VwGH Ra 2023/19/0099

VwGHRa 2023/19/009925.5.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M F, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2023, L502 2208632‑2/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §59 Abs1
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs2
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023190099.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 24. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, auf Grund seiner Homosexualität bedroht worden zu sein.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. Februar 2017 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bratislava vom 18. Jänner 2018 (bestätigt mit Urteil des Kreisgerichts Bratislava vom 19. April 2018) wurde der Revisionswerber wegen der Straftat der Schlepperei zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

4 Mit Bescheid vom 13. Jänner 2020 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Zudem wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Eine Rückkehrentscheidung wurde nicht erlassen, weil sich der Revisionswerber nicht im österreichischen Bundesgebiet befand.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

In dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Aberkennungsgrund des besonders schweren Verbrechens abgewichen. Insbesondere seien bei der vom Revisionswerber verwirklichten Schlepperei keine nach den Gesetzesmaterialien zu § 6 AsylG 2005 erforderlichen besonderen Umstände vorgelegen und habe das BVwG eine verfehlte rechtliche Qualifikation vorgenommen. Zudem sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit abgewichen, indem es diese unzureichend geprüft habe. Ferner habe sich das BVwG nicht mit den Schutzinteressen des Revisionswerbers, dem nach wie vor asylrelevante Verfolgung drohe, auseinandergesetzt und hätte es in Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf das beim EuGH zur Rs. C‑663/21 anhängige Vorabentscheidungsverfahren Bedacht nehmen müssen.

9 Was die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 betrifft, genügt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Qualifizierung einer Straftat als „besonders schweres Verbrechen“ nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und es sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. VwGH 2.3.2023, Ra 2021/18/0006, mwN).

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits festgehalten, dass der Bekämpfung der Schlepperei hinsichtlich des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt. Auch besteht an der Verhinderung der Schlepperei ohne Bereicherungsabsicht ein großes öffentliches Interesse (vgl. VwGH 13.2.2020, Fe 2019/01/0001, und VwGH 20.8.2013, 2013/22/0097, mwN).

11 Soweit die Revision rügt, das BVwG sei von einer unrichtigen rechtlichen Qualifikation der Schlepperei ausgegangen, ist ihr entgegenzuhalten, dass gegenständlich eine umfangreiche Auseinandersetzung des BVwG mit dem vom slowakischen Strafgericht festgestellten Tatumständen, die der Verurteilung zu einer siebenjährigen unbedingten Freiheitsstrafe zu Grunde lagen, erfolgte. Das BVwG führte aus, dass der Revisionswerber die Tat jedenfalls mit anderen Mittätern begangen und einer größeren Gruppe (insgesamt zehn Personen) den illegalen Grenzübergang ermöglicht habe. Zudem hätten sämtliche Beteiligte dabei in der Absicht gehandelt, sich durch die Fahrten eine finanzielle Gegenleistung zu verschaffen. Der Revisionswerber habe seine Verantwortung im Strafverfahren bzw. im Aberkennungsverfahren geleugnet bzw. relativiert.

12 Davon ausgehend vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass sich das BVwG entgegen der hg. Rechtsprechung nicht ausreichend mit dem objektiven und subjektiven Unrechtsgehalt der konkreten Tat auseinandergesetzt und zu Unrecht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 bejaht hätte.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ auch in Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ‑ bereits darauf hingewiesen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Gefährdungsprognose im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG darstellt (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/19/0238, mwN).

14 Die Revision gelingt es auch hier nicht darzulegen, dass die vom BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommene Einzelfallbeurteilung, in der es neben der relativierenden Verantwortungsübernahme des Revisionswerbers darauf hinwies, dass dieser erst im August 2022 aus der Haft entlassen worden sei, weshalb angesichts der schwerwiegenden Verurteilung nicht von einem ausreichend langen Zeitraum des Wohlverhaltens ausgegangen werden könne, um einen nachhaltigen Gesinnungswandel festzustellen, in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.

15 Darüber hinaus hat sich das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen mit den Schutzinteressen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ist mit näherer Begründung zum Ergebnis gekommen, dass das hohe Interesse an der Hintanhaltung von Schleppereidelikten das aktuell geringe individuelle Schutzbedürfnis des Revisionswerbers überwiege. Hinsichtlich des in diesem Zusammenhang von der Revision als relevant erachteten Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH in der Rs. C‑663/21 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass, wenn die nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorzunehmende Güterabwägung zu Lasten des Revisionswerbers ausgefallen ist, es auf den Ausgang des beim EuGH anhängigen Verfahrens nicht ankommt (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2022/20/0035).

16 Schließlich rügt die Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung unter erneutem Verweis auf das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsverfahren in der Rs. C‑663/21. Dem Aberkennungsbescheid sei keine Rückkehrentscheidung bzw. Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zu entnehmen, obwohl die Behörde eindeutig von einer drohenden Verletzung der in Art. 2 bzw. 3 EMRK garantierten Rechte ausgehe. Das BVwG hätte entweder den Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens abwarten oder die inhaltliche Rechtswidrigkeit durch Behebung des Bescheides hinsichtlich der Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und Zurückverweisung an das BFA aufgreifen müssen.

17 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des bescheidmäßigen Spruchs der belangten Behörde gebildet hat (vgl. VwGH 13.9.2022, Ra 2022/01/0116, mwN).

18 Zudem ist durch den Verwaltungsgerichtshof bereits geklärt, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (vgl. VwGH 8.9.2015, Ra 2015/18/0134, mwN).

19 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine allfällige Säumnis mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausspruchs über den Antrag auf internationalen Schutz führt. Dieser hängt nämlich nicht von der Rückkehrentscheidung ab. Vielmehr setzt eine Rückkehrentscheidung eine Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2017/19/0553, mwN).

20 Vor diesem Hintergrund geht auch das übrige Revisionsvorbringen, wonach das BVwG die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides (wobei keine Rückkehrentscheidung erlassen und nicht festgestellt worden sei, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nicht zulässig sei) nicht aufgegriffen hätte sowie erneut auf die gegenständliche Relevanz des Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH in der Rs. C‑663/21 verwiesen wird, ins Leere.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. Mai 2023

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