VwGH Ra 2022/01/0116

VwGHRa 2022/01/011613.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision der Salzburger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 10. Februar 2022, Zl. 405‑11/281/1/21‑2022, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: A B in S, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 35), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §59 Abs1
B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §10
StbG 1985 §10 Abs1 Z6
StbG 1985 §20 Abs1
StbG 1985 §20 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z2
VwGG §42 Abs3
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010116.L01

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Das Land Salzburg hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung (der belangten Behörde; im Folgenden: Amtsrevisionswerberin) vom 13. Oktober 2020 wurde der Mitbeteiligten, einer albanischen Staatsangehörigen, gemäß § 20 iVm § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass die Mitbeteiligte binnen zwei Jahren die Entlassung aus dem albanischen Staatsverband nachweist.

2 Mit Bescheid der Amtsrevisionswerberin vom 15. November 2021 wurde diese Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG widerrufen (1.) und der Antrag der Mitbeteiligten auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abgewiesen (2.).

3 Der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben (I.); eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (II.).

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte habe innerhalb von zwei Jahren nach Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft, nämlich am 8. September 2021, die „Genehmigung der Republik Albanien für ihren Verzicht“ auf die albanische Staatsangehörigkeit vorgelegt.

5 Gegenständlich lägen seit Erlassung des Zusicherungsbescheides vom 13. Oktober 2020 neu hinzugetretene Umstände vor: Die Mitbeteiligte habe am 22. Mai 2021 nicht dafür Sorge getragen, dass der Zustand des von ihr gelenkten Fahrzeuges den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG) entsprochen habe, und es seien deshalb über sie mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Salzburg vom 9. Juni 2021 wegen Übertretungen des § 103 Abs. 1 Z 1 iVm § 4 Abs. 2 KFG zwei Geldstrafen in Höhe von € 350,‑‑ bzw. € 300,‑‑ (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt worden.

6 Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Hinweis auf VfGH 13.3.2019, E 4081/2018 = VfSlg. 20.322) könnten diese Verwaltungsübertretungen nicht per se als „besonders gewichtige“, „schwerwiegende“ Gründe, die einen Widerruf der Zusicherung wegen Wegfall der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG rechtfertigen könnten, angesehen werden. Besondere Umstände, etwa eine nicht nur potenzielle, sondern auch tatsächlich und konkret erfolgte Gefährdung bestimmter Personen, eine hinzutretende Rücksichtslosigkeit oder eine auf eine bewusste Missachtung des KFG, auf eine notorische Sorglosigkeit oder auf eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Sicherheit des Straßenverkehrs dienenden Vorschriften hindeutende Häufung einschlägiger Verwaltungsübertretungen nach Zusicherung der Staatsbürgerschaft oder sonstige Umstände, aufgrund derer die Übertretungen nach dem KFG als soschwerwiegend angesehen werden könnten, dass ein Durchbrechen des bedingten Anspruchs auf Verleihung und die Staatenlosigkeit der Mitbeteiligten gerechtfertigt wären, seien nicht ersichtlich.

7 Der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft sei daher bezogen auf den zu beurteilenden Einzelfall mangels Vorliegen schwerwiegender Gründe im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur zu Unrecht erfolgt.

8 Erweise sich der Widerruf der Zusicherung aber als rechtswidrig, sei auch die erfolgte Abweisung des Verleihungsantrags aufzuheben (Hinweis auf VwGH 25.6.2009, 2007/01/1051). Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides entfalte ex‑tunc‑Wirkung und habe das „Wiederaufleben“ des Zusicherungsbescheides zur Folge.

9 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, zu der die Mitbeteiligte in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung (unter Beantragung des gesetzlichen Aufwandersatzes) erstattete.

10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ‑ in weitwendigen Ausführungen ‑ im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es fallbezogen das Vorliegen besonders gewichtiger, den Widerruf der Zusicherung rechtfertigender Umstände verneint habe; weiters habe das Verwaltungsgericht durch seine rein kassatorische Entscheidung seine Verpflichtung zur meritorischen Entscheidung über den Verleihungsantrag verletzt.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

I. Zur Aufhebung des Widerrufs der Zusicherung:

14 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

15 Die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 20 Abs. 1 StbG setzt voraus, dass ‑ abgesehen vom Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband binnen zwei Jahren ‑ beim Fremden alle Verleihungsvoraussetzungen vorliegen. Dementsprechend begründet sie einen nur noch durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem fremden Staatsverband bedingten Rechtsanspruch auf Verleihung.

Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist jedoch trotz dieses bereits bestehenden bedingten Anspruchs die Zusicherung zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderliche Voraussetzung ‑ mit Ausnahme derjenigen des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes nach § 10 Abs. 1 Z 7 StbG ‑ nicht mehr erfüllt (vgl. zum Ganzen VwGH 7.7.2022, Ra 2022/01/0153, mwN).

16 Für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Widerruf gemäß § 20 Abs. 2 StbG bedarf es in Bezug auf die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ‑ im Gegensatz zur Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung in einem Verfahren um Verleihung der Staatsbürgerschaft ‑ besonders gewichtiger und neu hinzutretender Umstände (vgl. auch dazu VwGH Ra 2022/01/0153, mit Hinweis auf VfGH 13.3.2019, E 4081/2018 = VfSlg. 20.322, bzw. VfGH 29.9.2011, G 154/10 = VfSlg. 19.516; zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien auch im Fall des Widerrufs der Zusicherung in Bezug auf Verleihungswerber, die die Staatsangehörigkeit zu einem EU‑Mitgliedstaat zurückgelegt und dadurch den Unionsbürgerstatus verloren haben, sog. „JY‑Konstellation“, vgl. VwGH 4.7.2022, Ro 2022/01/0007, Rn 14, mwN).

17 Dabei handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, die vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen ist, wenn das Verwaltungsgericht seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. auch dazu VwGH Ra 2022/01/0153, mwN).

18 Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 24.3.2022, Ra 2022/01/0071 bis 0075).

19 Eine derartige krasse bzw. unvertretbare Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht, welches das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für den Widerruf der Zusicherung hinreichend begründet hat (vgl. Rn. 6), wird von der Revision nicht dargetan (vgl. in Bezug auf Verwaltungsübertretungen nach dem KFG bzw. der StVO im Übrigen abermals VwGH Ra 2022/01/0153).

II. Zur Aufhebung der Abweisung des Verleihungsantrages:

20 Wird der Zusicherungsbescheid widerrufen, so ist der Verleihungsantrag ‑ da eine Verleihungsvoraussetzung fehlt ‑ abzuweisen. Das Gesetz geht in diesem Zusammenhang ‑ ausgehend vom ursprünglichen Antrag auf Verleihung ‑ nicht von verschiedenen Verfahren, sondern von einem einheitlichen Verleihungsverfahren aus. Insofern stellen Widerruf der Zusicherung und Abweisung des Verleihungsantrages eine notwendige Einheit dar (vgl. etwa VwGH 9.10.2008, 2008/01/0212; 21.1.2010, 2007/01/0546, jeweils mwN). Die Abweisung des Verleihungsantrags stellt in dieser Konstellation eine auf den Widerruf der Zusicherung aufbauende (vgl. das vom Verwaltungsgericht zitierte Erkenntnis VwGH 25.6.2009, 2007/01/1051, II. 4.) und insofern mit dem Widerruf der Zusicherung in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Entscheidung dar.

21 Demnach stellen Widerruf der Zusicherung und Abweisung des Verleihungsantrags in dieser Einheitlichkeit auch die von der Verwaltungsbehörde entschiedene „Sache“ dar.

22 Werden daher ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ der Widerruf der Zusicherung und die darauf gegründete Abweisung des Verleihungsantrags in Beschwerde gezogen, ist solcherart auch die vom Verwaltungsgericht zu entscheidende „Sache“ konstituiert. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist nämlich nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des bescheidmäßigen Spruchs der belangten Behörde gebildet hat, diese „Sache“ bildet den äußersten Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts (vgl. etwa VwGH 24.5.2022, Ra 2022/22/0039, mwN).

23 Erweist sich der Widerruf der Zusicherung als rechtswidrig, hat dies auch die Rechtswidrigkeit der darauf aufbauenden Abweisung des Verleihungsantrags zur Folge (vgl. auch dazu VwGH 2007/01/1051, II. 4.).

24 Die mit dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochene (ersatzlose) Behebung des Widerrufs der Zusicherung (Spruchpunkt 1. des Bescheides vom 15. November 2021) wirkte ‑ insoweit vergleichbar mit § 42 Abs. 3 VwGG ‑ ex‑tunc, was bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Ausspruchs über den Widerruf und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Ausspruch von Anfang an nicht erlassen worden wäre (vgl. etwa VwGH 8.4.2019, Ra 2018/03/0086; 22.8.2019, Ra 2019/21/0087).

25 Dies hat zur Folge, dass der Zusicherungsbescheid der Amtsrevisionswerberin vom 13. Oktober 2020 als von Beginn an in Geltung stehend zu betrachten war. Ausgehend davon mangelte es der Abweisung des Verleihungsantrags durch die Amtsrevisionswerberin an der erforderlichen rechtlichen Grundlage.

26 Das Verwaltungsgericht hat nach dem Gesagten sohin den Bescheid vom 15. November 2021 zu Recht auch im Umfang seines Spruchpunktes 2. ersatzlos behoben.

27 Eine darüber hinausgehende (meritorische) Entscheidungsbefugnis über den Verleihungsantrag kam dem Verwaltungsgericht ‑ entgegen der in der Amtsrevision vertretenen Auffassung ‑ in der vorliegenden Konstellation nicht zu. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung hätte das Verwaltungsgericht nämlich in einer Angelegenheit meritorisch zu entscheiden, die noch nicht oder nicht in der [diesfalls] vom Verwaltungsgericht in Aussicht genommenen rechtlichen Art Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war. Eine solche Entscheidung fällt nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts und wäre mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit behaftet (vgl. abermals VwGH Ra 2022/22/0039, mwN).

III. Ergebnis

28 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

29 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Für das von der Amtsrevisionswerberin fortzusetzende Verfahren wird insbesondere darauf hingewiesen, dass nach der aktenkundigen, am 8. September 2021 vorgelegten, beglaubigten Übersetzung der „Zustimmung zum Verzicht auf die albanische Staatsbürgerschaft“ (vgl. oben Rn. 4) der Mitbeteiligten der „Verzicht auf die albanische Staatsbürgerschaft genehmigt“ wurde. Die Amtsrevisionswerberin wird zu beurteilen haben, ob damit bereits der in § 20 Abs. 1 StbG geforderte Nachweis des Ausscheidens der Mitbeteiligten aus dem albanischen Staatsverband erbracht wurde (vgl. dazu VwGH 26.2.2021, Ro 2021/01/0009).

Wien, am 13. September 2022

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