AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W247.2247855.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien und vertreten die BBU GmbH gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2022, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer (BF) ist syrischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Kurden und der sunnitischen Ausrichtung des Islam zugehörig.
I. Verfahrensgang:
1. Der BF reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 30.03.2021, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 30.03.2021 vor der Landespolizeidirektion XXXX - im Beisein eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH - erstbefragt, sowie am 16.07.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache KURDISCH niederschriftlich einvernommen wurde.
2. Der BF1 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 30.03.2021 vor, in XXXX , Syrien geboren zu sein und muttersprachlich Kurdisch/Kurmanji zu sprechen. Der BF könne Arabisch gut in Wort und Schrift, gehöre der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und der kurdischen Volksgruppe an. Im Herkunftsstaat habe er 6 Jahre lang die Grundschule besucht und zuletzt als Bauarbeiter gearbeitet. Der BF habe keine Berufsausbildung absolviert. Im Herkunftsstaat bzw. einem anderen Drittstaat würden noch seine Eltern, sein Bruder, seine Schwester, seine Ehefrau und deren 5 gemeinsame Kinder (ein Sohn, 4 Töchter) leben. Seine letzte Wohnadresse in Syrien sei in XXXX , gewesen. Der BF habe sich kurz vor seiner Abreise am 01.03.2021 zur Ausreise entschlossen. Am 01.03.2021 habe der BF Syrien illegal verlassen und sei zu Fuß in die Türkei gegangen. Der BF habe eine syrische ID Card, ausgestellt vom Innenministerium in XXXX , diese habe er auch bei sich. Der BF habe sich ca. 25 Tage in der Türkei aufgehalten und sei dann über ihm unbekannte Länder bis nach Österreich gereist. Der BF wolle in Österreich bleiben. Sein Schwiegervater habe Kontakt mit dem Schlepper gehabt und habe seine Schleppung EUR 9.000,- gekostet. Es sei ein roter LKW mit Militärplane gewesen und hätten sich viele Kartonagen darin befunden. Der BF habe den Fahrer nicht gesehen.
Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF an, dass er wegen der Sicherheit sein Land verlassen habe. Es gäbe viele Gruppen, wie z.B. die PKK. Alle hätten sie verlangt, dass der BF für sie kämpfe. Das habe er nicht gewollt und habe der BF Angst vor Blut. Wenn jemand in der Früh außer Haus gehe, wisse man nicht, ob diese Person zurückkomme. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF an, festgenommen zu werden und für eine Gruppe kämpfen zu müssen, das wolle er nicht. Im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat habe der BF mit keinen Sanktionen zu rechnen.
3. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 16.07.2021 gab der BF im Wesentlichen an, dass er Arabisch und muttersprachlich Kurdisch spreche, gesund sei und keine Medikamente brauche. In der Folge legte der BF eine Bestätigung der Diakonie über sein freiwilliges Engagement vom 23.06.2021, eine Kopie der syrischen Reisepässe seiner Ehefrau, seines Sohnes und seiner Töchter XXXX und XXXX , sowie eine Kopie seines syrischen Familienbuches, vor. Der BF habe noch 2 weitere Kinder, welche jedoch keinen Reisepass hätten, weshalb der BF das Familienbuch vorgelegt habe. Bis dato habe der BF im Verfahren die Wahrheit gesagt. Befragt dazu, ob bei der Erstbefragung alles richtig protokolliert worden und dieses dem BF rückübersetzt worden sei, gab der BF an, dass ein Bruder, welcher in Deutschland lebe, nicht protokolliert worden sei. Der BF habe keine weiteren Dokumente zum Nachweis seiner Identität und habe noch nie einen Reisepass gehabt. Der BF habe nicht zur Regierung gehen wollen, er habe Syrien verlassen und keinen Reisepass ausstellen lassen. Seine Familienangehörigen hätten einen Reisepass, weil seine Ehefrau gemeint habe, alle hätten Reisepässe und sie wolle dies auch. Befragt dazu, warum 2 seiner Kinder keine Reisepässe hätten, führte der BF aus, dass sie staatenlos gewesen seien. Erst 2011 hätten sie die syrische Staatsbürgerschaft erhalten. Die beiden jüngsten Kinder des BF hätten noch keine Nationalnummer, weshalb kein Reisepass ausgestellt werden habe können. Der BF sei in XXXX (arabisch) geboren worden, auf Kurdisch heiße das Dorf XXXX , es liege im Gouvernement XXXX . Die Stadt XXXX sei ca. 150 km vom Wohnort des BF entfernt. Der BF sei verheiratet und habe 5 Kinder. Eine Heiratsurkunde könnte der BF besorgen. Beim Standesamt könnte der BF die Urkunde beantragen und entgegennehmen. Der BF habe glaublich am 25.10.2002 geheiratet, im Familienbuch stehe 20.10.2002. Die Ehe sei erst im Jahr 2012 bestätigt und standesamtlich eingetragen worden. Im Jahr 2012 habe der BF das Familienbuch ausstellen lassen. Die Ehefrau des BF sei im Jahr XXXX geboren, Tag und Monat wisse der BF nicht. Ihr Vater heiße XXXX , ihre Mutter XXXX . Der BF sei in XXXX geboren und habe 6 Jahre lang die Grundschule besucht. Den Militärdienst habe der BF nicht abgeleistet, weil er staatenlos gewesen sei. Im Jahr 1995 sei der BF nach XXXX gezogen, wo er bis 2002 geblieben sei. In seinem Dorf habe der BF im Jahr 2002 geheiratet und sei dort bis 2009 aufhältig gewesen. 2009 seien sie wieder nach XXXX gezogen. 2012 sei der Krieg dort ausgebrochen, weshalb sie zurück in ihr Dorf gegangen seien. Am 01.03.2021 sei der BF schlepperunterstützt nach XXXX gebracht worden und sei er am selben Tag illegal in die Türkei gereist. Die Ehefrau des BF heiße XXXX , geb. am XXXX , sein Sohn heiße XXXX , geb. am XXXX , seine Töchter hießen XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX und XXXX , geb. am XXXX . Sie seien allesamt im Dorf XXXX wohnhaft. Der Bruder des BF, XXXX sei nicht in Syrien, sondern in Deutschland aufhältig. Alle weiteren Angaben in der Erstbefragung zu seinen Familienangehörigen würden stimmen. Der BF habe zuletzt vor 2 Tagen Kontakt mit seiner Ehefrau gehabt, sie würden über WhatsApp kommunizieren. Im Herkunftsstaat habe der BF 6 Jahre lang die Grundschule besucht. Kurdisch könne der BF schlecht schreiben, Arabisch könne der BF. Kurdisch sei in den syrischen Schulen nicht unterrichtet worden. Der BF habe auf Baustellen alles Mögliche gearbeitet, als Maurer, als Maler. Verwandte habe der BF in Österreich keine. Seine Flucht habe EUR 9.000,- gekostet, dafür habe der BF ein kleines Grundstück verkauft. Er habe ein bisschen Geld für seine Familie im Herkunftsstaat zurückgelassen und unterstütze der Schwiegervater des BF dessen Familie.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, es herrsche Krieg in Syrien und gäbe es keine Sicherheit. Das Leben dort sei gefährlich geworden und sei sein Leben in Gefahr gewesen. Es gäbe viele bewaffnete Gruppen in Syrien und müsse man sich einer anschließen, um überleben zu können. Zum Beispiel gäbe es die PYD und die syrische reguläre Armee. Es gäbe Zwangsrekrutierung und habe der BF Angst zwangsrekrutiert zu werden. Im Krieg müsse man entweder jemanden töten oder man werde getötet. Deswegen sei der BF nach Österreich gekommen. Befragt nach seinen Rückkehrbefürchtungen, gab der BF an, seinen Militärdienst nicht abgeleistet zu haben. Der BF habe Angst - im Falle seiner Rückkehr - zum Militärdienst eingezogen zu werden. Der BF sei nach Erhalt der syrischen Staatsbürgerschaft im Jahr 2011 nicht dazu aufgefordert worden, sich bei der syrischen Armee zum Wehrdienst zu melden. Danach gefragt, warum er nunmehr vermute zum Militärdienst eingezogen zu werden, gab der BF an, bereits ausgeführt zu haben, nicht einberufen worden zu sein. Er sei kaum in der Stadt XXXX gewesen. Der BF vermute, dass er zum Militärdienst müsste, weil er diesen noch nicht abgeleistet habe. Die PYD habe die Macht über die Heimatregion des BF, der militärische Arm sei die PKK. Sie hätten tausende Namen diese Einheiten, beispielsweise Volksverteidigungseinheit. Der BF sei oft von der YPG oder PYD aufgefordert worden, bei Checkpoints zu arbeiten, aber er habe das verweigert. Das erste Mal sei der BF im Jahr 2013 gefragt worden. Ab 2014 oder 2015 seien sie regelmäßig beim BF gewesen, weil der IS in der Nähe einmarschiert sei. Nun werde gesagt, dass der IS vernichtet worden sei, der BF glaube das jedoch nicht. Er glaube, es gäbe schlafende Zellen. Irgendwann würden sie wieder aufwachen. Nachdem der BF abgelehnt habe bei den Checkpoints zu arbeiten, hätten sie ihm keine Gasflasche gegeben. Bei der Bäckerei, habe der BF stundenlang warten müssen, bis er Brot bekommen habe. Viele hätten noch warten müssen, der BF sei nicht der einzige gewesen. Die anderen hätten warten müssen, weil sich alle diesen Einheiten nicht anschließen hätten wollen. Befragt dazu, warum die YPG gerade ein Interesse an der Person des BF haben sollte, vermeinte dieser, es gäbe dort keine Sicherheit und würden keine Gesetze respektiert. Wenn man das Haus verlasse, könne man sich wegen der Bombardierungen, Geschosse oder Luftangriffe nicht sicher sein, dass man zurückkomme. Es könne sein, dass ein PYD Kämpfer den BF nicht möge und ihn deshalb zwangsweise rekrutiere. Der Sohn des BF werde in 2 Monaten 18 Jahre alt. Der BF sei nach Österreich gekommen und habe gehofft einen Asylstatus zu erhalten, um seine Familie nachzuholen. Der Sohn des BF besuche keine Schule mehr, er sei die ganze Zeit zu Hause. Der BF sei nicht politisch aktiv und sei dies auch nie gewesen. Von 2004 bis 2008 habe der BF einem Musikverein angehört. Der BF habe im Verein kurdische Lieder gesungen und kleine Theaterspiele bei XXXX aufgeführt. Die meisten Vereinsmitglieder seien nicht Mitglied einer Partei gewesen. Trotzdem seien sie von einer politischen Partei, nämlich der syrischen demokratischen Partei, unterstützt worden. Der BF sei zu keinem Zeitpunkt PYD-kritisch aktiv gewesen.
In Österreich leiste der BF soziale Arbeit für die Diakonie, dort habe er auch Kontakt zu Österreichern. Für einen Deutschkurs und einen Integrationskurs habe sich der BF angemeldet, aber noch keinen Platz bekommen. Die Mitarbeiter der Diakonie hätten gesagt, sie würden den BF unterstützen und könnte dieser bei ihnen einen Deutschkurs machen. Der BF bekomme EUR 40,- bis 45,- in der Woche von einer Institution und von der Caritas einmal im Monat EUR 40,-. In seiner Freizeit sei der BF von 7-16 Uhr bei der Diakonie. Nach der Arbeit komme er nach Hause, dusche und spiele in einem Park Fußball. Der BF habe in Österreich niemals Probleme mit Behörden, der Polizei, dem Gericht oder anderen Institutionen gehabt. Er gehöre der kurdischen Volksgruppe an und habe es keine konkrete, gezielte Verfolgung seiner Person aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Herkunftsstaat gegeben. Der BF sei sunnitischer Moslem und sei nie wegen seiner Religionszugehörigkeit verfolgt worden. Im Jahr 2004 sei der BF von einer Behörde festgenommen worden und für 24 Tage im Gefängnis gewesen. Im Jahr 2004 habe es in ihrem Gebiet eine Auseinandersetzung wegen eines Fußballspiels gegeben, weshalb der BF festgenommen worden sei. Der BF sei nicht der einzige gewesen, die meisten jungen Kurden seien festgenommen und einige gefoltert worden. Später seien alle ohne Gerichtsverhandlung freigelassen worden.
4. Der BF brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:
Syrischer Personalausweis des BF im Original, Nr. XXXX ;
Bestätigung der Diakonie über das freiwillige Engagement des BF vom 23.06.2021;
Kopie des syrischen Reisepasses der Ehefrau des BF;
Kopie des syrischen Reisepasses des Sohnes des BF;
Kopien der syrischen Reisepässe von 2 Töchtern des BF;
5.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 08.09.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
5.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF, zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats, zur Situation im Falle seiner Rückkehr, sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es habe keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Aufgrund der derzeitigen instabilen Sicherheitslage in Syrien, würde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF jedoch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens darstellen, weshalb dem BF subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
5.3. Beweiswürdigend führte das BFA in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen aus, dass glaubhaft sei, der BF habe Syrien aufgrund des Krieges verlassen. Hinsichtlich der Befürchtung des BF im Herkunftsstaat zum Wehrdienst eingezogen zu werden, sei auszuführen, dass sich diese Befürchtung nicht mit dem LIB decken würde, zumal die Wehrpflicht zwischen 18 und 42 Jahren bestehe, wobei der BF diese Altersgrenze bereits überschritten habe. Der BF verfüge über keine spezifischen Qualifikationen, die eine spätere Einberufung selbst zum Reservedienst noch wahrscheinlich machen würde. Es sei vollkommen unwahrscheinlich, dass der BF einerseits im Jahr 2011, zu einem Zeitpunkt als der BF noch wehrpflichtig gewesen sei, die syrische Staatsbürgerschaft erhalten habe, jedoch bis jetzt nicht aufgefordert worden sei, sich zur Ableistung des Wehrdienstes zu melden und diese justament bei einer nunmehrigen Rückkehr erfolgen würde. Die Heimatregion des BF sei überdies überwiegend in kurdischer Hand wobei dort eine Wehrpflicht zwischen 18 und 30 Jahren gelte. Der BF habe zwar vorgebracht mehrfach aufgefordert worden zu sein bei Checkpoints mitzuarbeiten, eine solche Aufforderung stelle per se jedoch noch keine asylrelevante Verfolgung dar. Es sei zu bedenken, dass der BF bis zu seiner Ausreise in seinem Herkunftsgebiet, welches von kurdischen Milizen beherrscht werde, aufhältig gewesen sei und zu keinem Zeitpunkt einen tatsächlichen Zwangsrekrutierungsversuch geltend gemacht habe. Eine Verfolgung aufgrund seiner Volks- oder Religionsgruppenzugehörigkeit habe der BF explizit verneint.
6. Mit Information zur Rechtsberatung vom 08.09.2021 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
7.1. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 12.10.2021 wurde für den BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides des BFA, zugestellt am 04.10.2021, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides blieben von der Beschwerde unberührt.
7.2. Begründend wurde beschwerdeseitig zunächst der Sachverhalt neuerlich dargestellt und ausgeführt, dass der BF bereits in Syrien eine regimekritische Haltung gehabt habe, indem er als Mitglied eines Musikvereins die kurdische Kultur durch öffentliche Aufführungen zum Ausdruck gebracht habe. Der BF habe nach jedem Auftritt als Vereinsmitglied etwa 2 Tage von seinem zu Hause fernbleiben müssen bis er nach Zahlung von „Trinkgeldern“ wieder ohne Lebensgefahr nach Hause zurückkehren habe können. Für den BF sei dieses Gefühl der ständigen Lebensgefahr sein täglicher Begleiter gewesen, was nunmehr auch sein 18-jähriger Sohn durchleben müsse. Der Musikverein sei nicht von der syrischen demokratischen Partei, sondern von der kurdischen demokratischen Partei in Syrien unterstützt worden. Der BF sei aus Syrien geflüchtet, weil sein Sohn bald volljährig werde und gleichfalls der Wehrdienstpflicht von allen Seiten unterliege.
In der Folge wurde dargelegt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. So sei diese ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen und habe sich auf unvollständige Länderberichte gestützt. Die belangte Behörde hätte die jüngsten UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen in der 4. aktualisierten Fassung von November 2015 einbeziehen müssen, wobei einige Auszüge daraus zitiert wurden. Hervorgehoben wurde, dass Reservisten bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden könnten. Es würden einzelne Berichte vorliegen, nach denen die Altersgrenze erhöht sie, wenn die Person besondere Qualifikationen habe. In der Praxis sei die Altersgrenze erhöht worden und würden auch Männer in den späten 40ern und frühen 50ern gezwungen Wehr- bzw. Reservedienst zu leisten. Dem Umstand, dass der mittlerweile 18-jährige Sohn des BF sich vor Zwangsrekrutierung verstecke, das Haus nicht verlasse und die Schule nicht besuche, sohin in Syrien verfolgt werde, sei von der belangten Behörde weder ermittelt, noch gewürdigt worden, was den BF als Vater massiv psychisch belaste. Zudem würde dem BF aufgrund seiner illegalen Ausreise eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. In diesem Zusammenhang wurden Passagen aus dem LIB zitiert.
Im Falle seiner Rückkehr würde der BF schon wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Militärdienstweigerung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in das Blickfeld der syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten und Verfolgungen wegen (zunächst unterstellter) oppositioneller politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Oppositionelle bei Befragungen und Verhören nach der Einreise misshandelt und gefoltert. Aufgrund seiner kurdischen Herkunft sei der BF bereits gesellschaftlichen Repressionen und Diskriminierung ausgesetzt. Nach der Einschätzung von UNHCR würden Oppositionelle dem Risikoprofil entsprechen, ebenso wie Wehrdienstverweigerer, weshalb der BF zwei Risikoprofilen entspreche.
Daran anschließend wurden mehrfach Länderberichte zum Thema Zwangsrekrutierung zitiert und auszugsweise wiedergegeben. Es wurde auch auf ein Urteil des EuGH verwiesen, wonach wehrpflichtigen syrischen Flüchtlingen der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei.
Auch in Hinblick auf Oppositionelle seien die dem Verfahren zugrundegelegten Länderberichte mangelhaft und wurde aus einem Erkenntnis des BVwG aus dem Jahr 2016, sowie ein Länderbericht der SFH zitiert, welcher auszugsweise wiedergegeben wurde.
Die belangte Behörde habe sich außerdem einer mangelhaften Beweiswürdigung bedient. Sofern die belangte Behörde das Vorbringen des BF zum Militärdienst als zu wenig detailliert erachte, hätte sie den BF dazu näher befragen müssen. Es stelle einen Mangel seitens der belangten Behörde dar, sich mit den angeblich oberflächlichen Angaben zu begnügen, anstatt entsprechend nachzufragen. Dem BF sei nicht erkennbar gewesen, inwiefern er seine Fluchtgründe darlegen müsse. Wie genau er sein Fluchtvorbringen erstatten müsse und welche Details für seine Glaubwürdigkeit verlangt werden, habe der BF nicht wissen können, weil er rechtsunkundig sei. Besonders gravierend sei, dass die belangte Behörde unterlassen habe zu ermitteln, weshalb der BF seinen Wehrdienst nicht ableisten wolle. Befragt dazu, hätte der BF angeben können, dass er es ablehne für eine Armee bzw. Gruppierung zu kämpfen, die massive Körperverletzungen begehe, gegen die eigene Bevölkerung unmenschlich vorgehe und Kriegsverbrechen verübe. Es sei auch unterlassen worden zu ermitteln, dass der älteste Sohn des BF, welcher 18 Jahre alt sei, auch als Wehrdienstverweigerer gelte. Weder der Sohn des BF, noch sein Bruder, dem in Deutschland internationaler Schutz zuerkannt worden sei, noch seine Freunde hätte ihre Wehrpflicht erfüllt. Alleine aus diesem Grund würde dem BF bei einer Wiedereinreise nach Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, weil er aus einer Familie stamme, in welcher mehrere Männer im wehrfähigen Alter den Wehrdienst verweigern würden.
Trotz Angabe, dass der BF von allen Gruppen aufgefordert worden sei für diese zu kämpfen, habe die belangte Behörde keine Erkundungen angestellt, inwieweit die Einberufung von wehrpflichtigen Männern in nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden Gebieten stattfinde und inwieweit kurdische Milizen Zwangsrekrutierungen durchführen würden. Selbst der Umstand, dass der BF seinen Wehrdienst vor so vielen Jahren hätte ableisten sollen, bedeute nicht, dass die syrische Armee bzw. die Milizen keine besondere Verwendung für den BF hätten und dieser zunächst als Wache eingesetzt werden könnte, bevor er in ein Konfliktgebiet geschickt würde. Dabei handle es sich um einen Dienst, welcher keine Spezialausbildung benötige und nehme der Konflikt nicht ab, weshalb der Bedarf an nicht kampferprobten Soldaten im fortgeschritteneren Alter regional eher steige. Die belangte Behörde stütze die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des BF auf vermeintliche Widersprüche in seinen Angaben und auf die unrichtige Auslegung der Länderberichte. Diese „Widersprüche“ und die Behauptung des BFA, dass der BF nicht im Fokus von Zwangsrekrutierungen in Syrien stehe, ließe sich jedoch leicht auflösen. Wie bereits ausgeführt, würden einige Widersprüche aus Ermittlungsmängeln der belangten Behörde resultieren, weshalb auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich sei. Durch seine illegale Ausreise habe sich der BF seinem Militärdienst entzogen und würde ihm bei einer Rückkehr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Erschwerend komme hinzu, dass der BF im Ausland einen Asylantrag gestellt habe und aus einem Gebiet stamme, welches nicht unter der Kontrolle des Regimes stehe. Tatsache sei, dass der BF trotz seines Alters, ebenso wie sein 18-jähriger Sohn, Militärdienst leisten müsste und bei einer Weigerung mit unmenschlicher Behandlung rechnen müsste. Hätte die belangte Behörde das Vorbringen entsprechend gewürdigt, hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass die vom BF geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei.
Die belangte Behörde habe darüber hinaus eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen und wurde folglich die Rechtslage zu § 3 AsylG umfangreich dargestellt. Zusammenfassend drohe dem BF asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat, weil dieser sich nicht der YPG anschließen habe wollen, eine Rekrutierung als Reservist durch die syrischen Behörden fürchte, illegal ausgereist sei und der kurdischen Volksgruppe angehöre.
In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den angefochtenen Spruchpunkt I. allenfalls nach Verfahrensergänzung – beheben und dem BF den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; 2.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen.
8. Die Beschwerdevorlage vom 25.10.2021 und der Verwaltungsakt langten bei der Gerichtsabteilung W253 des Bundesverwaltungsberichts (BVwG) am 02.11.2021 ein.
9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 23.03.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W253 abgenommen und am 01.04.2022 der Gerichtsabteilung W247 neu zugewiesen.
10. Mit Schriftsatz vom 12.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF und seinem Rechtsvertreter aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 1 Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte.
11. Mit Stellungnahme vom 18.05.2022 brachte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter vor, der BF habe bereits im Rahmen seiner Beschwerde vorgebracht, dass ihm keine Befreiungsgebühr zumutbar sei. Überdies würde ein Freikaufen auch in der Praxis nicht helfen, da der BF dennoch an den Checkpoints willkürlich eingezogen werden könnte und endlos zahlen müsste. Weiters drohe auch die Beschlagnahmung des Vermögens oder des Wohnhauses bei Weigerung des Militärdienstes nach dem 42. Lebensjahr. Diese Praxis werde ab S. 86 der Länderinformation der Staatendokumentation bestätigt. Ein Onkel des BF habe bereits die Beschlagnahmung seines Hauses erleben müssen, nachdem der Onkel aus dem Land geflohen sei, seien die dort verbliebenen Verwandten ohne jede Benachrichtigung enteignet worden. Weiters drohe bei Nichtzahlung auch eine Haftstrafe bei Militärverweigerung. Die Sanktionen für Wehrdienstverweigerung würden denen im von der Regierung kontrollierten Teil ähneln und würden Haftstrafen, sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes umfassen. In ganz Syrien, gleichgültig in welchem Landesteil, würden die jeweiligen Militäreinheiten agieren, sowohl die kurdischen, als auch die syrischen Milizen würden willkürlich enteignen, sowie grundlos auch über 42-jährige Männer verhaften. Der BF habe besonders auch um seinen mittlerweile 16-jährigen Sohn Angst, der sich nicht mehr aus dem Haus traue. Gleichfalls könne auch die Tochter des BF nicht mehr alleine ohne Schutzperson die Schule besuchen, da auch sie Angst vor Entführungen durch kurdische Milizen haben müsse. Es handle sich beim BF um einen Kurden, welcher erst vor wenigen Jahren die syrische Staatsbürgerschaft erhalten habe. Zuvor sei der BF 35 Jahre lang staatenlos gewesen. Der BF sehe keinesfalls ein, für die syrische Regierung eine Waffe zu tragen. Der BF und seine Familie würden auch nicht für die kurdischen Milizen kämpfen wollen. Der BF befürchte aufgrund seiner Eigenschaft als Kurde aus einem Gebiet, das vom türkischen Militär und der SNA kontrolliert werde, ebendort von diesen verfolgt zu werden. Aus Angst vor zunehmender Willkür und Zwangsrekrutierung habe der BF Syrien verlassen. Zahlreiche Länderberichte würden die Willkür bezüglich Zwangsrekrutierungen in Syrien bestätigen. Wie auch den Länderinformationen zu entnehmen sei, seien die Haftbedingungen in Syrien menschenverachtend und lebensbedrohlich. Mit willkürlichen Verhaftungen müsse jederzeit gerechnet werden, Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibe ein weitverbreitetes Problem. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die Länderberichte keine Zweifel lassen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Zwangsrekrutierung und Verhaftung drohe. Dem BF sei daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
12. Mit Schriftsatz vom 23.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF und seinem Rechtsvertreter die Beweismittelliste zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022; Country Guidance: Syrien der EUAA, November 2021; Report on the situation of returnees der EUAA, Juni 2021; Asylbericht Syrien der Österreichische Botschaften, September 2021; report on treatment of returnees by authorities – treatment upon return des Danish Immigration Service, Mai 2022) und wurde diesem Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 1 Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen.
13. Mit Stellungnahme vom 27.05.2022 brachte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter vor, dass der BF der Volksgruppe der Kurden angehöre und aus Nordsyrien, der Provinz XXXX stamme und Syrien illegal verlassen habe. Folglich wurde aus den Länderberichten zur schlechten Versorgungslage in XXXX und zur Situation der Kurden zitiert. Dem BF drohe alleine wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien eine Haftstrafe bis zu 3 Jahren. Ein Gefängnisaufenthalt des BF wäre jedenfalls mit Misshandlungen und Folter verbunden, insbesondere, weil dem BF durch seine illegale Ausreise und dem Militärdienstentzug eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. Der BF gehöre sohin mehreren Risikogruppen an, dieser werde in Syrien wegen seiner kurdischen Abstammung, seiner (vermeintlichen) politischen Gesinnung, sowie in der Praxis auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung betroffenen Männer und seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Familienangehörigen von syrischen Männern im wehrfähigen Alter (Wehrdienstverweigerer Bruder und volljähriger Sohn) verfolgt. Wie bereits in der Beschwerde und der Stellungnahme vom 18.05.2022 vorgebracht, würden in der Praxis landesweit auch Männer in den späten 40ern und frühen 50ern zum Wehr- bzw. Reservedienst gezwungen, das bestätige auch der aktuelle Asylbericht zu Syrien der ÖB, wobei auszugsweise daraus zitiert wurde. Es lasse sich beobachten, dass der Bedarf an nicht kampferprobten Soldaten und insbesondere bereits im Alter fortgeschrittenen Männern in der Praxis regional eher steige und sohin diesbezüglich anzunehmen sei, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit bestehen würde, dass der BF nach wie vor zum Militärdienst (von allen Seiten) einberufen würde. Die Altersgrenze sei laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung abhängig, als vom allgemeinen Gesetz. Der BF stamme aus einer Provinz, die besonders umkämpft sei und besonders viel Bedarf auch an kampfunerprobten und älteren Männern habe. Auch sei bereits in der Beschwerde vorgebracht worden, dass der mittlerweile 18-jährige Sohn des BF sich vor Zwangsrekrutierung regelrecht verstecke, das Haus nicht verlasse, die Schule nicht besuche und diesem sohin in Syrien Verfolgung aufgrund der Zwangsrekrutierung drohe. Der BF als Vater sorge sich naturgemäß sehr um seinen Sohn und belaste ihn dies psychisch massiv. Im Zuge einer Rückkehr nach Syrien würde der BF zwangsläufig an den Checkpoints nach seinem Auslandsaufenthalt sowie dem Verbleib seiner Familienangehörigen, insbesondere seinem 18-jährigen Sohn, aber auch seinem Bruder, welcher in Deutschland lebe und internationalen Schutz zuerkannt bekommen habe, sowie den Militärdienst verweigert habe, befragt werden und entsprechend willkürlich von allen in der jeweiligen Region dominierenden Parteien behandelt werden. Zudem würde aufgrund der illegalen Ausreise grundsätzlich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Die Möglichkeit des Freikaufs vom Militär durch Bezahlung von USD 8000,- sei unzumutbar. Bezüglich der Konsequenzen bei Nichtzahlung werde ebenfalls auf das bereits in der letzten Stellungnahme erstattete Vorbringen hinsichtlich eines Onkels des BFs verwiesen. Die Situation in Syrien habe sich insgesamt nicht verbessert. Neuerlich darauf verwiesen wurde, dass grundlos auch über 42-jährige verhaftet würden und der BF Angst um seine Tochter habe. Dem BF sei daher der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
14. Mit Schriftsatz vom 22.08.2022 erkundigte sich der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter nach dem aktuellen Verfahrensstand.
15. Mit Schriftsatz vom 30.08.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF die Ladung zur Beschwerdeverhandlung für den 23.09.2022 samt Beweismittelliste zur Lage in Syrien (Stand August 2022; ua. LIB Syrien, Version 7, Stand 10.08.2022) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen.
16. Mit Urkundenvorlage vom 20.09.2022 wurde für den BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter eine Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich XXXX und ein weiteres Dokument in syrischer Sprache vorgelegt. Gleichzeitig wurde vorgebracht, dass aus nachstehender Urkunde in arabischer Schrift, einem Auszug aus dem Strafregister, hervorgehe, dass der BF aufgrund seiner Mitgliedschaft zur (oppositionellen) Partei PDK-S (Partiya Demokrate Kurdistan Sûriya) am 20.04.2019 zu einer Gefängnis- sowie einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Zum Beweis für die Parteizugehörigkeit des BF und der darauffolgenden Verurteilung beantrage dieser die Übersetzung und Überprüfung der vorgelegten Urkunde. Gegenständlich sei die Veranlassung der Übersetzung des vorgelegten Beweismittels erforderlich, da sie der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts – nämlich, ob dem BF im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Verurteilung und Parteimitgliedschaft zur PDK-S eine asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen drohen würde – dienen könne. Zudem habe der Bruder des BF mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Wie bereits vorgebracht, drohe dem BF unter anderem eine Verfolgung aus politischen Gründen, da ihm als Familienangehöriger seines Bruders, welcher ebenfalls den Wehrdienst verweigert habe und deshalb der Asylstatus zuerkannt worden sei, sowie mittlerweile sogar die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt würde. Bei einer legalen Einreise würde jedenfalls auch nach Familienangehörigen befragt werden. Der BF habe angegeben, von 2004 bis 2008 in einem Musik- (Theater)verein gewesen zu sein und habe näher ausgeführt, dass der Verein von einer politischen Partei, nämlich der kurdisch demokratischen Partei Syriens, der PDK-S unterstützt worden sei und sich der BF dabei kritisch geäußert habe. Aus juristischer Vorsicht werde angemerkt, dass das erstattete Vorbringen, wonach der BF selbst Mitglied der Partei gewesen sei, dem in § 20 BFA-VG normierte Neuerungsverbot nicht entgegenstehe. Nach § 20 Abs. 1 Z 4 BFA-VG bestehe nunmehr ein allgemeines Neuerungsrecht insofern, als der Antragsteller „aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage gewesen sei, Tatsachen und Beweismittel vorzubringen“. Das auslösende Moment für die Unfähigkeit der Tatsachen- bzw. Beweismittelvorbringens sei irrelevant, sofern dies dem Antragsteller nicht schuldhaft vorzuwerfen sei, er also rechtsmissbräuchlich gehandelt hätte. Diese Reduktion des Neuerungsverbots entspreche der ständigen Rechtsprechung des VfGH sowie des VwGH. In casu sei der BF nicht in der Lage gewesen dieses Vorbringen früher zu erstatten, da er zum einen gedacht habe, er müsse bei seinen Angaben, die er bei der Erstbefragung getätigt habe, bleiben. Erst in der Verhandlungsvorbereitung am 16.09.2022 habe der BF der zuständigen Rechtsberaterin davon erzählt und von einem Beweismittel berichtet, mit welchem der BF seine Verurteilung und Parteimitgliedschaft beweisen könne. Daraufhin habe die Familie des BF diesem eine Kopie des Urteils per WhatsApp übermittelt. Das hiermit erstattete Vorbringen sei keinesfalls missbräuchlich. Nunmehr werde richtiggestellt, dass nur der Bruder des BF in Deutschland lebe. Der Vater befinde sich nach wie vor in Syrien. Der BF habe jedoch seit ca. 10 Jahren keinen Kontakt mehr zu diesem. Die Eltern des BF hätten sich vor Jahren getrennt und habe die Mutter des BF neuerlich geheiratet. Ebenso werde richtiggestellt, dass der BF nur einen Sohn habe, wie auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben.
17. Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.09.2022 wurde die mündliche Verhandlung wegen Erkrankung der Gerichtsabteilung auf 07.10.2022 verlegt.
18. Am 07.10.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der BF ordnungsgemäß geladen wurde und an welcher dieser auch teilnahm.
Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„[…]
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF: Mein vollständiger Name ist XXXX . Der Geburtsort ist XXXX Am XXXX wurde ich geboren. Derzeit bin ich syrischer Staatsbürger. Davor war ich staatenlos. Meine letzte Wohnadresse ist XXXX in der Provinz XXXX .
RI: Im Akt kommen als Geburtsort zwei Namen immer wieder vor. Das eine ist XXXX und das andere ist ein Ort, von dem ich glaube, dass Sie ihn vorher auch erwähnt haben, nämlich XXXX . Handelt es sich dabei um den gleichen Ort?
BF: Es handelt sich um denselben Ort. Im Kurdischen heißt es XXXX und im Arabischen XXXX
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Kurdisch.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF: Moslem, Sunnit.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF: Ich verfüge über einen syrischen Personalausweis.
RI: Treten Sie bitte an den Richtertisch vor und sagen Sie mir bezüglich der folgenden beschwerdeseitig eingebrachten und im Akt befindlichen Ablichtungen in arabischer Sprache, worum es sich dabei handelt.
RI: AS 25 bis AS 28?
BF: Syrischer Personalausweis
RI: AS 65 bis AS 75?
BF: Kopien des Familienbuches.
RI: Besitzen Sie derzeit einen gültigen syrischen Reisepass? Wenn ja, wo befindet er sich?
BF: Nein.
RI: Waren Sie jemals im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses?
BF: Nein.
RI: Sie sagen, Sie hatten niemals einen syrischen Reisepass. Warum haben Ihre Frau und zwei Ihrer Kinder Reisepässe und ausgerechnet Sie, der Sie als einziger Ihrer Familie nach Europa gereist sind, verfügen über keinen Reisepass? Wie kommt das?
BF: Wir haben erst die syrische Staatsbürgerschaft bekommen in 2012. Vorher waren wir staatenlos. Wenn ich einen syrischen Reisepass beantragen will, muss ich ja ein Wehrdienstbuch und eine Militärbestätigung haben.
RI: Was für eine Bestätigung des Militärs ist das?
BF: Bei dieser Bestätigung handelt es sich um ein Dokument, dass ich nicht zum Militärdienst einberufen bin. Ich habe Angst, diese Dokumente beantragen zu lassen. Ich habe Angst zum Militärdienst einberufen zu werden. Das syrische Regime hat uns erst die Möglichkeit gegeben, diesen Personalausweis ausstellen zu lassen, nur zum Zweck, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten können.
RI: Haben Sie zur Beantragung des syrischen Personalausweises kein Wehrdienstbuch gebraucht und keine Militärbestätigung?
BF: Beim syrischen Personalausweis handelt es sich um eine andere Behörde für Zivilangelegenheiten. Deshalb ist es möglich, dass man diesen syrischen Personalausweis ausstellen lassen kann. Aber bei der Rekrutierungsstelle handelt es sich um eine andere Behörde, die mit der Rekrutierung beschäftigt ist.
RI: Aber Sie lassen ja nicht den Reisepass bei der Rekrutierungsstelle ausstellen.
BF: Ja, aber sie verlangen bei der Ausstellung eines syrischen Reisepasses, diese Bestätigung des Militärs, dass ich nicht zum Militär- oder Reservedienst einberufen werde.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF: Arabisch; Kurdisch Kurmanjii (Muttersprache).
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit. Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat, als auch im Bundesgebiet.
BF: Ich habe die Schule bis zur 6. Klasse besucht, ab 1983 oder 1984. Ich habe die Schule verlassen, weil wir so diskriminiert waren. Wir waren staatenlos. Auch wenn ich weiterstudiert hätte und Medizin abgeschlossen hätte, hätte ich überhaupt keine Stelle gefunden und aus einem anderen Grund, weil wir im Dorf nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, dass ich weiter studieren hätte können. Deshalb habe ich die Schule im Alter von 12 Jahren verlassen. Was den Beruf angeht, habe ich alles Mögliche gearbeitet. 1989 habe ich begonnen, im Restaurant als Kellner zu arbeiten. Das hat bis 1993 gedauert. Am Anfang habe ich als Reinigungshelfer gearbeitet und nach einem Jahr habe ich begonnen, als Kellner zu arbeiten. Ab 1993 habe ich als Maurer und Maler auf Baustellen gearbeitet. Später habe ich als Tischler und Maler gearbeitet, auch auf Baustellen. In Österreich arbeite ich auch als Maler.
RI: Ist das eine angemeldete Berufstätigkeit?
BF: Ja, nachdem ich nach Österreich gekommen bin, habe ich direkt bei der Diakonie ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet, für sieben Monate, und als ich den Aufenthaltstitel erhalten habe, habe ich hier in Österreich als Maler gearbeitet. Auch jetzt, wenn ich Zeit habe, helfe ich auch bei der Diakonie ehrenamtlich mit. Den Schlüssel des Lagers der Diakonie habe ich dabei.
RI: Was war die letzte berufliche Tätigkeit, die Sie im Herkunftsstaat ausgeübt haben?
BF: Das war auf Baustellen als Betonmischer.
RI: Haben Sie die Pflichtschule im Herkunftsstaat abgeschlossen?
BF: Die Volksschule habe ich abgeschlossen.
RI: Haben Sie jemals eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF: In Syrien?
RI: Egal wo, wenn Sie eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, sagen Sie das bitte.
BF: Bei den Arbeiten habe ich das erlernt.
RI: Eine offizielle Berufsausbildung haben Sie nicht abgeschlossen?
BF: Nein, in Syrien gab es keine Möglichkeit, für diese Berufe eine Ausbildung zu machen und hier arbeite ich und deswegen habe ich keine Zeit, um eine Ausbildung zu machen.
RI: Konnten Sie von diesen Tätigkeiten im Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten?
BF: Ja, es ging.
RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?
BF: Eigentlich ging es, ich war nicht arm und nicht reich.
RI: Wann sind Sie aus dem Herkunftsstaat ausgereist?
BF: Ungefähr am 01.03.2021.
RI: Haben Sie den Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits vollständig abgeleistet? Wenn ja, von wann bis wann und welche Tätigkeiten haben Sie in Ihrer Militärdienstzeit verrichtet? Wenn nein, warum nicht?
BF: Wie ich Ihnen angegeben habe, habe ich den Wehrdienst nicht abgeleistet. Wir waren staatenlos und erst als das syrische Regime uns diese Möglichkeit gegeben hat, über die syrische Staatsbürgerschaft zu verfügen, haben sie das gemacht, damit wir zum Militärdienst einberufen werden können. Ich will eines betonen, wir die Kurden, ich sage nicht alle Kurden, ich spreche über die Kurden in der Provinz XXXX , wir wurden vom syrischen Regime diskriminiert, indem wir lange über keine syrische Staatsbürgerschaft verfügt haben und als Staatenloser darf man überhaupt kein Haus anmelden oder kein Auto anmelden. Man bekommt überhaupt keine Anstellung in behördlichen Einrichtungen.
RI: Seit wann sind Sie syrischer Staatsbürger?
BF: Es hat begonnen 1962, dass wir Kurden die Staatsbürgerschaft verloren haben.
RI: Das habe ich nicht gefragt. Die Frage war, wann Sie die syrische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen haben.
BF: Am Anfang 2012. Ich bin mir nicht sicher, entweder Ende 2011 oder Anfang 2012.
RI: Verfügen Sie über ein Militärdienstbuch?
BF: Nein.
RI: Laut LIB müssen bereits alle 17-jährigen Männer ein Wehrdienstbuch abholen, in welches dann etwaige Wehrdienstaufschübe aber auch die Wehrdienstzeiten eingetragen werden. Verfügten Sie jemals über ein solches Wehrdienstbuch, auch wenn Sie angeben, erst mit 34 Jahren Staatsbürger geworden zu sein?
BF: Wir waren staatenlos und als Staatenloser ist man vom Militärdienst befreit.
RI: Mir ist schon klar, dass Sie mit 17 Jahren kein Wehrdienstbuch abgeholt haben, weil Sie staatenlos waren. Aber als Sie die syrische Staatsbürgerschaft mit 34 Jahren erhalten haben, wäre davon auszugehen, dass Sie spätestens dann ein Wehrdienstbuch erhalten hätten.
BF: Wie kann ich zum Wehrdienst einrücken, wenn das Regime die eigene zivile Bevölkerung tötet. Dieses Regime tötet eigentlich unsere Kinder. Ich will überhaupt nicht daran teilnehmen, die arabische oder kurdische Zivilbevölkerung zu töten.
RI: Die Frage war, ob Sie nach der Verleihung der syrischen Staatsbürgerschaft aufgefordert worden sind, sich ein Wehrdienstbuch abzuholen.
BF: Ja, ich wurde aufgefordert, vor der Rekrutierungsstelle zu erscheinen und das Wehrdienstbuch abzuholen. Auch bei der Ausstellung des Personalausweises wurde von mir verlangt, bei der Rekrutierungsstelle zu erscheinen.
RI: Haben Sie das gemacht? Sind Sie vor der Rekrutierungsstelle erschienen?
BF: Nein. Ich habe diese Staatsbürgerschaft nur wegen meiner Kinder angenommen. Auf dem Personalausweis steht, dass ich Araber bin, obwohl ich Kurde bin.
RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer Ausreise längere Zeit gelebt? Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.
BF: 1995 war ich in XXXX aufhältig. Ich bin dort bis 2002 geblieben. 2002 bin ich zurück zu meinem Dorf XXXX gekehrt, um dort zu heiraten. Ich bin dort vier bis fünf Jahre geblieben und nachher bin ich zurück nach XXXX gereist. 2012 habe ich XXXX verlassen und habe mich auf den Weg nach XXXX gemacht, nachdem die Situation in XXXX sehr schlecht war, weil sie begonnen haben, jede Person mitzunehmen.
RI: Von 2012 an sind Sie wo gewesen?
BF: Bis 2012 war ich in XXXX aufhältig. Nachher bin ich zurück nach XXXX gegangen und war dort bis zu meiner Ausreise aufhältig. Es kam aber ab und zu dazu, dass ich das Haus für eine oder zwei Wochen verlassen habe, wenn es Sicherheitskontrollen im Gebiet gab.
RI: Warum haben Sie das Haus verlassen?
BF: Ich habe immer das Haus verlassen, wenn es eine Verhaftungswelle gegeben hat oder Rekrutierungsversuche seitens der Kurden.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Syrien und in welcher Stadt? Bitte geben Sie den vollen Namen und das Geburtsdatum an und wo sie sich aufhalten.
BF: Mein Vater XXXX ist in XXXX aufhältig. Mein Tante vs. lebt auch in XXXX . Mein Onkel ms. lebt in XXXX (kurdische Bezeichnung). Ich habe vorher angegeben, dass auch meine Mutter XXXX in Syrien aufhältig ist, aber im Oktober 2021 ist sie stark krank geworden. Deshalb wurde sie in den Irak im Bundesland Kurdistan überstellt, um die medizinische Behandlung zu bekommen. Sie lebt jetzt in XXXX .
RI: Machen Sie bitte weiter mit den Verwandten im Herkunftsstaat.
BF: Meine Schwester XXXX lebt auch in XXXX . Sie ist, glaube ich, XXXX oder XXXX geboren.
RI: Welche weiteren Verwandten haben Sie noch im Herkunftsstaat?
BF: Keine mehr.
RI: Was ist mit Ihrer Gattin und Ihren Kindern?
BF: Sie leben in Syrien.
RI: Bitte geben Sie den vollen Namen und das Geburtsdatum an und wo sie sich aufhalten.
BF: Meine Frau heißt XXXX und ist XXXX geboren. Der Sohn heißt XXXX und ist am XXXX geboren, er lebt in XXXX . Meine Tochter XXXX ist am XXXX geboren, meine Tochter XXXX ist XXXX geboren und meine Tochter XXXX ist XXXX geboren. Meine Tochter XXXX ist ungefähr XXXX geboren. Ich habe nur einen Sohn und vier Töchter. Alle leben in XXXX .
RI: Welche sonstigen Verwandten leben noch in Syrien und in welcher Stadt (Tanten, Onkeln,…)?
BF: Nein, ich kann mich nicht erinnern. Ich habe kaum Kontakte mit den Verwandten, deshalb weiß ich nicht viel über sie.
RI: Wie oft haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten?
BF: Es kommt darauf an. Wenn ich arbeite, habe ich kaum Kontakt mit den Verwandten in Syrien. Es kann sein, einmal alle zehn Tage. Aber vorher hatte ich regelmäßigen Kontakt mit meiner Familie.
RI: Mit Ihrer Frau und Ihren Kindern werden Sie doch öfter als alle zehn Tage einmal Kontakt haben, oder?
BF: Von meiner Seite einmal in der Woche, aber wenn etwas bei ihnen passiert, rufen sie mich an. Wenn sie mich nicht anrufen, schicken sie mir SMS-Schreiben, dass etwas passiert ist.
RI: Wie kommunizieren Sie mit Ihren in Syrien lebenden Verwandten?
BF: WhatsApp.
RI: Wovon bestreiten Ihre in Syrien lebenden Verwandten ihren Lebensunterhalt?
BF: In Syrien lebt auch mein Schwiegervater und er unterstützt Familie, meine Frau und meine Kinder, finanziell. Sie geben auch etwas von meinen Ersparnissen aus, was ich ihnen hinterlassen habe, aber das ist nicht soviel. Meine Schwäger unterstützen sie auch finanziell. Sie leben derzeit im Irak in Kurdistan und schicken ab zu meiner Familie finanzielle Unterstützung. Von meiner Seite unterstütze ich auch meine Familie gelegentlich finanziell.
RI: Geht Ihre Gattin im Herkunftsstaat einer beruflichen Tätigkeit nach?
BF: Nein.
RI: Verfügen Ihre Verwandte über irgendwelche Vermögenswerte in Syrien (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,..)?
BF: Jeder von uns hat ein eigenes Haus. Mein Schwiegervater hat ein eigenes Grundstück, weil er lange über die syrische Staatsbürgerschaft verfügt. Die anderen haben eigene Häuser. Alles, was ich weiß, ist, dass sie eigene Häuser haben. Ob sie anderes Vermögen haben, weiß ich nicht.
RI: Verfügen Sie über Freunde und/oder Bekannte in Syrien, zu denen Sie noch Kontakt haben?
BF: Ich habe vorhin, als ich meinen Onkel vs. erwähnt habe, eigentlich meinen Schwiegervater gemeint. Es ist üblich, dass man in Syrien den Schwiegervater als Onkel meint. (D bestätigt dies.) Ich habe nur einen Freund, ich habe mit ihm alle sechs Monate Kontakt.
RI: Verfügen Sie selbst im Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?
BF: Ich verfüge über ein eigenes Haus in Syrien. Aber dieses Haus ist bis jetzt nicht unter meinem Namen angemeldet, weil ich vorher überhaupt keine Staatsbürgerschaft hatte.
RI: Wer wohnt zurzeit in diesem Haus?
BF: Meine Kinder. Vorher hatte ich auch ein eigenes Grundstück, das ich zu einem späteren Zeitpunkt verkauft habe und das Geld habe ich meiner Familie gegeben.
RI: Ist das die Unterstützung, die Sie vorher erwähnt haben?
BF: Ja.
RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise? Hier meine ich insbesondere Ihre Frau und Ihre Kinder.
BF: Ja.
RI: Sind Ihre Frau und Ihre Kinder seit Ihrer Abreise von syrischen Behörden in irgendeiner Art und Weise behelligt worden?
BF: Nein.
RI: Welche Mitglieder Ihrer Kernfamilie (Vater, Bruder, Sohn) haben Ihren Wehrdienst bereits absolviert und wann?
BF: Niemand meiner Familie hat den Wehrdienst abgeleistet.
RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Syriens leben und haben Sie Kontakt zu diesen? Zählen Sie mir bitte alle mit Namen und Geburtsdaten auf.
BF: Ich habe einen Bruder in Deutschland namens XXXX , geb. XXXX . Er verfügt über die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich habe noch zwei Cousins vs. in der Schweiz. Die Ehegattin meines Onkels vs. mit ihrem Sohn lebt in Kurdistan, Irak. Mein Onkel vs. war auch in Kurdistan, Irak und ist dort verstorben.
RI: Das ist aber jetzt nicht Ihr Schwiegervater, sondern ein tatsächlicher Onkel vs. oder?
BF: Ja. Ich habe auch vergessen zu sagen, das mein Onkel vs. zwei Frauen hat. Die erste ist meine Tante ms. und hat vier Kinder. Einer von denen lebt in Deutschland, die anderen drei leben in Kurdistan/Irak.
RI: Wo lebt die zweite Ehefrau?
BF: Die zweite heißt XXXX und ist die Mutter meiner Cousins in der Schweiz.
RI: Wo lebt sie?
BF: Sie lebt mit einem Sohn in Kurdistan/Irak.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu diesen Verwandten außerhalb Syriens und wie treten Sie in Kontakt mit diesen?
BF: Ich habe fast keinen Kontakt mit denen. Der letzte Kontakt war vor zwei Jahren.
RI: Welche Verwandte von Ihnen leben zur Zeit in Österreich? Nennen Sie mir bitte Namen und Geburtsdaten?
BF: Die Verwandten von meiner Seite gibt es nicht in Österreich. Aber es gibt Verwandte meiner Frau.
RI: Wen gibt es da? Bitte nennen Sie die Namen und Geburtsdaten.
BF: Meine zwei Schwäger, das heißt, die Brüder meiner Frau leben in Österreich. Sie heißten XXXX ungefähr XXXX Jahre alt, und XXXX , ungefähr XXXX oder XXXX Jahre alt. Er ist minderjährig. XXXX hat den Status des subsidiär Schutzberechtigten: XXXX verfügt über einen Asylstatus. Eine Schwägerin, die Schwester der Ehegattin ist hier in Österreich aufhältig. Sie ist verheiratet und heißt XXXX . Sie ist ungefähr XXXX geboren. Der Mann von XXXX heißt XXXX . Ich bin mir nicht sicher, ob sein Nachname XXXX ist oder er einen anderen Nachnamen hat. XXXX ist seit sechs Jahren hier und hat einen Asylstatus.
RI: Waren das alle Verwandten in Österreich?
BF: Der Ehemann einer weiteren Schwester meiner Frau lebt hier und heißt XXXX .
RI: Wo ist die Schwester?
BF: Sie lebt in Kurdistan Irak.
RI: Waren das jetzt alle in Österreich lebenden Verwandten?
BF: Ja.
RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Frau, die Fr. XXXX , geb. XXXX , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?
BF: Ich habe sie 2001 kennengelernt und 2002 geheiratet.
RI: War das eine traditionelle oder standesamtliche Heirat?
BF: Am Anfang haben wir traditionell geheiratet, weil ich zu diesem Zeitpunkt über keine syrische Staatsbürgerschaft verfügte, aber sie doch. Nach der Geburt des ersten Kindes ist es uns gelungen, diese Heirat offiziell eintragen zu lassen, nachdem ich die Staatsbürgerschaft erhalten habe.
RI: Haben Sie eine Heiratsurkunde bzw. eine standesamtliche Ehebestätigung? Wenn ja, legen Sie diese bitte vor.
BF: Auf meinem Handy ist der Ehevertrag abgespeichert. Kann ich Ihnen das zeigen?
RI: Sie können mir das schicken und zwar binnen Wochenfrist, den Ehevertrag und die standesamtliche Ehebestätigung.
BF: Es ist aber uralt. Ich weiß nicht, ob es vom Standesamt gestempelt oder beglaubigt worden ist.
RI: VORHALTUNG: Auf Seite 5 des BFA-Protokolls haben Sie auf Nachfrage nach einer Heiratsurkunde oder einer traditionellen Bestätigung des Sheiks, gemeint, dass Sie das leicht besorgen könnten. Das war am 16.07.2021. Das heißt, in der Zwischenzeit muss es Ihnen ja möglich gewesen sein.
BF: Das dauert. Das kann zwei bis vier Wochen dauern.
RI: Sie sind schon im Juli 2021 aufgefordert worden, das vorzulegen. Das war vor mehr als einem Jahr.
BF: Bei dem Interview vor dem BFA wurde ich gefragt, ob die Möglichkeit besteht, diese Ehebescheinigung zu besorgen und das habe ich bejaht. Aber ich habe nicht verstanden, dass das eine Aufforderung ist.
RV: BF wurde nicht explizit dazu erstbefragt.
RI: Schicken Sie uns bitte binnen Wochenfrist, was Sie an Nachweisen dieser Eheschließung haben.
RI: Wie viele gemeinsame Kinder haben Sie mit Fr. XXXX ?
BF: 5 Kinder.
RI: Das sind die gemeinsamen Kinder?
BF: Ja.
RI: Waren Sie zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?
BF: Nein.
RI: War Ihr derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?
BF: Nein.
RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?
BF: Nein.
RI: Warum sind Ihre Gattin und Kinder im Herkunftsstaat zurückgeblieben und nicht nach Europa mitgereist?
BF: Es ist sehr schwierig, die ganze Familie mitzunehmen. Auf dem Fluchtweg sterben viele Kinder und ich kann das Leben meiner Kinder nicht riskieren.
RI: Haben Sie auch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?
BF: Nein.
RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien in 2021 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF: Nein.
RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.
BF: Ich habe Ihnen angegeben, dass ich staatenlos war und ich war auch Mitglied eines Musikvereins, der Theaterstücke aufführt, die gegen das syrische Regime gerichtet sind. Ich bin auch Mitglied der Demokratischen Partei Kurdistan. Das habe ich vorher nicht angegeben und bin vom syrischen Regime mehrmals gesucht. Ich wurde auch 2004 bei der Sicherheitsabteilung Palästina verhaftet. Dort wurde ich gefoltert und es hat 27 Tage gedauert. Das heißt, ich wurde 27 Tage angehalten. Danach wurde ich entlassen. Ich war nicht allein: Die Verhaftung hat eine Gruppe betroffen, die unterschiedlich, nach sieben oder elf Tagen entlassen wurde. Aber weil ich bei der Verhaftung einige Liedertexte gegen das syrische Regime dabei hatte, wurde ich 27 Tage angehalten. Das war in XXXX . Ich wurde auch mehrmals einvernommen, insbesondere zu den Zeitpunkten der Newroz-Feste. Nach Kontakten einiger Funktionäre in der Syrischen Demokratischen Partei mit den Sicherheitsbehörden haben wir von Kontrollen erfahren und konnten uns verstecken. In unserem Gebiet herrscht die Tradition der Familienstämme. Es gab in jeder Stammfamilie leitende Persönlichkeiten, die direkten Kontakt mit den Sicherheitsbehörden hatten und durch diese leitenden Persönlichkeiten konnten wir immer wissen, ob eine Sicherheitskontrolle stattfindet oder nicht, um uns zu verstecken. Als ich das Gefühl hatte, dass mein Leben in Gefahr ist und nachdem auch meine Kollegen im Musikverein verhaftet worden sind, habe ich mich entschieden Syrien zu verlassen. 2008 habe ich den Musikverein verlassen, aber ich war immer dabei, wenn es Proben gibt.
RV legt vor diverse Fotos des BF bei geselligen Veranstaltungen in traditionellen Gewändern. Es handelt sich um sechs Fotos.
RI: Welche Festivitäten sind auf diesen Bildern zu erkennen?
BF: Das war bei einem Theaterstück gegen das syrische Regime. Auf dem Gruppenfoto mit Kindern sind die Mitglieder des Vereins zu sehen. Auf dem Gruppenfoto in traditionellen Gewändern mit Erwachsenen sind auch Mitglieder des Vereins zu sehen.
RI: Sind das alles Fotos von Aufführungen?
BF: Ja, das sind Fotos von Lieder- und Theateraufführungen dieses Vereins. (Die Fotos werden in Kopie zum Akt genommen).
RI: Von wann bis wann waren Sie in diesem Musikverein als Mitglied aktiv?
BF: Von 2004 bis 2009 war ich in diesem Verein Mitglied und auch aktiv. Ab 2009 habe ich diese Mitgliedschaft zurückgelegt, aber war auch bei jeden Proben.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 16.07.2021 auf Seite 9 angegeben, dass Sie im Jahr 2004 wegen Auseinandersetzungen wegen eines Fußballspiels mit anderen festgenommen worden sind, 24 Tage im Gefängnis verbracht haben und ohne Gerichtsverhandlung wieder freigelassen worden sind. Sie haben auch erwähnt, dass einige gefoltert worden sind. Von sich selbst haben Sie das nicht behauptet. Heute haben Sie angegeben, dass Sie im Jahr 2004 aus anderen Gründen 27 Tage festgenommen und auch gefoltert worden sind. Wieso weichen Ihre diesbezüglichen Angaben im bisherigen Verfahren so voneinander ab?
BF: Das Fußballspiel war in XXXX . Die Auseinandersetzungen haben am Spielplatz von XXXX begonnen. Ich war zu dem Zeitpunkt in Damaskus und die Leitung der Sicherheitsbehörde in XXXX hat die Polizei aufgefordert, mit Gewalt gegen die Fans vorzugehen. Aufgrund dessen sind die Kurden in allen Gebieten von Syrien demonstrieren gegangen. In XXXX haben wir auch eine Demonstration organisiert und bei dieser Demonstration wurden wir verhaftet. Sie fragen mich ausführlich, deswegen habe ich etwas zu erzählen. Beim Zeitpunkt des Interviews wurden nur Ja/ein-Fragen gestellt und deshalb habe ich nicht alles angegeben.
RI: Sie hatten bei dem Interview vor dem BFA sehr wohl die Möglichkeit etwas zu sagen.
BF: Aber ich habe auch angegeben, dass ich verhaftet und gefoltert worden bin.
RI: VORHALTUNG: Sie haben im Rahmen der Ersteinvernahme – befragt nach Ihren Fluchtgründen – u.a. erklärt, dass alle von Ihnen verlangt hätten, für sie zu kämpfen. Ähnliches haben Sie auch vor dem BFA zu Ihren Fluchtgründen angegeben. Allerdings meinten Sie vor dem BFA auf Seite 7, bis 2011 überhaupt keine syrische Staatsbürgerschaft gehabt zu haben und nach Verleihung der Staatsbürgerschaft niemals aufgefordert worden zu sein, sich bei der regulären syrischen Armee zu melden und den Militärdienst zu leisten. Aufforderungen bei den Checkpoints mitzuarbeiten, seitens der YPG, in 2013, sowie 2014 und 2015 kamen Sie nicht nach. Sie haben sich im bisherigen Verfahren überwiegend, wenn Sie nach Ihren Fluchtgründen gefragt worden sind, zu Ihrer Furcht vor Militärdienst geäußert. Erstmalig im Rahmen der Beschwerde haben Sie ein oppositionelles Gedankengut Ihrerseits erwähnt und erst im Rahmen Ihrer letzten Dokumentenvorlage vor dieser Verhandlung haben Sie erstmals von einer Parteimitgliedschaft bei einer kurdischen Partei gesprochen. Warum haben Sie einen wesentlichen Teil Ihrer jetzt dargelegten Fluchtgründe bis dato kaum oder gar nicht vorgelegt oder erst so spät im Verfahren vorgebracht?
BF: Was den Musikverein betrifft habe ich angegeben, dass ich Mitglied dieses Vereins war. Aber über die politischen Tätigkeiten habe ich nichts angegeben, weil ich Angst hatte, hier über Politik zu reden.
RI: Vor dem BFA meinen Sie?
BF: Ich habe Angst in Österreich etwas über Politik zu sprechen. Nach Empfehlung einiger Bekannter, die auch im Flüchtlingslager wohnen, das sind einige Asylwerber, habe ich überhaupt nichts über Politik gesagt. Sie haben mir empfohlen, überhaupt nicht über Politik zu sprechen, weil mir das im Verfahren schaden könnte. Beim zweiten Interview, das heißt vor dem BFA, hatte ich Angst, meine Aussagen zu ändern, weil ich gehört habe, dass es mir schaden würde. Aber vor einigen Tagen, bei der Beratung mit meiner Rechtsvertreterin, habe ich mich entschieden, über alles zu reden.
RI: Was hat Ihren plötzlichen Meinungswandel bewirkt? Haben Sie jetzt keine Angst mehr über Politik zu sprechen?
BF: Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, warum ich nichts über meinen Hauptflucht¬grund gesagt habe und nachdem ich eigentlich Österreich näher kennengelernt habe, ist diese Angst einfach weggegangen. Im Rahmen meiner Beratung habe ich auch meine Rechtsvertreterin gefragt und gesagt, ich will endlich über den Hauptgrund sprechen. Sie hat mir das auch empfohlen.
RI: Sie sind aber im Rahmen jeder Einvernahme auch über Ihre Mitwirkungspflicht aufgeklärt worden und auch darüber, dass Sie unter Wahrheitspflicht stehen. Das muss doch auch etwas bei Ihnen bewirkt haben, oder?
BF: Bei der Erstbefragung vor der Polizei waren die Fragen kurz. Ich wurde gefragt, ob ich politisch tätig bin oder nicht und ich habe verneint. Im zweiten Interview vor dem BFA konnte ich meine Aussage nicht ändern, weil, wie ich Ihnen gesagt habe, viele Freunde mir davon abgeraten haben, die Aussage zu ändern. Aber nachdem ich festgestellt habe, dass es mir in meinem Verfahren Schaden zugefügt hat, habe ich mich entschieden, den Hauptgrund zu erzählen.
RI: Nachdem Sie ja nunmehr vor allem Ihre politische oppositionelle Haltung als Hauptfluchtgrund ins Treffen ziehen, stellt sich die Frage, ob Sie im Falle einer Rückkehr nun tatsächlich noch befürchten würden, auch zum Militärdienst eingezogen zu werden. Ist dieser Fluchtgrund bei Ihnen noch aufrecht?
BF: Ja, es kann sogar dazu kommen, dass ich am Flughafen dafür verhaftet werde.
RI: Unter Kontrolle welcher militärischen Gruppierung stand Ihr Herkunftsort zum Fluchtzeitpunkt? Und wer hat nun dort das Sagen?
BF: Zu dem Zeitpunkt meiner Ausreise hatten die kurdischen demokratischen Einheiten die Kontrolle über unser Gebiet und haben auch bis dato die Kontrolle.
RI: Sie haben vorhin angegeben, im Jahr 2004 für 27 Tage festgenommen worden zu sein und auch gefoltert worden zu sein. Welcher Art der Misshandlung waren Sie ausgesetzt?
BF (weint).
Die Verhandlung wird um 11:50 Uhr unterbrochen und um 11:55 Uhr fortgesetzt.
RI wiederholt die Frage.
BF: Die Folterungen war in verschiedenen Formen, zum Beispiel Schlagen mit dem Elektrokabel, an einem anderen Tag haben sie uns nackt auf dem Sand mit dem Wasserschlauch abgespritzt. Es gibt auch Misshandlungen, über die ich nichts sagen kann. Ansonsten würde ich mich außer Kontrolle bringen bzw. zu weinen beginnen.
RI: Wie oft sind Sie in den 27 Tagen gefoltert worden?
BF: Über 18 Tage hinweg war die Folterszenarien jeden Tag und das Schlimmste daran war, dass wir mit verbundenen Augen und Händen auf den Knien sitzen mussten, während der Einvernahme. Nach 18 Tagen Folterung haben sie mit der Folterung gestoppt. Wir haben aber daran gedacht, dass sie uns Zeit geben, damit unsere Wunden heilen. Die Heilung hat aber Monate gedauert.
RI: Wie lange haben die Folterungen pro Tag gedauert? Hat das sich über Stunden hingezogen oder den ganzen Tag gedauert? Wie kann ich mir das vorstellen?
BF: Die Einvernahme fand immer um 08:00 Uhr statt und die zuständige Person rief zehn Personen und führte mit zehn Personen die Einvernahme. In den ersten vier oder fünf Tagen waren wir ungefähr 120 Personen in einem Raum, in dem wir keinen Platz zum Schlafen hatten. Diese zehn Personen sollten an der Wand nur auf einem Bein stehen. Die zuständige Person ruft eine Person und während die Befragung dieser Person stattfindet, sollten die anderen neun Personen auf einem Bein an der Wand stehen. Einmal stand ich an der Wand fünf Stunden lang und wenn jemand versucht, auf zwei Beinen zu stehen, dann wird er sofort mit diesem Elektrokabel geschlagen. Die Einvernahme fand in einem großen Saal statt, in dem es nicht nur einen Befrager, sondern es gab mehrere Befrager und jeder hatte zehn Personen befragt. Im großen Saal hat man immer die Schreie der Personen gehört, die gefoltert wurden. Es war schrecklich.
RI: Welche Verletzungen haben Sie v on diesen Folterungen davongetragen?
BF: Die Spuren der Schläge mit dem Elektrokabel.
RI: Haben Sie noch sichtbare Zeichen der Misshandlungen?
BF: Nein.
RI: Sind Sie während der Festnahme oder danach medizinisch versorgt worden?
BF: Nein, es wird von einem verbrecherischen Regime nicht erwartet, die Personen medizinisch zu versorgen, nachdem dasselbe Regime diese Folterungen begannen hat.
RI: Die Frage bezog sich auch auf eine medizinische Behandlung nach der Entlassung.
BF: Nur im Falle, dass es um eine psychische Krankheit geht, wird diese Person mit Beruhigungstabletten behandelt.
RI: Nochmals die Frage: Haben Sie sich nach der Freilassung nach 27 Tagen in medizinische Behandlung begeben bzw. waren die Verletzungen, die Sie erlitten haben, derart, dass diese medizinisch versorgt werden mussten?
BF: Ich habe angegeben, dass die Folterungsszenarien nur 18 Tage gedauert haben. Dann sind wir fast neun oder zehn Tage geblieben bis zu meiner Freilassung. Nachher gab es Spuren dieser Wunden, die mit der Zeit verheilt sind.
RI: Welcher Art waren diese Wunden? Waren das Platzwunden, Striemen, Prellungen, Knochenbrüche?
BF: Die meisten Verletzungen waren in Form von Prellungen. Es gab auch Platzwunden, die meine Familie zuhause medizinisch behandelt hat. Sie haben uns bedroht, wenn wir über die Vorgänge während der Anhaltung reden, dass sie uns erneut verhaften werden.
RI: Haben Sie von diesen angegebenen Platzwunden noch irgendwelche Vernarbungsstellen?
BF: Nein.
RI: Sind Sie jemals unmittelbar (persönlich) aufgefordert worden, für eine bestimmte bewaffnete Gruppierung zu kämpfen? Wenn ja, wann und wo war das und von wem sind Sie dazu aufgefordert worden?
BF: Die Kurden, nachgefragt, das war 2015, 2016 und 2017. Wenn es eine Verhaftungswelle gibt, habe ich mich versteckt, damit sie mich nicht mitnehmen können. Manchmal kommen sie zu mir uns sagen „Wir brauchen dich bei den Checkpoints, nicht zum Kampf.“ Aber ich habe schon gewusst, dass es mit dieser Funktion beginnt und das sich das dann entwickelt und sie von mir dann auch was anderes verlangen können.
RI: Das war 2015, 2016 und 2017, dass Sie aufgefordert worden sind, bei den Checkpoints mitzuarbeiten?
BF: 2017 und 2018 wurde von mir verlangt, bei den Checkpoints den Dienst zu verrichten. Diese Organisation ist eine terroristische Organisation die für ihre eigenen Interessen kämpft.
RI: Welche Organisation meinen Sie?
BF: Ich habe damit alle Organisation, die am Kampf teilnehmen gemeint, PKK, auch die Syrische Demokratische Partei Kurdistan, alle diese Organisationen sind terroristische Organisationen und arbeiten für ihre eigenen Interessen.
RI: Sie haben doch auch gerade die Syrische Demokratische Partei Kurdistan erwähnt, dessen Mitglied Sie waren. Diese sehen Sie auch als terroristische Organisation?
BF: Ich habe die YPK gemeint, PKK und Juanien Kurd und Sanadid. Sanadid gehört zum Familienstamm Schammar und sie rekrutieren Freiwillige.
RI: Wie haben Sie auf die Aufforderung dieser Organisationen, bei den Checkpoints mitzuarbeiten, reagiert?
BF: Ich habe ihnen gesagt, ich habe kleine Kinder und will mich um meine Kinder kümmern. Sie haben mir gesagt, dass es eine Arbeit ist. Ich habe ihnen gesagt, ich habe sowieso Arbeit und brauche keine weiteren Arbeiten. Ihre Reaktion war aber so stark, dass sie versucht haben, mich auszugrenzen, indem sie mir überhaupt keine Dienstleistungen anbieten wollten. Wenn ich Brot kaufen gehen wollte, musste ich stundenlang warten, bis ich mein Brot bekomme und so war es auch mit den anderen Dienstleistungen.
RI: Sie haben vorhin erwähnt, bereits im Jahr 2004 für 27 Tage festgehalten und gefoltert worden zu sein. Wurden Sie danach noch einmal körperlich misshandelt oder gefoltert?
BF: Nein.
RI: Haben Sie jemals ein behördliches Schreiben von den Behörden des Herkunftsstaats erhalten, mit dem Sie aufgefordert wurden, als Rekrut einzurücken oder als Reservist wieder Dienst an der Waffe zu verrichten? Haben Sie jemals ein dementsprechendes behördliches Schreiben bekommen?
BF: Von Seiten des syrischen Regimes habe ich überhaupt kein Schreiben bekommen, weil ich nicht in einem Einflussgebiet des Regimes aufhältig gewesen bin. Aber seitens der YPK habe ich ab und zu mündliche Aufforderungen erhalten, bei den Checkpoints mitzumachen.
RI: Als Sie sich geweigert haben, für die YPK bei den Checkpoints zu arbeiten, sind Sie auch von diesen verfolgt bzw. misshandelt worden? Welche Konsequenzen hat es für Sie gegeben, dass Sie sich geweigert haben, bei diesen Checkpoints mitzuarbeiten?
BF: Folterung gab es überhaupt nicht, aber es waren immer Arten von Beleidigungen, immer, wenn ich an Checkpoints vorbeigegangen bin und meinen Ausweis gezeigt habe, begannen, die dort zuständigen Personen mich zu beleidigen und sagten mir, warum ich nicht zu ihnen komme und mit ihnen kämpfe. Sie sagten: „Du sollst in diesem Land nicht bleiben. Du gehörst getötet.“
RI: Was war für Sie das schließlich konkrete, fluchtauslösende Ereignis?
BF: Die Belästigungen seitens der YPK, die in der letzten Zeit intensiver waren und weil auch meine Freunde im Musikverein verhaftet wurden. Einige von ihnen wurden nach fünf Monaten freigelassen und einige sind bis jetzt in Haft. Die Gefahr besteht darin, dass man nicht weiß, wenn man verhaftet wird, ob man bei YPK bleibt oder dem syrischen Regime überstellt wird, weil sie zusammenarbeiten. Ich kenne einige Freunde, die von 2013 bis jetzt in Haft sind.
RI: Sie haben vorhin angegeben, dass Sie zwar seit 2008 nicht mehr Mitglied des Musikvereins sind, aber dennoch bei allen Proben teilgenommen haben. Wenn Sie immer dabei waren, warum sind Sie dann aus der Mitgliedschaft ausgetreten?
BF: Aus Angst vor dem syrischen Regime habe ich den Verein offiziell verlassen, aber ich war die ganze Zeit geheim bei ihnen bei allen Proben.
RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?
BF: Nein.
RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?
BF: Ich habe Ihnen am Anfang gesagt, dass das syrische Regime die meisten Kurden diskriminiert und weil ich aus der kurdischen Ethnie bin, habe ich diese Diskriminierung immer erlebt. Seitens der Partei YPK gab es immer Belästigungen und deshalb habe ich auch gesagt, dass mein Fluchtgrund war, dass ich vor der Verhaftung Angst habe. Ich suche die Sicherheit für mich und meine Kinder. Ich habe Kinder, die über sechs Jahre sind und ich kann sie nicht in die Schule schicken, weil sie von der Schule mitgenommen und rekrutiert werden. Ein weiteres Problem liegt darin, dass in den Schulen auf Kurdisch gelernt wird und das ist für meine Kinder nicht in Ordnung, weil die kurdische Sprache nicht in der ganzen Welt anerkannt ist?
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?
BF: Die Verhaftung. Bei meiner Rückkehr nach Syrien habe ich Angst, verhaftet zu werden und nach der Verhaftung die Entscheidung gegen mich.
RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis dafür, dass nach Ihnen auch heute noch im Herkunftsstaat gesucht wird bzw. Sie zum Militärdienst eingezogen werden (aktuelle Haftbefehle, aktuelle Ladungen, Einberufungsbefehle…)?
BF: Es gibt ein Dokument, das bestätigt, dass ich zu einer Haftstrafe von 15 Jahren und einer Geldstrafe von einer Million syrischer Lira verurteilt worden bin. Das hat mir ein Freund besorgen lassen, den ich beauftragt habe, mir einen Auszug vom Strafregisterauszug ausstellen zu lassen.
RI: Wer war dieser Freund?
BF: Er heißt XXXX RI: Seit wann kennen Sie den?
BF: Ich kenne ihn von dem Dorf.
RI: Wie viel hat die Besorgung des Strafregisterauszuges für Sie gekostet?
BF: Das hat mich 100,-- Euro gekostet.
RI: Wo hat Ihr Freund diesen Strafregisterauszug anfertigen lassen?
BF: Von der Kriminalpolizeiabteilung.
RI: In welcher Stadt?
BF: In XXXX , ich glaube in der Provinz XXXX .
RI: Welche von Ihnen verübten Straftaten liegen der Verurteilung zu Grunde. Was haben Sie denn getan?
BF: Sie haben angegeben, dass der Grund dafür war, dass ich Mitglied dieser Demokratischen Partei Kurdistans, die in Syrien als Partie bekannt ist, war.
RV: Wir haben eine Kopie des Auszuges vorgelegt. Wir haben versucht, auch das Original vorzulegen. Der eingeschriebene Brief samt originalem Auszug ist laut Schreiben der Post nicht in der Postfiliale eingetroffen, trotz Benachrichtigung der Post (gelber Zettel).
RV legt vor die Benachrichtigung der Post sowie eine Zusammenfassung der Post (wird in Kopie zum Akt genommen).
RI: Wer hat Ihnen das Original des Strafregisters zukommen lassen wollen? Wer hat das nachgeschickt?
BF: Dieses Dokument hat der Ehemann der Schwester meiner Frau nach Kurdistan mitgenommen und im Irak gab es eine Person, die in Deutschland aufhältig war und auf Besuch in Kurdistan war. Sie hat das Dokument mit nach Deutschland genommen und hat das Dokument an meinen Bruder in Deutschland weitergegeben, der mir das dann eingeschrieben geschickt hat.
RI: Sie haben im Rahmen einer Urkundenvorlage am 20.09.2022 die Kopie eines Strafregisterauszugs Ihres Herkunftsstaates vorgelegt, aus welchem Ihre Verurteilung vom 20.04.2019 hervorgehen soll. Der Hr. Dolmetscher wird ersucht den Inhalt der Kopie zu übersetzen.
D: „Die Kriminalpolizeiabteilung XXXX Urkundennummer XXXX , Ausstellungsdatum am 11.09.2022, Nr. 78896, Vorname XXXX , Nachname XXXX , Name des XXXX , Name der Mutter XXXX , Geburtsort XXXX Geburtsjahr XXXX , Anmerkungen: leer, Ort und Nummer der Registrierung XXXX Geschlecht männlich, Staatsbürgerschaft syrisch, der derzeitige Wohnort XXXX und Ausstellungsdatum des Personalausweises XXXX (Ausstellungsdatum nicht vorhanden). Tabelle Gerichtsname: Gericht für Terrorismus in XXXX , Art des Verbrechens: Die Zugehörigkeit zur Partei Partie, Urteilsnummer und Urteilsdatum: am 20.04.2019, Nr. XXXX , die Strafe: 15 Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafe: eine Million. Aussteller: XXXX . Drei Stempel „verurteilt“. Generalleutnant XXXX (Präsident/Leiter der Kriminalpolizeiabteilung XXXX , Unterschrift und Rundstempel „Arabische Republik Syrien, Innenministerium, Polizeiführung XXXX , der Rest ist unleserlich und die Unterschrift ist unleserlich. Die Kosten der Gebühren sind 100 syrische Lira.
RI: Können Sie mir auf AS 25 (Kopie des Personalausweises des BF) die Nummer des Personalausweises vorlesen.
D: XXXX .
RI: VORHALTUNG: Nach Ihren eigenen Angaben auf Seite 8 des BFA-Protokolls vom 16.07.2021 waren Sie im Herkunftsstaat weder politisch aktiv gewesen, noch haben einer politischen Organisation oder Partei angehört. Sie seien zwar von 2004 bis 2008 Mitglied in einem Musikverein gewesen. Die meisten Mitglieder seien jedoch nicht Mitglied einer Partei gewesen, trotzdem sei der Verein von einer politischen Partei unterstützt worden. Im Rahmen der Beschwerde wurde richtiggestellt, dass dieser Verein die kurdisch demokratische Partei Syriens gewesen sei und nicht, wie im BFA-Protokoll erwähnt die syrisch demokratische Partei. Mit Dokumentenvorlage vom 20.09.2022 behaupten Sie plötzlich doch Mitglied der kurdisch demokratischen Partei Syriens gewesen zu sein und sogar deswegen verurteilt worden zu sein. Warum waren Sie im bisherigen Verfahren nicht in der Lage ein kohärentes und schlüssiges Vorbringen zu Ihrer politischen Aktivität im Herkunftsstaat zu erstatten und widersprechen mit der nunmehrigen Strafregistervorlage Ihrem bisherigen dbzgl. Vorbringen?
BF: Das war ein Fehler vom Dolmetscher, der kurdisch war. Ich habe ihm den richtigen Namen der Partei angegeben und zwar Demokratische Partei Kurdistan/Syrien gegeben und er hat gesagt, es ist richtig, wenn man Demokratische Partei Syriens sagt.
RI: Ich will auf etwas Anderes hinaus. Sie haben vorhin angegeben, dass Sie aus Angst in Österreich nicht über Ihre politische Gesinnung reden wollten und es Ihnen auch von anderen Asylwerbern geraten worden, sich nicht von sich aus zu Ihrer politischen Überzeugung zu äußern. Aus dem BFA-Protokoll geht jedoch vor, dass sie sich nicht nur zur politischen Überzeugung nicht geäußert haben, sondern dass Sie zu Fragen zu einer politischen Überzeugung eine oppositionelle Gesinnung explizit verneint haben. Warum haben Sie auf eine explizite Nachfrage nach Ihrer politischen Überzeugung eine solche verneint?
BF: Im Interview beim BFA habe ich ausdrücklich angegeben, dass ich gegen diese Partei PKK bin und für die Demokratische Partei Kurdistans Syrien bin. Ich habe das ausdrücklich auch angegeben. Ich weiß nicht, ob das protokolliert wurde oder nicht.
RI: Wurde Ihnen das Protokoll nicht rückübersetzt?
BF: So auf die Schnelle.
RI: Wurde es Ihnen rückübersetzt oder nicht?
BF: Die Rückübersetzung hat nicht einmal zwei Minuten gedauert und bei der Rückübersetzung wurde mir dieser Teil nicht rückübersetzt.
RI: VORHALTUNG: Laut vorgelegtem Strafregisterauszug sind Sie 20.04.2019 wegen Mitgliedschaft zu einer oppositionellen Kurdenpartei zu einer Haft- wie auch einer Geldstrafe verurteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt befanden Sie sich noch im Herkunftsstaat. Warum wurden Sie dann nicht zum Vollzug der Haftstrafe festgenommen?
BF: Nach 2013 hatten die Kurden die Kontrolle über unser Gebiet übernommen und deshalb konnte das syrische Regime die Vollstreckung der Strafe nicht ausüben.
RI: Wann haben Sie von dieser Verurteilung erfahren?
BF: Vor zwei Monaten.
RI: Wie haben Sie davon erfahren?
BF: Erst nachdem dieser Freund mir dieses Dokument geschickt hat, habe ich entdeckt, dass ich verurteilt worden bin. Ich habe vorher gewusst, dass ich vom syrischen Regime gesucht bin.
RI: Woher wussten Sie das?
BF: Ohne zu wissen, weil ich Mitglied dieser Partei war und auch im Musikverein aktiv war, werde ich 100% vom syrischen Regime gesucht.
RI: Sie sind doch gerade deswegen 2008 aus diesem Musikverein ausgestiegen, um nicht in den Fokus der Behörden zu geraten. Warum meinen Sie jetzt, dass Sie trotzdem in den Fokus der Behörden geraten sind, weil sie in diesem Fall wohl auch auf die Teilnahme an den Proben des Musikvereins verzichtet hätten?
BF: Was die Proben betrifft, sind wir von den kleinen Sicherheitsabteilungen schon geladen und einvernommen worden. Gegen Bestechungsgeld konnten wir jedes Mal freigelassen werden.
RI: Um welche kleine Sicherheitsabteilungen handelt es sich dabei?
BF: Ich habe damit gemeint, in den kleinen Gebieten gibt es kleine Sicherheitsabteilungen, die aus nicht einmal zehn Personen besteht.
RI: Wem unterliegen diese Sicherheitsabteilungen?
BF: Die Sicherheitsabteilungen des syrischen Regimes.
RI: Waren Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?
BF: Nein.
RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich insgesamt gekostet?
BF: Ungefähr 9.000 bis 10.000 Euro.
RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF?
RV: In welchem Gefängnis waren Sie in XXXX ? Hat das einen speziellen Namen?
BF: Die Abteilung für Palästina. Ich wurde zuerst von der Razzienabteilung festgenommen und wurde dann an die Abteilung Palästina überstellt.
RV: Ist das ein bekanntes Gefängnis in Syrien?
BF: Ja, es ist bekannt für Folterszenarien.
RV: Zurück zu den Theateraufführungen, wie oft fanden diese pro Jahr ca. statt?
BF: Haben Sie gemeint Aufführungen oder Theateraufführungen.
RV: Ich meine Aufführungen vor Publikum, keine Proben.
BF: Drei bis viermal pro Jahr.
RV: Wo wurden diese Theaterstücke aufgeführt?
BF: Nachdem es uns verboten war, auf einer Bühne oder in einer behördlichen Einrichtung aufzuführen, haben wir die Theaterstücke im Freien aufgeführt. Das Gute daran war, wenn es ein großes Publikum gab, konnten die Behörden uns nicht festnehmen, weil die große Zuschauerzahl die Behörden immer daran gehindert haben, uns festzunehmen.
RV: Wie viele Mitglieder waren ca. in diesem Verein?
BF: Die Jugendlichen waren ungefähr 25 Personen und 10 bis 15 Kinder. Es kommt darauf an, wenn die Eltern zum Beispiel Angst haben, ihre Kinder zu schicken, wird die Zahl geringer.
RV: Wie viel Erwachsene waren bei dem Verein?
BF: Ungefähr 15, ich habe gemeint, die männlichen Jugendlichen waren ungefähr 15 und die weiblichen Jugendlichen ungefähr 8 bis 10. Die Aufgaben sind auf die Personen verteilt. Einige waren nur Sänger, einige als Schauspieler und einige als Tänzer.
RV: Sie haben heute angegeben, einige Freunde vom Musikverein wurden verhaftet. Wissen Sie warum diese verhaftet wurden?
BF: Weil sie Mitglieder des Musikvereins sind und die anderen Freunde wurden verhaftet, weil sie Mitglieder der Partei waren und YPK sucht irgendwelche Gründe, um Menschen zu verhaften.
RI: Kam es auch zu Verhaftungen während der Aufführungen, bei denen Sie anwesend waren?
BF: Nein, aber die Namen werden in einer Liste aufgelistet und wird den Behörden weitergegeben.
RI: Wer hat die Namen aufgelistet?
BF: Spione, die mit dem syrischen Regime zusammenarbeiten.
RI: Vermuten Sie, dass auf diese Art und Weise Ihr Name an die syrischen Behörden gelangt ist, was dann schlussendlich zu Ihrer Verurteilung geführt hat?
BF: Das habe ich eigentlich einmal wahrgenommen. Ich war auf der Bühne und habe eine Person gesehen, die auf mich gedeutet und meinen Namen aufgeschrieben hat.
RV: Können Sie noch einmal erklären, in welchem Zusammenhang die Partei mit dem Musikverein steht.
BF: Beide haben eigentlich gleiches Gedankengut und man kann sagen, dass die Partei diesen Verein gegründet hat. Auch zu vielen Anlässen führen wir Theaterstücke und Lieder für die Partei auf, zum Beispiel zum Erinnerungsanlass des Gründungstags der Partei am Kurdischen Journalismus-Tag, auch zu den Newroz-Festen.
RV: Was war der wesentliche Inhalt dieser Lieder und Aufführungen?
BF: Der Inhalt dieser Lieder und Theaterstücke waren immer die Erzählung der kurdischen Geschichte, zu den Newroz-Festen auch über die Al-Barsani, weil er ist der Führer der kurdischen Bewegung. In den Aufführungen haben wir immer das syrische Regime kritisiert und die Verbrechen des syrischen Regimes in den Fokus gebracht, dass es uns die kulturellen und sozialen Rechte nicht geben will. Die Inhalte haben auch die Vorfälle der Folterung und Diskriminierung gegen die Kurden umfasst.
RV: Wissen Sie, warum Ihr Bruder in Deutschland und Ihr Schwager XXXX in Österreich Asyl erhalten haben?
BF: Aus den gleichen Gründen, die ich angegeben habe. Zum Beispiel ist XXXX vom syrischen Regime militärisch gesucht und mein Bruder hat Asyl bekommen, weil er aus der Ethnie der Kurden stammt und eine politische Meinung gegen das Regime hatte.
RV: Keine weiteren Fragen.
RI: Hatten Sie bei der heutigen Verhandlung die Möglichkeit, sich umfassend zu Ihren Fluchtgründen zu äußern?
BF: Ja.
RV: Verwiesen wird auf die ACCORD-Anfragebeantwortung vom Juli 2005, die über das genannte Haftzentrum in XXXX berichtet. Aus dieser geht hervor, dass es sich um ein Internierungslager handelt und es eine extrem überbelegte Hafteinrichtung (Palästinensische Abteilung) des Militärgeheimdienstes in Damaskus ist, welches mit extremen Formen von Folterungen und Misshandlungen in Verbindung gebracht wird. Es wird als „Far Falastin“ bezeichnet.
Dem BF droht jedenfalls aufgrund seiner politischen Tätigkeit bei der Partei als auch den regimekritischen Äußerungen im Verein eine asylrelevante Verfolgung. Laut aktuellem LIB bezeichnet das Regime Meinungsäußerungen gegen das Regime routinemäßig als illegal. Einzelpersonen können das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko (siehe LIB-S. 101 ff). Der BF erfüllt dadurch mehrere Profile der UNHCR-Schutzerwägungen. Der BF hat glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung Verfolgung droht und ist ihm daher der Asylstatus zuzuerkennen.
RI: Das Protokoll wird Ihnen nun rückübersetzt.“
19. Mit Urkundenvorlage vom 11.10.2022 legte der BF einen Auszug aus dem Familienregister und die gerichtliche Eintragung der traditionell geschlossenen Ehe zwischen dem BF und seiner Ehefrau, vor und führte aus, in der gerichtlichen Urkunde über die Eintragung der Ehe sei eine weitere Tochter des BF genannt, XXXX , geb. am XXXX . Sie sei im Alter von 8 Monaten verstorben, weshalb der BF sie im Verfahren nicht erwähnt habe. Der BF wolle richtigstellen, dass die Ehe im Jahr 2008 gerichtlich eingetragen worden sei und nicht nach dem Erhalt der syrischen Staatsbürgerschaft. Richtig sei, dass der BF erst nach Erhalt der syrischen Staatsbürgerschaft Ende 2011/Anfang 2012 das Familienbuch erhalten habe.
20. Mit Schriftsatz vom 21.10.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF und seinem Rechtsvertreter aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien – Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 08.09.2022, Anfragebeantwortung zu Syrien – syrische Wehrdienstgesetze vom 16.09.2022, Anfragebeantwortung zu Syrien – Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 16.09.2022, Anfragebeantwortung zu Syrien – Strafregisterbescheinigung und Sicherheitsfreigabe vom 03.10.2022, Anfragebeantwortung zu Syrien – Rückkehrer nach Syrien vom 14.10.2022, Anfragebeantwortung zu Syrien – Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung vom 14.10.2022) und wurde dem BF Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 1 Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte.
21. Mit Schriftsatz vom 27.10.2021 wurde von der Beschwerdeseite eine Fristerstreckung von 2 Wochen zur Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten erbeten.
22. Mit Stellungnahme vom 10.11.2022 brachte der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung vor, dass der BF angegeben habe, aktives Mitglied der oppositionellen Partiya Demokrata Kurdistan Sûriya (PDK-S) gewesen zu sein. Ebenso habe er angegeben und dies auch mit den vorgelegten Bildern belegt, dass er aktives Mitglied in dem von der Partei unterstützten Musik- und Theaterverein, welcher sich öffentlich gegen das syrische Regime äußerte, gewesen sei. Der BF habe in der Verhandlung auch ausgeführt, dass er vermute aufgrund seiner aktiven Tätigkeiten letztendlich verurteilt worden zu sein, da es immer wieder Spione des Regimes bei den Aufführungen geben würde. Die PDKS sei die größte Mitgliedspartei im Kurdischen Nationalrat, welche mit der Demokratischen Unionspartei (PYD) Teile Nordsyriens regiere. Sie sei auch Mitglied im oppositionellen Nationalen Koordinationsdirektorium. Hinsichtlich der Parteimitgliedschaft des BF und der diesbezüglichen Gefahr werde auf die Anfragebeantwortung von Juli 2018 verwiesen, wobei folglich auszugsweise daraus zitiert wurde. Insbesondere wurde auf Festnahmen von Mitgliedern der PDKS hingewiesen. Auch wurden Passagen aus dem LIB wiedergegeben, wonach die PYD ebenfalls gegen politische GegnerInnen vorgehe und würde sich das Vorgehen der PYD gegen Oppositionelle auch aus den aktuellen UNHCR Richtlinien ergeben. Hinsichtlich der Anfragebeantwortung zur Rückkehr nach Syrien wurde darauf hingewiesen, dass Personen, die ihren Wehrdienst in Syrien noch nicht abgeleistet hätten, zu jener Gruppe gehören würden, die Gefahr zu laufen bei ihrer Ankunft festgenommen, eingesperrt, verhört oder gefoltert zu werden. Es sei ersichtlich, dass es keine klaren Muster für die Gesamtbehandlung von Rückkehrern gäbe. Diesbezüglich wurden mehrfach Auszüge aus dem LIB zitiert. Der BF stamme auch aus einem Gebiet, das nicht vom syrischen Regime kontrolliert werde und würden Rückkehrer aus Oppositionsgebieten auch wegen angeblicher oppositioneller Aktivitäten oder der Verweigerung des Wehrdienstes festgenommen. Dafür reiche auch bereits der Verdacht aus. Der BF erfülle darüber hinaus mehrere im Bericht von EASO aus Juni 2021 genannte Risikofaktoren, weshalb er einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der BF aufgrund seiner Familienangehörigen im Ausland (insbesondere wegen seines Bruders, welcher über die deutsche Staatsbürgerschaft verfüge) verhaftet und verfolgt würde. Der BF sei nicht nur aufgrund seiner Mitgliedschaft im Musikverein, sowie seiner Parteimitgliedschaft gefährdet, sondern auch aufgrund seiner Weigerung den Militärdienst abzuleisten. Daher laufe der BF Gefahr als „Terrorist“ beschuldigt zu werden und in der Folge verhaftet, verhört oder gefoltert zu werden. In Haft wäre der BF schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.
Der BF stamme aus XXXX (kurdisch XXXX ) in der Provinz XXXX . Unter der Annahme, dass das Herkunftsgebiet des BF unter der Kontrolle der kurdischen Truppen stehe, gäbe es für den BF keine Möglichkeit, sicher und legal nach Syrien einzureisen, ohne in Kontakt mit den syrischen Behörden zu kommen. Er müsste über den Flughafen Damaskus einreisen, welcher nachweislich unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehe. Mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit würde der BF dort aufgegriffen, kontrolliert und einer derartigen Sicherheitskontrolle unterzogen werden, bei der BF jedenfalls genauer überprüft würde und ersichtlich sei, dass er keinen Wehrdienst abgeleistet habe, illegal ausgereist sei, mehrere Familienangehörige habe, die im Ausland aufhältig seien und selbst einen Asylantrag in Österreich gestellt habe, sowie aus einem oppositionellen Gebiet stamme und politisch tätig gewesen sei. Selbiges gelte für eine Einreise über den Flughafen XXXX , welcher ebenfalls unter der Kontrolle des Asad Regimes stehe. Eine alternative Form der Wiedereinreise in die kurdisch kontrollierten Gebiete, beispielsweise über irakisch-Kurdistan, sei dem BF nicht möglich bzw. zumutbar, da es keine gesicherten und dauerhaft geöffneten Grenzübergänge gäbe. Dass der BF bereits in der Vergangenheit ins Visier der syrischen Behörden geraten sei, sei dadurch ersichtlich, dass er in der Sicherheitsabteilung „Palästina“ in Damaskus festgehalten, sowie gefoltert worden sei und darüber detailliert in der Verhandlung berichtet habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.03.2021, der polizeilichen Erstbefragung des BF am 30.03.2021, der niederschriftlichen Einvernahme am 16.07.2021 vor dem BFA, der für den Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 14.10.2021 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 08.09.2021, der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des Strafregisters der Republik Österreich und des AJ-Web, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.10.2022, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige BF ist seit Ende 2011 oder Anfang 2012 syrischer Staatsangehöriger, zuvor war er staatenlos. Der BF gehört der kurdischen Volksgruppe an und bekennt sich zur sunnitischen Ausrichtung des Islam. Seine Identität steht fest. Der BF spricht muttersprachlich Kurdisch und gut Arabisch. Er ist verheiratet und hat mit seiner Ehefrau 5 gemeinsame Kinder.
Der BF wurde im Dorf XXXX (arabisch: XXXX ), 40 km westlich von XXXX , in der Provinz XXXX , in Nordost-Syrien geboren, wo er aufgewachsen ist und 6 Jahre lang ab 1983, die Volksschule besucht hat. Der BF hat keinen Beruf erlernt, jedoch umfangreich Arbeitserfahrung im Herkunftsstaat, unter anderem von 1989-1993 zunächst ein Jahr als Reinigungshelfer, sodann als Kellner, gesammelt. Ab 1993 hat der BF als Maurer und Maler, später als Tischler und Maler auf Baustellen gearbeitet. Zuletzt war der BF im Herkunftsstaat als Betonmischer auf Baustellen tätig. Von 1995 bis 2002 hat der BF in XXXX gearbeitet und gelebt. Danach ist er für 4-5 Jahre in sein Heimatdorf zurückgekehrt, wo er geheiratet hat. Bis 2012 hat der BF sodann neuerlich in XXXX gelebt. Bis zu seiner Ausreise hat sich der BF erneut in seinem Heimatdorf aufgehalten.
Der Vater, die Schwester und eine Tante des BF vs. leben noch in XXXX , in Nordost-Syrien. Zu ihnen hat der BF etwa alle 10 Tage Kontakt über WhatsApp. Ein Onkel ms. lebt in Gergelage. Die Ehefrau des BF, XXXX (geb. am XXXX ) lebt mit den gemeinsamen 5 Kindern XXXX (geb. am XXXX ), XXXX (geb. am XXXX ), XXXX (geb. am XXXX ), XXXX (geb. am XXXX ) und XXXX (geb. am XXXX ) im Heimatdorf des BF in dessen Eigentumshaus. Der BF hat zuvor auch über ein eigenes Grundstück verfügt, welches er vor seiner Ausreise verkauft hat und lebt seine Kernfamilie in Syrien unter anderem vom Verkaufserlös. Zu seiner Kernfamilie hat der BF mindestens einmal pro Woche über WhatsApp Kontakt. Diese werden finanziell auch vom Schwiegervater des BF, welcher in Syrien lebt, und den Brüdern seiner Ehefrau, welche mit ihren Familien im Irak leben, zusätzlich unterstützt. Sämtliche Verwandten des BF verfügen über Eigentumshäuser in Syrien. Sein Schwiegervater verfügt auch über ein eigenes Grundstück.
Der Bruder des BF lebt in Deutschland und verfügt seit 19.02.2022 über die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Onkel des BF vs. hat im Irak gelebt, wo er auch verstorben ist. Dieser hat 2 Ehefrauen, eine lebt im Irak und hat 4 Kinder, wovon ein Kind ebenfalls in Deutschland lebt, die übrigen Kinder befinden sich ebenfalls im Irak. Die zweite Frau des verstorbenen Onkels des BF ist seine Tante ms., sie lebt mit ihrem Sohn ebenfalls im Irak. Zwei ihrer Söhne leben in der Schweiz. Zu diesen Verwandten hat der BF zuletzt vor 2 Jahren Kontakt gehabt. Die Mutter des BF lebte bis Oktober 2021 in Syrien und reiste wegen einer medizinischen Behandlung in den Irak. Sie lebt nun in Arbil im Irak.
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt Anfang März 2021 hat der BF Syrien verlassen und ist über die Türkei, sowie unbekannte Länder nach Österreich gereist. Er reiste spätestens am 30.03.2021 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 08.09.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte diesem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde am 14.10.2021 in casu Beschwerde erhoben. Die übrigen Spruchpunkte sind unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Derzeit befindet sich der BF nicht in ärztlicher Behandlung. Er ist gesund.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist persönlich unglaubwürdig.
1.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Der BF hat keinen Wehrdienst in Syrien abgeleistet, weil er bis 2011/2012 staatenlos war und sich danach diesem erfolgreich entzogen hat. Der BF war im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht mehr im wehrpflichtigen Alter und befindet sich mit 45 Jahren auch nicht mehr im gesetzlich vorgesehenen Wehrdienstalter. Folglich droht dem BF keine Gefahr, durch das syrische Regime wegen Entziehung vom Militärdienst bzw. Wehrdienstverweigerung als - oppositionell gesinnt - eingestuft zu werden.
Die Heimatprovinz des BF in Nordost-Syrien, etwa 70 Kilometer östlich der Stadt XXXX und etwa 40 Kilometer westlich von XXXX , liegt im von kurdischen Milizen kontrollierten Gebiet, der kurdisch geführten SDF (Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES) und wird dieses Gebiet autonom von diesen verwaltet. Mit Stand Juni 2022 ist das Dekret Nr. 3 vom 04.09.2021 weiterhin in Kraft, welches Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) zum „Wehrdienst“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ verpflichtet. Das Alter ist nun in allen betreffenden Gebieten dasselbe, während es zuvor je nach Gebiet variierte. Vor dem Dekret Nr. 3 war auch das Alterslimit höher - bis 40 Jahre. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war. Nach dem abgeleisteten „Wehrdienst“ gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall „höherer Gewalt“ einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Die Autonomiebehörden sehen eine Wehrdienstverweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung. Die Absolvierung des „Wehrdiensts“ gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien.
Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. Die syrischen Behörden können im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen.
Dem BF droht daher keine zwangsweise Rekrutierung durch andere Akteure (etwa durch die Freie Syrische Armee oder kurdische Milizen) und läuft dieser auch nicht Gefahr, von diesen verfolgt zu werden.
Der BF hat keine nachweislich außenwirksamen und daher asylrelevanten (exil-) politischen, gegen das syrische Regime gerichteten Aktivitäten, innerhalb oder außerhalb seines Landes betrieben, weshalb der BF mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Syrien keine aktuell unmittelbare und ihn persönlich betreffende konkrete Verfolgung oder Bedrohung durch das Regime oder durch sonstige Gruppen wegen einer – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung zu befürchten hat.
Aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich droht dem BF im Herkunftsstaat keine Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bzw. einer Verfolgung von asylrelevantem Ausmaß bedroht zu werden.
Der BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
Dem BF droht keine asylrelevante Verfolgung aufgrund der illegalen Ausreise aus seinem Herkunftsstaat.
1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in Syrien:
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 7 vom 10.08.2022, wiedergegeben:
„[…]
Politische Lage
Letzte Änderung: 05.08.2022
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, stellt die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten dar (FH 3.4.2020).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen ("Shabiha"). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung wie Arbeiter- und Frauenorganisationen hat (USDOS 12.4.2022). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 4.3.2020). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).
Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbullah üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus (FH 4.3.2020).
Zu den Machtverhältnissen in den Gebieten außerhalb der Regimekontrolle siehe die jeweiligen Abschnitte im Kapitel Sicherheitslage.
Wahlen
Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien zu "managen" und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren. Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens lebten (COAR 27.7.2020). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Baʿath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und erhielten 70 % der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Baʿath-Partei verbündet sind, und an nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020).
Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt kein Al-Jumhuriya.net Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative KandidatInnen standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Baʿath-Partei (AAN/MEI 24.7.2020). Somit ist die Reihung auf der Liste durch das Regime und die Nachrichtendienste wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen (BS 23.2.2022).
Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie in einigen syrischen Botschaften Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1 % (78 % Wahlbeteiligung, ÖB 1.10.2021) gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und als "betrügerisch", und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).
Der politische Prozess gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unter Ägide der Vereinten Nationen stagniert, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Blockadehaltung des jegliche Zugeständnisse verweigernden Regimes. Dieser Stillstand betrifft neben den Verhandlungen in Genf auch die von Russland zusammen mit der Türkei und dem Iran ins Leben gerufenen Gesprächen im sogenannten "Astana-Format" (AA 29.11.2021).
Gebietskontrolle
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). [Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage".] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).
Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). - Für mehr Informationen siehe insbesondere Unterkapitel "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
Nordost-Syrien
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird mittlerweile von der Türkei und von mit ihr alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020). - Siehe dazu auch die Karten zum aktuellen Frontverlauf in den Unterkapiteln "Nordwest-Syrien" sowie "Sicherheitslage" im Kapitel Sicherheitslage.
Der militärische Arm der PYD, die YPG, ist die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 12.4.2022). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert (ÖB 1.10.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, weil die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019). - Siehe dazu auch die Karten mit den aktuellen Regimepositionen im Nordosten in den Abschnitten "Nordost-Syrien" sowie "Sicherheitslage" im Kapitel Sicherheitslage.
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind. Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD bei der Entscheidungsfindung offensichtlich (BS 29.4.2020). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD ist weniger gewalttätig in ihrer Repression, übt aber eine strikte Kontrolle in ihrem Einflussbereich aus (BS 23.2.2022). Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP (Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak) nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt nämlich als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 09.08.2022
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit Stand 5.8.2022 [Anm.: zu verbleibenden Rückzugsgebieten des IS siehe Abschnitte zu den Regionen]:
Quelle: CC 5.8.2022
[…]
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a) (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022).
Die folgende Karte zeigt auch die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessensschwerpunkte in Syrien:
Quelle: Zenith 11.2.2022
[…]
Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).
Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des "Institute for the Study of War" zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
Zum IS-Angriff vom 20.1.2022 in al-Hassakah siehe das Unterkapitel "Nordost-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022):
Quelle: SNHR 1.1.2022
Laut Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) gab es im Jahr 2021 für die syrischen Provinzen folgende Zahlen an Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern:
Gouvernements Anzahl der Vorfälle mit mind. 1 Todesopfer Anzahl der Todesopfer
Al Hasakeh 345 621
Aleppo 303 690
Ar Raqqa 296 780
As Sweida 37 43
Damascus 14 41
Daraa 375 649
Deir ez Zor 469 1127
Hama 140 544
Homs 114 402
Idlib 301 690
Lattakia 30 70
Quneitra 31 39
Rif Dimashq 110 137
Tartous 4 8
Insgesamt 2569 5841
Quelle: ACLED o.D.
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).Die folgende Aufstellung listet die konfliktrelevanten Vorfällen für das erste Halbjahr mittels Vergleich zwischen den beiden ersten Quartalen auf:
Quelle: CC 5.8.2022
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OVCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021).
Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)
Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021)
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„Versöhnungsabkommen“ (auch „Beilegungsabkommen“)
Letzte Änderung: 05.08.2022
Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als "settlement agreements" bezeichnet] folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021).
Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 12.4.2022). […]
Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 09.08.2022Mit Stand Ende Dezember 2021 befanden sich die Gouvernorate al-Hassakah und ar-Raqqa sowie Teile von Deir Ez-Zour nördlich des Flusses Euphrat und Teile des Gouvernements Aleppo um Manbij und Kobanê sowie das Gebiet um Tal Rifa'at unter der Kontrolle der kurdisch geführten SDF [Anm.: Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria - AANES] (Liveuamap 20.12.2021; vgl. EASO 7.2021). Die folgende Karte zeigt die Machtverhältnisse in der Region mit Stand 8.8.2022:
Quelle: Liveuamap 8.8.2022
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zu schaffen [Anm.: s. Abschnitt zu den türkischen Militäroperationen] (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 4.12.2020). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus (ÖB 1.10.2021). Die kurdischen, sogenannten "Selbstverteidigungseinheiten" (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation sog. Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 4.12.2020). Siehe dazu auch die Karte von Februar 2022 von Zenith mit den militärischen Akteuren im Unterkapitel "Sicherheitslage".
Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt (AA 4.12.2020). Die Türkei stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB 1.10.2021). Nach wie vor kommt es trotz der am 22.10.2019 in Sotschi zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenruhe immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen am Rande der türkisch kontrollierten Zone zwischen pro-türkischen Milizen und Einheiten der SDF, insbesondere an den Rändern der türkisch kontrollierten Zone im Raum um Tal Tamar rund 30 km südlich von Ra's al-'Ayn sowie südlich von Tal Abyad (AA 4.12.2020; vgl. USDOD 4.11.2021). Von Tal Abyad und Ra's Al-'Ayn aus hält der Beschuss kurdischer Stellungen laut Fabrice Balanche an, ebenso die Angriffe im äußersten Nordosten der von den SDF gehaltenen Gebiete, nahe der Grenze zum Irak. Die Türkei will das Vertrauen in die Autonomieverwaltung in Nordost-Syrien zerstören. Die Offensive fordert bislang zwar nur wenige Todesopfer. Aber es geht der Türkei darum, Angst zu schüren, Menschen zur Flucht zu drängen und Investitionen zu blockieren. Vor vier Jahren war Kobane demnach noch eine dynamische Stadt, in welcher der Wiederaufbau lief. Die Menschen kamen aus Irakisch-Kurdistan zurück, weil es Arbeitsplätze gab. Jetzt ist Kobane laut Balanche eine sterbende Stadt. Wegen des türkischen Beschusses haben die Menschen Angst und fliehen. Die Türkei profitiert auch von der Destabilisierung durch IS-Angriffe (Zenith 11.2.2022).
Die von Präsident Erdogan ankündigte Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien gegen das Selbstverwaltungsgebiet (auch Rojava) ist laut Einschätzung des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) "weiterhin möglich": "Im Gegensatz zu früheren Operationen (z.B. Afrin 2018) dürfte dieses Mal aber die Existenz „Rojavas“ auf dem Spiel stehen" (IFK 8.2022).
Auf folgender Karte ist das Konfliktgeschehen zwischen Türkei und SDF für den Zeitraum 1.4.2022 bis 30.6.2022 auf Basis von ACLED-Daten verortet:
Quelle: CC 5.8.2022 (Daten von The Carter Center und ACLED)
ACLED verzeichnete von 1.4.2022 bis 30.Juni 355 Konfliktereignisse zwischen verschiedenen bewaffneten kurdischen Gruppen und türkischen Streitkräften bzw. von der Türkei unterstützten Organisationen - eine Steigerung von 52 % im Vergleich zum 1. Quartal 2022. Sicherheitsrelevante Vorfälle umfassten Granatbeschuss, Luftbombardements und Gefechte - 104 im April, 170 im Mai und 81 im Juni. 297 - 84 % - dieser Ereignisse machten Granatbeschuss oder Luftbombardements durch türkische Streitkräfte oder durch mit ihnen verbündete Gruppen aus. Der größte Kreis auf der Karte repräsentiert 42 Konfliktereignisse (CC 5.8.2022).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar (AA 4.12.2020; siehe dazu auch weiter unten). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS gewesen (ICG 18.11.2021), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt (ÖB 1.10.2021), jedoch setzten der IS und seine Schläferzellen 2021 ihre Angriffe in den von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrollierten Gebieten fort und verübten mehrere Anschläge und Attentatsversuche (SOHR 26.12.2021).
Die SDF leiteten mit Unterstützung der internationalen Koalition gegen den IS regelmäßige Sicherheitskampagnen ein, die sich gegen IS-Zellen und Personen richteten, die beschuldigt wurden, "mit diesen Zellen zu verkehren" (SOHR 26.12.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. ICG 18.11.2021, COAR 28.5.2021) und Einrichtungen der Selbstverwaltung (COAR 28.5.2021). Es wurde auch von Angriffen auf Mitarbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zour berichtet (AM 29.12.2021). SOHR dokumentierte im Jahr 2021 [Anm.: bis zum 26.12.2021] neben 135 getöteten Angehörigen der SDF, Asayish [Anm.: die internen Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung], der YPG, YPJ und anderer von den SDF unterstützten militärischen Formationen auch 93 zivile Todesopfer bei IS-Anschlägen (SOHR 26.12.2021). Dem IS gelang es unterdessen, das arabische Viertel von al-Hassakah zu infiltrieren, und die dortige Bevölkerung meldete dies nicht der Polizei (Zenith 11.2.2022).
Am 20.1.2022 griffen Kämpfer des IS das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah an (ANI 26.1.2022). Im Sina'a-Gefängnis befanden sich geschätzte 3.500 inhaftierte IS-Kämpfer wie auch rund 700 Minderjährige, darunter 150 ausländische Staatsbürger, die von ihren Eltern in das selbsternannte Kalifat gebracht worden waren. Vertreter der SDF gaben an, dass IS-Kämpfer, die sich in einem Teil des Gefängnisses verschanzt hatten, Minderjährige als menschliche Schutzschilde verwendet hätten (NYT 25.1.2022). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer, die in den vergangenen Jahren administrative und militärische Positionen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien innegehabt hatten (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022).
Der Angriff löste tödliche Zusammenstöße zwischen den SDF und den IS-Kämpfern aus. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Die Kämpfe zwischen der von den USA unterstützten kurdisch geführten Miliz und IS-Kämpfern weiteten sich auf Stadtteile rund um das Gefängnis im Nordosten Syriens aus. US-Truppen begannen am 24.1.2022, aus der Luft und auch am Boden einzugreifen. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. In den zehn Tagen andauernden Gefechten starben laut SDF über 500 Menschen, Dreiviertel davon IS-Kämpfer (TWP 24.2.2022). Die geflohenen BewohnerInnen durften danach zurückkehren, wobei es jedoch auch im Zuge der Kampfhandlungen und der Suche nach verschanzten IS-Kämpfern zu Zerstörungen von Privathäusern und Geschäften gekommen war (MPF 8.2.2022). Mit Stand 4.2.2022 war noch nicht bekannt, wieviele Insassen des Sina'a-Gefängnis - einschließlich der Minderjährigen - sich noch in Händen der SDF befanden (HRW 4.2.2022). Rund 550 mutmaßliche IS-Kämpfer waren von den SDF mit Stand 25.1.2022 wieder gefangen genommen worden (MEE 25.1.2022).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nützt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z.B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung (bezüglich IS) zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Der IS verübte zuletzt mehrere koordinierte und ausgeklügelte Anschläge in Syrien und im Irak, was von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen wird, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022).
Für weitere Informationen über die Aktivitäten des IS in Syrien siehe besonders das Kapitel "Sicherheitslage".
Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol mit knapp 60.000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9.000 aus anderen Ländern inkl. Österreich) (ÖB 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen. Die Kurden möchten gemäß Fabrice Balanche nicht länger ohne Unterstützung und unter Lebensgefahr für den Westen deren Terroristen in Schach halten (Zenith 11.2.2022). Human Rights Watch dokumentierte nach eigenen Angaben die Bedingungen in den Unterkünften für ausländische Insassen in al-Hol und Roj, die einer grausamen, erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung gleichkamen, und kritisierte die unbefristete und willkürliche Inhaftierung (HRW 23.3.2021). Hinzukommen steigende Spannungen innerhalb der Lager. Allein in al-Hol gab es im Jahr 2021 mehr als 90 Morde und 40 Mordversuche (OHCHR 9.3.2022).
Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet:
Quelle: The Washington Institute for Near East Policy 15.3.2022 [vgl. Karte des Carter Center - CC 5.8.2022 - im ersten Abschnitt des Kapitels "Sicherheitslage".]
Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens. Die Grenze zu Irakisch-Kurdistan und damit eine wichtige Handelsroute für Nordost-Syrien wurde geschlossen (Zenith 11.2.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie steigende Treibstoffpreise protestiert (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Angesichts der IS-Befreiungsaktion in al-Hassakah übten die USA Druck auf die Autonomieregion Kurdistan im Irak aus, die Grenze wieder zu öffnen (Zenith 11.2.2022).
Für weitere Informationen zum Gouvernement Deir ez-Zour, das sich z.T. unter Kontrolle der SDF befindet, s. auch Abschnitt "Provinz Deir ez-Zour/Syrisch-irakisches Grenzgebiet".
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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
Letzte Änderung: 09.08.2022
"Operation Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).
"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation "Olive Branch" die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).
"Operation Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) komme (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 4.12.2020).
Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
Siehe dazu auch das Unterkapitel "Nordost-Syrien" und "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die Operation "Spring Shield" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021).
Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Zusammenstöße zwischen den Fraktionen der SNA finden oft aufgrund von Konkurrenz um Ressourcen und Einfluss statt (TCC 18.2.2021). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG). Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021).
Die von Präsident Erdogan ankündigte Militäroffensive der Türkei 2022
Eine Offensive der Türkei in Nordsyrien gegen das Selbstverwaltungsgebiet (auch Rojava) ist laut Einschätzung des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) "weiterhin möglich": "Im Gegensatz zu früheren Operationen (z.B. Afrin 2018) dürfte dieses Mal aber die Existenz „Rojavas“ auf dem Spiel stehen" (IFK 8.2022).
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Rechtsschutz/Justizwesen
Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 05.08.2022
In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ übernimmt diese quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen (AA 29.11.2021). In den Gebieten unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (engl. Abk.: AANES) - auch kurd. "Rojava" genannt, setzten die Behörden einen Rechtskodex basierend auf einen "Gesellschaftsvertrag" ("social contract") durch. Diese besteht aus einer Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht und Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an EU-Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 12.4.2022, vgl. NMFA 6.2021). Verfahren gegen politische Gefangene werden in der Regel vor Strafgerichten oder vor einem Gericht für Terrorismusbekämpfung verhandelt. In Ersteren können Inhaftierte einen Anwalt beauftragen, in zweiteren laut International Center for Transitional Justice (ICTJ) nicht (NMFA 6.2021).
Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 12.4.2022). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Juristen, welche unter diesem Justizsystem agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).
Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jesidischen, arabischen und assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines Stammesgerichtssystems, bekannt als "Madbata", für die Klärung von intertribalen Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira-Region in der Provinz Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung dienen, welche die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. Aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen Justiz wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen (AM 4.4.2021).
Umgang mit ehemaligen IS-Kämpfern
Mit Stand Oktober 2020 wurden 64.000 Menschen, die mit dem IS in Verbindung stehen, allein im al-Hol Lager festgehalten. Mehr als 80 % davon sind Frauen und Kinder, fast die Hälfte von ihnen IrakerInnen, 37 % SyrerInnen und 15 % anderer Nationalität. Viele europäische Länder sind weiterhin zurückhaltend, was die Zurückholung ihrer Staatsbürger betrifft, gleichzeitig wird die Verurteilung vor syrischen und irakischen Gerichten nicht als den Standards der internationalen Menschenrechte entsprechend angesehen, und die Chancen, ein internationales Tribunal vor Ort zu etablieren sind gering. Dementsprechend stellt die Autonome Administration ehemalige IS-Kämpfer vor provisorische Tribunale. Bis März 2021 kam es zu 8.000 Verurteilungen von Syrern in Zusammenhang mit dem IS, Jabhat an-Nusra (Anm.: an-Nusra Front) und Fraktionen der Syrian National Army, wie der Hamza Division und der Suleyman Shah Brigade (ICCT 16.3.2021).
Der sogenannte "Defense of the People Court" wird weder von den syrischen Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Durch den Fokus auf Konfliktlösung und milde Strafurteile versucht die AANES die Zusammenarbeit bei der Verfolgung weiterer IS-Kämpfer zu erreichen, ihre Regierungskompetenz gegenüber der lokalen Bevölkerung hervorzuheben und internationale Legitimität zu gewinnen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft. Die Höchststrafe ist eine lebenslange Freiheitsstrafe, de facto eine zwanzigjährige Haftstrafe. Gerichtsurteile werden bei guter Führung, oder wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. 2017 gab es Versöhnungs- und Vermittlungsversuche mit großen arabischen Stämmen, und über 80 IS-Kämpfer erhielten eine Amnestie, um gute Beziehungen zu schaffen, und andere dazu zu bringen, sich zu stellen. Auch in diesem Gericht kann kein Anwalt beauftragt oder Einspruch eingelegt werden (Ha'aretz 8.5.2018, vgl. AP 7.5.2018).
Zum aktuellen Gebietsumfang der Gebiete unter obiger Selbstverwaltung siehe die Karten im Kapitel "Sicherheitslage".
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Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 05.08.2022
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichteten jedoch von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung vermeintlicher Oppositioneller einsetzten, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und sogar schon vor 2011 dokumentiert wurde. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 12.4.2022). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 12.4.2022, AA 4.12.2020).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen (SHRC 24.1.2019).
Das Auswärtige Amt fasst die Haftbedingungen in Syrien als "unverändert grausam und menschenverachtend" zusammen. Dies ist allgemein der Fall, gilt jedoch besonders für diejenigen Haftanstalten, in denen DissidentInnen und sonstige politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.11.2021). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände danach aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.11.2021). NGOs berichten, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlungen, Bestrafungen und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten verüben (USDOS 12.4.2022; vgl. TWP 23.12.2018). Gefängnispersonal und Nachrichtendienstoffiziere sowie weitere Regimetruppen und regierungstreue Kräfte begingen sexuellen Missbrauch einschließlich Vergewaltigungen von Frauen, Männern und Kindern (USDOS 12.4.2022). Unter den von der UN Commission of Inquiry (COI) dokumentierten Fällen waren die jüngsten betroffenen Buben und Mädchen elf Jahre alt (HRW 13.1.2022). Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. (AA 29.11.2021; vgl. bzgl. eines konkreten Falls Üngör 15.12.2021).
Systematische Folter, Hinrichtungen und die Haftbedingungen führen zu einer hohen Sterblichkeitsrate von Gefangenen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung (USDOS 12.4.2022). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 12.4.2022; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 12.4.2022). SNHR schätzt die Gesamtzahl der verschwunden gelassenen Personen auf mindestens 100.000, hinter fast 85% dieser steckt das Regime (HRW 13.1.2022). Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021).
In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 1.10.2021).
Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen, darunter 181 Kinder und 93 (erwachsene) Frauen, durch Folter durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021). Im gesamten Jahr 2021 zählte SNHR insgesamt 104 Todesopfer aufgrund von Folter (SNHR 1.1.2022). Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen. (AA 29.11.2021). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekanntmacht: Im Jahr 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um vom Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt nicht die sterblichen Überreste der Verstorbenen an die Familien (HRW 14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Gefängnissen sind jedoch keine Neuerungen der Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Am 4.11.2020 ließ die syrische Regierung 60 Personen aus Gefängnissen im südlichen Syrien und Damaskus frei (HRW 13.1.2022).
Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (NMFA 7.2019). Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.11.2021).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen, der Folter von Inhaftierten, Verschwindenlassen und willkürlicher Verhaftungen beschuldigt. Opfer sind vor allem Personen, die der Regimetreue verdächtigt werden, Kollaborateure und Mitglieder von regimetreuen Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Berichte dazu betreffen u.a. HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham), IS (Islamischer Staat), SNA (Syrian National Army) und SDF (Syrian Democratic Forces) (USDOS 12.4.2022).
Anmerkung: Mehr zu Art und Ausmaß der jeweiligen Menschenrechtsverletzungen durch die jeweiligen bewaffneten Gruppen ist im Kapitel zur Sicherheitslage zu ihren jeweiligen Gebieten sowie im Kapitel zu Menschenrechtsverletzungen zu finden.
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Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 05.08.2022
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Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).
Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).
Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).
Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung
Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).
Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]
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Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes
Letzte Änderung: 09.08.2022
Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Die Asylagentur der Europäischen Union (European Union Agency for Asylum, EUAA) kommt in ihrem Bericht vom April 2021 zu dem Schluss, dass aufgrund der unklaren Maßstäbe, die von den medizinischen Ausschüssen für die Bewertungen verwendet werden, die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien schwer eruierbar ist (EUAA 4.2021).
Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021; vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).
Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).
Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten
Christliche und muslimische religiöse Führer sind weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit, wobei muslimische Geistliche dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 2.6.2022). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).
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Amnestien im Allgemeinen und im Zusammenhang mit folgendem Militärdienst
Letzte Änderung: 09.08.2022
- Rechtssicherheit
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition, besteht in der Praxis eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB 1.10.2021).
- Amnestien allgemein
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020). Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Das Regime verlautbarte seit 2011 [Anm.: bis 2021] 18 Amnestien, aber die Dekrete resultierten im Allgemeinen nur in der Entlassung einer begrenzten Anzahl von gewöhnlichen Kriminellen. Diese Amnestien schlossen Gefangene, die nicht eines Verbrechens angeklagt wurden, aus. Im Juli 2021 berichtete SNHR von der Freilassung von 81 Gefangenen in den letzten zwei Monaten als Folge der Mai-Amnestie, während im selben Zeitraum die willkürliche Festnahme von 176 anderen Personen erfolgte. Eine begrenzte Anzahl von Gefangenen kam im Zuge lokaler Beilegungsabkommen mit dem Regime frei. Während des Jahres 2021 verletzten Regimekräfte vorherige Amnestieabkommen durch Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten und frühere Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppen in Gebieten mit unterzeichneten Beilegungsabkommen mit dem Regime (USDOS 12.4.2022).
Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020; vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 29.11.2021).
Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).
Siehe auch Kaptiel "Länderspezifische Anmerkungen". Zu Amnestien der syrischen Regierung für Reservepflichtige siehe Unterkapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst".
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Wehrdienstverweigerung/Desertion
Letzte Änderung: 25.04.2022
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).
Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).
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Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).
Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
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Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).
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Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).
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Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Letzte Änderung: 25.04.2022
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 1.7.2021). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).
Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 6.2021).
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Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 09.08.2022
Anm.: Die Rekrutierung von Minderjährigen direkt durch die PKK oder die Revolutionäre Jugend, einem mutmaßlichen Teil der PKK, sowie der Rekrutierung von erwachsenen Freiwilligen, die nicht unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallen, werden hier nicht thematisiert.
Wehrpflichtsgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“
Mit Stand Juni 2022 ist das Dekret Nr. 3 vom 4.9.2021 weiterhin in Kraft, welches Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) zum "Wehrdienst" in der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ verpflichtet. Das Alter ist nun in allen betreffenden Gebieten dasselbe, während es zuvor je nach Gebiet variierte. Vor dem Dekret Nr. 3 war auch das Alterslimit höher - bis 40 Jahre. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022).
Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim Büro für Selbstverteidigungspflicht ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des "Wehrdiensts" dokumentiert wird - z.B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022).
Nach Protesten gab es auch ein temporäres Aussetzen der Wehrpflicht wie z.B. in Manbij im Juni 2021 [Anm.: dazu siehe auch weiter unten]. Ob jemand aus Afrin, das sich nun nicht mehr unter Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet, wehrpflichtig wäre, ist aktuell unklar. Die "Wehrpflicht" gilt nicht für Personen außerhalb des "Selbstverwaltungsgebiets", außer der Betreffende hat mindestens fünf Jahre im "Selbstverwaltungsgebiet" gewohnt (DIS 6.2022).
Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Laut Medienberichten waren insbesondere Lehrer von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen betroffen. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Burschen und Mädchen (AA 29.11.2021). Laut DIS beziehen sich die Berichte von Zwangsrekrutierungen manchmal eher auf den Selbstverteidigungsdienst oder auf andere Gruppen als die SDF (Syrian Democratic Forces) (DIS 6.2022).
Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB 29.9.2020). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 29.11.2021), während das Danish Immigration Service nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen dem Militärdienst zu entgehen, laut dem Gesetz zur Selbstverteidigungspflicht durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für den Betreffendne zu finden (DIS 6.2022). Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst laut EUAA auf 15 Monate. Spät eintreffende Wehrdienstpflichtige müssen einen Monat länger Wehrdienst leisten (EUAA 11.2021). DIe ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: zur nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts (ÖB 29.9.2020). Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020).
Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem "Wehrdienst" Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).
Im Ausland (Ausnahme Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).
Ursprünglich betrug die Länge des "Wehrdiensts" sechs Monate, wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert. Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr, und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen (DIS 6.2022). Einer anderen Quelle zufolge dauert der Wehrdienst sechs Monate mit Ausnahme des Zeitraums Mai 2018 bis Mai 2019, als dieser zwölf Monate umfasste (EUAA 11.2021). In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je Gebiet entschieden wird, z.B. die Verlängerung um einen Monat im Jahr 2018 wegen der Lage In Baghouz. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Auch nach Angaben der Vertretung der "Selbstverwaltung" gab es auch Fälle, in welchen Personen der Wehrdienst um einige Monate verlängert wurde (DIS 6.2022).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem IS-Befreiungsversuch mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z.B. bei den Kämpfen gegen den sogenannten Islamischen Staat von 2016-2017 in Raqqa (DIS 6.2022).
Nach dem abgeleisteten "Wehrdienst" gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).
Proteste gegen die "Wehrpflicht"
Das Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht" stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung, insbesondere bei vielen jungen Männern, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021). Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).
Militärdienst von Frauen und Minderjährigen
Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] (AA 29.11.2021; vgl. DIS 6.2022) oder in den Selbstverteidigungseinheiten (DIS 6.2022) leisten. Es gibt Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 29.11.2021; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Zu Anfang 2022 gab es noch einige Minderjährige in den SDF, trotz früherer Entlassungen von Minderjährigen und Bemühungen deren Aufnahme zu unterbinden. Wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen, von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen (DIS 6.2022).
Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst
Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Am 14.4.2022 besetzten die SDF und die Asayish für einen Tag die Verwaltungseinrichtungen, was Berichten zufolge eine Reaktion auf die Belagerung des kurdischen Stadtteils Sheikh Maqsoud in Aleppo durch das Regime war (DIS 6.2022).
Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven (DIS 6.2022).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 05.08.2022
Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich trotz eines messbaren Rückgangs der gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht verbessert (AA 29.11.2021). Die Zahl der zivilen Kriegstoten beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNCHR 28.6.2022). Laut UN-Menschenrechtsrat erlaubt die Situation in Syrien unter Einbeziehung der Menschenrechtslage keine nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen (UNHRC 13.8.2021). Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) vom 8.2.2022 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht von z.B. Angriffen auf die Zivilbevölkerung über Folter bis hin zur Beschlagnahmung des Eigentums von Vertriebenen (UNHRC 8.2.2022). Human Rights Watch (HRW) bezeichnet einige Angriffe der russisch-syrischen Allianz als Kriegsverbrechen (HRW 13.1.2022).
Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich am Fehlen freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Es gibt erhebliche Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten mit einem in sich geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten (BS 29.4.2020). Konfessionelle und ethnische Zugehörigkeit, der Herkunftsort, der familiäre Hintergrund, etc. entscheiden über den Zugang zu Leistungen und Privilegien - oder deren Vorenthaltung. Dieser Umstand hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 23.2.2022).
Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden wie den Arbeiter- und Frauenorganisationen hat. Die Ba'ath-Partei und neun kleinere Parteien in ihrem Gefolge bilden die Koalition der Nationalprogressiven Front, welche den Volksrat (das Parlament) dominiert. Die Wahlen 2020 waren von Anschuldigen von Wahlbetrug gekennzeichnet. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der Nationalprogressiven Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Die Polizei verhaftete Mitglieder der verbotenen islamistischen Parteien einschließlich der Hizb ut-Tahrir und der syrischen Muslimbruderschaft (USDOS 12.4.2022).
Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, pro-demokratischen Studentenvereinigungen und anderer Organisationen zu verhaften, welche als Unterstützer der Opposition wahrgenommen werden - einschließlich humanitärer Organisationen (USDOS 12.4.2022).
Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt weiterhin strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Angelegenheiten, einschließlich der konfessionellen Spannungen und Probleme, mit denen religiösen und ethnischen Minderheiten konfrontiert sind. Kritik wird auch durch den breiten Einsatz von Gesetzen gegen Konfessionalismus erstickt (USDOS 12.4.2022).
Weiterhin besteht laut Auswärtigem Amt in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020). Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt an Frauen und teilweise auch Männern aus (ÖB 1.10.2021).
In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2022). Syrische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen nehmen weiterhin willkürlich Menschen im ganzen Land fest, lassen sie verschwinden und misshandeln sie, auch Personen in zurückeroberten Gebieten, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben (HRW 13.1.2022; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Berichten zufolge zögern die Menschen in kürzlich vom Regime zurückeroberten Gebieten aus Angst vor Repressalien über die dortigen Vorgänge zu reden (USDOS 12.4.2022). Ganze Städte und Dörfer wurden durch erzwungenes Verlassen ("forced deportations") entvölkert (BS 29.4.2020).
Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko. Auch Kollektivhaft von Angehörigen - auch Kindern - oder Nachbarn ist dokumentiert, fallweise auch wegen als regimefeindlich geltenden Personen im Ausland (AA 29.11.2021). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.11.2021).
Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021). Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und Verschwundenen mit Stand September 2021 auf rund 150.000. Für das erste Halbjahr 2021 dokumentierte SNHR 972 Fälle willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen, darunter mindestens 45 Kinder und 42 Frauen. Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime. Das Regime macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) (AA 29.11.2021).
Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten. Es findet keine zuverlässige und für die Betroffenen verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Laut UNO ist in derartigen Fällen ein zentralisiertes Muster von Verlegungen in den Raum Damaskus erkennbar. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt. Häufiger werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, zu denen Familienangehörige und Anwälte in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Zugang haben. In vielen Fällen bleiben die Personen hiernach verschwunden. Unterrichtungen über den Tod in Haft erfolgen häufig nicht oder nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern, eine Untersuchung der tatsächlichen Todesumstände erfolgt in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen zu Stillschweigen verpflichtet. Die VN und IKRK haben unverändert keinen Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste und erhalten keine Informationen zum Verbleib von Verschwundenen (UNHRC 11.3.2021).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind unter anderem willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten und medizinische Einrichtungen, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Tötungen von Zivilisten und sexuelle Gewalt; Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, einschließlich Zensur (USDOS 12.4.2022). Für das Jahr 2021 lagen keine Berichte über den Einsatz der verbotenen Chemiewaffen vor. Die Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) kam jedoch zum Schluss, dass stichhaltige Gründe vorliegen, dass das Regime z.B. im Jahr 2018 in Saraqib einen Angriff mit chemischen Waffen durchführte und ebenso in drei Fällen in Ltamenah im Jahr 2017 (USDOS 12.4.2022).
Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke z.B. von E-Mails und Sozialen Medien ein. Die Syrian Electronic Army (SEA) ist eine regimetreue Hackergruppe, die regelmäßig Cyberattacken auf Websites und Überwachungen ausführt. Sie, weitere Gruppen und das Regime schleusen auch Software zum Ausspionieren und andere Schadsoftware auf Geräte von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionsmitgliedern und Journalisten ein (USDOS 12.4.2022).
Mit dem Regime verbündete paramilitärische Gruppen begingen Berichten zufolge häufige Menschenrechtsverletzungen, darunter Massaker, willkürliches Töten, Entführungen von Zivilisten, sexuelle Gewalt und ungesetzliche Haft. Alliierte Milizen des Regimes, darunter die Hizbollah, führten etwa zahlreiche Angriffe aus, die Zivilisten töteten oder verletzten (USDOS 12.4.2022).
Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen
In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UN-Kommission zu Syrien (CoI), dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten ausdrücklich nicht andere Konfliktparteien entlaste. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u.a. Free Syrian Army, Syrian National Army, Syrian Democratic Forces) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählten für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Insbesondere im Fall von Free Syrian Army, HTS bzw. Jabhat al-Nusra, sowie IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNHRC 11.3.2021).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind verantwortlich für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden. Terrorgruppen, wie die HTS, griffen gewaltsam Organisationen und Personen an, die Menschenrechtsverletzungen untersuchten oder sich für die Verbesserung der Menschenrechtslage einsetzten (USDOS 12.4.2022).
Trotz der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staates im Jahr 2019 verübt die Gruppe weiterhin Morde, Angriffe und Entführungen, darunter auch manchmal mit Zivilisten als Ziele (USDOS 12.4.2022).
Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden. Die HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der Deeskalationszone Idlib dort auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen Errettungsregierung aufgebaut. Auch unterhält die HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Scharia anwendet, sowie eigene Haftanstalten (AA 29.11.2021). In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten wurden exekutiert (ÖB 1.10.2021).
In Idlib verhaftet Hay'at Tahrir al-Sham AktivistInnen, MitarbeiterInnen humanitärer Organisationen sowie HTS kritische ZivilistInnen. Im ersten Halbjahr waren laut Syrian Network for Human Rights mindestens 57 Personen Ziel willkürlicher Verhaftungen durch HTS. In einigen Fällen verhängte HTS die Todesstrafe ((HRW 13.1.2021)). Berichtet werden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden vermeintliches unmoralisches Verhalten wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet, und 120 verletzt wurden (AA 29.11.2021) Die HTS greift in vermehrtem Ausmaß in alle Aspekte zivilen Lebens ein, z.B. durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen, Vorschreiben von Kleidungsvorschriften und Frisuren sowie durch die wahllose Einhebung von Steuern und Geldbußen. Sie beschlagnahmte auch viele Häuser und Immobilien von ChristInnen (HRW 13.1.2021).
Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der CoI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch Mitglieder der HTS, auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021)
In den von der Türkei besetzten Gebieten verletzen die Türkei und lokale syrische Gruppierungen ungestraft die Rechte der Zivilbevölkerung und schränken ihre Freiheiten ein. Im Zuge der türkischen Militäroperation Friedensquelle im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der Syrian National Army (SNA) sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen. Mit Dezember 2019 hatten die türkischen Behörden und die mit der ihre verbündete bewaffnete Gruppe - die Syrian National Army (SNA) - mindestens 63 syrische Staatsbürgerinnen verhaftet und illegalerweise in die Türkei verbracht. Dort stehen sie wegen Anklagen vor Gericht, die lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen könnten. Fünf der 63 SyrerInnen wurde bereits im Oktober 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt. In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen (HRW 13.1.2022). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut CoI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021).
Teile der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption, Rekrutierung von Kindersoldaten und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Die SDF untersuchten weiterhin die gegen sie vorgebrachten Klagen. Es lagen keine Informationen über die gerichtliche Anklage einzelner Mitglieder der SDF vor (USDOS 12.4.2022). Die SDF führen Massenverhaftungen von ZivilistInnen, darunter AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen, durch. In der ersten Jahreshälfte 2021 belief sich die Zahl der Verhafteten laut Syrian Network for Human Rights auf 369 Personen (HRW 13.1.2022). Das US-Außenministerium berichtet hingegen von "gelegentlichen" Einschränkungen von Menschenrechtsorganisationen und Schikanen gegen-Aktivisten durch die SDF und andere Oppositionsgruppen, darunter "in manchen Fällen" willkürliche Haft (USDOS 12.4.2022). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).
Nach der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Nordosten Syriens müssen die kurdisch geführten Behörden und die US-geführte Koalition noch Entschädigungen für zivile Opfer leisten, Unterstützung bei der Ermittlung des Schicksals der vom IS Entführten anbieten und sich angemessen mit der Notlage von mehr als 60.000 syrischen und ausländischen Männern, Frauen und Kindern befassen, die auf unbestimmte Zeit als IS-Verdächtige und als deren Familienmitglieder unter schlechten Bedingungen in geschlossenen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden (HRW 13.1.2022).
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Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung: 09.08.2022
Anm.: Viele der angeführten Minderheiten sind ethno-religiöse Minderheiten (z.B. armenische Christen, kurdische Jesiden) oder sie verfügen über kulturell bedingte eigene Interpretationen des Islams im Alltag (z.B. viele sunnitische Kurden). Nähere Informationen zu einzelnen Minderheiten können nach Bedarf im Rahmen von Anfragebeantwortungen geboten werden.
Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 % (USDOS 2.6.2022; vgl. MRG 5.2018a, CIA 12.8.2020), wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2,5 % nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden (USDOS 2.6.2022).
Die alawitische Gemeinschaft [Anm.: zu der Bashar al-Assad gehört] genießt weiterhin einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil, wobei auch bei AlawitInnen gilt, dass, so wie bei Angehörigen den anderen Religionsgemeinschaften, nur diejenigen, welche zum inneren Machtzirkel um Bashar al-Assad gehören, politischen Einfluss besitzen. Auch einige Sunniten gehören zur politischen Elite (USDOS 2.6.2022).
In Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit besteht die syrische Bevölkerung zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (MRG 5.2018a).
Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheitengruppen ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021).
Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere nicht für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3 % (vor dem Konflikt über 10 %) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen. – Ihre Rückkehr scheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist die Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden. Sowohl auf Seiten der regierungstreuen als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten. Aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72 %) in der (auch bewaffneten) Opposition finden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückeroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demografischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt. Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten (ÖB 1.10.2021).
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 2.6.2022). Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von schiitischen Kämpfern, z.B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang setzt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).
Dies führt dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsident Assads ihre Unterstützung aussprechen, weil sie diese als ihren Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen (USDOS 10.6.2020; vgl. USCIRF 4.2019, FA 27.7.2017). Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Auch die Alawiten sind in ihrer Unterstützung bzw. Ablehnung der syrischen Regierung nicht geeint. Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird (MRG 5.2018b). So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. Alawiten werden zudem aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 12.4.2022).
In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der islamistischen Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, inklusive Kurden, Ziele von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung. Christen wurden gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren, oder liefen Gefahr getötet zu werden (USDOS 12.5.2021). In seit 2018 bzw. 2019 türkisch kontrollierten Gebieten im Norden Syriens ist es zu Vertreibungen und Drohungen gegen Minderheiten gekommen (JP 13.6.2020; vgl. Wilson Center 7.2020).
Der sogenannte IS entführte tausende großteils jesidische, aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak und verschleppte sie nach Syrien, wo sie als Sexsklavinnen verkauft und als Kriegsbeute an IS-Kämpfer verteilt wurden. Durch die Zurückdrängung des IS wurde dessen Herrschaft über Teile der Bevölkerung beendet und seine Möglichkeit, religiöse Minderheiten zu unterdrücken und Gewalt auszusetzen, eingedämmt (USDOS 21.6.2019). Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021).
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Kurden
Letzte Änderung: 09.08.2022
Im Jahr 2011, kurz vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, lebten in Syrien zwischen zwei und drei Millionen Kurden. Damit stellten sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran (SWP 4.1.2019). Jegliche Bemühungen der Kurden, sich zu organisieren oder für ihre politischen und kulturellen Rechte einzutreten wurden unterdrückt. Die Behörden schränkten den Gebrauch der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, in Schulen und am Arbeitsplatz ein, verboten kurdischsprachige Publikationen und kurdische Feste (HRW 26.11.2009). Nach einer Volkszählung im Jahr 1962 wurde rund 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt [Anm.: Yeziden waren ebenso betroffen]. Sie und ihre Nachfahren galten den syrischen Behörden seither als geduldete Staatenlose. Die Zahl dieser Ausgebürgerten, die wiederum in registrierte (ajanib) und unregistrierte (maktumin) Staatenlose unterteilt wurden, dürfte 2011 bei über 300.000 gelegen haben (SWP 4.1.2019). Im Jahr 2011 verfügte Präsident Assad, dass staatenlose Kurden in Hassakah, die als "Ausländer" registriert waren, die Staatsbürgerschaft beantragen könnten. Es ist jedoch unklar, wie viele Kurden von dem Dekret profitierten. Laut UNHCR konnten etwa 40.000 dieser Kurden nach wie vor nicht die Staatsbürgerschaft erhalten. Ebenso erstreckte sich der Erlass nicht auf die etwa 160.000 unregistrierten, staatenlosen Kurden (USDOS 12.4.2022). Es gibt einige weitere Hindernisse für staatenlose Kurden, die die Staatsbürgerschaft erwerben wollen (DNIDC 16.1.2019).
Die kurdische Bevölkerung (mit oder ohne syrische Staatsbürgerschaft) sieht sich offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung, Repressionen sowie vom Regime gestützter Gewalt ausgesetzt. Das Regime schränkt den Gebrauch und den Unterricht der kurdischen Sprache weiterhin ein. Es beschränkt auch die Veröffentlichung von Büchern und anderen Materialien in kurdischer Sprache, kulturelle Ausdrucksformen und manchmal auch die Feier kurdischer Feste. Einheiten des Regimes und mit ihm verbündete Kräfte sowie der sogenannte Islamische Staat und bewaffnete Oppositionskräfte, wie die von der Türkei unterstützte Syrian National Army, haben während des Jahres 2020 zahlreiche kurdische Aktivisten und Einzelpersonen sowie Mitglieder der Syrian Democratic Forces (SDF) verhaftet, festgehalten, gefoltert, getötet und anderweitig misshandelt (USDOS 12.4.2022).
Lage von Kurden in Nordostsyrien
Die fehlende Präsenz der syrischen Regierung in den kurdischen Gebieten in den Anfangsjahren des Konfliktes verlieh den Kurden mehr Freiheiten, wodurch zum Beispiel die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimität der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an (MRG 3.2018). Mit Machtübernahme der kurdischen PYD in Nord- und Nordostsyrien hat sich diese bis dahin bestehende staatliche Diskriminierung von Kurden und Kurdinnen faktisch entspannt, weil die kurdische sog. „Selbstverwaltung“ keine rechtliche Unterscheidung zwischen Maktumin und Ajanib vornimmt. Zugleich wird jedoch weiterhin von Menschenrechtsverletzungen der PYD und ihrem bewaffneten Arm, der YPG, in den kurdischen „Selbstverwaltungsgebieten“ berichtet. In der Gesamtbetrachtung stellt sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten jedoch als insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.11.2021). Kurdische Milizen wurden beschuldigt, im Rahmen ihres Kampfes gegen den sogenannten IS arabische und turkmenische Gemeinschaften zu vertreiben (FH 3.4.2021; vgl. HRW 10.11.2019).
Sunnitische islamistische und dschihadistische Gruppen verfolgen häufig religiöse Minderheiten und Muslime, die sie für gottlos halten (FH 3.4.2021; vgl. HRW 10.11.2019). Siehe dazu auch Abschnitt "Religionsfreiheit".
Kurden in türkisch besetzten bzw. von pro-türkischen Gruppen kontrollierten Gebieten
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). Seit den türkischen Offensiven im Nordosten Syriens ab 2018 werden Menschenrechtsverletzungen z.B. Morde, Plünderungen, Vergewaltigungen und Enteignungen durch mit der Türkei verbündeten Gruppen vor allem gegen Kurden - einschließlich Jeziden und deren religiöse Stätten - berichtet (USDOS 2.6.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Anm.: Weiteres siehe Kapitel "Sicherheitslage", Abschnitte "Nordostsyrien" und "Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet".
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Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Letzte Änderung: 09.08.2022
Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 12.4.2022). Landesweit wurden zahlreiche Checkpoints eingerichtet. Überlandstraßen und Autobahnen werden zeitweise gesperrt (BMEIA 5.4.2022). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land (AA 5.4.2022). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile von einander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021).
Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte "Versöhnungskarte" vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Listen. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019).
Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019), bzw. ziemlich willkürlich, sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). In den Gebieten des Regimes verlangen die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste für eine sichere Passage durch ihre Checkpoints Bestechungsgeld. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben. Die ungefähr fünf Kontrollpunkte werden von verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats betrieben. Rückkehrende aus dem Libanon bezahlen Schmuggler, um die Checkpoints zu umgehen (HRW 20.10.2021).
Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken waren abgeschnitten (COAR 5.7.2021 - für nähere Informationen siehe Unterkapitel "Südsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage").
Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. Die HTS greift systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein und schreibt ihnen die Begleitung durch einen "mahram", einem nahen männlichen Verwandten, in der Öffentlichkeit vor (USDOS 12.4.2022).
Anm.: Informationen zu Zugangsbeschränkungen zu Herkunftsgebieten siehe Kapitel "Rückkehr".
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Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 09.08.2022
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Die Kosten für einen Reisepass von 800 bis 2.000 USD macht diesen für viele unerschwinglich. Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 12.4.2022). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 12.4.2022).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017) [Anm.: Für weitere Informationen zu Einreisemöglichkeiten in Nachbarländer siehe Abschnitt „Bewegungsfreiheit“ und die jeweiligen LIBs zu Libanon und Jordanien, den einzigen Nachstaaten, welche ebenfalls Mandatsgebiet von UNRWA sind [Dort finden sich auch Informationen, aus denen hervorgeht, dass ein legale Umsiedlung von staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien nicht vorgesehen ist, und auch eine etwaige UNRWA-Registrierung nicht zu einer Legalisierung des Aufenthalts oder etwa zu einem gesicherten, dauerhaften Aufenthaltsrecht führt, wie das seit Oktober 2012 geltende Einreiseverbot Jordaniens für Palästinenser illustriert].
Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 12.4.2022).
Weitere Informationen siehe Kapitel "Rückkehr".
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Rückkehr
Letzte Änderung: 10.08.2022
Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).
Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).
Hindernisse für die Rückkehr
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).
Die katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 10.2021). Viele Menschen haben ihre Häuser zurückgelassen, die mittlerweile von jemandem besetzt wurden. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst (mukhabarat) auf sie hetzen, und sie so Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021).
Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung gesehen als Leute, die davon gelaufen sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021; vgl. Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich "sauber" sind, mit dem Ziel daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021). Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).
Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Neben den fehlenden sozio-ökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB 10.2021). Die Meinungen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern sind uneinheitlich. Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, da es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden, im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat auf Social Media), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen nicht sehr ernst oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein "erweitertes Syrien", und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021). Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als "Krankheitserreger" sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).
Laut Fabrice Balanche kann man, wenn man der Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht zurückkommen, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für politische Flüchtlinge. Auch besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021). Laut Khaddour sind Entführungen, um Geld zu erpressen, nur individuelle Akte (Khaddour 24.12.2021).
Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut UNMAS sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 % der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben. Zwei Drittel der Überlebenden sind lebenslang eingeschränkt. 39 % der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 % auf landwirtschaftlichen Flächen, 10 % auf Straßen oder am Straßenrand. 26 % der Opfer seit 2019 waren Binnenvertriebene IDPs (ÖB 10.2021).
Die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums lässt sich weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus als Indikator beschränken, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen können nach geografischen Kriterien daher weiterhin nicht getroffen werden. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann insofern für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe nach Einschätzung des Auswärtigen Amts grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden (AA 29.11.2021). UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie früheren gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässige Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (UNHCR 6.2022).
Für weitere Informationen siehe auch Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".
Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern
Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang UNHCRs und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozess sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist (AA 29.11.2021). Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Auch im Jahr 2020 gewährte das Regime dem UNHCR weiterhin nur stark eingeschränkten Zugang nach Syrien. UNHCR war daher weder in der Lage, eine umfassende Überwachung der Situation von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherzustellen, noch den Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten (AA 4.12.2020). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat haben immer wieder Personen verfolgt, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021).
Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Kontrollpersonals oder praktische Probleme wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der ICG berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).
Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Aus Daten, die im Rahmen des UN-Systems erhoben wurden, geht hervor, dass 14 % der mehr als 17.000 befragten Binnenvertriebenen- und Flüchtlingsrückkehrerhaushalte während ihrer Rückkehr im Jahr 2018 angehalten oder inhaftiert wurden. Von dieser Gruppe wurden 4 % für mehr als 24 Stunden festgehalten. In der Gruppe der Flüchtlinge (die ins Ausland geflohen sind) wurden 19 % festgehalten. Diese Zahlen beziehen sich speziell auf die Heimreise und nicht auf Inhaftierungen in den Wochen und Monaten danach (EIP 6.2019). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).
Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).
Rückkehr an den Herkunftsort
Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).
Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020). Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020).
Übereinstimmenden Berichten von VN und Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) und Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn,- Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020).
Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019). So berichtet UNHCR von einer "sehr begrenzten" und "abnehmenden" Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück und davon handelte es sich bei 94% um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2019).
Weitere Informationen zu Enteignungen und der Wohnraumsituation finden sich im Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft" im Abschnitt "Wohnsituation und Enteignungen".
Bedingungen der Rückkehr
Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt - auch bei den Flüchtlingen selbst. Da al-Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).
Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzversprechen
Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Leuten, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group (ICG) stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete der DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl haben und keine Probleme mit dem Regime auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z.B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht. Es sind jedoch viele Fälle bekannt, bei denen Personen inhaftiert wurden, die offiziell nicht vom Regime gesucht wurden, und die Sicherheitsüberprüfung gemacht hatten, zum Teil um Geld zu erpressen (Balanche 13.12.2021). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, und vereinzelte Fälle von Tod in Haft (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021).
Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. Syrer aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.) stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsüberprüfung zu bekommen und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichten müssen (Üngör 15.12.2021).
Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021; vgl. Khaddour 24.12.2021). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021).
"Versöhnungsanträge"
Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten dem EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. "wasta") herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).
Rückkehrverweigerungen
Die Regierung verweigert oft manchen Bürgern die Rückkehr, während andere Syrer, die in die Nachbarländer flohen, die Vergeltung des Regimes im Fall ihrer Rückkehr fürchteten (USDOS 12.4.2022). Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. Das Regime fördert nicht die sichere, freiwillige Rückkehr in Würde, eine Umsiedlung oder die lokale Integrations von IDPs. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 12.4.2022). Einige Beobachter und humanitäre Helfer geben an, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019).
Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).
Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen
Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).
Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).
Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass die Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung für Betroffene wie Dritte extrem komplex bis unmöglich ist. Rückkehrende sehen sich mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass eine positive Sicherheitsüberprüfung keine Garantie für eine sichere Rückkehr ist. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits auch dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, absolut betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (AA 29.11.2021)
Exilpolitische Aktivitäten, bzw. nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung über im Ausland lebende Syrer und Syrerinnen
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).
Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines "Taqrir" (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).
Syrische Rückkehrende aus Libanon, Jordanien und der Türkei
Im Juli 2021 wurde die syrische Bevölkerung auf 20,4 Millionen Menschen geschätzt (CIA 22.9.2021). Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) etwa 1,8 Millionen Binnenvertriebene in Syrien. Demgegenüber kehrten in diesem Jahr rund 450.000 Binnenvertriebene zurück (UNOCHA 8.2.2021). Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen als syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens und Nordafrikas registriert. Nach Angaben des UNHCR kehrten im Jahr 2019 insgesamt rund 95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurück (UNHCR 23.9.2020), im Jahr 2020 waren es 38.200 (UNOCHA 3.2021). Weder Binnenvertriebene noch Flüchtlinge sind unbedingt in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).
Im Jahr 2017 forderten die libanesischen Behörden syrische Flüchtlinge trotz des anhaltenden Konflikts und begründeter Ängste vor Verfolgung verstärkt zur Rückkehr auf. Eine kleine Zahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Vereinbarungen nach Syrien zurückgekehrt, die jedoch nicht vom UNHCR überwacht werden. Einige Flüchtlinge erklärten, sie kehrten wegen der strikten Politik und der sich verschlechternden Bedingungen im Libanon zurück, nicht weil sie Syrien für sicher hielten. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen ohne Rechtsgrundlage und ohne ordnungsgemäßes Verfahren gewaltsam vertrieben. Zehntausende sind weiterhin von Vertreibung bedroht (HRW 17.1.2019). Die libanesischen Statistiken weisen darauf hin, dass Syriens Sicherheitsapparat bisher lediglich 20 % der AntragstellerInnen für eine Rückkehr aus dem Libanon eine Heimkehrerlaubnis gewährt hat (Qantara 2.2.2022).
Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 1.10.2019; vgl. SD 6.5.2020), ist aufgrund der Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien bisher nur eine geringe Zahl von Syrern nach Syrien zurückgekehrt (SD 6.5.2020). Im Jahr 2021 normalisierten mehrere Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien trotz der Menschenrechtsverletzungen in Syrien ihre Beziehungen zum syrischen Regime. Dabei wurden Kooperationszusagen gemacht, welche die Frage einer verfrühten Rückkehr von Flüchtlingen und das eventuelle Ermöglichen von Menschenrechtsverletzungen aufwarfen (HRW 13.1.2022).
Die Türkei beherbergt fast 3,65 Millionen syrische Flüchtlinge (DGMM 3.2.2021). Im Juli 2019 änderte sich die Haltung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Die türkischen Sicherheitskräfte begannen, syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben, und sie in die türkischen Provinzen zurückzuschicken, in denen sie registriert waren. Sie fingen damit an, einige von ihnen abzuschieben, und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). NGO-Berichten zufolge haben die türkischen Behörden immer wieder Flüchtlinge inhaftiert, und sie gezwungen, "freiwillige" Rückkehrdokumente zu unterschreiben, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020). Auch die Organisation Syrians for Truth and Justice erhob in ihrem jüngsten Bericht vom Februar 2022 ebenfalls diesen Vorwurf (STJ 14.2.2022).
Für nähere Informationen siehe auch COI-CMS-LI Türkei, Kapitel "Binnenvertriebene und Flüchtlinge" sowie zur völkerrechtswidrigen Verbringung von syrischen Gefangenen in die Türkei und deren dortige Verurteilung siehe Kapitel "Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland".
[…]“
1.3.2. EASO Information Report „Syria Situation of Returnees from abroad“, Juni 2021:
„[…]
1. Overview of the patterns of return
1.1 Introduction
In November 2020, the GoS hosted an international conference in Damascus on the return of refugees to Syria. Prior to the controversial two-day event, which was sponsored by Russia, Russia’s President Vladimir Putin claimed that large parts of Syria were relatively peaceful, urging Syrian refugees to come back home and rebuild the war-torn country. About twenty countries sent representatives to attend the conference, including Russia, Iran and China. The EU boycotted the event, arguing that the situation in Syria was not conducive to a safe, voluntary, dignified and sustainable return of refugees. To make its stance clear, the EU pointed out that the Syrian authorities continued to violate human rights, including forced conscription, indiscriminate detention, forced disappearances, torture, physical and sexual violence and discrimination in access to housing, land and property (HLP). Thus, the EU regarded the conference on return as premature. UNHCR and the US also boycotted the event.
1.2 Return from the EU
Eurostat’s database does not provide statistics on how many Syrians and stateless persons from Syria have returned from the EU to Syria in 2020. The available information about Syrians returning from the EU to Syria is scant and remains anecdotal and fragmented in nature. In 2020, for instance, 137 Syrian refugees returned voluntarily from Denmark to Syria, each receiving about GBP 22 00013 from the Danish government. Denmark is home to 35 000 Syrians. During the same year, ten Syrian nationals invoked the assistance of the Repatriation and Departure Service, which is part of the Netherlands Ministry of Justice and Security, to return voluntarily from the Netherlands to Syria. The Netherlands are home to 77 000 Syrians. All ten returnees flew to Damascus. Eight of them received additional support from Solid Road, a Dutch NGO supporting (former) asylum seekers and people without residence permits to return voluntarily from the Netherlands to their country of origin. According to Solid Road, these eight returnees had grown disillusioned about finding a place in Dutch society. All of them originated from Damascus and returned to the capital of Syria, travelling on a Syrian national passport. Five returnees constituted one nuclear family, comprising two parents and three underage children. When renewing their passports at the Syrian Embassy in Brussels, Belgium, they had to sign a declaration stating that they had left Syria because of the war situation, not because of the Syrian authorities. As far as is known, the other three returnees did not have to sign such a statement. Upon arrival at the airport in Syria, the authorities asked the returnees routine-like questions such as: ‘Where do you come from? Why have you fled? Why have you returned?’ As of 12 March 2021, none of the returnees reported any personal problems with the Syrian authorities to Solid Road.
Unlike the returnees mentioned above, most Syrian refugees in the EU do not consider returning to Syria in the (near) future. The Day After (TDA)21, for example, conducted a survey among 1 600 Syrians residing in Germany, France, the Netherlands and Sweden. 66.1 % of the respondents indicated that they would not seriously consider returning to live in Syria if conditions become stable. Those who expressed their unwillingness to return to Syria pointed out various barriers to return, including the unavailability of basic services (such as education, health care and social security) and the current GoS that has remained in power. The Netherlands Institute for Social Research conducted a survey among 2 544 Syrians who had been given a residency status based on asylum or family reunification between 1 January 2014 until 1 July 2016. 99.5 % of the respondents indicated their intention to continue residing in the Netherlands in the two forthcoming years. One of the prime reasons for Syrians to remain in the Netherlands is the country’s security, according to the findings of the aforementioned survey.
On 11 March 2021, the European Parliament adopted a resolution on the Syrian conflict, concluding that ‘Syria is not a safe country to return to.’ In addition, the resolution called upon all EU Member States ‘to refrain from shifting national policies towards depriving certain categories of Syrians of their protected status and to reverse this trend if they have already applied such policies’.
1.3 Return from neighbouring countries
1.3.1 Introduction
Like the Syrian refugee population in the EU, most Syrian refugees in the neighbouring countries do not consider to return to Syria in the near future. Between February and March 2021, UNHCR conducted a survey among 3 201 Syrian respondents in Egypt, Lebanon, Jordan and Iraq. Ninety per cent indicated their intention not to return to Syria within the next twelve months. The three main reasons for not returning were a lack of livelihood/work opportunities, a lack of safety and security and a lack of adequate housing and/or concerns over property/housing. Other reasons for not returning were to avoid the military service and an inadequate provision of basic services. In the following sub-paragraphs, the process of return from Turkey, Lebanon and Jordan, which are the neighbouring countries harbouring the largest Syrian refugee populations, will be discussed in more detail.
1.3.2 Return from Turkey
In mid-October 2020, the Turkish Minister of Interior stated that over 414 000 Syrians had returned voluntarily to Syria. He attributed this development to Turkey’s cross-border military interventions in Syria, which had created a so-called ‘safe zone’ controlled by Turkey and its Syrian allies. The Minister did not make clear, however, whether the Syrians who had been ‘resettled’ in this buffer zone alongside the Turkish-Syrian border actually originated from this area. UNHCR recorded 16 805 voluntary returns from Turkey to Syria in 2020 and 5 124 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.
During the report’s reference period, sources reported that Syrians were forcibly returned by the Turkish authorities to Idlib, a governorate in north-western Syria which is largely controlled by Hayat Tahrir al-Sham (HTS), a jihadist organisation. The Turkish authorities denied having deported Syrians to Syria and during the report’s reference period, Turkey reaffirmed its commitment to a safe and voluntary return of Syrians to Syria.
Studies showed that there is a strong desire among the Syrian refugee population in Turkey to return to Syria at some point in the future. In April 2020, TDA published a survey report about perceptions on return to Syria among Syrian refugees in Turkey. Having conducted a survey among 2 002 Syrian citizens, it turned out that 74 % of the respondents desired to return to Syria in the future. However, the survey also made clear that those who desire to return to Syria would only like to do so on particular conditions. Of the 74 % who wanted to return to Syria, 71 % stated that their return must be to the place of origin within Syria (returning to one’s place of origin is not always possible as will be discussed in Section 4.1: Access limitations to areas of return). About the same percentage (70 %) indicated that they would return to Syria provided the current GoS has been overthrown. 60 % would return to Syria provided the war has come to an end.
1.3.3 Return from Lebanon
The majority of Syrians in Lebanon have not complied with the Lebanese residency requirements. During a survey among 579 Syrians in Lebanon, Refugee Protection Watch (RPW) found out that 58.4 % of the respondents did not enjoy legal residency in Lebanon. For Syrians in Lebanon there are several ways to return to Syria, including self-organised returns and group returns organised by the General Security Office (GSO) of the Lebanese Ministry of Interior. The last GSO-organised group return took place on 13 February 2020. Another actor that has been involved in organising returns from Lebanon to Syria is Hezbollah, a militant Shia movement that is allied to the GoS and the military wing of which has been designated as a terrorist organisation by the EU. Sources noted that there is little information available about procedures and practicalities of the Hezbollah-facilitated returns.
There are several obstacles for Syrians to return from Lebanon to Syria, one of them being the challenge to regularise one’s residency status to legally exit Lebanon. As mentioned previously, most Syrians in Lebanon have not regularised their residency status. In order to leave the country legally, members of this group need to pay a fee for each year having overstayed their residency permit, amounting to 300 000 Lebanese Pound (LBP) per year (according to CoinMill46, an online currency convertor, LBP 300 000 amounted to EUR 166.47 on 12 March 2021). Those who officially entered Lebanon before 5 January 2015 and overstayed their residency permits will not receive a re-entry ban upon exiting the country. Those who entered Lebanon after 5 January 2015 and overstayed their residency permits will receive a re-entry ban for one year upon leaving the country. Those who fail to pay the fee for having overstayed their residency permits are allowed to exit Lebanon, but they will be issued a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. All returnees who have entered Lebanon illegally need to pay a fine for their illegal entry, amounting to LBP 600 000, and will be given a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. An anonymous source, however, remarked that the application of the aforementioned regulations seems to be inconsistent at times.
The mandatory security check constitutes another obstacle to overcome. When participating in a GSO-facilitated return, the GSO will conduct a security check in conjunction with the Syrian authorities, forwarding the returnee’s personal details to the Syrian authorities. The latter subsequently informs the GSO which persons have received a security clearance. The publicly available percentages of rejected and approved applications vary. In September 2018, the GSO’s General Director stated that on average 10 % of the applicants are denied security clearance by the Syrian authorities. During an interview with the International Crisis Group (ICG) in August 2019, however, a senior Lebanese security official stated that the average approval rate is around 80 %. A journalist and humanitarian agency researcher told ICG that for applicants hailing from opposition strongholds, the approval rate is nearly zero.
Another obstacle is the compulsory fee to be paid to the Syrian authorities when entering Syria. Each Syrian national entering Syria must exchange USD 100 for Syrian pounds (SYP) at the official rate. This decision was issued by the GoS on 8 July 2020 and took effect as of August 2020. Minors as well as truck and public vehicle drivers are said to be exempted from this compulsory measure. However, according to one anonymous source, effective implementation of these exemptions is still pending and therefore it remains unclear if and how this will be applied in practice.
The COVID-19 pandemic also obstructed the process of return from Lebanon to Syria. On 22 March 2020, the Syrian authorities closed the land crossings between Lebanon and Syria. As a result, Syrians who had left Lebanon got stuck in the buffer zone between both countries. The numbers of stranded returnees in no man’s land vary between 7 000 and 13 000 individuals. From time to time, the Syrian authorities would arbitrarily allow some returnees to enter Syria and go into quarantine. Some groups of returnees remained stuck between the Lebanese and Syrian border crossings for weeks, facing a lack of food and water. Some did not wait to be allowed entry by the Syrian authorities and sought to enter Syria illegally instead. At the time of writing, there were no reports of Syrians being stuck at the Lebanese-Syrian border.
The GSO has not published any figure in regard to returns in 2020. UNHCR recorded 9 351 voluntary refugee returns from Lebanon to Syria in 2020 and 762 voluntary refugee returns during the first three months of 2021. However, the extent to which these returns are truly ‘voluntary’ in nature has been questioned. During the report’s period of reference, Lebanon was struck by a series of setbacks: the COVID-19 pandemic, the Beirut Port explosion and financial, economic and political crises. Syrian refugees were among the most vulnerable and impoverished groups in Lebanese society, since many had neither legal residency nor a durable income. According to an assessment made by three UN branches, the percentage of Syrian refugee households living under the extreme poverty line increased to 89 % in 2020. The same survey made clear that half of the Syrian refugee population in Lebanon was food insecure. Facing unemployment, food insecurity and discrimination, some Syrians in Lebanon felt they had no choice but to return to Syria.
1.3.4 Return from Jordan
UNHCR recorded 3 466 voluntary refugee returns from Jordan to Syria in 2020 and 1 345 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.69 Sources also reported on cases of Syrians who were forcibly returned from Jordan, but no information on their treatment in Syria was available. Unlike their Lebanese counterparts, the Jordanian authorities do not organise voluntary group returns for Syrians.
Syrians need to comply with various requirements in order to return from Jordan to Syria. Syrian returnees are required to present a Syrian passport or a Syrian laissez-passer (LP)72 when returning from Jordan to Syria. According to an international humanitarian organisation working in Syria, when a Syrian returnee applies for a passport or LP at the Syrian Embassy in Amman, his/her name will be run into a centralised database to verify whether the person has links to any opposition or ‘terrorist’ groups.
Apart from having a passport or an LP, a returnee needs to obtain a security clearance at the Syrian Embassy in Amman. According to the same international organisation working in Syria, during this security screening, information on the applicant, family members and perhaps extended family is being checked by the Syrian authorities.
In addition, a returnee needs to have a negative polymerase chain reaction (PCR) test result, which is no older than 96 hours. A PCR test can be obtained for free at a Jordanian hospital. Additionally, returnees need to sign a declaration that upon return, they will go into home quarantine for five days. Like Syrians returning from Lebanon to Syria, every adult returning from Jordan to Syria must exchange USD 100 upon return.
A Syrian who has left Jordan on a Syrian LP cannot re-enter Jordan using this type of travel document. Syrian passport holders can (re-)enter Jordan provided they comply with a set of requirements:
• having a valid passport;
• having a security approval;
• having an entry or exit/entry permit.78
2. Consequences of illegal exit and having applied for asylum abroad
2.1 Consequences of illegal exit
Previously, illegal exit from Syria would lead to punishment by means of imprisonment and/or fines. However, on 26 March 2019, the Syrian Ministry of Interior issued circular No. 342, waiving the aforementioned punishment. Having exited Syria illegally, however, remains a matter that needs to be settled through a formal procedure, variously referred to as ‘status settlement’ or ‘security clearance’, prior to one’s return to Syria. This procedure will be discussed in more detail in Chapter 3: GoS return policy and practice.
A Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned explicitly that a person who has exited Syria illegally cannot initiate any legal procedure inside Syria. If a returnee goes back to Syria without having settled his or her illegal exit first, he or she will be sent to a military prison or military security branch straight away, according to the same expert. However, it has also been documented that some returnees who did settle their illegal exit prior to return were nonetheless arrested upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.
2.2 Consequences of having applied for asylum abroad
No unambiguous answer could be found to the question about how those having applied for asylum abroad will be treated upon return. General Naji Numeir, the Chief of the Syrian Immigration and Passports Department, told the DIS during an interview held in November 2018 that returnees would not be prosecuted or arrested upon return for obtaining asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent.
A Syria expert at the European Institute of Peace (EIP) believed that having applied for asylum abroad might be something to settle through a formal procedure which will be discussed in more detail in in Chapter 3: GoS return policy and practice. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC reported that it varies from case to case. This expert knew of former asylum seekers who did not experience any personal problems with the Syrian authorities upon return, whereas other former asylum seekers were either killed or forcibly disappeared by the Syrian authorities upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.
2.3 Monitoring of the Syrian diaspora by the Syrian authorities
It has been established by several sources that Syrians abroad are to a certain extent monitored by the Syrian authorities. SJAC, for instance, obtained Syrian government documents, exposing that the Syrian embassies in Spain and Saudi Arabia were involved in collecting information about dissident members of the Syrian diaspora and forwarding this information to various intelligence directorates in Syria. According to a Syria expert at the EIP, activists and civil society organisations are extensively monitored by the Syrian authorities.
According to a Syria expert at the EIP, Syrians in the diaspora are being monitored in two ways: informally and formally. The informal way of monitoring involves individuals reporting others to the Syrian authorities. These informants are not officially employed by the security branches, but report others in order to appear loyal to the GoS. In doing so, they seek to ward off any possible negative attention that might be directed at themselves. The formal way of monitoring involves state institutions like embassies and security branches collecting information about dissident Syrians residing abroad. The source consulted had knowledge of social media accounts and social media groups of Syrians living abroad being monitored by security branches.
Jusoor for Studies states that the Syrian authorities have deployed intelligence agents and informants in the countries of asylum, including the EU and Turkey, to monitor Syrians in the diaspora and report on them on a weekly basis. These agents and informants are affiliated to different security branches: 4th Division Security Bureau, Branch 279 of the General Intelligence Department, Branch 297 of the Military Intelligence Division, the Air Force Intelligence and Branch 300. Thus, according to Jusoor for Studies, political and humanitarian activists who are considering to return to Syria are at great risk.
3. GoS return policy and practice
3.1 Introduction
Returnees from abroad as well as internally displaced persons (IDPs) from opposition-held areas need to be cleared by the Syrian authorities in order to return to government-controlled Syria. Omran for Strategic Studies notes that the government’s security forces require all returnees to attain security permits prior to returning and that many returnees were reportedly arrested for not possessing the requested documents.
In the existing literature on formal returns to government-held Syria two prominent notions come to the fore: ‘security clearance’ (Arabic: muwafaka amniya) and ‘status settlement/adjustment’ (Arabic: taswiyat Wada’). According to the DIS, the application for a security clearance is a process through which the Syrian authorities cross-check whether a person is on any wanted list and is to be considered a security threat, whereas settling one’s status involves a process in which a person settles his/her outstanding security issues with the Syrian authorities, like having left the country illegally, having participated in an anti-government demonstration or having evaded the military service.
The sources consulted for this report, however, mentioned that there was no clear distinction between applying for a security clearance and settling one’s status. If a Syrian residing in a neighbouring country or in an EU Member State wants to return legally to government-held Syria, he or she will have to apply at a Syrian diplomatic mission. During this procedure, which is variously referred to as ‘security approval’ or ‘status settlement’, the applicant is being checked by the Syrian authorities in one way or another. From now onwards, this report will only use the term ‘security clearance’ in a generic way for the purpose of clarity. According to Suhail Al-Ghazi, only those who have left Syria legally, are not wanted by the Syrian authorities, and still possess a valid passport, are not required to apply for a security clearance in order to return to Syria.
It is common practice for those considering to return to Syria to find out first whether they are on any wanted list of Syria’s security branches before applying for a security clearance. They seek to do this through their informal network of personal connections, a practice popularly referred to as wasta. It should be stressed, however, that collecting information through the practice of wasta is not exhaustive. Therefore, if a returnee finds out through wasta that he or she is not wanted by the Syrian authorities, there is no guarantee that he or she will not be arrested and detained upon return.
3.2 The procedure itself
A security clearance can be applied for in two ways. One, the returnee lodges an application at a Syrian embassy or consulate himself or herself. Two, a first-degree relative of the returnee applies on behalf of the returnee inside Syria. The sources consulted gave conflicting information about the government agency where the returnee’s relative is supposed to apply. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi mentioned the Syrian Ministry of Foreign Affairs in Damascus, whereas Urnammu for Justice and Human Rights mentioned the Immigration Department or one of its branches in the governorates.
If a relative in Syria applies on behalf of the returnee, the relative will be required to prove the family ties by submitting a document like a family booklet or a family extract from the civil registry office. The relative is not required to submit a power of attorney.103 Relatives in Syria need to pay a fee. Suhail Al-Ghazi believes that the Syrian Ministry of Foreign Affairs will charge a fee ranging from SYP 5 000 to SYP 15 000 (according to CoinMill, an online currency convertor, SYP 5 000 and SYP 15 000 amounted to EUR 3.35 and EUR 10.06 respectively on 8 April 2021).
As for applications at Syrian diplomatic missions, these are for free, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi, although one needs to pay a bribe in order to get an appointment. Urnammu for Justice and Human Rights, however, states that one needs to pay a consular fee amounting EUR 46 when applying for a security clearance at a Syrian diplomatic mission.
To complete the application for a security clearance, so-called ‘return’ or ‘reconciliation’ forms need to be filled out. When filling out such forms, the returnee is required to write down his or her personal details and provide information on whether he or she has participated in any anti-government activities, whether his or her relatives have engaged in any anti-government activities or have been detained, whether he or she knows of any ‘terrorists’ and/or ‘terrorist activities’, and so on. According to a Syria expert at the EIP, these forms constitute an unwinnable situation for applicants. If the applicant answers ‘yes’ to any of the security-related questions asked, he or she will incriminate himself or herself and/or others. However, if the applicant answers ‘no’ to any of the security-related questions, he or she fails to fulfil his or her citizen’s duty to report ‘terrorism’ to the Syrian authorities. After a decade of widespread armed conflict, the authorities will not find it likely that one is not aware of any security threat against the GoS.
Regardless of whether the application has been submitted by the returnee or a relative, it will be forwarded to Syria’s security apparatus. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC specifies that applications for a security approval are being forwarded to the military security branch 291 based in Damascus. The security personnel will check whether the returnee has been involved in (armed) opposition against the GoS, whether the returnee has left the country legally or illegally, whether the returnee has posted and/or liked posts on the social media that are critical of the GoS, whether any of the returnee’s relatives have been detained, and so on.
The duration of an application varies from one month to up to six months. The sources consulted gave contradictory information about the type of document that was given by the Syrian authorities to a returnee upon approval of his or her application. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights, the LP itself served as a document confirming that a security clearance has been granted. Suhail Al-Ghazi, however, stated that the returnee would receive a so-called taswiyat Wada’ document that was stamped by the Syrian Ministry of Interior, having a validity for a period of six to twelve months.
If a relative has applied on behalf of a returnee and the security clearance has been granted, there are two different methods for the returnee to obtain the written approval, according to the sources consulted. According to Suhail Al-Ghazi, the relative will receive a document mentioning the returnee’s name, information and case number. The relative subsequently transmits the relevant data mentioned on this document to the returnee. Upon entering Syria at the airport or over land, the returnee can mention the aforementioned data to the Syrian authorities, which will subsequently print and issue the taswiyat Wada’ document. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, the relative receives the LP and sends it by an express shipping service to the returnee living abroad.
The sources consulted gave conflicting information whether applications for a security clearance would be denied by the Syrian authorities in some cases. Suhail Al-Ghazi, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights mentioned that the Syrian authorities were not inclined to deny security clearances to returnees. On the contrary, according to these sources, the Syrian authorities would be interested in persuading dissident returnees to come back home only to arrest them upon return; either to quell their anti-government activism or to extort money from their families.
A Syria expert at the EIP, however, had knowledge of Syrian refugees who had their applications rejected. The same expert stated that the reasons for rejecting an application are infinite, including posting and/or liking statements on social media that are critical of the GoS, having a relative in detention, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS, hailing from a former opposition stronghold, and so on. This information seems to resonate with other sources of information. ICG spoke to sources who made it clear that not all applications for a security clearance lodged in Lebanon were approved, as has been discussed in Section 1.3.3 Return from Lebanon. In September 2019, the Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center reported that hundreds of Syrians in Lebanon had applied, yet only a fraction was allowed to return to Syria.
Finally, according to a Syria expert at the EIP and Urnammu for Justice and Human Rights, the processing of applications for a security clearance is an arbitrary and non-transparent affair. Therefore, the precise requirements for obtaining a security clearance remain unclear. Urnummu for Justice and Human Rights mentioned that sometimes a security clearance is issued after a bribe has been given or when the applicant happens to know an influential person within the GoS.
4. Potential obstacles to return
4.1 Access limitations to areas of return
A security clearance granted by a Syrian embassy or consulate to a returnee only serves the purpose of permitting the holder to enter Syria. A security clearance does not guarantee a returnee to physically access his or her place of origin inside government-held Syria. Returning to one’s place of origin inside government-controlled Syria involves another trajectory, which is managed by local power brokers like municipal authorities or local government-supporting militias. Procedures to obtain a permission to enter one’s place of origin vary from place to place and from actor to actor. As local power dynamics are shifting over time, the varying procedures are also subject to change.
To make matters more complicated, a security clearance issued by one government-aligned entity inside Syria may be considered invalid in areas controlled by other government-affiliated entities. This can be attributed to the fragmentation of the government’s security apparatus, limiting mobility to areas controlled by specific government-aligned security entities.
During the report’s period of reference, the UN observed that the Syrian authorities routinely denied Syrians return to their places of origin, most notably in formerly besieged areas that had been retaken by the Syrian armed forces. Some sources stated that some groups of returnees were denied access to a particular area of origin, because of their ethnicity, religion and/or political orientation. Suhail Al-Ghazi, for instance, mentioned that some Iranian-backed militias kept Sunni returnees, who are deemed disloyal to the GoS, out of particular areas in order to alter the area’s demographic composition in favour of the Shia community. It has been reported, for instance, that Hezbollah prevented displaced residents of Sunni origins from returning to Qusair in Homs governorate and Zabadani in Rif Dismashq (Rural Damascus) governorate. Al Jazeera was told by some Palestinian activists that only pro-government Palestinians were allowed by the Syrian authorities to return to Yarmouk, a camp for Palestinian refugees that got largely destroyed by the war. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, remarked that swaths of government-held Syria were not accessible to the general public anyhow and that the denial of access to these areas was not only aimed at particular groups of returnees.
Further information on internal mobility and areas within Damascus governorate where access is limited is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
4.2 Civil documentation and nationality
Lacking civil documentation does not necessarily obstruct the process of return itself, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC. Those who do not have a passport or whose passport got expired, for instance, can apply for an LP at a Syrian diplomatic mission abroad.
However, a lack of civil documentation can certainly frustrate a returnee upon return when seeking to access government services, initiate legal procedures and file property claims. Family booklets and family extracts, for instance, grant the holder access to public services, including education, health care and emergency assistance. Loss of such documentation could lead to the refusal of the aforementioned services. The Norwegian Refugee Council (NRC) reported that many Syrian refugees living in Turkey, Lebanon, Jordan and Iraq do not possess legal and civil documentation to support their HLP rights, which constitutes a challenge for those considering to return voluntarily to Syria. For more information about HLP rights in relation to return, please read Section 4.3 Housing, land and property rights.
Another issue that could pose a stumbling block to one’s return is Syria’s nationality law. According to Article 21(E) of the aforementioned law, a citizen may be deprived of the Syrian nationality in case it has been established that the person has left Syria illegally for another country which is in a state of war with Syria. A citizen may also be stripped of the nationality if the person has been away for more than three years in a non-Arab country without communicating with the Syrian authorities, according to Article 21(G). When asked about practical implementation of Article 21, a Syria expert at EIP stated that it is unclear which countries the GoS regards itself at war with, but Article 21(E) could be applicable to those having left illegally for Turkey, a country that supports armed actors opposing the GoS. Neither is Syria’s nationality law clear about which countries are regarded as ‘non-Arab’, but according to a Syria expert at EIP, Article 21(G) could apply to returnees coming from Turkey, the EU, the US, Canada and Latin America who have been abroad for more than three years without having communicated with the Syrian authorities. At the time of writing, however, no further information has been found on whether Article 21 of the nationality law was being implemented within the context of return and if so, how and against whom.
Further information on civil documentation is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
4.3 Housing, land and property rights
The government’s violations of Syrians’ HLP rights pose another stumbling block for IDPs and refugees to return. Since 2011, the GoS has enacted a series of laws and administrative decisions to legitimise the expropriation of properties. The GoS, for instance, enacted urban development legislation, purportedly to rebuild or redevelop informal settlements. In reality, however, these urban development projects served as a pretext to evict the pre-dominantly pro-opposition residents from their homes in favour of wealthy elites having close ties to the GoS.
The Syrian authorities also confiscate houses and property of detainees (including those who have not been convicted yet), displaced persons and human rights activists within the framework of anti-terrorism and national security legislation, thus using the seizure of houses and property as a means to target and punish detainees, opponents and human rights activists. The GoS also expropriates houses in order to give to members of the Syrian military and to sell to Iranian militias supporting the GoS.
It has also been reported that government-aligned militias have confiscated houses and properties. For instance, it was reported that Liwa Al-Quds, a pro-government militia consisting of Palestinians, confiscated homes and shops of (perceived) pro-opposition Palestinians in Neirab, a Palestinian refugee camp in the northern governorate of Aleppo. Two years ago, pro-Iranian Shia militias confiscated farmlands near Mayadeen, a city in the eastern governorate of Deir-ez-Zor. Up to now, the original residents cannot enter this farm area harbouring palm and olive groves.
Further information on HLP issues in Damascus governorate is available in Section 3.5 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
5. Treatment upon return
In its April 2020 report on internally displaced persons, returnees and internal mobility, EASO cited various sources stating that returnees had been arrested, detained and tortured by the Syrian authorities upon return, including those who had settled their status. This type of treatment of returnees has continued to be reported by sources consulted during this report’s period of reference. Since the beginning of 2020, for instance, the Syrian Network for Human Rights (SNHR) documented at least 156 cases of arrest of returnees, including 89 cases of arrest targeting returnees from outside Syria.
The sources consulted for this report stressed that obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria. Urnammu for Justice and Human Rights, for instance, has documented cases of returnees who obtained a security clearance prior to return, but were nonetheless subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return.
Moreover, it should be borne in mind that a security clearance merely permits a returnee to enter Syria. In addition to a security clearance, it is common for returnees to receive a written instruction to visit a particular security branch upon return. This type of document is known as Waraket Mourajaa and is either issued to a returnee at a Syrian diplomatic mission or upon entering Syria. Visiting a security branch brings along the risk of getting interrogated, arrested, detained, tortured and/or forced to become an informant, government soldier or pro-government militia member. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, this practice puts the returnee in an unwinnable situation. If the returnee presents himself or herself at the security branch in case, he or she might get exposed to serious harm. However, if the returnee does not adhere to the written instruction to visit a security branch, an arrest warrant will be issued against him or her.
Several sources consulted mentioned in the footnotes below confirmed that the Syrian authorities continue to arrest, (temporarily) detain, interrogate, torture and/or pursue returnees by terrorism courts upon return. According to these sources, the following groups are particularly at risk to experience one or more of the aforementioned forms of treatment upon return:
• those having engaged in anti-government protests and/or who are opposition members;
• those whose relatives have engaged in anti-government protests and/are opposition members;
• those having a security record and/or are on a wanted list;
• those having exited Syria illegally;
• those hailing from former opposition strongholds;
• those returning from countries that are deemed hostile to the GoS;
• those who still need to serve in the military;
• women and children whose husband, father and/or brother went missing.
With regard to the Syrian government’s negative perception of those hailing from former opposition strongholds, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned the cases of two returnees who originally came from Damascus. Upon return they received a waraket mourajaa, instructing them to visit a particular security branch. For two months, both returnees were sent from one security branch to another and each time they found themselves paying a bribe in order to avoid arrest. Thus, hailing from an area that has been under government control throughout the conflict does not necessarily guarantee a safe return to government-held Syria, the expert stressed.
As mentioned in Chapter 3. GoS return policy and practice, persons who evaded the military service have to undergo the process of settling one’s status with the Syrian authorities before returning. With respect to those who have settled their draft evasion prior to return, these returnees are still required to serve in the Syrian armed forces upon return, unless they fit in one of the categories of people that can be exempted from the military service.
Detailed information on the situation of draft evaders and military service in the Syrian Arab Army is available in the EASO COI Report: Syria - Military service (April 2021).
Another factor impacting the treatment of returnees is the highly fragmented nature of Syria’s security apparatus. For instance, there are four main security branches: the Air Force Intelligence Directorate, the Military Intelligence Directorate, the Political Security Directorate, and the General Intelligence Directorate, the latter also known as the National Intelligence Directorate. According to several sources, this could lead to a situation in which persons, returnees included, have been cleared by one intelligence directorate, but are still wanted by another intelligence directorate. Thus, it is difficult, if not impossible, for one to determine where he or she stands in relation to Syria’s security apparatus.
To add more confusion to the picture, Syria’s security apparatus is inconsistent in its treatment of returnees. For instance, Jusoor for Studies had knowledge of returnees who were arrested because their relatives were wanted. Yet, the same expert also knew returnees who had family members on a wanted list and who were nonetheless not arrested.
In its February 2020 report on the situation of Syrians in Lebanon, ICG concluded that there is no certainty about who is safe from arrest upon return, because the authorities’ concept of who is an opponent is not always clear or can change over time. This conclusion made by ICG was corroborated by several interviews with experts. A Syria expert at the EIP mentioned that in some cases the lack of an exit stamp in one’s passport will not cause an immediate problem upon return, but could nevertheless be used against the returnee by the Syrian authorities later on. Jusoor for Studies and Urnammu for Justice and Human Rights stated that some returnees are directly arrested upon return, whereas others are arrested within one month or one to two months after their return.
The return of Mazen al-Hamada from the Netherlands to Syria constitutes an example of the risks activists might be exposed to when returning to Syria. Prior to his arrival in the Netherlands in 2014, Hamada had been arrested three times by the Syrian authorities. Upon his third and last arrest, Hamada was detained for one and a half year at a prison in Damascus where he was subjected to various forms of torture. During his stay in the Netherlands, Hamada spoke openly about his experiences as a torture survivor, testifying against the Syrian authorities at the International Criminal Court (ICC) in The Hague. For unclear reasons, Hamada settled his status at the Syrian Embassy in Berlin, Germany and returned to Syria in February 2020.176 After having arrived at the airport in Damascus, no one heard from him anymore, making many believe that he was forcibly disappeared by the Syrian authorities. According to Jusoor for Studies, Hamada was imprisoned at Sednaya Prison and referred to the Terrorism Court.
1.3.3. Asylländerbericht der Österreichischen Botschaft (ÖB) Damaskus, Ende September 2021:
I. Aktuelle sicherheitspolitische/militärische sowie politische Entwicklungen; sozioökonomische Lage
Die Regierung konnte ab 2015 primär mit Unterstützung von Russland (RU) und des Iran (IR) von Rebellen sowie dem IS gehaltenen Gebiete zurückgewinnen und ihre Präsenz konsolidieren. Mittlerweile lebt 66% der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Territorien.
Außerhalb der Regierungskontrolle befindet sich der Norden des Landes: im Nordwesten sind die Türkei (TR) und und von der Türkei teils unterstützte bzw. geschützte Rebellengruppen (Idlib) präsent. Dort war der bewaffnete Konflikt bis Anfang März 2020 virulent. Die Fronten verlaufen zwischen der TR und von ihr unterstützten Milizen sowie der syrischen Armee, die von RU mit Luftangriffen unterstützt wird. Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Präsenz zehntausender radikal-militanter Kämpfer, insb. der Hayat-Tahrir al Sham (HTS), ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen. Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar Anfang März zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die TR verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die TR-Verwaltung auf die besetzten SY-Gebiete aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen ist eine Zunahme RU-Luftangriffe und SY-Angriffe auf NW-SY festzustellen.
Ungeachtet der Anfang Oktober 2019 erfolgten TR-Militäroffensive in den Nordosten Syriens, die dritte nach den Militärinvasionen im Nordwesten im August 2016 und im Jänner 2018, und der Besetzung des mittleren Grenzabschnitts bis zur strategischen Verkehrsverbindung M 4 Aleppo-Qamischli, werden weite Teile weiterhin militärisch und zivil von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) bzw. den kurdischen Autonomiebehörden kontrolliert. Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus. Die TR stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jessiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Auf Grund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an. Die Konfliktintensität hat sich im letzten Jahr merklich verringert. Seit knapp mehr als drei Monaten ist jedoch eine deutliche Zunahme der Zahl der Anträge auf Familienzusammenführung, insbesondere aus der Provinz Hasakeh (NO-SY), mehrheitlich durch Kurden, festzustellen. Eine genauere Prüfung der Entwicklung und ihrer Hintergründe sowie eine genauere statistische Erfassung erscheint zweckmäßig.
In den von der TR beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG).
Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt. Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin die knapp 30 Lager mit 11 000 internierten IS Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in Al Hol mit knapp 60 000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9000 aus anderen Ländern inkl. Österreich). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee.
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch; diese werden seit 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet.
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu:
Im Zentralraum, insb. in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht Umgebung) Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee.
Im Süden des Landes (Daraa, Suweida) kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und vormaligen Rebellen, die im Rahmen von sogenannten „reconciliation“ Vereinbarungen demobilisierten, und zu Demonstrationen auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation.
Die Küstenregion ist im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont geblieben. Im Norden (Hinterland von Latakia) kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konfliktes von Idlib aus.
Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und TR-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil.
Erhebliche Imponderabilien stellen auch die erwähnten Luft-/Raketenangriffe von IL sowie anderer Akteure (z.B. der 3, dh USA, UK und F im April 2018) dar.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzten TR-Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen resp. die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Auch die ÖB Damaskus ist bei weitem nicht über alle in allen Teilen Syriens vorherrschenden Zustände informiert. Gründe dabei sind neben dem mangelnden Zugang zu vielen Gebieten auch die Grenzen der zur Verfügung stehenden Quellen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt.
Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes
Einen Ansatzpunkt für eine politische Lösung bildet das Verfassungskomitee unter Federführung des Special Envoy (SE) des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien, des norwegischen Diplomaten Geir Pedersen. Dieses setzt sich aus je 50 (je 15 in der kleinen, operativen Gruppe) Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zusammen; erst nach mehr als eineinhalb Jahren konnte man sich im September 2019 auf die Zusammensetzung einigen. Die syrische Regierung sieht diesen Prozess sehr kritisch. Nach einem recht konstruktiven Beginn Anfang November 2019 gestaltete sich der Ablauf der weiteren Sitzungen weit kontroverser. Die Diskussionen – COVID-bedingt lange unterbrochen - verhedderten sich bis dato im Prozessualen.
SE Pedersen verfolgt über das Verfassungskomitee hinaus einen breiteren Ansatz für den politischen Prozess (u.a. vertrauensbildende Maßnahmen, wie Gefangenaustausch sowie die Freilassung bzw. Aufklärung des Schicksals vermisster Personen); aber auch hier gibt es bis dato wenig Fortschritte. Die Ende März 2020 und Anfang Mai 2021 von Präsident Assad erlassenen Generalamnestien inkludiert auch einige politische Delikte, wurde aber für politische Gefangene (Freilassung kleiner Gruppen nach den Präsidentschaftswahlen) nur sehr begrenzt wirksam.
Verhältnis Zentralregierung – kurdische Autonomiebehörden
Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind
festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert. Auch zwischen den rivalisierenden Gruppierungen der Kurden gibt es Annäherungsbemühungen. Es kommt im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur TR nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), die die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist und aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht.
Präsidentenwahlen
Amtsinhaber Assad gewann die Ende Mai, faktisch nur im von der Regierung kontrollierten Gebiet abgehaltenen Präsidentenwahlen gemäß offiziellen Abgaben mit 95% (78% Wahlbeteiligung); die Zahlen, vor allem auch zur Wahlbeteiligung sind schwer überprüfbar.
Sozioökonomische Lage
Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch teils seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen. Die Wirtschaftskrise im Libanon, dem vor allem auch im Hinblick auf die Sanktionen, eine zentrale Rolle als Umschlags-und Finanzplatz für die syrische Wirtschaft zukommt, und COVID 19 verschärften die Situation weiter. Es kommt immer wieder zu Verknappungen von Benzin. Auch bei dem Grundnahrungsmittel Brot gibt es Engpässe. Die Preise für beide Güter wurden stark erhöht und die Subventionen zurückgefahren.
Das BIP schrumpfte auf ein Fünftel gegenüber 2010. Die Ölproduktion fiel von 380 000 auf 25 000 Barrel pro Tag. Der Konflikt verursachte auch erhebliche Schäden an der physischen Infrastruktur. Ein Drittel des Wohnungsbestandes wurde ganz oder teilweise zerstört. Allein die registrierte Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 50%. Andererseits gibt es einen Mangel an qualifiziertem Personal in bestimmten Sektoren und Gebieten, u.a. bedingt durch die Vertreibung. 90 % der Menschen leben in Armut. Der Konflikt hat die soziale Ungleichheit verschärft.
Laut dem Welternährungsprogramm der VN sind derzeit mehr als 12 Mio. Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Dieser Wert wurde auch am Höhepunkt des Konfliktes nicht verzeichnet. Der Preis für den Nahrungsmittelkorb (Stand Juni) erhöhte sich innerhalb eines Jahres um knapp 200% (seit Beginn des Konfliktes um das dreiundzwanzigfache). Die Gehälter bewegen sich zwischen 70 000 und 120 000 syrische Pfund (SYP), dies entspräche umgerechnet zum Marktkurs rund 20 bzw. 35 USD.
Der Außenhandel brach auf 20 % (mit der EU sogar auf 10%) des Volumens vor dem Konflikt ein; die Exporte noch weit stärker. Die EU wurde als Haupthandelspartner von RU und der TR abgelöst. Die Handelsbilanz war 2020 mit 4,3 Mrd. USD stark defizitär. Das Leistungsbilanzdefizit betrug 2020 2,6 Mrd. USD oder 9% des BIP (2010: 0,7%). Die Überweisungen der im Ausland lebenden Syrer bildeten mit 1,6 Mrd. USD einen wesentlichen Plusposten; diese dürften sich COVID-bedingt und auf Grund der Verschärfung der Sanktionen um 50 % halbieren. Die Währungsreserven sind von 21 Mrd. USD (2010) auf 400 Mio. USD geschrumpft.
Nach zwei Jahren Wachstum brach die Wirtschaft um 8 % ein. Die Inflation betrug mehr als 110 %. Der Verfall des syrischen Pfunds hat sich in den beiden letzten Jahren beschleunigt; ein Grund dafür ist die Liquididätskrise/Limitierung der Ausgaben von USD durch die Banken im Libanon. Die von Syrern getätigten USD-Einlagen bei libanesischen Banken belaufen sich auf (konservativ geschätzt) 40 Mrd. USD. Der Verfall der Währung führt zu Verstärkung der wirtschaftlichen Zentrifugalkräfte in den Regionen – im Nordwesten wird verstärkt die TR-Lira im Zahlungsverkehr genützt.
Sieht man von RU und dem IR (v.a. im Grundstoffbereich) sowie in geringerem Ausmaß von CN ab, sind keine größeren Auslandsinvestitionen zu erwarten; auch die syrische Diaspora zeigt sich sehr zurückhaltend. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sind derzeit nicht gegeben; die Perspektiven haben sich vielmehr verschlechtert. Mit dem IR sieht sich ein wichtiger Kreditgeber und Erdöllieferant auf Grund der US-Sanktionen selbst massiv unter wirtschaftlichem Druck.
COVID 19
Die offiziell verlautbarten Zahlen (rund 70 000 Fälle und 3300 Tote per Anfang Juli) für die von der Regierung kontrollierten Landesteile sind sehr niedrig; detto die der Testungen; die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangsperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden IDPs vor allem im Nordwesten zu. Die Zahl der Neuinfektionen ist insbesondere seit Mitte August stark angestiegen, dies kann auch an einer Verbesserung des Testkapazitäten liegen. Die Dunkelziffer ist aber wohl immer noch deutlich höher. Syrien befindet sich derzeit in der vierten Covid-19-Welle. Die Impfrate ist extrem niedrig, bis Mitte September hatten erst 1,2% beide Impfdosen erhalten, nur 2% der Bevölkerung zumindest eine Impfdosis von zwei. Selbst im günstigsten Fall wird bei Einhaltung aller bisherigen Lieferzusagen laut WHO bis Ende des Jahres maximal 6,6% der Bevölkerung vollständig geimpft sein.
II. Wehrdienst/Reservedienst/Militärstrafrecht
Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen grundsätzlich ab dem Alter von 18 (bis 42) Jahren dem verpflichtenden 2-jährigen Wehrdienst. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen. Unter 18-jährige werden von der syrischen Armee nicht in Anspruch genommen. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden, fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt.
In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten Pro-Regierungstruppen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden.
Der Mangel an Männern führte zu Söldnerkonstruktionen und einem Rückgriff auf Kämpfer aus dem IR, Irak, Afghanistan und dem Libanon (Hizbollah) für schiitische Milizen. Anwerbungen für Kämpfe in Syrien fanden insbesondere auch unter im Iran lebenden Hazara statt. Auf Grund der wirtschaftlichen Probleme sieht sich der IR gezwungen, sein finanzielles Engagement (insb. Kürzungen der Gehälter von Milizionären) zurückzufahren.
Männer, die in den durch die syrische Armee rückeroberten Gebieten bleiben und das Land nicht verlassen, werden zum Militär bzw. in eine der bewaffneten regierungstreuen Gruppen eingezogen und teilweise mit wenig Ausbildung in Kriegsgebiete geschickt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen des Militärstrafgesetzbuchs, darunter für Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.
Bezüglich detaillierterer Ausführungen zu diversen Aspekten des Wehrdienstes in Syrien wird auf den nach wie vor aktuellen Fact Finding Mission Report des BFA, der im August 2017 erstellt wurde, den Bericht Fact Finding Mission der finnischen Migrationsbehörde aus dem Dezember 2018, sowie den Bericht des schwedischen Ministeriums für Migration und Integration verwiesen.
Auch nichtstaatliche Akteure haben eine Art Wehrdienst eingesetzt. Die SDF ziehen laut Berichten ab 1986 bzw. 1990 Geborene zum Militärdienst ein, wobei regional unterschieden wird: Personen aus Deir-Ez-Zor und Rakka, in denen der Anteil der Kurden geringer ist und es ohnehin Spannungen zwischen kurdischer Verwaltung und lokalen arabischen Stämmen gibt, werden erst ab dem Geburtsjahrgang 1990 eingezogen. In der Vergangenheit wurden von den SDF auch Kinder rekrutiert, im Juli 2019 wurde allerdings erklärt, darauf verzichten zu wollen 7; dies wird aber offenbar nicht von allen militärischen Verbänden befolgt. Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes (üblicherweise 12 Monate). Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen.
In Idlib werden durch HTS Kinder für Kampfhandlungen eingesetzt ebenso durch den IS, die Opposition und in geringerer Anzahl von regierungsnahen Milizen.
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter eine Entlassung aus der Wehrpflicht gegen einmalige Zahlung einer Ersatzgebühr in Höhe von 8.000 US-Dollar innerhalb von drei Monaten ab Einberufung. Diese Regelung ist allerdings nur auf Syrer die bereits durchgehend vier Jahre im Ausland leben anwendbar. Darüber hinaus sind in bestimmten Fällen zusätzliche Gebühren für Syrer unter 25 Jahren und bei Überschreitung der dreimonatigen Zahlungsfrist vorgesehen. Seit Mitte Dezember 2019 ermächtigt eine Gesetzesänderung den syrischen Staat nunmehr auch zur sofortigen Einziehung von Vermögensbestandteilen aufgrund offenerer Forderungen aus Wehrpflichtersatzgebühren. Davor war nur deren vorübergehendes „Einfrieren“ rechtens.
III. Grundfreiheiten
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt.
Obwohl die syrische Verfassung dem Thema Rechtsstaatlichkeit ein gesamtes Kapitel widmet, Gesetze durchaus im Einklang mit internationalen Erfordernissen stehen und Syrien Vertragspartei einer Reihe internationaler Übereinkommen ist, kann das Justizsystem in Syrien nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt. Gerichtsverfahren können nicht als fair und unabhängig bezeichnet werden; Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen „Terrorismus-Gerichten“ unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig sind. Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern, eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus.
Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen und teilweise auch Männern aus.
Die in Syrien noch angewandte Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt. Folterungen sind ebenso an der Tagesordnung wie willkürliche Festnahmen und das Verschwindenlassen von Personen. Sowohl die Internationale Unabhängige Untersuchungskommission betreffend Syrien des UN-Menschenrechtsrats als auch andere Menschenrechtsgremien haben entsprechende, öffentlich zugängliche Berichte veröffentlicht.
In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete islamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterscheidet sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können, doch werden insbesondere jene religiösen Gerichte in von (vormals von) IS und HTS kontrollierten Gebieten als nicht mit internationalen Standards im Einklang stehend charakterisiert. In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte.
Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt, sexuelle Minderheiten wurden exekutiert.
Die Situation für religiöse Minderheiten schwankt je nach kontrollierender Fraktion. Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3% (vor dem Konflikt über 10%) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr erscheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden.
Sowohl auf Seiten der regierungstreuen, als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten, aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72%) in der (auch bewaffneten) Opposition fanden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückereroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demographischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt.
Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten.
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jessiden und Christen.
IV. Lage in Gebieten nach „Reconciliation Agreements“ zwischen Regierung und Opposition und Behandlung der dortigen Bevölkerung nach besagten Agreements
Der Abschluss der sogenannter „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen und beinhalteten oft die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln.
Im Fall von Ost-Ghouta wurde ein Teil der verbliebenen Zivilbevölkerung nach Abzug der Rebellen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Frauen, Kinder und ältere Männer in Notunterkünften konnten diese zunächst nur verlassen, wenn Angehörige oder Bekannte für diese bürgten, während die Männer zwischen 15-60 Jahren vorübergehend dort verbleiben mussten.
In den durch die „Reconciliation Agreements“ versöhnten Gebieten kommt es trotz dieser Abkommen immer wieder zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Diese Menschenrechtsverletzungen descouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Zwischen Juli 2018 und März 2019 konnten in Daraa 380 solche Vorfälle bestätigt werden, darunter auch Rückkehrer. In 150 weiteren Fällen wurden Personen verhaftet und wieder freigelassen. Ebenso gibt es Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben.
Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet.
Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren.
V. Informationen zu Einreisemöglichkeiten nach Syrien bzw. zur Behandlung bei Einreise/Rückkehr und Informationen zu Konsequenzen verschiedener Faktoren (Asylantragstellung im Ausland, exilpolitische Tätigkeiten, Rückkehr nach illegaler Ausreise)
Die auf Grund von COVID verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig gelockert. Der Flughafen in Damaskus ist wieder für eine Reihe von Destinationen (u.a. Zubringerflüge nach Beirut) für den internationalen Personenverkehr offen.
Zur Türkei sind Grenzübergänge im durch die TK bzw. von TK unterstützten Milizen beherrschten Gebiet westlich und nördlich um Aleppo geöffnet (Bab Al-Hawa, Bab Al-Salam). Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger.
Über Aktivitäten am internationalen Flughafen Damaskus können ho. mangels Zugang keine gesicherten Informationen gegeben werden. Es gibt Flugverbindungen zu einigen Destinationen in den Golfstaaten, Iran, Russland, Ägypten, Algerien, Armenien oder dem Sudan. Israelische Angriffe trafen auch Objekte am Flughafengelände.
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Die ho. Botschaft erreichen regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen – daraus lässt sich ableiten, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen.
Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt.
VI. Informationen zu Rückkehrbewegungen und der Lage der Personen nach Rückkehr.
Laut VN Flüchtlingshilfswerk sind von 2016 bis Ende 2020 270 000 Flüchtlinge (40 000 im Vorjahr gegenüber 95 000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30 000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187 000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID bedingt ist die Rückkehr 2020 zum Erliegen gekommen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt; als ein Argument für ihre Militäroperationen führt letztere auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von RU Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up Ende Juli 2021), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen vermochte an diesen Trends nichts zu ändern.
Bei den intern Vertriebenen (IDPs) blieb mit 356 000 Rückkehrern die Zahl gegenüber 2019 (1,2 Mio.) weit zurück, wobei der Großteil der Bewegungen innerhalb der Gouvernements erfolgte. Bis August 2020 kehrten rund 300 000 Menschen zurück, der Großteil davon innerhalb/nach Idlib und Aleppo. Die Zahlen der neu Vertriebenen sind erneut weit höher; es gab wie im Jahr zuvor 1,8 Mio. IDP- Bewegungen insgesamt. Im Zuge der erwähnten Eskalation des Konfliktes in Idlib wurden von Dezember 2019 bis März 2020 knapp 1 Mio. Menschen vertrieben. Die Gesamtzahl an IDPs ist mit etwa 6,6 Mio. weiterhin sehr hoch. Als Gründe für die Rückkehr/Nichtrückkehr wird von den Betroffenen neben der Sicherheitslage zunehmend die schlechte wirtschaftliche Situation ins Treffen geführt. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom September 2021 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialen bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als 10 Mio. Menschen also rund 50% der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialen in Kontakt zu kommen. Dabeisind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85% der Opfer sind männlich, fast 50% mussten amputiert werden und mehr als 20% haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39% der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34% auf landwirtschaftlichen Flächen, 10% auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26% der Opfer IDPs.
Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen, am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und IDPs. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von RU, der Nachbarländer sowie der VN wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufes von 30 Tagen auf ein Jahr. Die grundsätzliche Stoßrichtung änderte sich aber nicht allzu sehr. In der von der TR kontrollierten Region um Afrin nördlich von Aleppo wurde wiederum berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt gefunden hätten. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jessiden und Christen durch TR-nahe Milizen.
Positive Signale versucht die Regierung durch Generalamnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer sowohl innerhalb (für vier Monate gültig) als auch außerhalb (für sechs Monate gültig) Syriens zu setzen, zuletzt im März 2020 und im Mai 2021 (siehe auch II).
Die Möglichkeit, sich bei der Rückkehr in ein Gebiet, das unter Regierungskontrolle steht, niederzulassen, ist bis zu einem gewissen Grad durch die Notwendigkeit einer Bewilligung durch die Sicherheitsbehörden eingeschränkt. So muss zB bei Abschluss eines Immobilienkaufvertrags, bevor die Immobilie übertragen werden kann, bei den Sicherheitsbehörden um eine Freigabe angesucht werden. Bei Mietverträgen wurde diese Regelung jüngst vereinfacht, sodass die Daten erst nach Abschluss des Vertrags an die Gemeinde übermittelt werden mussten. Diese Information wird dann an die Sicherheitsbehörden weitergegeben, die im Nachhinein einen Einspruch erheben können. Diese Regelung wurde aber nach aktuellen Informationen nur in Damaskus umgesetzt, außerhalb muss die Genehmigung nach wie vor vorab eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrern aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig.
Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein.
Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben.
Laut VN (u.a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben.
VII. Möglichkeiten zur Einreise in an Syrien angrenzende Staaten
Die oben unter V. angeführten Informationen betreffend die Einreise nach Syrien gelten vielfach spiegelbildlich auch für die Ausreise aus Syrien in angrenzende Staaten. COVID-bedingt wurden im März 2020 Einreisesperren von Jordanien (sehr strikt) und vom Libanon verhängt. Diese wurden gelockert. Es ist möglich auf dem Luftwege (primär Transit) und – vor allem für in Syrien lebende Libanesen – auf dem Landwege unter Vorweis eines Tests und Begebung in Hausquarantäne einzureisen. Dies alles im Kontext der schon vor COVID bestehenden restriktiven Handhabung der Einreisemodalitäten für Syrer nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl an im Libanon aufhältigen syrischen Flüchtlingen (über 1 Million). Die visafreie Einreise ist in der Regel nur in Ausnahmefällen, nur für kurze Zeit und nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes (Termin bei einer Botschaft, Flug von Beirut) möglich. Auf der Landverbindung von Damaskus nach Beirut können Syrer derzeit nur mittwochs einreisen.
In der Türkei sind syrische Staatangehörige generell visumpflichtig.
VIII. Erhalt von Dokumenten
Die Ausstellung von – zur Ausreise erforderlichen – Dokumenten an Syrer ist (gegen entsprechende Bezahlung) zumindest in Regionen unter Regierungskontrolle problemlos möglich. In besetzten Gebieten wurde hinsichtlich der Registrierung von Ehen berichtet, dass Ämter zwar offen sind, aber nicht mit den Regierungsbehörden kommunizieren können und daher die Registrierung von Ehen in diesen Gebieten nicht möglich sei. Dies könnte auch auf die Ausstellung anderer Dokumente zutreffen.
An der ÖB Damaskus wurden keine gröberen Schwierigkeiten beim Erhalt erforderlicher Dokumente, etwa für Anträge auf Familienzusammenführung, bemerkt. Die Verständigungsschwierigkeiten beim Interview am Konsularschalter sind mitunter sehr zeitraubend. Teils liegt dies daran, dass die Einschreiter Kurdisch sprechen und Arabisch weniger gut beherrschen, teils liegt es daran, dass die eingereichten Antragsformulare von Vertretern des Österreichischen Roten Kreuzes und anderen NGOs als Bevollmächtigte in Österreich, wohl aufgrund von Informationen seitens des bereits in Österreich befindlichen Familienmitglieds, ausgefüllt werden, und die Einschreiter sich damit nicht ausreichend auskennen bzw. auseinandergesetzt haben. Ebenso werden syrische Dokumente problemlos beim syrischen Außenministerium beglaubigt, wodurch Überbeglaubigungen an der ÖB Damaskus regelmäßig und ordnungsgemäß vorgenommen werden können. Allerdings, werden des Öfteren Heiratsurkunden vorgelegt, die weder von Brautpaar noch von den Zeugen unterschrieben sind und es treten auch Fälle auf, in denen die ausstellende Behörde die Anwesenheit des Brautpaars in der Urkunde bezeugt, obwohl diese zum fraglichen Zeitpunkt laut Behördeninformation in Österreich weilten. In diesen Fällen werden die Inlandsbehörden von ho. Seite regelmäßig auf diesen Umstand hingewiesen.
[…]
X. Eheschließung, syrische Rechtsnormen
Familiäre Beziehungen in Syrien werden von religiösen bzw. auf Religion basierten Gesetzen reguliert. Das relevanteste Gesetz ist dabei das auf islamischen Rechtsquellen, va. auf islamischer Rechtsprechung basierende Syrische Personenstandsgesetz (weiters: PSG) Nr. 59/1953 mit Änderungen durch legislatives Dekret 34/1975 und legislatives Dekret 76/2010 (Änderungen im Erbschaftsrecht). Gemäß Art. 306 gilt dieses Gesetz vorbehaltlich anderer, in den Art. 307 und 308 enthaltenen Bestimmungen für alle Syrer. Für Angehörige der drusischen, christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften finden sich Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes.34 Für Drusen ist die Anwendung von im Widerspruch zu in Artikel 307 aufgelisteten Werten stehenden Vorschriften ausgeschlossen (Art. 307). Für Angehörige der christlichen und jüdischen Gemeinschaft greifen auf näher umschriebene Bereiche religiöse Vorschriften (Art. 308). Seit 2006 existiert ein eigenes Personenstandsgesetz für Katholiken (Dekret Nr. 31/2006 vom 18.6.2006), die daher gänzlich aus dem Anwendungsbereich des PSG fallen.
Neben der Eheschließung vor einem Sharia-Gericht (diese sind gemäß Art. 33 des Gesetzes über Justizbehörden Nr. 98/1961 eine von drei Typen von Personenstandsgerichten), können in Syrien auch außerhalb eines Gerichts abgeschlossene Ehen (sog. traditionelle Ehen35) als gültig angesehen werden. Theoretisch kann eine Ehe überall und durch jedermann abgeschlossen werden, in der Praxis erfolgen diese Eheschließungen jedoch in der Regel vor einem Geistlichen (Scheich). Besonders im ländlichen Raum ist diese Art der Eheschließung weit verbreitet. Die die Ehe abschließende Person muss das Vorliegen der in Art. 40 PSG aufgezählten rechtlichen Voraussetzungen prüfen; andernfalls droht eine Strafe nach dem Strafgesetzbuch (in der Praxis wird jedoch offenbar große Nachsicht geübt).
Nach Abschluss einer traditionellen Ehe muss deren Gültigkeit zunächst durch den Richter (Sharia-Gericht, drusisches Gericht oder die christliche Kirche) bestätigt werden. Die Bestätigung der Gültigkeit der Ehe kann auch rückwirkend erfolgen. Gemäß Art. 40 (2) PSG wird eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur anerkannt, wenn die in Art 40 (1) PSG genannten Voraussetzungen gegeben sind (im Wesentlichen geht es um die Vorlage bestimmter Dokumente). Im Fall der zwischenzeitigen Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft wird die Ehe anerkannt, auch wenn nicht alle Bedingungen eingehalten wurden (in der Praxis ist die Vorlage eines medizinischen Attests über eine erlittene Fehlgeburt ausreichend).
Nach dieser Bestätigung durch einen Richter muss die Ehe im Zivilregister eingetragen werden; auch hier ist aber eine rückwirkende Eintragung zulässig. Erst mit dieser Eintragung im Zivilregister sind die Rechtsfolgen der Eheschließung durchsetzbar. Bloß traditionell geschlossene Ehen kommen nach Berichten seit 2011 gehäuft vor, da zur Eheschließung die Erlaubnis der Militärbehörden einzuholen ist, was mit Ausbruch des Bürgerkriegs schwieriger geworden war. Eine solche Ehe kann ohne Einholung einer Zustimmung des Militärs im Nachhinein nur registriert werden, wenn die Frau in der Zwischenzeit ein Kind geboren hat oder schwanger ist.
Im ländlichen Raum unterbleibt die nachträgliche Registrierung der auf traditionelle Weise geschlossenen Ehe häufig.
Stellvertretung bei der Ehe (tawkîl) ist gemäß Art. 8 PSG zulässig und durchaus üblich.
[…]
1.3.4. EUAA-Leitfaden Syrien (Country Guidance), November 2021:
[…]
Allgemeine Anmerkungen, einschließlich der Auswirkungen einer Ausreise aus Syrien
Letzte Aktualisierung: November 2021
Im Laufe des Krieges wurde Syrien zum Schauplatz einer Reihe von Konflikten, die nicht klar voneinander abzugrenzen sind und an denen zahlreiche syrische und internationale Akteure beteiligt sind. Im Wesentlichen sind diese Konflikte durch drei Komponenten geprägt: die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Regierung und den oppositionellen Streitkräften, die Bemühungen der von den USA geführten Koalition um die Zerschlagung des IS und die militärischen Operationen der türkischen Streitkräfte gegen die syrischen Kurden. Komplexe Allianzen, wechselnde Loyalitäten, Rivalitäten und widerstreitende Interessen der beteiligten Akteure beeinträchtigen nach wie vor das Machtgleichgewicht und sorgen für Unsicherheit.
Seit Beginn des Konflikts wurden hunderttausende Zivilpersonen getötet – die meisten internationalen Sachverständigen schätzen die Zahl der zivilen Opfer auf 500 000 Menschen. Darüber hinaus löste der Konflikt die weltweit schwerste Vertreibungskrise aus. Schätzungen zufolge sind etwa 5,6 Millionen Syrer aus dem Land geflohen. Hinzu kommen weitere 6 Millionen Binnenvertriebene, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind.
Während des Bezugszeitraums trugen mehrere Faktoren zu einer erheblichen Verschlechterung der sozioökonomischen Lage in Syrien bei, darunter die Finanzkrise im benachbarten Libanon, internationale Wirtschaftssanktionen und die COVID-19-Pandemie. Des Weiteren führte unter anderem die wirtschaftliche Situation zu einer rapiden Verschlechterung der humanitären Lage im Land. Da die Zivilbevölkerung Syriens von zahlreichen Akteuren vorsätzlich ins Visier genommen wird und mit willkürlicher Gewalt verbundenen Gefahren ausgesetzt ist, wird sie massiv in Mitleidenschaft gezogen. Bei der individuellen Prüfung des Bedarfs an internationalem Schutz sollten auch die Präsenz und die Aktivitäten unterschiedlicher Akteure im Heimatgebiet des Antragstellers sowie die Situation in den Gebieten berücksichtigt werden, durch die der Antragsteller reisen müsste, um in sein Heimatgebiet zu gelangen. Darüber hinaus ist der sich kontinuierlich ändernden Sicherheitslage im Land Rechnung zu tragen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in manchen Fällen, in denen ein Bedarf an internationalem Schutz festzustellen wäre, mögliche Ausschlussgründe eine Rolle spielen könnten.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, ihr Herkunftsland verlassen haben. Im Falle Syriens könnte sich die Ausreise selbst darauf auswirken, wie eine Person nach ihrer Rückkehr behandelt wird, insbesondere weil Rückkehrer von der syrischen Regierung ins Visier genommen werden.
Die Tatsache, dass eine Person Syrien verlassen hat, bedeutet normalerweise für sich genommen nicht, dass für sie eine hinreichend große Gefahr besteht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. In den meisten Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird, steht diese im Zusammenhang mit Umständen, die anderen in diesem Leitfaden behandelten Profilgruppen zuzuordnen sind, insbesondere der Gruppe der „Vermeintlich regierungsfeindlichen Personen“. Mitunter ist es jedoch auch denkbar, dass Rückkehrer Handlungen ausgesetzt sind, die aufgrund ihrer Schwere einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Haft, Folter) und bei denen möglicherweise ein Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund nachgewiesen werden kann. Kann kein solcher Zusammenhang glaubhaft gemacht werden, könnten die Folgen einer Ausreise aus Syrien mit Blick auf die Gewährung subsidiären Schutzes relevant sein. Sie sollten auch bei der Prüfung der Bereitschaft der syrischen Regierung, Schutz im Sinne von Artikel 7 QRL zu gewähren, sowie bei der Prüfung der internen Schutzalternative berücksichtigt werden.
[…]
Flüchtlingseigenschaft: Orientierungshilfen zu bestimmten Profilgruppen
[…]
Profilgruppen
In diesem Abschnitt werden einige Profilgruppen syrischer Antragsteller beleuchtet, deren Anträge in EU-Mitgliedstaaten geprüft wurden. Es werden allgemeine Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sowie Empfehlungen zu den weiteren Umständen formuliert, die bei der individuellen Prüfung zu berücksichtigen sind. Einige Profilgruppen werden in Teilprofilgruppen untergliedert, für die im Hinblick auf die Gefährdungsanalyse und/oder den Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Um den Zugriff auf weiterführende Informationen zu erleichtern, sind für jede Profilgruppe die Nummer des betreffenden Abschnitts in der gemeinsamen Analyse und ein entsprechender Link angegeben.
Die Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sind unbeschadet der die Aussagen des Antragstellers betreffenden Glaubwürdigkeitsprüfung zu verstehen.
2.1.1 Angehörige regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
* Bei dieser Teilprofilgruppe könnten auch mögliche Gründe für einen Ausschluss relevant sein.
Weiterführende Informationen sind der Online-Fassung der gemeinsamen Analyse zu entnehmen.
2.1.2. Vermeintlich regierungsfeindliche politische Aktivisten, Mitglieder der Oppositionsparteien und Demonstranten
Gefährdungsanalyse: Bei vermeintlich regierungsfeindlichen Personen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Die Tatsache, dass eine Person in der Vergangenheit an einer Demonstration teilgenommen hat, reicht für sich genommen nicht aus, um sie dieser Teilprofilgruppe zuzuordnen.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
2.1.3 Zivilpersonen aus Gebieten, die mit der regierungsfeindlichen Opposition in Verbindung gebracht werden
Gefährdungsanalyse: Nicht für alle Personen dieser Teilprofilgruppe besteht eine hinreichend große Gefahr, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. Die folgenden Umstände könnten für eine
Gefährdung maßgeblich sein:
o regionale Aspekte (z. B. von wem das Gebiet kontrolliert wird und ob es als Hochburg der Opposition galt)
o Grad der (vermeintlichen) Unterstützung von oder der Kollaboration mit regierungsfeindlichen Kräften
o familiäre oder andere Verbindungen zu (mutmaßlichen) Mitgliedern regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen und/oder der politischen Opposition
o (vermeintliche) Unterstützung der syrischen Regierung
o usw.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
2.2. Militärdienstverweigerer und Deserteure
2.2.2. Militärdienstverweigerer
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Das Gesetz sieht bestimmte Ausnahmen von der Militärpflicht vor, deren Anwendung in der Praxis jedoch kaum vorhersehbar ist.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).
2.2.3. Deserteure und Überläufer
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).
[…]
1.3.5. Bericht („Treatment upon Return“) des Danish Immigration Service, Mai 2022:
1. Monitoring of return and numbers of returnees
1.1. Monitoring
No systematic research has been undertaken by any organization to trace returnees from outside or inside Syria to monitor what happens to them upon return. UNHCR has been unable to systematically monitor and collect data on the returns of refugees and IDPs and faces high limits imposed by the GoS in monitoring what happens with refugees who return to Syria. Thus, reliable figures on arrests and detention cases of returnees are not available. UNHCR and other UN agencies are required to have prior authorization from the GoS to access territories and conduct operations. For example, UNHCR Syria can only get in contact with a minority of those Syrian refugees who returned through the operations organised by Lebanon’s intelligence service and immigration authority, General Security. In some cases, UNHCR has subcontracted local NGOs, such as the Syrian Arab Red Crescent (SARC) to carry out surveys and ‘protection missions’ in the country.
The regular restrictions imposed by GoS on humanitarian agencies hamper these organisations from playing a part in the repatriation of Syrians, often leaving the organisations with little space to negotiate with the government. The UN and international organisations wanting to operate in Syria can only do so by collaborating with GoS-approved local actors. The Syrian security agencies regularly engage with these local partners and are able to gain access to their beneficiary lists and programming. Consequently, organisations often find themselves having to comply with the demands of the government in order not to lose access, or risk being shut down. As a result, UN and humanitarian organisations have been unable to access returnees after their return to their places of origin12, and the available information about returns of Syrians and Palestinian refugees from Syria (PRS) from Europe in 2020 to 2022 is anecdotal and fragmented in nature.
1.2. Number of returnees
1.2.1. Returns from Europe
The available information about Syrians and PRS returning from the EU is limited.
1.2.2. Returnees from neighbouring countries
According to UNHCR, as of 31 May 2021, 282,283 Syrian refugees had voluntarily returned to Syria from Syria’s neighbouring countries since 2016, including:
- 110,649 from Turkey
- 64,714 from Lebanon
- 57,276 from Jordan
- 48,194 from Iraq
It should be noted that the numbers reported in the UNHCR-data are only those verified or monitored by UNHCR and do not reflect the entire number of returns, which may be significantly higher.
[…]
In the first eight months of 2021, approximately 25,000 Syrian refugees returned voluntarily to Syria, while in 2020, some 38,200 Syrian refugees spontaneously returned to Syria from countries in the region, mostly from Turkey, Iraq and Lebanon. The numbers reported are only those monitored/verified by UNHCR and are as such likely to be an underestimate.
Since reaching its peak in 2019, when close to 95,000 refugee returns were verified, the number of voluntary returns has fallen […]
2. Factors regarding treatment upon return
The following are the factors mentioned by sources that may have an impact on treatment upon return. However, due to a lack of systematic monitoring of return mentioned earlier, these should not be considered exhaustive. The factors may also overlap, and the order in which they are presented does not imply a hierarchy or significance.
2.1. Significance of security clearance or/and status settlement for treatment upon return
DIS wrote in its 2021 report that in order to avoid issues with the GoS, returnees from abroad or from opposition-held areas are required to go through official procedures before returning to the GoS-controlled areas in Syria. Through these procedures, the Syrian authorities undertake a security check of the returnees in one way or another. During the procedure referred to as ‘security clearance’ (Arabic muwafaka amniya), the applicant will be checked against wanted lists. An applicant going through the so-called ‘status settlement’ (Arabic: taswiyat wade) procedure, or as some sources call it ‘reconciliation’, will apply for his or her name to be removed from wanted list of the GoS and thereby be cleared for the issues he/she is wanted for.
With regard to status settlement, returnees can apply to settle the following outstanding issues they might be wanted for: illegal exit from Syria during the war, evasion from military service and antigovernment activities ranging from anti-government demonstrations and participation in relief work in opposition-held areas to carrying weapons and fighting against the GoS. If a person’s application for status settlement is approved by the GoS, it means that the person would officially not be wanted or prosecuted anymore by the GoS. Most applications for status settlement are approved by the GoS. If a person whose application has not been approved returns to Syria, he will most probably be arrested and interrogated upon return.
If granted, both the clearance and the settlement officially serve as permissions for the holders to enter GoS-controlled areas in Syria. However, they do not serve as a guarantee for access to the person’s place of origin in the GoS-controlled areas, especially places that are managed by the GoS local or foreign allies. The GoS may reject an application of security clearance for reasons such as having family members who are wanted, posting statements on social media that are critical of the GoS, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS or originatingfrom former opposition-controlled areas.
In its report published in July 2019, EIP mentioned that many returnees had been arrested, detained, harassed or conscripted despite having completed the settlement procedure. Similarly, HRW documented in a report published in 2021 that among the 33 returnees interviewed by HRW between 2017 to 2021 who returned to Syria through legal channels, many were subjected to violations despite having obtained a security clearance or having settled their status with the Syrian authorities prior to their return.
Amnesty International also stated that 22 of 66 persons interviewed by AI between 2017 to 2021 had gone through some sort of clearance process but were nonetheless subjected to different kinds of violations. EASO stated in its report published in June 2021 that ’obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria’ and mentioned cases of returnees who were subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return despite having obtained a security clearance.
A Syrian researcher interviewed by DIS in October 2021 mentioned that he knew two individuals who were arrested upon return for accusations of being a part of the opposition. Both these persons had obtained a status settlement for their illegal exit prior to return.
2.2. Leaving Syria during the war and applying for asylum
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment. GoS is aware that many Syrians living abroad are refugees and seeking asylum was the only way for them to obtain residency in the host country. In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities.
In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. Center for Operational Analysis and Research (GOAR Global) said that the mere fact that someone stayed abroad during the Syrian civil war was not an issue upon return. In the same report, HRW informed DIS that before the beginning of 2018, Syrians used to be afraid that having left the country during the conflict might have consequences for them upon return, due to the then existing perception of those leaving as being affiliated with anti-government sentiments. But as far as HRW had been informed by the Syrians who HRW was in contact with, since the beginning of 2018 it seemed that having left the country during the conflict did not have an impact anymore. HRW specified that the persons they were in in contact with had mostly applied for asylum in Western countries, such as Germany, Switzerland and Sweden as well as Turkey. According to the source, part of this change in 2018 was due to a change in rhetoric, which, although not matched by a change in policies, at least resolves the prima facie concerns. The other reason behind the change was that there were activists who had been approached by the GoS and asked to come back to Syria.
In its September 2021 report, AI referred to 12 cases of returnees who told AI that security officials explicitly had criticized their flight from Syria and asked them about their motives to return. Some of the returnees told AI that the officials also asked if they came back to fight with or support terrorism and to do more damage. These persons, who included returnees from the Gulf states, Lebanon, Turkey and France, were subsequently subjected to arrest and different kinds of mistreatments. The returnees told AI that the GoS officials wanted to take revenge from people who left during the war.
In the report published by VDSF and OPC in November 2021, 48% of returnees (i.e. both internal returnees within Syria and returnees from abroad) to GoS-controlled areas, who participated in the survey, reported that they or a close family member had experienced persecution for having left Syria illegally, for lodging an asylum claim abroad or due to their area of origin.
2.3. Security issues
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, profiled members of the opposition and their families have tended to be subject to interrogation, detention and money extortion upon return.
In their 2021 reports, which were based on interviews with respectively 54 and 66 interviews with returnees, both HRW and AI documented cases of returnees who were arrested and tortured because of accusations related to security issues. Some of them were released, whereas others remained arrested. Both sources indicated that some of these returnees did not know that they were wanted.
Sources informed DIS in 2020 that it, in practice, was risky to return to Syria on the basis of a settlement or a security issue, and that family members of a person wanted for security reasons may risk being called in for interrogation by the Syrian authorities, as a consequence of the person’s application for a status settlement. People who did not face any problems were just lucky that they did not run into the security branch they were wanted by. Some sources told DIS that they knew cases of people who completed a status settlement for unsettled security issues but who were nonetheless arrested upon return.
2.4. Evasion and desertion from military service
According to the Syrian law, both deserters and evaders should be punished. However, evaders will not be punished if they obtain a status settlement. Nevertheless, they will still be required to serve in the military unless they have paid the exemption fee.
HRW documented the case of arrest and torture of a person returning from Lebanon in 2018 who had fled the country in 2015 upon his desertion from the military. AI also mentions three cases of persons who were arrested upon return because they did not complete their military service.
According to two sources consulted by the DIS in 2020, persons who obtain status settlement because of evasion from military service usually do not face any problems with the GoS upon return. However, one source told the DIS that some people who settled their evasion might be temporarily arrested upon return, and some might be subjected to torture.
In a report by DIS published in 2019 about military service in Syria, sources mentioned that men wanted for military service and evaders, who pay the exemption fee in order to be exempted from military service, usually do not face problems with the GoS upon return.
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, draft evaders and deserters are sent to military service after a short detention (a couple of days or weeks), provided that they have not been involved in any opposition activities. There have been no reports that those who have paid the exemption fee of 8000 USD have faced issues upon return. The source added that family members of draft evaders and deserters do not face problems with the authorities anymore. Previously, the authorities harassed such families, but now the authorities may contact them once or twice and ask about the evading or deserting family member and his whereabouts, but nothing more will happen. One should also bear in mind that there are too many draft evaders and deserters for the authorities to be able to spend time and resources on such cases.
2.5. Illegal exit
Officially, a person who has exited illegally from Syria might be subjected to prosecution upon return, unless the person has obtained a status settlement prior to return.
The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 mentioned that those who exited Syria illegally have to report to the local intelligence service office in their area. They will be questioned about the reason for their leave and about their activities while staying abroad. Nothing more will happen to them unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities. In that case, they risk being subject to further interrogation, detention and/or money extortion.
According to sources DIS interviewed in 2020, persons who have obtained a status settlement because of illegal exit usually do not face any problem with the GoS upon return, and their application for a status settlement would not have consequences for their family members. However, in some cases people might be temporarily arrested and presumably tortured.
EASO mentioned in its report from June 2021 that persons would be at risk of being arrested or mistreated by the GoS upon return if they had exited illegally.50 However, EASO does not mention specific cases, and it is thus unclear whether the statement applies to those who have obtained a status settlement prior to return.
The Syrian NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) documented in a May 2020 report that the Syrian authorities told 25 returnees from Lebanon that they would be put on trial because they had exited illegally from Syria. It is not mentioned in the report whether these returnees had completed status settlement prior to their return.
2.6. Illegal return
On 15 September 2020, the Arabic online news site Asharq Al-Awsat reported that the number of Syrians returning to Syria through illegal borders had increased in recent years. According to the news site, irregular returns took place due to the returnees’ illegal status in Lebanon caused by the strict regulations for entry into Lebanon and the high fees imposed by the Lebanese authorities to cross regular borders and reside in Lebanon. Other reasons mentioned were the returnees’ inability to meet the requirement to exchange 100 USD that the Syrian authorities had imposed on its adult citizens when entering Syrian territory and – since the outbreak of Covid-19 – the inability to pay for a PCR test.
STJ documented the arrest of at least 16 people who returned from Lebanon through illegal routes between January and late March 2020. They were initially held in a Covid-19 quarantine centre at the border and later brought before the Anti-Terrorism Court for charges of illegal entry to Syria.
In its report of October 2021, HRW stated that 21 out of the 54 returnees, who were interviewed for the report, had used smuggling routes to enter Syria. However, HRW did not mention whether these 21 persons faced problems with the GoS for entering illegally to Syria or for other reasons.
2.7. Lack of coordination between the security and intelligence services
There is a lack of coordination between different security and intelligence agencies. As each of the agencies have their own wanted list, it can lead to a person being cleared from the wanted list of one security service whilst he or she still being wanted by another security service.
HRW mentioned in its report from October 2021 that a returnee from Jordan had prior to his return obtained security clearance from the Syrian authorities confirming that he was not wanted. Nevertheless, the person was arrested a month after his return to Syria at a checkpoint, which was controlled by another intelligence service than the one, who had cleared him from its list.
2.7. Place of origin or residence
A number of sources have pointed out that treatment of returnees depends, among other things, on their place of origin or residence prior to leaving Syria.
In a report published in July 2019, EIP stated that since October 2018 there was a rise in the number of detentions of civilians returning to areas formerly controlled by the opposition.59 Landinfo mentioned that persons, whose place of origin is an area that was in strong opposition to the GoS, would be met with suspicion.
A Legal and Human Rights Adviser at the Syrian NGO Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) informed EASO that the GoS had a negative perception of persons hailing from former opposition strongholds mentioning cases of two returnees who were extorted for money because they came from a former opposition stronghold.
According to EuroMed Rights, the GoS considers Syrians who have left government-controlled areas as well as those who have lived in areas that have been under opposition-control as traitors.
The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 stated that a returnee originating from or having lived in a former opposition-controlled area before leaving Syria would usually not be subject to mistreatment or violations only because of originating from or having lived in that area. If someone or a group of persons from a certain area experience problems at checkpoints, it is most probably due to the decision of the individual officer or the force controlling that particular checkpoints rather than the person’s place of origin.
2.8. Reports by informers or others
According to International Crisis Group (ICG), although a person is not wanted by the GoS, he/she can still risk being detained as a consequence of being ‘reported by GoS informers’. Informers report people to the security agencies in order to achieve personal gains or to lift doubts about their own loyalty. ICG mentioned two cases of Syrians who were arrested after they returned to GoS-controlled areas because informers had reported them.
Likewise, the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 pointed out that returnees can face problems if someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example being involved in opposition activities. In such cases, the returnee risk being subject to further interrogation, detention and/or extortion.
2.9. Officer in charge
According to the Syrian human rights organisation consulted by DIS in April 2022, there is no clear pattern for the way the returnees are treated by the authorities. This is mostly because the individual officer, who is in charge of a checkpoint or an intelligence service officer dealing with the case of a returnee in the local area the person returns to, plays a significant role in what happens to the person.
Sometimes, people who have been members of the opposition groups or family members of profiled opposition persons can return without facing issues, and sometimes people who have no issues with GoS face problems.
[…]
3. Prevalence of mistreatment of returnees
In spite of the difficulties with monitoring returns systematically, several organisations have confirmed that the GoS continue to arrest, detain, interrogate, torture, kidnap, kill, extort money and/or try returnees before terrorism courts upon return to Syria. The information provided by theseorganisations are primarily based on interviews with refugees who have returned to Syria or sources who knew about cases of returnees.
A Syrian human rights organization interviewed by DIS in April 2022 stated that it is not possible to obtain information about the extent of mistreatment and violations committed by the Syrian authorities against the returnees as no independent organisations are present in the country to monitor the returns to Syria. According to the source, different parties of the conflict try to depict different pictures of what is going on and exaggerate about the situation of returnees; whilst GoS is denying all allegations about mistreatment of returnees and has been depicting a picture where refugees abroad can return to the country without facing any issue, the opposition groups claim that every returnee will be subject to violations upon return. The fact is that nobody has complete knowledge of the situation and the available information is not always reliable. The organisation has experienced that some returnees or their families do not report about the violations they have been subjected to for fear of what may happen to them. Oppositely, the source had seen reports of returnees being detained which turned out not to be true.
With regard to returnees who have reported mistreatments by the GoS, Amnesty International (AI) documented in a report published in September 2021 that 66 persons faced mistreatments/violations ,including arrest, detention, torture, kidnappings, enforced disappearances and killings, by the Syrian authorities upon return in the period between mid-2017 and spring 2021.
In a report published in October 2021 based on 65 interviews with 54 persons who had returned from Lebanon and Jordan between 2017 to 2021, Human Rights Watch (HRW) documented 21 cases of arrest and detention, 13 case of torture, 3 kidnappings, 5 extra- judicial killings, 17 enforced disappearances and 1 case of sexual violence committed by the GoS against returnees upon their return.
In a report published in November 2021, the Turkey based NGO, Voices for Displaced Syrians Forum (VDSF) and the Gaziantep (Turkey) based think tank, Operation and Policy Center (OPC), presented the result of their research conducted in 2021. The research included a total of 700 surveys with residents, IDPs and returnees (i.e. returnees from abroad as well as internal returnees) in different control areas in Syria, including GoS-controlled areas. 17% of the returnees across all control areas, who participated in the survey, stated that they or a close family member had faced arbitrary arrest or detention during the past year. However, there were clear variations between returnees from abroad and returnees from within Syria, where internal returnees, especially in areas controlled by theGoS, reported more violations. Whilst 46% of internal returnees in GoS-controlled areas reported of arbitrary arrest or detention, 18% of returnees from abroad had experienced such violations. Less international oversight over internal return processes is mentioned in the report as a potential reason for this variation.
From the beginning of 2014 until August 2019, the Qatar based Syrian human rights organisation, Syrian Network for Human Rights (SNHR), documented the arrest of at least 1,916 Syrian refugees, including 219 children and 157 women, after their return to Syria from abroad.
In an article published in October 2020 by the news and analysis website, Syria Direct, SNHR stated that GoS had arrested 237 individuals who returned to Syria between January 2019 and October 2020.
When the article was published, 194 of those individuals were still detained and 176 of them had been forcibly disappeared. Five persons were tortured to death in detention centres.
The European Institute of Peace (EIP) wrote in a report published in July 2019 that even among the voluntary returnees, hundreds of detentions and arrests were reported in 2019. Some of the released persons explained that they had been tortured while in custody. In addition, deaths in custody among returnees were recorded.
According to a February 2019 article from the Germany-based aid and human rights organization, Medico International, at least two returnees from Germany, who voluntarily repatriated, disappeared after having been interrogated by the security services.
On 24 November 2021, the Syrian opposition news website, Enab Baladi, reported that 23 families who had returned from Turkey or from areas that are under the control of the Syrian opposition or the Syrian Democratic Forces (SDF) were arrested during the previous two months.
The Syrian NGO, Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD), which ‘works to promote, protect and secure the rights of Syrian refugees and internally displaced persons (IDPs)’81, published a report in August 2021 about the security and living conditions in GoS-controlled areas in Syria. The report is based on interviews with 533 people in September and October 2020 of whom 46 persons (9%) were refugees who had returned to GoS-controlled areas. Several interviews reported of arbitrary arrest and detention by the GoS, including those previously covered by some kind of amnesty laws and decrees.
[…]“
1.3.6. ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion, 08.09.2022:
[…]
5 Unterstellung politisch oppositionell zu sein
Sowohl der von ACCORD kontaktierte Syrienexperte als auch Muhsen Al-Mustafa erklärten, dass während zu Beginn des Konflikts Wehrdienstverweigerer und Deserteure mit der Opposition assoziiert worden seien, dies mittlerweile nicht mehr (unbedingt) der Fall sei (Al-Mustafa, 8. August 2022; Syrienexperte, 11. August 2022). Muhsen Al-Mustafa ergänzte hierzu weiters, dass Wehrdienstverweigerer, sofern sie sich nicht tatsächlich den Oppositionsgruppen angeschlossen haben, auch als solche eingestuft würden. Es gebe hier bestimmte Beispiele, wie zum Beispiel die Situation in dem Großteils von Drusen bewohnten Gouvernement Suweida, wo viele junge Leute den Wehrdienst verweigern würden, die syrische Regierung sie aber nicht als Teil der Opposition betrachten würde (Al-Mustafa, 8. August 2022).
Demgegenüber erwähnt Amnesty International in seinem bereits erwähnte Bericht vom September 2021, dass die bloße Tatsache der Flucht ins Ausland ausreiche, um Verdacht zu erregen. Zwei im Zuge dieses Berichts befragte Auskunftspersonen hätten angegeben, dass sie aufgrund ihrer Flucht in den Libanon von den syrischen Sicherheitskräften nach ihrer Rückkehr ins Land als Terroristen angesehen worden seien. Einer davon sei bei seiner Rückkehr nach Syrien 2018 zweieinhalb Monate von den Sicherheitsbehörden gefangen gehalten worden und des Terrorismus bezichtigt worden, da er den Wehrdienst nicht abgeleistet habe und aus einem Dorf aus Aleppo stammte (AI, September 2021, S. 7; 20).
Die Sicherheitskräfte würden zwischen Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, die sich dem Militärdienst aufgrund von Notlagen entziehen, und solchen, die sich dem Militärdienst aus Gründen entziehen, die mit einer negativen Einstellung gegenüber der Regierung zusammenhängen, unterscheiden. Was die zweite Gruppe betreffe, so würden diese Deserteure und Wehrdienstverweigerer immer beschuldigt, Verbindungen zu den Oppositionsgruppen zu haben, und folglich des Terrorismus beschuldigt, auch wenn sie nichts mit den Oppositionsgruppen zu tun hätten (Jusoor for Studies, 6. September 2022).
1.3.7. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien vom 14.10.2022:
[…]
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass UNHCR im Zeitraum 2016-30.6.2022 die selbstorganisierte Rückkehr von 325.551 syrischen Flüchtlingen aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien, dem Irak, Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern nach Syrien dokumentiert hat [eine Aufschlüsselung nach unterschiedlichen Variablen und weitere Details können den Einzelquellen entnommen werden, Anm.]. Die Gesamtzahl der Rückkehrer aus Ländern in der Region könnte jedoch wesentlich höher sein.
Die verfügbaren Informationen zur Anzahl der Rückkehrer aus Europa nach Syrien sind begrenzt. Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück, im selben Jahr suchten zehn Syrer bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr aus den Niederlanden nach Syrien an. Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 Syrer mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück.
Das für Rückkehrer zuständige Ministerium der Syrischen Arabischen Republik gibt an, dass insgesamt [seit Beginn des Konflikts 2011] eine Million ins Ausland vertriebene Syrer nach Syrien zurückgekehrt sei. Diese Zahl kann nicht unabhängig überprüft werden und Angehörige der Opposition werfen der Regierung vor, sie aus politischen Gründen zu hoch anzusetzen.
Ein befragter Experte gibt an, dass keine bzw. nur schwache Rückkehr von wehrpflichtigen Flüchtlingen in die Regimegebiete erfolgt. Die Datenlage zum Alter der Rückkehrer ist jedoch begrenzt. Laut Angaben von UNHCR befand sich 2021 etwas weniger als ein Drittel der rund 3.400 freiwilligen Rückkehrer aus dem Irak nach Syrien, die sich bei UNHCR registriert haben, im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Die Mehrheit der Rückkehrer aus dem Irak kehrte in die Gouvernorate al-Hasakah und Aleppo zurück, die größtenteils von den Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces, SDF) kontrolliert werden. Gemäß einer Studie zu Rückkehrern, welche Daten von Beginn des Konflikts bis Mitte 2018 berücksichtigt hat, kehrten Rückkehrer aus dem Nahen Osten und Nordafrika [d.h. jene Personen, welche von UNHCR registriert werden, Anm.] mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zurück, wenn sie über 44 Jahre alt waren, als jene aus der Altersgruppe der 15-44-Jährigen. Gemäß der Studie bestand bei der Rückkehrwahrscheinlichkeit nur ein kleiner, statistisch signifikanter Unterschied zwischen Gebieten mit hoher und niedriger Konfliktintensität. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass das Risiko, eingezogen zu werden, im ganzen Land [unter Kontrolle der syrischen Regierung, Anm.] besteht.
Behandlung von Rückkehrern
Auch hinsichtlich der Behandlung von Rückkehrern in Syrien berichten Quellen von einer eingeschränkten Informationslage. So müssen Syrer die Rückkehrentscheidung mitunter auf Basis von unvollständigen Informationen treffen. Ein Rückkehrer berichtete, dass er Bewohner seines Dorfes vor der Rückkehr zur Sicherheitslage dort befragte, jedoch keine ehrliche Antwort erhielt, weil die DorfbewohnerInnen die Überwachung durch einen Nachrichtendienst fürchteten.
Keine Organisation konnte bisher systematische Nachforschungen durchführen, um zu erfassen, was mit den Rückkehrern nach der Rückkehr geschieht – auch UNHCR war dazu nicht in der Lage. Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet Verstöße gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster für die Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen in dieser Hinsicht zu beobachten sind.
Unter anderem gehören Personen, die keinen Wehrdienst abgeleistet haben, zu jener Gruppe von Rückkehrern, die in Gefahr laufen, bei ihrer Ankunft in Syrien festgenommen, (vorübergehend) eingesperrt, verhört, gefoltert und/oder vor Terrorismusgerichten gestellt zu werden. Den Einzelquellen können anekdotische Berichte zu Wehrdienstverweigerern entnommen werden, die nach ihrer Rückkehr nach Syrien inhaftiert und u.U. gefoltert wurden [wie schon erwähnt, existieren keine systematischen Erhebungen über die Behandlung von Rückkehrern, Anm.].
Die in Frage 2 implizierte Annahme, dass eine systematische Verfolgung von Wehrdienstverweigererern durch die syrischen Behörden angesichts einer hohen Anzahl an Wehrdiensverweigerern und Deserteuren aus Zeit- und Ressourcengründen nicht möglich wäre, konnte in ähnlicher Form in einem Bericht des Danish Immigration Service (DIS) vom Mai 2022 gefunden werden. Eine nicht namentlich genannte syrische Menschenrechtsorganisation, welche vom DIS im April 2022 befragt wurde, tätigt darin die Aussage, dass die Familien von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren früher von den Behörden schikaniert wurden, heute jedoch nur mehr ein- oder zweimal nach dem Verbleib des Wehrdienstverweigerers befragt werden und somit keine Probleme mit den Behörden mehr haben. Es folgt die Aussage, wonach man auch bedenken sollte, dass es zu viele Wehrdienstverweigerer und Deserteure gibt, als dass die Behörden Zeit und Ressourcen für solche Fälle aufwenden könnten. Wehrdienstverweigerer und Deserteure selbst werden gemäß dieser Quelle nach einer kurzen Inhaftierung (einige Tage oder Wochen) zum Militärdienst geschickt, sofern sie nicht an oppositionellen Aktivitäten beteiligt waren [den Einzelquellen kann das gesamte vom DIS veröffentlichte Gesprächsprotokoll entnommen werden, Anm.].
Es gibt laut dieser Quelle keine Berichte darüber, dass diejenigen, die die Wehrdienstbefreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlt haben, bei ihrer Rückkehr Probleme hatten. Andere Quellen berichten, dass unter anderem auch Rückkehrer bei ihrer Ankunft von denb syrischen Behörden verhaftet, inhaftiert und gefoltert worden seien, die eine Statusbereinigung vorgenommen hatten. Eine erteilte positive Sicherheitsüberprüfung stellt keinesfalls eine Garantie für eine sichere Rückkehr nach Syrien dar. Einzelne Betroffene berichten, dass sie durch die Teilnahme an „Versöhnungsprozessen“ [betrifft Männer aus ehemals aufständischen Gebieten, Anm.] einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden.
Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine zu große Abschreckung, um beispielsweise nach Aleppo zurückzukehren. Die Militärpolizei stellt dort regelmäßig Kontrollpunkte an wichtigen Kreuzungen auf und führt Hausdurchsuchungen durch, um Männer zu finden, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. Sogar Jugendliche ohne weitergehende Ausbildung, die keine Verbindungen zur Opposition haben, scheuen sich aufgrund der drohenden Einberufung, in der Stadt zu arbeiten.
Die oben erwähnte syrische Menschenrechtsorganisation, welche vom DIS im April 2022 befragt wurde, betonte, dass die Behandlung von Rückkehrern in einem Kontext zu sehen ist, in dem der zuständige Beamte am Grenzübergang die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen: Ein Beamter kann einer Person Probleme bereiten, die eigentlich keine offenen Angelegenheiten mit dem syrischen Staat hat, und dagegen andere passieren lassen, bei denen dies sehr wohl der Fall ist. Dies kann auch zum Zweck der Erpressung von Rückkehrern durch die Sicherheitskräfte an Kontrollpunkten geschehen. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung von Rückkehrern beeinflusst, ist die starke Fragmentierung des syrischen Sicherheitsapparats. Verschiedenen Quellen zufolge kann dies dazu führen, dass Personen, darunter auch Rückkehrer, von einem dieser Geheimdienste eine positive Sicherheitsüberprüfung erhalten und gleichzeitig von einem anderen der Geheimdienste zur Fahndung ausgeschrieben sind.
[…]
1.3.8. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung vom 14.10.2022:
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Zusammenfassung:
Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann die syrische Regierung die allgemeine Wehrpflicht in Gebieten, welche nicht unter ihrer Kontrolle stehen, nicht umsetzen. In Gebieten unter Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) ist sie gemäß einer Quelle eingeschränkt in der Lage, zu rekrutieren. Eine andere Quelle gibt dagegen an, dass die syrische Regierung in diesen Gebieten zwar Zugriff hat, aber dennoch keine Rekrutierungen durchführt.
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1.3.9. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion vom 16.09.2022:
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Zusammenfassung:
Rechtslage
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die Strafe für Wehrdienstentziehung im Militärstrafgesetzbuch geregelt ist. Nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch (Artikel 98, 99) werden Wehrdienstverweigerer in Friedenszeiten mit einer Freiheitsstrafe von einem bis sechs Monaten bestraft, nach der sie ihren Wehrdienst vollständig ableisten müssen. In Kriegszeiten ist Wehrdienstverweigerung eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet wird. Desertion wird nach dem Militärstrafgesetzbuch (Artikel 100, 101) in Friedenszeiten mit einer Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren bestraft und kann in Kriegszeiten zu einer bis zu doppelt so langen Haftstrafe führen.
Umsetzung der Bestimmungen und Systematik bei der Vorgehensweise
Eine Quelle gibt an, dass Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich nicht inhaftiert werden und direkt zur militärischen Ausbildung oder zum Militärdienst geschickt werden, eine Praxis, die mit dem Bedarf der Regierung an Arbeitskräften begründet wird. Andere Quellen berichten dagegen, dass Wehrdienstverweigerer vor ihrer Einberufung zum Militärdienst festgenommen oder inhaftiert würden. Auch Deserteure werden inhaftiert. Ein Experte gibt an, dass Deserteure vor ein Militärgericht gestellt und zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt würden, da die Armee an der Front Kräfte benötige. Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) erklärte, dass Deserteure in der Regel von Zweigstellen eines syrischen Geheimdienstes festgehalten werden, was sie der Gefahr von Folter und gewaltsamem Verschwindenlassen aussetzen kann. Ein vom Danish Immigration Service (DIS) befragter westlicher Diplomat erklärte, die Regierung werde Deserteure nicht nur nach den gesetzlichen Bestimmungen bestrafen, sondern auch die Bestimmungen des Antiterrorismusgesetzes von 2012 (Dekret Nr. 19/2012) anwenden. Bezüglich der Frage, ob Deserteure von der Regierung getötet und hingerichtet werden, wie dies in den ersten Kriegsjahren der Fall war, bestehen unterschiedliche Ansichten. Während manche Quellen berichten, dass die Regierung dies nicht mehr täte, verwiesen andere auf Fälle aus den Jahren 2020 und 2019, bei denen Deserteure während der Idlib-Offensive (2020) und wegen Verrats (2019) hingerichtet wurden. Wenn der Deserteur eine Vorgeschichte mit Aktivitäten gegen die Staatssicherheitsdienste hat, kann ihm eine längere Haftstrafe oder die Hinrichtung drohen.
Laut einem befragten syrischen Rechtsexperten werden die Strafen für Wehrdienstverweigerung und Desertion in Syrien im Allgemeinen vollstreckt, es sei denn, sie fallen unter ein Amnestiegesetz. Alle Amnestiegesetze seit Mitte März 2011 sehen jedoch vor, dass sich Wehrdienstverweigerer und Deserteure innerhalb von drei bis sechs Monaten zur Ableistung des verpflichtenden Wehrdienstes melden müssen. Darüber hinaus wurden seit Konfliktbeginn so genannte lokale Versöhnungsabkommen (musalahat mahalieh) und Sicherheitsvergleiche/Statusregelungen (tasweiat amnieh) geschlossen, die ebenfalls vorsehen, dass betroffene Wehrdienstverweigerer und Deserteure sanktionslos in die Armee (wieder-) eintreten. Während eine Quelle berichtet, dass Personen, die aufgrund einer Wehrdienstverweigerung eine Statusregelung erhalten haben, nach ihrer Rückkehr in der Regel keine Probleme mit der Regierung haben, berichten andere von vorübergehenden Festnahmen von Wehrdienstverweigerern trotz Statusregelung. Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am Versöhnungsprozess einem größeren Risiko ausgesetzt seien, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden.
Im Oktober 2018 verkündeten regierungsnahe syrische Medien, dass rund 800.000 Männer nicht mehr der Wehrpflicht unterliegen würden. Zwei Monate später machte das Verteidigungsministerium die Entscheidung rückgängig und veröffentlichte Listen für den Reservedienst, was bei Rückkehrern zu einer gewissen Verwirrung führte, da einige von ihnen dachten, sie könnten zurückkehren, ohne Militärdienst leisten zu müssen.
Die Anwendung der Artikel 98 und 99 des Militärstrafgesetzbuchs erfolgt willkürlich [s. weiter unten für eine Definition des Begriffs „willkürlich“, Anm.]. Die meisten Verhaftungen in Syrien finden ohne richterlichen Beschluss statt, wenn Personen Kontrollpunkte des Regimes passieren, oder bei Razzien. Wehrdienstverweigerer und Militärdeserteure werden meist festgenommen, wenn sie an Kontrollpunkten aufgegriffen werden. Die Militärpolizei stellt regelmäßig Kontrollpunkte an wichtigen Kreuzungen auf und führt Hausdurchsuchungen durch, um Männer zu finden, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. Die Kontrollpunkte werden von verschiedenen militärischen Gruppierungen und Sicherheitsbehörden kontrolliert und befinden sich an den meisten Ortseingängen und an den wichtigsten Autobahnen. In den zurückeroberten Gebieten ist die Dichte der Kontrollpunkte besonders hoch. Eine Quelle berichtet, dass Jugendliche an den Kontrollpunkten immer kontrolliert werden.
Einem Bericht des Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) zufolge lieferte das Generalkommando der Streitkräfte Informationen über Deserteure und Überläufer an den Militärischen Geheimdienst der Sicherheitsdienste. Das Generalkommando der Streitkräfte erteilt dann Befehle auf der Grundlage der Anweisungen der Direktion des Militärischen Geheimdienstes. In der Praxis wurden Haftbefehle häufig direkt von der Direktion Militärischer Geheimdienst und nicht vom Generalkommando der Streitkräfte erlassen. Deserteure werden auf Fahndungslisten gesetzt und, wenn sie gefasst werden, verhaftet.
Zwischen den verschiedenen Sicherheits- und Geheimdiensten besteht ein Mangel an Koordination. Da jede Behörde eigene Fahndungslisten führt, kann es vorkommen, dass eine Person von der Fahndungsliste eines Sicherheitsdienstes gestrichen wird, während sie noch von einem anderen Sicherheitsdienst gesucht wird. So berichteten Befragte, dass sie ihren Namen vor ihrer Rückkehr nach Syrien mit den Fahndungslisten in ihrem Herkunftsgebiet verglichen haben, und nach der Rückkehr trotzdem durch die Sicherheitsbehörden verfolgt wurden. Auch wird davon berichtet, dass Beamte des Sicherheitsapparats z.B. an Grenzübergängen Gelegenheiten nützen, um Bestechungsgelder zu erpressen.
Konkrete Fälle von Bestrafungen aufgrund von Wehrdienstverweigerung oder Desertion
Ein befragter syrischer Rechtsexperte wies darauf hin, dass es keine offiziellen Berichte über die Strafverfolgung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren gibt und bezüglich dieses Themas wenig Transparenz herrscht. Die Praxis der syrischen Regierung, keine Listen von Inhaftierten oder Informationen zu ihrem Verbleib zu veröffentlichen – selbst bei unter Folter Getöteten –, bezeichnete eine andere Quelle als „systematische Politik der Intransparenz des Regimes“, welche von Beamten zum Teil auch ökonomisch ausgenutzt wird. Der befragte Rechtsexperte verwies in diesem Zusammenhang jedoch auf Berichte von internationalen Organisationen und syrischen Nichtregierungsorganisationen wie dem Syrian Network for Human Rights (SNHR).
Hinsichtlich konkreter Fälle von Bestrafungen von Wehrdienstverweigerern dokumentierte SNHR im Zeitraum Jänner-Juli 2022 willkürliche Verhaftungen von syrischen Bürgern in den Gouvernements Rif Dismashq, Hasaka, Raqqa und Hama, wobei die meisten Verhaftungen bei Razzien und an Kontrollpunkten erfolgten und die Verhaftungen unter anderem unter dem Vorwand, die betroffenen Personen hätten den Reservewehrdienst noch nicht abgeleistet, erfolgten. Im April 2021 berichtete SNHR von der Freilassung von insgesamt 45 Häftlingen, darunter Wehrdienstpflichtige aus dem Gouvernement Daraa, die als Teil einer Sonderbegnadigung durch den Präsidenten im Rahmen der vom syrischen Regime im Gouvernement Daraa getroffenen Versöhnungsvereinbarungen freigelassen wurden. Sie verbrachten im Durchschnitt ein bis zwei Jahre in den Haftanstalten des syrischen Regimes, wobei SNHR von schlechten Haftbedingungen, Folterpraktiken, einem fast vollständigen Mangel an medizinischer Versorgung und einer starken Überbelegung der Haftanstalten berichtet. Die Personen wurden festgenommen, ohne dass ihnen die Gründe für ihre Festnahme erklärt wurden und ohne dass ein Haftbefehl vorlag.
Human Rights Watch (HRW) berichtete im Oktober 2021 über die willkürliche Festnahme eines Mannes an einem Kontrollpunkt, als er auf dem Weg von Daraa nach Damaskus war, um eine formale Befreiung vom Militärdienst zu erhalten, da er bei einem Bombenangriff ein Bein verloren hatte. Er passierte viele Kontrollpunkte, wobei er an einem Kontrollpunkt der vierten Division Bestechungsgeld zahlen musste. Schließlich wurde er an einem weiteren Kontrollpunkt, der von der vierten Division gemeinsam mit dem militärischen Nachrichtendienst betrieben wird, festgenommen und in die Zentrale des militärischen Geheimdienstes gebracht. Dort wurde er verhört und nach zweieinhalb Monaten der Haft und Folter wieder entlassen.
Ein Nachrichtenartikel zitierte einen Syrer, der im Libanon in einem Flüchtlingslager lebt und angibt, dass ein Mann, der die Grenze überquert und nach Hause zurückkehrt, oft zwangsrekrutiert wird oder verschwindet. So sei es zwei seiner Cousins ergangen, die nach der Rückkehr nach Syrien verhaftet wurden, einem Verwandten, der hingerichtet wurde, und einem 12-jährigen Neffen, der am Tag seiner Einreise nach Syrien verschwand.
Hinsichtlich konkreter Fälle von Bestrafungen von Deserteuren berichtete HRW im Oktober 2021 von einem Fall, bei dem ein Deserteur nach seiner Rückkehr nach Syrien durch den militärischen Geheimdienst verhaftet wurde, vermutlich, weil ihn jemand verraten hat. Er befand sich daraufhin neun Monate in Haft, unterzeichnete dann ein Versöhnungsabkommen und stimmte dem Wiedereintritt in die Armee zu. Seine Frau berichtete, dass sein Körper nach der Zeit im Militärgefängnis und bei der Armee Spuren der Misshandlung und Folter aufwies, wobei ihm die Behandlung bei der Armee zuteil geworden war, weil er zuvor desertiert war. Im Jahr 2021 verbreitete sich ein Video, das die Folter und Tötung eines Deserteurs, sowie die Schändung seiner Leiche, durch Söldner der paramilitärischen Wagner-Gruppe zeigt. Der Deserteur war 2017 nach Syrien zurückgekehrt und auf dem Weg von Damaskus nach Deir ez-Zor von syrischen Beamten an einem Kontrollpunkt aufgehalten worden. Er wurde zu einem Luftwaffenstützpunkt in der Wüste außerhalb von Homs gebracht, von wo aus er vermutlich floh und sich in das Lager der Wagner-Gruppe verirrte.
Unterstellung oppositionell zu sein aufgrund einer Wehrdienstverweigerung
Bezüglich dem Vorwurf gegen Wehrdienstverweigerer, politisch oppositionell zu sein, berichtet Amnesty International (AI) von Terrorismusvorwürfen syrischer Sicherheitsbeamter bei Befragungen von Rückkehrern und Personen, die den Wehrdienst nicht abgeleistet haben. Einem Rückkehrer aus dem Libanon, der von Geheimdienstmitarbeitern zweieinhalb Monate lang festgehalten und verhört wurde, warfen die Behörden vor, aufgrund seines Herkunftsortes im Süden von Aleppo und weil er den Militärdienst nicht abgeleistet hatte, „Terrorist“ zu sein. Laut Zeugenaussagen wurde Rückkehrern vorgeworfen, ins Ausland gegangen zu sein, anstatt in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Zuflucht zu suchen und sich an die Seite der syrischen Armee zu stellen. Eine von AI befragte Syrerin berichtete, dass ihr bei der Rückkehr im Jahr 2017 am Grenzübergang von einem Beamten vorgeworfen wurde, Syrien verlassen zu haben und dass ihr ebenfalls zurückkehrender Sohn bei der Bekämpfung der „Terroristen“ nicht geholfen hätte. Sie berichtete, dass sie daraufhin von dem Beamten vergewaltigt und ihr Sohn verhaftet wurde, der seitdem verschwunden ist. Auch bei der weiter oben zitierten, von HRW geschilderten Festnahme und Folter eines Mannes, der den Wehrdienst nicht abgeleistet hat und aufgrund seiner Beinamputation nach Damaskus reisen wollte, um eine Wehrdienstbefreiung zu erwirken, warfen die syrischen Sicherheitskräfte dem Verhafteten vor, „Terrorist“ zu sein.
Während ein befrager Rechtsexperte angibt, dass insbesondere jene Wehrdienstverweigerer und Deserteure Menschenrechtsverletungen in der Haft ausgesetzt sind, denen die syrischen Behörden eine Unterstützung der Opposition zuschreiben, berichten andere Quellen, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter unabhängig von ihrer politischen Gesinnung oder oppositioneller Tätigkeiten Angst vor einem Einzug zum Wehrdienst hätten und Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte meiden würden. Eine Quelle betont die Unberechenbarkeit der aktuellen Bedrohungen: das Konzept des Regimes, wer ein Gegner ist, ist nicht immer klar und wandelt sich mitunter auch. Während die „roten Linien“ des politisch Erlaubten für die meisten Syrer vor Ausbruch des Konflikts 2011 erkennbar waren, kann inzwischen nur noch sehr wenig als selbstverständlich angesehen werden.
Bestrafung „in asylrelevant diskriminierender Weise“/Menschenrechtsverletzungen
Nach internationalem Recht ist eine Inhaftierung willkürlich, wenn die festhaltende Behörde die grundlegenden Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, einschließlich des Rechts auf eine unverzügliche Anhörung vor einem Richter, verletzt. Eine Inhaftierung ist auch dann willkürlich, wenn sie keine eindeutige Grundlage im innerstaatlichen Recht hat oder wenn die Person inhaftiert wird, weil sie ein Grundrecht, wie das der Versammlungsfreiheit, wahrgenommen hat. Artikel 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) besagt: „Jeder hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemandem darf die Freiheit entzogen werden, es sei denn aus einem gesetzlich festgelegten Grund und nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren.“ Der UN-Menschenrechtsausschuss hat klargestellt, dass der Begriff „willkürlich“ in Artikel 9 Absatz 1 des ICCPR weit auszulegen ist und Elemente der Unangemessenheit, Ungerechtigkeit und fehlenden Vorhersehbarkeit und des ordnungsgemäßen Verfahrens sowie Elemente der Angemessenheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit umfasst. Festnahmen, für die es keine Rechtsgrundlage gibt, sind ebenfalls willkürlich.
Während manche Quellen von willkürlichen Verhaftungen, Folterpraktiken und schlechten Haftbedingungen berichten [s. Abschnitt zu konkreten Fällen von Bestrafungen von Wehrdienstverweigerern, Anm.], berichtet ein befragter syrischer Rechtsexperte, dass Wehrdienstverweigerer im Allgemeinen nach dem Gesetz verhaftet werden. Ihm liegen keine Berichte vor, die auf Menschenrechtsverletzungen gegenüber Wehrdienstverweigerern hindeuten, jedoch sind diese in syrischen Haftanstalten möglich [vgl. dies mit den Angaben desselben Rechtsexperten zur Informationslage weiter oben, Anm.]. Diese stellen die Ausnahme von der allgemeinen Regel dar und betreffen insbesondere Wehrdienstverweigerer und übergelaufene Soldaten, die von der syrischen Regierung als politische Gegner wahrgenommen werden. Auch gibt es Berichte, dass Rückkehrer trotz Versprechungen, dass sie vom Wehrdienst befreit würden, eingezogen wurden. Im Zusammenhang mit der Fragestellung verweist der Rechtsexperte auch auf das Gesetzesdekret Nr. 16 vom 29.3.2022, das Folter unter Strafe stellt. Laut dem befragten Experten bleibt abzuwarten, ob dieses Gesetz wirksam umgesetzt wird [SNHR dokumentierte im Zeitraum 30.3.2022 bis Juni 2022 Todesfälle durch Folter in syrischen Haftanstalten und verweist auf Lücken im Gesetz, Anm.].
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen stützt sich auf Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit beinhalten. Diese Artikel enthalten jedoch keinen spezifischen Hinweis auf die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Das Human Rights Committee (HRC) [der UN, Anm.] kam jedoch zu dem Schluss, dass das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen aufgrund seiner Aufnahme in Artikel 18 garantiert ist. Es hat seinen Standpunkt auch in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 22 (1993) über das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und in seiner Rechtsprechung zu einzelnen dem HRC vorgelegten Mitteilungen dargelegt. Während Wehrdienstentzug per se noch kein Grund für einen Flüchtlingsstatus ist, kann es somit die Basis für einen Asylantrag sein, wenn die Regierung dem Wehrdienstverweigerer eine politische Meinung zuschreibt, für die der Staat diese Person verfolgen würde, wenn das Militär, in dem ein Wehrpflichtiger dienen müsste, systematisch Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der internationalen Menschenrechte begangen hat, oder wenn der Asylwerber Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen ist und es keine sinnvolle Alternative zur Wehrpflicht für Kriegsdienstverweigerer gibt. Die Gesetzgebung der Syrischen Arabischen Repubik (insb. Artikel 12 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007) kennt das Recht auf eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht.
[…]
1.3.10. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu syrischen Wehrgesetzen vom 16.09.2022:
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Einzelquellen:
Einzelquelle:
Gesetzesgrundlage
Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass nach syrischem Recht folgende Gesetzgebung gilt: Wehrdienstverweigerung (takhalof) wird in Syrien durch das Gesetzesdekret Nr. 30 vom 3. Mai 2007 in seiner geänderten Fassung – das „Einberufungsgesetz“ oder, wie es aus dem Arabischen übersetzt wird, das „Flaggendienstgesetz“ (Kanun Khedemat Al-Alam) – (Artikel 95-96)1 sowie durch das syrische Militärstrafgesetzbuch (Kanun Al-oukoubat alaskari) geregelt, das durch das Gesetzesdekret Nr. 61 vom 27.2.1950 (Artikel 98-99) erlassen wurde. In den oben genannten Rechtsvorschriften sind die Strafen für Wehrdienstverweigerung festgelegt, die je nach Dauer der Verweigerung schrittweise verhängt werden (siehe unten).
Gesetzliche Strafe
Die verspätete persönliche Meldung zur Einberufung zur Wehrpflicht oder die Umgehung des Wehrdienstes ohne gerechtfertigten Grund wird gemäß Artikel 95 und 96 des Gesetzesdekrets Nr. 30 des Jahres 2007 in seiner geänderten Fassung mit einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 SP. (fünfzehntausend Syrische Pfund) bestraft, wenn der Hinterzieher seinen Wohnsitz in Syrien hatte, und mit einer Geldstrafe in Höhe von 100 USD (einhundert US-Dollar), wenn der Hinterzieher seinen Wohnsitz im Ausland hatte (Artikel 95 des Gesetzesdekrets Nr. 30 aus dem Jahr 2007, geändert durch das Gesetzesdekret Nr. 31 aus dem Jahr 2020).
Darüber hinaus wird der Wehrpflichtige, der ohne gerechtfertigten Grund dem Einberufungsbefehl nicht nachkommt, an jedem Ort, an dem er angetroffen wird, verhaftet (dieser Haftbefehl gilt ab dem Tag der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls, bis der Wehrdienstverweigerer 42 Jahre alt wird)2 und er wird wie folgt verurteilt (Artikel 96):
a) Der Wehrdienstverweigerer, welcher der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens einem Monat nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von zwei Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um zwei Monate verurteilt3.
b) Der Wehrdienstverweigerer, der der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von drei Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um drei Monate verurteilt.
c) Der Wehrdienstverweigerer, der der Einberufung zur Wehrpflicht für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten nicht nachkommt, wird zu einer Geldstrafe in Höhe von vier Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse und zur Verlängerung seiner ursprünglichen Wehrdienstzeit um vier Monate verurteilt.
d)Bei Wiederholung des oben genannten Vergehens (d.h. der Wehrpflichtige versäumt es mehr als einmal, der Einberufung zum Wehrdienst für Personen seines Alters ohne rechtfertigenden Grund nachzukommen, oder wenn der Wehrdienstverweigerer der Einberufung zum Wehrdienst länger als sechs Monate nicht nachkommt, wird er vor dem Militärgericht angeklagt, und in Friedenszeiten gemäß Artikel 98 des syrischen Militärstrafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von ein bis sechs Monaten und in Kriegszeiten zu härteren Strafen verurteilt, die je nach Fall zwischen einem Monat und bis zu fünf Jahren Haft liegen, wie in Artikel 99 des syrischen Militärstrafgesetzbuchs ausgeführt. Darüber hinaus wird die Dauer der Wehrpflicht für Wehrdienstverweigerer um sechs Monate verlängert (Artikel 96/d des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in seiner geänderten Fassung).
Es ist zu beachten, dass die oben genannten Strafen in Artikel 98 und 99 des Militärstrafgesetzbuchs in der geänderten Fassung für neue Wehrpflichtige gelten, die sich der Einberufung entzogen haben und der Einberufung zur Wehrpflicht nicht nachgekommen sind. Die in Artikel 102 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in seiner geänderten Fassung genannten Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren und Geldstrafen gelten nur für Reservisten (d.h. Personen, die bereits Wehrdienst geleistet und das 42. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), welche der Einberufung zum Wehrdienst ohne gerechtfertigtem Grund nicht nachgekommen sind (Artikel 102 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007).
Es wird darauf hingewiesen, dass das Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 in der geänderten Fassung die Möglichkeit vorsieht, die Anwendung der oben genannten Sanktionen für die Nichteinberufung zum Wehrdienst (Wehrdienstverweigerung) bis zum Ende des Krieges auszusetzen oder zu verschieben (Artikel 102/c des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 in der geänderten Fassung).
[…]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Verfahrensakte des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
2.3. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise des BF nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass dieser in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften – ohne die erforderlichen Dokumente – spätestens am 30.03.2021 in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist. Die Feststellung zum bisherigen Verfahren des BF in Österreich ergibt sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einem Auszug aus dem Fremdenregister.
2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Herkunft und den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers (im Herkunftsstaat und im Bundesgebiet) gründen auf seinen insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, auf den in seiner Beschwerde und der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 9ff des VH-Prot.) gemachten Angaben, sowie auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen. Der BF hat im Verfahren ua. seinen (abgelaufenen) syrischen Personalausweis vorgelegt, weshalb seine Identität feststeht. Der Personalausweis des BF wurde auch einer Dokumentenprüfung unterzogen und fanden sich nach dem Aktenvermerk vom 13.08.2021 auch keine Hinweise für eine Fälschung. Der BF hat überdies Kopien des syrischen Familienbuchs samt Übersetzung (AS 65 bis 79) und Kopien der syrischen Reisepässe seiner Ehefrau und seiner 3 ältesten Kinder vorgelegt.
2.5. Die Feststellungen zum Schulbesuch des BF, seinen beruflichen Tätigkeiten und seinen Wohnorten in Syrien ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 6ff des VH-Prot.). Die Feststellung zu den Sprachkenntnissen des BF fußen auf seinen diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, sowie dem Umstand, dass die Erstbefragung, die Einvernahme des BF vor dem BFA, sowie die Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG unter Beiziehung eines Dolmetsches für die Sprache ARABISCH (Erstbefragung, Beschwerdeverhandlung) bzw. KURDISCH (niederschriftliche Einvernahme) durchgeführt werden konnten und sich der BF mit der jeweiligen Befragung in arabischer bzw. kurdischer Sprache einverstanden erklärt hatte.
2.6. Die Feststellung, wonach der BF seinen Wehrdienst in der syrischen Armee noch nicht abgeleistet hat, weil er zunächst bis 2011/2012 staatenlos gewesen sei und sich sodann erfolgreich dem Wehrdienst entzogen hat, ergibt sich aus seinen eigenen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, insbesondere zuletzt vor dem BVwG (S. 12f des VH-Prot.; s. noch 2.9.2.1.).
2.7. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF beruht zum einen auf der Tatsache, dass keine medizinischen Unterlagen hinsichtlich seiner Person vorgelegt wurden, welche einen anderen Schluss zuließen und zum anderen ist der BF den diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheide auch nicht substantiiert entgegengetreten.
2.8. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.
2.9. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:
2.9.1. Mit dem Vorbringen des BF zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien vermochte dieser eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun:
Die beschwerdeseitig vorgebrachte Gefährdungslage des Beschwerdeführers beruht auf der Behauptung, dass der BF bei einem Verbleib in Syrien zum Militär eingezogen worden wäre, weil er seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet habe. Außerdem fürchte der BF Verfolgung wegen (zumindest unterstellter) oppositioneller Gesinnung, weil der BF Mitglied in der demokratischen Partei Kurdistans gewesen sei und bereits 2004 aufgrund von Demonstrationen 27 Tage festgenommen, sowie 18 Tage davon gefoltert worden sei. Im Jahr 2019 sei der BF darüber hinaus bereits zu einer Freiheits- und Geldstrafe wegen seiner Parteimitgliedschaft verurteilt worden.
2.9.2. Zunächst gilt es anzumerken, dass die beschwerdeseitigen Schilderungen zum gegenständlichen Fluchtvorbringen vor der belangten Behörde in nicht unwesentlichen Aspekten vom Fluchtvorbringen des BF bei der Ersteinvernahme abgewichen sind bzw. weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben bzw. teils in sich selbst widersprüchlich waren. Weiters gilt es festzuhalten, dass auch das im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 07.10.2022 erfolgte beschwerdeseitige Fluchtvorbringen in nicht unwesentlichen Aspekten von den Schilderungen des BF zu den Fluchtgründen vor dem BFA am 16.07.2021 bzw. bei seiner Erstbefragung am 30.03.2021 abgewichen sind, teils in sich selbst widersprüchlich, in sich selbst unstimmig oder lebensfremd sind bzw. weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben:
2.9.2.1. Gab der BF in seinem erstbehördlichen Verfahren bei seiner Erstbefragung noch an, Syrien wegen der Sicherheit verlassen zu haben und weil alle Gruppierungen verlangt hätten, dass der BF für diese kämpfe (S. 6 des EB-Prot.), so vermeinte der BF vor dem BFA, zwar auch Angst vor einer Zwangsrekrutierung zu haben, bis zum Jahr 2011 jedoch keine syrische Staatsbürgerschaft gehabt zu haben und nach Verleihung der Staatsbürgerschaft niemals aufgefordert worden zu sein bei der regulären syrischen Armee Militärdienst zu leisten (S. 7 des BFA-Prot.).
In Widerspruch dazu brachte der BF bei der mündlichen Verhandlung vor, nach Verleihung der Staatsbürgerschaft sehr wohl aufgefordert worden zu sein, vor der Rekrutierungsstelle zu erscheinen und sich sein Wehrdienstbuch abzuholen. Auch bei der Ausstellung seines Personalausweises sei der BF erneut aufgefordert worden bei der Rekrutierungsstelle zu erscheinen, wobei der BF beiden Aufforderungen nicht nachgekommen sei (S. 8f des VH-Prot.). Seinen bisherigen Angaben widersprechend, gab der BF daher nunmehr in der Beschwerdeverhandlung an, sogar gleich 2 Mal zur Ableistung des Wehrdienstes im Herkunftstaat aufgefordert worden zu sein.
Selbst bei Wahrannahme dieses mehrfach widersprüchlichen Vorbringens, spricht das Alter des BF gegen eine Rekrutierung seiner Person durch die syrische Armee im Kurdengebiet. Für syrische Staatsangehörige gilt ein verpflichtender Wehrdienst (von 2 Jahren) im Alter zwischen 18 und 42 Jahren. Der BF hat dieses gesetzliche Wehrdienstalter bereits bei seiner Ausreise überschritten und befindet sich nunmehr mit 45 Jahren auch nicht mehr im wehrfähigen Alter. Nach den Angaben des BF hat keiner seiner Familie, auch nicht sein im Wehrdienstalter befindlicher Sohn (geb. am XXXX ), je den Wehrdienst abgeleistet. Die Ehefrau und die Kinder des BF leben immer noch in Syrien am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt der Ausreise des BF. Dennoch ist der Sohn des BF nicht von den syrischen Behörden behelligt worden und habe sich der BF seit seiner Staatsbürgerschaftsverleihung in 2011 oder 2012 – nach eigenen Angaben – stets erfolgreich dem Wehrdienst in der syrischen Armee entziehen können, als er sich noch im wehrfähigen Alter befunden habe (S. 11f des VH-Prot.). Die syrischen Behörden können im Allgemeinen auch keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen. An den Machthaber im Herkunftsort des BF habe sich nichts verändert (S. 18 des VH-Prot.) und habe der BF seitens des syrischen Regimes auch keinen schriftlichen Einberufungsbefehl erhalten, da er nicht im Einflussgebiet des Regimes aufhältig gewesen sei (S. 21 des VH-Prot.). Insgesamt ist nicht glaubhaft, dass der BF mit XXXX Jahren, sohin nicht mehr im wehrfähigen Alter, noch Gefahr laufen würde bei Rückkehr zur syrischen Armee einberufen zu werden.
Im Falle einer Rückkehr wäre der BF auch keiner Gefahr ausgesetzt zum Reservedienst einberufen zu werden, zumal dieser bereits XXXX Jahre alt ist, damit die Altersgrenze von 27 Jahren weit überschritten hat, wonach vornehmlich Männer bis zu diesem Alter als Reservisten eingezogen werden, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können und außerdem seinen Wehrdienst nie abgeleistet hat. Das Gericht verkennt nicht, dass Reservisten grundsätzlich bis zum Alter von 42 Jahren eingezogen werden können und fallweise auch Männer bis zum Alter von 55 oder sogar 62 Jahren eingezogen werden. Allerdings trifft dies – laut Länderberichten – vorwiegend Personen mit besonderen Qualifikationen (zB Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) und ist abhängig vom Rang. Der BF hat diese Altersgrenze von 42 Jahren ebenfalls bereits überschritten und erscheint eine tatsächlich drohende Einberufung zum Reservedienst durch das syrische Militär insgesamt als sehr unwahrscheinlich, hat der BF die Altersgrenze von 27 doch weit überschritten und auch keinerlei besondere Qualifikationen, Ausbildungen oder Spezialtrainings dargetan, welche einen Kampfeinsatz gerade seiner Person als besonders militärisch notwendig erscheinen lassen, zumal der BF nicht einmal seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat. Aufgrund seines Alters von XXXX Jahren, der fehlenden Ableistung seines Grundwehrdienstes - welcher grundlegende Voraussetzung ist um begrifflich als Reservist zu gelten - und dem Fehlen besonderer militärischer Qualifikation ist eine Einziehung des BF zum Reservedienst durch das syrische Militär in casu höchst unwahrscheinlich. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die syrischen Behörden in den Kurdengebieten, in welchen der BF aufgewachsen ist, nach den Länderberichten keine Rekrutierungen durchführen können, weshalb eine Einberufung des BF ebenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.
Auch von den in der Beschwerdeschrift noch behaupteten Problemen seines volljährigen Sohnes im Herkunftsstaat – dieser müsse sich aus Angst vor der Absolvierung seines Wehrdienstes verstecken – wusste der BF in der mündlichen Verhandlung nichts mehr zu berichten, sondern gab er vielmehr an, dass seine Familie im Herkunftsstaat seit seiner Ausreise nicht von den syrischen Behörden behelligt worden sei.
Vor dem BFA gab der BF an, von der YPG das erste Mal im Jahr 2013 aufgefordert worden zu sein bei Checkpoints zu arbeiten. Ab 2014 oder 2015 seien diese regelmäßig beim BF gewesen. Der BF sei diesen Aufforderungen jedoch nicht nachgekommen und deshalb im Alltag benachteiligt worden (z.B. beim Brotkauf; S. 7f des BFA-Prot.). In Abweichung dazu, vermeinte der BF nunmehr vor dem BVwG befragt dazu, wann und wo er jemals unmittelbar (persönlich) aufgefordert worden sei, für eine bestimmte bewaffnete Gruppierung zu kämpfen, dass die Kurden ihn 2015, 2016 und 2017 zur Mithilfe aufgefordert hätten. Der BF habe schon gewusst, dass es mit dieser Funktion (bei den Checkpoints) beginne, sich das entwickle und sie vom BF dann auch etwas Anderes verlangen könnten (S. 20 des VH-Prot.). Neuerlich vom erkennenden Richter dazu befragt, ob er 2015, 2016 und 2017 durch die Kurden zur Mithilfe aufgefordert worden sei, nannte der BF dann erneut abweichend zu seinen zuvor getätigten Angaben, dass er 2017 und 2018 zur Verrichtung seines Dienstes bei den Checkpoints aufgefordert worden sei. Der BF verstrickte sich sohin gleich mehrfach in Widersprüche hinsichtlich des behaupteten Zeitpunkts der Aufforderung der YPG für diese an den Checkpoints mitzuarbeiten, weshalb der Eindruck entsteht der BF berichtet nicht von tatsächlich Erlebtem. Hinsichtlich der behaupteten Rekrutierung durch kurdische Streitkräfte vermochte der BF daher kein kohärentes Fluchtvorbringen zu substantiieren oder glaubhaft zu machen.
Selbst bei Wahrannahme dieses Vorbringens, ist auszuführen, dass Nordost-Syrien, die Herkunftsregion des BF, über ein eigenes Wehrpflichtgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ verfügt, wobei der BF auch dieses Wehrdienstalter von 24 Jahren weit überschritten hat. Den Länderberichten zufolge, war zuvor das Alterslimit höher, es lag bei 40 Jahren. Auch dieses Alterslimit hat der BF mit XXXX Jahren bereits überschritten. Nach dem abgeleisteten „Wehrdienst“ gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall „höherer Gewalt“ einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom Danish Immigration Service befragten Quellen jedoch nicht bekannt, weshalb insgesamt auch nicht davon auszugehen ist, dass der BF von der YPG als Reservist eingezogen würde, zumal er selbst von einem bereits abgeleisteten Wehrdienst für die YPG in casu nichts zu berichten wusste. Eine tatsächliche Rekrutierung durch kurdische Milizen erscheint für das erkennende Gericht daher maßgeblich unwahrscheinlich.
2.9.2.2. Überdies vermeinte der BF zwar vor dem BFA in einem Musik- bzw. Theaterverein tätig gewesen zu sein, welcher von der syrischen demokratischen Partei gesponsert worden sei, doch wären die meisten Mitglieder des Vereins nicht Mitglied dieser Partei gewesen. Der BF selbst sei ebenfalls nicht politisch aktiv gewesen und habe auch keiner Partei angehört, sondern sei lediglich von 2004 bis 2008 Mitglied des Musikvereins gewesen, in welchem sie kurdische Lieder gesungen und kleine Theaterspiele aufgeführt hätten. Auch PYD-kritisch sei der BF nicht politisch aktiv gewesen (S. 8 des BFA-Prot.).
Erstmals in der Beschwerdeschrift und somit inhaltlich gesteigert wurde angegeben, dass es sich bei der den Musikverein unterstützenden Partei um die kurdisch demokratische, und nicht um die syrische demokratische, Partei gehandelt habe und der BF (in inhaltlicher Steigerung) bereits in Syrien eine regimekritische Haltung gehabt habe (S. 3 der Beschwerdeschrift). In nochmaliger, inhaltlicher Steigerung behauptete der BF erstmals in der Dokumentenvorlage vom 20.09.2022 auch Mitglied der kurdisch demokratischen Partei gewesen zu sein. Vom erkennenden Richter in der Beschwerdeverhandlung zu diesen Unstimmigkeiten befragt, führte der BF aus: „Das war ein Fehler vom Dolmetscher, der kurdisch war. Ich habe ihm den richtigen Namen der Partei angegeben und zwar Demokratische Partei Kurdistan/Syrien gegeben und er hat gesagt, es ist richtig, wenn man Demokratische Partei Syriens sagt“. Auf Vorhalt, dass sich der BF vor dem BFA nicht nur zur politischen Überzeugung nicht geäußert habe, sondern eine oppositionelle Gesinnung seinerseits sogar explizit verneint habe, vermeinte der BF nur: „Im Interview beim BFA habe ich ausdrücklich angegeben, dass ich gegen diese Partei PKK bin und für die Demokratische Partei Kurdistans Syrien bin. Ich habe das ausdrücklich auch angegeben. Ich weiß nicht, ob das protokolliert wurde oder nicht“. Mit dieser Erklärung vermag der BF nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht durchzudringen. Nachgefragt, ob dem BF das BFA-Protokoll rückübersetzt worden sei, antwortete der BF nur, dass es „so auf die Schnelle“ rückübersetzt worden sei. Neuerlich gefragt, ob das Protokoll nun rückübersetzt worden sei oder nicht, gab der BF an, die Rückübersetzung habe nicht einmal 2 Minuten gedauert und sei ihm dieser Teil (in welchem er seine oppositionelle Gesinnung angegeben habe) nicht rückübersetzt worden (S. 25 des VH-Prot.). Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass dem BF das BFA-Protokoll nachweislich rückübersetzt worden ist und der BF die Richtigkeit, sowie die Vollständigkeit seiner im Protokoll festgehaltenen Angaben durch Unterschrift auf allen Seiten selbst bestätigt hat. Auch sind am Ende des Protokolls keine beschwerdeseitigen Korrekturen oder Ergänzungen vorgenommen worden. Die neuerliche inhaltliche Steigerung seiner Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung soll daher vielmehr den Eindruck eines deutlich stärkeren Leidensdrucks des BF im Herkunftsstaat vermitteln wollen, als aufgrund der bisherigen Angaben des BF realistischerweise anzunehmen war.
Wie bereits ausgeführt, gab der BF erstmals und damit massiv inhaltlich gesteigert, im Rahmen einer Dokumentenvorlage vom 20.09.2022 an, Mitglied der kurdisch demokratischen Partei (PDK-S) gewesen zu sein und aus diesem Grund bereits 2019 zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt worden zu sein. Vom erkennenden Gericht dazu befragt, warum der BF seine Parteimitgliedschaft und sein oppositionelles Gedankengut erstmals so spät im Verfahren vorgebracht habe (bzw. dieses vor dem BFA sogar explizit verneint habe) gab der BF an: „Was den Musikverein betrifft habe ich angegeben, dass ich Mitglied dieses Vereins war. Aber über die politischen Tätigkeiten habe ich nichts angegeben, weil ich Angst hatte, hier über Politik zu reden“. Neuerlich nachgefragt vermeinte der BF: „Ich habe Angst in Österreich etwas über Politik zu sprechen. Nach Empfehlung einiger Bekannter, die auch im Flüchtlingslager wohnen, das sind einige Asylwerber, habe ich überhaupt nichts über Politik gesagt. Sie haben mir empfohlen, überhaupt nicht über Politik zu sprechen, weil mir das im Verfahren schaden könnte. Beim zweiten Interview, das heißt vor dem BFA, hatte ich Angst, meine Aussagen zu ändern, weil ich gehört habe, dass es mir schaden würde. Aber vor einigen Tagen, bei der Beratung mit meiner Rechtsvertreterin, habe ich mich entschieden, über alles zu reden“ (S. 17 des VH-Prot.). Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass der BF im Vorfeld jeder Befragung, sowohl bei seiner Erstbefragung, als auch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ausführlich über seine Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht aufgeklärt worden ist. Unter anderem hat der BF bei seiner Erstbefragung das Informationsblatt über Rechte und Pflichten von Asylwerbern erhalten, in welchem neuerlich auf die Mitwirkungs- und Wahrheitspflichten eines Asylwerbers hingewiesen wurden und welchem zu entnehmen ist, dass seine Angaben zum Fluchtweg, sowie zum Fluchtgrund vertraulich behandelt und nicht an die Behörden seines Herkunftsstaates weitergegeben werden. Auch vor dem BFA wurde der BF neuerlich darauf hingewiesen, dass seine Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt und nicht an die Behörden seines Heimatlandes weitergegeben werden. Insgesamt sind seine Angaben zu einer politisch oppositionellen Einstellung aufgrund des massiv verspäteten und inhaltlich mehrfach gesteigerten Inhalts schwer mit Unglaubhaftigkeit belastet.
Grundsätzlich hält das erkennende Gericht dem BF zu Gute, dass eine Ersteinvernahme in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation ist. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse ist daher im Allgemeinen verständlich. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Ersteinvernahme in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche die Beschwerdeführer im Rahmen der Ersteinvernahme nachweislich aufgeklärt worden sind. Das vom BF im Rahmen der Ersteinvernahme erfolgte Weglassen grundlegender Aspekte des gegenständlichen Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht klar entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu machen, und sei es um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Vorwurf einer möglichen Steigerung des Fluchtvorbringens im weiteren Verfahren auszusetzen.
Es geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).
Im Rahmen der Urkundenvorlage vom 20.09.2022, sohin ebenfalls massiv verspätet, legte der BF erstmals einen Strafregisterauszug in Kopie vor, aus welchem die Verurteilung zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von einer Million syrischen Lira des Terrorismusgerichts in XXXX vom 20.04.2019 wegen Mitgliedschaft in einer Partei hervorgehen soll. Grund für die verspätete Vorlage soll der Umstand gewesen sein, dass der BF von dieser Verurteilung nichts gewusst und erst vor zwei Monaten davon erfahren habe. Der BF befand sich zum Zeitpunkt der Verurteilung jedoch noch im Herkunftsstaat. Zu diesem Umstand befragt, vermeinte der BF, dass die Strafe nicht vollstreckt worden sei, weil die Kurden seit 2013 die Kontrolle über das Gebiet gehabt hätten und das syrische Regime die Vollstreckung der Strafe daher nicht veranlassen hätte können (S. 26 des VH-Prot.). Dieses Vorbringen erscheint dem erkennenden Gericht schlicht unschlüssig, zumal nicht nachvollziehbar ist, warum der BF einen Freund für EUR 100,- beauftragen hätte sollen diesen Strafregisterauszug einzuholen, wenn dem BF seine Verurteilung vorab überhaupt nicht bekannt sein soll. Darüber hinaus gab der BF an, lediglich bis zum Jahr 2008 (vor dem BFA, Seite 8, und dem BVwG, VH-Prot., S. 15) bzw. bis 2009 (vor dem BVwG, VH-Prot., S. 16) Mitglied des Musik- und Theatervereins gewesen zu sein, um nicht in den Fokus der syrischen Behörden zu gelangen, weshalb ein zeitlicher Zusammenhang zu seiner behaupteten Verurteilung im Jahr 2019 nicht zu ersehen ist. Die behauptete Verurteilung steht im Übrigen auch im Widerspruch zu den Angaben des BF vor dem BFA, wonach dieser nicht Mitglied einer Partei sei. Die Beschwerdeseite konnte auch keinen Originalauszug vorlegen, da dieser vermeintlich auf dem Postweg verloren gegangen sei. Im Übrigen sind Teile des Rundstempels und der Unterschriften unleserlich, weshalb in einer Gesamtschau nach Ansicht des erkennenden Gerichts davon auszugehen ist, dass es sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit um ein gefälschtes Dokument oder ein richtiges Dokument falschen Inhalts handelt. Des Weiteren ist das Feld zum Ausstellungsdatum des Personalausweises unbeschrieben und passt der Inhalt des Dokuments nicht in die zeitliche Einordnung der Erzählung des BF. Hat der BF vor dem BVwG angegeben, von der Verurteilung nach Übermittlung des Strafregisterauszugs vor 2 Monaten erfahren zu haben (S. 26 des VH-Prot.), sohin Anfang August 2022, so ist als Ausstellungsdatum des Auszuges vielmehr der 11.09.2022 vermerkt. Vielmehr erhärtet sich daher für das erkennende Gericht der Eindruck, es handelt sich um ein gefälschtes Dokument oder um ein echtes Dokument falschen Inhalts.
2.9.2.3. Als fluchtauslösenden Moment nannte der BF erstmals, damit zum spätest möglichen Zeitpunkt und massiv inhaltlich gesteigert, die Verhaftung von Mitgliedern des Musik- und Theatervereins durch die YPK, wobei einige Mitglieder nach 5 Monaten freigelassen worden seien, einige jedoch bis heute nicht (S. 22 des VH-Prot.). Der BF vermeinte jedoch seit 2009 – vor dem BFA war es in Abweichung dazu noch 2008 gewesen – kein Mitglied des Musikvereins mehr gewesen zu sein (S. 16 des VH-Prot.), jedoch noch an den Proben teilgenommen zu haben, weshalb die von BF vorgebrachten Befürchtung einer Verhaftung seiner Person relativiert erscheint, zumal der BF selbst angab, dass sie von den kleinen Sicherheitsabteilungen in der Vergangenheit schon geladen und einvernommen worden seien, gegen Bestechungsgeld jedoch jedes Mal freigelassen werden konnten (S. 26 des VH-Prot.).
2.9.2.4. Vor dem BFA brachte der BF noch vor, im Jahr 2004 von einer Behörde festgenommen worden und 24 Tage im Gefängnis gewesen zu sein. Im Jahr 2004 habe es in ihrem Gebiet Auseinandersetzungen wegen eines Fußballspiels gegeben, weshalb der BF gemeinsam mit mehreren Kurden festgenommen worden sei, wobei einige gefoltert worden seien. Alle seien später wieder ohne Gerichtsverhandlung freigelassen worden (S. 9 des BFA-Prot.). In diesem Zusammenhang brachte der BF vor dem BFA für sich nicht vor, gefoltert worden zu sein. Vor dem BVwG ist der BF von seinen vorherigen Angaben aus dem Jahr 2004 jedoch erheblich abgewichen, weshalb auch dieses Vorbringen mit Unglaubhaftigkeit belastet ist. So sei der BF im Zuge von Demonstration in XXXX festgenommen, 27 Tage lang angehalten und davon 18 Tage lang gefoltert worden (S. 15f, S. 18f des VH-Prot.). Von einer Folterung seiner Person wusste der BF vor dem BFA hingegen noch gar nichts zu berichten und ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass er eine Folterung seiner Person im Herkunftsstaat vor dem BFA unerwähnt gelassen hätte, hätte eine solche auch tatsächlich – wie dann vor dem BVwG behauptet - stattgefunden.
Der BF sei nach seinen Angaben vor dem BVwG zum stundenlangen Stehen auf einem Bein gezwungen worden und mit Schlägen durch Elektrokabel misshandelt worden, wobei er Spuren von den Elektrokabeln, überwiegend Prellungen, aber durchaus auch Platzwunden davongetragen habe will, die jedoch von seiner Familie versorgt worden und rückstandslos verheilt seien. Auf Nachfrage seien keine Vernarbungsstellen und keine Hautverfärbungen zurückgeblieben (S. 19f des VH-Prot.). Hiermit vermag der BF bereits nicht durchzudringen, da nicht realistischerweise davon auszugehen ist, dass Platzwunden völlig ohne Vernarbung bzw. Verfärbung der Hautoberfläche rückstandlos verheilen, zumal hier auch keine ärztliche Wundversorgung stattgefunden hat. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts wäre zudem vielmehr davon auszugehen, dass Auspeitschungen mit Elektrokabeln über einen Zeitraum von vielen Tagen hinweg zu nachhaltigeren körperlichen Schäden, wie Brüchen, großflächigen Verletzungen oder sogar körperliche Entstellungen führen würden, die zum einen eine dringende ärztliche Versorgung schlicht notwendig gemacht hätten und zum anderen jedenfalls nicht völlig rückstandslos verheilt wären. Dass der BF ohne klar sichtbare Folgeschäden davongekommen sein will, spricht jedenfalls gegen die geschilderte, erhebliche Gewaltanwendung gegen den Körper des BF.
Vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung dazu befragt, warum der BF bisher nichts von seiner eigenen Folter zu berichten wusste, sondern lediglich seine Festnahme im Zusammenhang eines Fußballspiels im Jahr 2004 anzugeben vermochte, vermeinte der BF, der erkennende Richter habe ihn ausführlich befragt, deswegen habe er etwas zu erzählen. Beim Interview vor dem BFA seien nur ja/nein-Fragen gestellt worden, deshalb habe er nicht alles angegeben (S. 16 des VH-Prot.). Mit dieser Erklärung vermag die Beschwerdeseite nach Ansicht des erkennenden Gerichts neuerlich nicht durchzudringen. Weder hatte der BF nur die Möglichkeit mit ja/nein zu antworten, noch hat dieser auch nur ansatzweise von einer Folterung seiner Person vor dem BFA berichtet. So erzählte der BF vor dem BFA auch von seiner Festnahme im Jahr 2004 in freier Erzählung (S. 9 des BFA-Prot.), weshalb dieses Vorbringen auch vor dem Hintergrund der massiven inhaltlichen Steigerung schlicht unglaubhaft ist. Selbst bei Wahrannahme dieses Vorbringens, liegen die behaupteten Geschehnisse aus dem Jahr 2004 bereits 18 Jahre zurück und haben sich unter einem anderen Regime zugetragen. Auf Nachfrage hat der BF auch angegeben, seither nicht mehr misshandelt worden, sondern im Kurdengebiet lediglich im Alltag benachteiligt und an Checkpoints beschimpft worden zu sein (S. 21 des VH-Prot.). Insgesamt steht die behauptete Folterung im Jahr 2004 daher selbst bei Wahrannahme nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise des BF.
2.9.2.5. Sofern der BF nunmehr in der Beschwerdeverhandlung von Diskriminierungen gegenüber Kurden in Syrien berichtet hat, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser konkrete Übergriffe gegen seine Person aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit weder vor dem BFA, noch in der Beschwerde substantiiert vorzubringen vermochte. Eine Verfolgung seiner Person als Kurde in Syrien wusste der BF erstmals vor dem BVwG anzugeben. Dabei gab der BF an, dass das syrische Regime die meisten Kurden diskriminiere und habe der BF diese Diskriminierung immer erlebt, weil er aus der kurdischen Ethnie sei (S. 22 des VH-Prot.).
Diesbezüglich bleibt festzuhalten, dass Kurden in Syrien nach dem LIB zutreffenderweise eine ethnische Minderheit darstellen. Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheitengruppen ist von Gebiet zu Gebiet jedoch unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren. Vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 lebten 2 bis 3 Millionen Kurden in Syrien und stellten damit 10% der Gesamtbevölkerung dar. Die Lebensumstände für Kurden in Syrien waren lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran. Jegliche Bemühungen der Kurden, sich zu organisieren oder für ihre politischen und kulturellen Rechte einzutreten, wurden unterdrückt. Beispielsweise wurde der Gebrauch der kurdischen Sprache eingeschränkt, es wurden kurdische Publikationen und Feste verboten. In den 1960er Jahren wurde 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt und waren ihre Nachfahren geduldete Staatenlose (wie auch der BF selbst, bis zum Jahr 2011/2012). 2011 verfügte Präsident Assad, dass staatenlose Kurden in Hassakah, die als „Ausländer“ registriert waren, die Staatsbürgerschaft beantragen könnten.
Auch heutzutage schränkt das syrische Regime den Gebrauch und den Unterricht der kurdischen Sprache weiterhin ein. Es beschränkt auch die Veröffentlichung von Büchern und anderen Materialien in kurdischer Sprache, kulturelle Ausdrucksformen und manchmal auch die Feier kurdischer Feste. Einheiten des Regimes und mit ihm verbündete Kräfte, sowie der sogenannte Islamische Staat und bewaffnete Oppositionskräfte, wie die von der Türkei unterstützte Syrian National Army, haben während des Jahres 2020 zahlreiche kurdische Aktivisten und Einzelpersonen sowie Mitglieder der Syrian Democratic Forces (SDF) verhaftet, festgehalten, gefoltert, getötet und anderweitig misshandelt. Auch kam es (und kommt es seit) Anfang Oktober 2019 während der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA, sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen.
Die fehlende Präsenz der syrischen Regierung in den kurdischen Gebieten (aus dem auch der BF kommt) in den Anfangsjahren des Konfliktes verlieh den Kurden mehr Freiheiten, wodurch zum Beispiel die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimität der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an. Zugleich wird jedoch weiterhin von Menschenrechtsverletzungen der PYD und ihrem bewaffneten Arm, der YPG, in den kurdischen „Selbstverwaltungsgebieten“ berichtet. In der Gesamtbetrachtung stellt sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten jedoch als insgesamt erkennbar weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden.
Insgesamt stellt sich die Situation der Kurden in Syrien als sehr schwierig dar und dies wird vom erkennenden Gericht keinesfalls verkannt. So hat sich die Stellung der Kurden in Nordost-Syrien durch die „Autonomieverwaltung“ stabilisiert und erhielten sie mehr Freiheiten. Auch der BF stammt aus einem Dorf nahe der Stadt XXXX , die im kurdisch kontrollierten Gebiet liegt. Mehrjährig hat der BF jedoch in XXXX gelebt und gearbeitet. Der BF brachte zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vor, in seiner Heimatprovinz oder während seiner Zeit in XXXX konkrete Probleme, in Form eines Übergriffs auf seine Person, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit – oder zuvor wegen seiner Staatenlosigkeit – gehabt zu haben. Insgesamt wusste er von keinen konkreten, individuell gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen in asylrelevantem Maße aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit zu berichten. In einer Gesamtschau ist den Länderinformationen eine allgemeine und systematische Verfolgung von Angehörigen der kurdischen Volksgruppe in Syrien nicht zu entnehmen.
2.9.3. Insgesamt ist festzuhalten, dass der BF seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat zwar noch nicht abgeleistet hat, einer solchen jedoch zunächst aufgrund seiner Staatenlosigkeit nicht unterlegen ist und sich seit Verleihung der syrischen Staatsangehörigkeit 2011/2012 erfolgreich einem solchen entziehen konnte. Bei seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat befand sich der BF nicht mehr im wehrfähigen Alter, weshalb anzunehmen ist, dass der BF spätestens in 2021 wegen des Krieges, nämlich wegen der Sicherheitslage, als auch – wie von ihm bei der Erstbefragung angeben - sohin aufgrund anderer, nicht asylbezogener Motive ausgereist ist.
2.9.4. Sofern die Beschwerdeseite explizit darauf verweist, dass der BF aufgrund seiner Asylantragstellung im Ausland bzw. wegen seiner Rückkehr einer allgemeinen Verfolgungsgefahr unterliegen würde, weil Rückkehrern grundsätzlich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde, sind dem mehrere Berichte entgegenzuhalten. So ergibt sich aus dem Bericht der ÖB aus September 2021, dass die ÖB regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern erreichen, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen, woraus sich ableiten ließe, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage könne es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Auch der aktuelle Bericht des Danish Immigration Service („Treatment upon Return“) aus Mai 2022 sagt, dass eine Asylantragstellung ipso facto nicht prinzipiell zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat führt: „According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment“. Darüber hinaus führt der Bericht aus: „In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities […] In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries“. Auch der EASO (EUAA) Bericht aus Juni 2021 berichtet davon, dass eine Asylantragstellung im Ausland nicht per se zu einer Verfolgung in Syrien führt: „A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent“.
Insgesamt ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Asylantragstellung zwar per se nicht zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung führt, Rückkehrer jedoch mit Problemen konfrontiert sind, sofern sie sich beispielsweise (in welcher Form auch immer) oppositionell betätigt haben oder den allgemeinen Wehrdienst verweigert haben. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, schneller erreicht werden mag, als in anderen Staaten und, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es wird hierbei auch nicht übersehen, dass bestimmte Personen in Syrien aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert auch oft nur auf familiären Verbindungen, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder auf der Präsenz der Person in oder ihrer Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, welches als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass einer dieser angeführten Umstände auf die konkrete Situation des BF tatsächlich zuträfe (s. Beweiswürdigung). Es gibt keine Hinweise auf außenwirksame, (exil-)politische, gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten des BF mit asylrelevanter Außenwirkung. Vielmehr war aufgrund der Beweiswürdigung (s. oben) davon auszugehen, dass der BF Syrien wegen des Krieges und wegen wirtschaftlicher Erwägungen verlassen hat. Eine aktuelle Gefährdung des BF durch die syrische Regierung oder durch kurdische Milizen aus asylrelevanten Merkmalen von hinreichender Intensität kann daher in casu nicht festgestellt werden.
2.9.5. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der inhaltlich gesteigerten Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist dem BF somit nicht gelungen, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in ihrem Herkunftsstaat Syrien in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.
2.9.6. Das aufgezeigte unglaubhafte Vorbringen des BF führt in der Folge nicht nur zur Unglaubhaftigkeit ihres Fluchtvorbringens, sondern indiziert auch die persönliche Unglaubwürdigkeit des BF (siehe Pkt. 2.11.).
2.10. Zu den Länderfeststellungen:
Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Syrien stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 10.08.2022, Version 7.
Die zur Lage in Syrien getroffenen Feststellungen basieren auf Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen und stellen im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers dar. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht grundsätzlich entgegen der beschwerdeseitig vorgebrachten Bedenken, kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.11. Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF:
Das widersprüchliche, gesteigerte und unplausible Fluchtvorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des BF.
Darüber hinaus führen auch die falschen Angaben zu seinem Verfahren zur Unglaubwürdigkeit des BF. So behauptete der BF das BFA-Protokoll sei ihm „nur so auf die Schnelle“ rückübersetzt worden, dies habe nicht einmal 2 Minuten gedauert und sei ihm der behauptete Teil, in welcher er seine politische Gesinnung angegeben habe, gar nicht rückübersetzt worden. Überdies habe er nur mit ja/nein antwortet können (s. Pkt. 2.9.).
Unter Berücksichtigung des insgesamt widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens, vor allem vor dem Hintergrund der zu Tage getretenen Widersprüchlichkeiten zu seinen behaupteten Fluchtgründen, hinterlässt der BF in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).
Aus diesen Gründen war der BF als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.
2.12. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
3.2. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zum Spruchteil A
3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht. (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191; vom 28.10.2009, 2006/01/0793; vom 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH vom 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH vom 27.05.1998, 97/13/0051).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH vom 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).
3.5.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten damit, dass der BF keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte.
3.5.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.
3.5.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.
3.5.4. Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.
3.5.5. Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, ist es dem BF insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete, aktuelle Verfolgung im Herkunftsstaat von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien, der Unglaubhaftigkeit seines Vorbringens zur behaupteten Furcht vor Zwangsrekrutierung, zur behaupteten politischen oppositionellen Gesinnung, zur behaupteten strafgerichtlichen Verurteilung im Herkunftsstaat und zur behaupteten Folter bei seiner Festnahme in 2004, sowie in Zusammenschau mit seinem eigenen Alter, kann daher nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3.5.6. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe ist per se, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, nicht dazu geeignet eine asylrelevante Verfolgung von erforderlicher Intensität im Herkunftsstaat des BF darzutun. Anhaltspunkte dafür, dass der BF als Rückkehrer infolge seiner Asylantragstellung im Ausland konkrete Verfolgung in Syrien fürchten müsste, liegen vor dem Hintergrund der gewürdigten, umfangreichen und verschiedenen Länderberichte nicht vor. Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante, gegen den BF gerichtete, Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche beschwerdeseitig auch nicht behauptet.
3.5.7. Da der BF sohin keine Verfolgungshandlungen in Bezug auf Syrien glaubhaft gemacht hat, liegen die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen nicht vor und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides deshalb gemäß § 28 Abs. 2 iVm 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Revision ist im konkreten Fall ausfolgenden Gründen nicht zulässig: Parteivorbringen ist abstrakt nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl. VwGH vom 24.01.1994). Die Auslegung von protokollierten Vorbringens ist nicht reversibel (vgl. VwGH vom 18.05.2016 RA 2016/04/001). Die Beurteilung, ob ein identer Sachverhalt vorliegt, ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH vom 25.02.2016 2015/19/0267). Die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffes in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK ist Frage des Einzelfalls (vgl. VwGH vom 23.06.2015 RA 2015/22/0027).
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