf den angenommenen Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist die angefochtene Entscheidung allerdings im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen:

3.3.2.2.1. Nach der mittlerweile ständigen, vom Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. zum Ganzen VwGH 26.6.2019, Ra 2018/11/0092, mwN).

3.3.2.2.2. Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 77). Im Falle des Vorliegens von Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist für die Anwendung des genannten Aberkennungstatbestands zu beurteilen, ob sich die maßgeblichen Umstände seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung geändert haben, weil mit einer solchen Entscheidung – auch wenn die Ermittlungspflichten einer Behörde dabei nicht überspannt werden dürfen (17.10.2019, Ra 2019/18/0353; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153) – vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zum Ausdruck gebracht wird, dass weiterhin jene Umstände gegeben sind, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich waren (vgl. VwGH 08.04.2020, Ra 2020/20/0052; 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Für die Beurteilung, ob maßgebliche Sachverhaltsänderungen vorliegen, sind allerdings nicht nur isoliert jene Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern auch davor liegende Ereignisse, um die Situation des Fremden ganzheitlich bewerten zu können (dies ist zB für Fälle relevant, in denen die maßgebliche Änderung in einer bestimmten Entwicklung des Fremden liegt).

Damit bleibt die Frage, wie § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle anzuwenden ist, in denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten ursprünglich allein im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson abgeleitet worden war. Bezüglich des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (im Folgenden auch als „Wegfall der Umstände“-Klausel bezeichnet; vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059) hat der Verwaltungsgerichtshof diese Frage in Bezug auf den Status des Asylberechtigten allerdings bereits beantwortet: Zu einer Sachverhaltskonstellation, in der ein Fremder den Asylstatus (nur) im Wege des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 von einer Bezugsperson erhalten hatte, sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, grundlegend aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene "Wegfall der Umstände"-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden kann. Es ist nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukommt, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Unter Verweis auf sowohl den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK als auch den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände es darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage ist ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.

Diese Rechtsprechung erachtet das Bundesverwaltungsgericht auch für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle, in denen der subsidiär Schutzberechtigte seinen Status allein durch Ableitung im Familienverfahren von einer Bezugsperson erhielt, für maßgeblich: Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt nämlich ebenso wie der in Rede stehende Tatbestand auf eine Änderung der für die Schutzgewährung maßgeblichen Umstände seit Rechtskraft der (letzten) inhaltlichen Entscheidung ab. Gleichermaßen kommen die Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes im angeführten Erkenntnis betreffend den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 auch in der Konstellation einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zum Tragen.

3.3.2.2.3. Dem Beschwerdeführer wurde als damals minderjährigem Sohn seiner Mutter durch das Bundesasylamt am 17.09.2008 allein im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 3 AsylG 2005 (in der damaligen Fassung) subsidiärer Schutz gewährt; eigene Schutzgewährungsgründe hatte er diesem Bescheid zufolge nicht. Seine Mutter als Bezugsperson erhielt am selben Tag den Status der subsidiär Schutzberechtigten, weil sie an Multipler Sklerose erkrankt und eine ausreichende ärztliche Versorgung bzw. ein menschenwürdiges Leben in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt war.

Nach der dargelegten – auf den vorliegenden Fall übertragbaren – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf den Beschwerdeführer darin, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an seine Mutter nicht mehr vorliegen.

3.3.2.2.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf zu dieser entscheidungswesentlichen Frage nicht nur keine Beurteilung, sondern es unterließ diesbezüglich – unter der im angefochtenen Bescheid unzutreffend vertretenen Annahme, dass „nach dem Ausscheiden aus dem Familienverband zu prüfen [sei], inwiefern die konkrete Verfahrenspartei selbst im Falle der Rückkehr mit schutzrelevanten Schwierigkeiten konfrontiert sein wird“ – überhaupt jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit: So führte die belangte Behörde im Statusaberkennungsverfahren lediglich eine Einvernahme mit dem Beschwerdeführer durch, in der die Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz für die Mutter des Beschwerdeführers weggefallen sind, nicht ansatzweise thematisiert wurde. Auch wurden keine sonstigen Ermittlungsschritte in diese Richtung gesetzt.

Überhaupt erhellt aus dem verfahrenseinleitenden Aktenvermerk der belangten Behörde, dem Verlauf der mit dem Beschwerdeführer durchgeführten Einvernahme sowie der Begründung des angefochtenen Bescheids, dass das verwaltungsbehördliche Aberkennungsverfahren in keiner Weise auf die Frage des Wegfalls der Umstände für die Gewährung von subsidiärem Schutz für die Mutter des Beschwerdeführers, sondern lediglich auf die Prüfung aktueller, den Beschwerdeführer selbst treffenden Gefährdungslagen in seinem Herkunftsland gerichtet war. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG damit auch lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte. Dabei war der Ermittlungsschritt der Einvernahme mit dem Beschwerdeführer per se keineswegs verfehlt, die Befragung erwies sich in ihrer Gesamtheit allerdings als ungeeignet, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, weil die aufgezeigte entscheidungswesentliche Frage zu keinem Zeitpunkt behandelt wurde.

Damit liegen auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhalt mit einer Verhandlung bloß zu vervollständigen wären, weil noch überhaupt kein entscheidungserhebliches Verwaltungsverfahren durch die Behörde geführt wurde, das (nur) zu ergänzen wäre. Aus den getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des Beschwerdeführers ergibt sich ebenso nicht zwingend der Schluss, dass für seine Mutter jene Umstände, aufgrund deren sie als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt wurde, weggefallen wären (und insofern von einer Zurückverweisung abgesehen werden könnte).

Die Abstandnahme von der gesetzlich vorgesehenen Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutete im vorliegenden Fall, dass ein nicht nur mangelhaftes, sondern gänzlich verfehltes behördliches Ermittlungsverfahren keine Auswirkungen hätte und das Verwaltungsgericht dieses erstmals führen müsste. Insofern ist eine vollständige erstmalige Durchführung eines auf die entscheidungswesentliche Frage gerichteten Verwaltungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht auch nicht im überwiegenden Interesse der Raschheit gelegen, zumal nicht ersichtlich ist, inwieweit das gerichtliche Verfahren schneller als das verwaltungsbehördliche abliefe; ebenso ist keine besondere Dringlichkeit der Rechtssache ersichtlich, zumal die konkrete Dauer des nunmehr nachzuholenden behördlichen Verfahrens angesichts der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers und des gewillkürten Zeitpunkts der Aufnahme des amtswegigen Aberkennungsverfahrens nicht von primärer Bedeutung scheint. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die Führung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2018/10/0090).

3.3.2.2.5. Der angefochtene Bescheid ist sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Daran ändert auch nichts, dass die belangte Behörde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zusätzlich auf den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 stützte, weil dieser Aberkennungsgrund nach der unter Pkt. II.3.2. dargelegten Systematik des § 9 AsylG 2005 erst subsidiär bei Nichtvorliegen der Gründe nach Abs. 1 zum Tragen käme. Insofern war auch in der vorliegenden Entscheidung nicht näher auf die konkreten Straftaten des Beschwerdeführers einzugehen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird in der Folge ein auf die Situation der Mutter des Beschwerdeführers gerichtetes Ermittlungsverfahren zu führen und dabei zu eruieren haben, ob die für sie maßgebenden Umstände für die Gewährung von subsidiärem Schutz weggefallen sind; dem Beschwerdeführer selbst werden nachfolgend die Ergebnisse dieser Ermittlungen vorzuhalten sein.

Soweit die Behörde im Aktenvermerk vom 01.07.2019 noch davon ausging, dass sich die Erkrankung der Mutter des Beschwerdeführers „seit Zuerkennung des Schutzstatus verschlimmert“ habe, ist lediglich ergänzend festzuhalten, dass im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung ihres Status der subsidiär Schutzberechtigten die Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 in Bezug auf den Beschwerdeführer zu prüfen wären. Im Falle der Bejahung eines oder mehrerer dieser Tatbestände wäre eine solche Aberkennungsentscheidung mit einer Rückkehrentscheidung (unter Beachtung des § 9 BFA-VG) und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist.

3.4. Der Spruch und die (nachfolgende) Rechtsmittelbelehrung sind nicht in die russische oder tschetschenische Sprache zu übersetzen, weil der Beschwerdeführer die deutsche Sprache beherrscht (§ 12 Abs. 1 BFA-VG).

Zu B)

1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2. In diesem Sinne kommt der Frage der Auslegung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in der vorliegenden Konstellation grundsätzliche Bedeutung zu:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht in der gegenständlichen Entscheidung davon aus, dass die Anwendung des Tatbestands des „nicht mehr“-Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Konstellationen, in denen der betroffene Fremde seinen Schutzstatus allein im asylrechtlichen Familienverfahren von einer Bezugsperson ableitete, in gleicher Weise wie in der durch den Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, vorgenommenen Auslegung des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zu erfolgen hat (vgl. zu A, Pkt. II.3.3.2.2.2.).

2.2. Dies ist jedoch nicht zwingend: So stützte der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis seine Überlegungen nicht nur auf den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005, sondern auch spezifisch auf den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK, der im vorliegenden Zusammenhang der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus nicht einschlägig ist. Außerdem enthält § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in seinem ersten Fall auch den Tatbestand des „nicht“-Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten; der Verwaltungsgerichtshof legte diesen Tatbestand in seiner Rechtsprechung zwar bereits näher aus (zur Zitierung s. A, Pkt. II.3.3.2.1.), sah sich bislang aber noch zu keinen Aussagen im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation veranlasst. So scheint denkbar, dass § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 (über die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung hinaus) auch die Möglichkeit eröffnet, für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, den der betreffende Fremde nur im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson ableitete, dessen aktuelle, eigene Gefährdung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK zu prüfen, ohne die Situation seiner (ehemaligen) Bezugsperson in den Blick nehmen zu müssen.

2.3. Zur aufgezeigten Frage ist – soweit ersichtlich – noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden, weshalb eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Diese geht auch insoweit über die gegenständliche Rechtssache hinaus, als die vorliegende Fallkonstellation häufiger auftritt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte