AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W247.2244820.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. am XXXX und 2.) XXXX , geb. am XXXX , beide StA. Syrien und vertreten durch die XXXX gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2021, Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.05.2022, zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Beschwerdeführer (BF1-BF2) sind syrische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Araber und der sunnitischen Ausrichtung des Islam zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist der Vater des volljährigen Zweitbeschwerdeführers (BF2).
I. Verfahrensgang:
1. Die BF1-BF2 reisten zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 28.09.2020, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten an ebendiesem Tag jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchen sie am 29.09.2020 vor der Landespolizeidirektion XXXX im Beisein eines den BF1-BF2 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH erstbefragt, sowie am 27.04.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , im Beisein eines den BF1-BF2 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH, niederschriftlich einvernommen wurden.
2.1. Der BF1 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 29.09.2020 vor, in XXXX geboren und verheiratet zu sein. Er spreche muttersprachlich Arabisch, gehöre der sunnitischen Ausrichtung des Islam, sowie der arabischen Volksgruppe an und habe im Herkunftsstaat 8 Jahre lang die Schule besucht. Der BF1 habe keine Berufsausbildung absolviert und zuletzt als Verkäufer gearbeitet. Seine Eltern und seine beiden Brüder seien bereits verstorben, im Herkunftsstaat würden jedoch noch zwei Schwestern (ca. XXXX und XXXX Jahre alt) und die Tochter des BF1 ( XXXX geboren) leben. Eine weitere Schwester des BF1 (ca. XXXX Jahre alt) lebe in Jordanien und eine weitere Schwester des BF1 lebe in der Türkei (ca. XXXX Jahre alt). Ein weiterer Sohn (geb. XXXX ) und die Ehefrau des BF1 würden in XXXX , der Türkei, leben. Der BF2 sei mit dem BF1 gemeinsam nach Österreich gereist. Den Entschluss zur Ausreise habe der BF1 im Jahr 2017 gefasst, er habe in Sicherheit leben wollen. Ausgereist sei der BF1 aus dem Herkunftsstaat im Dezember 2017 zu Fuß. Er habe sowohl einen syrischen Reisepass, als auch einen syrischen Personalausweis gehabt, welche gemeinsam mit seinem Haus verbrannt seien. Der BF1 habe jedoch noch das Familienbuch, das sich bei der Frau des BF1 in der Türkei befinde. Er habe sich nach seiner Ausreise 2 ½ Jahre in der Türkei aufgehalten und sei dann nach etwa 2 Wochen in Griechenland über Mazedonien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist. Der BF1 habe in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt. Von Syrien in die Türkei habe der BF1 einen Fußschlepper gehabt, die übrige Reise habe er selbst, mithilfe von GPS-Daten, zurückgelegt. EUR 1.000,- habe der BF1 für die Reise bezahlt, an den Schlepper könne er sich nicht mehr erinnern, weil es schon 3 Jahre her sei.
Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF1 an, dass sein Haus im Zuge des Krieges zerstört und verbrannt worden sei. Der BF1 habe nichts und habe er Angst um sein Leben. Er habe auch Angst vor der Regierung, der Armee und der terroristischen Gruppe Hisbollah. Sie hätten ihr Land verlassen müssen, um in Sicherheit leben zu können. Bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte der BF1, dass er von der Regierung getötet oder eingesperrt würde.
2.2. Der BF2 führte bei seiner Erstbefragung am 29.09.2020 aus, in XXXX geboren und verheiratet zu sein. Er spreche muttersprachlich Arabisch, gehöre der sunnitischen Ausrichtung des Islam, sowie der arabischen Volksgruppe an und habe im Herkunftsstaat 12 Jahre lang die Schule besucht, die er mit Matura abgeschlossen habe. Der BF2 habe keine Berufsausbildung absolviert und zuletzt als Krankenpfleger gearbeitet. Die Ehefrau (geb. XXXX ) und die Schwester des BF2 (geb. XXXX ) würden sich noch im Herkunftsstaat aufhalten. Der Bruder und die Mutter des BF2 würden in XXXX , der Türkei, leben. Den Entschluss zur Ausreise habe der BF2 im Jahr 2017 gefasst und sei er im Dezember 2017 zu Fuß in die Türkei gegangen. Er habe einen syrischen Personalausweis gehabt, welcher mit dem Haus verbrannt sei. Das Familienbuch könne der BF2 besorgen. Zum Reiseweg machte der BF2 im Wesentlichen dieselben Angaben wie der BF1.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, brachte der BF2 vor, in seinem Land herrsche Krieg und gäbe es dort keine Sicherheit, sowie keinen Frieden. Eigentlich gäbe es gar kein Land mehr. Im Jahr 2017 sei die Armee in ihr Dorf eingedrungen und habe das ganze Dorf zerstört. Das Haus, in welchem der BF2 gelebt habe, sei niedergebrannt worden. Der BF2 habe direkt flüchten müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Er könne dort nicht leben und habe die Regierung das Dorf seit 3 Jahren übernommen. Wenn jemand zurückkomme, würde er sofort verhaftet. Der BF2 sei auch zum Militär einberufen worden und wolle auf keinen Fall kämpfen. Bei einer Rückkehr habe der BF2 immer noch Angst vor der Regierung, der Armee und seiner Verhaftung.
3.1. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.04.2021 gab der BF1 im Wesentlichen an, dass er gesund sei, keine Medikamente nehme, Staatsangehöriger Syriens, Araber und Sunnit sei. Er stamme aus dem ländlichen XXXX , dem Dorf XXXX und sei am XXXX in XXXX geboren. Von XXXX sei der BF1 in der Schule gewesen und habe er von XXXX als Maurer und Bauhelfer gearbeitet. Von XXXX sei er in der Nähe von XXXX und XXXX bei den Luftstreitkräften gewesen. Von XXXX habe der BF1 in der Baubranche weitergearbeitet und habe er im Jahr 1990 geheiratet, sowie ein Lebensmittelgeschäft in XXXX eröffnet und bis 2016 betrieben. Dann seien sie von dort vertrieben worden und hätten 2 Monate in XXXX gelebt. Im März 2017 sei der BF1 mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in die Türkei gereist. Sie seien aus XXXX weggegangen, weil es schwierig gewesen sei. Es habe immer Krieg und Bombardierungen gegeben. Das Heimatdorf des BF1 habe ca. 3.000 Einwohner, 2 Schulen und 2 Moscheen, es sei ein Touristengebiet. Alle seien dort Muslime. Das Leben des BF1 in Syrien sei bis zum Krieg gut gewesen. Er habe gearbeitet und gelebt, doch lebe seit Ende des Jahres 2016 keiner im Dorf XXXX . Die Tochter des BF1 lebe ca. 15 km entfernt. Sein letzter Arbeitstag in Syrien sei im August 2016 gewesen und habe er zuletzt in XXXX gelebt, sonst habe er in XXXX gewohnt. Der BF1 habe einen syrischen Reisepass, eine syrische ID Karte und einen syrischen Führerschein gehabt, welche im Haus verbrannt seien. Als sein Haus abgebrannt sei, habe sich der BF1 in einem Dorf in der Nähe seines Heimatdorfes befunden und habe der BF2 in der Nähe des Hauses gearbeitet. Nachgefragt sei das Haus im Dezember 2016 abgebrannt, als sie schon geflüchtet gewesen seien. Die Schwiegertochter des BF1 sei an diesem Tag bei ihren Eltern auf Besuch gewesen. Der BF1 legte folglich mehrere Identitätsdokumente in Kopie vor.
Der BF1 sei seit 1990 verheiratet, seine Ehefrau heiße XXXX sei im XXXX in XXXX geboren, syrische Staatsangehörige, Araberin und Sunnitin. Sie hätten in XXXX standesamtlich geheiratet und habe der BF1 die Heiratsurkunde in Kopie vorgelegt. Er habe sonst nie geheiratet und habe auch keine Zweitfrau. Die Ehefrau des BF1 befände sich in XXXX und versorge sie sein Sohn XXXX . Der BF1 habe einen Sohn und eine Tochter. Zwei Schwestern, eine Tochter, sowie Neffen und Nichten würden noch im Herkunftsstaat leben. Die Familie des BF1 habe noch ein Grundstück in Syrien, die Häuser seien zerstört. Mit seiner Ehefrau kommuniziere der BF1 telefonisch über Whatsapp und habe er zuletzt gestern mit seinen Familienangehörigen Kontakt gehabt. Befragt dazu, ob es eine Telefonnummer gäbe, unter welcher die Familie des BF1 erreichbar sei, gab der BF1 an, sich mit dem Handy nicht auszukennen. Der BF1 habe regelmäßigen Kontakt zu seiner Tochter und seinen beiden Schwestern im Herkunftsstaat. Er habe sich Ende Jänner 2017 zur Ausreise entschlossen und sei mit Hilfe eines Schleppers im Februar 2017 mit seiner Ehefrau, sowie seinen beiden Söhnen ausgereist. Auf dem Weg nach Österreich, welcher von der Türkei 2 Monate und 10 Tage gedauert habe, seien sie durch Griechenland, Mazedonien, den Kosovo, Serbien und Ungarn gereist. In der Türkei hätten sie sich 3 ½ Jahre in XXXX aufgehalten, wobei die Kinder in einer Tischlerei und Fabriken gearbeitet hätten, der BF1 jedoch nicht. Bei ihrer Ausreise seien sie 6 Personen gewesen, die BF1-BF2, 2 Neffen des BF1 und 2 junge Leute aus demselben Ort. Das Geld für die Ausreise hätten sie von ihren Verwandten geliehen, sie hätten einen Bekannten in Deutschland. Das Geld sei nach Serbien überwiesen worden und sei Österreich das Ziel ihrer Reise gewesen, weil der BF1 darüber gelesen habe.
Der BF1 werde in der Heimat vom syrischen Geheimdienst gesucht, weil er von 2013 bis 2016 jeden Freitag nach dem Mittagsgebet von 13:30 etwa 3 bis 4 Stunden an Demonstrationen teilgenommen habe. Der BF2 sei auch dabei gewesen. Sie seien bei über hundert Demonstrationen dabei gewesen und habe der BF1 bei der Erstbefragung davon nichts erzählt, weil er nicht gefragt worden sei. Nachgefragt, ob der BF1 wegen der Demonstrationen Probleme gehabt habe, gab er an, dass nichts passiert sei. Befragt, ob es irgendwelche Probleme deswegen gegeben habe, führte der BF1 aus, sie seien 3 Mal mit dem Flugzeug bombardiert worden, nämlich einmal zu Ramadan 2015, einmal Ende 2015 und ein weiteres Mal Anfang 2016. Sie hätten jedoch bis Ende 2016 dort gewohnt. Der BF1 sei niemals von den Behörden festgenommen oder verhaftet worden, habe aber mit dem syrischen Geheimdienst Probleme gehabt. Nachfragt welche Probleme das gewesen seien, gab der BF1 an, es seien nur die Demos gewesen. Gegen den BF1 würden 2 Haftbefehle vorliegen, nämlich einer vom politischen und einer vom syrischen Geheimdienst. Es handle sich um mündliche Haftbefehle, wobei der Notar angerufen und gesagt habe, diese Person würde gebraucht. Diese Haftbefehle gäbe es seit 2012 bzw. 2013, doch sei der BF1 nie festgenommen worden, weil sie außerhalb des Gebiets der syrischen Armee gewesen seien. Auf Vorhalt, dass der BF1 im Bus oder in XXXX festgenommen werden hätte können, gab er an, es sei eine Einigung durch die Russen gewesen und sei XXXX täglich bombardiert worden. Es habe eine Einigung zwischen den Russen, der syrischen Armee und der freien syrischen Armee gegeben. Das sei nicht nur für den BF1, sondern für alle Kämpfer dort gewesen. Er sei im Herkunftsstaat nicht politisch tätig gewesen, noch Mitglied einer politischen Partei gewesen, sei jedoch wegen seiner politischen Gesinnung vom politischen Geheimdienst ca. 6 Jahre lang verfolgt worden. Der BF1 sei zum Notar geladen worden, aber nicht hingegangen. Das sei im Jahr 2012 und 2013 gewesen. Er könne sich nicht daran erinnern, wann es genau gewesen sei. Bis Ende des Jahres 2016 habe der BF1 noch dort gewohnt und habe es in dieser Zeit keine Probleme gegeben. Die BF1-BF2 seien im Herkunftsstaat nie wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer Religion verfolgt worden.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF1 aus wegen des Krieges ausgereist zu sein. Es habe keine Sicherheit und keine Geborgenheit gegeben. Es sei Krieg gewesen und dürfe niemand mehr in ihr Dorf. Andere Fluchtgründe habe der BF1 nicht und sei er persönlich niemals bedroht worden. Bei einer Rückkehr fürchte er aufgehängt zu werden. In Österreich befänden sich ein Sohn des BF1 und 2 Neffen. Ein weiterer Neffe befinde sich in Deutschland.
3.2. Der BF2 brachte im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.04.2021 zusammenfassend vor, gesund zu sein und Magentabletten zu nehmen. 2-3 Mal sei der BF2 beim Arzt gewesen, glaublich nehme er das Medikament Casbon, wobei er ein Rezept erhalten habe. Der BF2 gab korrigierend hinsichtlich der Erstbefragung zu Protokoll, dass seine Ehefrau am XXXX Geburtstag habe. Der BF2 habe noch in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt. Griechenland könne Flüchtlingen nicht helfen, deshalb habe der BF2 dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der BF2 sei syrischer Staatsangehöriger, Arber und Sunnit. Er komme aus dem ländlichen XXXX , dem Dorf XXXX , wo er am XXXX geboren sei. Von XXXX sei der BF2 in die Schule gegangen und habe er einen Maturaabschluss. Von XXXX sei der BF2 auf der Universität in XXXX und anschließend in XXXX gewesen. Er habe jedoch keinen Abschluss. Von 2014 bis 2017 seien sie in XXXX von der syrischen Armee belagert worden. In dieser Zeit habe der BF2 mit seinem Vater in einem Lebensmittelgeschäft und als Pfleger bei der Organisation XXXX in XXXX gearbeitet. Im Dezember 2016 habe die syrische Armee ihr Dorf erobert und seien sie mit Bussen nach XXXX transportiert worden. Die syrische Armee habe gewollt, dass niemand mehr im Dorf bleibe. 2 Monate seien sie in XXXX geblieben, dann sei der BF2 mit seinen Eltern und seinem Bruder in die Türkei gereist. Seine Frau habe der BF2 nicht mitnehmen können, er habe sie in XXXX schon verloren und habe sie seit dem Jahr 2017 nicht mehr gesehen. Mit ihr bestehe telefonischer Kontakt. Die Ehefrau des BF2 sei mit ihren Eltern nach XXXX , ca. 25 km von XXXX entfernt, gegangen. Der BF2 sei nicht mit ihr dorthin gegangen, weil ihn die Regierung festgenommen hätte. Es habe eine Einigung zwischen der Regierung und der freien syrischen Armee gegeben, dass die Zivilisten nach XXXX kommen. Seine Frau habe woanders hingehen können, weil sie vorher schon gegangen seien. Der BF2 sei nicht mitgekommen, weil er Angst gehabt habe von der Regierung festgenommen zu werden. Er sei aus XXXX weggegangen, weil es bombardiert worden sei.
Das Heimatdorf des BF2 habe ca. 3.000 Einwohner, eine Schule und eine Moschee. Es befinde sich ca. 20 km von XXXX entfernt und seien alle Einwohner Muslime. Bis 2014 sei der BF2 Schüler und Student gewesen. Ab dem Jahr 2011 sei sein Leben aufgrund des Krieges nicht gut gewesen. Von 2014 bis 2017 habe der BF2 keine Universität besucht, weil sie belagert worden seien. Der BF2 habe jedoch mit seinem Vater gearbeitet und sei sein letzter Arbeitstag im Dezember 2016 gewesen. Die Eltern des BF2 würden aus XXXX stammen und habe der BF2 zuletzt im Herkunftsstaat in XXXX , zuvor in XXXX , gewohnt. Der BF2 habe nie einen Reisepass gehabt, seine ID Karte sei im Dezember 2016 verbrannt. Seine Frau habe ihre ID Karte bei sich gehabt, sie sei bei ihrer Familie in XXXX gewesen. Der BF2 habe seine Frau vorher schon eine Stunde zu Fuß hingebracht. Das Haus sei bei der Einfahrt zum Dorf gewesen und habe sie nur den Personalausweis mitgehabt. Es sei am Abend gewesen, das genaue Datum und die Uhrzeit wisse der BF2 nicht. Als das Haus im Dezember 2016 verbrannt sei, sei der BF2 beim Haus gewesen. Er habe sich mit seinen Eltern und seinem Bruder im unteren Stockwerk ihres Hauses versteckt. Der BF2 könne sich nicht daran erinnern, wer noch dort gewesen sei. Das untere Stockwerk habe dem Onkel des BF2 gehört, dieser habe jedoch nicht dort gewohnt. Es seien noch 6-7 Leute der Nachbarschaft dort gewesen.
Die Ehefrau des BF2 heiße XXXX und sei am XXXX in XXXX geboren. Sie sei syrische Staatsangehörige, Araberin und Sunnitin. Der BF2 habe sie am 08.10.2016 traditionell bei ihren Eltern in XXXX geheiratet. Standesamtlich hätten sie am 15.04.2020 in Abwesenheit des BF2 über einen Anwalt geheiratet. Die Ehe sei nach syrischem Recht auf Wunsch seines Schwiegervaters registriert worden. Die Heiratsurkunde befinde sich im Akt. Bei der traditionellen Eheschließung hätten sie keine Dokumente erhalten. Anwesend seien die Eltern des BF2, sein Bruder, seine Schwester, die Eltern seiner Ehefrau und ihre Verwandten gewesen. Nachgefragt seien Freunde und Cousins seiner Ehefrau, sowie Tanten und Cousinen des BF2 ebenfalls dabei gewesen. Der BF2 habe sonst nie geheiratet und habe auch keine Zweitfrau. Seine Ehefrau befinde sich bei ihren Eltern in XXXX . Nachgefragt, warum sie dort lebe, vermutete der BF: „Vielleicht weil die Miete billig ist.“, genau wisse es der BF2 nicht. Er habe Kontakt mit seiner Ehefrau und arbeite sie im Herkunftsstaat. In Syrien lebe noch die Ehefrau des BF2, seine Schwester und Tanten des BF2 vs. Der Vater des BF2 lebe in Österreich, seine Mutter und sein Bruder befänden sich in der Türkei. Die BF1-BF2 hätten kein Geld dazu gehabt auch die Mutter und den Bruder des BF2 mitzunehmen. In Syrien würden sie noch über 2 Häuser und ein Geschäft verfügen. Zu seiner Mutter und seiner Ehefrau habe der BF2 telefonischen Kontakt. Zuletzt habe er mit beiden gestern telefoniert und gab der BF2 deren Telefonnummern zu Protokoll. Der BF2 habe sich im April 2017 dazu entschlossen den Herkunftsstaat zu verlassen und habe das im April 2017 mit Hilfe eines Schleppers auch getan. Den habe er gebraucht, weil die türkische Armee wahllos auf Personen schieße. Die Schlepper wüssten den genauen Weg. Über Griechenland, Mazedonien, den Kosovo, Serbien und Ungarn sei der BF2 nach Österreich gereist. In XXXX habe er 2 Jahre und 10 Monate lang gelebt. Dort habe der BF2 in einer Tischlerei und bei einem Haushaltsgeräteträger gearbeitet. Der BF1 habe auch gelegentlich als Träger und Bauhelfer gearbeitet. Die Reise nach Österreich habe von Juli bis September 2020 gedauert. Die BF1-BF2 seien mit zwei weiteren Cousins des BF2 nach Österreich gekommen und habe die Reise ca. EUR 1.000,- pro Person gekostet. Ein Cousin in Deutschland habe ihnen Geld geliehen. Ihr Zielland sei Österreich gewesen, weil es keine rassistische Bevölkerung gäbe. Es gäbe Freiheit und könne der BF2 arbeiten, sowie studieren. Der BF2 sei von den Behörden im Herkunftsstaat niemals festgenommen oder verhaftet worden und habe mit diesen niemals Probleme gehabt. Der BF2 sei wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seine Religion im Herkunftsstaat verfolgt worden, nämlich von der syrischen Regierung, weil er Sunnit sei. Alle Sunniten in Syrien würden verfolgt. Alle seien unterdrückt, aber nicht verfolgt. Der BF2 sei in seiner Heimat niemals wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion verfolgt worden.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF2 aus, von der Regierung verfolgt zu werden, weil er an mehreren Demonstrationen teilgenommen habe und, weil er als Pfleger bei einer Organisation gearbeitet habe. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner politischen Meinung gegen die Regierung verfolgt worden und müsse er zum Militär. Das habe er bei der Erstbefragung nicht gesagt, weil er vorher nichts geschlafen habe und müde gewesen sei. Der BF2 wisse nicht, wie viele Demos es gewesen seien. Die erste sei in XXXX im Jahr 2011 gewesen. Die zweite sei in XXXX einem Dorf in der Nähe ebenfalls im Jahr 2011 gewesen. Irgendwann sei der BF2 auch bei einer Demonstration in XXXX bei der Wirtschaftsuni im Jahr 2011 gewesen. Der Rest sei in XXXX gewesen. Der BF2 habe dann noch 6 Jahre dort gewohnt und habe er von 2015 bis 2017 Probleme gehabt. Der BF2 würde aufgrund der Demos von der syrischen Armee verfolgt, das sei seinem Notar mündlich mitgeteilt worden. Aufgrund der Einigung der syrischen Armee mit der freien Armee sei der BF2 beim geforderten Verlassen des Heimatdorfs von der syrischen Armee im Bus nicht verhaftet worden. Der BF2 sei von der syrischen Armee persönlich über den Notar verfolgt worden. Sie hätten zu diesem gesagt, dass der BF2 verfolgt sei, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe. Nachgefragt, ob der BF2 persönlich bedroht worden sei, gab er an, dass ein syrischer Offizier während des Einsteigens in den Bus gesagt habe, dass keiner von ihnen zurückkehren solle, widrigenfalls sie festgenommen und umgebracht würden. Der Offizier habe ihre Namen notiert, sonst nichts gemacht. Der BF2 sei damals 26 Jahre alt gewesen und habe im Herkunftsstaat keinen Einberufungsbefehl erhalten. Er sei nicht bei der Armee gewesen, weil er seinen Aufschub bis zum Jahr 2014 aufgrund seines Studiums verlängern habe können. Nach 2014 sei er nicht hingegangen und nicht mehr einberufen worden. Auf Vorhalt, dass der Offizier den BF2 zum Militär schicken hätte können, brachte er vor, dass die Armee die Personen nur wegbringen hätten sollten. Der Offizier habe mit allen geredet und die Namen aufgeschrieben. Der BF2 müsse seinen Wehrdienst in Syrien noch ableisten. Sie seien von der syrischen Armee belagert gewesen und sei das Gebiet von der freien syrischen Armee kontrolliert worden. Bei seiner Rückkehr habe der BF2 Angst festgenommen und von der syrischen Armee umgebracht zu werden. Wegen der Einigung habe die Armee nicht die Möglichkeit gehabt den BF2 festzunehmen. Befragt dazu, wie es möglich sei zu heiraten und sich Dokumente ausstellen zu lassen, gab der BF2 an, dass das mit Geld möglich sei und er ca. EUR 300,- oder 400,- bezahlt habe. Da gäbe es keine Probleme, obwohl der BF2 verfolgt sei. Auch für seine Frau gäbe es keine Probleme.
Der BF1 und 2 Cousins des BF2 würden in Österreich leben. Seine Cousins seien im XXXX .
4. Die BF1-BF2 brachten erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:
Kopie der Eheschließungsurkunde des BF1 und seiner Ehefrau (deutsche Übersetzung), Datum des Vertrages 19.06.1989;
Kopie des Auszuges aus dem Familienregister syrischer Bürger vom 15.11.2020 (deutsche Übersetzung);
Kopien der Auszüge aus dem Personenregister vom 15.11.2020 betreffend den BF1-BF2, den Bruder des BF2, die Schwester und die Mutter des BF2 (deutsche Übersetzung);
Kopien der Geburtsurkunden der BF1-BF2, des Bruders, der Schwester und der Mutter des BF2 vom 15.11.2020 (deutsche Übersetzung);
Heiratsvertrag der Eltern des BF2 vom 19.06.1989 (deutsche Übersetzung);
Kopien aus dem Familienbuch in arabischer Schrift samt deutscher Übersetzung;
5.1. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 09.07.2021 wurden die Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
5.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der BF1-BF2, zur Situation im Falle ihrer Rückkehr, sowie zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es habe keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage in Syrien, würde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der BF1-BF2 jedoch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens darstellen, weshalb den BF1-BF2 subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
5.3. Beweiswürdigend führte das BFA in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen aus, dass die Angaben der BF1-BF2 unglaubhaft seien, weil diese bis Ende 2016 unbehelligt ihrer Arbeit nachgegangen seien und die Ehefrau des BF2, seine Schwiegereltern, eine weitere Tochter des BF1, 2 Schwestern des BF1, sowie Nichten und Neffen des BF1 noch immer dort leben würden. Hinsichtlich ihrer Aufenthaltsorte während der Zerstörung des Hauses der BF1-BF2 machten die BF1-BF2 völlig widersprüchliche Angaben, weshalb das Vorbringen der BF1-BF2 mit Unglaubhaftigkeit belastet sei. Auch betreffend die Teilnahmen an Demonstrationen machten die BF1-BF2 voneinander abweichende Angaben, zumal der BF1 davon sprach von 2013 bis 2016 jeden Freitag nach dem Mittagsgebet an Demonstrationen teilgenommen zu haben und der BF2 angab im Jahr 2011 demonstriert zu haben, wobei dieser den Tag und das Monat nicht wisse und auch nicht die Anzahl, sowie angegeben habe, die erste Demo sei abends zwischen 22h und Mitternacht gewesen. Der BF1 habe zwar angegeben, dass gegen ihn ein mündlicher Haftbefehl aus dem Jahr 2012 und 2013 bestehe, doch hätten sie weitere Jahre problemlos im Herkunftsstaat gelebt. In Widerspruch dazu habe der BF2 angegeben von der syrischen Armee aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen verfolgt zu werden. Es sei nicht davon auszugehen, dass die syrische Regierung bzw. die Armee ein ernstes Augenmerk auf die BF1-BF2 habe, weil keine weiteren Handlungen gesetzt worden seien, obwohl die Möglichkeit dazu bestanden habe. Die BF1-BF2 machten auch widersprüchliche Angaben zu ihrem Ausreisezeitpunkt. Der BF1 gab an im Februar 2017 ausgereist zu sein, der BF2 behauptete im April 2017 ausgereist zu sein. Insgesamt erweisen sich die von den BF1-BF2 erstatteten Vorbringen als unglaubhaft.
6. Mit Information zur Rechtsberatung vom 13.07.2021 wurde den BF1-BF2 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
7.1. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 26.07.2021 wurde für die BF1-BF2 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter, das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. der gegenständlichen Bescheide des BFA, zugestellt am 14.07.2021, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide blieben von der Beschwerde unberührt.
7.2. Begründend wurde beschwerdeseitig zunächst der Verfahrensgang, sowie der Sachverhalt erneut dargestellt und ausgeführt, dass der BF2 im wehrfähigen Alter sei, seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe, in Syrien an Demos gegen das syrische Regime teilgenommen habe, sowie im Zuge seiner Arbeit als Pfleger Oppositionelle behandelt habe, weshalb der BF2 ebenfalls Verfolgung durch das syrische Regime befürchte. Auch habe der BF1 an Demos gegen das syrische Regime teilgenommen. Richtiggestellt wurde außerdem, dass der BF1 vom Dorfvorsteher, nicht von einem Notar, von den gegen seine Person vorliegenden Haftbefehlen erfahren habe.
Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und Verfahrensvorschriften verletzt. Insbesondere habe sie gegen ihre amtswegigen Ermittlungspflichten verstoßen und sich mangelhafter, da teilweise unvollständiger, Länderberichte bzw. unter Außerachtlassung ihres eigenen Amtswissens, bedient. In Anbetracht des Vorbringens hätte die belangte Behörde die in weiterer Folge genannten Länderberichte zur Entscheidungsfindung heranziehen müssen, wobei Auszüge aus dem LIB zum Wehrdienst wiedergegeben wurden und aus einem Bericht von UNHCR aus März 2021 zitiert wurde. Aus diesen Berichten ergäbe sich, dass dem BF2 im Falle seiner Rückkehr die Gefahr drohe am Flughafen inhaftiert und zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Der BF2 habe seinen Wehrdienst bisher nicht abgeleistet und seien angesichts des Mangels der syrischen Armee an Soldaten keine Gründe ersichtlich, weshalb gerade der BF2, welcher sich im wehrfähigen Alter befände, nicht eingezogen werden sollte. Hätte die belangte Behörde diese Berichte entsprechend gewürdigt, wäre sie zu dem Ergebnis gekommen, dass den BF1-BF2 asylrelevante Verfolgung drohe.
In dem bereits von UNHCR erwähnten Bericht werde hervorgehoben, dass jedwede Kritik an der Regierung regelmäßig zu ernsthaften Konsequenzen für diese Personen führe. Davon seien besonders Zivilisten von Gebieten, welche derzeit oder früher unter Kontrolle der Opposition (gewesen) seien, sowie Demonstranten betroffen. Auch diesbezüglich wurden Abschnitte aus dem UNHCR Bericht auszugsweise wiedergegeben. Daraus ergäbe sich, dass den BF1-BF2 aufgrund ihrer Teilnahme an Demonstrationen Verfolgung durch den syrischen Staat drohe, zumal sie aus einem Gebiet stammen, das früher unter oppositioneller Kontrolle gestanden sei. Darüber hinaus wurde aus einem SFH Bericht aus 2017 zur Reflexverfolgung zitiert, sowie Passagen der UNHCR-Erwägungen zur Reflexverfolgung aus dem Jahr 2017 dargelegt. Darüber hinaus habe das BVwG selbst bereits ausgesprochen, dass die syrische Regierung oppositionelle Meinungen nicht dulde und gegen (vermeintlich) Oppositionelle und deren Familienangehörigen vorgehe, wobei die Schwelle dafür als oppositionell angesehen zu werden, niedrig sei. Daraus ergäbe sich, dass insbesondere dem BF1 als Vater von 2 Söhnen, welche sich dem Wehrdienst entzogen hätten, Verfolgungsgefahr aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung drohe.
Weiters drohe Rückkehrern Verfolgung aufgrund ihrer Asylantragstellung im Ausland. Diesbezüglich wurde erneut aus dem UNHCR Bericht aus März 2021 zitiert und auf den Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada aus 2016, sowie auf die ACCORD Anfragebeantwortung zu den Folgen einer Flucht oder (illegaler) Ausreise aus August 2018, verwiesen. Hätte die belangte Behörde ihre eigenen Länderfeststellungen richtig ausgewertet und die zitierten Länderberichte herangezogen, hätte sie zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die BF1-BF2 im Falle einer Rückkehr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wären.
Die belangte Behörde habe sich auch einer mangelhaften Beweiswürdigung bedient und hätte die belangte Behörde nach mängelfreier Beweiswürdigung den BF1-BF2 die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen. Auch sei der belangten Behörde vorzuwerfen, dass diese das Vorbringen der BF1-BF2 nicht unter ausreichender Berücksichtigung der Länderberichte gewürdigt habe. Diesbezüglich wurde höchstgerichtliche Rechtsprechung ausführlich dargelegt und ausgeführt, dass die belangte Behörde vor dem Hintergrund der Rechtsprechung keine nachvollziehbaren Aussagen über die Plausibilität des Fluchtvorbringens treffen habe können, was sich zum Nachteil der BF1-BF2 ausgewirke.
Im Falle des BF2 würden kumulative Gefährdungsfaktoren vorliegen, weil er einerseits im wehrfähigen Alters sei und der syrische Staat willkürlich bei Rekrutierungen vorgehe, andererseits würden Rückkehrer als erstes in die syrische Armee rekrutiert. Aufgrund des hohen Bedarfs an Rekruten sei es nahezu unvorstellbar, dass der BF2 im Falle seiner Rückkehr nicht sofort eingezogen werde. Sofern im Bescheid des BF2 ausgeführt werde, eine Einziehung sei nicht wahrscheinlich, weil der BF2 auch bis dato nicht eingezogen worden sei, sei dies vor dem Hintergrund der Länderberichte und der Judikatur nicht nachvollziehbar. Das Heimatdorf des BF2 sei im Gebiet der Opposition gelegen, bis er von dort nach XXXX vertrieben worden sei. Dem syrischen Staat sei daher bislang ein Zugriff auf den BF2 nicht möglich gewesen. Unstrittig sei, dass der BF2 seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe und im wehrfähigen Alter sei. Er leide auch an keinen Krankheiten oder Behinderungen, welche die Ableistung unmöglich machen würden.
Aufgrund der Demonstrationsteilnahme der BF1-BF2 und der Arbeit des BF2 als Pfleger, bei der dieser unter anderem an der Behandlung Oppositioneller mitgewirkt habe, würde den BF1-BF2 vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben. Die Konsequenzen seien in den Länderberichten ersichtlich. Wenn die belangte Behörde den BF1-BF2 deren Teilnahme an Demonstrationen aufgrund unterschiedlicher Zeitangaben nicht glaube, lasse sich dieser Widerspruch leicht damit erklären, dass beide angegeben hätten, wann die Demonstrationen gewesen seien, an welchen sie jeweils teilgenommen hätten. Der BF2 habe zwischen 2013 und 2016 an Demonstrationen teilgenommen und das so bei seiner Einvernahme angegeben. Sofern dem BF2 deshalb nicht geglaubt werde, weil er angegeben habe, nicht politisch tätig gewesen zu sein, ist darauf hinzuweisen, dass der BF2 die Teilnahme an Demonstrationen nicht als politische Tätigkeit einordne. Die belangte Behörde gehe ferner anscheinend davon aus, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliege, weil es nie zu einer Verhaftung der BF1-BF2 gekommen sei. Dem sei zu entgegnen, dass die BF1-BF2 durchwegs in Gebieten gelebt hätten, welche unter Kontrolle der Opposition gestanden seien und das Regime daher schlicht keine Möglichkeit gehabt habe die BF1-BF2 festzunehmen. Sofern die belangte Behörde davon ausgehe, dass das Regime bei der Vertreibung der BF1-BF2 Gelegenheit gehabt hätte, so sei dem zu entgegnen, dass die BF1-BF2 nicht wissen könnten, weshalb das Regime sie bei dieser Gelegenheit nicht festgenommen habe. Der BF2 sei jedoch explizit im Fall seiner Rückkehr mit dem Tod bedroht worden. Auch nach dem Bericht von UNHCR sei diese Art der Vertreibung eine übliche Vorgansweise des syrischen Regimes und seien solche Zwangsvertreibungen derart schlimm, dass diese als Kriegsverbrechen angesehen würden. Diesbezüglich wurden Ausschnitte aus dem UNHCR Bericht wiedergegeben. Die Zwangsvertreibung an sich sei bereits als Verfolgungshandlung anzusehen und sei ferner ein weiteres Indiz dafür, dass den BF1-BF2 vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben werde. Der BF1 befürchte außerdem Reflexverfolgung aufgrund der Angehörigeneigenschaft, weil seine beiden Söhne sich dem Wehrdienst entzogen hätten. Auch dies würde dazu führen, dass dem BF1 oppositionelle Gesinnung zugeschrieben würde.
Es bestehe das reale Risiko, dass die BF1-BF2 im Falle einer Wiedereinreise nach Syrien am Grenzübergangsposten oder am Flughafen XXXX verhaftet und zumindest einer mit Folter verbundenen mehrtätigen Anhaltung zugeführt würden, weil sie illegal aus Syrien ausgereist seien, sowie im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten. Notorisch sei die Schwelle vom Regime als oppositionell angesehen zu werden, besonders niedrig. Den BF1-BF2 würde daher auch aus diesem Grund eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.
Die belangte Behörde habe auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung durchgeführt. Hinsichtlich des BF2 wurde erneut zusammenfassend dargelegt, dass dieser im Falle seiner Rückkehr zum Wehrdienst eingezogen würde, was dieser ablehne, weshalb er Verfolgung befürchte. Bei der syrischen Armee würde er zu menschenrechtswidrigen Handlungen gezwungen, bei einer Weigerung müsste der BF2 jedoch mit Haftstrafen unter unmenschlichen Haftbedingungen rechnen. Die Einberufungswahrscheinlichkeit würde durch die Teilnahme an Demonstrationen, die Wehrdienstverweigerung seines Bruders, die Herkunft aus einem Oppositionsgebiet, die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland ebenfalls erhöht. Die Verfolgung würde aufgrund (unterstellter) politischer Gesinnung des BF2 erfolgen und gehe vom Staat aus, wobei kein schutzfähiger Akteur bestehe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei schon deshalb nicht anzunehmen, weil dem BF2 subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Vor dem Hintergrund der Länderberichte sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF2 willkürlichen Verhaftungen, Folter und Schlimmerem ausgesetzt wäre. Hinsichtlich des BF1 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass diesem aufgrund seiner Demonstrationsteilnahmen bzw. aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu seinen Söhnen eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben werde und dieser Verfolgung befürchte, welche asylrelevant sei und vom Staat ausgehe, weshalb kein schutzfähiger Akteur bestehe. Auch für ihn gäbe es keine innerstaatliche Fluchtalternative. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte den BF1-BF2 der Status von Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.
In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung samt Einvernahme der BF1-BF2 anberaumen; 2.) die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass den BF1-BF2 der Status von Asylberechtigten zuerkannt werde; 3.) in eventu die angefochtenen Bescheide beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.
8. Die Beschwerdevorlagen vom 27.07.2021 (BF2) bzw. 28.07.2021 (BF1) und die Verwaltungsakte langten bei der Gerichtsabteilung W253 des Bundesverwaltungsberichts (BVwG) am 29.07.2021 ein.
9. Mit Schriftsatz vom 15.10.2021 legten die BF1-BF2 jeweils einen Auszug aus dem Justizregister, ausgestellt am 06.07.2021, ihre Personen betreffend vor.
10. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 23.03.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W253 abgenommen und am 01.04.2022 der Gerichtsabteilung W247 neu zugewiesen.
11. Mit Schriftsatz vom 25.04.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den BF1-BF2 aktuelle Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 5, Datum der Veröffentlichung 24.01.2022) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte. Gleichzeitig wurde den BF1-BF2 die Ladung für die mündliche Verhandlung am 06.05.2022 vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
12. Mit Schriftsatz vom 04.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den BF1-BF2 aktuelle Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022) und führte aus, dass es beabsichtige seiner Entscheidung diese Feststellungen zugrunde zu legen. Den BF1-BF2 wurde mitgeteilt, dass sie in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit erhalten zu diesen Feststellungen Stellung zu nehmen.
13. Am 06.05.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines den BF1-BF2 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher die BF1-BF2 ordnungsgemäß geladen wurden und an welcher diese auch teilnahmen.
Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„[…]
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF1: Mein Name ist XXXX , ich bin am XXXX in einem Vorort von XXXX geboren. Ich bin syrischer Staatsbürger. Ich bin Moslem. Ich habe in einem Vorort von XXXX , bis zu meiner Ausreise gewohnt.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF1: Ich bin Araber.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF1: Ich bin sunnitischer Moslem.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF1: Ja, ein Familienbuch, Auszug aus dem Personenregister, das war es.
RI: Treten Sie bitte an den Richtertisch vor und sagen Sie mir bei folgenden beschwerdeseitig eingebrachten und im Akt befindlichen Ablichtungen in arabischer Sprache, worum es sich dabei handelt.
RI: AS 105 und 106 und 109?
BF1: Familienbuch.
RI: AS 117 bis 129?
BF1: Das ist auch das Familienbuch.
RI: Hatten Sie jemals einen syrischen Reisepass? Wenn ja, was ist damit passiert?
BF1: Ich habe noch nie einen Reisepass besessen. Vor dem Krieg schon, er wurde verbrannt zu Hause.
RI: Wann war das und bei welcher Gelegenheit?
BF1: Im Dezember 2016, das ganze Haus wurde bombardiert und alles war darin.
RI: War das im Zuge des Krieges?
BF1: Ja.
RI: Ist nur der Pass verbrannt oder auch andere Dokumente?
BF1: Sehr viele andere Sachen auch. Mein Militärbuch wurde auch verbrannt.
RI: Warum haben das Familienbuch und das Personenregister überlebt?
BF1: Das hatte meine Frau bei sich in ihrer Tasche.
RI: Als Ihr Haus in Syrien verbrannt ist, wo befanden Sie sich zu diesem Zeitpunkt?
BF1: Ich war in einem anderen Dorf namens XXXX . Das liegt genau neben XXXX .
RI: Wann haben Sie sich diesen syrischen Reisepass ausstellen lassen?
BF1: Ich glaube, es war 1980.
RI: War das noch ein gültiger syrischer Reisepass?
BF1: Nein.
RI: Besitzen Sie derzeit einen gültigen syrischen Reisepass?
BF1: Nein.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF1: Nur Arabisch.
RI: Sie haben auf Ihrem Tisch Unterlagen liegen, wollen Sie die vorlegen?
BF1: Ja.
BF1 legt vor:
Diverse Bilder von seinem Haus in XXXX sowohl im Zustand vor dem Bombardement, als auch nach dem Bombardement, sowie 2 Aufnahmen von der Zufahrtsbrücke zu XXXX . Des Weiteren wird ein Formular vorgelegt mit dem Bild des BF1. Nach Angaben des BF1 handelt es sich hierbei um einen türkischen Nachweis, dass er in der Türkei gewesen ist.
RV: Bezüglich des Nachweises merke ich an, dass das darauf vermerkte Datum jenes Datum ist, an dem der BF1 bei der türkischen Behörde vorstellig geworden ist. Es handelt sich nicht um das Einreisedatum in die Türkei, da der BF1 illegal eingereist ist.
RI: Die vorgelegten Unterlagen werden zum Akt genommen.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat als auch in der Türkei und wo Sie sich danach aufgehalten haben und auch im Bundesgebiet?
BF1: Ich habe 9 Jahre die Grundschule in Syrien, XXXX , besucht. Danach habe ich am Bau gearbeitet. Von 1976 bis 1980 habe ich meinen Wehrdienst abgeleistet. Nachgefragt: In XXXX als normaler Rekrut. Von 1980 bis 1990 habe ich wieder am Bau gearbeitet. 1990 oder 1991 habe ich einen Supermarkt aufgemacht bis August oder September 2016 hab ich auch selbst darin gearbeitet. Ende Jänner 2017 bin ich mit meiner Familie nach XXXX gezogen wegen dem Krieg. Danach habe ich nichts mehr gearbeitet, weder in der Türkei, noch an sonstigen Orten, noch im Bundesgebiet.
RI: Haben Sie jemals eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF1: Nein.
RI: Konnten Sie von diesen Tätigkeiten im Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten?
BF1: Ja.
RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?
BF1: Es war gut, ich kann mich nicht beschweren.
RI: Verfügen bzw. verfügten Sie über ein Militärdienstbuch? Wenn nein, wo befindet sich das?
BF1: Ja, ich hatte ein Militärdienstbuch, das wurde zu Hause verbrannt bei demselben Angriff, wo auch mein Reisepass verbrannt wurde.
RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer Ausreise längere Zeit gelebt. Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.
BF1: In XXXX . Mein ganzes Leben habe ich in XXXX verbracht. Danach bin ich in XXXX für 2 Monate gewesen und von dort weiter in die Türkei gegangen.
RI: Was war der genau Grund für die Übersiedlung nach XXXX ?
BF1: Das ganze Dorf haben sie geräumt, wir mussten mit Bussen nach XXXX .
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der Syrien und in welcher Stadt? Bitte geben Sie den vollen Namen und das Geburtsdatum an?
BF1: Ich habe noch 2 Schwestern, die in Syrien leben. Die erste heißt XXXX , sie ist ca. XXXX geboren. Die zweite namens XXXX , ca. XXXX geboren. Sie leben in einem Vorort von XXXX namens XXXX . Ich habe noch eine Tochter namens XXXX . Sie ist XXXX geboren und lebt auch in einem Vorort von XXXX namens XXXX .
RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten? Und wenn ja, wie oft?
BF1: Ja, mit meiner Tochter habe ich am meisten Kontakt, wir telefonieren regelmäßig 2 Mal pro Woche. Mit meinen Schwestern haben wir WhatsApp Kontakt ca. 2 Mal im Monat.
RI: Wovon leben Ihre in Syrien aufhältigen Verwandten?
BF1: Sie sind alle verheiratet und ihre Männer arbeiten und finanzieren sie.
RI: Hat Ihre Tochter Kinder?
BF1: Ja, sie hat 3 Söhne und ist derzeit auch schwanger.
RI: Wie geht es Ihren Verwandten in Syrien finanziell?
BF1: Sie leben schlecht.
RI: Verfügen Ihre Verwandte in Syrien über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,...)?
BF1: Alle haben Eigentumswohnungen und XXXX , ihr Mann hat Grundstücke.
RI: Haben Sie sonstige Verwandte in Syrien? Onkeln, Tanten, Neffen, Nichten, Cousinen, Cousins?
BF1: Mein Bruder XXXX lebte in Saudi Arabien, er ist verstorben, seine 2 Töchter leben in Syrien, sind verheiratet und leben ebenfalls in XXXX . Der zweite Bruder heißt XXXX , er ist auch verstorben im Libanon. Sonstige Onkeln oder Tanten habe ich nicht.
RI: Verfügen Sie über Freunde und/ oder Bekannte in Syrien zu denen Sie noch Kontakt haben?
BF1: Nein.
RI: Verfügen Sie um Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?
BF1: Nur das Haus, welches zerstört wurde. Das Grundstück gehört noch mir.
RI: VORHALTUNG: Ihr Sohn hat vor dem BFA am 27.04.2021 auf Seite 11 des Protokolls, befragt nach Besitztümern der Familie in Syrien, von 2 Häusern und einem Geschäft gesprochen. Sie haben vor dem BFA hingegen nur von einem Grundstück als Vermögenswert der Familie gesprochen, sowie heute auch. Wie erklären Sie sich die abweichenden Angaben von Ihnen und Ihrem Sohn?
BF1: Das ist alles, was ich gesagt habe. Es wurde alles demoliert. Das Geschäft, der Supermarkt, wurde auch demoliert.
RI: Verstehe ich Sie richtig, die Bilder, die ich gesehen habe, sind das 2 Häuser und 1 Geschäft?
BF1: Nein, das ist nur 1 Haus und 1 Geschäft. Vom zweiten Haus habe ich keine Bilder abgegeben.
RI: Aber ein zweites Haus haben Sie auch gehabt?
BF1: Ja, im selben Ort. Nachgefragt: Es wurde nicht zerstört, nur Fenster und Türen sind kaputtgegangen.
RI: Wer wohnt darin im Moment?
BF1: Niemand, es ist verboten.
RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise?
BF1: Im Nebendorf namens XXXX .
RI: Zum Zeitpunkt Ihrer Abreise, haben sie schon dort gelebt?
BF1: XXXX , der Sohn meiner Schwester, er lebt noch in XXXX .
RI wiederholt die Frage.
BF1: Ja, weil dort war kein Krieg. Dort steht noch alles.
RI: Haben Ihre Verwandten in Syrien seit Ihrer Ausreise Probleme mit Behörden, Gerichten etc,… in Syrien gehabt?
BF1: Nein, sie mischen sich nicht ein und leben einfach so.
RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Syriens leben und haben Sie Kontakt zu diesen?
BF1: Ich hatte 2 Brüder, einer in Saudi Arabien, XXXX , und im Libanon XXXX , die sind beide verstorben, aber ihre Frauen und Kinder leben noch in Saudi Arabien und im Libanon.
RI: Gibt es noch andere Verwandte außerhalb Syriens?
BF1: Ich habe noch eine Schwester XXXX , XXXX geboren, sie lebt in XXXX in der Türkei und meine Frau XXXX lebt auch in XXXX , geboren XXXX . Auch ein XXXX lebt in XXXX geboren.
RI: Gibt es noch jemand anderen?
BF1: Ja, ich habe noch eine Schwester in Jordanien. Ihr Name ist XXXX , sie lebt in Jordanien und ist ca. XXXX geboren.
RI: Haben Sie Kontakt zu diesen Verwandten? Und wie oft?
BF1: Mit meiner Frau und meinem Sohn habe ich täglich Kontakt über WhatsApp. Mit XXXX in XXXX habe ich ca. 2 Mal im Monat Kontakt, mit XXXX einmal im Monat ca.
RI: Wovon leben Ihre Verwandten außerhalb Syriens momentan?
BF1: Mein Sohn arbeitet und hilft seiner Mutter finanziell und die anderen 2 sind verheiratet und ihre Männer arbeiten und finanzieren ihr Leben.
RI: Welche Verwandte von Ihnen leben zur Zeit in Österreich?
BF1: BF2, XXXX , mein Sohn. Und weiters 2 Kinder meiner Schwester.
RI: Wie heißen die und wo leben die?
BF1: XXXX , ca. XXXX Jahre alt, der zweite heißt XXXX , zwischen XXXX und XXXX Jahre alt.
RI: Von welcher Schwester sind die?
BF1: Von XXXX .
RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Frau, die Fr. XXXX , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?
BF1: XXXX haben wir uns kennengelernt und XXXX haben wir geheiratet.
RI: Waren Sie zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?
BF1: Nein.
RI: War Ihr derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?
BF1: Nein.
RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?
BF1: Nein.
RI: Wann sind Sie genau aus Syrien ausgereist und wer ist gemeinsam mit Ihnen ausgereist?
BF1: Im April 2017 habe ich gemeinsam mit meiner Ehegattin, meinen 2 Söhnen XXXX und XXXX Syrien verlassen.
RI: Wo haben Sie sich nach Ihrer Ausreise aus Syrien aufgehalten und wie lange?
BF1: In der Türkei, dort war ich ca. 3 Jahre aufhältig. In Griechenland waren wir 2 Tage, in Kosovo 1 Woche bis 10 Tage, in Serbien 1 Monat und wir sind durch Ungarn durchgereist und nach Österreich gekommen.
RI: Warum sind Ihre Tochter XXXX und Ihre Schwestern in Syrien zurückgeblieben?
BF1: Sie sind verheiratet und leben gemeinsam mit ihrer Familie.
RI: Warum sind Ihre Gattin, Ihr Sohn XXXX und Ihre Schwester XXXX in der Türkei zurückgeblieben?
BF1: Ich kann sie leider nicht hierherholen, leider sitzen sie dort. Mein Sohn arbeitet dort. Meine Schwester arbeitet nicht, sie ist Hausfrau, ihr Mann arbeitet auch in der Türkei.
RI: Haben Sie außer in Österreich auch in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?
BF1: Nein.
RI: Nachdem Sie ca. 3 Jahre in der Türkei gewesen sind, stellt sich die Frage, warum Sie nicht in der Türkei einen Asylantrag gestellt haben.
BF1: Das Leben in der Türkei ist sehr schwierig, man kann dort nicht leben.
RI: Haben Sie sich in der Türkei grundsätzlich sicher gefühlt?
BF1: Es herrscht Rassismus.
RI: Sind Sie verfolgt worden in der Türkei?
BF1: Nein.
RI: Sie sind auf Ihrer Ausreise durch verschiedene europäische Länder gereist, warum haben Sie dort keinen Asylantrag gestellt?
BF1: Unser Zielland war Österreich.
RI: Warum?
BF1: Ich habe viel über Österreich gelesen. Ich bin hergekommen wegen der Meinungsfreiheit und der Demokratie.
RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien in 2017 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF1: Nein.
RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.
BF1: Wir haben Syrien wegen dem Krieg verlassen. Unser Haus wurde demoliert, wir mussten das Dorf verlassen. Wir mussten in XXXX bleiben, dort war es auch nicht so leicht, es herrschte dort Krieg, daher sind wir wieder rausgegangen.
RI: Hat es, abgesehen vom Krieg, sonstige Fluchtgründe gegeben?
BF1: Nein, weil wir Sunniten sind hatten wir auch Probleme.
RI: Welcher Art waren diese Probleme?
BF1: Wir haben an Demos teilgenommen, daher müssten wir zur Sicherheitsbehörde und wer dort hingeht kommt nicht mehr raus.
RI: Welcher Art waren diese Demos und wofür oder wogegen wurde demonstriert?
BF1: Das war gegen das Regime. Jeden Freitag nach dem Freitagsgebet sind wir immer hingegangen.
RI: Gegen welches Regime?
BF1: Gegen das XXXX Asad-Regime.
RI: Wo und wie oft haben diese Demos stattgefunden und wie oft nahmen Sie daran teil?
BF1: Immer von Moschee XXXX sind wir weggegangen nach dem Freitagsgebet Richtung XXXX und dort fanden die Demos statt. Von 2013 bis 2016 habe ich teilgenommen, ich war sicher mehr als 100 Mal dort.
RI: Wie lange hat so eine Demo im Schnitt gedauert?
BF1: 3 bis 4 Stunden hat es immer gedauert.
RI: Welche Anliegen haben Sie auf diesen Demos vertreten?
BF1: Frieden, Freiheit und Demokratie.
RI: Waren Sie einfacher Teilnehmer oder haben Sie mitorganisiert?
BF1: Einfacher Teilnehmer.
RI: Sind diese Demos friedlich verlaufen oder wurden diese von der Polizei aufgelöst?
BF1: Alles war im Frieden, die Polizei durfte nicht rein. In die ganze Ortschaft durften keine Polizisten oder Militärangehörige hinein.
RI: Haben nur Sie daran teilgenommen oder wurden Sie dabei auch vom BF2 begleitet?
BF1: Gemeinsam mit meinem Sohn. Mein Sohn ist sogar immer vor mir hingegangen.
RI: Was waren die Anliegen des BF2 als Demonstrant?
BF1: Genau wie ich, er ist einfach nur hingegangen.
RI: Haben Sie aufgrund dieser Demonstrationsteilnahmen unmittelbare Probleme bekommen? Wenn ja, welche waren das?
BF1: Ja, die Sicherheitsbehörde wollte mit mir reden.
RI: Wann war das?
BF1: Das war 2012/2013.
RI: Wie haben Sie davon erfahren, dass die Sicherheitsbehörde mit Ihnen reden wollte?
BF1: Durch den Dorfleiter, sie haben mit ihm darüber gesprochen.
RI: Haben Sie dann mit der Sicherheitsbehörde gesprochen?
BF1: Nein.
RI: Wie konnten Sie sich dieser Unterhaltung entziehen?
BF1: In der Ortschaft war nur die freie syrische Armee, daher durften die anderen nicht hinein. Dadurch konnte ich in Sicherheit leben, ohne Probleme.
RI: Wenn die Sicherheitsbehörden nicht in Ihr Dorf hineinkonnten, wie konnten diese dann von den Demos erfahren?
BF1: Sie haben alles von oben aufgenommen.
RI: Haben Sie aufgrund dieser Demonstrationsteilnahmen bis zu Ihrer Ausreise aus Syrien irgendwelche Probleme bekommen? Wenn ja, welche waren das?
BF1: Nein, nur bei der Sicherheitsbehörde, sie wollten mit mir reden, mehr nicht.
RI: Wenn die Sicherheitsbehörden, wie Sie sagen, in Ihr Dorf gar nicht hineindurften, wo hätte die Unterhaltung zwischen Ihnen und der Sicherheitsbehörde stattfinden sollen?
BF1: Ich müsste persönlich zu ihnen hinfahren, in XXXX , oder in XXXX .
RI: Wurden Sie aufgrund Ihrer Demonstrationsteilnahmen jemals verhaftet oder misshandelt?
BF1: Nein.
RI: Wurden Sie jemals von Behördenvertretern in Syrien wegen Ihrer Demonstrationsteilnahmen verhört oder von den Behörden konkret aufgesucht?
BF1: Nein.
RI: Haben Sie irgendwelche Beweismittel dafür, dass in Syrien nach Ihnen gesucht wird (Haftbefehle, Ladungen etc.)?
BF1: Ja, ich habe einen Zettel, wo draufsteht, dass sie mich wollen.
BFV: Es handelt sich um die Auszüge aus dem Justizregister, welche am 15.10.2021 dem Gericht vorgelegt worden ist.
BF1 legt das Original des Auszuges vor samt beglaubigter Übersetzung. Kopien davon sind bereits im Akt.
RI: Sie haben vor dem BFA am 27.04.2021 auf S.11 des Protokolls angegeben, dass gegen Sie auch Haftbefehle aus dem Jahr 2012 und 2013 vorliegen. Haben Sie entsprechende Unterlagen dazu?
BF1: Nein, ich habe nur das, was ich abgegeben habe.
Die Verhandlung wird von 10:34 Uhr bis 10:37 Uhr unterbrochen.
RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?
BF1: Nein.
RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?
BF1: Nein.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?
BF1: Ich werde wahrscheinlich befragt von der Sicherheitsbehörde und sie werden mich höchstwahrscheinlich umbringen.
RI: Waren Sie in Syrien jemals straffällig?
BF1: Nein.
RI: Sind Sie in Syrien jemals gerichtlich verurteilt worden?
BF1: Nein.
RI: Sind Sie im Herkunftsstaat vorbestraft?
BF1: Nein.
RI: VORHALTUNG: Es wurden beschwerdeseitig am 15.10.2021 Kopien von Auszügen des Kriminalregisters für Sie und Ihren Sohn vorgelegt? Wie kommen Sie zu diesen Auszügen?
BF1: Durch einen Anwaltshelfer in Syrien.
RI: Wann haben Sie diese Auszüge machen lassen?
BF1: Ich weiß es nicht auswendig, ich kann gerne nachschauen. Das war am 06.07.2021.
RI: Auf dem Sie betreffenden Auszug vom 06.07.2021 ist eine Vorstrafe für Sie vermerkt. Im Unterschied zum Auszug für Ihren Sohn ist aber nicht vermerkt, wofür Sie vorbestraft worden sind? Wissen Sie wofür?
BF1: Wegen der Teilnahme an Demos.
RI: Wann sind Sie in Syrien gerichtlich verurteilt worden?
BF1: Das weiß ich nicht, ich war nicht dort.
RI an D: Bitte sagen Sie mir, ob in diesem Auszug –den BF1 betreffend – vermerkt ist, weswegen er vorbestraft ist und wann er verurteilt worden ist?
D: Wann er verurteilt worden ist, steht nicht drinnen, es steht nur, dass er zur Sicherheitsbehörde gehen muss, also sie wollen ihn. Es gibt eine Nummer dafür: XXXX .
RI an D: Dem Inhalt nach: Ist dieser Auszug eine Angabe über eine erfolgte Vorstrafe oder handelt es sich um eine Ladung?
D: Wenn ich das bekommen hätte und übersetzt hätte, hätte ich nicht „vorbestraft“ geschrieben, sondern „verurteilt“, weil auf Arabisch „verurteilt“ draufsteht.
RI an D: Aber es steht auch drinnen, dass er weiterhin gesucht wird bzw. geladen ist durch die Sicherheitsbehörde?
D: Ja. Anmerkung: Es ist im Original ein graugehaltener Teil enthalten, welcher nicht übersetzt worden ist.
RI an D: Bitte übersetzen Sie diesen in graugehaltenen Teil.
D: 1) Gerichtsname, es stehen keine Angaben drunter, 2) was er genau gemacht hat, es steht auch nichts drunter, 3) Nummer und Datum von der Verurteilung ist auch leer und 4) der Grund für die Verurteilung ist auch nicht ausgefüllt. (Das ganz links wäre die Strafe.)
Unter dem grauen Feld ist angemerkt: geladen vor der Sicherheitsbehörde mit der Nummer XXXX . Darunter befindet sich ein roter Stempel, der übersetzt heißt „verurteilt“.
RI: Waren Sie oder Ihre Familie jemals in Syrien politisch aktiv?
BF1: Nein.
RI: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?
BF1: Nein.
RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich gekostet?
BF1: Von XXXX oder von der Türkei?
RI: Insgesamt.
BF1: Von XXXX in die Türkei habe ich 300 Dollar bezahlt, von der Türkei nach Österreich ca. 1000 Euro.
RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF1
RV: Nein, danke.
BF2 betrifft den Saal, BF1 verlässt den Saal.
___________________________________________________________________________
Beginn der Befragung des BF2:
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF2: Mein Name ist XXXX , ich bin am XXXX in einem Vorort von XXXX namens XXXX geboren. Ich war in XXXX zuletzt in Syrien wohnhaft, bevor ich Syrien Richtung Türkei verlassen habe. Ich bin syrischer Staatsbürger.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF2: Ich bin Araber.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF2: Ich bin sunnitischer Moslem.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF2: Ja, einen Auszug aus dem Personenregister, Geburtsurkunde, Auszug aus dem Familienbuch, Heiratsurkunde.
RI: Ich glaube, Sie haben auch einen Personalausweis Ihrer Frau bei sich.
BF2: Eine Kopie.
RI: Hatten Sie jemals einen syrischen Reisepass? Wenn ja, was ist damit passiert?
BF2: Nein, noch nie.
RI: Besitzen Sie derzeit einen gültigen syrischen Reisepass?
BF2: Nein.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF2: Arabisch.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat als auch wo auch immer Sie danach waren als auch im Bundesgebiet?
BF2: Von 1997 bis 2009 habe ich die Schule mit Matura in Syrien abgeschlossen. Von 2010 bis 2014 war ich an der Uni, habe sie aber abgebrochen. Ich habe Wirtschaft studiert. Ab 2014 habe ich meinem Vater im Supermarkt geholfen und parallel habe ich auch als Krankenhelfer für eine Organisation bis 2017 gearbeitet. Nachgefragt: Das war für „ XXXX “. In der Türkei habe ich als Tischler und Maler gearbeitet. In Österreich habe ich nicht gearbeitet, ich habe den Deutschkurs, Niveau A1, abgeschlossen und A2 mache ich gerade.
RI: Haben Sie ein Zeugnis über Ihre abgeschlossene A1-Prüfung?
BF2: Ja.
BF2 legt vor: eine Teilnahmebestätigung für den Werte- und Orientierungskurs vom 12.12.2021 sowie Kursbesuchsbestätigungen für Alphabetisierungskurs A1 und A2 Kurs. Diese werden in Kopie zum Akt genommen.
RI: Haben Sie jemals eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF2: Nein.
RI: Was haben Sie studiert, wo haben Sie studiert und wie lange?
BF2: Das erste Jahr war ich in XXXX , danach in XXXX , auch für Wirtschaft, dort war ich 3 Jahre und danach habe ich abgebrochen.
RI: Wie hieß das Fach, das Sie studiert haben?
BF2: Betriebswirtschaft.
RI: Wie viele Studienabschnitte hat Ihr Studium in Syrien?
BF2: 8 Abschnitte.
RI: Nennen Sie mir bitte 5 Hauptfächer, welche Sie im Rahmen Ihres Studiums kennengelernt haben?
BF2: Betriebswirtschaft, Gesetze, allgemeine Buchhaltung, Mathematik und Nationales Thema.
RI: Wo haben Sie als Krankenpfleger gearbeitet und von wann bis wann?
BF2: In XXXX habe ich gearbeitet in der Organisation, welche ich vorher genannt habe, von Mitte 2014 bis Jänner 2017.
RI: Welche Tätigkeiten als Krankenpfleger haben Sie konkret verrichtet? Zählen Sie mir bitte typische Tätigkeiten auf welche Sie täglich als Krankenpfleger machen mussten?
BF2: Zuerst habe ich als Ersthelfer in einem Ersthilferaum gearbeitet, danach war ich ein Arzthelfer im OP-Raum und im Dezember 2016 war ich auch auf der Straße tätig. Überall, wo sich Leute verletzt haben, mussten wir verarzten.
RI: War diese Organisation ein Krankenhaus oder ein Lazarett, wie kann ich mir das vorstellen?
BF2: Es ist wie ein Lazarett, es ist kein Spital. Wir bekommen einen Platz und wir mussten es herrichten für Operationen oder Sonstiges.
RI: In welchen Räumlichkeiten wurden OPs durchgeführt?
BF2: Das war ganz normale Zinshäuser, sie haben es so hergerichtet, damit wir darin arbeiten konnten.
RI: Hat es in Ihrem Dorf ein Krankenhaus, ein Lazarett oder eine Arztpraxis gegeben?
BF2: Ja, es gab ein Lazarett.
RI: Warum wurden die OPs dann nicht in dem Lazarett durchgeführt?
BF2: Das hat der Regierung gehört, die Organisation, wo ich gearbeitet habe, nicht.
RI: War das etwas wie das Rote Kreuz, eine Hilfsorganisation oder eine politische Organisation. Was war das für eine Organisation?
BF2: Ich glaube, die gehören zum Roten Kreuz. Es ist eine medizinische Organisation.
RI: Was waren das für Tätigkeiten, die Sie in der Ersthelferstation gemacht haben?
BF2: Die erste Zeit war ich immer in der Früh dort, dort habe ich trainiert, wie ich Zucker und Bluthochdruck ausmesse, Spritzen gebe und danach war ich am Abend auch dort. Am Abend war ich entweder alleine dort oder mit einem Helfer oder einem Arzt. Falls jemand gekommen ist, haben wir uns um ihn gekümmert.
RI: Was waren das für Verletzungen, die Sie behandelt haben?
BF2: Wir waren für alles tätig. Falls jemand sich was bricht, kann er sich bei uns behandeln. Wenn jemand operiert werden muss, kann er das auch bei uns machen, wir haben fast alles gemacht.
RI: Bei welcher Art von OPs haben Sie assistiert?
BF2: Knochenoperationen, Implantate, wenn jemand eine Zyste hatte, haben wir die entfernt oder einen Nabeldurchbruch.
RI: Was waren Ihre genauen Tätigkeiten bei solchen OPs?
BF2: Ich habe den OP Raum vorbereitet, ich habe alles desinfiziert, ich habe dem Arzt bei allem geholfen. Falls er irgendwas gebraucht hat, habe ich es ihm gegeben. Ich wollte auch in Zukunft als Arzthelfer arbeiten, aber es ging leider nicht wegen dem Krieg, ich musste ausreisen.
RI: Haben Sie während der OP auch medizinische Tätigkeiten verrichtet, wie Spritzen geben oder Anästhesieren?
BF2: Nein, es gibt einen Arzt dafür. In der OP habe ich das nicht gemacht, aber draußen habe ich normal Spritzen geben dürfen.
RI: Haben Sie für diese Tätigkeiten irgendeine Art von Grundausbildung machen müssen?
BF2: Ja, bei der Organisation von Anfang an.
RI: Welche Art von Ausbildung war das?
BF2: Wie man Zucker, Bluthochdruck ausmisst, Spritzen gibt, zunäht.
RI: Wie lange hat Ihre Ausbildung dafür gedauert?
BF2: Ein Monat oder 20 Tage, es war sehr kurz wegen dem Krieg.
RI: Konnten Sie von diesen von Ihnen angegebenen beruflichen Tätigkeiten Ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten?
BF2: Ja.
RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?
BF2: Gut.
RI: Haben Sie den Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits abgeleistet? Wenn nein, warum nicht?
BF2: Nein, wegen dem Studium habe ich einen Aufschub gehabt.
RI: Wie viele Aufschübe haben Sie in Syrien erhalten und jeweils von wann bis wann?
BF2: Von 2010 bis 2014, 4 oder 5 Mal.
RI: Wann ist der letzte Aufschub ausgelaufen?
BF2: 2014.
RI: Und warum mussten Sie dann nicht 2014 zum Wehrdienst einrücken?
BF2: Ich bin in dem Dorf XXXX geblieben, ab dem Zeitpunkt, wo ich es erfahren habe, da die freie syrische Armee dort die Macht hat.
RI: Verfügen Sie über ein Militärdienstbuch? Wenn nein, wo befindet sich das?
BF2: Nein.
RI: Warum nicht?
BF2: Ich habe es nicht mit, weil es verbrannt wurde. Ich verfügte einmal über eines.
RI: Wo und wann ist das Militärdienstbuch verbrannt?
BF2: Zu Hause im Jahr 2016.
RI: Bei welcher Gelegenheit?
BF2: Das Haus wurde komplett zerstört durch Bombardierungen von der regulären syrischen Armee. Es wurde alles verbrannt.
RI: Wie konnten Ihre vielfältigen anderen Dokumente dieses Bombardement überleben?
BF2: Alles, was zu Hause war, wurde verbrannt. Meine Frau, die in Syrien lebt, hat alles neu gemacht.
RI: Haben Sie sonst irgendwelche Nachweise darüber, dass Ihnen Aufschübe für den Militärdienst gewährt worden sind?
BF2: Nein, leider.
RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer Ausreise längere Zeit gelebt. Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.
BF2: In XXXX waren wir zum Schluss. 2 bis 3 Monate waren wir dort aufhältig. Wir mussten unser Dorf verlassen, es war eine Abmachung zwischen der freien syrischen Armee und der regulären syrischen Armee, das ganze Dorf wurde evakuiert. XXXX haben wir auch nach 2 Monaten verlassen wegen dem Krieg, die Lage war nicht sicher.
RI: Wer hat Sie von XXXX nach XXXX gebracht? War das die syrische Armee?
BF2: Ja.
RI: Im Zuge dieser Übersiedlung, wurden Ihre Identitäten über die syrische Armee festgestellt?
BF2: Wir mussten alle in einen Bus einsteigen und sobald er vollständig war, kam ein Polizist, schrieb unsere Namen auf und danach durften wir fahren.
RI: Wurden Sie zu irgendeinem Zeitpunkt von der Polizei festgenommen oder verhört?
BF2: Nein.
RI: Was war der genau Grund für die Übersiedlung nach XXXX ?
BF2: Die reguläre syrische Armee wollte das ganze Dorf evakuieren.
RI: Hat es dafür irgendeinen Grund gegeben?
BF2: Das weiß ich nicht, ich glaube sie wollten einfach, dass niemand dort lebt. Es sind viele Leute auch geblieben und sind dann ums Leben gekommen.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Syrien und in welcher Stadt? Bitte geben Sie den vollen Namen und das Geburtsdatum an?
BF2: Meine Schwester lebt in Syrien und meine Frau auch. Meine Schwester heißt XXXX und ist XXXX geboren, lebt in einer Ortschaft namens XXXX und meine Frau heißt XXXX , sie ist XXXX geboren und lebt in einem Ort namens XXXX .
RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten? Und wenn ja, wie oft?
BF2: Ja, wir haben WhatsApp Kontakt, fast jeden Tag.
RI: Wovon leben Ihre in Syrien aufhältigen Verwandten?
BF2: Meine Frau arbeitet unregelmäßig und meine Schwester ist verheiratet und ihr Mann ist für sie zuständig.
RI: Wie geht es Ihren Verwandten in Syrien finanziell?
BF2: Sehr schlecht.
RI: Verfügen Ihre Verwandte in Syrien über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,...)?
BF2: Nein.
RI: Haben Sie sonstige Verwandte in Syrien? Onkeln, Tanten, Verwandten?
BF2: Ich habe zwei Tanten namens XXXX und XXXX samt ihren Kindern namens XXXX .
RI: Verfügen Sie über Freunde und/ oder Bekannte in Syrien zu denen Sie noch Kontakt haben?
BF2: Fast gar nicht.
RI: Offensichtlich schon.
BF2: In XXXX ja, aber in XXXX nicht.
RI: Wen kennen Sie in XXXX ?
BF2: Ein Cousin namens XXXX , Freunde habe ich auch in XXXX .
RI: Verfügt Ihre Familie im Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?
BF2: Wir hatten zwei Wohnungen und ein Geschäft. Aber ich glaube, es ist alles demoliert und ich weiß nicht, ob es noch uns gehört oder nicht. Nachgefragt: Das war in XXXX . In den Wohnungen lebt niemand mehr. Ein Haus, wo wir gelebt haben, wurde komplett zerstört, das andere ist im Besitz von Militärtruppen glaube ich.
RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise?
BF2: Meine Frau und meine Schwester, ja. Meine Tanten weiß ich nicht, ich habe nicht so viel Kontakt.
RI: Haben Ihre Verwandten in Syrien seit Ihrer Ausreise Probleme mit Behörden, Gerichten etc,… in Syrien gehabt?
BF2: Nein.
RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Syriens leben und haben Sie Kontakt zu diesen?
BF1: Ich habe Cousins in Libanon und Cousins in Saudi Arabien und ich habe hier 2 weitere Cousins, die leben in Österreich und 1 Cousin in Deutschland.
RI: Zählen Sie alle Verwandten in der Türkei und im Jordanien haben.
BF2: In der Türkei leben mein Bruder und meine Mutter und eine Tante lebt in Jordanien.
RI: Haben Sie Kontakt zu diesen Verwandten? Und wie oft?
BF2: Ich habe täglich Kontakt mit meiner Mutter und mit meinem Bruder über WhatsApp. Meine Tante, die in Jordanien lebt, nicht so regelmäßig. Mit meinen Cousins, die in Saudi Arabien leben, vielleicht einmal im Monat und im Libanon ebenso.
RI: Welche Verwandte von Ihnen leben zur Zeit in Österreich?
BF2: Mein Vater und 2 Cousins.
RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Frau, die Fr. XXXX , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?
BF2: 2016 habe ich sie kennengelernt und auch geheiratet.
RI: Waren zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?
BF2: Nein, verlobt, aber nicht verheiratet. Nachgefragt: Mit einer anderen Frau.
RI: War Ihr derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?
BF2: Nein.
RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?
BF2: Nein.
RI: Wann sind Sie genau aus Syrien ausgereist und wer ist gemeinsam mit Ihnen ausgereist?
BF2: Im April 2017 gemeinsam mit meinen Eltern und meinem Bruder.
RI: Wo haben Sie sich nach Ihrer Ausreise aus Syrien aufgehalten und wie lange?
BF2: In der Türkei von April 2017 bis Juli 2020. In Griechenland waren wir ca. 16 oder 17 Tage, in Mazedonien 1 oder 2 Tage, in Kosovo 1 Woche, in Serbien 1 Monat, in Ungarn waren wir 1 Tag und dann sind wir nach Österreich gekommen.
RI: Haben Sie sich in Ihrer Zeit in der Türkei sicher gefühlt?
BF2. Nein.
RI: Sind Sie verfolgt worden in der Türkei?
BF2: Sie haben ein schwieriges System dort. Ich habe keinen Ausweis von dort bekommen, ich habe nur einen Zettel bekommen und sie konnten uns jederzeit wieder nach XXXX zurückschicken.
RI wiederholt die Frage.
BF2: Nein.
RI: Sie sind von der Türkei nach Ö über diverse europäische Länder gereist, warum haben Sie dort keinen Asylantrag gestellt?
BF2: In Griechenland herrscht keine Sicherheit, sie schlagen uns und schicken uns wieder zurück. Mazedonien, falls sie uns erwischen, schicken sie uns nach Griechenland zurück. IN Kosovo war es sehr ruhig, aber dort konnten wir nur ein bisschen Pause machen, damit wir den Weg weitergehen können. In Serbien, das liegt an der ungarischen Grenze, dort herrscht keine Sicherheit, es sind sehr viele Schlepper, die in Serbien lebe, sie nutzen die Situation aus, nehmen uns das Geld weg. Es gibt auch Afghanen, die uns Probleme machen. Sie nehmen von uns alles weg.
RI: Warum haben Sie nicht in Ungarn einen Asylantrag gestellt?
BF2: Falls sie uns erwischen in Ungarn schlagen sie uns oder schicken uns nach Serbien zurück.
RI: Warum sind Ihre Gattin und Ihre Schwester in Syrien zurückgeblieben?
BF2: Sie konnten nicht mit uns mitreisen, wo wir ausgereist sind, waren sie nicht da.
RI: Wo waren sie da?
BF2: Meine Schwester war mit ihrem Ehemann in XXXX , meine Frau war mit ihrer Familie in XXXX .
RI: Warum sind Ihre Mutter, Tante XXXX und Ihr Bruder XXXX in der Türkei zurückgeblieben?
BF2: Meine Tante ist verheiratet und hat ihre Kinder dort. Meine Mutter und mein Bruder, wir konnten leider nicht alle zusammen ausreisen.
RI: Warum?
BF2: Der Weg ist sehr schwer und wir hatten nicht ausreichend Geld.
RI: Haben Sie außer in Österreich auch in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?
BF2: Nein.
RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien in 2017 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF2: Nein, ich habe auch keinen Reisepass.
RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.
BF2: Wegen dem Krieg mussten wir unser Dorf verlassen. Das Militär hat uns dazu gezwungen. Ich habe auch Angst zu sterben, ich will auch nicht zum Militär gehen, ich will bei sowas nicht mitmachen.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 27.04.2021 auf Seite 14ff angegeben, vom syrischen Geheimdienst gesucht zu werden. Was war der genaue Grund dafür und seit wann werden Sie gesucht?
BF2: Ja, das stimmt, sie suchen mich, weil ich an Demos teilgenommen habe und weil ich auch als Krankenhelfer für die Organisation gearbeitet habe, die ich vorhin erwähnt habe und wegen dem Militärdienst auch.
RI: Welcher Art waren diese Demos und wofür oder wogegen wurde demonstriert?
BF2: Es waren friedliche Demos gegen die Regierung, gegen den Krieg in Syrien, für die unschuldigen Menschen, die sterben, damit der Präsident einfach geht, damit der Krieg auch stoppt und für die Freiheit der Menschen.
RI: Wo und wie oft haben diese Demos stattgefunden und wie oft nahmen Sie daran teil?
BF2: Die Demos fanden allgemein in Syrien statt immer nach dem Freitagsgebet. Ich habe ab 2011 an Demos teilgenommen, das erste Mal war es am Abend in XXXX , in XXXX habe ich auch an einer Demo teilgenommen. In XXXX habe ich auch im Zentrum an einer Demo teilgenommen und die anderen Demos fanden in XXXX statt.
RI: Wie oft und von wann bis wann haben Sie teilgenommen?
BF2: Ich kann es nicht zählen, von 2011 habe ich begonnen bis 2017, bis zur Ausreise. Ich habe nicht an allen Demos teilgenommen, aber an sehr vielen.
RI: Welche Anliegen haben Sie auf diesen Demos vertreten?
BF2: Ich war komplett gegen den Krieg und gegen das Asad-Regime.
RI: Waren Sie einfacher Teilnehmer oder haben Sie mitorganisiert?
BF2: Ich war ein normaler Teilnehmer.
RI: Haben Sie aufgrund dieser Demonstrationsteilnahmen unmittelbare Probleme bekommen? Wenn ja, welche waren das?
BF2: Ja, ich werde geladen von der Sicherheitsbehörde in Syrien.
RI: Wann sind Sie geladen worden?
BF2: 2014. Ich habe aber keine Ladung bekommen, ich habe es erfahren durch den Dorfleiter von XXXX .
RI: Sind Sie der Einladung gefolgt?
BF2: Nein, wäre ich hingegangen, dann wäre ich heute nicht da.
RI: Was hat die Sicherheitsbehörden daran gehindert, Sie einfach aufzusuchen, festzunehmen und zu verhören?
BF2: Die freie syrische Armee hatte dort die Macht.
RI: Was hätte die Sicherheitsbehörden daran gehindert, nach dem Einmarsch der syrischen Armee in XXXX Sie festzunehmen und zu verhören?
BF2: Es gab eine Abmachung zwischen der regulären und der freien syrischen Armee. Dass sie uns in Ruhe lassen, dafür wird das ganze Dorf evakuiert.
RI: Wurden Sie in der Zeit, in der Sie in XXXX waren, jemals von der Polizei aufgesucht, festgenommen oder verhört?
BF2: Nein, in XXXX gibt es keine Polizei.
RI: Haben Sie aufgrund dieser Demonstrationsteilnahmen insgesamt bis zu Ihrer Ausreise aus Syrien irgendwelche Probleme bekommen? Wenn ja, welche waren das?
BF2: Vor 2014 nicht, nach 2014 wollte die Sicherheitsbehörde mich laden oder haben sie mich geladen. Ich konnte mein Studium nicht abschließen, nicht weiterarbeiten.
RI: Sie haben angegeben, in XXXX gab es keine Polizei, warum nicht?
BF2: Die freie syrische Armee hat auch die Macht in XXXX .
RI: Wer hat Sie von XXXX nach XXXX überstellt, war das die syrische Armee?
BF2: Ja, das war die reguläre syrische Armee, sie haben uns nach XXXX oder einem Vorort von XXXX gebracht.
RI: Als Sie nach XXXX gebracht worden sind von der syrischen Armee, hat es dort eine Identitätsfeststellung gegeben?
BF2: In einem Bus haben sie unsere aller Namen aufgeschrieben und dann sind sie gegangen.
RI: Haben Sie irgendwelche Beweismittel dafür, dass in Syrien nach Ihnen gesucht wird (Haftbefehle, Ladungen etc.)?
BF2: Ja, ich habe einen Zettel im Original.
BF2 legt vor im Original: jenen Auszug aus dem Kriminalregister, welcher bereits im Rahmen der Urkundenvorlage vom 15.10.2021 in Kopie an das Gericht geschickt worden ist.
RI an D: Auf dem Original, können Sie übersetzen, was unter den in graugehaltenen Feldern steht?
D: Ja, dass er gesucht wird für die Sicherheitsbehörde Nummer XXXX und wegen dem Militärdienst mit der Nummer XXXX .
RI: Hat es im Herkunftsstaat jemals körperliche Übergriffe gegen Sie gegeben?
BF2: Nein.
RI: Sie haben vorhin angegeben, dass Sie auch im Herkunftsstaat verfolgt wurden wegen Ihrer Tätigkeit als Krankenpfleger. Warum sollten Sie deswegen verfolgt werden?
BF2: Weil wir allen Menschen geholfen haben. Wir haben nicht geschaut, für wen er ist. Die Regierung wollte das nicht, sie wollten, dass alle Menschen sterben, die gegen sie waren.
RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?
BF2: Nein, das ist alles.
RI: Wie haben Sie erfahren, dass Sie auch wegen Ihrer Tätigkeit als Krankenpfleger gesucht werden in Syrien?
BF2: Der Präsident war ein Arzt von der Organisation, er hat uns allen gesagt, wir müssen weggehen, weil wir alle gesucht werden von der Regierung.
RI: Haben Sie jemals Einberufungsbefehle erhalten? Wenn ja, legen Sie diese bitte vor.
BF2: Nein, habe ich nicht.
RI: Wurden Sie nach der Einnahme Ihres Dorfes im Dezember 2017 durch die syrische Armee konkret zur Ableistung des Wehrdienstes aufgefordert?
BF2: Danach habe ich keinen Kontakt mehr mit ihnen gehabt.
RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis dafür, dass Sie noch Wehrdienst in Syrien abzuleisten hätten? Wenn ja, legen Sie diesen bitte vor.
BF2: Nein, aber mein Alter und weil ich den Wehrdienst nicht abgeleistet habe beweist, dass ich hingehen muss.
RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?
BF2: Nein.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?
BF2: Ich werde sofort verhaftet, falls ich von dort lebend rauskomme, muss ich dann zum Militär und dort werde ich höchstwahrscheinlich sterben.
RI: Waren Sie in Syrien jemals straffällig?
BF1: Nein.
RI: Sind Sie in Syrien jemals gerichtlich verurteilt worden?
BF2: Nein.
RI: Sind Sie im Herkunftsstaat vorbestraft?
BF2: Nein.
RI: VORHALTUNG: Es wurden beschwerdeseitig am 15.10.2021 Kopien von Auszügen des Kriminalregisters für Sie und Ihren Vater vorgelegt? Sie haben heute Ihren Auszug auch im Original vorgelegt. Wie kommen Sie zu diesen Auszügen?
BF2: Durch eine Person in Syrien habe ich Kontakt mit ihm aufgenommen, der erledigt solche Dokumente, der hat das für uns gemacht.
RI an D: Bitte treten Sie an den Richtertisch vor und sagen mir bitte, ob in diesem Auszug –den BF2 betreffend – vermerkt ist, wann er verurteilt worden ist, durch welches Gericht er verurteilt worden ist und aufgrund welches Paragraphen?
D: Nein.
RI: Waren Sie oder Ihre Familie jemals in Syrien politisch aktiv?
BF2: Nein.
RI: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?
BF2: Nein.
RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich insgesamt gekostet?
BF2: Von XXXX in die Türkei ca. 300 Dollar und von der Türkei nach Österreich ca. 1000 Dollar.
RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF2?
RV: Nein, danke.
BF1 betritt den Saal, BF2 bleibt im Saal.“
14. Mit Schriftsatz vom 23.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den BF1-BF2 die Beweismittelliste zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022; Country Guidance: Syrien der EUAA, November 2021; Report on the situation of returnees der EUAA, Juni 2021; Asylbericht Syrien der Österreichische Botschaften, September 2021; report on treatment of returnees by authorities – treatment upon return des Danish Immigration Service, Mai 2022) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von einer Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen, wovon die Beschwerdeseite keinen Gebrauch machte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz vom 28.09.2020, der polizeilichen Erstbefragung der BF1-BF2 am 29.09.2020, der niederschriftlichen Einvernahme der BF1-BF2 am 27.04.2021 vor dem BFA, der für die BF1-BF2 eingebrachten Beschwerden vom 26.07.2021 gegen die angefochtenen Bescheide der belangten Behörde vom 09.07.2021, der von den BF1-BF2 vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des Strafregisters der Republik Österreich und des AJ-Web, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.05.2022, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer (BF1-BF2):
Die BF1-BF2 weisen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten auf. Der BF1 ist der Vater des volljährigen BF2. Die BF1-BF2 sind syrische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zur sunnitischen Ausrichtung des Islam. Ihre Identitäten stehen fest. Die BF1-BF2 sprechen muttersprachlich Arabisch und sind beide verheiratet. Der BF1 hat die Mutter des BF2, XXXX , geb. am XXXX , im Jahr 1988 kennengelernt und am 19.06.1989 traditionell geheiratet. Die Ehe wurde im Anschluss standesamtlich eingetragen. Der BF2 hat seine Ehefrau im Jahr 2016 kennengelernt und am 08.10.2016 geheiratet. Die Ehe wurde ebenfalls standesamtlich eingetragen.
Der BF1 wurde in XXXX geboren und ist in XXXX , einem Vorort von XXXX aufgewachsen, wo er bis etwa 2 Monate vor seiner Ausreise gelebt hat. Die letzten 2 Monate vor seiner Ausreise hat der BF1 in XXXX gelebt. In XXXX hat der BF1 9 Jahre lang die Grundschule besucht. Danach hat der BF1 von 1971 bis 1976 in der Baubranche gearbeitet und von 1976 bis 1980 seinen Wehrdienst in XXXX und XXXX als Rekrut abgeleistet. Von 1980 bis 1990 war der BF1 erneut in der Baubranche tätig und hat er 1990 oder 1991 ein Lebensmittelgeschäft in XXXX eröffnet, welches er bis September 2016 betrieben hat.
Der BF2 wurde ebenfalls in XXXX geboren und ist in XXXX aufgewachsen, wo er bis etwa 2 Monate vor seiner Ausreise gelebt hat. Dort hat er 12 Jahre lang, von 1997 bis 2009, die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Dass der BF2 tatsächlich von 2010 bis 2014 zunächst ein Jahr lang an der Universität in XXXX , danach 3 Jahre lang in XXXX , Betriebswirtschaft studiert hat, wobei er das Studium abgebrochen und nicht abgeschlossen hat, kann nicht festgestellt werden. Ab 2014 hat der BF2 seinem Vater im Lebensmittelgeschäft geholfen und fallweise als medizinischer Ersthelfer im örtlichen Medical Center ausgeholfen. Die letzten 2 Monate vor ihrer Ausreise haben die BF1-BF2 mit der Mutter und dem Bruder des BF2 in XXXX gelebt.
Zwei Schwestern des BF1, deren Kinder, die Tochter des BF1 und die Ehefrau des BF2 leben noch im Herkunftsstaat. Die zwei im Herkunftsstaat aufhältigen Schwestern und die Tochter des BF1 sind alle verheiratet und haben Kinder. Die Tochter des BF1 hat 3 Kinder und erwartet derzeit ihr 4. Kind. Die zwei Schwestern des BF1 leben in einem Vorort von XXXX , in XXXX . Die Tochter des BF1 lebt ebenfalls in einem Vorort von XXXX , nämlich in XXXX und auch die Ehefrau des BF2 lebt in einem Vorort von XXXX , in XXXX . Ein Cousin des BF2 lebt in XXXX . Der BF1 hat 2 Mal pro Woche telefonischen Kontakt zu seiner Tochter. Zu seinen zwei im Herkunftsstaat lebenden Schwestern hat er etwa zweimal pro Monat Kontakt über Whatsapp. Der BF2 hat nahezu täglich Kontakt zu seiner Schwester und seiner Ehefrau. Die Ehefrau des BF2 lebt bei ihrer eigenen Familie und arbeitet unregelmäßig.
Alle in Syrien lebenden Verwandten der BF1-BF2 verfügen über Eigentumswohnungen und verfügt der Mann einer Schwester des BF1 über Grundstücke. Der BF1 verfügt über zwei Häuser und ein Lebensmittelgeschäft im Herkunftsstaat, wobei eines der Häuser zerstört worden ist. Der BF1 ist jedoch noch im Besitz des zugehörigen Grundstücks.
Ein Bruder des BF1 hat in Saudi-Arabien gelebt, er ist bereits verstorben. Dessen beide Töchter leben ebenfalls in Syrien in XXXX und sind verheiratet. Ein weiterer Bruder des BF1 hat im Libanon gelebt, er ist ebenfalls verstorben. Die BF1-BF2 verfügen in den Personen der Witwen und der sonstigen Kinder der verstorbenen Brüder des BF1 noch über Verwandte in Saudi-Arabien und im Libanon. Der BF1 hat eine weitere Schwester in Jordanien mit welcher er etwa einmal im Monat Kontakt hat. Eine weitere Schwester des BF1, seine Ehefrau und ein weiterer Sohn des BF1 leben in XXXX , der Türkei. Die BF1-BF2 haben täglichen Kontakt mit der Ehefrau des BF1 und dem Sohn des BF1. Zu seiner Schwester in der Türkei hat der BF1 etwa 2 Mal im Monat Kontakt. Der Sohn des BF1 ist in der Türkei erwerbstätig.
Die BF1-BF2 verfügen über zwei Neffen bzw. Cousins im Bundesgebiet.
Im Frühjahr 2017 sind die BF1-BF2 mit der Ehefrau und einem Sohn des BF1, sowie der Schwester des BF1 illegal in die Türkei ausgereist, wo sie etwa bis Juli 2020 gelebt haben. In der Türkei hat der BF2 als Tischler und Maler gearbeitet.
Die BF1-BF2 verließen die Türkei mit 2 Neffen des BF1 zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt über Griechenland, Mazedonien, den Kosovo, Serbien und Ungarn. Sie reisten spätestens am 28.09.2020 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten an ebendiesem Tag jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 09.07.2021 wies das BFA die Anträge der BF1-BF2 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wurde am 26.07.2021 in casu Beschwerde erhoben. Die übrigen Spruchpunkte sind unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Die BF1-BF2 befinden sich nicht in ärztlicher Behandlung. Sie sind gesund.
Die BF1-BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Die BF1-BF2 sind persönlich unglaubwürdig.
1.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:
In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Der BF1 war im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht mehr im wehrpflichtigen Alter und befindet sich mit 65 Jahren auch nicht mehr im gesetzlich vorgesehenen Wehrdienstalter. Der BF1 hat zudem seinen Wehrdienst bereits abgeleistet. Der BF2 war im Zeitpunkt seiner Ausreise im wehrpflichtigen Alter und befindet sich mit seinen 30 Jahren immer noch im gesetzlich vorgesehenen Wehrdienstalter. Der wehrdienstpflichtige BF2 hat seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits abgeleistet. Folglich droht den BF1-BF2 keine Gefahr, durch das syrische Regime wegen Entziehung vom Militärdienst bzw. Wehrdienstverweigerung als - oppositionell gesinnt - eingestuft zu werden.
XXXX und dessen Umland ist unter Kontrolle der syrischen Armee. Den BF1-BF2 droht daher keine zwangsweise Rekrutierung durch andere Akteure (etwa durch die Freie Syrische Armee oder kurdische Milizen) und laufen sie auch nicht Gefahr, von diesen verfolgt zu werden.
Die BF1-BF2 haben an keinen (exil-) politischen, gegen das syrische Regime gerichteten Aktivitäten, innerhalb oder außerhalb ihres Landes teilgenommen, weshalb die BF1-BF2 mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Syrien keine aktuell unmittelbare und sie persönlich betreffende konkrete Verfolgung oder Bedrohung durch das Regime oder durch sonstige Gruppen wegen einer – ihnen zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung zu befürchten haben.
Aufgrund der Stellung ihrer Anträge auf internationalen Schutz in Österreich droht den BF1-BF2 im Herkunftsstaat keine Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bzw. einer Verfolgung von asylrelevantem Ausmaß bedroht zu werden.
Die BF1-BF2 wären im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
Den BF1-BF2 droht keine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat.
1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in Syrien:
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 6 vom 27.04.2022, wiedergegeben:
„[…]
Politische Lage
Letzte Änderung: 08.04.2022
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, stellt die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten dar (FH 3.4.2020).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen ("Shabiha"). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung wie Arbeiter- und Frauenorganisationen hat (USDOS 30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 4.3.2020). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).
Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbullah üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus (FH 4.3.2020).
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Wahlen
Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien zu "managen" und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren. Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens lebten (COAR 27.7.2020). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Baʿath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und erhielten 70% der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Baʿath-Partei verbündet sind, und an nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020).
Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt kein Al-Jumhuriya.net Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative KandidatInnen standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Baʿath-Partei (AAN/MEI 24.7.2020). Somit ist die Reihung auf der Liste durch das Regime und die Nachrichtendienste wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen (BS 23.2.2022).
Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie in einigen syrischen Botschaften Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1 % (78 % Wahlbeteiligung, ÖB 1.10.2021) gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und als "betrügerisch", und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).
Der politische Prozess gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unter Ägide der Vereinten Nationen stagniert, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Blockadehaltung des jegliche Zugeständnisse verweigernden Regimes. Dieser Stillstand betrifft neben den Verhandlungen in Genf auch die von Russland zusammen mit der Türkei und dem Iran ins Leben gerufenen Gesprächen im sogenannten "Astana-Format" (AA 29.11.2021).
Gebietskontrolle
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). […] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).
Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). […]
Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
Nordost-Syrien
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird mittlerweile von der Türkei und von mit ihr alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020). […]
Der militärische Arm der PYD, die YPG, ist die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 30.3.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert (ÖB 1.10.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, weil die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019). […]
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind. Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD bei der Entscheidungsfindung offensichtlich (BS 29.4.2020). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD ist weniger gewalttätig in ihrer Repression, übt aber eine strikte Kontrolle in ihrem Einflussbereich aus (BS 23.2.2022). Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP (Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak) nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt nämlich als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 08.04.2022
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
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Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a). (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022).
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Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).
Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des "Institute for the Study of War" zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
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Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
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Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OVCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021).
Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)
Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021).
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Versöhnungsabkommen
Letzte Änderung: 22.04.2022
Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021).
Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 30.3.2021).
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Nordwest-Syrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
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Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019).
Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara'a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020). Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5 Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vgl. ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnachso, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlib zu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022)
Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 4.12.2020). Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation 'Spring Shield' mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Die Offensive des syrischen Regimes auf das Gebiet von Idlib hatte eine hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zur Folge (UNSC 28.2.2020). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben, und es kam zu einer massiven humanitären Krise (UNOCHA 17.2.2020, vgl. OHCHR 18.2.2020).Entlang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib (UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021).
Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen [Anm.: Stand September 2021] war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 1.10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe zielten immer wieder im Lauf von 2021 auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF 13.12.2021, HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in Idlib Luftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL 2.1.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022)
Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra's al-'Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra's al-'Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).
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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Operation "Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).
Operation "Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation "Olive Branch" die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).
Operation "Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) komme (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 4.12.2020).
Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
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Operation "Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die Operation "Spring Shield" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021).
Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Zusammenstöße zwischen den Fraktionen der SNA finden oft aufgrund von Konkurrenz um Ressourcen und Einfluss statt (TCC 18.2.2021). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG). Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021).
Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Mit Stand Ende Dezember 2021 befanden sich die Gouvernorate al-Hassakah und ar-Raqqa sowie Teile von Deir Ez-Zour nördlich des Flusses Euphrat und Teile des Gouvernements Aleppo um Manbij und Kobanê sowie das Gebiet um Tal Rifa'at unter der Kontrolle der kurdisch geführten SDF [Anm.: Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte] (Liveuamap 20.12.2021; vgl. EASO 7.2021).
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Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zu schaffen [Anm.: s. Abschnitt zu den türkischen Militäroperationen] (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 4.12.2020). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus (ÖB 1.10.2021). Die kurdischen, sogenannten "Selbstverteidigungseinheiten" (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation sog. Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Partei PYD (Democratic Union Party) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK (Kurdische Arbeiterpartei) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 4.12.2020). […]
Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt (AA 4.12.2020). Die Türkei stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB 1.10.2021). Nach wie vor kommt es trotz der am 22.10.2019 in Sotschi zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenruhe immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen am Rande der türkisch kontrollierten Zone zwischen pro-türkischen Milizen und Einheiten der SDF, insbesondere an den Rändern der türkisch kontrollierten Zone im Raum um Tal Tamar rund 30 km südlich von Ra's al-'Ayn sowie südlich von Tal Abyad (AA 4.12.2020; vgl. USDOD 4.11.2021). Von Tal Abyad und Ra's Al-'Ayn aus hält der Beschuss kurdischer Stellungen laut Fabrice Balanche an, ebenso die Angriffe im äußersten Nordosten der von den SDF gehaltenen Gebiete, nahe der Grenze zum Irak. Die Türkei will das Vertrauen in die Autonomieverwaltung in Nordost-Syrien zerstören. Die Offensive fordert bislang zwar nur wenige Todesopfer. Aber es geht der Türkei darum, Angst zu schüren, Menschen zur Flucht zu drängen und Investitionen zu blockieren. Vor vier Jahren war Kobane demnach noch eine dynamische Stadt, in welcher der Wiederaufbau lief. Die Menschen kamen aus Irakisch-Kurdistan zurück, weil es Arbeitsplätze gab. Jetzt ist Kobane laut Balanche eine sterbende Stadt. Wegen des türkischen Beschusses haben die Menschen Angst und fliehen. Die Türkei profitiert auch von der Destabilisierung durch IS-Angriffe (Zenith 11.2.2022).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen (AN 17.10.2021). Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar (AA 4.12.2020; siehe dazu auch weiter unten). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS gewesen (ICG 18.11.2021), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt (ÖB 1.10.2021), jedoch setzten der IS und seine Schläferzellen 2021 ihre Angriffe in den von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrollierten Gebieten fort und verübten mehrere Anschläge und Attentatsversuche (SOHR 26.12.2021).
Die SDF leiteten mit Unterstützung der internationalen Koalition gegen den IS regelmäßige Sicherheitskampagnen ein, die sich gegen IS-Zellen und Personen richteten, die beschuldigt wurden, "mit diesen Zellen zu verkehren" (SOHR 26.12.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. ICG 18.11.2021, COAR 28.5.2021) und Einrichtungen der Selbstverwaltung (COAR 28.5.2021). Es wurde auch von Angriffen auf Mitarbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zour berichtet (AM 29.12.2021). SOHR dokumentierte im Jahr 2021 [Anm.: bis zum 26.12.2021] neben 135 getöteten Angehörigen der SDF, Asayish [Anm.: die internen Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung], der YPG, YPJ und anderer von den SDF unterstützten militärischen Formationen auch 93 zivile Todesopfer bei IS-Anschlägen (SOHR 26.12.2021). Dem IS gelang es unterdessen, das arabische Viertel von al-Hassakah zu infiltrieren, und die dortige Bevölkerung meldete dies nicht der Polizei (Zenith 11.2.2022).
Am 20.1.2022 griffen Kämpfer des IS das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah an (ANI 26.1.2022). Im Sina'a-Gefängnis befanden sich geschätzte 3.500 inhaftierte IS-Kämpfer wie auch rund 700 Minderjährige, darunter 150 ausländische Staatsbürger, die von ihren Eltern in das selbsternannte Kalifat gebracht worden waren. Vertreter der SDF gaben an, dass IS-Kämpfer, die sich in einem Teil des Gefängnisses verschanzt hatten, Minderjährige als menschliche Schutzschilde verwendet hätten (NYT 25.1.2022). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer, die in den vergangenen Jahren administrative und militärische Positionen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien innegehabt hatten (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022).
Der Angriff löste tödliche Zusammenstöße zwischen den SDF und den IS-Kämpfern aus. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Die Kämpfe zwischen der von den USA unterstützten kurdisch geführten Miliz und IS-Kämpfern weiteten sich auf Stadtteile rund um das Gefängnis im Nordosten Syriens aus. US-Truppen begannen am 24.1.2022, aus der Luft und auch am Boden einzugreifen. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; NYT 25.1.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. In den zehn Tagen andauernden Gefechten starben laut SDF über 500 Menschen, Dreiviertel davon IS-Kämpfer (TWP 24.2.2022). Die geflohenen BewohnerInnen durften danach zurückkehren, wobei es jedoch auch im Zuge der Kampfhandlungen und der Suche nach verschanzten IS-Kämpfern zu Zerstörungen von Privathäusern und Geschäften gekommen war (MPF 8.2.2022). Mit Stand 4.2.2022 war noch nicht bekannt, wieviele Insassen des Sina'a-Gefängnis - einschließlich der Minderjährigen - sich noch in Händen der SDF befanden (HRW 4.2.2022). Rund 550 mutmaßliche IS-Kämpfer waren von den SDF mit Stand 25.1.2022 wieder gefangen genommen worden (MEE 25.1.2022).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nützt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z.B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung (bezüglich IS) zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Der IS verübte zuletzt mehrere koordinierte und ausgeklügelte Anschläge in Syrien und im Irak, was von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen wird, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022).
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Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol mit knapp 60.000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9.000 aus anderen Ländern inkl. Österreich) (ÖB 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen. Die Kurden möchten gemäß Fabrice Balanche nicht länger ohne Unterstützung und unter Lebensgefahr für den Westen deren Terroristen in Schach halten (Zenith 11.2.2022). Human Rights Watch dokumentierte nach eigenen Angaben die Bedingungen in den Unterkünften für ausländische Insassen in al-Hol und Roj, die einer grausamen, erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung gleichkamen, und kritisierte die unbefristete und willkürliche Inhaftierung (HRW 23.3.2021). Hinzukommen steigende Spannungen innerhalb der Lager. Allein in al-Hol gab es im Jahr 2021 mehr als 90 Morde und 40 Mordversuche (OHCHR 9.3.2022).
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Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens. Die Grenze zu Irakisch-Kurdistan und damit eine wichtige Handelsroute für Nordost-Syrien wurde geschlossen (Zenith 11.2.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie steigende Treibstoffpreise protestiert (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Angesichts der IS-Befreiungsaktion in al-Hassakah übten die USA Druck auf die Autonomieregion Kurdistan im Irak aus, die Grenze wieder zu öffnen (Zenith 11.2.2022).
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Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im März 2021 kontrollierte die Regierung den größten Teil des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama sowie fast alle Hauptstädte der Gouvernements/Provinzen (ISW 26.4.2021). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; SWP 3.2020; FP 15.3.2021; EUI 13.3.2020). Die syrische Regierung hat nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbullah, der iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die National Defence Force (NDF) (USDOS 30.3.2021). Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex. Die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren. Für alle Gebiete gilt weiter, dass eine pauschale Lagebeurteilung nicht möglich ist. Auch innerhalb einzelner Regionen unterscheidet sich die Lage von Ort zu Ort und von Betroffenen zu Betroffenen (AA 29.11.2021).
Die Sicherheitslage zwischen militärischer Situation und Menschenrechtslage
Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Gebiete in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021). Unabhängig von militärischen Entwicklungen kam es im Berichtszeitraum laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021). Dazu gehören Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020). Regierungsnahe Milizen sind zwar nominell loyal gegenüber dem Regime, können aber die Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten oft frei ausbeuten (FH 16.9.2021). In ehemals vom IS kontrollierten Gebieten im Gouvernement Deir ez-Zour sollen sich Milizen an Kriminalität und Erpressung von Zivilisten beteiligt haben (AM 21.12.2020, ICG 13.2.2020). In Gebieten wie Daraʿa, der Stadt Deir ez-Zour und Teilen von Aleppo und Homs sind Rückkehrer mit ihre Macht missbrauchenden regimetreuen Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des sogenannten IS, mit schweren Zerstörungen, oder einer Kombination aus allen drei Faktoren konfrontiert (ICG 13.2.2020). Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021).
Gleichzeitig stellt sich im Zentralraum, insbesondere in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht im Umland von Aleppo), Homs und Hama, die (militärische) Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). Der Westen des Landes, insbesondere Tartus und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im Hinterland von Lattakia kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konflikts von Idlib aus (ÖB 1.10.2021). Die Streitkräfte des Regimes sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Trotz des absoluten Rückgangs der Anzahl von Kampfhandlungen in Folge der Rückeroberung weiter Landesteile ist nicht von einer nachhaltigen Befriedung des Landes auszugehen (AA 29.11.2021).
Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020) und auch 2021 wurde von gelegentlichen Anschlägen berichtet (COAR 25.10.2021). Darunter war z.B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2022 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Die Luftangriffe wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 1.10.2021; vgl. AA 4.12.2020, UNHCR 14.8.2020). Im November 2021 wurde von zwei israelischen Angriffen auf Ziele in der Umgebung von Damaskus berichtet (NPA 3.11.2021). Im Dezember 2021 führte Israel zwei Luftschläge auf den Hafen von Lattakia durch, welche mutmaßlich Warenlager von Iran-nahen Milizen zum Ziel hatten und erhebliche Sachschäden verursachten (Times of Israel 28.12.2021; vgl. MEE 7.12.2021). Der Hafen von Latakia ist der wichtigste Hafen der syrischen Regierung (MEE 7.12.2021). Über ihn wird ein Großteil der syrischen Importe in das vom Krieg zerrüttete Land gebracht (Times of Israel 28.12.2021). Rund 25 km vom Hafen entfernt liegt die russische Luftwaffenbasis Hmeymim [Khmeimim]. Russland verfügt außerdem über ein umfangreiches Marinekontingent, das im syrischen Hafen Tartus stationiert ist und die russischen Luft- und Bodenoperationen im Land unterstützt (RFE/RL 14.9.2021; JP 7.12.2021).
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Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 22.04.2022
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichteten jedoch von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung vermeintlicher Oppositioneller einsetzten, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und sogar schon vor 2011 dokumentiert wurde. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen (SHRC 24.1.2019).
Das Auswärtige Amt fasst die Haftbedingungen in Syrien als "unverändert grausam und menschenverachtend" zusammen. Dies ist allgemein der Fall, gilt jedoch besonders für diejenigen Haftanstalten, in denen DissidentInnen und sonstige politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.11.2021). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände danach aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.11.2021). NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet (USDOS 30.3.2021). Unter den von der UN Commission of Inquiry (COI) dokumentierten Fällen waren die jüngsten betroffenen Buben und Mädchen elf Jahre alt (HRW 13.1.2022). Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. (AA 29.11.2021; vgl. bzgl. eines konkreten Falles Üngör 15.12.2021).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). SNHR schätzt die Gesamtzahl der verschwunden gelassenen Personen auf mindestens 100.000, hinter fast 85% dieser steckt das Regime (HRW 13.1.2022). Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021).
In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 1.10.2021).
Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen, darunter 181 Kinder und 93 (erwachsene) Frauen, durch Folter durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021). Im gesamten Jahr 2021 zählte SNHR insgesamt 104 Todesopfer aufgrund von Folter (SNHR 1.1.2022). Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen. (AA 29.11.2021). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekannt macht: Im Jahr 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt nicht die sterblichen Überreste der Verstorbenen an die Familien (HRW 14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Gefängnissen sind jedoch keine Neuerungen der Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Am 4.11.2020 ließ die syrische Regierung 60 Personen aus Gefängnissen im südlichen Syrien und Damaskus frei (HRW 13.1.2022).
Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (NMFA 7.2019). Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen erstmals das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.11.2021).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen (USDOS 30.3.2021). Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung (USDOS 11.3.2020). Auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nutzten in ihren Haftanstalten Folter, um Geständnisse zu erhalten - oft als Rache und basierend auf ethnischen Vorurteilen. Der Menschenrechtsmonitor, Syrian Network for Human Rights, konnte im Jahr 2020 zumindest 14 Todesfälle aufgrund von Folter und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung in den Haftanstalten der SDF dokumentieren (SNHR 26.1.2021).
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Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 25.04.2022
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Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).
Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).
Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).
Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung
Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).
Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]
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Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes
Letzte Änderung: 25.04.2022
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021 vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).
Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).
Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten
Christliche und muslimische Geistliche können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).
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Amnestien mit folgendem Militärdienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020).
Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Im Laufe des Jahres 2019 häuften sich Berichte über Regimekräfte, die gegen frühere Amnestievereinbarungen verstießen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen durchführten, die sich auf Zivilisten und ehemalige Angehörige bewaffneter Oppositionsfraktionen in Gebieten konzentrierten, die zuvor Versöhnungsvereinbarungen mit dem Regime unterzeichnet hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. DIS 5.2020). Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert, und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen AA 29.11.2021).
Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).
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Wehrdienstverweigerung/Desertion
Letzte Änderung: 25.04.2022
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).
Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).
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Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).
Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
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Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).
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Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).
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Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Letzte Änderung: 25.04.2022
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 1.7.2021). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).
Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 6.2021).
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Nordost-Syrien
Wehrpflichtsgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“
Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsieht, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in der YPG dient. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 29.11.2021). Einer anderen Quelle zufolge dauert der Wehrdienst sechs Monate mit Ausnahme des Zeitraums Mai 2018 bis Mai 2019, als dieser zwölf Monate umfasste (EUAA 11.2021).
Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Selbst einige Beschäftigte im Bildungssektor sind von diesen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht ausgenommen, obwohl sie im Besitz von Dokumenten für eine Befreiung sind (EB 12.7.2019). Laut Medienberichten waren insbesondere Lehrer von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen betroffen (AA 29.11.2021).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB 29.9.2020). Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst auf 15 Monate. Spät eintreffende Wehrdienstpflichtige müssen einen Monat länger Wehrdienst leisten (EUAA 11.2021).
Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, weil die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017). Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Mehrfach ist es dazu gekommen, dass Männer von der YPG rekrutiert wurden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).
Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] leisten (AA 29.11.2021), wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 29.11.2021; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR 29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).
Proteste gegen die Wehrpflicht
Das Gesetz stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung. Sie haben mehrfach gegen die Zwangsrekrutierungen demonstriert, insbesondere viele junge Männer, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021).
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich trotz eines messbaren Rückgangs der gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht verbessert (AA 29.11.2021). Laut UN-Menschenrechtsrat erlaubt die Situation in Syrien unter Einbeziehung der Menschenrechtslage keine nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen (UNHRC 13.8.2021). Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) vom 8.2.2022 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht von z.B. Angriffen auf die Zivilbevölkerung über Folter bis hin zur Beschlagnahmung des Eigentums von Vertriebenen (UNHRC 8.2.2022). Human Rights Watch (HRW) bezeichnet einige Angriffe der russisch-syrischen Allianz als Kriegsverbrechen, die möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen (HRW 13.1.2022).
In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich am Fehlen freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Es gibt erhebliche Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten mit einem in sich geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten (BS 29.4.2020). Konfessionelle und ethnische Zugehörigkeit, der Herkunftsort, der familiäre Hintergrund, etc. entscheiden über den Zugang zu Leistungen und Privilegien - oder deren Vorenthaltung. Dieser Umstand hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 23.2.2022).
Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Probleme, einschließlich der Rechte von und Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten (USDOS 30.3.2021).
Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen, offizielle Parteien zu gründen, und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften (USDOS 30.3.2021).
Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020). Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt an Frauen und teilweise auch Männern aus (ÖB 1.10.2021).
In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2022). Syrische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen nehmen weiterhin willkürlich Menschen im ganzen Land fest, lassen sie verschwinden und misshandeln sie, auch Personen in zurückeroberten Gebieten, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben (HRW 13.1.2022; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Berichten zufolge zögern Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).
Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko. Auch Kollektivhaft von Angehörigen - auch Kindern - oder Nachbarn ist dokumentiert, fallweise auch wegen als regimefeindlich geltenden Personen im Ausland (AA 29.11.2021). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.11.2021).
Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021). Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und Verschwundenen mit Stand September 2021 auf rund 150.000. Für das erste Halbjahr 2021 dokumentierte SNHR 972 Fälle willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen, darunter mindestens 45 Kinder und 42 Frauen. Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime. Das Regime macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) (AA 29.11.2021).
Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten. Es findet keine zuverlässige und für die Betroffenen verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Laut UNO ist in derartigen Fällen ein zentralisiertes Muster von Verlegungen in den Raum Damaskus erkennbar. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt. Häufiger werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, zu denen Familienangehörige und Anwälte in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Zugang haben. In vielen Fällen bleiben die Personen hiernach verschwunden. Unterrichtungen über den Tod in Haft erfolgen häufig nicht oder nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern, eine Untersuchung der tatsächlichen Todesumstände erfolgt in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen zu Stillschweigen verpflichtet. Die VN und IKRK haben unverändert keinen Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste und erhalten keine Informationen zum Verbleib von Verschwundenen (UNHRC 11.3.2021).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 30.3.2021).
Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen
In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UN-Kommission zu Syrien (CoI), dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten ausdrücklich nicht andere Konfliktparteien entlaste. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u.a. Free Syrian Army, Syrian National Army, Syrian Democratic Forces) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählten für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Insbesondere in den Fällen der Free Syrian Army, HTS bzw. Jabhat al-Nusra, sowie IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNHRC 11.3.2021).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden, und Zwangsräumungen von Häusern auf der Grundlage der konfessionellen Identität, verantwortlich (USDOS 30.3.2021).
Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden. Die HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der „Deeskalationszone“ Idlib dort auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen „Errettungsregierung“ aufgebaut. Auch unterhält die HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Scharia anwendet, sowie eigene Haftanstalten (AA 29.11.2021). In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten wurden exekutiert (ÖB 1.10.2021).
In Idlib verhaftet Hay'at Tahrir al-Sham AktivistInnen, MitarbeiterInnen humanitärer Organisationen sowie HTS kritische ZivilistInnen. Im ersten Halbjahr waren laut Syrian Network for Human Rights mindestens 57 Personen Ziel willkürlicher Verhaftungen durch HTS. In einigen Fällen verhängte HTS die Todesstrafe ((HRW 13.1.2021)). Berichtet werden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden „unmoralisches Verhalten“ wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet und 120 verletzt wurden (AA 29.11.2021) Die HTS greift in vermehrtem Ausmaß in alle Aspekte zivilen Lebens ein, z.B. durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen, Vorschreiben von Kleidungsvorschriften und Frisuren sowie durch die wahllose Einhebung von Steuern und Geldbußen. Sie beschlagnahmte auch viele Häuser und Immobilien von ChristInnen (HRW 13.1.2021).
Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der CoI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch Mitglieder der HTS, auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021)
Nach der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Nordosten Syriens müssen die kurdisch geführten Behörden und die US-geführte Koalition noch Entschädigungen für zivile Opfer leisten, Unterstützung bei der Ermittlung des Schicksals der vom IS Entführten anbieten und sich angemessen mit der Notlage von mehr als 60.000 syrischen und ausländischen Männern, Frauen und Kindern befassen, die auf unbestimmte Zeit als IS-Verdächtige und als deren Familienmitglieder unter schlechten Bedingungen in geschlossenen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden (HRW 13.1.2022).
In den von der Türkei besetzten Gebieten verletzen die Türkei und lokale syrische Gruppierungen ungestraft die Rechte der Zivilbevölkerung und schränken ihre Freiheiten ein. Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der Syrian National Army (SNA) sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen. Mit Dezember 2019 hatten die türkischen Behörden und die mit der ihre verbündete bewaffnete Gruppe - die Syrian National Army (SNA) - mindestens 63 syrische Staatsbürgerinnen verhaftet und illegalerweise in die Türkei verbracht. Dort stehen sie wegen Anklagen vor Gericht, die lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen könnten. Fünf der 63 SyrerInnen wurde bereits im Oktober 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt. In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen (HRW 13.1.2022). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut CoI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021).
Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021). Die SDF führen Massenverhaftungen von ZivilistInnen, darunter AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen, durch. In der ersten Jahreshälfte 2021 belief sich die Zahl der Verhafteten laut Syrian Network for Human Rights auf 369 Personen (HRW 13.1.2022). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).
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Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 30.3.2021). Landesweit wurden zahlreiche Checkpoints eingerichtet. Überlandstraßen und Autobahnen werden zeitweise gesperrt (BMEIA 5.4.2022). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land (AA 5.4.2022). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile von einander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021).
Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte "Versöhnungskarte" vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Listen. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019).
Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019), bzw. ziemlich willkürlich, sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). In den Gebieten des Regimes verlangen die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste für eine sichere Passage durch ihre Checkpoints Bestechungsgeld. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben. Die ungefähr fünf Kontrollpunkte werden von verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats betrieben. Rückkehrende aus dem Libanon bezahlen Schmuggler, um die Checkpoints zu umgehen (HRW 20.10.2021).
Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken waren abgeschnitten (COAR 5.7.2021 - für nähere Informationen siehe Unterkapitel "Südsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage").
Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. Die HTS griff systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, belästigte unbegleitete Frauen und verwehrte ihnen unter Androhung von Haft den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen (USDOS 30.3.2021).
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Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 30.3.2021). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 30.3.2021).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).
Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 30.3.2021).
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Rückkehr
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten blieb im Berichtszeitraum unverändert. Gemäß Berichte von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).
Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).
Hindernisse für die Rückkehr
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).
Die katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 10.2021). Viele Menschen haben ihre Häuser zurückgelassen, die mittlerweile von jemandem besetzt wurden. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst (mukhabarat) auf sie hetzen, und sie so Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021).
Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung gesehen als Leute, die davon gelaufen sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021, Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich "sauber" sind, mit dem Ziel daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021). Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).
Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Neben den fehlenden sozio-ökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB 10.2021). Die Meinungen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern sind uneinheitlich. Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, da es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden, im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat auf Social Media), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen nicht sehr ernst oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein "erweitertes Syrien", und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021). Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als "Krankheitserreger" sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).
Laut Fabrice Balanche kann man, wenn man der Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht zurückkommen, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für politische Flüchtlinge. Auch besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021). Laut Khaddour sind Entführungen, um Geld zu erpressen, nur individuelle Akte (Khaddour 24.12.2021).
Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut UNMAS sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 % der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben. Zwei Drittel der Überlebenden sind lebenslang eingeschränkt. 39 % der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 % auf landwirtschaftlichen Flächen, 10 % auf Straßen oder am Straßenrand. 26 % der Opfer seit 2019 waren Binnenvertriebene IDPs (ÖB 10.2021).
Die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums lässt sich weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus als Indikator beschränken, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen können nach geografischen Kriterien daher weiterhin nicht getroffen werden. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann insofern für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe nach Einschätzung des Auswärtigen Amts grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden (AA 29.11.2021).
[…]
Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern
Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang UNHCRs und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozess sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist (AA 29.11.2021). Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Auch im Jahr 2020 gewährte das Regime dem UNHCR weiterhin nur stark eingeschränkten Zugang nach Syrien. UNHCR war daher weder in der Lage, eine umfassende Überwachung der Situation von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherzustellen, noch den Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten (AA 4.12.2020). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat haben immer wieder Personen verfolgt, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021).
Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Kontrollpersonals oder praktische Probleme wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der ICG berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).
Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Aus Daten, die im Rahmen des UN-Systems erhoben wurden, geht hervor, dass 14 % der mehr als 17.000 befragten Binnenvertriebenen- und Flüchtlingsrückkehrerhaushalte während ihrer Rückkehr im Jahr 2018 angehalten oder inhaftiert wurden. Von dieser Gruppe wurden 4 % für mehr als 24 Stunden festgehalten. In der Gruppe der Flüchtlinge (die ins Ausland geflohen sind) wurden 19 % festgehalten. Diese Zahlen beziehen sich speziell auf die Heimreise und nicht auf Inhaftierungen in den Wochen und Monaten danach (EIP 6.2019). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).
Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).
Rückkehr an den Herkunftsort
Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).
Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020). Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020).
Übereinstimmenden Berichten von VN und Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) und Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn,- Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020).
Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019).
[…]
Bedingungen der Rückkehr
Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt - auch bei den Flüchtlingen selbst. Da al-Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).
Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzversprechen
Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Leuten, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group (ICG) stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete der DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl haben und keine Probleme mit dem Regime auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z.B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht. Es sind jedoch viele Fälle bekannt, bei denen Personen inhaftiert wurden, die offiziell nicht vom Regime gesucht wurden, und die Sicherheitsüberprüfung gemacht hatten, zum Teil um Geld zu erpressen (Balanche 13.12.2021). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, und vereinzelte Fälle von Tod in Haft (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021).
Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. Syrer aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.) stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsüberprüfung zu bekommen und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichten müssen (Üngör 15.12.2021).
Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021, Khaddour 24.12.2021). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021).
"Versöhnungsanträge"
Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten dem EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. "wasta") herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).
Rückkehrverweigerungen
Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Einige Beobachter und humanitäre Helfer geben an, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018; SD 16.1.2019).
Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).
Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen
Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).
Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).
Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass die Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung für Betroffene wie Dritte extrem komplex bis unmöglich ist. Rückkehrende sehen sich mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass eine positive Sicherheitsüberprüfung keine Garantie für eine sichere Rückkehr ist. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits auch dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, absolut betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (AA 29.11.2021)
Exilpolitische Aktivitäten, bzw. nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung über im Ausland lebende Syrer und Syrerinnen
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).
Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines Taqrir (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).
[…]“
1.3.2. EASO Information Report „Syria Situation of Returnees from abroad“, Juni 2021:
„[…]
1. Overview of the patterns of return
1.1 Introduction
In November 2020, the GoS hosted an international conference in Damascus on the return of refugees to Syria. Prior to the controversial two-day event, which was sponsored by Russia, Russia’s President Vladimir Putin claimed that large parts of Syria were relatively peaceful, urging Syrian refugees to come back home and rebuild the war-torn country. About twenty countries sent representatives to attend the conference, including Russia, Iran and China. The EU boycotted the event, arguing that the situation in Syria was not conducive to a safe, voluntary, dignified and sustainable return of refugees. To make its stance clear, the EU pointed out that the Syrian authorities continued to violate human rights, including forced conscription, indiscriminate detention, forced disappearances, torture, physical and sexual violence and discrimination in access to housing, land and property (HLP). Thus, the EU regarded the conference on return as premature. UNHCR and the US also boycotted the event.
1.2 Return from the EU
Eurostat’s database does not provide statistics on how many Syrians and stateless persons from Syria have returned from the EU to Syria in 2020. The available information about Syrians returning from the EU to Syria is scant and remains anecdotal and fragmented in nature. In 2020, for instance, 137 Syrian refugees returned voluntarily from Denmark to Syria, each receiving about GBP 22 00013 from the Danish government. Denmark is home to 35 000 Syrians. During the same year, ten Syrian nationals invoked the assistance of the Repatriation and Departure Service, which is part of the Netherlands Ministry of Justice and Security, to return voluntarily from the Netherlands to Syria. The Netherlands are home to 77 000 Syrians. All ten returnees flew to Damascus. Eight of them received additional support from Solid Road, a Dutch NGO supporting (former) asylum seekers and people without residence permits to return voluntarily from the Netherlands to their country of origin. According to Solid Road, these eight returnees had grown disillusioned about finding a place in Dutch society. All of them originated from Damascus and returned to the capital of Syria, travelling on a Syrian national passport. Five returnees constituted one nuclear family, comprising two parents and three underage children. When renewing their passports at the Syrian Embassy in Brussels, Belgium, they had to sign a declaration stating that they had left Syria because of the war situation, not because of the Syrian authorities. As far as is known, the other three returnees did not have to sign such a statement. Upon arrival at the airport in Syria, the authorities asked the returnees routine-like questions such as: ‘Where do you come from? Why have you fled? Why have you returned?’ As of 12 March 2021, none of the returnees reported any personal problems with the Syrian authorities to Solid Road.
Unlike the returnees mentioned above, most Syrian refugees in the EU do not consider returning to Syria in the (near) future. The Day After (TDA)21, for example, conducted a survey among 1 600 Syrians residing in Germany, France, the Netherlands and Sweden. 66.1 % of the respondents indicated that they would not seriously consider returning to live in Syria if conditions become stable. Those who expressed their unwillingness to return to Syria pointed out various barriers to return, including the unavailability of basic services (such as education, health care and social security) and the current GoS that has remained in power. The Netherlands Institute for Social Research conducted a survey among 2 544 Syrians who had been given a residency status based on asylum or family reunification between 1 January 2014 until 1 July 2016. 99.5 % of the respondents indicated their intention to continue residing in the Netherlands in the two forthcoming years. One of the prime reasons for Syrians to remain in the Netherlands is the country’s security, according to the findings of the aforementioned survey.
On 11 March 2021, the European Parliament adopted a resolution on the Syrian conflict, concluding that ‘Syria is not a safe country to return to.’ In addition, the resolution called upon all EU Member States ‘to refrain from shifting national policies towards depriving certain categories of Syrians of their protected status and to reverse this trend if they have already applied such policies’.
1.3 Return from neighbouring countries
1.3.1 Introduction
Like the Syrian refugee population in the EU, most Syrian refugees in the neighbouring countries do not consider to return to Syria in the near future. Between February and March 2021, UNHCR conducted a survey among 3 201 Syrian respondents in Egypt, Lebanon, Jordan and Iraq. Ninety per cent indicated their intention not to return to Syria within the next twelve months. The three main reasons for not returning were a lack of livelihood/work opportunities, a lack of safety and security and a lack of adequate housing and/or concerns over property/housing. Other reasons for not returning were to avoid the military service and an inadequate provision of basic services. In the following sub-paragraphs, the process of return from Turkey, Lebanon and Jordan, which are the neighbouring countries harbouring the largest Syrian refugee populations, will be discussed in more detail.
1.3.2 Return from Turkey
In mid-October 2020, the Turkish Minister of Interior stated that over 414 000 Syrians had returned voluntarily to Syria. He attributed this development to Turkey’s cross-border military interventions in Syria, which had created a so-called ‘safe zone’ controlled by Turkey and its Syrian allies. The Minister did not make clear, however, whether the Syrians who had been ‘resettled’ in this buffer zone alongside the Turkish-Syrian border actually originated from this area. UNHCR recorded 16 805 voluntary returns from Turkey to Syria in 2020 and 5 124 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.
During the report’s reference period, sources reported that Syrians were forcibly returned by the Turkish authorities to Idlib, a governorate in north-western Syria which is largely controlled by Hayat Tahrir al-Sham (HTS), a jihadist organisation. The Turkish authorities denied having deported Syrians to Syria and during the report’s reference period, Turkey reaffirmed its commitment to a safe and voluntary return of Syrians to Syria.
Studies showed that there is a strong desire among the Syrian refugee population in Turkey to return to Syria at some point in the future. In April 2020, TDA published a survey report about perceptions on return to Syria among Syrian refugees in Turkey. Having conducted a survey among 2 002 Syrian citizens, it turned out that 74 % of the respondents desired to return to Syria in the future. However, the survey also made clear that those who desire to return to Syria would only like to do so on particular conditions. Of the 74 % who wanted to return to Syria, 71 % stated that their return must be to the place of origin within Syria (returning to one’s place of origin is not always possible as will be discussed in Section 4.1: Access limitations to areas of return). About the same percentage (70 %) indicated that they would return to Syria provided the current GoS has been overthrown. 60 % would return to Syria provided the war has come to an end.
1.3.3 Return from Lebanon
The majority of Syrians in Lebanon have not complied with the Lebanese residency requirements. During a survey among 579 Syrians in Lebanon, Refugee Protection Watch (RPW) found out that 58.4 % of the respondents did not enjoy legal residency in Lebanon. For Syrians in Lebanon there are several ways to return to Syria, including self-organised returns and group returns organised by the General Security Office (GSO) of the Lebanese Ministry of Interior. The last GSO-organised group return took place on 13 February 2020. Another actor that has been involved in organising returns from Lebanon to Syria is Hezbollah, a militant Shia movement that is allied to the GoS and the military wing of which has been designated as a terrorist organisation by the EU. Sources noted that there is little information available about procedures and practicalities of the Hezbollah-facilitated returns.
There are several obstacles for Syrians to return from Lebanon to Syria, one of them being the challenge to regularise one’s residency status to legally exit Lebanon. As mentioned previously, most Syrians in Lebanon have not regularised their residency status. In order to leave the country legally, members of this group need to pay a fee for each year having overstayed their residency permit, amounting to 300 000 Lebanese Pound (LBP) per year (according to CoinMill46, an online currency convertor, LBP 300 000 amounted to EUR 166.47 on 12 March 2021). Those who officially entered Lebanon before 5 January 2015 and overstayed their residency permits will not receive a re-entry ban upon exiting the country. Those who entered Lebanon after 5 January 2015 and overstayed their residency permits will receive a re-entry ban for one year upon leaving the country. Those who fail to pay the fee for having overstayed their residency permits are allowed to exit Lebanon, but they will be issued a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. All returnees who have entered Lebanon illegally need to pay a fine for their illegal entry, amounting to LBP 600 000, and will be given a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. An anonymous source, however, remarked that the application of the aforementioned regulations seems to be inconsistent at times.
The mandatory security check constitutes another obstacle to overcome. When participating in a GSO-facilitated return, the GSO will conduct a security check in conjunction with the Syrian authorities, forwarding the returnee’s personal details to the Syrian authorities. The latter subsequently informs the GSO which persons have received a security clearance. The publicly available percentages of rejected and approved applications vary. In September 2018, the GSO’s General Director stated that on average 10 % of the applicants are denied security clearance by the Syrian authorities. During an interview with the International Crisis Group (ICG) in August 2019, however, a senior Lebanese security official stated that the average approval rate is around 80 %. A journalist and humanitarian agency researcher told ICG that for applicants hailing from opposition strongholds, the approval rate is nearly zero.
Another obstacle is the compulsory fee to be paid to the Syrian authorities when entering Syria. Each Syrian national entering Syria must exchange USD 100 for Syrian pounds (SYP) at the official rate. This decision was issued by the GoS on 8 July 2020 and took effect as of August 2020. Minors as well as truck and public vehicle drivers are said to be exempted from this compulsory measure. However, according to one anonymous source, effective implementation of these exemptions is still pending and therefore it remains unclear if and how this will be applied in practice.
The COVID-19 pandemic also obstructed the process of return from Lebanon to Syria. On 22 March 2020, the Syrian authorities closed the land crossings between Lebanon and Syria. As a result, Syrians who had left Lebanon got stuck in the buffer zone between both countries. The numbers of stranded returnees in no man’s land vary between 7 000 and 13 000 individuals. From time to time, the Syrian authorities would arbitrarily allow some returnees to enter Syria and go into quarantine. Some groups of returnees remained stuck between the Lebanese and Syrian border crossings for weeks, facing a lack of food and water. Some did not wait to be allowed entry by the Syrian authorities and sought to enter Syria illegally instead. At the time of writing, there were no reports of Syrians being stuck at the Lebanese-Syrian border.
The GSO has not published any figure in regard to returns in 2020. UNHCR recorded 9 351 voluntary refugee returns from Lebanon to Syria in 2020 and 762 voluntary refugee returns during the first three months of 2021. However, the extent to which these returns are truly ‘voluntary’ in nature has been questioned. During the report’s period of reference, Lebanon was struck by a series of setbacks: the COVID-19 pandemic, the Beirut Port explosion and financial, economic and political crises. Syrian refugees were among the most vulnerable and impoverished groups in Lebanese society, since many had neither legal residency nor a durable income. According to an assessment made by three UN branches, the percentage of Syrian refugee households living under the extreme poverty line increased to 89 % in 2020. The same survey made clear that half of the Syrian refugee population in Lebanon was food insecure. Facing unemployment, food insecurity and discrimination, some Syrians in Lebanon felt they had no choice but to return to Syria.
1.3.4 Return from Jordan
UNHCR recorded 3 466 voluntary refugee returns from Jordan to Syria in 2020 and 1 345 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.69 Sources also reported on cases of Syrians who were forcibly returned from Jordan, but no information on their treatment in Syria was available. Unlike their Lebanese counterparts, the Jordanian authorities do not organise voluntary group returns for Syrians.
Syrians need to comply with various requirements in order to return from Jordan to Syria. Syrian returnees are required to present a Syrian passport or a Syrian laissez-passer (LP)72 when returning from Jordan to Syria. According to an international humanitarian organisation working in Syria, when a Syrian returnee applies for a passport or LP at the Syrian Embassy in Amman, his/her name will be run into a centralised database to verify whether the person has links to any opposition or ‘terrorist’ groups.
Apart from having a passport or an LP, a returnee needs to obtain a security clearance at the Syrian Embassy in Amman. According to the same international organisation working in Syria, during this security screening, information on the applicant, family members and perhaps extended family is being checked by the Syrian authorities.
In addition, a returnee needs to have a negative polymerase chain reaction (PCR) test result, which is no older than 96 hours. A PCR test can be obtained for free at a Jordanian hospital. Additionally, returnees need to sign a declaration that upon return, they will go into home quarantine for five days. Like Syrians returning from Lebanon to Syria, every adult returning from Jordan to Syria must exchange USD 100 upon return.
A Syrian who has left Jordan on a Syrian LP cannot re-enter Jordan using this type of travel document. Syrian passport holders can (re-)enter Jordan provided they comply with a set of requirements:
• having a valid passport;
• having a security approval;
• having an entry or exit/entry permit.78
2. Consequences of illegal exit and having applied for asylum abroad
2.1 Consequences of illegal exit
Previously, illegal exit from Syria would lead to punishment by means of imprisonment and/or fines. However, on 26 March 2019, the Syrian Ministry of Interior issued circular No. 342, waiving the aforementioned punishment. Having exited Syria illegally, however, remains a matter that needs to be settled through a formal procedure, variously referred to as ‘status settlement’ or ‘security clearance’, prior to one’s return to Syria. This procedure will be discussed in more detail in Chapter 3: GoS return policy and practice.
A Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned explicitly that a person who has exited Syria illegally cannot initiate any legal procedure inside Syria. If a returnee goes back to Syria without having settled his or her illegal exit first, he or she will be sent to a military prison or military security branch straight away, according to the same expert. However, it has also been documented that some returnees who did settle their illegal exit prior to return were nonetheless arrested upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.
2.2 Consequences of having applied for asylum abroad
No unambiguous answer could be found to the question about how those having applied for asylum abroad will be treated upon return. General Naji Numeir, the Chief of the Syrian Immigration and Passports Department, told the DIS during an interview held in November 2018 that returnees would not be prosecuted or arrested upon return for obtaining asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent.
A Syria expert at the European Institute of Peace (EIP) believed that having applied for asylum abroad might be something to settle through a formal procedure which will be discussed in more detail in in Chapter 3: GoS return policy and practice. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC reported that it varies from case to case. This expert knew of former asylum seekers who did not experience any personal problems with the Syrian authorities upon return, whereas other former asylum seekers were either killed or forcibly disappeared by the Syrian authorities upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.
2.3 Monitoring of the Syrian diaspora by the Syrian authorities
It has been established by several sources that Syrians abroad are to a certain extent monitored by the Syrian authorities. SJAC, for instance, obtained Syrian government documents, exposing that the Syrian embassies in Spain and Saudi Arabia were involved in collecting information about dissident members of the Syrian diaspora and forwarding this information to various intelligence directorates in Syria. According to a Syria expert at the EIP, activists and civil society organisations are extensively monitored by the Syrian authorities.
According to a Syria expert at the EIP, Syrians in the diaspora are being monitored in two ways: informally and formally. The informal way of monitoring involves individuals reporting others to the Syrian authorities. These informants are not officially employed by the security branches, but report others in order to appear loyal to the GoS. In doing so, they seek to ward off any possible negative attention that might be directed at themselves. The formal way of monitoring involves state institutions like embassies and security branches collecting information about dissident Syrians residing abroad. The source consulted had knowledge of social media accounts and social media groups of Syrians living abroad being monitored by security branches.
Jusoor for Studies states that the Syrian authorities have deployed intelligence agents and informants in the countries of asylum, including the EU and Turkey, to monitor Syrians in the diaspora and report on them on a weekly basis. These agents and informants are affiliated to different security branches: 4th Division Security Bureau, Branch 279 of the General Intelligence Department, Branch 297 of the Military Intelligence Division, the Air Force Intelligence and Branch 300. Thus, according to Jusoor for Studies, political and humanitarian activists who are considering to return to Syria are at great risk.
3. GoS return policy and practice
3.1 Introduction
Returnees from abroad as well as internally displaced persons (IDPs) from opposition-held areas need to be cleared by the Syrian authorities in order to return to government-controlled Syria. Omran for Strategic Studies notes that the government’s security forces require all returnees to attain security permits prior to returning and that many returnees were reportedly arrested for not possessing the requested documents.
In the existing literature on formal returns to government-held Syria two prominent notions come to the fore: ‘security clearance’ (Arabic: muwafaka amniya) and ‘status settlement/adjustment’ (Arabic: taswiyat Wada’). According to the DIS, the application for a security clearance is a process through which the Syrian authorities cross-check whether a person is on any wanted list and is to be considered a security threat, whereas settling one’s status involves a process in which a person settles his/her outstanding security issues with the Syrian authorities, like having left the country illegally, having participated in an anti-government demonstration or having evaded the military service.
The sources consulted for this report, however, mentioned that there was no clear distinction between applying for a security clearance and settling one’s status. If a Syrian residing in a neighbouring country or in an EU Member State wants to return legally to government-held Syria, he or she will have to apply at a Syrian diplomatic mission. During this procedure, which is variously referred to as ‘security approval’ or ‘status settlement’, the applicant is being checked by the Syrian authorities in one way or another. From now onwards, this report will only use the term ‘security clearance’ in a generic way for the purpose of clarity. According to Suhail Al-Ghazi, only those who have left Syria legally, are not wanted by the Syrian authorities, and still possess a valid passport, are not required to apply for a security clearance in order to return to Syria.
It is common practice for those considering to return to Syria to find out first whether they are on any wanted list of Syria’s security branches before applying for a security clearance. They seek to do this through their informal network of personal connections, a practice popularly referred to as wasta. It should be stressed, however, that collecting information through the practice of wasta is not exhaustive. Therefore, if a returnee finds out through wasta that he or she is not wanted by the Syrian authorities, there is no guarantee that he or she will not be arrested and detained upon return.
3.2 The procedure itself
A security clearance can be applied for in two ways. One, the returnee lodges an application at a Syrian embassy or consulate himself or herself. Two, a first-degree relative of the returnee applies on behalf of the returnee inside Syria. The sources consulted gave conflicting information about the government agency where the returnee’s relative is supposed to apply. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi mentioned the Syrian Ministry of Foreign Affairs in Damascus, whereas Urnammu for Justice and Human Rights mentioned the Immigration Department or one of its branches in the governorates.
If a relative in Syria applies on behalf of the returnee, the relative will be required to prove the family ties by submitting a document like a family booklet or a family extract from the civil registry office. The relative is not required to submit a power of attorney.103 Relatives in Syria need to pay a fee. Suhail Al-Ghazi believes that the Syrian Ministry of Foreign Affairs will charge a fee ranging from SYP 5 000 to SYP 15 000 (according to CoinMill, an online currency convertor, SYP 5 000 and SYP 15 000 amounted to EUR 3.35 and EUR 10.06 respectively on 8 April 2021).
As for applications at Syrian diplomatic missions, these are for free, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi, although one needs to pay a bribe in order to get an appointment. Urnammu for Justice and Human Rights, however, states that one needs to pay a consular fee amounting EUR 46 when applying for a security clearance at a Syrian diplomatic mission.
To complete the application for a security clearance, so-called ‘return’ or ‘reconciliation’ forms need to be filled out. When filling out such forms, the returnee is required to write down his or her personal details and provide information on whether he or she has participated in any anti-government activities, whether his or her relatives have engaged in any anti-government activities or have been detained, whether he or she knows of any ‘terrorists’ and/or ‘terrorist activities’, and so on. According to a Syria expert at the EIP, these forms constitute an unwinnable situation for applicants. If the applicant answers ‘yes’ to any of the security-related questions asked, he or she will incriminate himself or herself and/or others. However, if the applicant answers ‘no’ to any of the security-related questions, he or she fails to fulfil his or her citizen’s duty to report ‘terrorism’ to the Syrian authorities. After a decade of widespread armed conflict, the authorities will not find it likely that one is not aware of any security threat against the GoS.
Regardless of whether the application has been submitted by the returnee or a relative, it will be forwarded to Syria’s security apparatus. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC specifies that applications for a security approval are being forwarded to the military security branch 291 based in Damascus. The security personnel will check whether the returnee has been involved in (armed) opposition against the GoS, whether the returnee has left the country legally or illegally, whether the returnee has posted and/or liked posts on the social media that are critical of the GoS, whether any of the returnee’s relatives have been detained, and so on.
The duration of an application varies from one month to up to six months. The sources consulted gave contradictory information about the type of document that was given by the Syrian authorities to a returnee upon approval of his or her application. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights, the LP itself served as a document confirming that a security clearance has been granted. Suhail Al-Ghazi, however, stated that the returnee would receive a so-called taswiyat Wada’ document that was stamped by the Syrian Ministry of Interior, having a validity for a period of six to twelve months.
If a relative has applied on behalf of a returnee and the security clearance has been granted, there are two different methods for the returnee to obtain the written approval, according to the sources consulted. According to Suhail Al-Ghazi, the relative will receive a document mentioning the returnee’s name, information and case number. The relative subsequently transmits the relevant data mentioned on this document to the returnee. Upon entering Syria at the airport or over land, the returnee can mention the aforementioned data to the Syrian authorities, which will subsequently print and issue the taswiyat Wada’ document. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, the relative receives the LP and sends it by an express shipping service to the returnee living abroad.
The sources consulted gave conflicting information whether applications for a security clearance would be denied by the Syrian authorities in some cases. Suhail Al-Ghazi, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights mentioned that the Syrian authorities were not inclined to deny security clearances to returnees. On the contrary, according to these sources, the Syrian authorities would be interested in persuading dissident returnees to come back home only to arrest them upon return; either to quell their anti-government activism or to extort money from their families.
A Syria expert at the EIP, however, had knowledge of Syrian refugees who had their applications rejected. The same expert stated that the reasons for rejecting an application are infinite, including posting and/or liking statements on social media that are critical of the GoS, having a relative in detention, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS, hailing from a former opposition stronghold, and so on. This information seems to resonate with other sources of information. ICG spoke to sources who made it clear that not all applications for a security clearance lodged in Lebanon were approved, as has been discussed in Section 1.3.3 Return from Lebanon. In September 2019, the Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center reported that hundreds of Syrians in Lebanon had applied, yet only a fraction was allowed to return to Syria.
Finally, according to a Syria expert at the EIP and Urnammu for Justice and Human Rights, the processing of applications for a security clearance is an arbitrary and non-transparent affair. Therefore, the precise requirements for obtaining a security clearance remain unclear. Urnummu for Justice and Human Rights mentioned that sometimes a security clearance is issued after a bribe has been given or when the applicant happens to know an influential person within the GoS.
4. Potential obstacles to return
4.1 Access limitations to areas of return
A security clearance granted by a Syrian embassy or consulate to a returnee only serves the purpose of permitting the holder to enter Syria. A security clearance does not guarantee a returnee to physically access his or her place of origin inside government-held Syria. Returning to one’s place of origin inside government-controlled Syria involves another trajectory, which is managed by local power brokers like municipal authorities or local government-supporting militias. Procedures to obtain a permission to enter one’s place of origin vary from place to place and from actor to actor. As local power dynamics are shifting over time, the varying procedures are also subject to change.
To make matters more complicated, a security clearance issued by one government-aligned entity inside Syria may be considered invalid in areas controlled by other government-affiliated entities. This can be attributed to the fragmentation of the government’s security apparatus, limiting mobility to areas controlled by specific government-aligned security entities.
During the report’s period of reference, the UN observed that the Syrian authorities routinely denied Syrians return to their places of origin, most notably in formerly besieged areas that had been retaken by the Syrian armed forces. Some sources stated that some groups of returnees were denied access to a particular area of origin, because of their ethnicity, religion and/or political orientation. Suhail Al-Ghazi, for instance, mentioned that some Iranian-backed militias kept Sunni returnees, who are deemed disloyal to the GoS, out of particular areas in order to alter the area’s demographic composition in favour of the Shia community. It has been reported, for instance, that Hezbollah prevented displaced residents of Sunni origins from returning to Qusair in Homs governorate and Zabadani in Rif Dismashq (Rural Damascus) governorate. Al Jazeera was told by some Palestinian activists that only pro-government Palestinians were allowed by the Syrian authorities to return to Yarmouk, a camp for Palestinian refugees that got largely destroyed by the war. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, remarked that swaths of government-held Syria were not accessible to the general public anyhow and that the denial of access to these areas was not only aimed at particular groups of returnees.
Further information on internal mobility and areas within Damascus governorate where access is limited is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
4.2 Civil documentation and nationality
Lacking civil documentation does not necessarily obstruct the process of return itself, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC. Those who do not have a passport or whose passport got expired, for instance, can apply for an LP at a Syrian diplomatic mission abroad.
However, a lack of civil documentation can certainly frustrate a returnee upon return when seeking to access government services, initiate legal procedures and file property claims. Family booklets and family extracts, for instance, grant the holder access to public services, including education, health care and emergency assistance. Loss of such documentation could lead to the refusal of the aforementioned services. The Norwegian Refugee Council (NRC) reported that many Syrian refugees living in Turkey, Lebanon, Jordan and Iraq do not possess legal and civil documentation to support their HLP rights, which constitutes a challenge for those considering to return voluntarily to Syria. For more information about HLP rights in relation to return, please read Section 4.3 Housing, land and property rights.
Another issue that could pose a stumbling block to one’s return is Syria’s nationality law. According to Article 21(E) of the aforementioned law, a citizen may be deprived of the Syrian nationality in case it has been established that the person has left Syria illegally for another country which is in a state of war with Syria. A citizen may also be stripped of the nationality if the person has been away for more than three years in a non-Arab country without communicating with the Syrian authorities, according to Article 21(G). When asked about practical implementation of Article 21, a Syria expert at EIP stated that it is unclear which countries the GoS regards itself at war with, but Article 21(E) could be applicable to those having left illegally for Turkey, a country that supports armed actors opposing the GoS. Neither is Syria’s nationality law clear about which countries are regarded as ‘non-Arab’, but according to a Syria expert at EIP, Article 21(G) could apply to returnees coming from Turkey, the EU, the US, Canada and Latin America who have been abroad for more than three years without having communicated with the Syrian authorities. At the time of writing, however, no further information has been found on whether Article 21 of the nationality law was being implemented within the context of return and if so, how and against whom.
Further information on civil documentation is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
4.3 Housing, land and property rights
The government’s violations of Syrians’ HLP rights pose another stumbling block for IDPs and refugees to return. Since 2011, the GoS has enacted a series of laws and administrative decisions to legitimise the expropriation of properties. The GoS, for instance, enacted urban development legislation, purportedly to rebuild or redevelop informal settlements. In reality, however, these urban development projects served as a pretext to evict the pre-dominantly pro-opposition residents from their homes in favour of wealthy elites having close ties to the GoS.
The Syrian authorities also confiscate houses and property of detainees (including those who have not been convicted yet), displaced persons and human rights activists within the framework of anti-terrorism and national security legislation, thus using the seizure of houses and property as a means to target and punish detainees, opponents and human rights activists. The GoS also expropriates houses in order to give to members of the Syrian military and to sell to Iranian militias supporting the GoS.
It has also been reported that government-aligned militias have confiscated houses and properties. For instance, it was reported that Liwa Al-Quds, a pro-government militia consisting of Palestinians, confiscated homes and shops of (perceived) pro-opposition Palestinians in Neirab, a Palestinian refugee camp in the northern governorate of Aleppo. Two years ago, pro-Iranian Shia militias confiscated farmlands near Mayadeen, a city in the eastern governorate of Deir-ez-Zor. Up to now, the original residents cannot enter this farm area harbouring palm and olive groves.
Further information on HLP issues in Damascus governorate is available in Section 3.5 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).
5. Treatment upon return
In its April 2020 report on internally displaced persons, returnees and internal mobility, EASO cited various sources stating that returnees had been arrested, detained and tortured by the Syrian authorities upon return, including those who had settled their status. This type of treatment of returnees has continued to be reported by sources consulted during this report’s period of reference. Since the beginning of 2020, for instance, the Syrian Network for Human Rights (SNHR) documented at least 156 cases of arrest of returnees, including 89 cases of arrest targeting returnees from outside Syria.
The sources consulted for this report stressed that obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria. Urnammu for Justice and Human Rights, for instance, has documented cases of returnees who obtained a security clearance prior to return, but were nonetheless subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return.
Moreover, it should be borne in mind that a security clearance merely permits a returnee to enter Syria. In addition to a security clearance, it is common for returnees to receive a written instruction to visit a particular security branch upon return. This type of document is known as Waraket Mourajaa and is either issued to a returnee at a Syrian diplomatic mission or upon entering Syria. Visiting a security branch brings along the risk of getting interrogated, arrested, detained, tortured and/or forced to become an informant, government soldier or pro-government militia member. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, this practice puts the returnee in an unwinnable situation. If the returnee presents himself or herself at the security branch in case, he or she might get exposed to serious harm. However, if the returnee does not adhere to the written instruction to visit a security branch, an arrest warrant will be issued against him or her.
Several sources consulted mentioned in the footnotes below confirmed that the Syrian authorities continue to arrest, (temporarily) detain, interrogate, torture and/or pursue returnees by terrorism courts upon return. According to these sources, the following groups are particularly at risk to experience one or more of the aforementioned forms of treatment upon return:
• those having engaged in anti-government protests and/or who are opposition members;
• those whose relatives have engaged in anti-government protests and/are opposition members;
• those having a security record and/or are on a wanted list;
• those having exited Syria illegally;
• those hailing from former opposition strongholds;
• those returning from countries that are deemed hostile to the GoS;
• those who still need to serve in the military;
• women and children whose husband, father and/or brother went missing.
With regard to the Syrian government’s negative perception of those hailing from former opposition strongholds, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned the cases of two returnees who originally came from Damascus. Upon return they received a waraket mourajaa, instructing them to visit a particular security branch. For two months, both returnees were sent from one security branch to another and each time they found themselves paying a bribe in order to avoid arrest. Thus, hailing from an area that has been under government control throughout the conflict does not necessarily guarantee a safe return to government-held Syria, the expert stressed.
As mentioned in Chapter 3. GoS return policy and practice, persons who evaded the military service have to undergo the process of settling one’s status with the Syrian authorities before returning. With respect to those who have settled their draft evasion prior to return, these returnees are still required to serve in the Syrian armed forces upon return, unless they fit in one of the categories of people that can be exempted from the military service.
Detailed information on the situation of draft evaders and military service in the Syrian Arab Army is available in the EASO COI Report: Syria - Military service (April 2021).
Another factor impacting the treatment of returnees is the highly fragmented nature of Syria’s security apparatus. For instance, there are four main security branches: the Air Force Intelligence Directorate, the Military Intelligence Directorate, the Political Security Directorate, and the General Intelligence Directorate, the latter also known as the National Intelligence Directorate. According to several sources, this could lead to a situation in which persons, returnees included, have been cleared by one intelligence directorate, but are still wanted by another intelligence directorate. Thus, it is difficult, if not impossible, for one to determine where he or she stands in relation to Syria’s security apparatus.
To add more confusion to the picture, Syria’s security apparatus is inconsistent in its treatment of returnees. For instance, Jusoor for Studies had knowledge of returnees who were arrested because their relatives were wanted. Yet, the same expert also knew returnees who had family members on a wanted list and who were nonetheless not arrested.
In its February 2020 report on the situation of Syrians in Lebanon, ICG concluded that there is no certainty about who is safe from arrest upon return, because the authorities’ concept of who is an opponent is not always clear or can change over time. This conclusion made by ICG was corroborated by several interviews with experts. A Syria expert at the EIP mentioned that in some cases the lack of an exit stamp in one’s passport will not cause an immediate problem upon return, but could nevertheless be used against the returnee by the Syrian authorities later on. Jusoor for Studies and Urnammu for Justice and Human Rights stated that some returnees are directly arrested upon return, whereas others are arrested within one month or one to two months after their return.
The return of Mazen al-Hamada from the Netherlands to Syria constitutes an example of the risks activists might be exposed to when returning to Syria. Prior to his arrival in the Netherlands in 2014, Hamada had been arrested three times by the Syrian authorities. Upon his third and last arrest, Hamada was detained for one and a half year at a prison in Damascus where he was subjected to various forms of torture. During his stay in the Netherlands, Hamada spoke openly about his experiences as a torture survivor, testifying against the Syrian authorities at the International Criminal Court (ICC) in The Hague. For unclear reasons, Hamada settled his status at the Syrian Embassy in Berlin, Germany and returned to Syria in February 2020.176 After having arrived at the airport in Damascus, no one heard from him anymore, making many believe that he was forcibly disappeared by the Syrian authorities. According to Jusoor for Studies, Hamada was imprisoned at Sednaya Prison and referred to the Terrorism Court.
1.3.3. Asylländerbericht der Österreichischen Botschaft (ÖB) Damaskus, Ende September 2021:
I. Aktuelle sicherheitspolitische/militärische sowie politische Entwicklungen; sozioökonomische Lage
Die Regierung konnte ab 2015 primär mit Unterstützung von Russland (RU) und des Iran (IR) von Rebellen sowie dem IS gehaltenen Gebiete zurückgewinnen und ihre Präsenz konsolidieren. Mittlerweile lebt 66% der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Territorien.
Außerhalb der Regierungskontrolle befindet sich der Norden des Landes: im Nordwesten sind die Türkei (TR) und und von der Türkei teils unterstützte bzw. geschützte Rebellengruppen (Idlib) präsent. Dort war der bewaffnete Konflikt bis Anfang März 2020 virulent. Die Fronten verlaufen zwischen der TR und von ihr unterstützten Milizen sowie der syrischen Armee, die von RU mit Luftangriffen unterstützt wird. Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Präsenz zehntausender radikal-militanter Kämpfer, insb. der Hayat-Tahrir al Sham (HTS), ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen. Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar Anfang März zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die TR verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die TR-Verwaltung auf die besetzten SY-Gebiete aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen ist eine Zunahme RU-Luftangriffe und SY-Angriffe auf NW-SY festzustellen.
Ungeachtet der Anfang Oktober 2019 erfolgten TR-Militäroffensive in den Nordosten Syriens, die dritte nach den Militärinvasionen im Nordwesten im August 2016 und im Jänner 2018, und der Besetzung des mittleren Grenzabschnitts bis zur strategischen Verkehrsverbindung M 4 Aleppo-Qamischli, werden weite Teile weiterhin militärisch und zivil von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) bzw. den kurdischen Autonomiebehörden kontrolliert. Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus. Die TR stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jessiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Auf Grund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an. Die Konfliktintensität hat sich im letzten Jahr merklich verringert. Seit knapp mehr als drei Monaten ist jedoch eine deutliche Zunahme der Zahl der Anträge auf Familienzusammenführung, insbesondere aus der Provinz Hasakeh (NO-SY), mehrheitlich durch Kurden, festzustellen. Eine genauere Prüfung der Entwicklung und ihrer Hintergründe sowie eine genauere statistische Erfassung erscheint zweckmäßig.
In den von der TR beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG).
Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt. Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin die knapp 30 Lager mit 11 000 internierten IS Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in Al Hol mit knapp 60 000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9000 aus anderen Ländern inkl. Österreich). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee.
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch; diese werden seit 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet.
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu:
Im Zentralraum, insb. in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht Umgebung) Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee.
Im Süden des Landes (Daraa, Suweida) kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und vormaligen Rebellen, die im Rahmen von sogenannten „reconciliation“ Vereinbarungen demobilisierten, und zu Demonstrationen auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation.
Die Küstenregion ist im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont geblieben. Im Norden (Hinterland von Latakia) kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konfliktes von Idlib aus.
Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und TR-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil.
Erhebliche Imponderabilien stellen auch die erwähnten Luft-/Raketenangriffe von IL sowie anderer Akteure (z.B. der 3, dh USA, UK und F im April 2018) dar.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzten TR-Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen resp. die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Auch die ÖB Damaskus ist bei weitem nicht über alle in allen Teilen Syriens vorherrschenden Zustände informiert. Gründe dabei sind neben dem mangelnden Zugang zu vielen Gebieten auch die Grenzen der zur Verfügung stehenden Quellen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt.
Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes
Einen Ansatzpunkt für eine politische Lösung bildet das Verfassungskomitee unter Federführung des Special Envoy (SE) des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien, des norwegischen Diplomaten Geir Pedersen. Dieses setzt sich aus je 50 (je 15 in der kleinen, operativen Gruppe) Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zusammen; erst nach mehr als eineinhalb Jahren konnte man sich im September 2019 auf die Zusammensetzung einigen. Die syrische Regierung sieht diesen Prozess sehr kritisch. Nach einem recht konstruktiven Beginn Anfang November 2019 gestaltete sich der Ablauf der weiteren Sitzungen weit kontroverser. Die Diskussionen – COVID-bedingt lange unterbrochen - verhedderten sich bis dato im Prozessualen.
SE Pedersen verfolgt über das Verfassungskomitee hinaus einen breiteren Ansatz für den politischen Prozess (u.a. vertrauensbildende Maßnahmen, wie Gefangenaustausch sowie die Freilassung bzw. Aufklärung des Schicksals vermisster Personen); aber auch hier gibt es bis dato wenig Fortschritte. Die Ende März 2020 und Anfang Mai 2021 von Präsident Assad erlassenen Generalamnestien inkludiert auch einige politische Delikte, wurde aber für politische Gefangene (Freilassung kleiner Gruppen nach den Präsidentschaftswahlen) nur sehr begrenzt wirksam.
Verhältnis Zentralregierung – kurdische Autonomiebehörden
Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind
festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert. Auch zwischen den rivalisierenden Gruppierungen der Kurden gibt es Annäherungsbemühungen. Es kommt im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur TR nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), die die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist und aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht.
Präsidentenwahlen
Amtsinhaber Assad gewann die Ende Mai, faktisch nur im von der Regierung kontrollierten Gebiet abgehaltenen Präsidentenwahlen gemäß offiziellen Abgaben mit 95% (78% Wahlbeteiligung); die Zahlen, vor allem auch zur Wahlbeteiligung sind schwer überprüfbar.
Sozioökonomische Lage
Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch teils seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen. Die Wirtschaftskrise im Libanon, dem vor allem auch im Hinblick auf die Sanktionen, eine zentrale Rolle als Umschlags-und Finanzplatz für die syrische Wirtschaft zukommt, und COVID 19 verschärften die Situation weiter. Es kommt immer wieder zu Verknappungen von Benzin. Auch bei dem Grundnahrungsmittel Brot gibt es Engpässe. Die Preise für beide Güter wurden stark erhöht und die Subventionen zurückgefahren.
Das BIP schrumpfte auf ein Fünftel gegenüber 2010. Die Ölproduktion fiel von 380 000 auf 25 000 Barrel pro Tag. Der Konflikt verursachte auch erhebliche Schäden an der physischen Infrastruktur. Ein Drittel des Wohnungsbestandes wurde ganz oder teilweise zerstört. Allein die registrierte Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 50%. Andererseits gibt es einen Mangel an qualifiziertem Personal in bestimmten Sektoren und Gebieten, u.a. bedingt durch die Vertreibung. 90 % der Menschen leben in Armut. Der Konflikt hat die soziale Ungleichheit verschärft.
Laut dem Welternährungsprogramm der VN sind derzeit mehr als 12 Mio. Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Dieser Wert wurde auch am Höhepunkt des Konfliktes nicht verzeichnet. Der Preis für den Nahrungsmittelkorb (Stand Juni) erhöhte sich innerhalb eines Jahres um knapp 200% (seit Beginn des Konfliktes um das dreiundzwanzigfache). Die Gehälter bewegen sich zwischen 70 000 und 120 000 syrische Pfund (SYP), dies entspräche umgerechnet zum Marktkurs rund 20 bzw. 35 USD.
Der Außenhandel brach auf 20 % (mit der EU sogar auf 10%) des Volumens vor dem Konflikt ein; die Exporte noch weit stärker. Die EU wurde als Haupthandelspartner von RU und der TR abgelöst. Die Handelsbilanz war 2020 mit 4,3 Mrd. USD stark defizitär. Das Leistungsbilanzdefizit betrug 2020 2,6 Mrd. USD oder 9% des BIP (2010: 0,7%). Die Überweisungen der im Ausland lebenden Syrer bildeten mit 1,6 Mrd. USD einen wesentlichen Plusposten; diese dürften sich COVID-bedingt und auf Grund der Verschärfung der Sanktionen um 50 % halbieren. Die Währungsreserven sind von 21 Mrd. USD (2010) auf 400 Mio. USD geschrumpft.
Nach zwei Jahren Wachstum brach die Wirtschaft um 8 % ein. Die Inflation betrug mehr als 110 %. Der Verfall des syrischen Pfunds hat sich in den beiden letzten Jahren beschleunigt; ein Grund dafür ist die Liquididätskrise/Limitierung der Ausgaben von USD durch die Banken im Libanon. Die von Syrern getätigten USD-Einlagen bei libanesischen Banken belaufen sich auf (konservativ geschätzt) 40 Mrd. USD. Der Verfall der Währung führt zu Verstärkung der wirtschaftlichen Zentrifugalkräfte in den Regionen – im Nordwesten wird verstärkt die TR-Lira im Zahlungsverkehr genützt.
Sieht man von RU und dem IR (v.a. im Grundstoffbereich) sowie in geringerem Ausmaß von CN ab, sind keine größeren Auslandsinvestitionen zu erwarten; auch die syrische Diaspora zeigt sich sehr zurückhaltend. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sind derzeit nicht gegeben; die Perspektiven haben sich vielmehr verschlechtert. Mit dem IR sieht sich ein wichtiger Kreditgeber und Erdöllieferant auf Grund der US-Sanktionen selbst massiv unter wirtschaftlichem Druck.
COVID 19
Die offiziell verlautbarten Zahlen (rund 70 000 Fälle und 3300 Tote per Anfang Juli) für die von der Regierung kontrollierten Landesteile sind sehr niedrig; detto die der Testungen; die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangsperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden IDPs vor allem im Nordwesten zu. Die Zahl der Neuinfektionen ist insbesondere seit Mitte August stark angestiegen, dies kann auch an einer Verbesserung des Testkapazitäten liegen. Die Dunkelziffer ist aber wohl immer noch deutlich höher. Syrien befindet sich derzeit in der vierten Covid-19-Welle. Die Impfrate ist extrem niedrig, bis Mitte September hatten erst 1,2% beide Impfdosen erhalten, nur 2% der Bevölkerung zumindest eine Impfdosis von zwei. Selbst im günstigsten Fall wird bei Einhaltung aller bisherigen Lieferzusagen laut WHO bis Ende des Jahres maximal 6,6% der Bevölkerung vollständig geimpft sein.
II. Wehrdienst/Reservedienst/Militärstrafrecht
Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen grundsätzlich ab dem Alter von 18 (bis 42) Jahren dem verpflichtenden 2-jährigen Wehrdienst. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen. Unter 18-jährige werden von der syrischen Armee nicht in Anspruch genommen. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden, fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt.
In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten Pro-Regierungstruppen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden.
Der Mangel an Männern führte zu Söldnerkonstruktionen und einem Rückgriff auf Kämpfer aus dem IR, Irak, Afghanistan und dem Libanon (Hizbollah) für schiitische Milizen. Anwerbungen für Kämpfe in Syrien fanden insbesondere auch unter im Iran lebenden Hazara statt. Auf Grund der wirtschaftlichen Probleme sieht sich der IR gezwungen, sein finanzielles Engagement (insb. Kürzungen der Gehälter von Milizionären) zurückzufahren.
Männer, die in den durch die syrische Armee rückeroberten Gebieten bleiben und das Land nicht verlassen, werden zum Militär bzw. in eine der bewaffneten regierungstreuen Gruppen eingezogen und teilweise mit wenig Ausbildung in Kriegsgebiete geschickt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen des Militärstrafgesetzbuchs, darunter für Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.
Bezüglich detaillierterer Ausführungen zu diversen Aspekten des Wehrdienstes in Syrien wird auf den nach wie vor aktuellen Fact Finding Mission Report des BFA, der im August 2017 erstellt wurde, den Bericht Fact Finding Mission der finnischen Migrationsbehörde aus dem Dezember 2018, sowie den Bericht des schwedischen Ministeriums für Migration und Integration verwiesen.
Auch nichtstaatliche Akteure haben eine Art Wehrdienst eingesetzt. Die SDF ziehen laut Berichten ab 1986 bzw. 1990 Geborene zum Militärdienst ein, wobei regional unterschieden wird: Personen aus Deir-Ez-Zor und Rakka, in denen der Anteil der Kurden geringer ist und es ohnehin Spannungen zwischen kurdischer Verwaltung und lokalen arabischen Stämmen gibt, werden erst ab dem Geburtsjahrgang 1990 eingezogen. In der Vergangenheit wurden von den SDF auch Kinder rekrutiert, im Juli 2019 wurde allerdings erklärt, darauf verzichten zu wollen 7; dies wird aber offenbar nicht von allen militärischen Verbänden befolgt. Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes (üblicherweise 12 Monate). Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen.
In Idlib werden durch HTS Kinder für Kampfhandlungen eingesetzt ebenso durch den IS, die Opposition und in geringerer Anzahl von regierungsnahen Milizen.
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter eine Entlassung aus der Wehrpflicht gegen einmalige Zahlung einer Ersatzgebühr in Höhe von 8.000 US-Dollar innerhalb von drei Monaten ab Einberufung. Diese Regelung ist allerdings nur auf Syrer die bereits durchgehend vier Jahre im Ausland leben anwendbar. Darüber hinaus sind in bestimmten Fällen zusätzliche Gebühren für Syrer unter 25 Jahren und bei Überschreitung der dreimonatigen Zahlungsfrist vorgesehen. Seit Mitte Dezember 2019 ermächtigt eine Gesetzesänderung den syrischen Staat nunmehr auch zur sofortigen Einziehung von Vermögensbestandteilen aufgrund offenerer Forderungen aus Wehrpflichtersatzgebühren. Davor war nur deren vorübergehendes „Einfrieren“ rechtens.
III. Grundfreiheiten
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt.
Obwohl die syrische Verfassung dem Thema Rechtsstaatlichkeit ein gesamtes Kapitel widmet, Gesetze durchaus im Einklang mit internationalen Erfordernissen stehen und Syrien Vertragspartei einer Reihe internationaler Übereinkommen ist, kann das Justizsystem in Syrien nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt. Gerichtsverfahren können nicht als fair und unabhängig bezeichnet werden; Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen „Terrorismus-Gerichten“ unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig sind. Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern, eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus.
Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen und teilweise auch Männern aus.
Die in Syrien noch angewandte Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt. Folterungen sind ebenso an der Tagesordnung wie willkürliche Festnahmen und das Verschwindenlassen von Personen. Sowohl die Internationale Unabhängige Untersuchungskommission betreffend Syrien des UN-Menschenrechtsrats als auch andere Menschenrechtsgremien haben entsprechende, öffentlich zugängliche Berichte veröffentlicht.
In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete islamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterscheidet sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können, doch werden insbesondere jene religiösen Gerichte in von (vormals von) IS und HTS kontrollierten Gebieten als nicht mit internationalen Standards im Einklang stehend charakterisiert. In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte.
Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt, sexuelle Minderheiten wurden exekutiert.
Die Situation für religiöse Minderheiten schwankt je nach kontrollierender Fraktion. Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3% (vor dem Konflikt über 10%) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr erscheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden.
Sowohl auf Seiten der regierungstreuen, als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten, aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72%) in der (auch bewaffneten) Opposition fanden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückereroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demographischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt.
Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten.
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jessiden und Christen.
IV. Lage in Gebieten nach „Reconciliation Agreements“ zwischen Regierung und Opposition und Behandlung der dortigen Bevölkerung nach besagten Agreements
Der Abschluss der sogenannter „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen und beinhalteten oft die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln.
Im Fall von Ost-Ghouta wurde ein Teil der verbliebenen Zivilbevölkerung nach Abzug der Rebellen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Frauen, Kinder und ältere Männer in Notunterkünften konnten diese zunächst nur verlassen, wenn Angehörige oder Bekannte für diese bürgten, während die Männer zwischen 15-60 Jahren vorübergehend dort verbleiben mussten.
In den durch die „Reconciliation Agreements“ versöhnten Gebieten kommt es trotz dieser Abkommen immer wieder zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Diese Menschenrechtsverletzungen descouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Zwischen Juli 2018 und März 2019 konnten in Daraa 380 solche Vorfälle bestätigt werden, darunter auch Rückkehrer. In 150 weiteren Fällen wurden Personen verhaftet und wieder freigelassen. Ebenso gibt es Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben.
Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet.
Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren.
V. Informationen zu Einreisemöglichkeiten nach Syrien bzw. zur Behandlung bei Einreise/Rückkehr und Informationen zu Konsequenzen verschiedener Faktoren (Asylantragstellung im Ausland, exilpolitische Tätigkeiten, Rückkehr nach illegaler Ausreise)
Die auf Grund von COVID verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig gelockert. Der Flughafen in Damaskus ist wieder für eine Reihe von Destinationen (u.a. Zubringerflüge nach Beirut) für den internationalen Personenverkehr offen.
Zur Türkei sind Grenzübergänge im durch die TK bzw. von TK unterstützten Milizen beherrschten Gebiet westlich und nördlich um Aleppo geöffnet (Bab Al-Hawa, Bab Al-Salam). Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger.
Über Aktivitäten am internationalen Flughafen Damaskus können ho. mangels Zugang keine gesicherten Informationen gegeben werden. Es gibt Flugverbindungen zu einigen Destinationen in den Golfstaaten, Iran, Russland, Ägypten, Algerien, Armenien oder dem Sudan. Israelische Angriffe trafen auch Objekte am Flughafengelände.
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Die ho. Botschaft erreichen regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen – daraus lässt sich ableiten, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen.
Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt.
VI. Informationen zu Rückkehrbewegungen und der Lage der Personen nach Rückkehr.
Laut VN Flüchtlingshilfswerk sind von 2016 bis Ende 2020 270 000 Flüchtlinge (40 000 im Vorjahr gegenüber 95 000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30 000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187 000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID bedingt ist die Rückkehr 2020 zum Erliegen gekommen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt; als ein Argument für ihre Militäroperationen führt letztere auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von RU Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up Ende Juli 2021), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen vermochte an diesen Trends nichts zu ändern.
Bei den intern Vertriebenen (IDPs) blieb mit 356 000 Rückkehrern die Zahl gegenüber 2019 (1,2 Mio.) weit zurück, wobei der Großteil der Bewegungen innerhalb der Gouvernements erfolgte. Bis August 2020 kehrten rund 300 000 Menschen zurück, der Großteil davon innerhalb/nach Idlib und Aleppo. Die Zahlen der neu Vertriebenen sind erneut weit höher; es gab wie im Jahr zuvor 1,8 Mio. IDP- Bewegungen insgesamt. Im Zuge der erwähnten Eskalation des Konfliktes in Idlib wurden von Dezember 2019 bis März 2020 knapp 1 Mio. Menschen vertrieben. Die Gesamtzahl an IDPs ist mit etwa 6,6 Mio. weiterhin sehr hoch. Als Gründe für die Rückkehr/Nichtrückkehr wird von den Betroffenen neben der Sicherheitslage zunehmend die schlechte wirtschaftliche Situation ins Treffen geführt. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom September 2021 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialen bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als 10 Mio. Menschen also rund 50% der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialen in Kontakt zu kommen. Dabeisind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85% der Opfer sind männlich, fast 50% mussten amputiert werden und mehr als 20% haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39% der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34% auf landwirtschaftlichen Flächen, 10% auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26% der Opfer IDPs.
Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen, am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und IDPs. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von RU, der Nachbarländer sowie der VN wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufes von 30 Tagen auf ein Jahr. Die grundsätzliche Stoßrichtung änderte sich aber nicht allzu sehr. In der von der TR kontrollierten Region um Afrin nördlich von Aleppo wurde wiederum berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt gefunden hätten. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jessiden und Christen durch TR-nahe Milizen.
Positive Signale versucht die Regierung durch Generalamnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer sowohl innerhalb (für vier Monate gültig) als auch außerhalb (für sechs Monate gültig) Syriens zu setzen, zuletzt im März 2020 und im Mai 2021 (siehe auch II).
Die Möglichkeit, sich bei der Rückkehr in ein Gebiet, das unter Regierungskontrolle steht, niederzulassen, ist bis zu einem gewissen Grad durch die Notwendigkeit einer Bewilligung durch die Sicherheitsbehörden eingeschränkt. So muss zB bei Abschluss eines Immobilienkaufvertrags, bevor die Immobilie übertragen werden kann, bei den Sicherheitsbehörden um eine Freigabe angesucht werden. Bei Mietverträgen wurde diese Regelung jüngst vereinfacht, sodass die Daten erst nach Abschluss des Vertrags an die Gemeinde übermittelt werden mussten. Diese Information wird dann an die Sicherheitsbehörden weitergegeben, die im Nachhinein einen Einspruch erheben können. Diese Regelung wurde aber nach aktuellen Informationen nur in Damaskus umgesetzt, außerhalb muss die Genehmigung nach wie vor vorab eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrern aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig.
Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein.
Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben.
Laut VN (u.a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben.
VII. Möglichkeiten zur Einreise in an Syrien angrenzende Staaten
Die oben unter V. angeführten Informationen betreffend die Einreise nach Syrien gelten vielfach spiegelbildlich auch für die Ausreise aus Syrien in angrenzende Staaten. COVID-bedingt wurden im März 2020 Einreisesperren von Jordanien (sehr strikt) und vom Libanon verhängt. Diese wurden gelockert. Es ist möglich auf dem Luftwege (primär Transit) und – vor allem für in Syrien lebende Libanesen – auf dem Landwege unter Vorweis eines Tests und Begebung in Hausquarantäne einzureisen. Dies alles im Kontext der schon vor COVID bestehenden restriktiven Handhabung der Einreisemodalitäten für Syrer nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl an im Libanon aufhältigen syrischen Flüchtlingen (über 1 Million). Die visafreie Einreise ist in der Regel nur in Ausnahmefällen, nur für kurze Zeit und nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes (Termin bei einer Botschaft, Flug von Beirut) möglich. Auf der Landverbindung von Damaskus nach Beirut können Syrer derzeit nur mittwochs einreisen.
In der Türkei sind syrische Staatangehörige generell visumpflichtig.
VIII. Erhalt von Dokumenten
Die Ausstellung von – zur Ausreise erforderlichen – Dokumenten an Syrer ist (gegen entsprechende Bezahlung) zumindest in Regionen unter Regierungskontrolle problemlos möglich. In besetzten Gebieten wurde hinsichtlich der Registrierung von Ehen berichtet, dass Ämter zwar offen sind, aber nicht mit den Regierungsbehörden kommunizieren können und daher die Registrierung von Ehen in diesen Gebieten nicht möglich sei. Dies könnte auch auf die Ausstellung anderer Dokumente zutreffen.
An der ÖB Damaskus wurden keine gröberen Schwierigkeiten beim Erhalt erforderlicher Dokumente, etwa für Anträge auf Familienzusammenführung, bemerkt. Die Verständigungsschwierigkeiten beim Interview am Konsularschalter sind mitunter sehr zeitraubend. Teils liegt dies daran, dass die Einschreiter Kurdisch sprechen und Arabisch weniger gut beherrschen, teils liegt es daran, dass die eingereichten Antragsformulare von Vertretern des Österreichischen Roten Kreuzes und anderen NGOs als Bevollmächtigte in Österreich, wohl aufgrund von Informationen seitens des bereits in Österreich befindlichen Familienmitglieds, ausgefüllt werden, und die Einschreiter sich damit nicht ausreichend auskennen bzw. auseinandergesetzt haben. Ebenso werden syrische Dokumente problemlos beim syrischen Außenministerium beglaubigt, wodurch Überbeglaubigungen an der ÖB Damaskus regelmäßig und ordnungsgemäß vorgenommen werden können. Allerdings, werden des Öfteren Heiratsurkunden vorgelegt, die weder von Brautpaar noch von den Zeugen unterschrieben sind und es treten auch Fälle auf, in denen die ausstellende Behörde die Anwesenheit des Brautpaars in der Urkunde bezeugt, obwohl diese zum fraglichen Zeitpunkt laut Behördeninformation in Österreich weilten. In diesen Fällen werden die Inlandsbehörden von ho. Seite regelmäßig auf diesen Umstand hingewiesen.
[…]
X. Eheschließung, syrische Rechtsnormen
Familiäre Beziehungen in Syrien werden von religiösen bzw. auf Religion basierten Gesetzen reguliert. Das relevanteste Gesetz ist dabei das auf islamischen Rechtsquellen, va. auf islamischer Rechtsprechung basierende Syrische Personenstandsgesetz (weiters: PSG) Nr. 59/1953 mit Änderungen durch legislatives Dekret 34/1975 und legislatives Dekret 76/2010 (Änderungen im Erbschaftsrecht). Gemäß Art. 306 gilt dieses Gesetz vorbehaltlich anderer, in den Art. 307 und 308 enthaltenen Bestimmungen für alle Syrer. Für Angehörige der drusischen, christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften finden sich Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes.34 Für Drusen ist die Anwendung von im Widerspruch zu in Artikel 307 aufgelisteten Werten stehenden Vorschriften ausgeschlossen (Art. 307). Für Angehörige der christlichen und jüdischen Gemeinschaft greifen auf näher umschriebene Bereiche religiöse Vorschriften (Art. 308). Seit 2006 existiert ein eigenes Personenstandsgesetz für Katholiken (Dekret Nr. 31/2006 vom 18.6.2006), die daher gänzlich aus dem Anwendungsbereich des PSG fallen.
Neben der Eheschließung vor einem Sharia-Gericht (diese sind gemäß Art. 33 des Gesetzes über Justizbehörden Nr. 98/1961 eine von drei Typen von Personenstandsgerichten), können in Syrien auch außerhalb eines Gerichts abgeschlossene Ehen (sog. traditionelle Ehen35) als gültig angesehen werden. Theoretisch kann eine Ehe überall und durch jedermann abgeschlossen werden, in der Praxis erfolgen diese Eheschließungen jedoch in der Regel vor einem Geistlichen (Scheich). Besonders im ländlichen Raum ist diese Art der Eheschließung weit verbreitet. Die die Ehe abschließende Person muss das Vorliegen der in Art. 40 PSG aufgezählten rechtlichen Voraussetzungen prüfen; andernfalls droht eine Strafe nach dem Strafgesetzbuch (in der Praxis wird jedoch offenbar große Nachsicht geübt).
Nach Abschluss einer traditionellen Ehe muss deren Gültigkeit zunächst durch den Richter (Sharia-Gericht, drusisches Gericht oder die christliche Kirche) bestätigt werden. Die Bestätigung der Gültigkeit der Ehe kann auch rückwirkend erfolgen. Gemäß Art. 40 (2) PSG wird eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur anerkannt, wenn die in Art 40 (1) PSG genannten Voraussetzungen gegeben sind (im Wesentlichen geht es um die Vorlage bestimmter Dokumente). Im Fall der zwischenzeitigen Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft wird die Ehe anerkannt, auch wenn nicht alle Bedingungen eingehalten wurden (in der Praxis ist die Vorlage eines medizinischen Attests über eine erlittene Fehlgeburt ausreichend).
Nach dieser Bestätigung durch einen Richter muss die Ehe im Zivilregister eingetragen werden; auch hier ist aber eine rückwirkende Eintragung zulässig. Erst mit dieser Eintragung im Zivilregister sind die Rechtsfolgen der Eheschließung durchsetzbar. Bloß traditionell geschlossene Ehen kommen nach Berichten seit 2011 gehäuft vor, da zur Eheschließung die Erlaubnis der Militärbehörden einzuholen ist, was mit Ausbruch des Bürgerkriegs schwieriger geworden war. Eine solche Ehe kann ohne Einholung einer Zustimmung des Militärs im Nachhinein nur registriert werden, wenn die Frau in der Zwischenzeit ein Kind geboren hat oder schwanger ist.
Im ländlichen Raum unterbleibt die nachträgliche Registrierung der auf traditionelle Weise geschlossenen Ehe häufig.
Stellvertretung bei der Ehe (tawkîl) ist gemäß Art. 8 PSG zulässig und durchaus üblich.
[…]
1.3.4. EASO-Leitfaden Syrien, November 2021:
[…]
Allgemeine Anmerkungen, einschließlich der Auswirkungen einer Ausreise aus Syrien
Letzte Aktualisierung: November 2021
Im Laufe des Krieges wurde Syrien zum Schauplatz einer Reihe von Konflikten, die nicht klar voneinander abzugrenzen sind und an denen zahlreiche syrische und internationale Akteure beteiligt sind. Im Wesentlichen sind diese Konflikte durch drei Komponenten geprägt: die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Regierung und den oppositionellen Streitkräften, die Bemühungen der von den USA geführten Koalition um die Zerschlagung des IS und die militärischen Operationen der türkischen Streitkräfte gegen die syrischen Kurden. Komplexe Allianzen, wechselnde Loyalitäten, Rivalitäten und widerstreitende Interessen der beteiligten Akteure beeinträchtigen nach wie vor das Machtgleichgewicht und sorgen für Unsicherheit.
Seit Beginn des Konflikts wurden hunderttausende Zivilpersonen getötet – die meisten internationalen Sachverständigen schätzen die Zahl der zivilen Opfer auf 500 000 Menschen. Darüber hinaus löste der Konflikt die weltweit schwerste Vertreibungskrise aus. Schätzungen zufolge sind etwa 5,6 Millionen Syrer aus dem Land geflohen. Hinzu kommen weitere 6 Millionen Binnenvertriebene, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind.
Während des Bezugszeitraums trugen mehrere Faktoren zu einer erheblichen Verschlechterung der sozioökonomischen Lage in Syrien bei, darunter die Finanzkrise im benachbarten Libanon, internationale Wirtschaftssanktionen und die COVID-19-Pandemie. Des Weiteren führte unter anderem die wirtschaftliche Situation zu einer rapiden Verschlechterung der humanitären Lage im Land. Da die Zivilbevölkerung Syriens von zahlreichen Akteuren vorsätzlich ins Visier genommen wird und mit willkürlicher Gewalt verbundenen Gefahren ausgesetzt ist, wird sie massiv in Mitleidenschaft gezogen. Bei der individuellen Prüfung des Bedarfs an internationalem Schutz sollten auch die Präsenz und die Aktivitäten unterschiedlicher Akteure im Heimatgebiet des Antragstellers sowie die Situation in den Gebieten berücksichtigt werden, durch die der Antragsteller reisen müsste, um in sein Heimatgebiet zu gelangen. Darüber hinaus ist der sich kontinuierlich ändernden Sicherheitslage im Land Rechnung zu tragen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in manchen Fällen, in denen ein Bedarf an internationalem Schutz festzustellen wäre, mögliche Ausschlussgründe eine Rolle spielen könnten.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, ihr Herkunftsland verlassen haben. Im Falle Syriens könnte sich die Ausreise selbst darauf auswirken, wie eine Person nach ihrer Rückkehr behandelt wird, insbesondere weil Rückkehrer von der syrischen Regierung ins Visier genommen werden.
Die Tatsache, dass eine Person Syrien verlassen hat, bedeutet normalerweise für sich genommen nicht, dass für sie eine hinreichend große Gefahr besteht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. In den meisten Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird, steht diese im Zusammenhang mit Umständen, die anderen in diesem Leitfaden behandelten Profilgruppen zuzuordnen sind, insbesondere der Gruppe der „Vermeintlich regierungsfeindlichen Personen“. Mitunter ist es jedoch auch denkbar, dass Rückkehrer Handlungen ausgesetzt sind, die aufgrund ihrer Schwere einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Haft, Folter) und bei denen möglicherweise ein Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund nachgewiesen werden kann. Kann kein solcher Zusammenhang glaubhaft gemacht werden, könnten die Folgen einer Ausreise aus Syrien mit Blick auf die Gewährung subsidiären Schutzes relevant sein. Sie sollten auch bei der Prüfung der Bereitschaft der syrischen Regierung, Schutz im Sinne von Artikel 7 QRL zu gewähren, sowie bei der Prüfung der internen Schutzalternative berücksichtigt werden.
[…]
Flüchtlingseigenschaft: Orientierungshilfen zu bestimmten Profilgruppen
[…]
Profilgruppen
In diesem Abschnitt werden einige Profilgruppen syrischer Antragsteller beleuchtet, deren Anträge in EU-Mitgliedstaaten geprüft wurden. Es werden allgemeine Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sowie Empfehlungen zu den weiteren Umständen formuliert, die bei der individuellen Prüfung zu berücksichtigen sind. Einige Profilgruppen werden in Teilprofilgruppen untergliedert, für die im Hinblick auf die Gefährdungsanalyse und/oder den Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Um den Zugriff auf weiterführende Informationen zu erleichtern, sind für jede Profilgruppe die Nummer des betreffenden Abschnitts in der gemeinsamen Analyse und ein entsprechender Link angegeben.
Die Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sind unbeschadet der die Aussagen des Antragstellers betreffenden Glaubwürdigkeitsprüfung zu verstehen.
2.1.1 Angehörige regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
* Bei dieser Teilprofilgruppe könnten auch mögliche Gründe für einen Ausschluss relevant sein.
Weiterführende Informationen sind der Online-Fassung der gemeinsamen Analyse zu entnehmen.
2.1.2. Vermeintlich regierungsfeindliche politische Aktivisten, Mitglieder der Oppositionsparteien und Demonstranten
Gefährdungsanalyse: Bei vermeintlich regierungsfeindlichen Personen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Die Tatsache, dass eine Person in der Vergangenheit an einer Demonstration teilgenommen hat, reicht für sich genommen nicht aus, um sie dieser Teilprofilgruppe zuzuordnen.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
2.1.3 Zivilpersonen aus Gebieten, die mit der regierungsfeindlichen Opposition in Verbindung gebracht werden
Gefährdungsanalyse: Nicht für alle Personen dieser Teilprofilgruppe besteht eine hinreichend große Gefahr, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. Die folgenden Umstände könnten für eine
Gefährdung maßgeblich sein:
o regionale Aspekte (z. B. von wem das Gebiet kontrolliert wird und ob es als Hochburg der Opposition galt)
o Grad der (vermeintlichen) Unterstützung von oder der Kollaboration mit regierungsfeindlichen Kräften
o familiäre oder andere Verbindungen zu (mutmaßlichen) Mitgliedern regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen und/oder der politischen Opposition
o (vermeintliche) Unterstützung der syrischen Regierung
o usw.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.
2.2. Militärdienstverweigerer und Deserteure
2.2.2. Militärdienstverweigerer
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Das Gesetz sieht bestimmte Ausnahmen von der Militärpflicht vor, deren Anwendung in der Praxis jedoch kaum vorhersehbar ist.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).
2.2.3. Deserteure und Überläufer
Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.
Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).
[…]
1.3.5. Bericht („Treatment upon Return“) des Danish Immigration Service, Mai 2022:
1. Monitoring of return and numbers of returnees
1.1. Monitoring
No systematic research has been undertaken by any organization to trace returnees from outside or inside Syria to monitor what happens to them upon return. UNHCR has been unable to systematically monitor and collect data on the returns of refugees and IDPs and faces high limits imposed by the GoS in monitoring what happens with refugees who return to Syria. Thus, reliable figures on arrests and detention cases of returnees are not available. UNHCR and other UN agencies are required to have prior authorization from the GoS to access territories and conduct operations. For example, UNHCR Syria can only get in contact with a minority of those Syrian refugees who returned through the operations organised by Lebanon’s intelligence service and immigration authority, General Security. In some cases, UNHCR has subcontracted local NGOs, such as the Syrian Arab Red Crescent (SARC) to carry out surveys and ‘protection missions’ in the country.
The regular restrictions imposed by GoS on humanitarian agencies hamper these organisations from playing a part in the repatriation of Syrians, often leaving the organisations with little space to negotiate with the government. The UN and international organisations wanting to operate in Syria can only do so by collaborating with GoS-approved local actors. The Syrian security agencies regularly engage with these local partners and are able to gain access to their beneficiary lists and programming. Consequently, organisations often find themselves having to comply with the demands of the government in order not to lose access, or risk being shut down. As a result, UN and humanitarian organisations have been unable to access returnees after their return to their places of origin12, and the available information about returns of Syrians and Palestinian refugees from Syria (PRS) from Europe in 2020 to 2022 is anecdotal and fragmented in nature.
1.2. Number of returnees
1.2.1. Returns from Europe
The available information about Syrians and PRS returning from the EU is limited.
1.2.2. Returnees from neighbouring countries
According to UNHCR, as of 31 May 2021, 282,283 Syrian refugees had voluntarily returned to Syria from Syria’s neighbouring countries since 2016, including:
- 110,649 from Turkey
- 64,714 from Lebanon
- 57,276 from Jordan
- 48,194 from Iraq
It should be noted that the numbers reported in the UNHCR-data are only those verified or monitored by UNHCR and do not reflect the entire number of returns, which may be significantly higher.
[…]
In the first eight months of 2021, approximately 25,000 Syrian refugees returned voluntarily to Syria, while in 2020, some 38,200 Syrian refugees spontaneously returned to Syria from countries in the region, mostly from Turkey, Iraq and Lebanon. The numbers reported are only those monitored/verified by UNHCR and are as such likely to be an underestimate.
Since reaching its peak in 2019, when close to 95,000 refugee returns were verified, the number of voluntary returns has fallen […]
2. Factors regarding treatment upon return
The following are the factors mentioned by sources that may have an impact on treatment upon return. However, due to a lack of systematic monitoring of return mentioned earlier, these should not be considered exhaustive. The factors may also overlap, and the order in which they are presented does not imply a hierarchy or significance.
2.1. Significance of security clearance or/and status settlement for treatment upon return
DIS wrote in its 2021 report that in order to avoid issues with the GoS, returnees from abroad or from opposition-held areas are required to go through official procedures before returning to the GoS-controlled areas in Syria. Through these procedures, the Syrian authorities undertake a security check of the returnees in one way or another. During the procedure referred to as ‘security clearance’ (Arabic muwafaka amniya), the applicant will be checked against wanted lists. An applicant going through the so-called ‘status settlement’ (Arabic: taswiyat wade) procedure, or as some sources call it ‘reconciliation’, will apply for his or her name to be removed from wanted list of the GoS and thereby be cleared for the issues he/she is wanted for.
With regard to status settlement, returnees can apply to settle the following outstanding issues they might be wanted for: illegal exit from Syria during the war, evasion from military service and antigovernment activities ranging from anti-government demonstrations and participation in relief work in opposition-held areas to carrying weapons and fighting against the GoS. If a person’s application for status settlement is approved by the GoS, it means that the person would officially not be wanted or prosecuted anymore by the GoS. Most applications for status settlement are approved by the GoS. If a person whose application has not been approved returns to Syria, he will most probably be arrested and interrogated upon return.
If granted, both the clearance and the settlement officially serve as permissions for the holders to enter GoS-controlled areas in Syria. However, they do not serve as a guarantee for access to the person’s place of origin in the GoS-controlled areas, especially places that are managed by the GoS local or foreign allies. The GoS may reject an application of security clearance for reasons such as having family members who are wanted, posting statements on social media that are critical of the GoS, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS or originatingfrom former opposition-controlled areas.
In its report published in July 2019, EIP mentioned that many returnees had been arrested, detained, harassed or conscripted despite having completed the settlement procedure. Similarly, HRW documented in a report published in 2021 that among the 33 returnees interviewed by HRW between 2017 to 2021 who returned to Syria through legal channels, many were subjected to violations despite having obtained a security clearance or having settled their status with the Syrian authorities prior to their return.
Amnesty International also stated that 22 of 66 persons interviewed by AI between 2017 to 2021 had gone through some sort of clearance process but were nonetheless subjected to different kinds of violations. EASO stated in its report published in June 2021 that ’obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria’ and mentioned cases of returnees who were subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return despite having obtained a security clearance.
A Syrian researcher interviewed by DIS in October 2021 mentioned that he knew two individuals who were arrested upon return for accusations of being a part of the opposition. Both these persons had obtained a status settlement for their illegal exit prior to return.
2.2. Leaving Syria during the war and applying for asylum
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment. GoS is aware that many Syrians living abroad are refugees and seeking asylum was the only way for them to obtain residency in the host country. In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities.
In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. Center for Operational Analysis and Research (GOAR Global) said that the mere fact that someone stayed abroad during the Syrian civil war was not an issue upon return. In the same report, HRW informed DIS that before the beginning of 2018, Syrians used to be afraid that having left the country during the conflict might have consequences for them upon return, due to the then existing perception of those leaving as being affiliated with anti-government sentiments. But as far as HRW had been informed by the Syrians who HRW was in contact with, since the beginning of 2018 it seemed that having left the country during the conflict did not have an impact anymore. HRW specified that the persons they were in in contact with had mostly applied for asylum in Western countries, such as Germany, Switzerland and Sweden as well as Turkey. According to the source, part of this change in 2018 was due to a change in rhetoric, which, although not matched by a change in policies, at least resolves the prima facie concerns. The other reason behind the change was that there were activists who had been approached by the GoS and asked to come back to Syria.
In its September 2021 report, AI referred to 12 cases of returnees who told AI that security officials explicitly had criticized their flight from Syria and asked them about their motives to return. Some of the returnees told AI that the officials also asked if they came back to fight with or support terrorism and to do more damage. These persons, who included returnees from the Gulf states, Lebanon, Turkey and France, were subsequently subjected to arrest and different kinds of mistreatments. The returnees told AI that the GoS officials wanted to take revenge from people who left during the war.
In the report published by VDSF and OPC in November 2021, 48% of returnees (i.e. both internal returnees within Syria and returnees from abroad) to GoS-controlled areas, who participated in the survey, reported that they or a close family member had experienced persecution for having left Syria illegally, for lodging an asylum claim abroad or due to their area of origin.
2.3. Security issues
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, profiled members of the opposition and their families have tended to be subject to interrogation, detention and money extortion upon return.
In their 2021 reports, which were based on interviews with respectively 54 and 66 interviews with returnees, both HRW and AI documented cases of returnees who were arrested and tortured because of accusations related to security issues. Some of them were released, whereas others remained arrested. Both sources indicated that some of these returnees did not know that they were wanted.
Sources informed DIS in 2020 that it, in practice, was risky to return to Syria on the basis of a settlement or a security issue, and that family members of a person wanted for security reasons may risk being called in for interrogation by the Syrian authorities, as a consequence of the person’s application for a status settlement. People who did not face any problems were just lucky that they did not run into the security branch they were wanted by. Some sources told DIS that they knew cases of people who completed a status settlement for unsettled security issues but who were nonetheless arrested upon return.
2.4. Evasion and desertion from military service
According to the Syrian law, both deserters and evaders should be punished. However, evaders will not be punished if they obtain a status settlement. Nevertheless, they will still be required to serve in the military unless they have paid the exemption fee.
HRW documented the case of arrest and torture of a person returning from Lebanon in 2018 who had fled the country in 2015 upon his desertion from the military. AI also mentions three cases of persons who were arrested upon return because they did not complete their military service.
According to two sources consulted by the DIS in 2020, persons who obtain status settlement because of evasion from military service usually do not face any problems with the GoS upon return. However, one source told the DIS that some people who settled their evasion might be temporarily arrested upon return, and some might be subjected to torture.
In a report by DIS published in 2019 about military service in Syria, sources mentioned that men wanted for military service and evaders, who pay the exemption fee in order to be exempted from military service, usually do not face problems with the GoS upon return.
According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, draft evaders and deserters are sent to military service after a short detention (a couple of days or weeks), provided that they have not been involved in any opposition activities. There have been no reports that those who have paid the exemption fee of 8000 USD have faced issues upon return. The source added that family members of draft evaders and deserters do not face problems with the authorities anymore. Previously, the authorities harassed such families, but now the authorities may contact them once or twice and ask about the evading or deserting family member and his whereabouts, but nothing more will happen. One should also bear in mind that there are too many draft evaders and deserters for the authorities to be able to spend time and resources on such cases.
2.5. Illegal exit
Officially, a person who has exited illegally from Syria might be subjected to prosecution upon return, unless the person has obtained a status settlement prior to return.
The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 mentioned that those who exited Syria illegally have to report to the local intelligence service office in their area. They will be questioned about the reason for their leave and about their activities while staying abroad. Nothing more will happen to them unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities. In that case, they risk being subject to further interrogation, detention and/or money extortion.
According to sources DIS interviewed in 2020, persons who have obtained a status settlement because of illegal exit usually do not face any problem with the GoS upon return, and their application for a status settlement would not have consequences for their family members. However, in some cases people might be temporarily arrested and presumably tortured.
EASO mentioned in its report from June 2021 that persons would be at risk of being arrested or mistreated by the GoS upon return if they had exited illegally.50 However, EASO does not mention specific cases, and it is thus unclear whether the statement applies to those who have obtained a status settlement prior to return.
The Syrian NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) documented in a May 2020 report that the Syrian authorities told 25 returnees from Lebanon that they would be put on trial because they had exited illegally from Syria. It is not mentioned in the report whether these returnees had completed status settlement prior to their return.
2.6. Illegal return
On 15 September 2020, the Arabic online news site Asharq Al-Awsat reported that the number of Syrians returning to Syria through illegal borders had increased in recent years. According to the news site, irregular returns took place due to the returnees’ illegal status in Lebanon caused by the strict regulations for entry into Lebanon and the high fees imposed by the Lebanese authorities to cross regular borders and reside in Lebanon. Other reasons mentioned were the returnees’ inability to meet the requirement to exchange 100 USD that the Syrian authorities had imposed on its adult citizens when entering Syrian territory and – since the outbreak of Covid-19 – the inability to pay for a PCR test.
STJ documented the arrest of at least 16 people who returned from Lebanon through illegal routes between January and late March 2020. They were initially held in a Covid-19 quarantine centre at the border and later brought before the Anti-Terrorism Court for charges of illegal entry to Syria.
In its report of October 2021, HRW stated that 21 out of the 54 returnees, who were interviewed for the report, had used smuggling routes to enter Syria. However, HRW did not mention whether these 21 persons faced problems with the GoS for entering illegally to Syria or for other reasons.
2.7. Lack of coordination between the security and intelligence services
There is a lack of coordination between different security and intelligence agencies. As each of the agencies have their own wanted list, it can lead to a person being cleared from the wanted list of one security service whilst he or she still being wanted by another security service.
HRW mentioned in its report from October 2021 that a returnee from Jordan had prior to his return obtained security clearance from the Syrian authorities confirming that he was not wanted. Nevertheless, the person was arrested a month after his return to Syria at a checkpoint, which was controlled by another intelligence service than the one, who had cleared him from its list.
2.7. Place of origin or residence
A number of sources have pointed out that treatment of returnees depends, among other things, on their place of origin or residence prior to leaving Syria.
In a report published in July 2019, EIP stated that since October 2018 there was a rise in the number of detentions of civilians returning to areas formerly controlled by the opposition.59 Landinfo mentioned that persons, whose place of origin is an area that was in strong opposition to the GoS, would be met with suspicion.
A Legal and Human Rights Adviser at the Syrian NGO Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) informed EASO that the GoS had a negative perception of persons hailing from former opposition strongholds mentioning cases of two returnees who were extorted for money because they came from a former opposition stronghold.
According to EuroMed Rights, the GoS considers Syrians who have left government-controlled areas as well as those who have lived in areas that have been under opposition-control as traitors.
The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 stated that a returnee originating from or having lived in a former opposition-controlled area before leaving Syria would usually not be subject to mistreatment or violations only because of originating from or having lived in that area. If someone or a group of persons from a certain area experience problems at checkpoints, it is most probably due to the decision of the individual officer or the force controlling that particular checkpoints rather than the person’s place of origin.
2.8. Reports by informers or others
According to International Crisis Group (ICG), although a person is not wanted by the GoS, he/she can still risk being detained as a consequence of being ‘reported by GoS informers’. Informers report people to the security agencies in order to achieve personal gains or to lift doubts about their own loyalty. ICG mentioned two cases of Syrians who were arrested after they returned to GoS-controlled areas because informers had reported them.
Likewise, the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 pointed out that returnees can face problems if someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example being involved in opposition activities. In such cases, the returnee risk being subject to further interrogation, detention and/or extortion.
2.9. Officer in charge
According to the Syrian human rights organisation consulted by DIS in April 2022, there is no clear pattern for the way the returnees are treated by the authorities. This is mostly because the individual officer, who is in charge of a checkpoint or an intelligence service officer dealing with the case of a returnee in the local area the person returns to, plays a significant role in what happens to the person.
Sometimes, people who have been members of the opposition groups or family members of profiled opposition persons can return without facing issues, and sometimes people who have no issues with GoS face problems.
[…]
3. Prevalence of mistreatment of returnees
In spite of the difficulties with monitoring returns systematically, several organisations have confirmed that the GoS continue to arrest, detain, interrogate, torture, kidnap, kill, extort money and/or try returnees before terrorism courts upon return to Syria. The information provided by theseorganisations are primarily based on interviews with refugees who have returned to Syria or sources who knew about cases of returnees.
A Syrian human rights organization interviewed by DIS in April 2022 stated that it is not possible to obtain information about the extent of mistreatment and violations committed by the Syrian authorities against the returnees as no independent organisations are present in the country to monitor the returns to Syria. According to the source, different parties of the conflict try to depict different pictures of what is going on and exaggerate about the situation of returnees; whilst GoS is denying all allegations about mistreatment of returnees and has been depicting a picture where refugees abroad can return to the country without facing any issue, the opposition groups claim that every returnee will be subject to violations upon return. The fact is that nobody has complete knowledge of the situation and the available information is not always reliable. The organisation has experienced that some returnees or their families do not report about the violations they have been subjected to for fear of what may happen to them. Oppositely, the source had seen reports of returnees being detained which turned out not to be true.
With regard to returnees who have reported mistreatments by the GoS, Amnesty International (AI) documented in a report published in September 2021 that 66 persons faced mistreatments/violations ,including arrest, detention, torture, kidnappings, enforced disappearances and killings, by the Syrian authorities upon return in the period between mid-2017 and spring 2021.
In a report published in October 2021 based on 65 interviews with 54 persons who had returned from Lebanon and Jordan between 2017 to 2021, Human Rights Watch (HRW) documented 21 cases of arrest and detention, 13 case of torture, 3 kidnappings, 5 extra- judicial killings, 17 enforced disappearances and 1 case of sexual violence committed by the GoS against returnees upon their return.
In a report published in November 2021, the Turkey based NGO, Voices for Displaced Syrians Forum (VDSF) and the Gaziantep (Turkey) based think tank, Operation and Policy Center (OPC), presented the result of their research conducted in 2021. The research included a total of 700 surveys with residents, IDPs and returnees (i.e. returnees from abroad as well as internal returnees) in different control areas in Syria, including GoS-controlled areas. 17% of the returnees across all control areas, who participated in the survey, stated that they or a close family member had faced arbitrary arrest or detention during the past year. However, there were clear variations between returnees from abroad and returnees from within Syria, where internal returnees, especially in areas controlled by theGoS, reported more violations. Whilst 46% of internal returnees in GoS-controlled areas reported of arbitrary arrest or detention, 18% of returnees from abroad had experienced such violations. Less international oversight over internal return processes is mentioned in the report as a potential reason for this variation.
From the beginning of 2014 until August 2019, the Qatar based Syrian human rights organisation, Syrian Network for Human Rights (SNHR), documented the arrest of at least 1,916 Syrian refugees, including 219 children and 157 women, after their return to Syria from abroad.
In an article published in October 2020 by the news and analysis website, Syria Direct, SNHR stated that GoS had arrested 237 individuals who returned to Syria between January 2019 and October 2020.
When the article was published, 194 of those individuals were still detained and 176 of them had been forcibly disappeared. Five persons were tortured to death in detention centres.
The European Institute of Peace (EIP) wrote in a report published in July 2019 that even among the voluntary returnees, hundreds of detentions and arrests were reported in 2019. Some of the released persons explained that they had been tortured while in custody. In addition, deaths in custody among returnees were recorded.
According to a February 2019 article from the Germany-based aid and human rights organization, Medico International, at least two returnees from Germany, who voluntarily repatriated, disappeared after having been interrogated by the security services.
On 24 November 2021, the Syrian opposition news website, Enab Baladi, reported that 23 families who had returned from Turkey or from areas that are under the control of the Syrian opposition or the Syrian Democratic Forces (SDF) were arrested during the previous two months.
The Syrian NGO, Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD), which ‘works to promote, protect and secure the rights of Syrian refugees and internally displaced persons (IDPs)’81, published a report in August 2021 about the security and living conditions in GoS-controlled areas in Syria. The report is based on interviews with 533 people in September and October 2020 of whom 46 persons (9%) were refugees who had returned to GoS-controlled areas. Several interviews reported of arbitrary arrest and detention by the GoS, including those previously covered by some kind of amnesty laws and decrees.
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Verfahrensakte des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
2.3. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise der BF1-BF2 nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass diese in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften – ohne die erforderlichen Dokumente – spätestens am 28.09.2020 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sind. Die Feststellungen zu den bisherigen Verfahren der BF1-BF2 in Österreich ergeben sich aus den Verwaltungsakten in Zusammenschau mit Auszügen aus dem Fremdenregister.
2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Herkunft und den Familienverhältnissen der BF1-BF2 (im Herkunftsstaat und im Bundesgebiet) gründen auf ihren insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, auf den in ihrer Beschwerde und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gemachten Angaben, sowie auf den von den BF1-BF2 vorgelegten Unterlagen. Die BF1-BF2 haben im Verfahren ihre syrischen Geburtsurkunden, Auszüge aus dem Familienregister, Auszüge aus dem Personenregister und ihr Familienbuch vorgelegt, weshalb ihre Identität feststeht. Die Feststellung zu ihren Eigentumsverhältnissen beruht auf den Angaben der BF1-BF2 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach der BF1 auf Vorhaltung schlussendlich auch angab, über 2 Häuser und 1 Geschäft im Herkunftsstaat verfügt zu haben, wovon ein Haus samt Geschäft zerstört worden sei, das andere jedoch fast unversehrt sei (S. 8f des VH-Prot.). Das zum zerstörten Haus samt Geschäft gehörige Grundstück befinde sich im Eigentum des BF1 (S. 8 des VH-Prot.).
2.5. Die Feststellungen zu den Schulbesuchen der BF1-BF2 im Herkunftsstaat, sowie ihren beruflichen Tätigkeiten ergeben sich aus ihren Angaben vor der belangten Behörde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 6 und S. 18 des VH-Prot.), wobei hinsichtlich der vorgebrachten Tätigkeit des BF2 als Krankenhelfer auf Pkt. 2.8. und die dort näheren Ausführungen zu verweisen ist. Aufgrund der sehr schlagwortartigen Aussagen des BF2 zu den angeblichen Hauptfächern seines behaupteten Betriebswirtschaftsstudiums und der unglaubhaften Angaben des BF2 zur vermeintlichen Anzahl der Studienabschnitte seines behaupteten Studiums konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der BF2 im Herkunftsstaat ein solches Studium auch tatsächlich betrieben hat (s. dazu ebenfalls Pkt. 2.8.). Die Feststellung zu den Sprachkenntnissen der BF1-BF2 fußen auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, sowie dem Umstand, dass die jeweilige Erstbefragung, die jeweilige Einvernahme der BF1-BF2 vor dem BFA, sowie die Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG unter Beiziehung eines Dolmetsches für die Sprache ARABISCH durchgeführt werden konnten und sich die BF1-BF2 mit der jeweiligen Befragung in arabischer Sprache einverstanden erklärt hatten.
2.6. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF1-BF2 beruhen zum einen auf der Tatsache, dass keine medizinischen Unterlagen hinsichtlich ihrer Personen vorgelegt wurden, welche einen anderen Schluss zuließen und zum anderen sind die BF1-BF2 den diesbezüglichen Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden auch nicht substantiiert entgegengetreten.
2.7. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.
2.8. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:
2.8.1. Mit dem Vorbringen der BF1-BF2 zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien vermochten diese eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun:
Die beschwerdeseitig vorgebrachte Gefährdungslage der BF1-BF2 beruht auf der Behauptung, dass sie Angst vor der Regierung und den Milizen hätten, sowie wegen des Krieges geflüchtet seien. Darüber hinaus hätten die BF1-BF2 an Demonstrationen gegen das XXXX Regime teilgenommen und habe der BF2 seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet, weshalb er fürchte bei Rückkehr eingezogen zu werden. Der BF1 fürchte Reflexverfolgung als Familienmitglied eines Wehrdienstverweigerers. Außerdem habe der BF2 als Krankenpfleger in einem Medical Center gearbeitet, wo er Oppositionelle versorgt habe, weshalb er ebenfalls Verfolgung fürchte. Außerdem seien beide bei Rückkehr gefährdet, da sie illegal aus dem Herkunftsstaat ausgereist seien und in Österreich jeweils einen Asylantrag gestellt hätten.
2.8.2. Zunächst gilt es anzumerken, dass die beschwerdeseitigen Schilderungen zum gegenständlichen Fluchtvorbringen vor der belangten Behörde in nicht unwesentlichen Aspekten vom Fluchtvorbringen der BF1-BF2 bei der jeweiligen Ersteinvernahme abgewichen sind bzw. weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben bzw. teils in sich selbst widersprüchlich waren:
So gilt es festzuhalten, dass die BF1-BF2 bei der Frage nach ihren Fluchtgründen im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragung von den erst bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ins Treffen geführten Demonstrationsteilnahmen im Herkunftsstaat, wie auch der behaupteten Tätigkeit des BF2 als Krankenpfleger in Syrien nicht auch nur ansatzweise zu berichten gewußt haben. So hat der BF1 lediglich angegeben, dass sein Haus im Zuge des Krieges zerstört und verbrannt worden sei, weshalb er nichts habe. Er habe Angst um sein Leben, vor der Regierung und der Armee. Außerdem habe der BF1 Angst vor der terroristischen Hisbollah. Sie hätten ihr Land verlassen müssen, um in Sicherheit leben zu können. Der BF1 gab sohin bei seiner Erstbefragung an, im Wesentlichen wegen des Krieges geflüchtet zu sein und wusste auch von einem dem BF2 bevorstehenden Wehrdienst nichts zu berichten. Dieser Umstand wäre dem BF1 mit Sicherheit bekannt gewesen, wäre ein solcher tatsächlich vorgelegen und hätte dieser vom BF1, aufgrund der Intensität der dadurch drohenden Gefahr für den BF2, auch nicht einfach vergessen werden können. Lediglich der BF2 gab bei seiner Erstbefragung bereits an, zum Militär einberufen worden zu sein und nicht kämpfen zu wollen (s. dazu noch unten). Zunächst führte der BF2 bei seiner Erstbefragung jedoch nur aus, dass in seinem Land Krieg herrsche und es keine Sicherheit, sowie keinen Frieden gäbe. 2017 sei die Armee in ihr Dorf eingedrungen und habe das ganze Dorf zerstört. Das Haus, in welchem der BF2 gelebt habe, sei niedergebrannt worden, weshalb er direkt habe flüchten müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Der BF2 könne dort nicht leben und habe die Regierung das Dorf seit 3 Jahren übernommen. Wenn jemand zurückkomme, würden sie sofort verhaftet.
Erstmalig vor dem BFA, und damit inhaltlich gesteigert, brachte der BF1 vor, vom syrischen Geheimdienst aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen zwischen 2013 und 2016 gesucht zu werden, wobei deshalb gegen ihn zwei Haftbefehle aus den Jahren 2012 und 2013 bestünden, was vor dem Hintergrund seiner behaupteten Demonstrationsteilnahmen erst ab dem Jahr 2013 zumindest hinsichtlich des angeblichen Haftbefehls aus 2012 bereits einen klaren Widerspruch in sich trägt. Dezidiert nach seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 jedoch an, aufgrund des Krieges geflohen zu sein, weil es keine Sicherheit und Geborgenheit gegeben habe. In ihr Dorf dürfe niemand mehr hineingehen (S.12 des BFA-Prot.).
Bei seiner Einvernahme vor dem BFA brachte der BF2 zunächst nur vor, wegen seines sunnitischen Glaubens von der syrischen Regierung verfolgt zu werden, was er jedoch sogleich im nächsten Satz wieder anders darstellte, indem er vorbrachte, alle seien unterdrückt, aber nicht verfolgt worden (S. 13 des BFA-Prot.). Auf nochmalige Nachfrage widersprach er seiner - zuvor getätigten - Verfolgungsbehauptung erneut, indem er angab nie aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Religion verfolgt worden zu sein. Diesbezüglich ist auch auszuführen, dass nach dem EASO Leitfaden aus November 2021 die Tatsache, dass der Antragsteller ein sunnitischer Araber ist, für sich genommen nicht normalerweise bedeutet, dass für ihn eine hinreichend große Gefahr besteht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen und antworteten die BF1-BF2 auch die Frage vor dem BVwG, ob sie jemals wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer Religion verfolgt worden seien mit „nein“ (S. 15, S. 30 des VH-Prot.).
Erst nach erneuter Nachfrage nach seinen Fluchtgründen gab der BF2 erstmals und damit inhaltlich gesteigert an, im Jahr 2011 an Demonstrationen teilgenommen zu haben und als Krankenpfleger bei einer Organisation gearbeitet zu haben. Ebenso brachte er vor, seinen Wehrdienst noch ableisten zu müssen (S. 14 des BFA-Prot.). Bezeichnend ist, dass der BF2 erst auf neuerliche Nachfrage diese Aspekte anzugeben vermochte, was gegen das Vorliegen eines entsprechenden Leidensdrucks im Herkunftsstaat spricht, andernfalls der BF2 bereits von sich aus die behauptete Gefahr durch diese Umstände vorgebracht hätte.
Grundsätzlich hält das erkennende Gericht den BF1-BF2 zu Gute, dass eine Ersteinvernahme in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation ist. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse ist daher im Allgemeinen verständlich. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Ersteinvernahme in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche die Beschwerdeführer im Rahmen der Ersteinvernahme nachweislich aufgeklärt worden sind. Das von den Beschwerdeführern im Rahmen der Ersteinvernahme erfolgte Weglassen grundlegender Aspekte des gegenständlichen Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht klar entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu machen, und sei es um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Vorwurf einer möglichen Steigerung des Fluchtvorbringens im weiteren Verfahren auszusetzen.
Es geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).
2.8.3. Weiters wird festgehalten, dass die im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 06.05.2022 erfolgten beschwerdeseitigen Vorbringen in nicht unwesentlichen Aspekten von den Schilderungen der BF1-BF2 zu den Fluchtgründen vor dem BFA vom 27.04.2021 abgewichen sind, in sich selbst unstimmig oder lebensfremd sind bzw. weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben:
2.8.3.1. Wie bereits ausgeführt, brachte der BF2 die mit der Arbeit als Krankenpfleger im XXXX verknüpfte befürchtete Verfolgung erstmals vor dem BFA und damit verspätet vor. Weitere Details dazu ließ der BF2 bei der Einvernahme vor dem BFA allerdings vermissen (S. 5, S. 14 des BFA-Prot.). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der BF2 in der Folge an von Mitte 2014 bis Jänner 2017 dort gearbeitet zu haben und gehöre die Organisation, so glaube der BF2, zum Roten Kreuz (S. 19f des VH-Prot.). Genaueres vermochte der BF2 über die Organisation, für welche er behaupteterweise 2 ½ Jahre gearbeitet habe, nicht vorzubringen. Anzunehmen ist, dass der BF2 nach mehrjähriger Mitarbeit genauer im Bilde wäre, zu welcher Hilfsorganisation das Medical Center de facto gehört habe, sollte er tatsächlich über mehrere Jahre durchgehend dort gearbeitet haben. Festzuhalten bleibt, dass es für das erkennende Gericht nicht völlig unglaubhaft ist, dass der BF2 eine Ersthelferausbildung im Herkunftsstaat absolviert und anderen bei Verletzungen bedarfsweise geholfen haben mag. Eine durchgehende mehrjährige Krankenpflegetätigkeit in einer Hilfsorganisation bis Jänner 2017 vermochte der BF2 jedoch nicht hinreichend zu substantiieren, zumal er vor dem BFA widersprüchlich dazu angegeben hat, bereits im Dezember 2016 nach XXXX übersiedelt worden zu sein und auch im Dezember 2016 seinen letzten Arbeitstag gehabt zu haben (S. 5, S. 7 des BFA-Prot.). Vor dem Hintergrund des mangelnden Wissens des BF2 über Organisation des Medical Centers und der Tatsache, dass der BF1 im gesamten Verfahren von der Tätigkeit des BF2 als Krankenpfleger, sowie der damit vermeintlich verbundenen Verfolgungsgefahr mit keinem Wort etwas zu berichten wusste, spricht insgesamt gegen eine langjährige und konstante Mitarbeit des BF2 in jenem Medical Center, weshalb das Vorbringen, wonach dem BF2 aufgrund dieser Tätigkeit eine oppositionelle Gesinnung zuzurechnen sei, nicht glaubhaft ist.
Nach dem LIB wurden Mitarbeiter des Gesundheitswesens in den von der Regierung kontrollierten Gebieten von den Kräften des syrischen Regimes systematisch inhaftiert und gefoltert, häufig wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für Menschen in von der Opposition kontrollierten Gebieten. Die syrische Regierung betrachtet medizinisches Personal nach dem LIB als Staatsfeinde, wenn dieses diskriminierungsfrei medizinische Versorgung in Gebieten, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen, anbieten würden. Nach dem EASO Leitfaden aus November 2021 besteht nicht für alle Ärzte, anderes medizinisches Personal oder freiwillige Helfer des Zivilschutzes eine hinreichend große Gefahr, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen, sondern können folgende Umstände für eine Gefährdung maßgeblich sein: regionale Gegebenheiten (größere Gefahr in Gebieten, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden), vermeintliche Unterstützung regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen oder Art der Aktivitäten (z. B. besteht für die Angehörigen der Weißhelme grundsätzlich eine größere Gefahr). So konnte der BF2 aber gerade eine konstante und langjährige Arbeit als Krankenpfleger nicht hinreichend substantiieren, weil es sich dabei einerseits um ein verspätetes Vorbringen handelte und andererseits ohne konkretes Detailwissen und teilweise widersprüchlich vorgebracht wurde, zumal auch der BF1 im gesamten Verfahren davon gar nichts zu berichten wusste. Glaubhaft ist, dass der BF2 fallweise als Ersthelfer oder Freiwilliger medizinische Hilfe geleistet hat, woraus sich nach dem EASO Leitfaden per se noch keine asylrelevante Verfolgungsgefahr von hinreichender Intensität ergibt.
2.8.3.2. Auch das Vorbringen, wonach die BF1-BF2 an Demonstrationen in ihrem Heimatdorf (BF1) und anderen Städten (BF2) teilgenommen hätten, erfolgte verspätet und damit inhaltlich gesteigert. Der BF1 gab vor dem Bundesverwaltungsgericht an nur in XXXX zwischen 2013 und 2016 an Demonstrationen teilgenommen zu haben, wo die freie syrische Armee die Kontrolle gehabt habe, weshalb syrische Sicherheitsbehörden keinen Zugang zum Dorf gehabt hätten (S. 13f des VH-Prot.). Der BF2 hingegen gab an, auch an anderen Orten an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Entgegen seiner vorherigen Behauptung vor dem BFA, wonach er nur Demonstrationen im Jahr 2011 explizit erwähnt habe (S. 14 des BFA-Prot.), gab er nunmehr in Widerspruch dazu an, von 2011 bis zu seiner Ausreise 2017 an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Aufgrund der Kontrolle ihres Dorfes durch die freie syrische Armee, hätten die BF1-BF2 wegen ihrer Demonstrationsteilnahmen keine Probleme gehabt, seien nie verhaftet, nie verhört und nie misshandelt worden (S. 14, S. 28f des VH-Prot.), weshalb insgesamt für das erkennende Gericht keine individuellen bzw. persönlichen Verfolgungshandlungen gegen die Personen der BF1-BF2 festzustellen waren. Die BF1-BF2 brachten zwar vor, über den Dorfleiter zu den syrischen Sicherheitsbehörden – vor dem BFA war es - abweichend dazu - noch ein Notar gewesen (S. 12 des BFA-Prot. des BF1, S. 14 des BFA-Prot. des BF2) – geladen worden zu sein, seien jedoch nicht hingegangen und hätten weiter keine Probleme gehabt (S. 13f, S. 28 des VH-prot.). Selbst als ihr Dorf im Dezember 2016 von der syrischen Armee übernommen worden sei, seien die BF1-BF2 zwar aufgrund einer Identitätsfeststellung kontrolliert worden, aber ohne Weiteres nach XXXX verbracht worden und habe keine Behelligung der BF1-BF2, nach eigenen Angaben wegen des Versöhnungsabkommens, stattgefunden (S. 28f des VH-Prot.). Sollten die BF1-BF2 tatsächlich von den syrischen Sicherheitsbehörden dringend gesucht worden sein und wäre ihnen aufgrund ihrer Demonstrationsteilnahme tatsächlich eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt worden, so ist davon auszugehen, dass die BF1-BF2 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit spätestens bei ihrer Identitätsfeststellung verhaftet worden wären, weshalb ihr Vorbringen mit Unglaubhaftigkeit belastet ist.
Berichtete der BF1 vor dem BFA noch von zwei gegen ihn erlassenen mündlichen Haftbefehlen aus den Jahren 2012 und 2013 (S. 11 des VH-Prot.), wusste er davon in der Beschwerdeverhandlung nichts mehr zu berichten. Anzumerken bleibt auch, dass es schlicht unplausibel ist, dass gegen den BF1 ein Haftbefehl im Jahr 2012 wegen vermeintlicher Teilnahme an Demonstrationen ab dem Jahr 2013 erlassen worden ist.
In der mündlichen Verhandlung legten die BF1-BF2 jeweils einen Auszug aus dem Justizregister hinsichtlich ihrer Personen vor, aus welchen je eine Verurteilung ersichtlich war. Beide Auszüge sind jedoch inhaltlich unvollständig, so fehlt beim Auszug hinsichtlich des BF1 der Gerichtsname, die verurteilte Tat, das Datum der Verurteilung und die verhängte Strafe (S. 16 des VH-Prot.). Als Grund für die Verurteilung des BF2 ist zwar Wehrdienstverweigerung angeführt, sonstige Felder stehen aber ebenfalls frei (S. 30f des VH-Prot.). Festzuhalten ist, dass die entsprechenden auszufüllenden Felder auf dem Auszug zwar ersichtlich sind, aber schlicht nicht befüllt worden sind, weshalb nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den vorgelegten Auszügen aus dem Justizregister, die BF1-BF2 betreffend, von jeweils unechten Beweismitteln oder von echten Urkunden falschen Inhalts auszugehen ist, welche damit keinen Beweiswert haben. Neuerlich zu betonen ist, dass die BF1-BF2 sowohl vor dem BFA, als auch vor dem BVwG angegeben haben, nicht von einem Gericht oder den Behörden gesucht zu werden und im Herkunftsstaat auch nicht verurteilt, sowie nicht politisch aktiv gewesen zu sein, weder im Herkunftsstaat, noch nach ihrer Ausreise (S. 15f, 30f des VH-Prot.). Insgesamt ist das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr der BF1-BF2 aufgrund ihren Demonstrationsteilnahmen im Hinblick auf ihre gesteigerten und widersprüchlichen Angaben nicht glaubhaft.
2.8.4. Darüber hinaus gilt es festzuhalten, dass die beschwerdeseitig getätigten Angaben des BF2 zu seinem behaupteterweise - noch nicht abgeleisteten - Grundwehrdienst, widersprüchlich sind, bzw. weitere inhaltliche Steigerungen vor dem BFA bzw. dem Bundesverwaltungsgericht erfahren haben oder wenig substantiiert waren:
2.8.4.1. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vermeinte der BF2 4-5 Aufschübe bis zum Jahr 2014 wegen seines Studiums erhalten zu haben, wobei er dem erkennenden Richter auf Nachfrage lediglich schlagwortartig 5 Fächer seines Betriebswirtschaftsstudiums benennen konnte, zumal eines der Hauptfächer vermeintlich „Betriebswirtschaft“ gewesen sei, sodass zumindest an einer näheren Kenntnis des Aufbaus eines betriebswirtschaftlichen Studiums gezweifelt werden kann (S. 19 des VH-Prot.). Auch die Angabe des BF2, dass sein Studium aus 8 Studienabschnitten bestanden habe, läßt zumindest Zweifel an den Kenntnissen des BF2 über den Aufbau eines Wirtschaftsstudiums aufkommen. Der BF2 habe weder einen Einberufungsbefehl erhalten, noch seien er oder Mitglieder seiner in Syrien lebenden Familie jemals von der Behörde kontaktiert worden (S. 24, S. 30 des VH-Prot.). In Widerspruch dazu gab der BF2 jedoch bei seiner Erstbefragung sehr wohl an, einberufen worden zu sein (S. 6 des EB-Prot.). Wenig glaubhaft ist zudem, dass sämtliche persönliche Dokumente den Bombeneinschlag in seinem Haus überlebt hätten, vorallem aber das Militärbuch, aus welchem seine behaupteten Aufschübe und ein etwaiger bereits absolvierter Militärdienst im Herkunftsstaat ersichtlich sein könnten, vernichtet worden sei. Vor dem Hintergrund der zahlreich vorgelegten persönlichen Dokumente der BF1-BF2 ist vielmehr davon auszugehen, dass der BF2 sein Militärbuch absichtlich nicht vorlegt, weil er seinen Militärdienst bereits absolviert hat.
2.8.4.2. Vielmehr ist für das erkennende Gericht, davon auszugehen, dass der BF2 seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hat:
Der Herkunftsort des BF2, XXXX gelangte im Dezember 2016 nach den eigenen Angaben der BF1-BF2 neuerlich unter Kontrolle der syrischen Regierung und ist das „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen nach dem LIB im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Rekrutierungen fänden nach dem LIB auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen würden, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer hätten. Nach den Angaben des BF2 sei ihre Identität bei der Übernahme ihres Heimatdorfes durch die syrische Armee im Dezember 2016 festgestellt worden und seien ihre Namen aufgeschrieben worden. Hätte der BF2 seinen Militärdienst zu diesem Zeitpunkt, so wie von ihm vorgebracht, noch nicht abgeleistet gehabt, so wäre mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen gewesen, dass der BF2 bei der Identitätsfeststellung durch syrische Sicherheitskräfte festgenommen und rekrutiert worden wäre, zumal sich diese Vorgehensweise auch mit den Länderberichten deckt.
Vor dem Hintergrund, des hohen Personalbedarfs des syrischen Militärs aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und aufgrund zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen, sowie der zahlreichen Änderungen des syrischen Militärdienstgesetztes während des Konflikts, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen, wäre der BF2 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei der Identitätsfeststellung festgenommen und eingezogen worden, hätte der BF2 seinen Militärdienst zu diesem Zeitpunkt, so wie von ihm vorgebracht, tatsächlich noch nicht abgeleistet gehabt.
Zu Bedenken gilt außerdem noch, dass der BF2 bereits im Jahr 2009 18 Jahre alt war und es daher auch grundsätzlich denkmöglich ist, dass er seinen Wehrdienst bereits von 2009-2011, sohin vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien abgeleistet hat.
Insgesamt geht das erkennende Gericht daher davon aus, dass der BF2 seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits erfolgreich abgeleistet hat und in 2017 aufgrund anderer, nicht asylbezogener Motive ausgereist ist. Eine Reflexverfolgung des BF1 aus diesem Grund ist daher ebenso wenig mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Im Falle einer Rückkehr wären die BF1-BF2 auch keiner Gefahr ausgesetzt zum Reservedienst einberufen zu werden, zumal der BF1 65 Jahre alt und der BF2 30 Jahre alt ist und beide damit die Altersgrenze von 27 Jahren überschritten haben, wonach vornehmlich Männer bis zu diesem Alter als Reservisten eingezogen werden, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Das Gericht verkennt nicht, dass Reservisten grundsätzlich bis zum Alter von 42 Jahren eingezogen werden können und fallweise auch Männer bis zum Alter von 55 oder sogar 62 Jahren eingezogen werden. Allerdings trifft dies laut Länderberichten vorwiegend Personen mit besonderen Qualifikationen (zB Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) und ist abhängig vom Rang. Der BF1 hat diese Altersgrenze mit 65 Jahren weit überschritten und erscheint eine tatsächlich drohende Einberufung zum Reservedienst durch das syrische Militär – vor dem Hintergrund seines Alters sehr unwahrscheinlich, hat der BF1 auch keinerlei besondere Qualifikationen, Ausbildung oder Spezialtraining dargetan, welche einen Kampfeinsatz gerade seiner Person als besonders militärisch notwendig erscheinen lasse. Auch eine dem BF2 tatsächlich drohende Einberufung zum Reservedienst durch das syrische Militär erscheint - vor dem Hintergrund der erreichten o.a. Altersgrenze - insgesamt als eher unwahrscheinlich, zumal der BF2 zwar allenfalls eine Ersthelferausbildung absolviert hat, jedoch kein langjähriger, gut ausgebildeter Angehöriger medizinischen Personals ist und damit keinerlei besondere Qualifikationen, Ausbildung oder Spezialtrainings vorzuweisen vermochte, welche einen Kampfeinsatz gerade seiner Person als besonders militärisch notwendig erscheinen lasse.
Soweit im Rahmen der Beschwerdeschrift (AS 282) zusätzlich angeführt, dass auch der Bruder des BF2 seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet habe und der BF1 somit als Vater zweier Wehrdienstpflichtiger erhöht gefährdet sei, so bleibt dazu anzumerken, dass auch die Nichtableistung des Militärdienstes durch den zweiten Sohn des BF1 erst verspätet im Verfahren vorgebracht wurde, eine inhaltliche Steigerung des Fluchtvorbringens darstellt und daher das Vorbringen zur Reflexverfolgung für den BF1 zusätzlich mit Unglaubhaftigkeit belastet. Zudem bleibt anzumerken, dass die BF1-BF2 im erstbehördlichen Verfahren keine Einberufungen des Bruders des BF2 im Herkunftsstaat hinreichend substantiiert behauptet haben, noch Beweismittel dafür vorgelegt worden sind. Es wäre vielmehr anzunehmen, beide BFs hätten diesen Umstand einer Wehrdienstverweigerung des Bruders des BF2 früher erwähnt, wäre dieser Umstand tatsächlich vorgelegen und sei es nur um damit die Gefährdungssituation der BF1-BF2 insgesamt im Herkunftsstaat dadurch zu unterstreichen.
2.8.5. Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass die BF1-BF2 bereits über 3 Jahre in der Türkei gelebt haben, wo sie Zuflucht vor behaupteter Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat gefunden haben. Der BF2, wie auch sein Bruder, ist dort auch einer Beschäftigung nachgegangen und hatte somit grundsätzlich ein Einkommen um die dort aufhältige Familie zu unterstützen. Es liegt daher nahe, dass die - trotz dieser gegebenen Umstände erfolgte - Weiterreise der BF1-BF2 nach Europa und insbesondere nach Österreich, überwiegend wirtschaftliche Gründe hatte, da die BF1-BF2 auch in keinem anderen Land, welches sie durchquert haben, Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben.
2.8.5. Sofern die Beschwerdeseite explizit darauf verweist, dass die BF1-BF2 aufgrund ihrer Asylantragstellung im Ausland bzw. wegen ihrer Rückkehr einer allgemeinen Verfolgungsgefahr unterliegen würden, weil Rückkehrern grundsätzlich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde, sind dem mehrere Berichte entgegenzuhalten. So ergibt sich aus dem Bericht der ÖB aus September 2021, dass die ÖB regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern erreichen, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen, woraus sich ableiten ließe, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage könne es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Auch der aktuelle Bericht des Danish Immigration Service („Treatment upon Return“) aus Mai 2022 sagt, dass eine Asylantragstellung ipso facto nicht prinzipiell zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat führt: „According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment“. Darüber hinaus führt der Bericht aus: „In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities […] In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries“. Auch der EASO (EUAA) Bericht aus Juni 2021 berichtet davon, dass eine Asylantragstellung im Ausland nicht per se zu einer Verfolgung in Syrien führt: „A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent“.
Insgesamt ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Asylantragstellung zwar per se nicht zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung führt, Rückkehrer jedoch mit Problemen konfrontiert sind, sofern sie sich beispielsweise (in welcher Form auch immer) oppositionell betätigt haben oder den allgemeinen Wehrdienst verweigert haben. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, schneller erreicht werden mag, als in anderen Staaten und, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es wird hierbei auch nicht übersehen, dass bestimmte Personen in Syrien aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert auch oft nur auf familiären Verbindungen, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder auf der Präsenz der Person in oder ihrer Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, welches als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt. In Bezug auf die BF1-BF2 ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass einer dieser angeführten Umstände auf die konkrete Situation der BF1-BF2 tatsächlich zuträfe (s. Beweiswürdigung). Es gibt keine Hinweise auf (exil-)politische gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten der BF1-BF2 mit asylrelevanter Außenwirkung bzw. sind diese nicht für glaubhaft befunden worden. Vielmehr war aufgrund der Beweiswürdigung (s. oben) davon auszugehen, dass die BF1-BF2 nicht an regierungskritischen Demonstrationen teilgenommen haben, der BF2 seinen Militärdienst bereits abgeleistet hat und die BF1-BF2 Syrien wegen des Krieges verlassen haben. Eine aktuelle Gefährdung der BF1-BF2 durch die syrische Regierung aus asylrelevanten Merkmalen von hinreichender Intensität kann daher in casu nicht festgestellt werden. Nachdem die Heimatregion der BF1-BF2 unter der Kontrolle der syrischen Armee steht und die freie syrische Armee zurückgedrängt bzw. vertrieben wurde, besteht auch nicht die Gefahr, dass den BF1-BF2 aus diesem Grund eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde oder die BF1-BF2 von diesen rekrutiert werden würden.
2.8.6. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der inhaltlich gesteigerten Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist den BF1-BF2 somit nicht gelungen, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in ihrem Herkunftsstaat Syrien in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.
2.8.7. Das aufgezeigte unglaubhafte Vorbringen der BF1-BF2 führt in der Folge nicht nur zur Unglaubhaftigkeit ihres Fluchtvorbringens, sondern indiziert auch die persönliche Unglaubwürdigkeit der BF1-BF2 (siehe Pkt. 2.10.).
2.9. Zu den Länderfeststellungen:
Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Syrien stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.04.2022, Version 6.
Die zur Lage in Syrien getroffenen Feststellungen basieren auf Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen und stellen im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers dar. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht grundsätzlich entgegen der beschwerdeseitig vorgebrachten Bedenken, kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.10. Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1-BF2:
Das widersprüchliche, gesteigerte und unplausible Fluchtvorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit der BF1-BF2.
Darüber hinaus führen auch die Widersprüchlichkeiten zu ihren persönlichen Angaben zur persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1-BF2. So sprachen die BF1-BF2 von der Unterdrückung von Flüchtlingen in der Türkei. Gab der BF1 an, man könne dort nicht leben und herrsche dort Rassismus, führte der BF2 aus, dass sie dort ein schwieriges System hätten. Der BF2 habe keinen Ausweis bekommen, sondern nur einen Zettel und hätten sie jederzeit wieder nach XXXX zurückgeschickt werden können. Auf Nachfrage gaben jedoch beide an, in der Türkei nicht verfolgt worden zu sein. Darüber hinaus machte der BF1 in der mündlichen Verhandlung und der BF2 vor dem BFA falsche Angaben zur Verfolgung der BF1-BF2 aufgrund ihres Glaubens, indem sie vorbrachten aufgrund des Umstandes, dass sie sunnitische Moslems seien, im Herkunftsstaat Probleme gehabt zu haben, führten dies jedoch jeweils nicht weiter aus (S. 12, VH-Prot.). Später gaben die BF1-BF2 auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung jedoch an, in Syrien niemals Probleme wegen ihrer Religion gehabt zu haben. Weiters machten die BF1-BF2 vor dem BFA abweichende Angaben zu ihren Fluchtzeitpunkten, indem der BF1 angab, sie seien im Februar 2017 ausgereist, während der BF2 vorbrachte, dass sie im April 2017 ausgereist seien. Bei seiner Erstbefragung brachte der BF1 sogar vor, erst im Dezember 2017 aus dem Herkunftsstaat ausgereist zu sein.
Auch zu ihren letzten Arbeitstagen im Lebensmittelgeschäft, welches der Vater des BF1 selbst betrieben habe, machten die BF1-BF2 unterschiedliche Angaben. So gab der BF1 an, bis August oder September 2016 gearbeitet zu haben, während der BF2 vor dem BFA behauptete bis Dezember 2016 gearbeitet zu haben, jedoch in der Beschwerdeverhandlung vermeinte, bis Jänner 2017 dort erwerbstätig gewesen zu sein. Auch hinsichtlich ihrer Angaben, wo sich die BF1-BF2 beim Bombeneinschlag in ihr Hauses in XXXX aufgehalten hätten, verstrickten sie sich in Widersprüche. Führte der BF1 aus, dass er in einem Dorf in der Nähe ihres Dorfes gewesen sei und der BF2 in der Nähe des Hauses gearbeitet habe, gab der BF2 widersprüchlich dazu an, sie seien gemeinsam (seine Eltern, sein Bruder und der BF2) im unteren Stockwerk des Hauses versteckt gewesen. Außerdem machten die BF1-BF2 unterschiedliche Angaben zu den Vermögenswerten im Herkunftsstaat. Sprach der BF1 zunächst nur von einem zerbombten Haus mit Grundstück (S. 8, VH-Prot.), welches ihm im Herkunftsstaat noch gehöre, vermochte der BF2 bereits vor dem BFA von zwei Häusern und einem Geschäft der Familie in Syrien zu berichten. Erst auf Vorhaltung dieses klar abweichenden Vorbringens des BF2 änderte der BF1 im Rahmen der Beschwerdeverhandlung schließlich seine zuvor getätigten Angaben zu seinen Vermögenswerten in Syrien und sprach plötzlich auch von einem zweiten, überwiegend unversehrten Haus in seinem Besitz (S. 9, VH-Prot.).
Unter Berücksichtigung des insgesamt widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens, vor allem vor dem Hintergrund der zu Tage getretenen Widersprüchlichkeiten zu ihren behaupteten Fluchtgründen, zum Aufenthalt in der Türkei, ihrer Religion, dem Zeitpunkt ihrer Ausreise, ihren letzten Arbeitstagen im Herkunftsstaat, ihrem Aufenthalt während des Bombeneinschlags und ihren Vermögenswerten im Herkunftsstaat, hinterlassen die BF1-BF2 in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).
Aus diesen Gründen waren die BF1-BF2 als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.
2.11. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
3.2. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zum Spruchteil A
3.5. Zu den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht. (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191; vom 28.10.2009, 2006/01/0793; vom 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH vom 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH vom 27.05.1998, 97/13/0051).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH vom 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).
3.5.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten damit, dass die Beschwerdeführer (BF1-BF2) keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnten.
3.5.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.
3.5.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht der Beschwerdeführer (BF1-BF2), in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.
3.5.4. Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.
3.5.5. Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, ist es den BF1-BF2 insgesamt nicht gelungen eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete, aktuelle Verfolgung im Herkunftsstaat von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien, der Unglaubhaftigkeit ihrer Vorbringen zur Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen und des bereits vom BF2 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgeleisteten Wehrdienstes, kann daher nicht erkannt werden, dass den BF1-BF2 im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3.5.6. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Anhaltspunkte dafür, dass die BF1-BF2 als Rückkehrer infolge ihrer Asylantragstellung im Ausland konkrete Verfolgung in Syrien fürchten müssten, liegen vor dem Hintergrund der gewürdigten, umfangreichen und verschiedenen Länderberichte nicht vor. Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante, gegen die BF1-BF2 gerichtete, Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche beschwerdeseitig auch gar nicht behauptet.
3.5.7. Da die BF1-BF2 sohin keine Verfolgungshandlungen in Bezug auf Syrien glaubhaft gemacht haben, liegen die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen nicht vor und waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide deshalb gemäß § 28 Abs. 2 iVm 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Revision ist im konkreten Fall ausfolgenden Gründen nicht zulässig: Parteivorbringen ist abstrakt nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl. VwGH vom 24.01.1994). Die Auslegung von protokollierten Vorbringens ist nicht reversibel (vgl. VwGH vom 18.05.2016 RA 2016/04/001). Die Beurteilung ob ein identer Sachverhalt vorliegt ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH vom 25.02.2016 2015/19/0267). Die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffes in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK ist Frage des Einzelfalls (vgl. VwGH vom 23.06.2015 RA 2015/22/0027).
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