VwGH Ro 2022/01/0007

VwGHRo 2022/01/00074.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des P Z in V, vertreten durch Dr. Marlies Folger, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Schulgasse 27/II, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 31. Jänner 2022, Zl. LVwG 70.7‑216/2021‑9, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

StbG 1985 §20 Abs2
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB
62017CJ0221 Tjebbes VORAB
62020CJ0118 Wiener Landesregierung VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022010007.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache die mit Bescheid vom 2. August 2018 erfolgte Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Revisionswerber, einen (ehemaligen) rumänischen Staatsangehörigen, widerrufen und sein Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen. Eine Revision wurde zugelassen.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23. Juli 2020 rechtskräftig wegen § 15 iVm § 115 Abs. 1 StGB, § 83 Abs. 1 StGB, § 84 Abs. 4 StGB und § 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden. Mit dieser Verurteilung sei der „Versagungsgrund“ des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG erfüllt. Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäische Union (EuGH) in der Rechtssache C‑118/20, JY, sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, da der Revisionswerber bereits aus dem rumänischen Staatsverband entlassen worden sei. Nach Feststellungen zum Privatleben des Revisionswerbers führte das Verwaltungsgericht aus, der Widerruf sei im vorliegenden Fall wegen der Verurteilung aufgrund einer Mehrzahl von schwerwiegenden Straftaten (Körperverletzung, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt) in einer kurzen Zeitspanne verhältnismäßig.

Die Zulassung einer Revision begründete das Verwaltungsgericht (lediglich) damit, dass „eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine solche Rechtsprechung fehlt“.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde samt Antrag auf Aufwandersatz unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

7 Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 30.3.2022, Ro 2022/01/0004, mwN).

8 Vorliegend fehlt eine substantiierte Begründung des Verwaltungsgerichtes für den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG. Schon aus diesem Grund wird nicht dargelegt, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die konkrete Revision zu lösen wäre.

9 Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B‑VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. nochmals etwa VwGH 30.3.2022, Ro 2022/01/0004, mwN).

10 Die Revision bringt insoweit vor, sie sei zulässig, weil es sich im Anlassfall der Rechtssache C‑118/20, JY, um das Vorliegen von straßenverkehrsrechtlichen Verwaltungsübertretungen gehandelt habe und im Hinblick auf eine strafgerichtliche Verurteilung keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere.

11 Nach dem Urteil des EuGH vom 18. Jänner 2022 in der Rechtssache C‑118/20, JY, ist auch in Bezug auf einen Verleihungswerber, der zwecks Erlangung der (österreichischen) Staatsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit zu einem (anderen) Mitgliedstaat zurückgelegt und dadurch den Unionsbürgerstatus verloren hat, für den Widerruf der Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG („JY‑Konstellation“) in einer Gesamtbetrachtung nach den Kriterien der Rechtsprechung des EuGH Tjebbes u.a. sowie (nunmehr) JY zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft bzw. der Zusicherung der Verleihung ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. zu allem bereits VwGH 10.2.2022, Ra 2021/01/0356, mwN).

12 In diesem Zusammenhang ist nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere zu prüfen, ob diese Entscheidung im Verhältnis zur Schwere des von der betroffenen Person begangenen Verstoßes und gemessen an deren Möglichkeit, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, gerechtfertigt ist (vgl. EuGH JY, Rn. 60, mit Verweis auf EuGH Rottmann, wiedergegeben in VwGH 25.2.2022, Ra 2018/01/0159).

13 Einzelfallbezogen kam der EuGH in Anbetracht der erheblichen Folgen für die Situation von JY und unter Hinweis auf die eng auszulegenden Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ zum Ergebnis, dass dem „Erfordernis der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [...] nicht Genüge getan“ ist, „wenn der Widerruf mit straßenverkehrsrechtlichen Verwaltungsübertretungen begründet wird, die nach dem anwendbaren nationalen Recht rein finanziell geahndet werden“ (vgl. EuGH JY, Rn. 68‑74 und Tenor).

14 Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EuGH hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits zu dieser „JY‑Konstellation“ fest, dass es in Bezug auf einen Verleihungswerber, der zwecks Erlangung der Staatsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat zurückgelegt und dadurch den Unionsbürgerstatus verloren hat, für den Widerruf der Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 StbG besonders gewichtiger und neu hinzutretender Umstände bedarf. Dabei verwies der Verwaltungsgerichtshof auf das bereits aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehende Erfordernis besonders gewichtiger und neu hinzutretender Umstände für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 20 Abs. 2 StbG (vgl. VwGH 25.2.2022, Ra 2018/01/0159, mit Verweis auf VfGH 13.3.2019, E 4081/2018 = VfSlg. 20.322, und VfGH 29.9.2011, G 154/10 = VfSlg. 19.516).

15 Eine (derartige) unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. VwGH 10.2.2022, Ra 2021/01/0356, mwN).

16 Insofern besteht zu der in einer Konstellation wie im Urteil des EuGH JY vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung bereits ausreichende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Juli 2022

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