AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W152.2198375.1.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018, Zl. 1169724701-171195320, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.
Begründung:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF) ist minderjährig und Staatsangehöriger der Volksrepublik China. Seine Mutter ist XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China.
1.2. Verfahrensgang bezüglich der Mutter des BF
1.2.1. Die Mutter des BF stellte in Österreich am 19.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.12.2013, Zl. 13 17.060-BAT, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005) als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Mutter des BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Volksrepublik China ausgewiesen. Gegen diese Entscheidung wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
1.2.2. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.05.2014, GZ: W137 2000110-1/3E, gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 leg. cit. „zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung“ an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
1.2.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdwesen und Asyl vom 04.08.2014, Zl. IFA831706010 + VZ 1755468, wurde der Mutter des BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Gegen diese Entscheidung wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
1.2.4. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.08.2015, GZ: W137 2000110-2/2E, gemäß §§ 52 Ab. 2 Z 2 iVm Abs. 9 und 55 FPG sowie §§ 55 und 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
1.2.5. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes vom 06.09.2017, Zl. 831706010 – 171032153, wurde hinsichtlich der Mutter des BF zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft angeordnet. Am 08.09.2017 wurde sie wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen. Am XXXX wurde der BF geboren.
1.2.6. Am 03.10.2018 stellte die Mutter des BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.
1.2.7. Mit Verfahrensanordnung vom 18.02.2019 wurde das Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterbrochen. Das Beschwerdeverfahren des BF sei nämlich noch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
1.3. Verfahrensgang bezüglich des BF
1.3.1. Der BF wurde am XXXX in Wien geboren und stellte durch seine gesetzliche Vertretung (Mutter) am 20.10.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
1.3.2. Am 20.10.2017 wurde die Mutter des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Landespolizeidirektion Wien, erstbefragt. Dabei gab sie zu den „Fluchtgründen“ befragt an, der BF könne aus familiären und gesetzlichen Gründen nicht in die Volksrepublik China zurückkehren. In der Volksrepublik China dürfe man pro Familie nämlich nur ein Kind haben.
1.3.3. Im Rahmen einer am 25.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vorgenommenen niederschriftlichen Einvernahme gab die Mutter des BF im Wesentlichen an, der BF könne nicht in die Volksrepublik China zurückkehren. Sein Aufenthalt in der Volksrepublik China wäre illegal und er könne nicht in die Schule gehen. Es sei außerdem unklar, ob der BF von der Familie akzeptiert werde. Der Vater des BF sei Vietnamese und befinde sich in Deutschland im Gefängnis. Die Mutter des BF habe auch noch eine Tochter, die beim Ehegatten der Mutter des BF in der Volksrepublik China lebe. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der familiären Situation im Falle einer Rückkehr der Mutter des BF mit ihrem in Österreich geborenen Sohn unterblieb jedoch. Die diesbezügliche Niederschrift umfasst hiebei bloß zweieinhalb Seiten.
1.3.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom 28.05.2018, Zl. 1169724701-171195320, wurde unter Spruchpunkt I der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 sowie unter Spruchpunkt II der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Volksrepublik China gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Unter Spruchpunkt III wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt IV gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Begründend hielt die belangte Behörde fest, das Vorbringen zeige keinen Konnex zu Konventionsgründen auf. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei somit abzuweisen. Eine extreme Gefahrenlage und Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung gehe aus den Länderfeststellungen nicht hervor. Im Übrigen sei die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und eine medizinische Basisversorgung grundsätzlich gewährleistet. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei daher ebenfalls abzuweisen. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege die privaten und familiären Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich. Es sei somit eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Im Rahmen der Länderfeststellungen führte das Bundesamt u.a. aus, dass eine alleinstehende Frau keine Möglichkeit habe Kinder „legal“ zur Welt zu bringen. Vor der Geburt müsse eine Genehmigung eingeholt werden. Diese werde jedoch nur verheirateten Paaren erteilt. Ein Verstoß gegen die Familienplanungsbestimmungen werde mit empfindlichen Geldbußen geahndet. Werde dieses Bußgeld nicht bezahlt, dürfe keine Eintragung in das Haushaltsregister (Hukou-System“) vorgenommen werden. Die meisten sozialen Leistungen seien wiederum an die Wohnrechtsregistrierung („Hukou-System“) gekoppelt. Gelegentlich gebe es Berichte über Kinder, die von örtlichen Behörden als „Strafe“ für Verstöße gegen die Familienplanungspolitik oder Nichtzahlung von Geldbußen den Familien weggenommen, an Waisenhäuser verkauft und von dort gegen hohe Beträge zur Adoption ins Ausland vermittelt werden würden.
1.3.5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass bei richtiger rechtlicher Subsumtion dem BF internationaler Schutz zu gewähren sei. Die Behörde habe sich unzureichend mit den Länderberichten auseinandergesetzt und habe den maßgeblichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß festgestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2. Feststellungen:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten.
2.1. Zum Verfahrensgang
Der unter Punkt 1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China und Sohn von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China.
3. Beweiswürdigung:
3. Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wobei insbesondere auf die einliegende Kopie der Geburtsurkunde des BF hingewiesen wird, und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
4. Rechtliche Beurteilung:
4.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz; BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz; BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
4.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz; VwGVG) BGBl I Nr. 22/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gemäß §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß Abs. 5 leg.cit. sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.
Zu A)
4.3. Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs 3 zweiter Satz VwVGV ([vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich], Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).
Gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019;VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen würden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Die verwaltungsgerichtliche meritorische Entscheidungszuständigkeit hält grundsätzlich hintan, dass die Erledigung eines von einer Verwaltungsbehörde eingeleiteten Verfahrens erst nach einem längeren Zeitraum hinweg in einer Art eines "Pingpongspiels" erfolgenden Wechsels zwischen verwaltungsgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen erfolgen kann. Zudem wird nur ein solches Verständnis der mit der Etablierung der Verwaltungsgerichte erfolgenden Zielsetzung gerecht, den Anforderungen der EMRK sowie denen des Rechts der Europäischen Union im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes zu entsprechen. Zum einen ist aufgrund dieser Anforderungen bei der Interpretation der sich aus § 28 Abs 3 VwGVG für die meritorische Entscheidungskompetenz ergebenden Ausnahmen ohnehin auch das grundsätzlich zu einer restriktiven Sicht dieser Ausnahmen führende Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auf dem Boden der meritorischen Entscheidungskompetenz getroffene Entscheidungen der Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine verlässliche Gewähr dafür bieten, dass den von diesen Vorgaben an die behördliche Entscheidungskompetenz gerichteten Anforderungen entsprochen wird (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründungen hinwegsetzen (vgl. VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, etwa in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aufgrund folgender Erwägungen:
Die Mutter des BF brachte zur familiären Situation vor, der Vater des BF sei Vietnamese und befinde sich in einem deutschen Gefängnis. Die Mutter des BF habe in der Volksrepublik China eine Tochter und einen Ehegatten (vgl. niederschriftliche Einvernahme vom 25.04.2018, AS 82). Aus den aus Länderberichten gewonnenen Feststellungen des Bundesamtes geht hervor, dass eine alleinstehende Frau keine Möglichkeit habe Kinder „legal“ zur Welt zu bringen. Vor der Geburt müsse eine Genehmigung eingeholt werden. Diese werde jedoch nur verheirateten Paaren erteilt (vgl. Seite 19 des angefochtenen Bescheides). Ein Verstoß gegen die Familienplanungsbestimmungen werde mit empfindlichen Geldbußen geahndet. Werde dieses Bußgeld nicht bezahlt, dürfe keine Eintragung des Kindes in das Haushaltsregister („Hukou-System“) vorgenommen werden (vgl. Seite 19 des Bescheides). Die meisten sozialen Leistungen seien wiederum an die Wohnrechtsregistrierung („Hukou-System“) gekoppelt (vgl. Seite 22 des Bescheides). Gelegentlich gebe es Berichte über Kinder, die von örtlichen Behörden als „Strafe“ für Verstöße gegen die Familienplanungspolitik oder Nichtzahlung der Geldbuße den Familien weggenommen, an Waisenhäuser verkauft und von dort gegen hohe Beträge zur Adoption ins Ausland vermittelt werden würden (vgl. Seite 20 des Bescheides).
Die belangte Behörde argumentiert damit, dass der BF über Familienangehörige in der Volksrepublik China verfüge und der Lebensunterhalt durch die Obsorge der Erziehungsberechtigten und das staatliche Sozialsystem gesichert sei. Ein leistungsfähiger Familienverband des BF wurde jedoch weder explizit festgestellt noch wurden Ermittlungen in diese Richtung vorgenommen. Die belangte Behörde begründet auch nicht, worauf sie diese Annahmen stützt. Ganz im Gegenteil brachte die Mutter des BF doch vor, es sei zweifelhaft, ob der BF von der Familie akzeptiert werde (vgl. AS 83 und 84). In Anbetracht der vom Bundesamt vorgenommenen Feststellungen zur Familienpolitik in der Volksrepublik China ist eine Teilhabe des BF als uneheliches Kind am chinesischen Sozialsystem fraglich und deshalb zu klären, wobei vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen selbst eine persönliche Verfolgung bzw. Gefährdung des BF nicht von vornherein auszuschließen ist. Die Frage, ob die Kindesmutter ohne staatliche und familiäre Unterstützung den BF versorgen könne, wurde im erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal ansatzweise geklärt.
Die Behörde hat somit im konkreten Fall gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. Die im AVG verankerte Ermittlungspflicht verpflichtet das Bundesamt, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass der maßgebliche Sachverhalt festgestellt werden kann (vgl. VwGH vom 23.11.2017, Ra 2016/11/0160).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren. Das Bundesamt kann somit die notwendigen – auch darüber hinausgehenden – Ermittlungsschritte wesentlich rascher und effizienter nachholen.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (§ 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.
Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.
4.4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid zu beheben ist.
Zu B)
4.5. Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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