BVwG W247 2243837-1

BVwGW247 2243837-19.6.2022

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W247.2243837.1.00

 

Spruch:

 

W247 2243837-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch den XXXX und XXXX gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.04.2022, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) ist syrischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Araber und der sunnitischen Ausrichtung des Islam zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Der BF reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 08.01.2021, unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am 09.01.2021 vor der Landespolizeidirektion XXXX - im Beisein eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH - erstbefragt, sowie am 23.04.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH niederschriftlich einvernommen wurde.

2.1. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 09.01.2022 vor, in XXXX geboren zu sein und seit Ende 2019 traditionell, sowie standesamtlich, verheiratet zu sein, wobei sich seine Heiratsurkunde in Syrien befinde. Er habe sein Leben lang noch keinen Reisepass gehabt und spreche muttersprachlich Arabisch. Der BF sei sunnitischer Moslem, Araber und habe im Herkunftsstaat 12 Jahre lang die Grundschule besucht, wobei er diese mit Matura abgeschlossen habe. Außerdem habe er auf der Universität 1 Jahr lang Buchhaltung studiert, jedoch keine Berufsausbildung absolviert. Zuletzt sei er in Syrien Student gewesen. Im Herkunftsstaat befänden sich noch seine Eltern, XXXX Jahre alt) und XXXX Jahre alt), seine Ehefrau, XXXX Jahre alt), sein Bruder XXXX Jahre alt) und seine vier Schwestern, XXXX In Österreich verfüge der BF über keine Familienangehörigen und habe er zuletzt im Herkunftsstaat in der Stadt XXXX , im Ort XXXX , der Straße XXXX gewohnt. Den Entschluss zur Ausreise habe der BF im Jahr 2018 gefasst und habe er nach Österreich gewollt, weil einer seiner Freunde hier lebe. Im Juni 2020 sei der BF dann zu Fuß und illegal in die Türkei gegangen. Von dort aus sei er über Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich eingereist. In Griechenland sei es (Anm.: die Bedingungen) sehr schlecht gewesen. Über Ungarn könne der BF nichts sagen, weil er nur kurz dort gewesen sei. Der BF habe noch nie um Asyl angesucht, außer in Österreich. Die Schleppung habe der BF selbst organisiert und habe er dafür etwa EUR 6.500,- bezahlt. Den Schlepper habe er in Serbien getroffen und sei der BF anschließend an immer andere Schlepper weitergereicht worden. Der BF sei schlepperunterstützt von der Türkei nach Griechenland gegangen und von dort über die Balkanroute nach Serbien gereist, wo er 3 Monate lang in einem Lager der Stadt XXXX gelebt habe. Der BF habe dort seine Fingerabdrücke nicht abgeben müssen und habe eine Karte bekommen, mit welcher er Essen erhalten habe. Einen Aufenthaltstitel habe der BF dort weder beantragt, noch bekommen. Er sei deshalb ca. 3 Monate lang in Serbien geblieben, weil es so lange gedauert habe, bis er die Grenze zu Ungarn überwinden habe können. Der BF habe sehr viele Versuche gebraucht, um den serbischen Zaun zu überwinden und nach Ungarn zu kommen. Dort sei er ca. 2 Tage lang selbständig, ohne Schlepper, zu einem Waldstück an einem ihm unbekannten Ort gegangen und habe die österreichisch-ungarische Grenze ohne Schlepper überquert. Auf österreichischem Gebiet sei der BF ca. 2 Stunden lang marschiert bis er an einem ihm unbekannten Ort in einen SUV eingestiegen sei. Die Marke und das Kennzeichen wisse der BF nicht mehr und seien sie ca. 30 Minuten gefahren. Der BF sei an einem ihm unbekannten Ort ausgestiegen und sei ca. 3 Stunden zu Fuß gegangen. Als er eine Polizeistation gesehen habe, habe er einen Asylantrag gestellt. Der Lenker des SUV sei ein 1,90m großer Sudanese mit wenig Haaren und um die 30 Jahre alt gewesen. Er habe Arabisch gesprochen, mehr wisse der BF nicht.

2.2. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF an, dass er im Jahr 2014 vom syrischen Militär festgenommen und zum Verhör gebracht worden sei. Der BF sei ca. 1,5 Monate lang gefoltert und dann wieder freigelassen worden. Im Jahr 2018 habe der BF seine Einberufung für das syrische Militär erhalten. Deshalb habe er Syrien verlassen. Der BF wolle nicht zum Militär gehen und wolle auch nicht kämpfen. Bei seiner Rückkehr fürchte der BF, dass er seinen Militärdienst ableisten müsse. Außerdem habe er Angst vor dem Krieg.

3.1. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.04.2021 gab der BF in Anwesenheit eines ihm einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache ARABISCH, im Wesentlichen an, dass er keine physischen und psychischen Probleme habe. Der BF legte im Anschluss mehrere Dokumente zur Bezeugung seiner Identität vor, nämlich seinen Personalausweis im Original, seinen Studentenausweis im Original, sein Maturazeugnis in Kopie, seine Heiratsurkunde in Kopie und den Personalausweis seiner Ehefrau in Kopie. Der BF heiße XXXX und sei in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX am XXXX in Syrien geboren. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre zur Volksgruppe der Araber, sei sunnitischer Moslem und standesamtlich, sowie traditionell, verheiratet. Seine Ehefrau heiße XXXX , sei XXXX Jahre alt und ebenfalls syrische Staatsangehörige. Die Eltern, vier Schwestern und ein Bruder ( XXXX Jahre alt) des BF würden noch in Syrien leben. Ein Onkel des BF vs. lebe in der Schweiz. Der BF habe 12 Jahre lang die Grundschule namens XXXX besucht, welche er mit Matura abgeschlossen habe. Im Anschluss habe er ein Jahr lang Buchhaltung an der Universität studiert, was er jedoch abgebrochen habe. Seinen Militärdienst habe der BF noch nicht gleistet. Er habe Angst und gehe man in den Tod, wenn man einrücke. Der BF habe zweimal einen Aufschub bekommen, dann sei er nach XXXX gegangen, denn dort habe das syrische Regime keine Macht gehabt. Der BF habe keinen Nachweis über diese Aufschübe. Während der Luftangriffe seien ihre Unterkünfte immer wieder zerstört worden, weshalb der BF immer wieder umziehen habe müssen, wobei er viele Dokumente verloren habe. Der Aufschub sei im Militärdienstbuch eingetragen worden, welches der BF jedoch verloren habe. Der BF habe sich kein Neues ausstellen lassen können, weil er zur Militärbehörde gemusst hätte.

Der BF spreche Arabisch und ein bisschen Englisch. Sein Vater habe auf einem Markt gearbeitet und habe der BF selbst neben dem Studium als Verkäufer gearbeitet. Er habe Teilzeit arbeiten können und damit sein Studium finanziert. Bis zu seiner Flucht habe der BF in einem Fastfood Restaurant in XXXX als Koch gearbeitet.

3.2. Der BF sei standesamtlich und traditionell verheiratet und sei dies seine, sowie die erste Ehe seiner Frau. Der BF habe mit seiner Frau keine Kinder und halte sie sich derzeit ebenfalls in der Stadt XXXX auf. Der BF habe mit seiner Familie telefonischen Kontakt. Zu seinem Reiseweg wolle der BF nichts mehr angeben, es stimme alles, wie in seiner Erstbefragung angegeben.

3.3. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF an, dass er studiert habe und sei neben der Universität ein Gebäude des syrischen Geheimdienstes gewesen. Der BF sei festgenommen und zum Geheimdienst der Abteilung XXXX gebracht worden. Der Grund der Festnahme sei gewesen, dass der BF neben dem Büro des Universitätsleiters mit dem Handy telefoniert habe. Ein Zivilist sei zum BF gekommen und habe gesagt, er solle mit dem telefonieren aufhören. Der BF habe gesagt, dass er das machen werde, wobei sie danach verbal gestritten hätten und der Zivilist dem BF einen Vorwurf gemacht hätte. Der BF habe nicht gewusst, dass dieser Angehöriger des syrischen Regimes, eine Militärperson, gewesen sei. Dem BF sei vorgeworfen worden, eine Militärperson angegriffen zu haben und Probleme am Universitätsgelände gemacht zu haben. Der BF habe das nicht gemacht, sondern sei das der Vorwurf gewesen. Er habe ca. 43 Tage bei der Geheimdienstabteilung bleiben müssen und sei sofort gefoltert, sowie geschlagen worden. Vor seiner Entlassung hätten Beamte zum BF gesagt, dass die Vorwürfe immer bleiben würden. Sollte der BF noch einmal festgenommen werden, würden diese Vorwürfe wiederkommen. Zu dieser Zeit sei die Familie des BF in XXXX gewesen und sei die Wohnung seiner Familie während der Verhaftung des BF zweimal gestürmt worden, weshalb der BF mit seiner Familie nach XXXX zurückgekehrt sei. Der BF habe sein Studium abgebrochen und sei bis zum Ablauf seines Aufschubs in XXXX geblieben. Seitdem Ablauf seines Aufschubs werde der BF von der syrischen Armee gesucht. Der BF sei in XXXX geblieben, wo es viele Luftangriffe gegeben habe, bis das syrische Regime in ihre Stadt einmarschiert sei und alles übernommen habe. Der BF habe Syrien in der Folge verlassen. Er sei geflohen, weil er nicht in das syrische Militär einrücken wolle. Der BF habe keine Beweismittel dafür, sonst hätte ihn die syrische Armee sofort eingezogen.

3.4. Nachgefragt sei der BF im Jahr 2014 festgenommen und gefoltert worden. Nach seiner Inhaftierung habe er weiterstudieren wollen und habe der BF das Sicherheitspersonal an der Universität gesehen, weshalb er sich bedroht gefühlt und das Studium abgebrochen habe. Anschließend sei er mit seiner Familie nach XXXX gegangen. Sofern der BF selbst angegeben habe, mehrfach umgezogen zu sein, seien das alles Nachbardörfer seiner Heimatstadt XXXX gewesen. Auf Nachfrage habe das einen Radius von 30 oder 50 km umfasst. Er sei nie weiter als 50 km von XXXX entfernt und immer an Orten gewesen, an denen das syrische Militär gerade nicht gewesen sei. Nach 2014 habe es keine weiteren Vorfälle gegeben, weil sie immer an sichere Orte geflohen seien. Die Aufschübe seien immer zwischen 9 und 12 Monaten gewesen. Der BF habe zwei Aufschübe für jeweils 12 Monate bekommen. Er habe nicht gewusst, dass das Militärbuch in Österreich so wichtig sei und sei in XXXX von mehreren Gruppen angesprochen worden, mit ihnen zukämpfen. Der BF habe das jedoch nicht gemacht, das seien Gruppen der Befreiungsarmee gewesen. Er habe immer mit dem Grund, seine Familie sichern zu müssen, abgesagt. Das habe funktioniert, weil der BF der älteste Sohn seines Vaters sei. Der BF habe auch Angst gehabt, man würde ihm vorwerfen mit diversen Gruppierungen gekämpft zu haben, wenn das syrische Regime nach XXXX komme. Der BF sei vor den Gruppierungen und vor dem syrischen Regime geflohen.

3.5. Auf Vorhalt, dass der BF bei seiner Erstbefragung angegeben habe im Jahr 2018 einen Einberufungsbefehl des syrischen Militärs bekommen zu haben, führte dieser aus, dass er diesen nicht bekommen habe. Es seien keine Befehle erteilt worden, die Namen der gesuchten Personen würden an syrischen Kontrollpunkten veröffentlicht. Auch seine in Syrien lebenden Familienangehörigen hätten keinen Einberufungsbefehl für den BF bekommen. Den Entschluss zur Ausreise habe der BF gefasst, als das syrische Regime nach XXXX gekommen sei, das sei im Oktober 2018 gewesen. Es habe ein wenig gedauert bis der BF den Fluchtweg organisiert habe. Der BF habe sich von seiner Familie verabschiedet und sei im Juni 2020 alleine geflohen. Der BF habe weder in Griechenland, noch in Ungarn einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er sei in Griechenland mehrmals geschlagen worden und sei sein Handy zerstört worden. Dort herrsche Rassismus. In Ungarn habe der BF keinen Asylantrag stellen wollen, weil er vorgehabt habe nach Österreich zu kommen. Ein Freund des BF, XXXX , lebe in Österreich und habe dem BF von der Sicherheit und Stabilität erzählt. Dieser sei seit eineinhalb Jahren in Österreich asylberechtigt. Der BF sei weder in seiner Heimat, noch woanders vorbestraft, werde jedoch von der Militärbehörde gesucht. Das wisse er, weil er im wehrfähigen Alter sei und keinen Aufschub mehr bekommen habe. Er sei niemals Mitglied einer politischen Partei gewesen und auch von staatlicher Seite weder wegen seiner politischen Gesinnung, noch wegen seiner Religion, seiner Rasse, seiner Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, verfolgt worden. Bis auf den Überfall im Jahr 2014 habe es keine weiteren Übergriffe auf die Person des BF gegeben. Der BF habe nie selbst gekämpft oder an Kampfhandlungen teilgenommen und sei niemals Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte der BF festgenommen und zum Militär eingezogen zu werden. Er werde an den Orten an denen die Befreiungsarmee die Kontrolle habe, genauso eingezogen. Der BF hätte im Falle seiner Rückkehr Probleme mit der Militärbehörde.

3.6. Der BF sei im Jänner 2021 nach Österreich gereist und habe bis dato keinen gültigen Aufenthaltstitel gehabt. Er lebe in einem Flüchtlingsheim, besuche jedoch keine Moschee. Der BF habe in XXXX gemeinnützig gearbeitet, wobei er den Vertrag verlängert habe wollen, das sei jedoch nicht möglich gewesen. Er bekomme Geld vom Staat und verfüge über keine Verwandten in Österreich.

4. Der BF brachte erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

 Personalausweis Nr. XXXX , ausgestellt am 04.02.2015 vom Innenministerium Registeramt XXXX im Original (übersetzt bei der niederschriftlichen Einvernahme), in Kopie im Akt einliegend;

 Studentenausweis im Original, in Kopie im Akt einliegend;

 Kopie des Personalausweises der Ehefrau des BF;

 Heiratsurkunde in Kopie;

 Maturazeugnis in Kopie;

5.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 27.05.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

5.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zur Situation im Falle seiner Rückkehr, sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es habe keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien, würde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF jedoch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens darstellen, weshalb dem BF subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

5.3. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass die Angaben des BF bei seiner polizeilichen Erstbefragung nicht mit seinen Angaben bei der niederschriftlichen Einvernahme übereinstimmen würden. Insbesondere habe der BF den bei der Erstbefragung erwähnten Einberufungsbefehl vor der belangten Behörde nicht mehr erwähnt, weshalb sich der BF bereits in den Kernaussagen seines Fluchtvorbringens widersprochen habe. Darüber hinaus habe der BF auch auf Nachfrage keine konkreten, plausiblen und nachvollziehbaren Angaben im Besonderen zum zeitlichen Zusammenhang seiner Ausreise im Juni 2020 und seinem Fluchtvorbringen tätigen können. Die vermeintliche Inhaftierung und Folter des BF sei bereits im Jahr 2014 geschehen und könne daher in keinem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Ausreise im Juni 2020 stehen. Dieser Vorfall erscheine der belangten Behörde im Übrigen auch nicht glaubhaft, zumal der BF nicht entlassen worden wäre, hätte man ihn tatsächlich einberufen wollen.

5.4. Der BF habe keine konkreten Umstände, Handlungsabläufe, Detailumstände oder Gespräche wiedergeben können, noch Hinweise auf Personen, Namen oder Örtlichkeiten hinsichtlich der behaupteten Verfolgungsgefahr vorbringen können. Darüber hinaus habe der BF bei der niederschriftlichen Einvernahme angegeben, keine Beweismittel für sein Vorbringen in Vorlage bringen zu können und habe der BF auch keine sonstigen Unterlagen in Vorlage gebracht.

5.5. Da der BF selbst angegeben habe, nie weiter als 50km von XXXX entfernt gewesen zu sein, habe er sich immer im Einfluss- und Wirkungsbereich der Behörden befunden, weshalb die Militärbehörde dem BF sicherlich habhaft hätte werden können, wenn sie das gewollt hätte. Sofern der BF angegeben habe, erst im Juni 2020 geflohen zu sein, weil es ein wenig gedauert hätte, bis er seinen Fluchtweg organisiert habe, sei dem entgegenzuhalten, dass diese Vorgehensweise nicht nachvollziehbar sei, weil im Falle einer tatsächlichen Verfolgungsgefahr eine zügigere Handlungsweise zu erwarten gewesen wäre. Der BF habe darüber hinaus selbst angegeben, im Herkunftsstaat niemals Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, weil er zuvor das Land verlassen habe und in die Türkei ausgereist sei. Da der BF in Griechenland und Ungarn keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, gehe die belangte Behörde davon aus, dass der BF aufgrund wirtschaftlicher und familiärer Gründe aus dem Herkunftsstaat ausgereist sei.

5.6. Insgesamt habe der BF kein glaubhaftes Vorbringen zu seinem Fluchtgrund erstattet.

6. Mit Information zur Rechtsberatung vom 28.05.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

7.1. Mit fristgerecht eingebrachtem Schriftsatz vom 23.06.2021 wurde für den BF durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter, die XXXX , das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides des BFA, zugestellt am 31.05.2021, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides blieben von der Beschwerde unberührt.

7.2. Begründend wurde beschwerdeseitig zunächst der Verfahrensgang, sowie der Sachverhalt erneut dargestellt und in der Folge auf das bisher vom BF erstattete Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen. Zur Person des BF würden jedoch konkrete Feststellungen zu den abgelaufenen Aufschüben vom Militärdienst, zu seinem Werdegang, insbesondere seiner Schul- und Studienzeit, fehlen. Diesbezüglich vorgelegte Beweismittel seien unberücksichtigt geblieben. Der BF sei syrischer Araber aus der Stadt XXXX in der Provinz XXXX , einer durch den Bürgerkrieg sehr beeinträchtigten Stadt, welche von einer sich verschlechternden Sicherheitslage - aufgrund gewaltsamer Zwischenfälle - gekennzeichnet sei. Zuletzt habe der BF in ebendiesem Dorf gewohnt und habe er durchwegs gleichbleibende, ausführliche Angaben gemacht, sowie ihm zur Verfügung stehende Beweismittel vorgelegt, wodurch er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Die Weiterreise aus den Ländern Griechenland und Ungarn könne dem BF aufgrund der dortigen Situation nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Erklärungen des BF zu seinen Fluchtgründen seien nachvollziehbar und glaubhaft geschildert worden. Die Annahme, er sei aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa geflüchtet, sei reine Spekulation und im Hinblick auf das Land Syrien nicht haltbar. Mutmaßungen der belangten Behörde in Bezug auf das Fluchtvorbringen seien unzulässig. Der BF habe gleichbleibend im Verfahren erklärt, nach zwei erhaltenen Aufschüben aufgrund seines Studiums keinen weiteren mehr erhalten zu haben und nicht zum Militär eingezogen werden zu wollen, um keine Menschenrechtsverletzungen, sowie Kriegsverbrechen begehen zu müssen. Den Einberufungsbefehl habe der BF im Jahr 2016 erhalten und werde anbei vorgelegt. Dass das syrische Militär unter Rekrutierungsdruck gestanden habe und – nach, wie vor - stehe, ergäbe sich aus den dem Verfahren zugrundeliegenden Länderinformationen.

7.3. Der BF sei XXXX geboren, weshalb er jedenfalls im wehrfähigen Alter sei und jederzeit eingezogen werden könne. Er habe seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee noch nicht abgeleistet, was in der bekämpften Entscheidung nicht festgestellt worden sei und auch keine weitere Berücksichtigung gefunden habe. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibe nach den Länderinformationen weiterhin unverändert hoch. Weitere, spezifisch auf den Militärdienst und Rekrutierungen bezughabende Länderinformationen seien nicht eingeholt worden. Die Furcht des BF vor Verfolgung sei unter Heranziehung der Länderinformationen objektiv nachvollziehbar und glaubhaft. Die Verweigerung des Militärdienstes werde in der Regel als politische Gegnerschaft ausgelegt und dem BF gegenständlich auch geglaubt, zumal im Bescheid festgestellt worden sei, dass dem BF geglaubt werde, er sei vor einer Verfolgungshandlung aufgrund seiner Einberufung zum Militär aus dem Herkunftsstaat ausgereist. Die beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde seien in Anbetracht der Angaben des BF, den Feststellungen zu seiner Glaubwürdigkeit und zur Situation in seinem Herkunftsstaat nicht schlüssig und damit nicht nachvollziehbar.

7.4. In der Folge wurde darauf hingewiesen, dass UNHCR empfehle Aufständischen, Aktivisten und sonstigen Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen würden, Wehrdienstverweigerern, sowie Deserteuren der Streitkräfte internationalen Schutz zuzuerkennen. Darüber hinaus wurden Auszüge aus einer Stellungnahme von Amnesty International aus dem Jahr 2018 zitiert und ausgeführt, dass bei Wiedereinreise des BF sofort festgestellt würden, dass er nach Ablauf des Aufschubes seines Militärdienstes diesen weder verlängert, noch angetreten habe. Das würde durch das LIB, durch einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus 2019, als auch von den EASO-Berichten aus September 2020 und April 2021, sowie den UNHCR-Erwägungen aus März 2021 gestützt.

7.5. Des Weiteren habe der BF wiederholt angegeben von Rebellen angeworben worden zu sein, es verweigert zu haben sich diesen anzuschließen und aus diesem Grund von den Rebellen gesucht zu werden. Die belangte Behörde habe auch verabsäumt darauf einzugehen. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegten Länderinformationen würden diese Angaben des BF bestätigen. Zu beachten sei außerdem, dass, aufgrund der besonderen Situation in Syrien, die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als „oppositionell“ betrachtet zu werden, relativ gering sei. Diesbezüglich wurde auf höchstgerichtliche Rechtsprechung verwiesen. Anschließend wurde die Rechtslage zu § 3 AsylG und höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Wehrdienst, sowie der Wehrdienstverweigerung ausführlich dargelegt und ausgeführt, dass der BF die Definition eines Flüchtlings iSd GFK erfülle, weshalb ihm der Status eines Asylberechtigten zu gewähren sei. Hingewiesen wurde dezidiert noch auf die UNHCR-Richtlinien aus November 2017 und wurde dargelegt, dass Männer im Alter des BF gezwungen würden, Wehrdienst zu leisten. Insbesondere würden Militärdienstpflichtige im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints „herausgefiltert“. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei ein Flüchtender auch nicht dazu angehalten vor dem Verlassen des Herkunftsstaats das Eintreten tatsächlicher Verfolgungshandlungen abzuwarten und wurden Auszüge aus einem Erkenntnis des BVwG zur stattfindenden Zwangsrekrutierung in Syrien wiedergegeben.

7.6. Weitere Aufschübe wären dem BF nicht erteilt worden und sei es unerheblich, dass die Ehefrau des BF bzw. die Familie des BF von keinen Konsequenzen aufgrund der Abwesenheit des BF betroffen gewesen sei. Dem LIB sei zu entnehmen, dass der Militäreinsatz der syrischen Armee, dem sich der BF entzogen habe, mit menschenrechtswidrigen Handlungen und völkerrechtswidrigen Militäraktionen verbunden sei, was nach dem UNHCR-Handbuch den „Grundregeln menschlichen Verhaltens“ widerspreche. Bei Wehrdienstverweigerung und Verweigerung von Befehlen im Bereich des Militärdienstes würden völlig unverhältnismäßige Strafen erfolgen. Der VwGH vertrete die Ansicht, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen könne. Der Umstand, dass der BF bereits im Jahr 2020 den Herkunftsstaat verlassen habe, ändere nichts an der aktuell noch bestehenden Verfolgungssituation. Das BVwG wurde ersucht, den vorliegenden Fall noch einmal eingehend zu prüfen und dem BF internationalen Schutz in Form von Asyl zuzuerkennen.

7.7. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den Bescheid dahingehend abändern, dass dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird; 2.) in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückverweisen; 3.) eine mündliche Verhandlung anberaumen.

8. Die Beschwerdevorlage vom 24.06.2021 und der Verwaltungsakt langten bei der Geschäftsabteilung W253 des Bundesverwaltungsberichts (BVwG) am 28.06.2021 ein.

9. Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 legte der BF ein Schreiben der syrischen Militärbehörde ihn betreffend in arabischer Sprache vor und beantragte gleichzeitig die Übersetzung dieser Urkunde ins Deutsche zum Beweis für die drohende Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime.

10. Das BVwG beauftragte mit Schreiben vom 28.07.2021 die Übersetzung des Schriftstücks in die deutsche Sprache, welche am 29.08.2021 hg. einlangte und dem BF und der belangten Behörde am 30.082021 im Rahmen eines Parteiengehörs samt Stellungnahmemöglichkeit übermittelt wurde. Die Möglichkeit zur Stellungnahme bliebt ungenützt.

11. Mit Schriftsatz vom 08.03.2022 wurde für den BF durch XXXX ein Fristsetzungsantrag gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 B-VG eingebracht.

12. Nach Aktenvorlage an den VwGH wurde dem BVwG mit verfahrensleitender Anordnung vom 25.03.2022, eingelangt am 30.03.2022, aufgetragen binnen 3 Monaten zu entscheiden.

13. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 23.03.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W253 abgenommen und am 01.04.2022 der Gerichtsabteilung W247 neu zugewiesen.

14. Mit Schriftsatz vom 07.04.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien (LIB) aus dem COI-CMS, Version 5, Datum der Veröffentlichung 24.01.2022) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde dem BF die Ladung für die mündliche Verhandlung am 22.04.2022 vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

15. Mit Schriftsatz vom 15.04.2022 legte die XXXX , die Vollmacht hinsichtlich des BF zurück.

16. Am 22.04.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurde und an welcher dieser auch teilnahm. Als Rechtsvertreter das BF nahm der XXXX , vertreten durch Fr. XXXX , teil. Eine Vollmacht wurde schriftlich vorgelegt und zum Akt genommen.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„[…]

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in Syrien an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.

BF: XXXX , ich bin am XXXX in XXXX in der Ortschaft XXXX in Syrien. Ich bin syrischer Staatsbürger. Mein letzter Aufenthaltsort war in XXXX in XXXX . Ich war im Zentrum zuletzt aufhältig, in der Nähe von der Straße XXXX .

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Araber.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF: Moslem, Sunnit.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Syrien, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?

BF: Ja, einen syrischen Personalausweis.

BF legt vor eine Personalausweiskarte.

RI: Treten Sie bitte an den Richtertisch vor und sagen Sie mir folgenden beschwerdeseitig eingebrachten und im Akt befindlichen Ablichtungen in arabischer Sprache, worum es sich dabei handelt.

RI: AS 59 und 61?

BF: Das ist ein Universitätsausweis.

RI: AS 63 und 65?

BF: Das ist mein Personalausweis.

RI: AS 67 und 69?

BF: Da ist die Kopie eines Personalausweises meiner Ehegattin.

RI: AS 73 und 75?

BF: Das ist ein Heiratsvertrag.

RI: Hatten Sie jemals einen syrischen Reisepass? Wenn ja, was ist damit passiert?

BF: Nein, noch nie.

RI: Besitzen Sie derzeit einen gültigen syrischen Reisepass?

BF: Nein.

RI: Welche Sprachen sprechen Sie?

BF: Nur Arabisch.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat als auch im Bundesgebiet?

BF: Zwölf Jahre Grundmittelschule mit Matura abgeschlossen in Syrien. Die Schule war in XXXX und eineinhalb Jahre habe ich auf der Universität Buchhaltung studiert. Die Universität war in XXXX .

RI: Haben Sie jemals eine Berufsausbildung abgeschlossen?

BF: Nein.

RI: Wie hieß die Universität und von wann bis wann haben Sie dort studiert?

BF: XXXX war der Name der Universität. Ich habe dort von Mitte 2013 bis Mitte 2015 ca. studiert.

RI: Haben Sie jemals noch an einer anderen Universität studiert?

BF: Nein.

RI: VORHALTUNG: Was war die offizielle Bezeichnung Ihres Studiums, aus wieviel Studienabschnitten besteht dieses Studium?

BF: 14 Stück, das war Spezialisierung für Buchhalter. Die 14 Stück sind 14 Studienabschnitte.

RI: Nennen Sie mir bitte mindestens 5 Kernprüfungsfächer, die dieses Studium umfasst?

BF: Mathematik, Programmierung, Arabisch, Wirtschaft, Englisch.

RI: Wie lange war die Mindeststudiendauer für dieses Studium?

BF: Zwei Jahre, ich war in einer höheren Schule, es war keine Universität.

RI: Was wollten Sie nach Abschluss dieses Studiums eigentlich arbeiten?

BF: Ich wollte als Buchhalter arbeiten. Ich habe auch versucht privat Kurse zu machen, aber ich konnte das leider nicht machen. Nebenbei habe ich als Buchhalter gearbeitet und das hat mir geholfen. Ich habe nicht als Buchhalter gearbeitet, ich habe etwas Anderes gearbeitet, aber der Buchhalter der Firma wusste, dass ich Buchhaltung studiere und hat mir ein bis zwei Stunden in der Woche dazu etwas gezeigt.

RI: Wann haben Sie Ihr Studium beendet? Ich ersuche um ein möglichst genaues Datum.

BF: Im März 2015, ich habe das Studium beendet, aber nicht abgeschlossen, ich habe es beenden müssen.

RI: Was und wo haben Sie im Herkunftsstaat gearbeitet. Gemeint ist sowohl Teilzeit- als auch Vollzeit?

BF: Ich habe als Verkäufer in einem Gemüseladen gearbeitet. Ich habe von 2012 bis 2015 ca. dort gearbeitet. Es war täglich außer Donnerstag und Freitag ca. sechs Stunden am Tag. Der Gemüseladen befand sich in XXXX .

RI: Konnten Sie von diesen Tätigkeiten Ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten?

BF: Ja, ich habe mir selbst geholfen.

RI: Haben Sie abgesehen von dieser Tätigkeit noch einen Beruf im Herkunftsstaat gehabt?

BF: Danach habe ich in einem Kebabladen gearbeitet in XXXX . Ich habe im Februar oder März 2017 begonnen zu arbeiten, für ca. sechs oder sieben Monate.

RI: Was haben Sie zwischen Ihren Tätigkeiten als Verkäufer in XXXX und als Mitarbeiter in einem Kebabladen in XXXX gearbeitet?

BF: Ich habe nicht gearbeitet.

RI: Wie konnten Sie in dieser Zeit Ihren Lebensunterhalt bestreiten?

BF: Durch meinem Vater, er hat mich unterstützt.

RI: Was war in der Zeit zwischen 2017 und Ihrer Ausreise, was haben Sie da gearbeitet?

BF: Da habe ich nichts gearbeitet.

RI: Wie ging es Ihnen finanziell im Herkunftsstaat?

BF: Es ging.

RI: Haben Sie den Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits abgeleistet? Wenn nein, warum nicht?

BF: Nein. Es ist bei uns bekannt, entweder werde ich sterben oder ich muss Leute umbringen.

RI: Sie haben sich ja bereits auf einer Fachhochschule weitergebildet, wurden Sie in dieser Zeit nicht zum Wehrdienst einberufen?

BF: Nein, ich habe einen Aufschub bekommen.

RI: Wieviele Aufschübe wurden Ihnen insgesamt gewährt, für jeweils wie lange? Nennen Sie mir genau den Zeitraum von wann bis wann Ihnen ein Aufschub gewährt worden ist? Ich möchte eine klare zeitliche Einordnung.

BF: Insgesamt habe ich drei Mal einen Aufschub erhalten. Das erste Mal war von 2011 bis 2012. Neun Monate oder elf Monate waren es. Das zweite Mal war im Jahr 2012 bis zum Jahr 2013 für ein Jahr. Das dritte Mal war von 2014 bis Mitte 2015, es war für 15 Monate.

RI: Haben Sie schriftliche Nachweise über die Ihnen erteilten Aufschübe. Sie werden wohl so etwas wie einen amtlichen Bescheid zu jeden Aufschub erhalten haben.

BF: Mein Haus wurde komplett zerstört und ich habe alle Unterlagen verloren. Ich habe im September etwas abgegeben diesbezüglich. Auf dem Militärdienstbuch steht es drauf. Ich habe das Militärdienstbuch auch verloren.

RI: Sie hatten ein Militärdienstbuch? Wie kamen Sie zu einem Militärdienstbuch, wenn Sie keinen Militärdienst geleistet haben?

BF: Mit 17 oder 18 Jahren muss jeder ein Militärdienstbuch beantragen und der Aufschub wird dann drinnen notiert.

RI: Das heißt Sie haben kein Extra-Schreiben einer Behörde bekommen, dass Ihnen Aufschub gewährt worden ist, sondern Aufschübe wurden direkt im Militärbuch vermerkt?

BF: Ja, das stimmt, aber es gibt auch welche, die ein Schreiben erhalten haben. Ich habe niemals ein Schreiben bezüglich der Aufschübe erhalten. Damals nicht.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 23.04.2021 auf Seite 5 angegeben, dass Sie Ihr Militärdienstbuch verloren hätten. Gleiches haben Sie auch heute angegeben. Wann und wo haben Sie dieses verloren?

BF: Wir sind einfach von zu Hause weggegangen. Das Haus war komplett zerstört. Wir konnten nicht an unsere Dokumente denken. Das war in XXXX .

RI: An welchen Orten in Syrien haben Sie vor Ihrer Ausreise längere Zeit gelebt. Nennen Sie bitte Name der Ortschaft, Aufenthaltszeitraum und Grund für die Übersiedlung an einen anderen Ort.

BF: Auch in XXXX geblieben, aber woanders in XXXX . Von Geburt an bis 2012 in XXXX gelebt. Von 2012 bis Mitte 2015 in XXXX gelebt. Mitte 2015 bis zur Ausreise wieder in XXXX gelebt.

RI: Waren Sie in XXXX immer am selben Ort oder sind Sie da auch herumgezogen?

BF: Ich war immer zu Hause bis zu dem Zeitpunkt, als das Haus komplett zerstört wurde und danach bin ich immer zu Familienmitglieder gegangen. Das Haus wurde 2017 zerstört. Das Haus wurde bombadiert.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der Syrien und in welcher Stadt? Bitte geben Sie den vollen Namen und das Geburtsdatum an?

BF: Vater XXXX , ca. XXXX Jahre alt; Mutter XXXX , ca. XXXX Jahr alt, 4 Schwestern: XXXX ca. XXXX Jahre alt, XXXX ca. XXXX Jahre alt, XXXX ca. XXXX Jahre alt, XXXX ca. XXXX Jahre alt;

RI: Wo lebt Ihre Frau zur Zeit?

BF: Auch in XXXX . Meine Frau heißt XXXX , sie ist XXXX geboren. Sie lebt bei ihrer eigenen Familie.

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Verwandten? Und wenn ja, wie oft?

BF: Nur mit meinen Eltern, sonst mit niemanden und auch nicht oft, da wir kein Netz haben, ca. einmal die Woche.

RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu Ihrer Ehefrau?

BF: Jeden zweiten oder dritten Tag.

RI: Wie kommunizieren Sie mit Ihren in Syrien lebenden Verwandten?

BF: Über WhatsApp.

RI: Wovon leben Ihre in Syrien aufhältigen Verwandten?

BF: Mein Vater arbeitet, es gibt auch ein Grundstück, mein Vater betreibt Landwirtschaft und sie haben dadurch auch Einnahmen.

RI: Wie geht es Ihren Verwandten in Syrien finanziell?

BF: Gott sei Dank geht es denen gut.

RI: Wovon lebt Ihre Frau in Syrien?

BF: Sie lebt bei ihrer Familie und meine Familie unterstützt sie auch finanziell.

RI: Verfügen Ihre Verwandte in Syrien über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Eigentumswohnung, Fahrzeuge,..)?

BF: Ein Auto und eine Eigentumswohnung, wo sie jetzt drinnen leben und das Grundstück. Das Grundstück hat 21 ha.

RI: Haben Sie sonstige Verwandte in Syrien?

BF: Onkeln habe ich auch, ich habe auch einen Onkel in Europa. Vs zwei Onkel und eine Tante, ms fünf Onkel und zwei Tanten. Ich habe ca. 20-25 Cousins und Cousinen.

RI: Verfügen Sie über Freunde und/ oder Bekannte in Syrien zu denen Sie noch Kontakt haben?

BF: Nein, nur mit meinen Eltern.

RI: Verfügen Sie selbst im Herkunftsstaat noch über irgendwelche Vermögenswerte (Haus, Grundstück, Fahrzeug,..)?

BF: Nein.

RI: Leben Ihre Verwandten in Syrien noch am gleichen Ort, wie zum Zeitpunkt Ihrer Abreise?

BF: Ja.

RI: Hat Ihr Bruder XXXX , ca. XXXX Jahre alt, in Syrien bereits seinen Wehrdienst absolviert?

BF: Nein, er ist in den Libanon geflohen, wegen des Wehrdienstes.

RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Syriens leben und haben Sie Kontakt zu diesen?

BF: Mein Bruder XXXX , der im Libanon ist. Er ist seit 2019 dort und wir telefonieren einmal alle drei Wochen.

RI: Vorhaltung: Sie haben im Rahmen Ihrer Ersteinvernahme am 09.01.2021 auf Seite 3 des Protokolls noch angegeben, dass Ihr Bruder XXXX in Syrien leben würde. Heute allerdings haben Sie gesagt, dass er schon seit 2019 in Libanon lebt. Wieso haben Sie das nicht schon bei Ihrer Ersteinvernahme angegeben?

BF: Es tut mir leid, er ist doch erst im August 2021 geflohen. Ich habe mich vorher vertan.

RI: Sie haben vorhin angegeben, dass Sie noch einen Onkel in Europa haben, wo lebt der und wie heißt der?

BF: XXXX , er lebt in der Schweiz, ich glaube seit 2015. Ich habe unregelmäßigen Kontakt. Ich bin seit eineinhalb Jahren in Österreich und ich habe ca. zwei Mal mit ihm telefoniert. Wir haben uns in der Zeit nicht gesehen.

RI: Haben Sie noch andere Verwandte außerhalb von Syrien, als die gerade erwähnten?

BF: Eine Tante vs in Libanon. Sie lebt seit 2008 oder 2009 dort.

RI: Welche Verwandte von Ihnen leben zur Zeit in Österreich?

BF: Niemand.

RI: Wann haben Sie Ihre derzeitige Frau, die Fr. XXXX , kennen gelernt und wann haben Sie geheiratet?

BF: Kennengelernt habe ich meine derzeitige Frau auf der Universität und seit 2018 sind wir traditionell verheiratet. Ich habe meine Frau 2015 auf der Universität kennengelernt.

RI: Sind Sie nur traditionell verheiratet oder auch standesamtlich?

BF: Wir haben nach islamischen Recht geheiratet und mit einem Anwalt haben wir die Ehe eingetragen, aber da war ich schon in Österreich.

RI: Waren Sie zuvor schon verheiratet? Wenn ja, wann und mit wem?

BF: Nein.

RI: War Ihre derzeitige Frau bereits zuvor verheiratet? Wenn ja, mit wem?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Sind Sie im Bundesgebiet in einer Beziehung oder Partnerschaft?

BF: Nein.

RI: Wann sind Sie aus Syrien ausgereist?

BF: Ende 2019, Anfang 2020.

RI: Vorhaltung: Sie haben vor dem BFA am 23.04.2021 auf Seite 9 des Protokolls auf die Frage, wann Sie Syrien verlassen haben geantwortet das war im Juni 2020. Heute haben Sie angegeben bereits Ende 2019, Anfang 2020 Syrien verlassen zu haben. Wieso machen Sie so abweichende Angaben zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise?

BF: Ich habe gesagt Anfang 2020, Juni habe ich gar nicht erwähnt. Sie haben mir mit dem Datum sehr viel Stress gemacht. Ich meine den zuständigen Referenten bei der BFA Befragung.

RI: Ist Ihnen das BFA Protokoll rückübersetzt worden?

BF: Ja.

RI: Warum haben Sie das Datum nicht korrigiert?

BF: Ich konnte mich nicht konzentrieren, ich war zwei Stunden dort.

RI: Warum ist Ihre Gattin im Herkunftsstaat zurückgeblieben?

BF: Wegen Geld und weil sie eine Frau ist, will ich ihr das nicht antun, die Reise war sehr schwierig.

RI: Haben Sie auch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt? Wenn ja, wann und wo?

BF: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Syrien Ende 2019, Anfang 2020 wieder einmal in Syrien gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF: Nein.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF: Wegen dem Militärdienst bin ich ausgereist. Ich habe vor Rekrutierung Angst, ich will keine Waffe tragen müssen, ich will niemanden umbringen und ich will auch nicht sterben. Das war der einzige Grund, wegen des Militärdienstes, ich will dort nicht teilnehmen.

RI: Sie haben bei der Ersteinvernahme und auch vor dem BFA auch noch von anderen Problemen im Herkunftsstaat berichtet. Wann haben Ihre Probleme im Herkunftsstaat konkret begonnen und wie kam es dazu?

BF: Es hat genau begonnen seit ich in Ortschaften von der freien syrischen Armee lebe. Es waren unbekannte Personen bei mir und haben von mir verlangt, mitzumachen, eine Waffe zu tragen und mitzugehen.

RI: Wann war das?

BF: Ich glaube das war 2018, in XXXX . Sie waren drei Mal bei mir. Ich habe „nein“ gesagt und danach sind sie nicht mehr gekommen. Das war im Jahr 2018, wo ich in dem Kebabladen gearbeitet habe. Es gibt keinen bestimmten Zeitpunkt, sie waren ca. alle zehn Tage bei mir.

RI: Bei Ihnen zu Hause oder im Kebabladen?

BF: Das hat immer auf der Straße stattgefunden, ich wurde immer auf der Straße angehalten. Ich kannte diese Männer nicht, sie waren auch maskiert.

RI: Beschreiben Sie diese Männer ein bisschen?

BF: Sie waren ganz normal angezogen und sie waren maskiert. Sie waren entweder zu zweit oder zu dritt und waren nicht bewaffnet.

RI: Was haben diese Männer zu Ihnen gesagt?

BF: Einer in deinem Alter soll uns helfen. Ich habe dann gesagt, dass ich arbeite und meine Familie unterstütze.

RI: Und das wurde akzeptiert?

BF: Ja, und dann sind Sie nicht mehr zu mir gekommen.

RI: Das heißt von 2018 bis zu Ihrer Ausreise Anfang 2020 haben Sie dann von diesen Männern nichts mehr gesehen?

BF: Ja, das stimmt.

RI: Hatten Sie sonst noch Probleme in Ihrem Herkunftsstaat?

BF: Nein.

RI: Sie haben bei der Erstbefragung, wie auch vor dem BFA auch von einem Vorfall im Jahr 2014 berichtet. Was hat es damit auf sich?

BF: Ich wurde von der Sicherheitsbehörde verhaftet, weil ich etwas Falsches gesagt habe und derjenige hat für sie anscheinend gearbeitet. Ich war 43 Tage in Haft. Ich wurde gefoltert.

RI: Was war der genaue Grund für Ihre Festnahme in 2014?

BF: Ich habe telefoniert vor dem Zimmer des Präsidenten der Universität. Es war auf dem Campus. Ich wurde mitgenommen, ich wurde dann einvernommen. Sie haben etwas Anderes behauptet, was nicht passierte. Dass ich einen Sprengstoffgürtel anhatte, damit ich im Gefängnis sitze, obwohl ich nichts gemacht habe.

RI: Wer war diese Person mit der Sie aufgrund des Telefonats Streit bekamen? Wissen Sie einen Namen?

BF: Es war eine normale Person, die war normal angezogen und ist zu mir gekommen und fragte, warum ich hier stehe, es sei verboten hier zu telefonieren. Er war dann eine Minute weg und kam mit mehreren Leuten von der Sicherheitsbehörde zurück.

RI: Es kann nicht nur das Telefonat gewesen sein, es muss ja noch etwas anders passiert sein, dass sich daraus ein heftiger Streit entwickelt?

BF: Nein, es ist nichts passiert. Das ist normal dort.

RI: Hat sich diese Person Ihnen gegenüber als Militärperson zu erkennen gegeben oder gingen Sie davon aus, dass Sie einem Uniangestellten oder Studenten streiten würden?

BF: Nein, das wusste ich nicht. Ich dachte, er ist eine normale Person.

RI: Haben Sie mit dieser Person nur eine verbale Auseinandersetzung gehabt oder war es doch eher eine Rauferei?

BF: Nein, wir haben nur miteinander geredet.

RI: Wann wurden Sie festgenommen, wo wurden Sie festgehalten und wurden Sie zu irgendeinem Zeitpunkt verurteilt?

BF: Es war im April 2014, für 43 Tage wurde ich verhaftet. Verurteilt wurde ich nicht. Ich wurde nur einvernommen.

RI: Sie haben vorhin angegeben, dass Sie misshandelt wurden. Welcher Art waren diese Übergriffe? Wurden Sie geschlagen oder getreten?

BF: Geschlagen und elektrisiert.

RI: Wurden Sie mit Händen und Füßen malträtiert oder wurden Sie auch mit Gegenstände bzw. Waffen misshandelt?

BF: Mit Gegenständen.

RI: Welche Gegenstände waren das?

BF: Holzstangen.

RI: Wie oft wurden Sie misshandelt und wie lange dauerten die Misshandlungen jeweils?

BF: Ich glaube das war einmal pro Woche für ca. 30 Minuten.

RI: Wer hat Sie misshandelt? Beschreiben Sie die Person oder die Personen?

BF: Wir haben nichts gesehen, die Augen waren verbunden.

RI: Wurden Sie vor, während oder nach den Misshandlungen zu einem konkreten Tun oder Unterlassen aufgefordert? Was wollte man von Ihnen?

BF: Die haben mich am Anfang gar nichts gefragt. Nach 25 Tagen ca. haben sie mich gefragt, was ich genau dort auf der Universität gemacht habe. Ich sagte, dass ich telefoniert habe und dann haben sie gesagt, dass ich lügen würde und dann haben sie mich wieder begonnen zu schlagen.

RI: Wo fanden diese Misshandlungen statt?

BF: Ich weiß es nicht, ich habe nichts gesehen.

RI: Hatten Sie während der gesamten Zeit der Anhaltung die Augen verbunden oder wurden Ihnen nur die Augen während der Zeit der Misshandlungen verbunden?

BF: Nur während der Zeit der Misshandlungen.

RI: Welcher Art waren die Verletzungen, die Sie dabei erlitten habe?

BF: Ich hatte Rücken und Brustprobleme. Ich habe auch eine Zeit lang wegen der Stromschläge gezittert.

RI: Welcher Art sind Ihre Rücken und Brustprobleme?

BF: Nur Abdrücke von Schlägen.

RI: Abdrücke oder Narben?

BF: Abdrücke, wir wurden mit Holzstangen geschlagen.

RI: Können Sie mir diese Abdrücke zeigen?

BF: Ich habe sie nicht mehr, das war vor fünf bis sechs Jahren.

RI: Haben Sie irgendwelche bleibenden Verletzungen davon getragen, die man jetzt noch sehen kann wie z.B. Narben oder Verbrennungen?

BF tritt an das Richterpult vor und zeigt auf seiner linken Seite, auf Höhe des Gürtels auf eine kreisförmige oberflächliche Verfärbung der Haut, Narbengewebe ist nicht zu erkennen, lediglich eine Verfärbung.

BF: Ich glaube, dass das von den Stromschlägen stammt.

RI: Haben Sie ihre Verletzungen medizinisch versorgen lassen müssen? Waren Sie deshalb in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt?

BF: Nein.

RI: Wie sind Sie wieder freigekommen?

BF: Es gab keine Verurteilung, deshalb wurde ich entlassen.

RI: Sind Sie freigekauft worden?

BF: Nein.

RI: Wurden Sie nach der Freilassung, bis zu Ihrer Ausreise nochmals festgenommen und/oder geschlagen?

BF: Nein.

RI: Wie ging es mit Ihnen nach Ihrer Freilassung weiter?

BF: Ich war zwei Monate in XXXX aufhältig, danach war ich in XXXX und XXXX in den Orten, wo die freie syrische Armee war.

RI: Was war für Sie das schließlich konkrete, fluchtauslösende Ereignis?

BF: Militärdienst, ich will nicht zum Militär. Der Hauptgrund ist, dass die Leute nicht mehr zurückkommen, die sterben dort, ich will keine Waffen tragen und ich will nicht sterben.

RI: Sie haben vorhin berichtet, dass Sie Aufschübe zu Ihrem Militärdienst bekommen, Sie haben auch berichtet, dass Sie von XXXX nach XXXX gezogen sind. Wann haben Sie den konkreten Entschluss gefasst von Syrien auszureisen und was war der konkrete Anlass dafür?

BF: Die freie syrische Armee war in XXXX zuständig und seit 2018 ist die reguläre syrische Armee gekommen. Daher war es gefährlich für mich. Hätte ich Geld von Anfang an, wäre ich schon früher hergekommen.

RI: Wann haben Sie Einberufungsbefehle erhalten? Wann war der erste?

BF: Ich habe nichts erhalten, sie schreiben nur den Namen auf eine Liste bei den Checkpoints.

RI: VORHALTUNG: Sie haben im Zuge Ihrer Ersteinvernahme am 09.01.2021 auf Seite 6 des Protokolls angegeben erstmals 2018 eine Einberufung zum syrischen Heer erhalten zu haben und deshalb geflohen zu sein. Im Zuge Ihrer BFA-Befragung am 23.04.2021 haben Sie auf Seite 8f auf Nachfrage angegeben keine Einberufungsbefehle erhalten zu haben. Ebenso sei auch Ihren Verwandten in Syrien kein solcher Einberufungsbefehl für Sie zugestellt worden, noch sei jemand an diese wegen Ihrer Einberufung herangetreten. Im Beschwerdeverfahren am 26.07.2021 allerdings vermochten Sie plötzlich sehr wohl ein Schreiben der Militärbehörde aus dem Jahr 2016 vorzulegen, welches als Einberufungsbefehl zu verstehen ist. Daraus ergeben Sich folgende Fragen:

1) Wie haben Sie den Einberufungsbefehl aus 2016 erhalten, zumal Sie vor dem BFA angegeben haben, überhaupt nie solche Schreiben erhalten zu haben?

BF: Normalerweise gibt es so etwas, aber heutzutage machen sie es nicht mehr, weil die Menschen einfach fliehen, wenn sie diesen Zettel erhalten. Daher schreiben sie jetzt alle Namen auf eine Liste beim Checkpoint. Mithilfe eines Anwaltes in Syrien, hat der Anwalt diesen Zettel 2021 geholt.

2) Hat es Einberufungsbefehle für Sie gegeben oder nicht?

BF: Nein, mein Name stand überall auf den Checkpoints, so wie es heute ist. 2021 waren sie auch bei meinen Eltern zu Hause.

3) Warum sind Ihre zeitlichen Angaben zum behaupteten Erhalten solcher Schreiben derart widersprüchlich?

BF: Seit 2016 steht es schon da, aber ich habe erst 2018 davon gehört.

RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 23.04.2021 auf Seite 9, befragt wann Sie den Entschluss zu Ihrer Ausreise aus Syrien gefasst haben gesagt: „Das war als das syrische Regime nach XXXX gekommen ist, das war im Oktober 2018. Es hat ein wenig gedauert, bis ich den Fluchtweg organisiert hatte. Ich habe mich von meiner Familie verabschiedet und bin geflohen“. Ausgereist sind Sie dann im Juni 2020. Nach heutiger Aussage Ende 2019, Anfang 2020. Was haben Sie konkret zwischen Oktober 2018 und Juni 2020 im Herkunftsstaat an Vorbereitungshandlungen gemacht?

BF: Ich bin nicht dort an einer Ortschaft geblieben, ich habe immer den Ort gewechselt. Es gibt dort auch einen Dorfvorsteher/Bürgermeister, er bekommt eine Liste mit Namen darauf und er weiß, wann wer zum Militär muss. Er teilt die Personen in Gruppen ein und in der Zeit war meine Gruppe nicht dran und ich konnte warten.

RI: Ist nach Ihrem Verlassen des Herkunftsstaates nach Ihnen gesucht worden, etwa im Hause der Eltern oder anderer Verwandten? Wenn ja, durch wen?

BF: Im August 2021 war die glaublich die Militärpolizei bei meinen Eltern zu Hause und haben nach mir gefragt.

RI: Wie haben sie reagiert, dass Sie jetzt nicht mehr da sind?

BF: Meine Eltern hatten auch Angst, um meinen Bruder und deshalb hat er auch Syrien Richtung Libanon verlassen.

RI: War das der einzige Besuch der Militärpolizei bei Ihren Eltern, seit Sie ausgereist sind?

BF: Ja, nur einmal.

RI: Auch davor hat es nie Besuche der Militärpolizei bei Ihnen zu Hause gegeben?

BF: Nein, zuerst waren sie bei dem Dorfvorsteher, sie haben die Liste abgegeben. Die Militärpolizei war bei uns nur einmal.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?

BF: Nein.

RI: Hatten Sie – abgesehen von dem eben Geschilderten - in Syrien jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland, abgesehen von den eben Geschilderten?

BF: Nein, gar nicht, nur wegen dem Militärdienst hatte ich Probleme.

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Syrien?

BF: Ich werde zum Militär einberufen und sterben.

RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis dafür, dass nach Ihnen auch heute noch im Herkunftsstaat gesucht wird (aktuelle Haftbefehle, aktuelle Ladungen,…)?

BF: Nein, um ehrlich zu sein nicht, weder ich, noch meine Eltern können einen Beweis holen. Es geht um mein Alter, in meinem Alter sind alle beim Militär.

RI: Waren Sie sonst in Syrien jemals straffällig?

BF: Nein.

RI: Waren Sie oder Ihre Familie jemals in Syrien politisch aktiv?

BF: Nein.

RI: Waren Sie nach Ihrer Ausreise aus Syrien jemals politisch aktiv?

BF: Nein.

RI: Wieviel hat Ihre Ausreise nach Österreich gekosten?

BF: Zwischen 6000 € und 7000 €

RI: Wie konnten Sie sich das leisten?

BF: Meine Mutter hat ein bisschen Gold verkaufen müssen, die Einnahmen aus der Landwirtschaft und ein paar Ersparnisse von mir.

RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF

RV: Keine Fragen.

RV legt vor eine Stellungnahme vom 30.03.2022 zum Thema der Rückkehr von ehemaligen Asylwerbern aus Europa.

RV: Normalerweise ist es so, dass man in Syrien bis 42 als Reservist zur Verfügung stehen muss. Im Falle des BF ist es problematischer, da dieser seinen Wehrdienst noch gar nicht absolviert hat. Er kann daher auch noch nach 42 zum Dienst an der Waffe herangezogen werden.

RI: Tragen Sie an Ihrem Körper Tätowierungen? Wenn ja, wo und welche?

BF: Nein.

RI: Sind Sie in Österreich jemals unter dem XXXX aufgetreten?

BF: Nein.

RI: Zeigen Sie mir Ihr rechtes Handgelenk, bitte.

BF zeigt das Handgelenk. Es sind keine Tätowierungen erkennbar.

Das Protokoll wird Ihnen nun rückübersetzt.“

17. Mit Schriftsatz vom 03.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von einer Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen.

18. Mit Stellungnahme vom 06.05.2022, eingelangt am 09.05.2022, wurde für den BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter ausgeführt, dass der BF aufgrund seines jungen Alters Gefahr laufe zur Armee eingezogen zu werden. Er sei unter 27 Jahren alt und erfasse die aktuelle Einschätzung der Staatendokumentation eine für sich asylrelevante Gefährdung. Voranzustellen sei ein völlig willkürliches Verhalten der syrischen Behörden und würden Versöhnungsabkommen oft nicht eingehalten. Diesbezüglich wurden Auszüge aus dem LIB zitiert und dargelegt, dass dem BF bei Rückkehr konkrete Verfolgung drohe, weil in Syrien das Land Richtung Europa zu verlassen mit einem sich gegen das Regime äußern gleichgesetzt sei. Der BF sei sohin als Verräter anzusehen und würde nach seiner Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen bestraft bzw. willkürlich inhaftiert. Angesichts desaströser Haftbedingungen könnte der BF sogar den Tod erwarten. Wegen dieser realen Gefahr sei dem BF unabhängig von jeder Wahrscheinlichkeit einer Einberufung der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

19. Mit Schriftsatz vom 23.05.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF die Beweismittelliste zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Syrien aus dem COI-CMS, Version 6, Datum der Veröffentlichung 27.04.2022; Country Guidance: Syrien der EUAA, November 2021; Report on the situation of returnees der EUAA, Juni 2021; Asylbericht Syrien der Österreichische Botschaften, September 2021; report on treatment of returnees by authorities – treatment upon return des Danish Immigration Service, Mai 2022) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von einer Woche hg. einlangend Stellung zu nehmen.

20. Mit Stellungnahme vom 28.05.2022 brachte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter vor, aufgrund seines jugendlichen Alters gefährdet zu sein zum Militär eingezogen zu werden. Dazu wurde auszugsweise aus dem EASO-Leitfanden von November 2021, dem Asylländerbericht der ÖB in Damaskus von September 2021 und dem Danish Immigration Service‚ Syria – Treatment upon return, zitiert. Im Übrigen wurden weitere Passagen aus dem LIB wiedergegeben und verweise der BF auf das Vorbringen vom 06.05.2022.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.01.2021, der polizeilichen Erstbefragung des BF am 09.01.2021, der niederschriftlichen Einvernahme am 23.04.2021 vor dem BFA, der für den Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 23.06.2021 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 27.05.2021, der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des Strafregisters der Republik Österreich und des AJ-Web, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.04.2022, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Ausrichtung des Islam. Seine Identität steht fest. Der BF spricht muttersprachlich Arabisch und ist seit 2018 traditionell verheiratet. Die Ehe wurde auch standesamtlich eingetragen.

Der BF wurde in XXXX , in der Provinz XXXX , geboren und hat dort, mit einer Unterbrechung von etwa 2 Jahren in welcher er in XXXX gelebt hat, bis zu seiner Ausreise gelebt. Der BF hat in XXXX 12 Jahre die Grundmittelschule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Von Mitte 2013 bis März 2015 hat der BF an einer höheren Schule in XXXX Buchhaltung studiert, wobei er das Studium nicht abgeschlossen hat. Während seiner Zeit in XXXX hat der BF in einem Gemüsegeschäft gearbeitet. Ab Februar oder März 2017 hat der BF etwa 6 Monate in einem Kebabgeschäft in XXXX gearbeitet. Danach war der BF im Herkunftsstaat nicht mehr erwerbstätig und wurde von seinem Vater finanziell unterstützt.

Die Eltern, 4 Schwestern des BF im Alter zwischen XXXX , sowie die Ehefrau des BF, geb. im Jahr XXXX , leben noch im Herkunftsstaat. Der BF hat etwa einmal die Woche Kontakt zu seinen Eltern und alle 2-3 Tage Kontakt zu seiner Ehefrau über Whatsapp. Die Ehefrau des BF lebt bei ihrer eigenen Familie und wird von der Familie des BF finanziell unterstützt. Die Familie des BF verfügt über ein Auto, eine Eigentumswohnung, wo seine Familie lebt und ein 21 Hektar großes Grundstück, auf welchem sie Landwirtschaft betreiben und wovon sie leben. Der BF verfügt auch noch über zwei Onkeln und eine Tante vs., 5 Onkel und zwei Tanten ms., sowie 20-25 Cousins und Cousinen in Syrien.

Dass der Bruder des BF, XXXX , ca. XXXX Jahre alt, tatsächlich zurzeit im Libanon lebt, kann nicht festgestellt werden.

Ein Onkel des BF, XXXX , lebt in der Schweiz. Der BF hat seit seiner Einreise nach Österreich 2 Mal mit diesem telefoniert. Der BF hat keine Verwandten im Bundesgebiet.

Der BF verließt seine Heimat im Jahr 2020 illegal über die Türkei, Griechenland und Serbien. Er reiste spätestens am 08.01.2021 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 27.05.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde am 23.06.2021 in casu Beschwerde erhoben. Die übrigen Spruchpunkte sind am 31.05.2021 in Rechtskraft erwachsen. Die Aufenthaltsberechtigung des BF als subsidiär Schutzberechtigter wurde mittlerweile einmalig verlängert. Der BF verfügt im Bundesgebiet über keine Familienangehörigen.

Derzeit befindet sich der BF nicht in ärztlicher Behandlung. Er ist gesund.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist persönlich unglaubwürdig.

1.2. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:

In Syrien besteht ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Der BF war im Zeitpunkt seiner Ausreise im wehrpflichtigen Alter und befindet sich mit seinen 26 Jahren im gesetzlich vorgesehenen Wehrdienstalter. Der wehrdienstpflichtige BF hat seinen Wehrdienst bereits abgeleistet. Folglich droht dem BF keine Gefahr, durch das syrische Regime wegen Entziehung vom Militärdienst bzw. Wehrdienstverweigerung als oppositionell gesinnt eingestuft zu werden.

Die Provinz XXXX ist seit Juli 2018 wieder unter Kontrolle der syrischen Armee, zuvor wurde sie durch syrische bewaffnete oppositionelle Gruppen (früher als Freie Syrische Armee – FSA) kontrolliert. Dem BF droht daher keine zwangsweise Rekrutierung durch einen anderen Akteur (etwa durch die Freie Syrische Armee oder kurdische Milizen) und läuft er auch nicht Gefahr, von diesen verfolgt zu werden.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der BF jemals an (exil-) politischen, gegen das syrische Regime gerichteten Aktivitäten, innerhalb oder außerhalb seines Landes teilgenommen hat, weshalb er mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Syrien keine aktuell unmittelbare und ihn persönlich betreffende konkrete Verfolgung oder Bedrohung durch das Regime oder durch sonstige Gruppen wegen einer – ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung zu befürchten hat.

Aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich droht dem BF im Herkunftsstaat keine Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bzw. einer Verfolgung von asylrelevantem Ausmaß bedroht zu werden.

Der BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Dem BF droht keine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise aus seinem Herkunftsstaat.

1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in Syrien:

1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 6 vom 27.04.2022, wiedergegeben:

„[…]

Politische Lage

Letzte Änderung: 08.04.2022

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, stellt die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten dar (FH 3.4.2020).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen ("Shabiha"). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung wie Arbeiter- und Frauenorganisationen hat (USDOS 30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 4.3.2020). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).

Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbullah üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus (FH 4.3.2020).

[…]

Wahlen

Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien zu "managen" und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren. Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens lebten (COAR 27.7.2020). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Baʿath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und erhielten 70% der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Baʿath-Partei verbündet sind, und an nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020).

Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt kein Al-Jumhuriya.net Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative KandidatInnen standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Baʿath-Partei (AAN/MEI 24.7.2020). Somit ist die Reihung auf der Liste durch das Regime und die Nachrichtendienste wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen (BS 23.2.2022).

Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie in einigen syrischen Botschaften Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1 % (78 % Wahlbeteiligung, ÖB 1.10.2021) gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und als "betrügerisch", und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).

Der politische Prozess gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unter Ägide der Vereinten Nationen stagniert, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Blockadehaltung des jegliche Zugeständnisse verweigernden Regimes. Dieser Stillstand betrifft neben den Verhandlungen in Genf auch die von Russland zusammen mit der Türkei und dem Iran ins Leben gerufenen Gesprächen im sogenannten "Astana-Format" (AA 29.11.2021).

Gebietskontrolle

Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). […] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).

Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). […]

Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).

Nordost-Syrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird mittlerweile von der Türkei und von mit ihr alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020). […]

Der militärische Arm der PYD, die YPG, ist die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 30.3.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert (ÖB 1.10.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, weil die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019). […]

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind. Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD bei der Entscheidungsfindung offensichtlich (BS 29.4.2020). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD ist weniger gewalttätig in ihrer Repression, übt aber eine strikte Kontrolle in ihrem Einflussbereich aus (BS 23.2.2022). Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP (Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak) nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt nämlich als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 08.04.2022

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).

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Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a). (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022).

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Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).

Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).

Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).

In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-­Terror­-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des "Institute for the Study of War" zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).

Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).

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Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).

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Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien

Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OVCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021).

Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)

Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021).

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Versöhnungsabkommen

Letzte Änderung: 22.04.2022

Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021).

Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 30.3.2021).

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Nordwest-Syrien

Letzte Änderung: 22.04.2022

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Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019).

Viele IS­-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra­-Front anzuschließen, heute als Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara'a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020). Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5 Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vgl. ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnachso, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlib zu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022)

Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 4.12.2020). Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation 'Spring Shield' mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Die Offensive des syrischen Regimes auf das Gebiet von Idlib hatte eine hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zur Folge (UNSC 28.2.2020). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben, und es kam zu einer massiven humanitären Krise (UNOCHA 17.2.2020, vgl. OHCHR 18.2.2020).Entlang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib (UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021).

Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen [Anm.: Stand September 2021] war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 1.10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe zielten immer wieder im Lauf von 2021 auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF 13.12.2021, HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in Idlib Luftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL 2.1.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022)

Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra's al-'Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra's al-'Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).

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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien

Letzte Änderung: 22.04.2022

Operation "Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).

Operation "Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")

Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation "Olive Branch" die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).

Operation "Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) komme (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 4.12.2020).

Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).

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Operation "Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")

Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die Operation "Spring Shield" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021).

Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Zusammenstöße zwischen den Fraktionen der SNA finden oft aufgrund von Konkurrenz um Ressourcen und Einfluss statt (TCC 18.2.2021). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG). Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021).

Nordost-Syrien

Letzte Änderung: 22.04.2022

Mit Stand Ende Dezember 2021 befanden sich die Gouvernorate al-Hassakah und ar-Raqqa sowie Teile von Deir Ez-Zour nördlich des Flusses Euphrat und Teile des Gouvernements Aleppo um Manbij und Kobanê sowie das Gebiet um Tal Rifa'at unter der Kontrolle der kurdisch geführten SDF [Anm.: Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte] (Liveuamap 20.12.2021; vgl. EASO 7.2021).

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Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zu schaffen [Anm.: s. Abschnitt zu den türkischen Militäroperationen] (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 4.12.2020). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus (ÖB 1.10.2021). Die kurdischen, sogenannten "Selbstverteidigungseinheiten" (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation sog. Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Partei PYD (Democratic Union Party) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK (Kurdische Arbeiterpartei) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 4.12.2020). […]

Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt (AA 4.12.2020). Die Türkei stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB 1.10.2021). Nach wie vor kommt es trotz der am 22.10.2019 in Sotschi zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenruhe immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen am Rande der türkisch kontrollierten Zone zwischen pro-türkischen Milizen und Einheiten der SDF, insbesondere an den Rändern der türkisch kontrollierten Zone im Raum um Tal Tamar rund 30 km südlich von Ra's al-'Ayn sowie südlich von Tal Abyad (AA 4.12.2020; vgl. USDOD 4.11.2021). Von Tal Abyad und Ra's Al­-'Ayn aus hält der Beschuss kurdischer Stellungen laut Fabrice Balanche an, ebenso die Angriffe im äußersten Nordosten der von den SDF gehaltenen Gebiete, nahe der Grenze zum Irak. Die Türkei will das Vertrauen in die Autonomieverwaltung in Nordost-Syrien zerstören. Die Offensive fordert bislang zwar nur wenige Todesopfer. Aber es geht der Türkei darum, Angst zu schüren, Menschen zur Flucht zu drängen und Investitionen zu blockieren. Vor vier Jahren war Kobane demnach noch eine dynamische Stadt, in welcher der Wiederaufbau lief. Die Menschen kamen aus Irakisch­-Kurdistan zurück, weil es Arbeitsplätze gab. Jetzt ist Kobane laut Balanche eine sterbende Stadt. Wegen des türkischen Beschusses haben die Menschen Angst und fliehen. Die Türkei profitiert auch von der Destabilisierung durch IS-­Angriffe (Zenith 11.2.2022).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen (AN 17.10.2021). Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar (AA 4.12.2020; siehe dazu auch weiter unten). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS gewesen (ICG 18.11.2021), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt (ÖB 1.10.2021), jedoch setzten der IS und seine Schläferzellen 2021 ihre Angriffe in den von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrollierten Gebieten fort und verübten mehrere Anschläge und Attentatsversuche (SOHR 26.12.2021).

Die SDF leiteten mit Unterstützung der internationalen Koalition gegen den IS regelmäßige Sicherheitskampagnen ein, die sich gegen IS-Zellen und Personen richteten, die beschuldigt wurden, "mit diesen Zellen zu verkehren" (SOHR 26.12.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. ICG 18.11.2021, COAR 28.5.2021) und Einrichtungen der Selbstverwaltung (COAR 28.5.2021). Es wurde auch von Angriffen auf Mitarbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zour berichtet (AM 29.12.2021). SOHR dokumentierte im Jahr 2021 [Anm.: bis zum 26.12.2021] neben 135 getöteten Angehörigen der SDF, Asayish [Anm.: die internen Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung], der YPG, YPJ und anderer von den SDF unterstützten militärischen Formationen auch 93 zivile Todesopfer bei IS-Anschlägen (SOHR 26.12.2021). Dem IS gelang es unterdessen, das arabische Viertel von al-Hassakah zu infiltrieren, und die dortige Bevölkerung meldete dies nicht der Polizei (Zenith 11.2.2022).

Am 20.1.2022 griffen Kämpfer des IS das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah an (ANI 26.1.2022). Im Sina'a-Gefängnis befanden sich geschätzte 3.500 inhaftierte IS-Kämpfer wie auch rund 700 Minderjährige, darunter 150 ausländische Staatsbürger, die von ihren Eltern in das selbsternannte Kalifat gebracht worden waren. Vertreter der SDF gaben an, dass IS-Kämpfer, die sich in einem Teil des Gefängnisses verschanzt hatten, Minderjährige als menschliche Schutzschilde verwendet hätten (NYT 25.1.2022). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer, die in den vergangenen Jahren administrative und militärische Positionen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien innegehabt hatten (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022).

Der Angriff löste tödliche Zusammenstöße zwischen den SDF und den IS-Kämpfern aus. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Die Kämpfe zwischen der von den USA unterstützten kurdisch geführten Miliz und IS-Kämpfern weiteten sich auf Stadtteile rund um das Gefängnis im Nordosten Syriens aus. US-Truppen begannen am 24.1.2022, aus der Luft und auch am Boden einzugreifen. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; NYT 25.1.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. In den zehn Tagen andauernden Gefechten starben laut SDF über 500 Menschen, Dreiviertel davon IS-Kämpfer (TWP 24.2.2022). Die geflohenen BewohnerInnen durften danach zurückkehren, wobei es jedoch auch im Zuge der Kampfhandlungen und der Suche nach verschanzten IS-Kämpfern zu Zerstörungen von Privathäusern und Geschäften gekommen war (MPF 8.2.2022). Mit Stand 4.2.2022 war noch nicht bekannt, wieviele Insassen des Sina'a-Gefängnis - einschließlich der Minderjährigen - sich noch in Händen der SDF befanden (HRW 4.2.2022). Rund 550 mutmaßliche IS-Kämpfer waren von den SDF mit Stand 25.1.2022 wieder gefangen genommen worden (MEE 25.1.2022).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nützt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z.B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung (bezüglich IS) zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Der IS verübte zuletzt mehrere koordinierte und ausgeklügelte Anschläge in Syrien und im Irak, was von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen wird, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022).

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Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol mit knapp 60.000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9.000 aus anderen Ländern inkl. Österreich) (ÖB 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen. Die Kurden möchten gemäß Fabrice Balanche nicht länger ohne Unterstützung und unter Lebensgefahr für den Westen deren Terroristen in Schach halten (Zenith 11.2.2022). Human Rights Watch dokumentierte nach eigenen Angaben die Bedingungen in den Unterkünften für ausländische Insassen in al-Hol und Roj, die einer grausamen, erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung gleichkamen, und kritisierte die unbefristete und willkürliche Inhaftierung (HRW 23.3.2021). Hinzukommen steigende Spannungen innerhalb der Lager. Allein in al-Hol gab es im Jahr 2021 mehr als 90 Morde und 40 Mordversuche (OHCHR 9.3.2022).

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Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens. Die Grenze zu Irakisch­-Kurdistan und damit eine wichtige Handelsroute für Nordost-Syrien wurde geschlossen (Zenith 11.2.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie steigende Treibstoffpreise protestiert (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Angesichts der IS-Befreiungsaktion in al-Hassakah übten die USA Druck auf die Autonomieregion Kurdistan im Irak aus, die Grenze wieder zu öffnen (Zenith 11.2.2022).

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Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien

Letzte Änderung: 22.04.2022

Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im März 2021 kontrollierte die Regierung den größten Teil des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama sowie fast alle Hauptstädte der Gouvernements/Provinzen (ISW 26.4.2021). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; SWP 3.2020; FP 15.3.2021; EUI 13.3.2020). Die syrische Regierung hat nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbullah, der iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die National Defence Force (NDF) (USDOS 30.3.2021). Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex. Die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren. Für alle Gebiete gilt weiter, dass eine pauschale Lagebeurteilung nicht möglich ist. Auch innerhalb einzelner Regionen unterscheidet sich die Lage von Ort zu Ort und von Betroffenen zu Betroffenen (AA 29.11.2021).

Die Sicherheitslage zwischen militärischer Situation und Menschenrechtslage

Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Gebiete in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021). Unabhängig von militärischen Entwicklungen kam es im Berichtszeitraum laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021). Dazu gehören Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020). Regierungsnahe Milizen sind zwar nominell loyal gegenüber dem Regime, können aber die Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten oft frei ausbeuten (FH 16.9.2021). In ehemals vom IS kontrollierten Gebieten im Gouvernement Deir ez-Zour sollen sich Milizen an Kriminalität und Erpressung von Zivilisten beteiligt haben (AM 21.12.2020, ICG 13.2.2020). In Gebieten wie Daraʿa, der Stadt Deir ez-Zour und Teilen von Aleppo und Homs sind Rückkehrer mit ihre Macht missbrauchenden regimetreuen Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des sogenannten IS, mit schweren Zerstörungen, oder einer Kombination aus allen drei Faktoren konfrontiert (ICG 13.2.2020). Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021).

Gleichzeitig stellt sich im Zentralraum, insbesondere in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht im Umland von Aleppo), Homs und Hama, die (militärische) Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). Der Westen des Landes, insbesondere Tartus und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im Hinterland von Lattakia kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konflikts von Idlib aus (ÖB 1.10.2021). Die Streitkräfte des Regimes sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Trotz des absoluten Rückgangs der Anzahl von Kampfhandlungen in Folge der Rückeroberung weiter Landesteile ist nicht von einer nachhaltigen Befriedung des Landes auszugehen (AA 29.11.2021).

Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020) und auch 2021 wurde von gelegentlichen Anschlägen berichtet (COAR 25.10.2021). Darunter war z.B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2022 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022).

Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Die Luftangriffe wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 1.10.2021; vgl. AA 4.12.2020, UNHCR 14.8.2020). Im November 2021 wurde von zwei israelischen Angriffen auf Ziele in der Umgebung von Damaskus berichtet (NPA 3.11.2021). Im Dezember 2021 führte Israel zwei Luftschläge auf den Hafen von Lattakia durch, welche mutmaßlich Warenlager von Iran-nahen Milizen zum Ziel hatten und erhebliche Sachschäden verursachten (Times of Israel 28.12.2021; vgl. MEE 7.12.2021). Der Hafen von Latakia ist der wichtigste Hafen der syrischen Regierung (MEE 7.12.2021). Über ihn wird ein Großteil der syrischen Importe in das vom Krieg zerrüttete Land gebracht (Times of Israel 28.12.2021). Rund 25 km vom Hafen entfernt liegt die russische Luftwaffenbasis Hmeymim [Khmeimim]. Russland verfügt außerdem über ein umfangreiches Marinekontingent, das im syrischen Hafen Tartus stationiert ist und die russischen Luft- und Bodenoperationen im Land unterstützt (RFE/RL 14.9.2021; JP 7.12.2021).

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Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 22.04.2022

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichteten jedoch von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung vermeintlicher Oppositioneller einsetzten, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und sogar schon vor 2011 dokumentiert wurde. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen (SHRC 24.1.2019).

Das Auswärtige Amt fasst die Haftbedingungen in Syrien als "unverändert grausam und menschenverachtend" zusammen. Dies ist allgemein der Fall, gilt jedoch besonders für diejenigen Haftanstalten, in denen DissidentInnen und sonstige politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.11.2021). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände danach aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.11.2021). NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet (USDOS 30.3.2021). Unter den von der UN Commission of Inquiry (COI) dokumentierten Fällen waren die jüngsten betroffenen Buben und Mädchen elf Jahre alt (HRW 13.1.2022). Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. (AA 29.11.2021; vgl. bzgl. eines konkreten Falles Üngör 15.12.2021).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). SNHR schätzt die Gesamtzahl der verschwunden gelassenen Personen auf mindestens 100.000, hinter fast 85% dieser steckt das Regime (HRW 13.1.2022). Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021).

In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 1.10.2021).

Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen, darunter 181 Kinder und 93 (erwachsene) Frauen, durch Folter durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021). Im gesamten Jahr 2021 zählte SNHR insgesamt 104 Todesopfer aufgrund von Folter (SNHR 1.1.2022). Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen. (AA 29.11.2021). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekannt macht: Im Jahr 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt nicht die sterblichen Überreste der Verstorbenen an die Familien (HRW 14.1.2020).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Gefängnissen sind jedoch keine Neuerungen der Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Am 4.11.2020 ließ die syrische Regierung 60 Personen aus Gefängnissen im südlichen Syrien und Damaskus frei (HRW 13.1.2022).

Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (NMFA 7.2019). Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen erstmals das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.11.2021).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen (USDOS 30.3.2021). Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung (USDOS 11.3.2020). Auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nutzten in ihren Haftanstalten Folter, um Geständnisse zu erhalten - oft als Rache und basierend auf ethnischen Vorurteilen. Der Menschenrechtsmonitor, Syrian Network for Human Rights, konnte im Jahr 2020 zumindest 14 Todesfälle aufgrund von Folter und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung in den Haftanstalten der SDF dokumentieren (SNHR 26.1.2021).

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Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 25.04.2022

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Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung: 25.04.2022

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).

Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).

Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).

Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).

Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).

Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).

Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]

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Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes

Letzte Änderung: 25.04.2022

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021 vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).

Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten

Christliche und muslimische Geistliche können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).

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Amnestien mit folgendem Militärdienst

Letzte Änderung: 25.04.2022

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020).

Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Im Laufe des Jahres 2019 häuften sich Berichte über Regimekräfte, die gegen frühere Amnestievereinbarungen verstießen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen durchführten, die sich auf Zivilisten und ehemalige Angehörige bewaffneter Oppositionsfraktionen in Gebieten konzentrierten, die zuvor Versöhnungsvereinbarungen mit dem Regime unterzeichnet hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. DIS 5.2020). Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert, und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).

Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]

Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen AA 29.11.2021).

Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).

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Wehrdienstverweigerung/Desertion

Letzte Änderung: 25.04.2022

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).

Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).

Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).

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Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).

Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).

Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).

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Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).

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Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).

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Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Letzte Änderung: 25.04.2022

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 1.7.2021). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).

Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 6.2021).

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Nordost-Syrien

Wehrpflichtsgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“

Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsieht, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in der YPG dient. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 29.11.2021). Einer anderen Quelle zufolge dauert der Wehrdienst sechs Monate mit Ausnahme des Zeitraums Mai 2018 bis Mai 2019, als dieser zwölf Monate umfasste (EUAA 11.2021).

Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Selbst einige Beschäftigte im Bildungssektor sind von diesen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht ausgenommen, obwohl sie im Besitz von Dokumenten für eine Befreiung sind (EB 12.7.2019). Laut Medienberichten waren insbesondere Lehrer von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen betroffen (AA 29.11.2021).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB 29.9.2020). Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst auf 15 Monate. Spät eintreffende Wehrdienstpflichtige müssen einen Monat länger Wehrdienst leisten (EUAA 11.2021).

Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, weil die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017). Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Mehrfach ist es dazu gekommen, dass Männer von der YPG rekrutiert wurden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] leisten (AA 29.11.2021), wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 29.11.2021; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR 29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).

Proteste gegen die Wehrpflicht

Das Gesetz stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung. Sie haben mehrfach gegen die Zwangsrekrutierungen demonstriert, insbesondere viele junge Männer, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021).

Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 25.04.2022

Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich trotz eines messbaren Rückgangs der gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht verbessert (AA 29.11.2021). Laut UN-Menschenrechtsrat erlaubt die Situation in Syrien unter Einbeziehung der Menschenrechtslage keine nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen (UNHRC 13.8.2021). Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) vom 8.2.2022 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht von z.B. Angriffen auf die Zivilbevölkerung über Folter bis hin zur Beschlagnahmung des Eigentums von Vertriebenen (UNHRC 8.2.2022). Human Rights Watch (HRW) bezeichnet einige Angriffe der russisch-syrischen Allianz als Kriegsverbrechen, die möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen (HRW 13.1.2022).

In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich am Fehlen freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).

Es gibt erhebliche Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten mit einem in sich geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten (BS 29.4.2020). Konfessionelle und ethnische Zugehörigkeit, der Herkunftsort, der familiäre Hintergrund, etc. entscheiden über den Zugang zu Leistungen und Privilegien - oder deren Vorenthaltung. Dieser Umstand hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 23.2.2022).

Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Probleme, einschließlich der Rechte von und Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen, offizielle Parteien zu gründen, und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften (USDOS 30.3.2021).

Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020). Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt an Frauen und teilweise auch Männern aus (ÖB 1.10.2021).

In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2022). Syrische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen nehmen weiterhin willkürlich Menschen im ganzen Land fest, lassen sie verschwinden und misshandeln sie, auch Personen in zurückeroberten Gebieten, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben (HRW 13.1.2022; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Berichten zufolge zögern Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).

Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko. Auch Kollektivhaft von Angehörigen - auch Kindern - oder Nachbarn ist dokumentiert, fallweise auch wegen als regimefeindlich geltenden Personen im Ausland (AA 29.11.2021). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).

Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.11.2021).

Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021). Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und Verschwundenen mit Stand September 2021 auf rund 150.000. Für das erste Halbjahr 2021 dokumentierte SNHR 972 Fälle willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen, darunter mindestens 45 Kinder und 42 Frauen. Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime. Das Regime macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) (AA 29.11.2021).

Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten. Es findet keine zuverlässige und für die Betroffenen verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Laut UNO ist in derartigen Fällen ein zentralisiertes Muster von Verlegungen in den Raum Damaskus erkennbar. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt. Häufiger werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, zu denen Familienangehörige und Anwälte in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Zugang haben. In vielen Fällen bleiben die Personen hiernach verschwunden. Unterrichtungen über den Tod in Haft erfolgen häufig nicht oder nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern, eine Untersuchung der tatsächlichen Todesumstände erfolgt in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen zu Stillschweigen verpflichtet. Die VN und IKRK haben unverändert keinen Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste und erhalten keine Informationen zum Verbleib von Verschwundenen (UNHRC 11.3.2021).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 30.3.2021).

Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen

In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UN-Kommission zu Syrien (CoI), dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten ausdrücklich nicht andere Konfliktparteien entlaste. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u.a. Free Syrian Army, Syrian National Army, Syrian Democratic Forces) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählten für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Insbesondere in den Fällen der Free Syrian Army, HTS bzw. Jabhat al-Nusra, sowie IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNHRC 11.3.2021).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden, und Zwangsräumungen von Häusern auf der Grundlage der konfessionellen Identität, verantwortlich (USDOS 30.3.2021).

Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden. Die HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der „Deeskalationszone“ Idlib dort auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen „Errettungsregierung“ aufgebaut. Auch unterhält die HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Scharia anwendet, sowie eigene Haftanstalten (AA 29.11.2021). In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten wurden exekutiert (ÖB 1.10.2021).

In Idlib verhaftet Hay'at Tahrir al-Sham AktivistInnen, MitarbeiterInnen humanitärer Organisationen sowie HTS kritische ZivilistInnen. Im ersten Halbjahr waren laut Syrian Network for Human Rights mindestens 57 Personen Ziel willkürlicher Verhaftungen durch HTS. In einigen Fällen verhängte HTS die Todesstrafe ((HRW 13.1.2021)). Berichtet werden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden „unmoralisches Verhalten“ wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet und 120 verletzt wurden (AA 29.11.2021) Die HTS greift in vermehrtem Ausmaß in alle Aspekte zivilen Lebens ein, z.B. durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen, Vorschreiben von Kleidungsvorschriften und Frisuren sowie durch die wahllose Einhebung von Steuern und Geldbußen. Sie beschlagnahmte auch viele Häuser und Immobilien von ChristInnen (HRW 13.1.2021).

Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der CoI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch Mitglieder der HTS, auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021)

Nach der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Nordosten Syriens müssen die kurdisch geführten Behörden und die US-geführte Koalition noch Entschädigungen für zivile Opfer leisten, Unterstützung bei der Ermittlung des Schicksals der vom IS Entführten anbieten und sich angemessen mit der Notlage von mehr als 60.000 syrischen und ausländischen Männern, Frauen und Kindern befassen, die auf unbestimmte Zeit als IS-Verdächtige und als deren Familienmitglieder unter schlechten Bedingungen in geschlossenen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden (HRW 13.1.2022).

In den von der Türkei besetzten Gebieten verletzen die Türkei und lokale syrische Gruppierungen ungestraft die Rechte der Zivilbevölkerung und schränken ihre Freiheiten ein. Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der Syrian National Army (SNA) sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen. Mit Dezember 2019 hatten die türkischen Behörden und die mit der ihre verbündete bewaffnete Gruppe - die Syrian National Army (SNA) - mindestens 63 syrische Staatsbürgerinnen verhaftet und illegalerweise in die Türkei verbracht. Dort stehen sie wegen Anklagen vor Gericht, die lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen könnten. Fünf der 63 SyrerInnen wurde bereits im Oktober 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt. In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen (HRW 13.1.2022). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut CoI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021).

Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021). Die SDF führen Massenverhaftungen von ZivilistInnen, darunter AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen, durch. In der ersten Jahreshälfte 2021 belief sich die Zahl der Verhafteten laut Syrian Network for Human Rights auf 369 Personen (HRW 13.1.2022). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).

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Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Letzte Änderung: 25.04.2022

Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 30.3.2021). Landesweit wurden zahlreiche Checkpoints eingerichtet. Überlandstraßen und Autobahnen werden zeitweise gesperrt (BMEIA 5.4.2022). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land (AA 5.4.2022). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile von einander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte "Versöhnungskarte" vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Listen. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019).

Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019), bzw. ziemlich willkürlich, sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). In den Gebieten des Regimes verlangen die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste für eine sichere Passage durch ihre Checkpoints Bestechungsgeld. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben. Die ungefähr fünf Kontrollpunkte werden von verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats betrieben. Rückkehrende aus dem Libanon bezahlen Schmuggler, um die Checkpoints zu umgehen (HRW 20.10.2021).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken waren abgeschnitten (COAR 5.7.2021 - für nähere Informationen siehe Unterkapitel "Südsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage").

Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. Die HTS griff systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, belästigte unbegleitete Frauen und verwehrte ihnen unter Androhung von Haft den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen (USDOS 30.3.2021).

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Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Letzte Änderung: 25.04.2022

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 30.3.2021). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 30.3.2021).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).

Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 30.3.2021).

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Rückkehr

Letzte Änderung: 25.04.2022

Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten blieb im Berichtszeitraum unverändert. Gemäß Berichte von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).

Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).

Hindernisse für die Rückkehr

Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).

 

Die katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 10.2021). Viele Menschen haben ihre Häuser zurückgelassen, die mittlerweile von jemandem besetzt wurden. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst (mukhabarat) auf sie hetzen, und sie so Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021).

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung gesehen als Leute, die davon gelaufen sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021, Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich "sauber" sind, mit dem Ziel daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021). Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).

Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Neben den fehlenden sozio-ökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB 10.2021). Die Meinungen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern sind uneinheitlich. Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, da es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden, im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat auf Social Media), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen nicht sehr ernst oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein "erweitertes Syrien", und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021). Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als "Krankheitserreger" sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).

Laut Fabrice Balanche kann man, wenn man der Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht zurückkommen, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für politische Flüchtlinge. Auch besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021). Laut Khaddour sind Entführungen, um Geld zu erpressen, nur individuelle Akte (Khaddour 24.12.2021).

Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut UNMAS sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 % der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben. Zwei Drittel der Überlebenden sind lebenslang eingeschränkt. 39 % der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 % auf landwirtschaftlichen Flächen, 10 % auf Straßen oder am Straßenrand. 26 % der Opfer seit 2019 waren Binnenvertriebene IDPs (ÖB 10.2021).

Die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums lässt sich weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus als Indikator beschränken, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen können nach geografischen Kriterien daher weiterhin nicht getroffen werden. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann insofern für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe nach Einschätzung des Auswärtigen Amts grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden (AA 29.11.2021).

[…]

Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern

Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang UNHCRs und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozess sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist (AA 29.11.2021). Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Auch im Jahr 2020 gewährte das Regime dem UNHCR weiterhin nur stark eingeschränkten Zugang nach Syrien. UNHCR war daher weder in der Lage, eine umfassende Überwachung der Situation von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherzustellen, noch den Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten (AA 4.12.2020). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat haben immer wieder Personen verfolgt, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021).

Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Kontrollpersonals oder praktische Probleme wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der ICG berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Aus Daten, die im Rahmen des UN-Systems erhoben wurden, geht hervor, dass 14 % der mehr als 17.000 befragten Binnenvertriebenen- und Flüchtlingsrückkehrerhaushalte während ihrer Rückkehr im Jahr 2018 angehalten oder inhaftiert wurden. Von dieser Gruppe wurden 4 % für mehr als 24 Stunden festgehalten. In der Gruppe der Flüchtlinge (die ins Ausland geflohen sind) wurden 19 % festgehalten. Diese Zahlen beziehen sich speziell auf die Heimreise und nicht auf Inhaftierungen in den Wochen und Monaten danach (EIP 6.2019). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).

Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).

Rückkehr an den Herkunftsort

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).

Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020). Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020).

Übereinstimmenden Berichten von VN und Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) und Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn,- Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020).

Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019).

[…]

Bedingungen der Rückkehr

Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt - auch bei den Flüchtlingen selbst. Da al-Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).

Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzversprechen

Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Leuten, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group (ICG) stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete der DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl haben und keine Probleme mit dem Regime auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z.B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht. Es sind jedoch viele Fälle bekannt, bei denen Personen inhaftiert wurden, die offiziell nicht vom Regime gesucht wurden, und die Sicherheitsüberprüfung gemacht hatten, zum Teil um Geld zu erpressen (Balanche 13.12.2021). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, und vereinzelte Fälle von Tod in Haft (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021).

Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. Syrer aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.) stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsüberprüfung zu bekommen und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichten müssen (Üngör 15.12.2021).

Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021, Khaddour 24.12.2021). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021).

"Versöhnungsanträge"

Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten dem EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. "wasta") herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).

Rückkehrverweigerungen

Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Einige Beobachter und humanitäre Helfer geben an, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018; SD 16.1.2019).

Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen

Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).

Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).

Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass die Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung für Betroffene wie Dritte extrem komplex bis unmöglich ist. Rückkehrende sehen sich mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass eine positive Sicherheitsüberprüfung keine Garantie für eine sichere Rückkehr ist. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits auch dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, absolut betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (AA 29.11.2021)

Exilpolitische Aktivitäten, bzw. nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung über im Ausland lebende Syrer und Syrerinnen

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).

Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines Taqrir (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).

[…]“

1.3.2. EASO Information Report „Syria Situation of Returnees from abroad“, Juni 2021:

„[…]

1. Overview of the patterns of return

1.1 Introduction

In November 2020, the GoS hosted an international conference in Damascus on the return of refugees to Syria. Prior to the controversial two-day event, which was sponsored by Russia, Russia’s President Vladimir Putin claimed that large parts of Syria were relatively peaceful, urging Syrian refugees to come back home and rebuild the war-torn country. About twenty countries sent representatives to attend the conference, including Russia, Iran and China. The EU boycotted the event, arguing that the situation in Syria was not conducive to a safe, voluntary, dignified and sustainable return of refugees. To make its stance clear, the EU pointed out that the Syrian authorities continued to violate human rights, including forced conscription, indiscriminate detention, forced disappearances, torture, physical and sexual violence and discrimination in access to housing, land and property (HLP). Thus, the EU regarded the conference on return as premature. UNHCR and the US also boycotted the event.

1.2 Return from the EU

Eurostat’s database does not provide statistics on how many Syrians and stateless persons from Syria have returned from the EU to Syria in 2020. The available information about Syrians returning from the EU to Syria is scant and remains anecdotal and fragmented in nature. In 2020, for instance, 137 Syrian refugees returned voluntarily from Denmark to Syria, each receiving about GBP 22 00013 from the Danish government. Denmark is home to 35 000 Syrians. During the same year, ten Syrian nationals invoked the assistance of the Repatriation and Departure Service, which is part of the Netherlands Ministry of Justice and Security, to return voluntarily from the Netherlands to Syria. The Netherlands are home to 77 000 Syrians. All ten returnees flew to Damascus. Eight of them received additional support from Solid Road, a Dutch NGO supporting (former) asylum seekers and people without residence permits to return voluntarily from the Netherlands to their country of origin. According to Solid Road, these eight returnees had grown disillusioned about finding a place in Dutch society. All of them originated from Damascus and returned to the capital of Syria, travelling on a Syrian national passport. Five returnees constituted one nuclear family, comprising two parents and three underage children. When renewing their passports at the Syrian Embassy in Brussels, Belgium, they had to sign a declaration stating that they had left Syria because of the war situation, not because of the Syrian authorities. As far as is known, the other three returnees did not have to sign such a statement. Upon arrival at the airport in Syria, the authorities asked the returnees routine-like questions such as: ‘Where do you come from? Why have you fled? Why have you returned?’ As of 12 March 2021, none of the returnees reported any personal problems with the Syrian authorities to Solid Road.

Unlike the returnees mentioned above, most Syrian refugees in the EU do not consider returning to Syria in the (near) future. The Day After (TDA)21, for example, conducted a survey among 1 600 Syrians residing in Germany, France, the Netherlands and Sweden. 66.1 % of the respondents indicated that they would not seriously consider returning to live in Syria if conditions become stable. Those who expressed their unwillingness to return to Syria pointed out various barriers to return, including the unavailability of basic services (such as education, health care and social security) and the current GoS that has remained in power. The Netherlands Institute for Social Research conducted a survey among 2 544 Syrians who had been given a residency status based on asylum or family reunification between 1 January 2014 until 1 July 2016. 99.5 % of the respondents indicated their intention to continue residing in the Netherlands in the two forthcoming years. One of the prime reasons for Syrians to remain in the Netherlands is the country’s security, according to the findings of the aforementioned survey.

On 11 March 2021, the European Parliament adopted a resolution on the Syrian conflict, concluding that ‘Syria is not a safe country to return to.’ In addition, the resolution called upon all EU Member States ‘to refrain from shifting national policies towards depriving certain categories of Syrians of their protected status and to reverse this trend if they have already applied such policies’.

1.3 Return from neighbouring countries

1.3.1 Introduction

Like the Syrian refugee population in the EU, most Syrian refugees in the neighbouring countries do not consider to return to Syria in the near future. Between February and March 2021, UNHCR conducted a survey among 3 201 Syrian respondents in Egypt, Lebanon, Jordan and Iraq. Ninety per cent indicated their intention not to return to Syria within the next twelve months. The three main reasons for not returning were a lack of livelihood/work opportunities, a lack of safety and security and a lack of adequate housing and/or concerns over property/housing. Other reasons for not returning were to avoid the military service and an inadequate provision of basic services. In the following sub-paragraphs, the process of return from Turkey, Lebanon and Jordan, which are the neighbouring countries harbouring the largest Syrian refugee populations, will be discussed in more detail.

1.3.2 Return from Turkey

In mid-October 2020, the Turkish Minister of Interior stated that over 414 000 Syrians had returned voluntarily to Syria. He attributed this development to Turkey’s cross-border military interventions in Syria, which had created a so-called ‘safe zone’ controlled by Turkey and its Syrian allies. The Minister did not make clear, however, whether the Syrians who had been ‘resettled’ in this buffer zone alongside the Turkish-Syrian border actually originated from this area. UNHCR recorded 16 805 voluntary returns from Turkey to Syria in 2020 and 5 124 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.

During the report’s reference period, sources reported that Syrians were forcibly returned by the Turkish authorities to Idlib, a governorate in north-western Syria which is largely controlled by Hayat Tahrir al-Sham (HTS), a jihadist organisation. The Turkish authorities denied having deported Syrians to Syria and during the report’s reference period, Turkey reaffirmed its commitment to a safe and voluntary return of Syrians to Syria.

Studies showed that there is a strong desire among the Syrian refugee population in Turkey to return to Syria at some point in the future. In April 2020, TDA published a survey report about perceptions on return to Syria among Syrian refugees in Turkey. Having conducted a survey among 2 002 Syrian citizens, it turned out that 74 % of the respondents desired to return to Syria in the future. However, the survey also made clear that those who desire to return to Syria would only like to do so on particular conditions. Of the 74 % who wanted to return to Syria, 71 % stated that their return must be to the place of origin within Syria (returning to one’s place of origin is not always possible as will be discussed in Section 4.1: Access limitations to areas of return). About the same percentage (70 %) indicated that they would return to Syria provided the current GoS has been overthrown. 60 % would return to Syria provided the war has come to an end.

1.3.3 Return from Lebanon

The majority of Syrians in Lebanon have not complied with the Lebanese residency requirements. During a survey among 579 Syrians in Lebanon, Refugee Protection Watch (RPW) found out that 58.4 % of the respondents did not enjoy legal residency in Lebanon. For Syrians in Lebanon there are several ways to return to Syria, including self-organised returns and group returns organised by the General Security Office (GSO) of the Lebanese Ministry of Interior. The last GSO-organised group return took place on 13 February 2020. Another actor that has been involved in organising returns from Lebanon to Syria is Hezbollah, a militant Shia movement that is allied to the GoS and the military wing of which has been designated as a terrorist organisation by the EU. Sources noted that there is little information available about procedures and practicalities of the Hezbollah-facilitated returns.

There are several obstacles for Syrians to return from Lebanon to Syria, one of them being the challenge to regularise one’s residency status to legally exit Lebanon. As mentioned previously, most Syrians in Lebanon have not regularised their residency status. In order to leave the country legally, members of this group need to pay a fee for each year having overstayed their residency permit, amounting to 300 000 Lebanese Pound (LBP) per year (according to CoinMill46, an online currency convertor, LBP 300 000 amounted to EUR 166.47 on 12 March 2021). Those who officially entered Lebanon before 5 January 2015 and overstayed their residency permits will not receive a re-entry ban upon exiting the country. Those who entered Lebanon after 5 January 2015 and overstayed their residency permits will receive a re-entry ban for one year upon leaving the country. Those who fail to pay the fee for having overstayed their residency permits are allowed to exit Lebanon, but they will be issued a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. All returnees who have entered Lebanon illegally need to pay a fine for their illegal entry, amounting to LBP 600 000, and will be given a permanent re-entry ban, which in practice is issued for a period of five years. An anonymous source, however, remarked that the application of the aforementioned regulations seems to be inconsistent at times.

The mandatory security check constitutes another obstacle to overcome. When participating in a GSO-facilitated return, the GSO will conduct a security check in conjunction with the Syrian authorities, forwarding the returnee’s personal details to the Syrian authorities. The latter subsequently informs the GSO which persons have received a security clearance. The publicly available percentages of rejected and approved applications vary. In September 2018, the GSO’s General Director stated that on average 10 % of the applicants are denied security clearance by the Syrian authorities. During an interview with the International Crisis Group (ICG) in August 2019, however, a senior Lebanese security official stated that the average approval rate is around 80 %. A journalist and humanitarian agency researcher told ICG that for applicants hailing from opposition strongholds, the approval rate is nearly zero.

Another obstacle is the compulsory fee to be paid to the Syrian authorities when entering Syria. Each Syrian national entering Syria must exchange USD 100 for Syrian pounds (SYP) at the official rate. This decision was issued by the GoS on 8 July 2020 and took effect as of August 2020. Minors as well as truck and public vehicle drivers are said to be exempted from this compulsory measure. However, according to one anonymous source, effective implementation of these exemptions is still pending and therefore it remains unclear if and how this will be applied in practice.

The COVID-19 pandemic also obstructed the process of return from Lebanon to Syria. On 22 March 2020, the Syrian authorities closed the land crossings between Lebanon and Syria. As a result, Syrians who had left Lebanon got stuck in the buffer zone between both countries. The numbers of stranded returnees in no man’s land vary between 7 000 and 13 000 individuals. From time to time, the Syrian authorities would arbitrarily allow some returnees to enter Syria and go into quarantine. Some groups of returnees remained stuck between the Lebanese and Syrian border crossings for weeks, facing a lack of food and water. Some did not wait to be allowed entry by the Syrian authorities and sought to enter Syria illegally instead. At the time of writing, there were no reports of Syrians being stuck at the Lebanese-Syrian border.

The GSO has not published any figure in regard to returns in 2020. UNHCR recorded 9 351 voluntary refugee returns from Lebanon to Syria in 2020 and 762 voluntary refugee returns during the first three months of 2021. However, the extent to which these returns are truly ‘voluntary’ in nature has been questioned. During the report’s period of reference, Lebanon was struck by a series of setbacks: the COVID-19 pandemic, the Beirut Port explosion and financial, economic and political crises. Syrian refugees were among the most vulnerable and impoverished groups in Lebanese society, since many had neither legal residency nor a durable income. According to an assessment made by three UN branches, the percentage of Syrian refugee households living under the extreme poverty line increased to 89 % in 2020. The same survey made clear that half of the Syrian refugee population in Lebanon was food insecure. Facing unemployment, food insecurity and discrimination, some Syrians in Lebanon felt they had no choice but to return to Syria.

1.3.4 Return from Jordan

UNHCR recorded 3 466 voluntary refugee returns from Jordan to Syria in 2020 and 1 345 voluntary refugee returns during the first three months of 2021.69 Sources also reported on cases of Syrians who were forcibly returned from Jordan, but no information on their treatment in Syria was available. Unlike their Lebanese counterparts, the Jordanian authorities do not organise voluntary group returns for Syrians.

Syrians need to comply with various requirements in order to return from Jordan to Syria. Syrian returnees are required to present a Syrian passport or a Syrian laissez-passer (LP)72 when returning from Jordan to Syria. According to an international humanitarian organisation working in Syria, when a Syrian returnee applies for a passport or LP at the Syrian Embassy in Amman, his/her name will be run into a centralised database to verify whether the person has links to any opposition or ‘terrorist’ groups.

Apart from having a passport or an LP, a returnee needs to obtain a security clearance at the Syrian Embassy in Amman. According to the same international organisation working in Syria, during this security screening, information on the applicant, family members and perhaps extended family is being checked by the Syrian authorities.

In addition, a returnee needs to have a negative polymerase chain reaction (PCR) test result, which is no older than 96 hours. A PCR test can be obtained for free at a Jordanian hospital. Additionally, returnees need to sign a declaration that upon return, they will go into home quarantine for five days. Like Syrians returning from Lebanon to Syria, every adult returning from Jordan to Syria must exchange USD 100 upon return.

A Syrian who has left Jordan on a Syrian LP cannot re-enter Jordan using this type of travel document. Syrian passport holders can (re-)enter Jordan provided they comply with a set of requirements:

• having a valid passport;

• having a security approval;

• having an entry or exit/entry permit.78

2. Consequences of illegal exit and having applied for asylum abroad

2.1 Consequences of illegal exit

Previously, illegal exit from Syria would lead to punishment by means of imprisonment and/or fines. However, on 26 March 2019, the Syrian Ministry of Interior issued circular No. 342, waiving the aforementioned punishment. Having exited Syria illegally, however, remains a matter that needs to be settled through a formal procedure, variously referred to as ‘status settlement’ or ‘security clearance’, prior to one’s return to Syria. This procedure will be discussed in more detail in Chapter 3: GoS return policy and practice.

A Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned explicitly that a person who has exited Syria illegally cannot initiate any legal procedure inside Syria. If a returnee goes back to Syria without having settled his or her illegal exit first, he or she will be sent to a military prison or military security branch straight away, according to the same expert. However, it has also been documented that some returnees who did settle their illegal exit prior to return were nonetheless arrested upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.

2.2 Consequences of having applied for asylum abroad

No unambiguous answer could be found to the question about how those having applied for asylum abroad will be treated upon return. General Naji Numeir, the Chief of the Syrian Immigration and Passports Department, told the DIS during an interview held in November 2018 that returnees would not be prosecuted or arrested upon return for obtaining asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent.

A Syria expert at the European Institute of Peace (EIP) believed that having applied for asylum abroad might be something to settle through a formal procedure which will be discussed in more detail in in Chapter 3: GoS return policy and practice. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC reported that it varies from case to case. This expert knew of former asylum seekers who did not experience any personal problems with the Syrian authorities upon return, whereas other former asylum seekers were either killed or forcibly disappeared by the Syrian authorities upon return. For more information about the treatment of returnees, please read Chapter 5: Treatment upon return.

2.3 Monitoring of the Syrian diaspora by the Syrian authorities

It has been established by several sources that Syrians abroad are to a certain extent monitored by the Syrian authorities. SJAC, for instance, obtained Syrian government documents, exposing that the Syrian embassies in Spain and Saudi Arabia were involved in collecting information about dissident members of the Syrian diaspora and forwarding this information to various intelligence directorates in Syria. According to a Syria expert at the EIP, activists and civil society organisations are extensively monitored by the Syrian authorities.

According to a Syria expert at the EIP, Syrians in the diaspora are being monitored in two ways: informally and formally. The informal way of monitoring involves individuals reporting others to the Syrian authorities. These informants are not officially employed by the security branches, but report others in order to appear loyal to the GoS. In doing so, they seek to ward off any possible negative attention that might be directed at themselves. The formal way of monitoring involves state institutions like embassies and security branches collecting information about dissident Syrians residing abroad. The source consulted had knowledge of social media accounts and social media groups of Syrians living abroad being monitored by security branches.

Jusoor for Studies states that the Syrian authorities have deployed intelligence agents and informants in the countries of asylum, including the EU and Turkey, to monitor Syrians in the diaspora and report on them on a weekly basis. These agents and informants are affiliated to different security branches: 4th Division Security Bureau, Branch 279 of the General Intelligence Department, Branch 297 of the Military Intelligence Division, the Air Force Intelligence and Branch 300. Thus, according to Jusoor for Studies, political and humanitarian activists who are considering to return to Syria are at great risk.

3. GoS return policy and practice

3.1 Introduction

Returnees from abroad as well as internally displaced persons (IDPs) from opposition-held areas need to be cleared by the Syrian authorities in order to return to government-controlled Syria. Omran for Strategic Studies notes that the government’s security forces require all returnees to attain security permits prior to returning and that many returnees were reportedly arrested for not possessing the requested documents.

In the existing literature on formal returns to government-held Syria two prominent notions come to the fore: ‘security clearance’ (Arabic: muwafaka amniya) and ‘status settlement/adjustment’ (Arabic: taswiyat Wada’). According to the DIS, the application for a security clearance is a process through which the Syrian authorities cross-check whether a person is on any wanted list and is to be considered a security threat, whereas settling one’s status involves a process in which a person settles his/her outstanding security issues with the Syrian authorities, like having left the country illegally, having participated in an anti-government demonstration or having evaded the military service.

The sources consulted for this report, however, mentioned that there was no clear distinction between applying for a security clearance and settling one’s status. If a Syrian residing in a neighbouring country or in an EU Member State wants to return legally to government-held Syria, he or she will have to apply at a Syrian diplomatic mission. During this procedure, which is variously referred to as ‘security approval’ or ‘status settlement’, the applicant is being checked by the Syrian authorities in one way or another. From now onwards, this report will only use the term ‘security clearance’ in a generic way for the purpose of clarity. According to Suhail Al-Ghazi, only those who have left Syria legally, are not wanted by the Syrian authorities, and still possess a valid passport, are not required to apply for a security clearance in order to return to Syria.

It is common practice for those considering to return to Syria to find out first whether they are on any wanted list of Syria’s security branches before applying for a security clearance. They seek to do this through their informal network of personal connections, a practice popularly referred to as wasta. It should be stressed, however, that collecting information through the practice of wasta is not exhaustive. Therefore, if a returnee finds out through wasta that he or she is not wanted by the Syrian authorities, there is no guarantee that he or she will not be arrested and detained upon return.

3.2 The procedure itself

A security clearance can be applied for in two ways. One, the returnee lodges an application at a Syrian embassy or consulate himself or herself. Two, a first-degree relative of the returnee applies on behalf of the returnee inside Syria. The sources consulted gave conflicting information about the government agency where the returnee’s relative is supposed to apply. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi mentioned the Syrian Ministry of Foreign Affairs in Damascus, whereas Urnammu for Justice and Human Rights mentioned the Immigration Department or one of its branches in the governorates.

If a relative in Syria applies on behalf of the returnee, the relative will be required to prove the family ties by submitting a document like a family booklet or a family extract from the civil registry office. The relative is not required to submit a power of attorney.103 Relatives in Syria need to pay a fee. Suhail Al-Ghazi believes that the Syrian Ministry of Foreign Affairs will charge a fee ranging from SYP 5 000 to SYP 15 000 (according to CoinMill, an online currency convertor, SYP 5 000 and SYP 15 000 amounted to EUR 3.35 and EUR 10.06 respectively on 8 April 2021).

As for applications at Syrian diplomatic missions, these are for free, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Suhail Al-Ghazi, although one needs to pay a bribe in order to get an appointment. Urnammu for Justice and Human Rights, however, states that one needs to pay a consular fee amounting EUR 46 when applying for a security clearance at a Syrian diplomatic mission.

To complete the application for a security clearance, so-called ‘return’ or ‘reconciliation’ forms need to be filled out. When filling out such forms, the returnee is required to write down his or her personal details and provide information on whether he or she has participated in any anti-government activities, whether his or her relatives have engaged in any anti-government activities or have been detained, whether he or she knows of any ‘terrorists’ and/or ‘terrorist activities’, and so on. According to a Syria expert at the EIP, these forms constitute an unwinnable situation for applicants. If the applicant answers ‘yes’ to any of the security-related questions asked, he or she will incriminate himself or herself and/or others. However, if the applicant answers ‘no’ to any of the security-related questions, he or she fails to fulfil his or her citizen’s duty to report ‘terrorism’ to the Syrian authorities. After a decade of widespread armed conflict, the authorities will not find it likely that one is not aware of any security threat against the GoS.

Regardless of whether the application has been submitted by the returnee or a relative, it will be forwarded to Syria’s security apparatus. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC specifies that applications for a security approval are being forwarded to the military security branch 291 based in Damascus. The security personnel will check whether the returnee has been involved in (armed) opposition against the GoS, whether the returnee has left the country legally or illegally, whether the returnee has posted and/or liked posts on the social media that are critical of the GoS, whether any of the returnee’s relatives have been detained, and so on.

The duration of an application varies from one month to up to six months. The sources consulted gave contradictory information about the type of document that was given by the Syrian authorities to a returnee upon approval of his or her application. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights, the LP itself served as a document confirming that a security clearance has been granted. Suhail Al-Ghazi, however, stated that the returnee would receive a so-called taswiyat Wada’ document that was stamped by the Syrian Ministry of Interior, having a validity for a period of six to twelve months.

If a relative has applied on behalf of a returnee and the security clearance has been granted, there are two different methods for the returnee to obtain the written approval, according to the sources consulted. According to Suhail Al-Ghazi, the relative will receive a document mentioning the returnee’s name, information and case number. The relative subsequently transmits the relevant data mentioned on this document to the returnee. Upon entering Syria at the airport or over land, the returnee can mention the aforementioned data to the Syrian authorities, which will subsequently print and issue the taswiyat Wada’ document. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, the relative receives the LP and sends it by an express shipping service to the returnee living abroad.

The sources consulted gave conflicting information whether applications for a security clearance would be denied by the Syrian authorities in some cases. Suhail Al-Ghazi, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC and Urnammu for Justice and Human Rights mentioned that the Syrian authorities were not inclined to deny security clearances to returnees. On the contrary, according to these sources, the Syrian authorities would be interested in persuading dissident returnees to come back home only to arrest them upon return; either to quell their anti-government activism or to extort money from their families.

A Syria expert at the EIP, however, had knowledge of Syrian refugees who had their applications rejected. The same expert stated that the reasons for rejecting an application are infinite, including posting and/or liking statements on social media that are critical of the GoS, having a relative in detention, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS, hailing from a former opposition stronghold, and so on. This information seems to resonate with other sources of information. ICG spoke to sources who made it clear that not all applications for a security clearance lodged in Lebanon were approved, as has been discussed in Section 1.3.3 Return from Lebanon. In September 2019, the Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center reported that hundreds of Syrians in Lebanon had applied, yet only a fraction was allowed to return to Syria.

Finally, according to a Syria expert at the EIP and Urnammu for Justice and Human Rights, the processing of applications for a security clearance is an arbitrary and non-transparent affair. Therefore, the precise requirements for obtaining a security clearance remain unclear. Urnummu for Justice and Human Rights mentioned that sometimes a security clearance is issued after a bribe has been given or when the applicant happens to know an influential person within the GoS.

4. Potential obstacles to return

4.1 Access limitations to areas of return

A security clearance granted by a Syrian embassy or consulate to a returnee only serves the purpose of permitting the holder to enter Syria. A security clearance does not guarantee a returnee to physically access his or her place of origin inside government-held Syria. Returning to one’s place of origin inside government-controlled Syria involves another trajectory, which is managed by local power brokers like municipal authorities or local government-supporting militias. Procedures to obtain a permission to enter one’s place of origin vary from place to place and from actor to actor. As local power dynamics are shifting over time, the varying procedures are also subject to change.

To make matters more complicated, a security clearance issued by one government-aligned entity inside Syria may be considered invalid in areas controlled by other government-affiliated entities. This can be attributed to the fragmentation of the government’s security apparatus, limiting mobility to areas controlled by specific government-aligned security entities.

During the report’s period of reference, the UN observed that the Syrian authorities routinely denied Syrians return to their places of origin, most notably in formerly besieged areas that had been retaken by the Syrian armed forces. Some sources stated that some groups of returnees were denied access to a particular area of origin, because of their ethnicity, religion and/or political orientation. Suhail Al-Ghazi, for instance, mentioned that some Iranian-backed militias kept Sunni returnees, who are deemed disloyal to the GoS, out of particular areas in order to alter the area’s demographic composition in favour of the Shia community. It has been reported, for instance, that Hezbollah prevented displaced residents of Sunni origins from returning to Qusair in Homs governorate and Zabadani in Rif Dismashq (Rural Damascus) governorate. Al Jazeera was told by some Palestinian activists that only pro-government Palestinians were allowed by the Syrian authorities to return to Yarmouk, a camp for Palestinian refugees that got largely destroyed by the war. A Legal and Human Rights Adviser at SJAC, however, remarked that swaths of government-held Syria were not accessible to the general public anyhow and that the denial of access to these areas was not only aimed at particular groups of returnees.

Further information on internal mobility and areas within Damascus governorate where access is limited is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

4.2 Civil documentation and nationality

Lacking civil documentation does not necessarily obstruct the process of return itself, according to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC. Those who do not have a passport or whose passport got expired, for instance, can apply for an LP at a Syrian diplomatic mission abroad.

However, a lack of civil documentation can certainly frustrate a returnee upon return when seeking to access government services, initiate legal procedures and file property claims. Family booklets and family extracts, for instance, grant the holder access to public services, including education, health care and emergency assistance. Loss of such documentation could lead to the refusal of the aforementioned services. The Norwegian Refugee Council (NRC) reported that many Syrian refugees living in Turkey, Lebanon, Jordan and Iraq do not possess legal and civil documentation to support their HLP rights, which constitutes a challenge for those considering to return voluntarily to Syria. For more information about HLP rights in relation to return, please read Section 4.3 Housing, land and property rights.

Another issue that could pose a stumbling block to one’s return is Syria’s nationality law. According to Article 21(E) of the aforementioned law, a citizen may be deprived of the Syrian nationality in case it has been established that the person has left Syria illegally for another country which is in a state of war with Syria. A citizen may also be stripped of the nationality if the person has been away for more than three years in a non-Arab country without communicating with the Syrian authorities, according to Article 21(G). When asked about practical implementation of Article 21, a Syria expert at EIP stated that it is unclear which countries the GoS regards itself at war with, but Article 21(E) could be applicable to those having left illegally for Turkey, a country that supports armed actors opposing the GoS. Neither is Syria’s nationality law clear about which countries are regarded as ‘non-Arab’, but according to a Syria expert at EIP, Article 21(G) could apply to returnees coming from Turkey, the EU, the US, Canada and Latin America who have been abroad for more than three years without having communicated with the Syrian authorities. At the time of writing, however, no further information has been found on whether Article 21 of the nationality law was being implemented within the context of return and if so, how and against whom.

Further information on civil documentation is available in Chapter 2 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

4.3 Housing, land and property rights

The government’s violations of Syrians’ HLP rights pose another stumbling block for IDPs and refugees to return. Since 2011, the GoS has enacted a series of laws and administrative decisions to legitimise the expropriation of properties. The GoS, for instance, enacted urban development legislation, purportedly to rebuild or redevelop informal settlements. In reality, however, these urban development projects served as a pretext to evict the pre-dominantly pro-opposition residents from their homes in favour of wealthy elites having close ties to the GoS.

The Syrian authorities also confiscate houses and property of detainees (including those who have not been convicted yet), displaced persons and human rights activists within the framework of anti-terrorism and national security legislation, thus using the seizure of houses and property as a means to target and punish detainees, opponents and human rights activists. The GoS also expropriates houses in order to give to members of the Syrian military and to sell to Iranian militias supporting the GoS.

It has also been reported that government-aligned militias have confiscated houses and properties. For instance, it was reported that Liwa Al-Quds, a pro-government militia consisting of Palestinians, confiscated homes and shops of (perceived) pro-opposition Palestinians in Neirab, a Palestinian refugee camp in the northern governorate of Aleppo. Two years ago, pro-Iranian Shia militias confiscated farmlands near Mayadeen, a city in the eastern governorate of Deir-ez-Zor. Up to now, the original residents cannot enter this farm area harbouring palm and olive groves.

Further information on HLP issues in Damascus governorate is available in Section 3.5 of the EASO COI Report: Syria – Socio-economic situation in Damascus city (April 2021).

5. Treatment upon return

In its April 2020 report on internally displaced persons, returnees and internal mobility, EASO cited various sources stating that returnees had been arrested, detained and tortured by the Syrian authorities upon return, including those who had settled their status. This type of treatment of returnees has continued to be reported by sources consulted during this report’s period of reference. Since the beginning of 2020, for instance, the Syrian Network for Human Rights (SNHR) documented at least 156 cases of arrest of returnees, including 89 cases of arrest targeting returnees from outside Syria.

The sources consulted for this report stressed that obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria. Urnammu for Justice and Human Rights, for instance, has documented cases of returnees who obtained a security clearance prior to return, but were nonetheless subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return.

Moreover, it should be borne in mind that a security clearance merely permits a returnee to enter Syria. In addition to a security clearance, it is common for returnees to receive a written instruction to visit a particular security branch upon return. This type of document is known as Waraket Mourajaa and is either issued to a returnee at a Syrian diplomatic mission or upon entering Syria. Visiting a security branch brings along the risk of getting interrogated, arrested, detained, tortured and/or forced to become an informant, government soldier or pro-government militia member. According to a Legal and Human Rights Adviser at SJAC, this practice puts the returnee in an unwinnable situation. If the returnee presents himself or herself at the security branch in case, he or she might get exposed to serious harm. However, if the returnee does not adhere to the written instruction to visit a security branch, an arrest warrant will be issued against him or her.

Several sources consulted mentioned in the footnotes below confirmed that the Syrian authorities continue to arrest, (temporarily) detain, interrogate, torture and/or pursue returnees by terrorism courts upon return. According to these sources, the following groups are particularly at risk to experience one or more of the aforementioned forms of treatment upon return:

• those having engaged in anti-government protests and/or who are opposition members;

• those whose relatives have engaged in anti-government protests and/are opposition members;

• those having a security record and/or are on a wanted list;

• those having exited Syria illegally;

• those hailing from former opposition strongholds;

• those returning from countries that are deemed hostile to the GoS;

• those who still need to serve in the military;

• women and children whose husband, father and/or brother went missing.

With regard to the Syrian government’s negative perception of those hailing from former opposition strongholds, a Legal and Human Rights Adviser at SJAC mentioned the cases of two returnees who originally came from Damascus. Upon return they received a waraket mourajaa, instructing them to visit a particular security branch. For two months, both returnees were sent from one security branch to another and each time they found themselves paying a bribe in order to avoid arrest. Thus, hailing from an area that has been under government control throughout the conflict does not necessarily guarantee a safe return to government-held Syria, the expert stressed.

As mentioned in Chapter 3. GoS return policy and practice, persons who evaded the military service have to undergo the process of settling one’s status with the Syrian authorities before returning. With respect to those who have settled their draft evasion prior to return, these returnees are still required to serve in the Syrian armed forces upon return, unless they fit in one of the categories of people that can be exempted from the military service.

Detailed information on the situation of draft evaders and military service in the Syrian Arab Army is available in the EASO COI Report: Syria - Military service (April 2021).

Another factor impacting the treatment of returnees is the highly fragmented nature of Syria’s security apparatus. For instance, there are four main security branches: the Air Force Intelligence Directorate, the Military Intelligence Directorate, the Political Security Directorate, and the General Intelligence Directorate, the latter also known as the National Intelligence Directorate. According to several sources, this could lead to a situation in which persons, returnees included, have been cleared by one intelligence directorate, but are still wanted by another intelligence directorate. Thus, it is difficult, if not impossible, for one to determine where he or she stands in relation to Syria’s security apparatus.

To add more confusion to the picture, Syria’s security apparatus is inconsistent in its treatment of returnees. For instance, Jusoor for Studies had knowledge of returnees who were arrested because their relatives were wanted. Yet, the same expert also knew returnees who had family members on a wanted list and who were nonetheless not arrested.

In its February 2020 report on the situation of Syrians in Lebanon, ICG concluded that there is no certainty about who is safe from arrest upon return, because the authorities’ concept of who is an opponent is not always clear or can change over time. This conclusion made by ICG was corroborated by several interviews with experts. A Syria expert at the EIP mentioned that in some cases the lack of an exit stamp in one’s passport will not cause an immediate problem upon return, but could nevertheless be used against the returnee by the Syrian authorities later on. Jusoor for Studies and Urnammu for Justice and Human Rights stated that some returnees are directly arrested upon return, whereas others are arrested within one month or one to two months after their return.

The return of Mazen al-Hamada from the Netherlands to Syria constitutes an example of the risks activists might be exposed to when returning to Syria. Prior to his arrival in the Netherlands in 2014, Hamada had been arrested three times by the Syrian authorities. Upon his third and last arrest, Hamada was detained for one and a half year at a prison in Damascus where he was subjected to various forms of torture. During his stay in the Netherlands, Hamada spoke openly about his experiences as a torture survivor, testifying against the Syrian authorities at the International Criminal Court (ICC) in The Hague. For unclear reasons, Hamada settled his status at the Syrian Embassy in Berlin, Germany and returned to Syria in February 2020.176 After having arrived at the airport in Damascus, no one heard from him anymore, making many believe that he was forcibly disappeared by the Syrian authorities. According to Jusoor for Studies, Hamada was imprisoned at Sednaya Prison and referred to the Terrorism Court.

1.3.3. Asylländerbericht der Österreichischen Botschaft (ÖB) Damaskus, Ende September 2021:

I. Aktuelle sicherheitspolitische/militärische sowie politische Entwicklungen; sozioökonomische Lage

Die Regierung konnte ab 2015 primär mit Unterstützung von Russland (RU) und des Iran (IR) von Rebellen sowie dem IS gehaltenen Gebiete zurückgewinnen und ihre Präsenz konsolidieren. Mittlerweile lebt 66% der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Territorien.

Außerhalb der Regierungskontrolle befindet sich der Norden des Landes: im Nordwesten sind die Türkei (TR) und und von der Türkei teils unterstützte bzw. geschützte Rebellengruppen (Idlib) präsent. Dort war der bewaffnete Konflikt bis Anfang März 2020 virulent. Die Fronten verlaufen zwischen der TR und von ihr unterstützten Milizen sowie der syrischen Armee, die von RU mit Luftangriffen unterstützt wird. Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Präsenz zehntausender radikal-militanter Kämpfer, insb. der Hayat-Tahrir al Sham (HTS), ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen. Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar Anfang März zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die TR verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die TR-Verwaltung auf die besetzten SY-Gebiete aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen ist eine Zunahme RU-Luftangriffe und SY-Angriffe auf NW-SY festzustellen.

Ungeachtet der Anfang Oktober 2019 erfolgten TR-Militäroffensive in den Nordosten Syriens, die dritte nach den Militärinvasionen im Nordwesten im August 2016 und im Jänner 2018, und der Besetzung des mittleren Grenzabschnitts bis zur strategischen Verkehrsverbindung M 4 Aleppo-Qamischli, werden weite Teile weiterhin militärisch und zivil von den kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) bzw. den kurdischen Autonomiebehörden kontrolliert. Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus. Die TR stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jessiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Auf Grund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an. Die Konfliktintensität hat sich im letzten Jahr merklich verringert. Seit knapp mehr als drei Monaten ist jedoch eine deutliche Zunahme der Zahl der Anträge auf Familienzusammenführung, insbesondere aus der Provinz Hasakeh (NO-SY), mehrheitlich durch Kurden, festzustellen. Eine genauere Prüfung der Entwicklung und ihrer Hintergründe sowie eine genauere statistische Erfassung erscheint zweckmäßig.

In den von der TR beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG).

Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt. Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin die knapp 30 Lager mit 11 000 internierten IS Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in Al Hol mit knapp 60 000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9000 aus anderen Ländern inkl. Österreich). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee.

Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch; diese werden seit 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet.

Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu:

Im Zentralraum, insb. in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht Umgebung) Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee.

Im Süden des Landes (Daraa, Suweida) kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und vormaligen Rebellen, die im Rahmen von sogenannten „reconciliation“ Vereinbarungen demobilisierten, und zu Demonstrationen auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation.

Die Küstenregion ist im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont geblieben. Im Norden (Hinterland von Latakia) kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konfliktes von Idlib aus.

Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und TR-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil.

Erhebliche Imponderabilien stellen auch die erwähnten Luft-/Raketenangriffe von IL sowie anderer Akteure (z.B. der 3, dh USA, UK und F im April 2018) dar.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzten TR-Offensive im Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen resp. die Einschätzung von Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Auch die ÖB Damaskus ist bei weitem nicht über alle in allen Teilen Syriens vorherrschenden Zustände informiert. Gründe dabei sind neben dem mangelnden Zugang zu vielen Gebieten auch die Grenzen der zur Verfügung stehenden Quellen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt.

Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes

Einen Ansatzpunkt für eine politische Lösung bildet das Verfassungskomitee unter Federführung des Special Envoy (SE) des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien, des norwegischen Diplomaten Geir Pedersen. Dieses setzt sich aus je 50 (je 15 in der kleinen, operativen Gruppe) Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft zusammen; erst nach mehr als eineinhalb Jahren konnte man sich im September 2019 auf die Zusammensetzung einigen. Die syrische Regierung sieht diesen Prozess sehr kritisch. Nach einem recht konstruktiven Beginn Anfang November 2019 gestaltete sich der Ablauf der weiteren Sitzungen weit kontroverser. Die Diskussionen – COVID-bedingt lange unterbrochen - verhedderten sich bis dato im Prozessualen.

SE Pedersen verfolgt über das Verfassungskomitee hinaus einen breiteren Ansatz für den politischen Prozess (u.a. vertrauensbildende Maßnahmen, wie Gefangenaustausch sowie die Freilassung bzw. Aufklärung des Schicksals vermisster Personen); aber auch hier gibt es bis dato wenig Fortschritte. Die Ende März 2020 und Anfang Mai 2021 von Präsident Assad erlassenen Generalamnestien inkludiert auch einige politische Delikte, wurde aber für politische Gefangene (Freilassung kleiner Gruppen nach den Präsidentschaftswahlen) nur sehr begrenzt wirksam.

Verhältnis Zentralregierung – kurdische Autonomiebehörden

Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind

festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert. Auch zwischen den rivalisierenden Gruppierungen der Kurden gibt es Annäherungsbemühungen. Es kommt im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur TR nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), die die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist und aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht.

Präsidentenwahlen

Amtsinhaber Assad gewann die Ende Mai, faktisch nur im von der Regierung kontrollierten Gebiet abgehaltenen Präsidentenwahlen gemäß offiziellen Abgaben mit 95% (78% Wahlbeteiligung); die Zahlen, vor allem auch zur Wahlbeteiligung sind schwer überprüfbar.

Sozioökonomische Lage

Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch teils seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen. Die Wirtschaftskrise im Libanon, dem vor allem auch im Hinblick auf die Sanktionen, eine zentrale Rolle als Umschlags-und Finanzplatz für die syrische Wirtschaft zukommt, und COVID 19 verschärften die Situation weiter. Es kommt immer wieder zu Verknappungen von Benzin. Auch bei dem Grundnahrungsmittel Brot gibt es Engpässe. Die Preise für beide Güter wurden stark erhöht und die Subventionen zurückgefahren.

Das BIP schrumpfte auf ein Fünftel gegenüber 2010. Die Ölproduktion fiel von 380 000 auf 25 000 Barrel pro Tag. Der Konflikt verursachte auch erhebliche Schäden an der physischen Infrastruktur. Ein Drittel des Wohnungsbestandes wurde ganz oder teilweise zerstört. Allein die registrierte Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 50%. Andererseits gibt es einen Mangel an qualifiziertem Personal in bestimmten Sektoren und Gebieten, u.a. bedingt durch die Vertreibung. 90 % der Menschen leben in Armut. Der Konflikt hat die soziale Ungleichheit verschärft.

Laut dem Welternährungsprogramm der VN sind derzeit mehr als 12 Mio. Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Dieser Wert wurde auch am Höhepunkt des Konfliktes nicht verzeichnet. Der Preis für den Nahrungsmittelkorb (Stand Juni) erhöhte sich innerhalb eines Jahres um knapp 200% (seit Beginn des Konfliktes um das dreiundzwanzigfache). Die Gehälter bewegen sich zwischen 70 000 und 120 000 syrische Pfund (SYP), dies entspräche umgerechnet zum Marktkurs rund 20 bzw. 35 USD.

Der Außenhandel brach auf 20 % (mit der EU sogar auf 10%) des Volumens vor dem Konflikt ein; die Exporte noch weit stärker. Die EU wurde als Haupthandelspartner von RU und der TR abgelöst. Die Handelsbilanz war 2020 mit 4,3 Mrd. USD stark defizitär. Das Leistungsbilanzdefizit betrug 2020 2,6 Mrd. USD oder 9% des BIP (2010: 0,7%). Die Überweisungen der im Ausland lebenden Syrer bildeten mit 1,6 Mrd. USD einen wesentlichen Plusposten; diese dürften sich COVID-bedingt und auf Grund der Verschärfung der Sanktionen um 50 % halbieren. Die Währungsreserven sind von 21 Mrd. USD (2010) auf 400 Mio. USD geschrumpft.

Nach zwei Jahren Wachstum brach die Wirtschaft um 8 % ein. Die Inflation betrug mehr als 110 %. Der Verfall des syrischen Pfunds hat sich in den beiden letzten Jahren beschleunigt; ein Grund dafür ist die Liquididätskrise/Limitierung der Ausgaben von USD durch die Banken im Libanon. Die von Syrern getätigten USD-Einlagen bei libanesischen Banken belaufen sich auf (konservativ geschätzt) 40 Mrd. USD. Der Verfall der Währung führt zu Verstärkung der wirtschaftlichen Zentrifugalkräfte in den Regionen – im Nordwesten wird verstärkt die TR-Lira im Zahlungsverkehr genützt.

Sieht man von RU und dem IR (v.a. im Grundstoffbereich) sowie in geringerem Ausmaß von CN ab, sind keine größeren Auslandsinvestitionen zu erwarten; auch die syrische Diaspora zeigt sich sehr zurückhaltend. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sind derzeit nicht gegeben; die Perspektiven haben sich vielmehr verschlechtert. Mit dem IR sieht sich ein wichtiger Kreditgeber und Erdöllieferant auf Grund der US-Sanktionen selbst massiv unter wirtschaftlichem Druck.

COVID 19

Die offiziell verlautbarten Zahlen (rund 70 000 Fälle und 3300 Tote per Anfang Juli) für die von der Regierung kontrollierten Landesteile sind sehr niedrig; detto die der Testungen; die Dunkelziffer ist sehr hoch. Es folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangsperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden IDPs vor allem im Nordwesten zu. Die Zahl der Neuinfektionen ist insbesondere seit Mitte August stark angestiegen, dies kann auch an einer Verbesserung des Testkapazitäten liegen. Die Dunkelziffer ist aber wohl immer noch deutlich höher. Syrien befindet sich derzeit in der vierten Covid-19-Welle. Die Impfrate ist extrem niedrig, bis Mitte September hatten erst 1,2% beide Impfdosen erhalten, nur 2% der Bevölkerung zumindest eine Impfdosis von zwei. Selbst im günstigsten Fall wird bei Einhaltung aller bisherigen Lieferzusagen laut WHO bis Ende des Jahres maximal 6,6% der Bevölkerung vollständig geimpft sein.

II. Wehrdienst/Reservedienst/Militärstrafrecht

Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen grundsätzlich ab dem Alter von 18 (bis 42) Jahren dem verpflichtenden 2-jährigen Wehrdienst. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen. Unter 18-jährige werden von der syrischen Armee nicht in Anspruch genommen. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden, fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt.

In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten Pro-Regierungstruppen anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden.

Der Mangel an Männern führte zu Söldnerkonstruktionen und einem Rückgriff auf Kämpfer aus dem IR, Irak, Afghanistan und dem Libanon (Hizbollah) für schiitische Milizen. Anwerbungen für Kämpfe in Syrien fanden insbesondere auch unter im Iran lebenden Hazara statt. Auf Grund der wirtschaftlichen Probleme sieht sich der IR gezwungen, sein finanzielles Engagement (insb. Kürzungen der Gehälter von Milizionären) zurückzufahren.

Männer, die in den durch die syrische Armee rückeroberten Gebieten bleiben und das Land nicht verlassen, werden zum Militär bzw. in eine der bewaffneten regierungstreuen Gruppen eingezogen und teilweise mit wenig Ausbildung in Kriegsgebiete geschickt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen des Militärstrafgesetzbuchs, darunter für Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.

Bezüglich detaillierterer Ausführungen zu diversen Aspekten des Wehrdienstes in Syrien wird auf den nach wie vor aktuellen Fact Finding Mission Report des BFA, der im August 2017 erstellt wurde, den Bericht Fact Finding Mission der finnischen Migrationsbehörde aus dem Dezember 2018, sowie den Bericht des schwedischen Ministeriums für Migration und Integration verwiesen.

Auch nichtstaatliche Akteure haben eine Art Wehrdienst eingesetzt. Die SDF ziehen laut Berichten ab 1986 bzw. 1990 Geborene zum Militärdienst ein, wobei regional unterschieden wird: Personen aus Deir-Ez-Zor und Rakka, in denen der Anteil der Kurden geringer ist und es ohnehin Spannungen zwischen kurdischer Verwaltung und lokalen arabischen Stämmen gibt, werden erst ab dem Geburtsjahrgang 1990 eingezogen. In der Vergangenheit wurden von den SDF auch Kinder rekrutiert, im Juli 2019 wurde allerdings erklärt, darauf verzichten zu wollen 7; dies wird aber offenbar nicht von allen militärischen Verbänden befolgt. Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes (üblicherweise 12 Monate). Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Kontrollposten und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen.

In Idlib werden durch HTS Kinder für Kampfhandlungen eingesetzt ebenso durch den IS, die Opposition und in geringerer Anzahl von regierungsnahen Milizen.

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter eine Entlassung aus der Wehrpflicht gegen einmalige Zahlung einer Ersatzgebühr in Höhe von 8.000 US-Dollar innerhalb von drei Monaten ab Einberufung. Diese Regelung ist allerdings nur auf Syrer die bereits durchgehend vier Jahre im Ausland leben anwendbar. Darüber hinaus sind in bestimmten Fällen zusätzliche Gebühren für Syrer unter 25 Jahren und bei Überschreitung der dreimonatigen Zahlungsfrist vorgesehen. Seit Mitte Dezember 2019 ermächtigt eine Gesetzesänderung den syrischen Staat nunmehr auch zur sofortigen Einziehung von Vermögensbestandteilen aufgrund offenerer Forderungen aus Wehrpflichtersatzgebühren. Davor war nur deren vorübergehendes „Einfrieren“ rechtens.

III. Grundfreiheiten

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt.

Obwohl die syrische Verfassung dem Thema Rechtsstaatlichkeit ein gesamtes Kapitel widmet, Gesetze durchaus im Einklang mit internationalen Erfordernissen stehen und Syrien Vertragspartei einer Reihe internationaler Übereinkommen ist, kann das Justizsystem in Syrien nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt. Gerichtsverfahren können nicht als fair und unabhängig bezeichnet werden; Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Gegen die Regierung gerichtete Vergehen wurden aus der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte ausgenommen und besonderen „Terrorismus-Gerichten“ unterworfen, die außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig sind. Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern, eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus.

Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen und teilweise auch Männern aus.

Die in Syrien noch angewandte Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt. Folterungen sind ebenso an der Tagesordnung wie willkürliche Festnahmen und das Verschwindenlassen von Personen. Sowohl die Internationale Unabhängige Untersuchungskommission betreffend Syrien des UN-Menschenrechtsrats als auch andere Menschenrechtsgremien haben entsprechende, öffentlich zugängliche Berichte veröffentlicht.

In den von der Opposition gehaltenen Gebieten wurden zum Teil Sharia-Gerichte eingerichtet, die nun die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzen. Die Praxis und der Charakter dieser Gerichte variieren ebenso stark wie die Art des angewandten Rechts, je nachdem welche bewaffnete islamistische Gruppierung das Terrain hält. Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterscheidet sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können, doch werden insbesondere jene religiösen Gerichte in von (vormals von) IS und HTS kontrollierten Gebieten als nicht mit internationalen Standards im Einklang stehend charakterisiert. In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte.

Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt, sexuelle Minderheiten wurden exekutiert.

Die Situation für religiöse Minderheiten schwankt je nach kontrollierender Fraktion. Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3% (vor dem Konflikt über 10%) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr erscheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden.

Sowohl auf Seiten der regierungstreuen, als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten, aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72%) in der (auch bewaffneten) Opposition fanden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückereroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demographischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt.

Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten.

Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jessiden und Christen.

IV. Lage in Gebieten nach „Reconciliation Agreements“ zwischen Regierung und Opposition und Behandlung der dortigen Bevölkerung nach besagten Agreements

Der Abschluss der sogenannter „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen und beinhalteten oft die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln.

Im Fall von Ost-Ghouta wurde ein Teil der verbliebenen Zivilbevölkerung nach Abzug der Rebellen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Frauen, Kinder und ältere Männer in Notunterkünften konnten diese zunächst nur verlassen, wenn Angehörige oder Bekannte für diese bürgten, während die Männer zwischen 15-60 Jahren vorübergehend dort verbleiben mussten.

In den durch die „Reconciliation Agreements“ versöhnten Gebieten kommt es trotz dieser Abkommen immer wieder zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Diese Menschenrechtsverletzungen descouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Zwischen Juli 2018 und März 2019 konnten in Daraa 380 solche Vorfälle bestätigt werden, darunter auch Rückkehrer. In 150 weiteren Fällen wurden Personen verhaftet und wieder freigelassen. Ebenso gibt es Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben.

Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet.

Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren.

V. Informationen zu Einreisemöglichkeiten nach Syrien bzw. zur Behandlung bei Einreise/Rückkehr und Informationen zu Konsequenzen verschiedener Faktoren (Asylantragstellung im Ausland, exilpolitische Tätigkeiten, Rückkehr nach illegaler Ausreise)

Die auf Grund von COVID verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig gelockert. Der Flughafen in Damaskus ist wieder für eine Reihe von Destinationen (u.a. Zubringerflüge nach Beirut) für den internationalen Personenverkehr offen.

Zur Türkei sind Grenzübergänge im durch die TK bzw. von TK unterstützten Milizen beherrschten Gebiet westlich und nördlich um Aleppo geöffnet (Bab Al-Hawa, Bab Al-Salam). Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger.

Über Aktivitäten am internationalen Flughafen Damaskus können ho. mangels Zugang keine gesicherten Informationen gegeben werden. Es gibt Flugverbindungen zu einigen Destinationen in den Golfstaaten, Iran, Russland, Ägypten, Algerien, Armenien oder dem Sudan. Israelische Angriffe trafen auch Objekte am Flughafengelände.

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Die ho. Botschaft erreichen regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen – daraus lässt sich ableiten, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen.

Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt.

VI. Informationen zu Rückkehrbewegungen und der Lage der Personen nach Rückkehr.

Laut VN Flüchtlingshilfswerk sind von 2016 bis Ende 2020 270 000 Flüchtlinge (40 000 im Vorjahr gegenüber 95 000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30 000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187 000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID bedingt ist die Rückkehr 2020 zum Erliegen gekommen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt; als ein Argument für ihre Militäroperationen führt letztere auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von RU Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up Ende Juli 2021), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen vermochte an diesen Trends nichts zu ändern.

Bei den intern Vertriebenen (IDPs) blieb mit 356 000 Rückkehrern die Zahl gegenüber 2019 (1,2 Mio.) weit zurück, wobei der Großteil der Bewegungen innerhalb der Gouvernements erfolgte. Bis August 2020 kehrten rund 300 000 Menschen zurück, der Großteil davon innerhalb/nach Idlib und Aleppo. Die Zahlen der neu Vertriebenen sind erneut weit höher; es gab wie im Jahr zuvor 1,8 Mio. IDP- Bewegungen insgesamt. Im Zuge der erwähnten Eskalation des Konfliktes in Idlib wurden von Dezember 2019 bis März 2020 knapp 1 Mio. Menschen vertrieben. Die Gesamtzahl an IDPs ist mit etwa 6,6 Mio. weiterhin sehr hoch. Als Gründe für die Rückkehr/Nichtrückkehr wird von den Betroffenen neben der Sicherheitslage zunehmend die schlechte wirtschaftliche Situation ins Treffen geführt. Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom September 2021 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialen bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als 10 Mio. Menschen also rund 50% der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialen in Kontakt zu kommen. Dabeisind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85% der Opfer sind männlich, fast 50% mussten amputiert werden und mehr als 20% haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39% der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34% auf landwirtschaftlichen Flächen, 10% auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26% der Opfer IDPs.

Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen, am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und IDPs. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von RU, der Nachbarländer sowie der VN wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufes von 30 Tagen auf ein Jahr. Die grundsätzliche Stoßrichtung änderte sich aber nicht allzu sehr. In der von der TR kontrollierten Region um Afrin nördlich von Aleppo wurde wiederum berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt gefunden hätten. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquell“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jessiden und Christen durch TR-nahe Milizen.

Positive Signale versucht die Regierung durch Generalamnestien für Deserteure und Wehrdienstverweigerer sowohl innerhalb (für vier Monate gültig) als auch außerhalb (für sechs Monate gültig) Syriens zu setzen, zuletzt im März 2020 und im Mai 2021 (siehe auch II).

Die Möglichkeit, sich bei der Rückkehr in ein Gebiet, das unter Regierungskontrolle steht, niederzulassen, ist bis zu einem gewissen Grad durch die Notwendigkeit einer Bewilligung durch die Sicherheitsbehörden eingeschränkt. So muss zB bei Abschluss eines Immobilienkaufvertrags, bevor die Immobilie übertragen werden kann, bei den Sicherheitsbehörden um eine Freigabe angesucht werden. Bei Mietverträgen wurde diese Regelung jüngst vereinfacht, sodass die Daten erst nach Abschluss des Vertrags an die Gemeinde übermittelt werden mussten. Diese Information wird dann an die Sicherheitsbehörden weitergegeben, die im Nachhinein einen Einspruch erheben können. Diese Regelung wurde aber nach aktuellen Informationen nur in Damaskus umgesetzt, außerhalb muss die Genehmigung nach wie vor vorab eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrern aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen. Die Niederlassung ist dementsprechend – für alle Gebiete unter Regierungskontrolle – von einer Zustimmung der Sicherheitsbehörden abhängig.

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr. Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein.

Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben.

Laut VN (u.a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben.

VII. Möglichkeiten zur Einreise in an Syrien angrenzende Staaten

Die oben unter V. angeführten Informationen betreffend die Einreise nach Syrien gelten vielfach spiegelbildlich auch für die Ausreise aus Syrien in angrenzende Staaten. COVID-bedingt wurden im März 2020 Einreisesperren von Jordanien (sehr strikt) und vom Libanon verhängt. Diese wurden gelockert. Es ist möglich auf dem Luftwege (primär Transit) und – vor allem für in Syrien lebende Libanesen – auf dem Landwege unter Vorweis eines Tests und Begebung in Hausquarantäne einzureisen. Dies alles im Kontext der schon vor COVID bestehenden restriktiven Handhabung der Einreisemodalitäten für Syrer nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl an im Libanon aufhältigen syrischen Flüchtlingen (über 1 Million). Die visafreie Einreise ist in der Regel nur in Ausnahmefällen, nur für kurze Zeit und nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes (Termin bei einer Botschaft, Flug von Beirut) möglich. Auf der Landverbindung von Damaskus nach Beirut können Syrer derzeit nur mittwochs einreisen.

In der Türkei sind syrische Staatangehörige generell visumpflichtig.

VIII. Erhalt von Dokumenten

Die Ausstellung von – zur Ausreise erforderlichen – Dokumenten an Syrer ist (gegen entsprechende Bezahlung) zumindest in Regionen unter Regierungskontrolle problemlos möglich. In besetzten Gebieten wurde hinsichtlich der Registrierung von Ehen berichtet, dass Ämter zwar offen sind, aber nicht mit den Regierungsbehörden kommunizieren können und daher die Registrierung von Ehen in diesen Gebieten nicht möglich sei. Dies könnte auch auf die Ausstellung anderer Dokumente zutreffen.

An der ÖB Damaskus wurden keine gröberen Schwierigkeiten beim Erhalt erforderlicher Dokumente, etwa für Anträge auf Familienzusammenführung, bemerkt. Die Verständigungsschwierigkeiten beim Interview am Konsularschalter sind mitunter sehr zeitraubend. Teils liegt dies daran, dass die Einschreiter Kurdisch sprechen und Arabisch weniger gut beherrschen, teils liegt es daran, dass die eingereichten Antragsformulare von Vertretern des Österreichischen Roten Kreuzes und anderen NGOs als Bevollmächtigte in Österreich, wohl aufgrund von Informationen seitens des bereits in Österreich befindlichen Familienmitglieds, ausgefüllt werden, und die Einschreiter sich damit nicht ausreichend auskennen bzw. auseinandergesetzt haben. Ebenso werden syrische Dokumente problemlos beim syrischen Außenministerium beglaubigt, wodurch Überbeglaubigungen an der ÖB Damaskus regelmäßig und ordnungsgemäß vorgenommen werden können. Allerdings, werden des Öfteren Heiratsurkunden vorgelegt, die weder von Brautpaar noch von den Zeugen unterschrieben sind und es treten auch Fälle auf, in denen die ausstellende Behörde die Anwesenheit des Brautpaars in der Urkunde bezeugt, obwohl diese zum fraglichen Zeitpunkt laut Behördeninformation in Österreich weilten. In diesen Fällen werden die Inlandsbehörden von ho. Seite regelmäßig auf diesen Umstand hingewiesen.

[…]

X. Eheschließung, syrische Rechtsnormen

Familiäre Beziehungen in Syrien werden von religiösen bzw. auf Religion basierten Gesetzen reguliert. Das relevanteste Gesetz ist dabei das auf islamischen Rechtsquellen, va. auf islamischer Rechtsprechung basierende Syrische Personenstandsgesetz (weiters: PSG) Nr. 59/1953 mit Änderungen durch legislatives Dekret 34/1975 und legislatives Dekret 76/2010 (Änderungen im Erbschaftsrecht). Gemäß Art. 306 gilt dieses Gesetz vorbehaltlich anderer, in den Art. 307 und 308 enthaltenen Bestimmungen für alle Syrer. Für Angehörige der drusischen, christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften finden sich Ausnahmen von der Anwendung des Gesetzes.34 Für Drusen ist die Anwendung von im Widerspruch zu in Artikel 307 aufgelisteten Werten stehenden Vorschriften ausgeschlossen (Art. 307). Für Angehörige der christlichen und jüdischen Gemeinschaft greifen auf näher umschriebene Bereiche religiöse Vorschriften (Art. 308). Seit 2006 existiert ein eigenes Personenstandsgesetz für Katholiken (Dekret Nr. 31/2006 vom 18.6.2006), die daher gänzlich aus dem Anwendungsbereich des PSG fallen.

Neben der Eheschließung vor einem Sharia-Gericht (diese sind gemäß Art. 33 des Gesetzes über Justizbehörden Nr. 98/1961 eine von drei Typen von Personenstandsgerichten), können in Syrien auch außerhalb eines Gerichts abgeschlossene Ehen (sog. traditionelle Ehen35) als gültig angesehen werden. Theoretisch kann eine Ehe überall und durch jedermann abgeschlossen werden, in der Praxis erfolgen diese Eheschließungen jedoch in der Regel vor einem Geistlichen (Scheich). Besonders im ländlichen Raum ist diese Art der Eheschließung weit verbreitet. Die die Ehe abschließende Person muss das Vorliegen der in Art. 40 PSG aufgezählten rechtlichen Voraussetzungen prüfen; andernfalls droht eine Strafe nach dem Strafgesetzbuch (in der Praxis wird jedoch offenbar große Nachsicht geübt).

Nach Abschluss einer traditionellen Ehe muss deren Gültigkeit zunächst durch den Richter (Sharia-Gericht, drusisches Gericht oder die christliche Kirche) bestätigt werden. Die Bestätigung der Gültigkeit der Ehe kann auch rückwirkend erfolgen. Gemäß Art. 40 (2) PSG wird eine außerhalb des Gerichts geschlossene Ehe nur anerkannt, wenn die in Art 40 (1) PSG genannten Voraussetzungen gegeben sind (im Wesentlichen geht es um die Vorlage bestimmter Dokumente). Im Fall der zwischenzeitigen Geburt eines Kindes oder bei offenkundiger Schwangerschaft wird die Ehe anerkannt, auch wenn nicht alle Bedingungen eingehalten wurden (in der Praxis ist die Vorlage eines medizinischen Attests über eine erlittene Fehlgeburt ausreichend).

Nach dieser Bestätigung durch einen Richter muss die Ehe im Zivilregister eingetragen werden; auch hier ist aber eine rückwirkende Eintragung zulässig. Erst mit dieser Eintragung im Zivilregister sind die Rechtsfolgen der Eheschließung durchsetzbar. Bloß traditionell geschlossene Ehen kommen nach Berichten seit 2011 gehäuft vor, da zur Eheschließung die Erlaubnis der Militärbehörden einzuholen ist, was mit Ausbruch des Bürgerkriegs schwieriger geworden war. Eine solche Ehe kann ohne Einholung einer Zustimmung des Militärs im Nachhinein nur registriert werden, wenn die Frau in der Zwischenzeit ein Kind geboren hat oder schwanger ist.

Im ländlichen Raum unterbleibt die nachträgliche Registrierung der auf traditionelle Weise geschlossenen Ehe häufig.

Stellvertretung bei der Ehe (tawkîl) ist gemäß Art. 8 PSG zulässig und durchaus üblich.

[…]

1.3.5. EASO-Leitfaden Syrien, November 2021:

[…]

Allgemeine Anmerkungen, einschließlich der Auswirkungen einer Ausreise aus Syrien

Letzte Aktualisierung: November 2021

Im Laufe des Krieges wurde Syrien zum Schauplatz einer Reihe von Konflikten, die nicht klar voneinander abzugrenzen sind und an denen zahlreiche syrische und internationale Akteure beteiligt sind. Im Wesentlichen sind diese Konflikte durch drei Komponenten geprägt: die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Regierung und den oppositionellen Streitkräften, die Bemühungen der von den USA geführten Koalition um die Zerschlagung des IS und die militärischen Operationen der türkischen Streitkräfte gegen die syrischen Kurden. Komplexe Allianzen, wechselnde Loyalitäten, Rivalitäten und widerstreitende Interessen der beteiligten Akteure beeinträchtigen nach wie vor das Machtgleichgewicht und sorgen für Unsicherheit.

Seit Beginn des Konflikts wurden hunderttausende Zivilpersonen getötet – die meisten internationalen Sachverständigen schätzen die Zahl der zivilen Opfer auf 500 000 Menschen. Darüber hinaus löste der Konflikt die weltweit schwerste Vertreibungskrise aus. Schätzungen zufolge sind etwa 5,6 Millionen Syrer aus dem Land geflohen. Hinzu kommen weitere 6 Millionen Binnenvertriebene, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind.

Während des Bezugszeitraums trugen mehrere Faktoren zu einer erheblichen Verschlechterung der sozioökonomischen Lage in Syrien bei, darunter die Finanzkrise im benachbarten Libanon, internationale Wirtschaftssanktionen und die COVID-19-Pandemie. Des Weiteren führte unter anderem die wirtschaftliche Situation zu einer rapiden Verschlechterung der humanitären Lage im Land. Da die Zivilbevölkerung Syriens von zahlreichen Akteuren vorsätzlich ins Visier genommen wird und mit willkürlicher Gewalt verbundenen Gefahren ausgesetzt ist, wird sie massiv in Mitleidenschaft gezogen. Bei der individuellen Prüfung des Bedarfs an internationalem Schutz sollten auch die Präsenz und die Aktivitäten unterschiedlicher Akteure im Heimatgebiet des Antragstellers sowie die Situation in den Gebieten berücksichtigt werden, durch die der Antragsteller reisen müsste, um in sein Heimatgebiet zu gelangen. Darüber hinaus ist der sich kontinuierlich ändernden Sicherheitslage im Land Rechnung zu tragen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in manchen Fällen, in denen ein Bedarf an internationalem Schutz festzustellen wäre, mögliche Ausschlussgründe eine Rolle spielen könnten.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, ihr Herkunftsland verlassen haben. Im Falle Syriens könnte sich die Ausreise selbst darauf auswirken, wie eine Person nach ihrer Rückkehr behandelt wird, insbesondere weil Rückkehrer von der syrischen Regierung ins Visier genommen werden.

Die Tatsache, dass eine Person Syrien verlassen hat, bedeutet normalerweise für sich genommen nicht, dass für sie eine hinreichend große Gefahr besteht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. In den meisten Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht wird, steht diese im Zusammenhang mit Umständen, die anderen in diesem Leitfaden behandelten Profilgruppen zuzuordnen sind, insbesondere der Gruppe der „Vermeintlich regierungsfeindlichen Personen“. Mitunter ist es jedoch auch denkbar, dass Rückkehrer Handlungen ausgesetzt sind, die aufgrund ihrer Schwere einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Haft, Folter) und bei denen möglicherweise ein Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund nachgewiesen werden kann. Kann kein solcher Zusammenhang glaubhaft gemacht werden, könnten die Folgen einer Ausreise aus Syrien mit Blick auf die Gewährung subsidiären Schutzes relevant sein. Sie sollten auch bei der Prüfung der Bereitschaft der syrischen Regierung, Schutz im Sinne von Artikel 7 QRL zu gewähren, sowie bei der Prüfung der internen Schutzalternative berücksichtigt werden.

[…]

Flüchtlingseigenschaft: Orientierungshilfen zu bestimmten Profilgruppen

[…]

Profilgruppen

In diesem Abschnitt werden einige Profilgruppen syrischer Antragsteller beleuchtet, deren Anträge in EU-Mitgliedstaaten geprüft wurden. Es werden allgemeine Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sowie Empfehlungen zu den weiteren Umständen formuliert, die bei der individuellen Prüfung zu berücksichtigen sind. Einige Profilgruppen werden in Teilprofilgruppen untergliedert, für die im Hinblick auf die Gefährdungsanalyse und/oder den Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Um den Zugriff auf weiterführende Informationen zu erleichtern, sind für jede Profilgruppe die Nummer des betreffenden Abschnitts in der gemeinsamen Analyse und ein entsprechender Link angegeben.

Die Schlussfolgerungen zu den einzelnen Profilgruppen sind unbeschadet der die Aussagen des Antragstellers betreffenden Glaubwürdigkeitsprüfung zu verstehen.

2.1.1 Angehörige regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen

Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.

Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.

* Bei dieser Teilprofilgruppe könnten auch mögliche Gründe für einen Ausschluss relevant sein.

Weiterführende Informationen sind der Online-Fassung der gemeinsamen Analyse zu entnehmen.

2.1.2. Vermeintlich regierungsfeindliche politische Aktivisten, Mitglieder der Oppositionsparteien und Demonstranten

Gefährdungsanalyse: Bei vermeintlich regierungsfeindlichen Personen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Die Tatsache, dass eine Person in der Vergangenheit an einer Demonstration teilgenommen hat, reicht für sich genommen nicht aus, um sie dieser Teilprofilgruppe zuzuordnen.

Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.

2.1.3 Zivilpersonen aus Gebieten, die mit der regierungsfeindlichen Opposition in Verbindung gebracht werden

Gefährdungsanalyse: Nicht für alle Personen dieser Teilprofilgruppe besteht eine hinreichend große Gefahr, um eine begründete Furcht vor Verfolgung festzustellen. Die folgenden Umstände könnten für eine

Gefährdung maßgeblich sein:

o regionale Aspekte (z. B. von wem das Gebiet kontrolliert wird und ob es als Hochburg der Opposition galt)

o Grad der (vermeintlichen) Unterstützung von oder der Kollaboration mit regierungsfeindlichen Kräften

o familiäre oder andere Verbindungen zu (mutmaßlichen) Mitgliedern regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen und/oder der politischen Opposition

o (vermeintliche) Unterstützung der syrischen Regierung

o usw.

Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung.

2.2. Militärdienstverweigerer und Deserteure

2.2.2. Militärdienstverweigerer

Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Das Gesetz sieht bestimmte Ausnahmen von der Militärpflicht vor, deren Anwendung in der Praxis jedoch kaum vorhersehbar ist.

Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).

2.2.3. Deserteure und Überläufer

Gefährdungsanalyse: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann.

Möglicher Zusammenhang: (zugeschriebene) politische Überzeugung und/oder Religion (bei Personen, die den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigern).

[…]

1.3.4. Bericht („Treatment upon Return“) des Danish Immigration Service, Mai 2022:

1. Monitoring of return and numbers of returnees

1.1. Monitoring

No systematic research has been undertaken by any organization to trace returnees from outside or inside Syria to monitor what happens to them upon return. UNHCR has been unable to systematically monitor and collect data on the returns of refugees and IDPs and faces high limits imposed by the GoS in monitoring what happens with refugees who return to Syria. Thus, reliable figures on arrests and detention cases of returnees are not available. UNHCR and other UN agencies are required to have prior authorization from the GoS to access territories and conduct operations. For example, UNHCR Syria can only get in contact with a minority of those Syrian refugees who returned through the operations organised by Lebanon’s intelligence service and immigration authority, General Security. In some cases, UNHCR has subcontracted local NGOs, such as the Syrian Arab Red Crescent (SARC) to carry out surveys and ‘protection missions’ in the country.

The regular restrictions imposed by GoS on humanitarian agencies hamper these organisations from playing a part in the repatriation of Syrians, often leaving the organisations with little space to negotiate with the government. The UN and international organisations wanting to operate in Syria can only do so by collaborating with GoS-approved local actors. The Syrian security agencies regularly engage with these local partners and are able to gain access to their beneficiary lists and programming. Consequently, organisations often find themselves having to comply with the demands of the government in order not to lose access, or risk being shut down. As a result, UN and humanitarian organisations have been unable to access returnees after their return to their places of origin12, and the available information about returns of Syrians and Palestinian refugees from Syria (PRS) from Europe in 2020 to 2022 is anecdotal and fragmented in nature.

1.2. Number of returnees

1.2.1. Returns from Europe

The available information about Syrians and PRS returning from the EU is limited.

1.2.2. Returnees from neighbouring countries

According to UNHCR, as of 31 May 2021, 282,283 Syrian refugees had voluntarily returned to Syria from Syria’s neighbouring countries since 2016, including:

- 110,649 from Turkey

- 64,714 from Lebanon

- 57,276 from Jordan

- 48,194 from Iraq

It should be noted that the numbers reported in the UNHCR-data are only those verified or monitored by UNHCR and do not reflect the entire number of returns, which may be significantly higher.

[…]

In the first eight months of 2021, approximately 25,000 Syrian refugees returned voluntarily to Syria, while in 2020, some 38,200 Syrian refugees spontaneously returned to Syria from countries in the region, mostly from Turkey, Iraq and Lebanon. The numbers reported are only those monitored/verified by UNHCR and are as such likely to be an underestimate.

Since reaching its peak in 2019, when close to 95,000 refugee returns were verified, the number of voluntary returns has fallen […]

2. Factors regarding treatment upon return

The following are the factors mentioned by sources that may have an impact on treatment upon return. However, due to a lack of systematic monitoring of return mentioned earlier, these should not be considered exhaustive. The factors may also overlap, and the order in which they are presented does not imply a hierarchy or significance.

2.1. Significance of security clearance or/and status settlement for treatment upon return

DIS wrote in its 2021 report that in order to avoid issues with the GoS, returnees from abroad or from opposition-held areas are required to go through official procedures before returning to the GoS-controlled areas in Syria. Through these procedures, the Syrian authorities undertake a security check of the returnees in one way or another. During the procedure referred to as ‘security clearance’ (Arabic muwafaka amniya), the applicant will be checked against wanted lists. An applicant going through the so-called ‘status settlement’ (Arabic: taswiyat wade) procedure, or as some sources call it ‘reconciliation’, will apply for his or her name to be removed from wanted list of the GoS and thereby be cleared for the issues he/she is wanted for.

With regard to status settlement, returnees can apply to settle the following outstanding issues they might be wanted for: illegal exit from Syria during the war, evasion from military service and antigovernment activities ranging from anti-government demonstrations and participation in relief work in opposition-held areas to carrying weapons and fighting against the GoS. If a person’s application for status settlement is approved by the GoS, it means that the person would officially not be wanted or prosecuted anymore by the GoS. Most applications for status settlement are approved by the GoS. If a person whose application has not been approved returns to Syria, he will most probably be arrested and interrogated upon return.

If granted, both the clearance and the settlement officially serve as permissions for the holders to enter GoS-controlled areas in Syria. However, they do not serve as a guarantee for access to the person’s place of origin in the GoS-controlled areas, especially places that are managed by the GoS local or foreign allies. The GoS may reject an application of security clearance for reasons such as having family members who are wanted, posting statements on social media that are critical of the GoS, having a name that is similar to a wanted person, returning from a country that is deemed hostile to the GoS or originatingfrom former opposition-controlled areas.

In its report published in July 2019, EIP mentioned that many returnees had been arrested, detained, harassed or conscripted despite having completed the settlement procedure. Similarly, HRW documented in a report published in 2021 that among the 33 returnees interviewed by HRW between 2017 to 2021 who returned to Syria through legal channels, many were subjected to violations despite having obtained a security clearance or having settled their status with the Syrian authorities prior to their return.

Amnesty International also stated that 22 of 66 persons interviewed by AI between 2017 to 2021 had gone through some sort of clearance process but were nonetheless subjected to different kinds of violations. EASO stated in its report published in June 2021 that ’obtaining a security clearance will by no means guarantee a safe return to Syria’ and mentioned cases of returnees who were subjected to arrest, enforced disappearances and/or death under torture upon return despite having obtained a security clearance.

A Syrian researcher interviewed by DIS in October 2021 mentioned that he knew two individuals who were arrested upon return for accusations of being a part of the opposition. Both these persons had obtained a status settlement for their illegal exit prior to return.

2.2. Leaving Syria during the war and applying for asylum

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment. GoS is aware that many Syrians living abroad are refugees and seeking asylum was the only way for them to obtain residency in the host country. In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities.

In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries. Center for Operational Analysis and Research (GOAR Global) said that the mere fact that someone stayed abroad during the Syrian civil war was not an issue upon return. In the same report, HRW informed DIS that before the beginning of 2018, Syrians used to be afraid that having left the country during the conflict might have consequences for them upon return, due to the then existing perception of those leaving as being affiliated with anti-government sentiments. But as far as HRW had been informed by the Syrians who HRW was in contact with, since the beginning of 2018 it seemed that having left the country during the conflict did not have an impact anymore. HRW specified that the persons they were in in contact with had mostly applied for asylum in Western countries, such as Germany, Switzerland and Sweden as well as Turkey. According to the source, part of this change in 2018 was due to a change in rhetoric, which, although not matched by a change in policies, at least resolves the prima facie concerns. The other reason behind the change was that there were activists who had been approached by the GoS and asked to come back to Syria.

In its September 2021 report, AI referred to 12 cases of returnees who told AI that security officials explicitly had criticized their flight from Syria and asked them about their motives to return. Some of the returnees told AI that the officials also asked if they came back to fight with or support terrorism and to do more damage. These persons, who included returnees from the Gulf states, Lebanon, Turkey and France, were subsequently subjected to arrest and different kinds of mistreatments. The returnees told AI that the GoS officials wanted to take revenge from people who left during the war.

In the report published by VDSF and OPC in November 2021, 48% of returnees (i.e. both internal returnees within Syria and returnees from abroad) to GoS-controlled areas, who participated in the survey, reported that they or a close family member had experienced persecution for having left Syria illegally, for lodging an asylum claim abroad or due to their area of origin.

2.3. Security issues

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, profiled members of the opposition and their families have tended to be subject to interrogation, detention and money extortion upon return.

In their 2021 reports, which were based on interviews with respectively 54 and 66 interviews with returnees, both HRW and AI documented cases of returnees who were arrested and tortured because of accusations related to security issues. Some of them were released, whereas others remained arrested. Both sources indicated that some of these returnees did not know that they were wanted.

Sources informed DIS in 2020 that it, in practice, was risky to return to Syria on the basis of a settlement or a security issue, and that family members of a person wanted for security reasons may risk being called in for interrogation by the Syrian authorities, as a consequence of the person’s application for a status settlement. People who did not face any problems were just lucky that they did not run into the security branch they were wanted by. Some sources told DIS that they knew cases of people who completed a status settlement for unsettled security issues but who were nonetheless arrested upon return.

2.4. Evasion and desertion from military service

According to the Syrian law, both deserters and evaders should be punished. However, evaders will not be punished if they obtain a status settlement. Nevertheless, they will still be required to serve in the military unless they have paid the exemption fee.

HRW documented the case of arrest and torture of a person returning from Lebanon in 2018 who had fled the country in 2015 upon his desertion from the military. AI also mentions three cases of persons who were arrested upon return because they did not complete their military service.

According to two sources consulted by the DIS in 2020, persons who obtain status settlement because of evasion from military service usually do not face any problems with the GoS upon return. However, one source told the DIS that some people who settled their evasion might be temporarily arrested upon return, and some might be subjected to torture.

In a report by DIS published in 2019 about military service in Syria, sources mentioned that men wanted for military service and evaders, who pay the exemption fee in order to be exempted from military service, usually do not face problems with the GoS upon return.

According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, draft evaders and deserters are sent to military service after a short detention (a couple of days or weeks), provided that they have not been involved in any opposition activities. There have been no reports that those who have paid the exemption fee of 8000 USD have faced issues upon return. The source added that family members of draft evaders and deserters do not face problems with the authorities anymore. Previously, the authorities harassed such families, but now the authorities may contact them once or twice and ask about the evading or deserting family member and his whereabouts, but nothing more will happen. One should also bear in mind that there are too many draft evaders and deserters for the authorities to be able to spend time and resources on such cases.

2.5. Illegal exit

Officially, a person who has exited illegally from Syria might be subjected to prosecution upon return, unless the person has obtained a status settlement prior to return.

The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 mentioned that those who exited Syria illegally have to report to the local intelligence service office in their area. They will be questioned about the reason for their leave and about their activities while staying abroad. Nothing more will happen to them unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities. In that case, they risk being subject to further interrogation, detention and/or money extortion.

According to sources DIS interviewed in 2020, persons who have obtained a status settlement because of illegal exit usually do not face any problem with the GoS upon return, and their application for a status settlement would not have consequences for their family members. However, in some cases people might be temporarily arrested and presumably tortured.

EASO mentioned in its report from June 2021 that persons would be at risk of being arrested or mistreated by the GoS upon return if they had exited illegally.50 However, EASO does not mention specific cases, and it is thus unclear whether the statement applies to those who have obtained a status settlement prior to return.

The Syrian NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) documented in a May 2020 report that the Syrian authorities told 25 returnees from Lebanon that they would be put on trial because they had exited illegally from Syria. It is not mentioned in the report whether these returnees had completed status settlement prior to their return.

2.6. Illegal return

On 15 September 2020, the Arabic online news site Asharq Al-Awsat reported that the number of Syrians returning to Syria through illegal borders had increased in recent years. According to the news site, irregular returns took place due to the returnees’ illegal status in Lebanon caused by the strict regulations for entry into Lebanon and the high fees imposed by the Lebanese authorities to cross regular borders and reside in Lebanon. Other reasons mentioned were the returnees’ inability to meet the requirement to exchange 100 USD that the Syrian authorities had imposed on its adult citizens when entering Syrian territory and – since the outbreak of Covid-19 – the inability to pay for a PCR test.

STJ documented the arrest of at least 16 people who returned from Lebanon through illegal routes between January and late March 2020. They were initially held in a Covid-19 quarantine centre at the border and later brought before the Anti-Terrorism Court for charges of illegal entry to Syria.

In its report of October 2021, HRW stated that 21 out of the 54 returnees, who were interviewed for the report, had used smuggling routes to enter Syria. However, HRW did not mention whether these 21 persons faced problems with the GoS for entering illegally to Syria or for other reasons.

2.7. Lack of coordination between the security and intelligence services

There is a lack of coordination between different security and intelligence agencies. As each of the agencies have their own wanted list, it can lead to a person being cleared from the wanted list of one security service whilst he or she still being wanted by another security service.

HRW mentioned in its report from October 2021 that a returnee from Jordan had prior to his return obtained security clearance from the Syrian authorities confirming that he was not wanted. Nevertheless, the person was arrested a month after his return to Syria at a checkpoint, which was controlled by another intelligence service than the one, who had cleared him from its list.

2.7. Place of origin or residence

A number of sources have pointed out that treatment of returnees depends, among other things, on their place of origin or residence prior to leaving Syria.

In a report published in July 2019, EIP stated that since October 2018 there was a rise in the number of detentions of civilians returning to areas formerly controlled by the opposition.59 Landinfo mentioned that persons, whose place of origin is an area that was in strong opposition to the GoS, would be met with suspicion.

A Legal and Human Rights Adviser at the Syrian NGO Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) informed EASO that the GoS had a negative perception of persons hailing from former opposition strongholds mentioning cases of two returnees who were extorted for money because they came from a former opposition stronghold.

According to EuroMed Rights, the GoS considers Syrians who have left government-controlled areas as well as those who have lived in areas that have been under opposition-control as traitors.

The Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 stated that a returnee originating from or having lived in a former opposition-controlled area before leaving Syria would usually not be subject to mistreatment or violations only because of originating from or having lived in that area. If someone or a group of persons from a certain area experience problems at checkpoints, it is most probably due to the decision of the individual officer or the force controlling that particular checkpoints rather than the person’s place of origin.

2.8. Reports by informers or others

According to International Crisis Group (ICG), although a person is not wanted by the GoS, he/she can still risk being detained as a consequence of being ‘reported by GoS informers’. Informers report people to the security agencies in order to achieve personal gains or to lift doubts about their own loyalty. ICG mentioned two cases of Syrians who were arrested after they returned to GoS-controlled areas because informers had reported them.

Likewise, the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022 pointed out that returnees can face problems if someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example being involved in opposition activities. In such cases, the returnee risk being subject to further interrogation, detention and/or extortion.

2.9. Officer in charge

According to the Syrian human rights organisation consulted by DIS in April 2022, there is no clear pattern for the way the returnees are treated by the authorities. This is mostly because the individual officer, who is in charge of a checkpoint or an intelligence service officer dealing with the case of a returnee in the local area the person returns to, plays a significant role in what happens to the person.

Sometimes, people who have been members of the opposition groups or family members of profiled opposition persons can return without facing issues, and sometimes people who have no issues with GoS face problems.

[…]

3. Prevalence of mistreatment of returnees

In spite of the difficulties with monitoring returns systematically, several organisations have confirmed that the GoS continue to arrest, detain, interrogate, torture, kidnap, kill, extort money and/or try returnees before terrorism courts upon return to Syria. The information provided by theseorganisations are primarily based on interviews with refugees who have returned to Syria or sources who knew about cases of returnees.

A Syrian human rights organization interviewed by DIS in April 2022 stated that it is not possible to obtain information about the extent of mistreatment and violations committed by the Syrian authorities against the returnees as no independent organisations are present in the country to monitor the returns to Syria. According to the source, different parties of the conflict try to depict different pictures of what is going on and exaggerate about the situation of returnees; whilst GoS is denying all allegations about mistreatment of returnees and has been depicting a picture where refugees abroad can return to the country without facing any issue, the opposition groups claim that every returnee will be subject to violations upon return. The fact is that nobody has complete knowledge of the situation and the available information is not always reliable. The organisation has experienced that some returnees or their families do not report about the violations they have been subjected to for fear of what may happen to them. Oppositely, the source had seen reports of returnees being detained which turned out not to be true.

With regard to returnees who have reported mistreatments by the GoS, Amnesty International (AI) documented in a report published in September 2021 that 66 persons faced mistreatments/violations ,including arrest, detention, torture, kidnappings, enforced disappearances and killings, by the Syrian authorities upon return in the period between mid-2017 and spring 2021.

In a report published in October 2021 based on 65 interviews with 54 persons who had returned from Lebanon and Jordan between 2017 to 2021, Human Rights Watch (HRW) documented 21 cases of arrest and detention, 13 case of torture, 3 kidnappings, 5 extra- judicial killings, 17 enforced disappearances and 1 case of sexual violence committed by the GoS against returnees upon their return.

In a report published in November 2021, the Turkey based NGO, Voices for Displaced Syrians Forum (VDSF) and the Gaziantep (Turkey) based think tank, Operation and Policy Center (OPC), presented the result of their research conducted in 2021. The research included a total of 700 surveys with residents, IDPs and returnees (i.e. returnees from abroad as well as internal returnees) in different control areas in Syria, including GoS-controlled areas. 17% of the returnees across all control areas, who participated in the survey, stated that they or a close family member had faced arbitrary arrest or detention during the past year. However, there were clear variations between returnees from abroad and returnees from within Syria, where internal returnees, especially in areas controlled by theGoS, reported more violations. Whilst 46% of internal returnees in GoS-controlled areas reported of arbitrary arrest or detention, 18% of returnees from abroad had experienced such violations. Less international oversight over internal return processes is mentioned in the report as a potential reason for this variation.

From the beginning of 2014 until August 2019, the Qatar based Syrian human rights organisation, Syrian Network for Human Rights (SNHR), documented the arrest of at least 1,916 Syrian refugees, including 219 children and 157 women, after their return to Syria from abroad.

In an article published in October 2020 by the news and analysis website, Syria Direct, SNHR stated that GoS had arrested 237 individuals who returned to Syria between January 2019 and October 2020.

When the article was published, 194 of those individuals were still detained and 176 of them had been forcibly disappeared. Five persons were tortured to death in detention centres.

The European Institute of Peace (EIP) wrote in a report published in July 2019 that even among the voluntary returnees, hundreds of detentions and arrests were reported in 2019. Some of the released persons explained that they had been tortured while in custody. In addition, deaths in custody among returnees were recorded.

According to a February 2019 article from the Germany-based aid and human rights organization, Medico International, at least two returnees from Germany, who voluntarily repatriated, disappeared after having been interrogated by the security services.

On 24 November 2021, the Syrian opposition news website, Enab Baladi, reported that 23 families who had returned from Turkey or from areas that are under the control of the Syrian opposition or the Syrian Democratic Forces (SDF) were arrested during the previous two months.

The Syrian NGO, Syrian Association for Citizens’ Dignity (SACD), which ‘works to promote, protect and secure the rights of Syrian refugees and internally displaced persons (IDPs)’81, published a report in August 2021 about the security and living conditions in GoS-controlled areas in Syria. The report is based on interviews with 533 people in September and October 2020 of whom 46 persons (9%) were refugees who had returned to GoS-controlled areas. Several interviews reported of arbitrary arrest and detention by the GoS, including those previously covered by some kind of amnesty laws and decrees.

[…]“

 

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gerichts aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

2.3. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise des BF nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass dieser in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften – ohne die erforderlichen Dokumente – spätestens am 08.01.2022 in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist. Die Feststellung zum bisherigen Verfahren des BF und der einmaligen Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich ergibt sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einem Auszug aus dem Fremdenregister.

2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Herkunft und den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers (im Herkunftsstaat und im Bundesgebiet) gründen auf seinen insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, auf den in seiner Beschwerde und der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gemachten Angaben, sowie auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen. Der BF hat im Verfahren seinen syrischen Personalausweis, seinen syrischen Universitätsausweis und seine Heiratsurkunde vorgelegt, weshalb seine Identität feststeht. Aufgrund der inkohärenten Angaben des BF im bisherigen Verfahren zum Aufenthaltsort seines Bruders, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass dieser tatsächlich im Libanon lebt. Gab der BF vor dem BFA am 23.04.2021 noch an, sein Bruder lebe ebenfalls in Syrien, vermeinte er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 22.04.2022, sein Bruder lebe bereits seit dem Jahr 2019 im Libanon und sei ebenfalls wegen des drohenden Wehrdienstes aus dem Herkunftsstaat geflohen. Auf Vorhalt des erkennenden Richters zu diesem zeitlich widersprüchlichen Vorbringen des BF, gab der BF an, sich zuvor geirrt zu haben und sei sein Bruder somit erst im August 2021 in den Libanon geflohen. Aufgrund der somit widersprüchlichen Angaben des BF zur behaupteten Flucht des Bruders des BF in den Libanon kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der Bruder des BF auch tatsächlich den Herkunftsstaat Syrien verlassen hat.

2.5. Die Feststellungen zum Schul- und Hochschulbesuch des BF, sowie seinen beruflichen Tätigkeiten ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 6f des VH-Prot.). Hat der BF im erstbehördlichen Verfahren noch behauptet an einer Universität in XXXX Buchhaltung studiert zu haben, so gab er auf Nachfrage des verhandlungsleitenden Richters erstmalig zu, dass es keine Universität gewesen sei an der er studiert hatte, sondern vielmehr eine höhere Schule (VH-Prot., S. 6). Die Feststellung zur Sprachkenntnis des BF fußt auf seinen diesbezüglichen Angaben in der Erstbefragung (siehe Protokoll, Seite 1), vor dem BFA (vgl. BFA-Protokoll, Seite 3) und dem BVwG (VH-Prot., Seite 2), sowie dem Umstand, dass die Erstbefragung, die Einvernahme des BF vor dem BFA, sowie die Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG jeweils unter Beiziehung eines Dolmetsches für die Sprache ARABISCH durchgeführt werden konnten und sich der BF mit der jeweiligen Befragung in arabischer Sprache einverstanden erklärt hatte.

2.6. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF beruhen zum einen auf der Tatsache, dass keine medizinischen Unterlagen hinsichtlich des BF vorgelegt wurden, welche einen anderen Schluss zuließen und zum anderen ist der BF den diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid auch nicht substantiiert entgegengetreten.

2.7. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.8. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:

2.8.1. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien vermochte dieser eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun:

Die beschwerdeseitig vorgebrachte Gefährdungslage des Beschwerdeführers beruht auf der Behauptung, dass der BF seinen Wehrdienst in Syrien bis dato nicht abgeleistet habe, weswegen er aus dem Herkunftsstaat geflüchtet sei. Der BF wolle niemanden töten bzw. habe Angst, im Krieg selbst getötet zu werden.

2.8.2. Zunächst gilt es festzuhalten, dass die beschwerdeseitig getätigten Angaben des BF zu seinem behaupteterweise - noch nicht abgeleisteten - Grundwehrdienst, widersprüchlich sind, bzw. weitere inhaltliche Steigerungen vor dem BFA bzw. dem Bundesverwaltungsgericht erfahren haben oder wenig substantiiert waren:

2.8.2.1. Vermeinte der BF im erstbehördlichen Verfahren noch durchgehend, dass er im Herkunftsstaat zweimal einen Aufschub von je 12 Monaten für die Ableistung seines Wehrdienstes erhalten habe (S. 5 des BFA-Prot.), erklärte er im Rahmen der Beschwerdeverhandlung erstmals und damit inhaltlich gesteigert, insgesamt 3 Aufschübe, nämlich von 2011 bis 2012, für 9 oder 11 Monate, von 2012 bis 2013, für ein Jahr und von 2014 bis Mitte 2015, für 15 Monate, erhalten zu haben (S. 7 des VH-Prot.).

2.8.2.2. Darüber hinaus gab der BF bei seiner Erstbefragung noch an, seine Einberufung zum Militär im Jahr 2018 erhalten zu haben (S. 6 des EB-Prot.). In Widerspruch dazu brachte der BF vor dem BFA vor, keinen Einberufungsbefehl erhalten zu haben, sondern würden die Namen der gesuchten Personen an den syrischen Kontrollpunkten veröffentlicht werden und seien die ihm gewährten Aufschübe nur im verloren gegangenen Wehrdienstbuch eingetragen worden (S. 8 des BFA-Prot.). Mit Urkundenvorlage vom 26.07.2021 übermittelte der BF dem erkennenden Gericht durch seinen vormals rechtsfreundlichen Vertreter, seinen vormaligen Angaben neuerlich widersprechend, die Kopie eines Einberufungsbefehls und beantragte deren Übersetzung ins Deutsche, ein Antrag dem das erkennende Gericht auch nachkam. Demnach handelt es sich dabei um einen Einberufungsbefehl aus dem Jahr 2016, wonach der BF mit 11.06.2016 zur Ableistung des Pflichtwehrdienstes einberufen wurde. Auch in der mündlichen Verhandlung wurde ebendieses Schriftstück neuerlich beschwerdeseitig vorgelegt. Dennoch brachte der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf Frage, wann er einen Einberufungsbefehl erhalten habe, vor: „Ich habe nichts erhalten, sie schreiben nur den Namen auf eine Liste bei den Checkpoints“. Befragt dazu, wie der BF das Schriftstück erhalten habe, zumal der BF vor dem BFA angegeben hatte, nie ein solches Schreiben erhalten zu haben, vermeinte der BF, dass es so etwas normalerweise gäbe, aber würde es heutzutage nicht mehr gemacht, weil die Menschen nach Erhalt des Schreibens fliehen würden, weshalb nunmehr alle Namen auf eine Liste beim Checkpoint geschrieben würden. Der BF habe das Schreiben Mithilfe eines Anwaltes in Syrien im Jahr 2021 erhalten. Auf Vorhalt des erkennenden Richters zu jenen zeitlichen und inhaltlichen Abweichungen in den Angaben des BF zu seiner Einberufung, führte der BF nur aus: „Seit 2016 steht es schon da, aber ich habe erst 2018 davon gehört“ (S. 17 des VH-Prot.). Für das erkennende Gericht vermag der BF mit dieser Erklärung nicht durchzudringen und die offensichtlichen Widersprüche nicht substantiiert zu entkräften, zumal auf dem Einberufungsbefehl klar vermerkt ist, dass dem BF diese Erklärung auf eigenen Wunsch selbst ausgehändigt worden sei. Vielmehr geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Behauptung, der BF habe keinen Einberufungsbefehl erhalten, schlicht eine Falschangabe ist. Der Inhalt des vorgelegten Schreibens scheint im Übrigen von der Beschwerdeseite auch nicht hinreichend genau durchgelesen worden zu sein, andernfalls der BF den persönlichen Erhalt eines Einberufungsbefehls nicht so vehement in der Beschwerdeverhandlung bestritten hätte.

2.8.2.3. Vielmehr ist für das erkennende Gericht, davon auszugehen, dass der BF seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hat:

Auch nach den Länderberichten sendet die Regierung bei der Einberufung neuer Rekruten, entgegen der Angaben des BF, Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden. Der Herkunftsort des BF, XXXX in der Provinz XXXX , war den Länderberichten zur Folge ab Juli 2018 neuerlich unter Kontrolle der syrischen Regierung und ist das „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Rekrutierungen fänden nach dem LIB auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen würden, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer hätten. Nach den Angaben des BF, hat dieser sein Studium bereits im März 2015 beendet, weshalb es vor dem Hintergrund der Länderberichte durchaus glaubhaft ist, dass der BF nach Abbruch seines Studiums einerseits keinen Aufschub des Militärdienstes mehr erhalten hat und andererseits folglich in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten ist, um seinen Militärdienst abzuleisten. Diese Annahme wird auch davon gestützt, dass der Status von Studenten nach den Länderberichten mittlerweile aktiv überwacht wird. Generell würden Universitäten nun strenger überwacht und seien verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren. Berichten zufolge seien Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung durchaus an Kontrollpunkten rekrutiert worden.

Laut des vorgelegten Einberufungsbefehls ist der BF im Juni 2016 zur Ableistung seines Pflichtwehrdienstes einberufen worden, was vor dem Hintergrund des Abbruchs seines Studiums im März 2015 auch im zeitlichen Zusammenhang ein insgesamt stimmiges Bild ergibt. Im Hinblick darauf, dass männliche syrische Staatsangehörige einem 2-jährigen verpflichtenden Wehrdienst unterliegen, würde auch die weitere (passende) zeitliche Einordnung erklären, wie es dem BF möglich war - nach dem Einmarsch der syrischen Armee in seine Heimatprovinz im Juli 2018 - unbehelligt, ohne eingezogen zu werden, im Herkunftsstaat zu leben. Diesen Umstand vermochte der BF vor dem erkennenden Gericht nämlich auch nicht substantiiert darzutun. Er gab, dazu befragt, an: „Ich bin nicht dort an einer Ortschaft geblieben, ich habe immer den Ort gewechselt. Es gibt dort auch einen Dorfvorsteher/Bürgermeister, er bekommt eine Liste mit Namen darauf und er weiß, wann wer zum Militär muss. Er teilt die Personen in Gruppen ein und in der Zeit war meine Gruppe nicht dran und ich konnte warten“ (S. 18 des VH-Prot.), obwohl er zuvor in Widerspruch dazu behauptet hat von Mitte 2015 bis zu seiner Ausreise in XXXX gelebt zu haben (S. 8 des VH-Prot.). Vor dem Hintergrund, des hohen Personalbedarfs des syrischen Militärs aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und aufgrund zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen, sowie der zahlreichen Änderungen des syrischen Militärdienstgesetztes während des Konflikts, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen, ist diese Erklärung für das erkennende Gericht nicht glaubhaft, zumal der BF bei seiner niederschriftlichen Einvernahme behauptete, immer an Orte geflohen zu sein, an welchen das syrische Militär gerade nicht gewesen sei, um diesem zu entkommen. Das sei – nach seinen eigenen Angaben - aber nie weiter als 30-50 km von XXXX entfernt gewesen (S. 8 des BFA-Prot.). Vor dem Hintergrund der geografischen Gegebenheiten und der Länderinformationen erscheint auch diese Angabe des BF schlicht wahrheitswidrig, zumal auch die letzten Dörfer in der Provinz XXXX , die sich noch unter Kontrolle von Rebellen befanden, im Juli 2018 von der syrischen Armee zurückerobert wurden. Der BF selbst hat auch nie angegeben sich in anderen Provinzen aufgehalten zu haben, im Gegenteil vermeinte er mit Ausnahme von XXXX , nur in XXXX bzw. XXXX gelebt zu haben (S. 8 und 16 des VH-Prot.). Dass sich der BF daher von Juli 2018 bis Juni 2020 an Orten aufgehalten hat, an welchen die syrische Armee gerade nicht gewesen sei, ist sohin – vor dem Hintergrund seiner eigenen Angaben zu seinen Aufenthaltsorten im Umkreis von max. 50 km um XXXX in diesem Zeitraum und in Abgleichung mit den dbzgl. Länderinformationen - schlicht unmöglich.

Vor dem Hintergrund des großen Personalbedarfs und Rekrutierungsdrucks, erscheint es für das erkennende Gericht völlig unglaubhaft, dass es dem BF gelungen ist, sich 2 Jahre lang vor dem syrischen Regime zu verstecken, obwohl er vermeintlich von diesen gesucht worden sei, einen Einberufungsbefehl erhalten hat und die syrische Armee ab Juli 2018 die Kontrolle über die ganze Provinz XXXX gehabt hat. Darüber hinaus vermittelt das beschwerdeseitig behauptete Zuwarten des BF mit seiner Ausreise von Mitte des Jahres 2018 bis Juni 2020 nicht das Bild eines asylrelevanten Leidensdrucks des BF, sondern erweckt vielmehr den Anschein, der BF hätte nichts weiter unmittelbar zu befürchten gehabt, da er seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hatte. Seine erfolgte Eheschließung in 2018 vermittelt auch nicht den Eindruck einer innerlichen Vorbereitung für eine unmittelbar bevorstehende Flucht, sondern spricht vielmehr für ein weiteres Sesshaftwerden des BF im Herkunftsstaat. Insgesamt geht das erkennende Gericht, vor allem in Hinblick auf den erhaltenen und beschwerdeseitig vorgelegten Einberufungsbefehl in Zusammenschau mit der Tatsache eines langjährigen weiteren Verbleibes des BF im Herkunftsstaates bis zur schlußendlichen Ausreise im Jahr 2020, daher davon aus, dass der BF seinen Wehrdienst im Herkunftsstaat bereits erfolgreich abgeleistet hat und in 2020 aufgrund anderer, nicht asylbezogener Motive ausgereist ist.

2.8.2.4. Im Übrigen machte der BF auch widersprüchliche und inkohärente Angaben zu seinem Fluchtzeitpunkt. Gab der BF sowohl bei seiner Erstbefragung (S. 5 des EB-Prot.), als auch vor dem BFA (S. 9 des BFA-Prot.) an, seinen Herkunftsstaat im Juni 2020 verlassen zu haben, so vermeinte er vor dem BVwG widersprüchlich und inhaltlich gesteigert, den Herkunftsstaat bereits Ende 2019/Anfang 2020 verlassen zu haben (S. 11 des VH-Prot.). Auch auf diesen Vorhalt des erkennenden Richters, vermochte der BF diese Abweichung zu seinem bisher behaupteten Ausreisezeitpunkt nicht hinreichend substantiiert aufzuklären, sondern sagte lediglich ausweichend: „Ich habe gesagt Anfang 2020, Juni habe ich gar nicht erwähnt. Sie haben mir mit dem Datum sehr viel Stress gemacht. Ich meine den zuständigen Referenten bei der BFA Befragung“ (S. 12 des VH-Prot.). Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass dem BF sowohl das Ersteinvernahmeprotokoll, als auch jenes seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA nachweislich rückübersetzt worden ist und der BF die Richtigkeit, sowie Vollständigkeit seiner Angaben durch Unterschrift auf allen Seiten selbst bestätigt hat. Auch sind am Ende beider Protokolle keine beschwerdeseitigen Korrekturen vorgenommen worden und wurde der im erstbehördlichen Verfahren angegebene Ausreisezeitpunkt des BF ebenso wenig in der erhobenen Beschwerde moniert oder korrigiert, sondern es wurde vielmehr neuerlich bestätigt, dass der BF Syrien im Juni 2020 über die Türkei verlassen hat. Die nunmehrige Angabe eines deutlich früheren Ausreisezeitpunkts in der Beschwerdeverhandlung ist ein verspätetes und inhaltlich gesteigertes Vorbringen, welches einen deutlich stärkeren Leidensdruck des BF im Herkunftsstaat vorgeben soll, als er aufgrund der bisherigen Angaben des BF realistischerweise anzunehmen war.

Im Falle einer Rückkehr wäre der BF auch keiner Gefahr ausgesetzt zum Reservedienst einberufen zu werden, zumal der BF 26 ½ Jahre alt ist und damit annähernd die Altersgrenze von 27 Jahren erreicht hat, wonach vornehmlich Männer bis zu diesem Alter als Reservisten eingezogen werden, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Das Gericht verkennt nicht, dass Reservisten grundsätzlich bis zum Alter von 42 Jahren eingezogen werden können und fallweise auch Männer bis zum Alter von 55 oder sogar 62 Jahren eingezogen werden. Allerdings trifft dies laut Länderberichten vorwiegend Personen mit besonderen Qualifikationen (zB Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) und ist abhängig vom Rang. Eine dem BF tatsächlich drohende Einberufung zum Reservedienst durch das syrische Militär erscheint - vor dem Hintergrund des bevorstehenden Erreichens der o.a. Altersgrenze - insgesamt als eher unwahrscheinlich, zumal der BF keinerlei besondere Qualifikationen, Ausbildung oder Spezialtrainings vorzuweisen vermochte, welche einen Kampfeinsatz gerade seiner Person als besonders militärisch notwendig erscheinen lassen.

2.8.3. Darüber hinaus ist auszuführen, dass die beschwerdeseitig getätigten Angaben des BF hinsichtlich eines Vorfalls, wonach er im Jahr 2014 festgenommen und gefoltert worden sei, sowie von anderen Gruppierungen zum Kämpfen aufgefordert worden sei, unplausibel und gesteigert erscheinen, sowie in nicht unwesentlichen Aspekten vom Fluchtvorbringen des BF bei der Ersteinvernahme bzw. vor dem BFA abgewichen sind, weitere inhaltliche Steigerungen erfahren haben bzw. teils in sich selbst widersprüchlich sind:

2.8.3.1. Bei der Erstbefragung zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF zunächst an, im Jahr 2014 vom syrischen Militär festgenommen und zum Verhör gebracht worden zu sein. Er sei ca. 1,5 Monate gefoltert, dann aber wieder freigelassen worden (S. 6 des EB-Prot.). Vor dem BFA am 23.04.2021 führte der BF zu diesem Vorfall aus, dass es neben der Universität ein Gebäude des syrischen Geheimdienstes gegeben habe und der BF festgenommen worden sei, weil er neben dem Büro des Universitätsleiters telefoniert habe. Eine Zivilperson, wobei sich später herausstellte, dass dieser Angehöriger des syrischen Regimes, eine Militärperson, gewesen sei, habe dem BF gesagt, er solle mit dem Telefonieren aufhören. Dem sei ein verbaler Streit gefolgt und sei dem BF vorgeworfen worden, eine Militärperson angegriffen zu haben und Probleme auf dem Universitätsgelände gemacht zu haben. Der BF sei festgenommen und zum Geheimdienst gebracht worden, wo er 43 Tage lang gefoltert und geschlagen worden sei (S. 7 des BFA-Prot.).

Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass es für das erkennende Gericht unplausibel erscheint, dass der BF wegen eines simplen Telefonats vor dem Büro des Universitätsleiters festgenommen worden sein soll, zumal der Inhalt des Telefonats (nach den Angaben des BF) dafür nicht relevant gewesen sei, sondern lediglich das Telefonat an sich ausschlaggebend gewesen sei. Vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung befragt, dass es nicht nur das Telefonat gewesen sein könne, sondern noch etwas anders passiert sein müsse, dass sich daraus ein heftiger Streit entwickelt habe, vermeinte der BF nur: „Nein, es ist nichts passiert. Das ist normal dort“. Nachgefragt, ob es eine Rauferei gegeben habe, verneinte der BF und gab an, dass sie nur miteinander geredet hätten (S. 14 des VH-Prot.). Das Vorbringen des BF zum Festnahmegrund, ohne eine Rauferei, ohne eine tiefergehende verbale Auseinandersetzung wegen des Inhalts des geführten Telefongesprächs oder ohne der Angabe weitergehender Gründe für die Eskalation dieser Situation, erscheinen vor dem Hintergrund eines vor dem Direktorbüro geführten Telefongesprächs schlicht unplausibel.

Darüber hinaus gab der BF zwar bei seiner Erstbefragung und vor dem BFA an, gefoltert worden zu sein, ließ jedoch jegliche Details zu der behaupteten Folterung und den dabei erlittenen Verletzungen vermissen. Erst vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung zu den behaupteten Übergriffen befragt, gab der BF an „geschlagen und elektrisiert“ worden zu sein. Auf Nachfrage, ob er mit Händen und Füßen malträtiert oder auch mit Gegenstände bzw. Waffen misshandelt worden sei, führte der BF aus, er sei mit Gegenständen geschlagen worden. Nachgefragt, welche Gegenstände das gewesen seien, vermeinte der BF, es seien Holzstangen gewesen. Neuerlich nachgefragt sei der BF ca. 1 Mal pro Woche für 30 Minuten misshandelt worden. Zu den erlittenen Verletzungen befragt, vermeinte der BF Rücken- und Brustprobleme erlitten zu haben, sowie eine Zeit lang wegen der Stromschläge gezittert zu haben. Die Rücken- und Brustprobleme seien nur Abdrücke von Schlägen, nämlich von den Holzstangen, gewesen. Vom erkennenden Richter gefragt, ob der BF ihm diese Abdrücke zeigen könnte, vermeinte der BF, diese nicht mehr zu haben, das sei vor fünf bis sechs Jahren gewesen. Nach bleibenden Verletzungen befragt, zeigte der BF auf seiner linken Seite des Oberkörpers, auf Höhe des Gürtels auf eine kreisförmige oberflächliche Verfärbung der Haut, wo jedoch kein Narbengewebe zu erkennen war, wobei der BF ausführte, dass er glaube, dass das von den Stromschlägen stamme (S. 15f des VH-Prot.).

Trotz der vermeintlich brutalen Schläge gegen den BF mit Holzstangen und der Folterung mit Strom, soll dieser weder bei einem Arzt, noch in einem Krankenhaus gewesen sein (S. 16 des VH-Prot.). Auch wäre davon auszugehen, dass eine Misshandlung mit Holzstangen und die Folterung mit Strom zu nachhaltigeren körperlichen Schäden, wie Brüchen, großflächigen Wunden oder sogar körperlichen Entstellungen geführt hätten, die eine dringende ärztliche Versorgung schlicht notwendig gemacht hätten. Dass der BF lediglich mit einer kreisförmigen, oberflächlichen Verfärbung auf Gürtelhöhe, jedenfalls ohne klar sichtbare Folgeschäden, davongekommen sei, spricht jedenfalls gegen die geschilderte, erhebliche Gewaltanwendung gegen den Körper des BF.

Darüber hinaus gab der BF erstmals vor dem BVwG und damit verspätet, sowie inhaltlich gesteigert, an, ihm sei bei der Verhaftung 2014 vorgeworfen worden, einen Sprengstoffgürtel angehabt zu haben, damit er im Gefängnis sitze, obwohl er nichts gemacht habe (S. 14 des VH-Prot.). In Widerspruch dazu führte der BF jedoch wenig später aus, strafgerichtlich nicht verurteilt worden, sondern nur einvernommen worden zu sein (S. 14 des VH-Prot.) und nach 43 Tagen ohne Weiteres entlassen worden zu sein, weil er nicht verurteilt worden sei (S. 16 des VH-Prot.). Diese inhaltlichen Divergenzen erwecken den Eindruck der BF berichte nicht von tatsächlich Erlebtem.

Selbst bei Wahrannahme der behaupteten Übergriffe auf den BF im Jahr 2014, stehen diese in keinerlei zeitlichem oder inhaltlichem Zusammenhang mit der vermeintlichen Flucht des BF im Jahr 2020, zumal keine weiteren Verfolgungen, Festnahmen bzw. Misshandlungen des BF in dieser Zeit von Beschwerdeseite hinreichend substantiiert vorgebracht oder auch nur behauptet wurden.

2.8.3.2. So berichtete der BF auch erstmals vor dem BFA, damit verspätet und inhaltlich gesteigert, dass er in XXXX von mehreren Gruppierungen zum Kämpfen aufgefordert worden sei, er dies jedoch habe verhindern können, indem er angegeben habe für seine Familie sorgen zu müssen (S. 8 des BFA-Prot.). Vor dem Hintergrund des verspäteten erstmaligen Vorbringens im Verfahren und der damit einhergehenden inhaltlichen Steigerung des bisherigen Fluchtvorbringens, ist das Fluchtvorbringen des BF mit Unglaubhaftigkeit belastet.

Grundsätzlich hält das erkennende Gericht dem BF zu Gute, dass eine Ersteinvernahme in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation ist. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse ist daher im Allgemeinen verständlich. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Ersteinvernahme in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche der Beschwerdeführer im Rahmen der Ersteinvernahme nachweislich aufgeklärt worden ist. Das vom Beschwerdeführer im Rahmen der Ersteinvernahme erfolgte Weglassen grundlegender Aspekte des gegenständlichen Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht klar entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu machen, und sei es um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Vorwurf einer möglichen Steigerung des Fluchtvorbringens im weiteren Verfahren auszusetzen.

Es geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

In Widerspruch dazu führte der BF in der mündlichen Verhandlung erst auf Nachfrage des erkennenden Richters aus, er sei von einer Gruppierung dreimal zum Kämpfen aufgefordert worden. Insgesamt ist dieses Vorbringen für das erkennende Gericht wenig plausibel, zumal es nicht nachvollziehbar ist, dass die familiäre Situation des BF oppositionelle Gruppierungen von der Rekrutierung des BF effektiv abgehalten hätte. Der BF ist weder der einzige Sohn der Familie, noch gilt das syrische Wehrdienstgesetz für andere Gruppierungen als die syrische Armee. Darüber hinaus besteht zwischen diesen Rekrutierungsversuchen in 2018 und der Flucht des BF im Jahr 2020 kein zeitlicher Zusammenhang, zumal der BF angab, dass nach dem Jahr 2018 kein weiterer Rekrutierungsversuch durch die Gruppierung stattgefunden habe (S. 14 des VH-Prot.). Dieses Vorbringen ist daher nicht geeignet eine aktuelle und asylrelevante Verfolgung in Syrien von entsprechender Intensität darzutun.

2.8.4. Sofern die Beschwerdeseite explizit darauf verweist, dass der BF nach einem im LIB enthaltenen Bericht einer allgemeinen Verfolgungsgefahr unterliegen würden, weil Rückkehrern grundsätzlich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde, sind dem mehrere Berichte entgegenzuhalten. So ergibt sich aus dem Bericht der ÖB aus September 2021, dass die ÖB regelmäßig Anfragen von in Österreich als Flüchtlingen anerkannten Syrern erreichen, die wieder nach Österreich zurückkehren wollen, woraus sich ableiten ließe, dass eine Rückkehr nach Asylantragstellung im Ausland prinzipiell kein Wiedereinreisehindernis darstellt. Je nach Sachlage könne es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Auch der aktuelle Bericht des Danish Immigration Service („Treatment upon Return“) aus Mai 2022 sagt, dass eine Asylantragstellung ipso facto nicht prinzipiell zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat führt: „According to the Syrian human rights organisation interviewed by DIS in April 2022, having applied for asylum abroad does not in itself lead to being subject to mistreatment“. Darüber hinaus führt der Bericht aus: „In general, returnees who have not been involved in opposition activities and left Syria only because of the war tend not to face issues upon return unless someone in their absence has reported against them to the authorities accusing them of, for example, being involved in opposition activities […] In DIS’ report published in February 2019, a GoS offical stated that the Syrian authorities would not prosecute or arrest people for having obtained asylum in neighbouring countries or other countries, including Western countries“.

Auch der EASO (EUAA) Bericht aus Juni 2021 berichtet davon, dass eine Asylantragstellung im Ausland nicht per se zu einer Verfolgung in Syrien führt: „A Damascus-based lawyer told the DIS in November 2018 that having applied for asylum in other countries does not lead to punishment upon return, unless the returnee in case is a well-known political or military opponent“.

Insgesamt ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Asylantragstellung zwar per se nicht zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung führt, Rückkehrer jedoch mit Problemen konfrontiert sind, sofern sie sich beispielsweise (in welcher Form auch immer) oppositionell betätigt haben oder den allgemeinen Wehrdienst verweigert haben. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, schneller erreicht werden mag, als in anderen Staaten und, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen, teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es wird hierbei auch nicht übersehen, dass bestimmte Personen in Syrien aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert auch oft nur auf familiären Verbindungen, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder auf der Präsenz der Person in oder ihrer Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, welches als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass einer dieser angeführten Umstände auf die konkrete Situation des BF zuträfe.

Es gibt keine Hinweise auf (exil-)politische gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten des BF und hat dieser mit Ausnahme der behaupteten Wehrdienstverweigerung, solche auch nicht vorgebracht, weshalb sich keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass der BF vom Regime als Kritiker bzw. Gegner wahrgenommen würde. Vielmehr war aufgrund der Beweiswürdigung (s. oben) davon auszugehen, dass der BF seinen Militärdienst bereits abgeleistet hat und Syrien wegen des Krieges verlassen hat. Eine aktuelle Gefährdung des BF durch die syrische Regierung aus asylrelevanten Merkmalen von hinreichender Intensität kann daher in casu nicht festgestellt werden. Nachdem die Heimatregion nunmehr seit dem Jahr 2018 unter der Kontrolle der syrischen Armee steht und die freie syrische Armee zurückgedrängt bzw. vertrieben wurde, besteht auch nicht die Gefahr, dass dem BF aus diesem Grund eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde oder der BF von diesen rekrutiert werden würde.

2.8.5. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der inhaltlich gesteigerten Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist dem BF somit nicht gelungen, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat Syrien in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

2.8.6. Das aufgezeigte unglaubhafte Vorbringen des BF führt in der Folge nicht nur zur Unglaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens, sondern indiziert auch seine persönliche Unglaubwürdigkeit des BF (siehe Pkt. 2.10.).

2.9. Zu den Länderfeststellungen:

Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Syrien stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.04.2022, Version 6.

Die zur Lage in Syrien getroffenen Feststellungen basieren auf Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen und stellen im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers dar. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht grundsätzlich entgegen der beschwerdeseitig vorgebrachten Bedenken, kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

2.10. Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF:

Das widersprüchliche, gesteigerte und unplausible Fluchtvorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des BF.

So gab der BF beispielsweise zu seinen persönlichen Verhältnissen im Verfahren durchgehend an, an der Universität ein Jahr lang Buchhaltung studiert zu haben, bevor er sein Studium aufgrund des Vorfalls im Jahr 2014 abgebrochen habe und mit seiner Familie von XXXX nach XXXX gezogen sei, wo er in einem Fastfood Restaurant gearbeitet habe. In der mündlichen Verhandlung sprach der BF dahingegen davon, dass er eineinhalb Jahre studiert habe und sein Studium im März 2015 abgebrochen habe. Zudem brachte er erstmals vor dem BVwG vor, dass er – entgegen seinem bisherigen Vorbringen - gar nicht auf einer Universität studiert habe, sondern lediglich auf einer höheren Schule.

Unter Berücksichtigung des insgesamt widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens, vor allem vor dem Hintergrund der zu Tage getretenen Widersprüchlichkeiten zu seinem behaupteten Fluchtgrund, zu seinen Aufenthaltsorten in Syrien, zu seinem Wehrdienststatus im Herkunftsstaat, zum Studium des BF, und zur vemeintlichen Flucht seines Bruders in den Libanon hinterlässt der BF in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

Aus diesen Gründen war der BF als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.

2.11. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

3.2. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Spruchteil A

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht. (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191; vom 28.10.2009, 2006/01/0793; vom 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH vom 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH vom 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH vom 27.05.1998, 97/13/0051).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH vom 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).

3.5.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten damit, dass der Beschwerdeführer keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte.

3.5.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.

3.5.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.

3.5.4. Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

3.5.5. Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, ist es dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete, aktuelle Verfolgung im Herkunftsstaat von maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien und des bereits vom BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgeleisteten Wehrdienstes, kann daher nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

3.5.6. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Anhaltspunkte dafür, dass der BF als Rückkehrer infolge seiner Asylantragstellung im Ausland konkrete Verfolgung in Syrien fürchten müsste, liegen vor dem Hintergrund der gewürdigten, umfangreichen und verschiedenen Länderberichte nicht vor. Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante, gegen den BF gerichtete, Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche beschwerdeseitig auch gar nicht behauptet.

3.5.7. Da der Beschwerdeführer sohin keine Verfolgungshandlungen in Bezug auf Syrien glaubhaft gemacht hat, liegen die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen nicht vor und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides deshalb gemäß § 28Abs. 2 iVm 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision ist im konkreten Fall ausfolgenden Gründen nicht zulässig: Parteivorbringen ist abstrakt nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl. VwGH vom 24.01.1994). Die Auslegung von protokollierten Vorbringens ist nicht reversibel (vgl. VwGH vom 18.05.2016 RA 2016/04/001). Die Beurteilung ob ein identer Sachverhalt vorliegt ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH vom 25.02.2016 2015/19/0267). Die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffes in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK ist Frage des Einzelfalls (vgl. VwGH vom 23.06.2015 RA 2015/22/0027).

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