VwGH Ra 2015/18/0134

VwGHRa 2015/18/01348.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Berger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2015, Zl. W160 1425799- 3/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: I H in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §17 Abs8;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
AsylG 2005 §17 Abs8;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1. Die mitbeteiligte Partei, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 4. November 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, den er zusammengefasst damit begründete, Afghanistan aus Angst vor den Taliban verlassen zu haben.

2. Mit Bescheid vom 16. März 2012 wies das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) (Spruchpunkt I) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) ab und die mitbeteiligte Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III).

Mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2012 wies der Asylgerichtshof die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab, behob jedoch die Spruchpunkte II und III und verwies die Angelegenheit diesbezüglich gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

3. In der Folge wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 8. Mai 2013 den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I) und die mitbeteiligte Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Afghanistan aus (Spruchpunkt II).

Mit Erkenntnis vom 22. Juli 2013 behob der Asylgerichtshof diesen Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

4. Im dritten Verfahrensgang wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. Oktober 2013 den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten neuerlich gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I) und die mitbeteiligte Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Afghanistan aus (Spruchpunkt II).

Im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) brachte die mitbeteiligte Partei mit Schreiben vom 15. Dezember 2014 erstmals vor, dass sie seit September 2014 den katholischen Religionsunterricht besuche und voraussichtlich im Dezember 2015 das Sakrament der Taufe erhalten werde.

Das BVwG führte in weiterer Folge eine mündliche Verhandlung durch, in welcher die mitbeteiligte Partei ausführlich zu der vorgebrachten Konversion befragt wurde.

Mit Erkenntnis vom 24. April 2015 gab das BVwG der Beschwerde statt, erkannte der mitbeteiligten Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Begründend führte das BVwG unter anderem aus, die mitbeteiligte Partei habe mit dem Vorbringen, wegen der Konversion zum christlichen Glauben im Fall der Rückkehr nach Afghanistan aus religiösen Gründen verfolgt zu werden, einen (subjektiven) Nachfluchtgrund geltend gemacht. Sie habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass sie ihr bereits in Afghanistan bestandenes Interesse für das Christentum weiterentwickelt und sich während des Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam dem Christentum zugewandt habe.

5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Zur Zulässigkeit wird darin vorgebracht, der Asylgerichtshof habe bereits im Jahr 2012 im ersten Verfahrensgang rechtskräftig über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten entschieden. Indem das BVwG im dritten Verfahrensgang dennoch über diesen Antrag abgesprochen habe, habe es die "Sache" seines Verfahrens überschritten und sei damit von - näher bezeichneter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

6. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die gegenständliche Revision als unbegründet abzuweisen.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7.1. Die Amtsrevision ist zulässig und begründet.

7.2. Den folgenden Ausführungen ist voranzustellen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten hat, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen diesen gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (vgl. VwGH vom 29. April 2015, Fr 2014/20/0047, und vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/20/0121, mwN).

7.3. Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2012 die Beschwerde der mitbeteiligten Partei im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen hat.

Die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 ist damit in Rechtskraft erwachsen.

Zugleich behob der Asylgerichtshof die verwaltungsbehördliche Entscheidung betreffend die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 und die aufenthaltsbeendende Maßnahme und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das damalige Bundesasylamt zurück. In weiterer Folge sprach das Bundesasylamt sowohl im zweiten als auch im - hier gegenständlichen - dritten Verfahrensgang jeweils nur noch über den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 und die aufenthaltsbeendende Maßnahme ab.

7.4. Zu Recht macht die Amtsrevision geltend, das BVwG habe die "Sache" seines Verfahrens überschritten, indem es der mitbeteiligten Partei gemäß § 3 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zuerkannt hat. "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG ist nämlich - ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs - jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. so zur Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 etwa schon VwGH vom 17. Dezember 2014, Ra 2014/03/0049).

In diesem Sinne war "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG lediglich der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. Oktober 2013 abgewiesene Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 sowie die aufenthaltsbeendende Maßnahme.

7.5. Sofern die mitbeteiligte Partei dagegen ins Treffen führt, es sei aufgrund des im Beschwerdeverfahren erstmals geltend gemachten Nachfluchtgrundes § 17 Abs. 8 AsylG 2005 anwendbar, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:

Die Bestimmung des § 17 Abs. 8 AsylG 2005 sieht vor, dass dann, wenn während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder eingebracht wird, dieser Antrag im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens mitbehandelt wird. Ein diesfalls gestellter schriftlicher Antrag auf internationalen Schutz gilt als Beschwerdeergänzung.

Die Anwendung dieser Bestimmung kommt jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil im Hinblick auf die Entscheidung über den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 kein "anhängiges Beschwerdeverfahren" beim BVwG vorlag. Das diesbezügliche Verfahren war - aufgrund der rechtlichen Trennbarkeit von den weiteren Spruchpunkten - bereits rechtskräftig abgeschlossen. Der mitbeteiligten Partei wäre es allerdings offen gestanden, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestützt auf das neue Tatsachenvorbringen zum Asylgrund zu stellen, über den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entscheiden hätte müssen.

7.6. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das BVwG mit der Entscheidung in einer Angelegenheit, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Verwaltungsbehörde war, eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen und dadurch seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit belastet hat. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

7.7. Von der Durchführung der von der mitbeteiligten Partei beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 und Z 6 VwGG abgesehen werden.

7.8. Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz war abzuweisen, weil einer mitbeteiligten Partei gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Falle der Abweisung der Revision ein Anspruch auf Aufwandersatz zukommt.

Wien, am 8. September 2015

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