BVwG I403 2141478-1

BVwGI403 2141478-121.11.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2141478.1.00

 

Spruch:

 

 

 

 

I403 2141478-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2016, Zl. 1091273710/151562000, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, kam am 15.10.2015 gemeinsam mit seiner Schwester und deren Kindern auf eine Polizeistation und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt lebte der Ehemann seiner Schwester bereits als Asylwerber in Österreich.

Bei der am 15.10.2015 stattfindenden Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, dem sunnitischen Glauben anzugehören und von Schiiten bedroht zu werden.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde; BFA) am 27.10.2016 wiederholte er, dass seine Familie und er durch eine schiitische Miliz bedroht würden.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 15.11.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde für nicht glaubhaft befunden, unter anderem weil sich Widersprüche zu den Angaben seines Schwagers ergeben hätten.

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, eine Vollmacht für die Vertretung durch die „Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH“ und „Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH“ vorgelegt und im Wesentlichen Folgendes vorgebracht: Die Verwandten des Beschwerdeführers seien von Mitgliedern einer schiitischen Miliz bedroht und verfolgt worden. Er habe Angst gehabt, selbst ins Visier der schiitischen Miliz zu geraten. Die Miliz Asaib Al ahl-Haqq sei dem irakischen Staat zuzurechnen. Die sunnitische Bevölkerung werde durch die schiiischen Milizen verfolgt und durch die irakische Regierung diskriminiert.

Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des ersten Spruchpunktes beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; feststellen, dass die Abschiebung auf Dauer unzulässig sei sowie die Rückkehrentscheidung beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des ersten Spruchpunktes beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen; eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.12.2016 vorgelegt. Am 05.11.2018 wurde eine Bestätigung über die am XXXX 2018 absolvierte Taufe des Beschwerdeführers vorgelegt.

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 neu zugewiesen und dieser am 01.07.2019 vorgelegt. Am 05.11.2019 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten, im Zuge derer der Beschwerdeführer sowie Mitglieder seiner Kirchengemeinde befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige und unbescholtene Beschwerdeführer ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit Oktober 2015 und damit seit vier Jahren in Österreich auf. Seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und war sunnitisch-muslimischen Glaubens. Am XXXX 2018 wurde er von einem Pastor einer österreichischen Freikirche/Pfingstgemeinde getauft. Der Beschwerdeführer ist allerdings nicht aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus konvertiert.

Der Beschwerdeführer hat vor der Ausreise mit seiner Familie in Bagdad gelebt. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern. Sein Schwager verließ den Irak bereits im Juli oder August 2015; der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Schwester und deren Kindern im Oktober 2015 per Flug in die Türkei aus. Sein Schwager und seine Schwester kehrten gemeinsam mit ihren Kindern am 27.12.2016 freiwillig in den Irak zurück. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu ihnen. Seine Eltern und seine drei weiteren Geschwister haben den Irak ebenfalls verlassen; der Beschwerdeführer hatte zuletzt im März 2016 zu ihnen Kontakt; zu diesem Zeitpunkt hielt sich seine Familie in der Türkei auf.

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad für zehn bis zwölf Jahre die Schule; zum Zeitpunkt seiner Ausreise studierte er Wirtschaftswissenschaften. Er stammt aus der Mittelschicht.

Der Beschwerdeführer leidet an einem schuppigen Hautausschlag, ansonsten ist er gesund.

Der Beschwerdeführer erwarb in den vier Jahren seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkenntnisse und begann mit einem Kurs zum Erwerb des Pflichtschulabschlusses. Er ist ehrenamtlich am Bauhof tätig und hat zahlreiche Freundschaften im Rahmen seiner Kirchengemeinde geschlossen.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer verließ den Irak nicht aufgrund einer Verfolgung durch schiitische Milizen. Er ist einer solchen auch im Falle seiner Rückkehr in den Irak nicht ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ließ sich in Österreich taufen und ist in eine Pfingstgemeinde der Österreichischen Freikirchen integriert. Allerdings erfolgte die Konversion nicht aus einer tiefen inneren Überzeugung, so dass für den Fall der Rückkehr in den Irak nicht davon auszugehen ist, dass er weiterhin dem christlichen Glauben folgen wird und dadurch Verfolgung zu befürchten hätte.

Eine besondere Rückkehrgefährdung für den aus Bagdad stammenden und gesunden sowie erwerbsfähigen jungen Mann besteht nicht.

1.3. Zur Situation im Irak:

Zur aktuellen Situation im Irak werden auf Basis des aktuellen Länderinformationbslattes und von Berichten von EASO und UNHCR folgende Feststellungen getroffen:

1.3.1. Zur Sicherheitssituation in Bagdad

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der Islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019).

Laut Joel Wing ist Bagdad ist allerdings eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine „Unterstützungszone“ im südwestlichen Quadranten der „Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019) .

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

In Ergänzung zu diesen Feststellungen des Länderinformationsblattes ergibt sich aus den Berichten von EASO und UNHCR Folgendes:

Im Dezember 2017 wurde, nach einem dreijährigen Kampf, von der irakischen Regierung der Sieg über den Islamischen Staat (IS) erklärt. Seither gibt es keine großflächigen Militäraktionen mehr und wurden die Attacken des IS im Laufe des Jahres 2018 weniger. Trotzdem bleibt der IS als terroristische Organisation eine Gefahr und in der Lage, landesweit Anschläge zu verüben. Insbesondere in den zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Regierung der Autonomen Region Kurdistan umstrittenen Gebiete ist ein Sicherheitsvakuum entstanden und der IS wieder vermehrt aktiv (Auswärtiges Amt 4).

In Bagdad hat sich die Sicherheitssituation im Wesentlichen stabilisiert. 2018 blieb der IS noch in den kleinen Dörfern rund um Bagdad aktiv und hat gelegentlich zivile Ziele angegriffen; seine entsprechende Kapazität, um größere Anschläge zu verüben, hat sich aber stark reduziert (UNHCR, Considerations 19). Die Anzahl der Entführungen hat in den letzten Jahren in Bagdad massiv abgenommen, allerdings gibt es noch immer gezielte Tötungen von exponierten Personen (UNHCR, Considerations 19). Bagdad ist eine der wenigen Regionen des Irak, in der es noch eine gemischte Bevölkerung aus Sunniten, Schiiten und Christen gibt, wenn auch seit 2006 eine zunehmende Aufteilung der Stadtviertel anhand religiöser Grenzen erfolgt ist (EASO, Key socio-economic Factors 29).

Quellen:

Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein Zugriff 14.6.2019

ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html Zugriff 17.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/securitv-in-iraq-apr-22-28-2019.html Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new- offensive.html, Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html Zugriff 3.7.2019

SCR - Security Council Report (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast. https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2019-05/iraq-3.php Zugriff 1.7.2019

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Key socio-economic indicators, Februar 2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Security situation (supplement) – Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018, Februar 2019.

UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

1.3.2. Aktuelle Protestbewegung in Bagdad:

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018;. Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante „Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

In Ergänzung des Länderinformationsblattes wird zu den aktuellen Unruhen in Bagdad fetsgehalten: Demonstriert wird sein Anfang Oktober 2019 gegen Abdul Mahdi und seine Regierung, gegen Korruption und Misswirtschaft, gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen das Unvermögen des Staates, alle Bürger mit Strom und Trinkwasser zu versorgen. Laut der irakischen Menschenrechtskommission sollen Polizisten auch scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt haben. Ein Untersuchungsausschuss der Regierung hatte einen Bericht zur Protestwelle Anfang des Monats vorgelegt. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt und 149 Demonstranten getötet hatten (Tagesschau).

Quellen:

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html , Zugriff 19.10.2018

- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf Zugriff 18.10.2018

- Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung, https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder Zugriff 2.11.2018

- Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs Zugriff 19.10.2018

- Tagesschau, 25.10.2019, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/irak-proteste-unruhen-101.html ; Zugriff am 21.11.2019

- TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/storv/29434606 , Zugriff 18.10.2018

- WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im- Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html. Zugriff 23.10.2018

1.3.3. Zu den Milizen im Irak:

Aus den Beirchten von EASO und UNHCR ergibt sich Folgendes:

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert. Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha’abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur „Hashd“ (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht. Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse. Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert. Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen. Anfang Juli erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren. Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa’ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt. Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019[vii]). Seit 2003 ist der Irak von verschiedenen bewaffneten Konflikten geprägt. Der dreijährige Konflikt mit dem Islamische Staat hat einen Aufstieg der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die man unter PMU (Popular Mobilization Units) zusammenfasst, ermöglicht. Sie waren maßgeblich an der Vertreibung des IS beteiligt und genießen hohe Anerkennung unter der schiitischen Bevölkerung. In den PMU sind Dutzende bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Programmen zusammengefasst. 2016 wurde die PMF zu einer „independent military formation as part of the Iraqi armed forces and linked to the Commander-in Chief“. Im März 2018 wurden Millizangehörige den Angehörigen der Sicherheitskräfte gleichgestellt, auch etwa in Bezug auf den Lohn; dennoch variiert das Ausmaß der Integration in den Staatsapparat und gibt es Teile der Milizen innerhalb und außerhalb der formellen Sicherheitskräfte (UNHCR, Considerations 14). Der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen ist nicht zuverlässig sichergestellt (Auswärtiges Amt 4).

Einige PMF Gruppen sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen gegenüber IS-Verdächtigen, Kritikern und Personen, die sich nicht strikt an die Vorgaben einer konservativen Islamauslegung halten (UNHCR, Considerations 15). Die im Kampf gegen den IS mobilisierten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen (Auswärtiges Amt 16). Laut EASO werden die PMF generell auch als Kräfte des Staates angesehen (EASO, Guidance 43)

Die Rekrutierung durch die PMF ist gänzlich freiwillig. Einige treten bei, weil das Gehalt attraktiv ist, zugleich gelten die Milizen als einflussreich und beliebt, weil sie entscheidend zum Sieg über den IS beigetragen haben. Zwangsrekrutierungen finden nicht statt, wenn auch auf einige Personen sozialer Druck ausgeübt worden sein will beizutreten (EASO, Guidance 54).

 

Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, Security Situation 75).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata’ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden. Im August 2018 räumen Asa’ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen. Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten. Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata’ib Hisbollah. Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa’ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa’ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)[xviii] unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden. Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat. Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen. Laut einer Meldung auf Sumer News vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (ACCORD, Schiitische Milizen).

 

Quellen:

 UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

 Austrian Centre for Country of origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Schiitische Milizen im Irak, 22.07.2019.

 EASO, Country of Origin Information Report: Iraq – Security situation, März 2019.

 EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019).

 

1.3.4. Zur Versorgungslage im Irak und zur Rückkehr:

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat“ leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

 

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staates und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 119 von 126

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt.

Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen

angeboten (IOM 13.6.2018).

 

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

 

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

 

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf , Zugriff 12.10.2018

-AW – The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq’s ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018 , Zugriff 15.10.2018

-Clingendael – Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf , Zugriff 15.10.2018

-Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/ , Zugriff 15.10.2018

-FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf , Zugriff 15.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 20.11.2018

-Iraqi News (28.8.2018): Iraq’s Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/ , Zugriff 15.10.2018

-IOM – International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf ;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-K4D – Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf , Zugriff 15.10.2018

-UNOCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA Iraq Humanitarian Bulletin - August 2018.pdf , Zugriff 15.10.2018

-USAID – Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture https://www.usaid.gov/iraq/agriculture , Zugriff 16.10.2018

- USAID – Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance

Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-

_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights

Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 4.10.2018

- WB – The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018,

https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018 , Zugriff

16.10.2018

- WB – The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview,

http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview , Zugriff 15.10.2018

- WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft,

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html , Zugriff 15.10.2018

 

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen.

Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt

werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr,

jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder

Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf , Zugriff 12.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak – Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767 , Zugriff 20.11.2018

-IOM – International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf ;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-WHO – World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html , Zugriff 16.10.2018

 

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf , Zugriff 12.10.2018

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak – Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570 , Zugriff 20.11.2018

1.3.5. Zur Situation von Christen im Irak

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.2.2018).

Ca. 67 Prozent der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20 Prozent Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodox, syrisch-katholisch, armenisch-katholisch, armenisch-apostolisch, anglikanisch und andere Protestanten. In der Autonomen Region Kurdistan gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 29.5.2018).

Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen ggf. auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Autonome Region Kurdistan und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder rehabilitiert sind (AA 12.2.2018).

Christen in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten stehen Berichten zufolge unter gesellschaftlichem Druck, sich an strenge Interpretationen islamischer Normen zu halten, die öffentliches Verhalten regeln. So stehen Christen beispielsweise unter Druck, den Betrieb von Nachtclubs, Spirituosenläden und Restaurants, in denen Alkohol angeboten wird, aufzugeben. Im Falle von Frauen, besteht der Druck konservative islamische Kleiderordnungen einzuhalten. Berichten zufolge kommt es durch bewaffnete Gruppen gegenüber Personen, die ihrer Ansicht nach gegen solche Regeln verstoßen, zuweilen zu Drohungen, Belästigungen und körperlichen Misshandlungen (UNHCR 15.1.2018).

Im Laufe der letzten Jahre gab es Berichte über Tötungen und Entführungen von Angehörigen religiöser Minderheiten, einschließlich Christen, durch bewaffnete Gruppen aus konfessionellen oder kriminellen Gründen bzw. einer Kombination daraus. Häuser von Christen, die seit 2003 aus Bagdad vertrieben wurden, sowie Kirchen und Klöster wurden Berichten zufolge illegal von mächtigen Einzelpersonen, Milizen und kriminellen Netzwerken beschlagnahmt. In einigen Fällen wurde behauptet, dass die christlichen Eigentümer oder Mieter direkt bedroht wurden, was dazu führte, dass sie ihre Häuser evakuierten (UNHCR 15.1.2018).

In der Autonomen Region Kurdistan wie in angrenzenden Gebieten, die von der kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Sie leben derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als IDPs - zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der Autonomen Region Kurdistan Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-

stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 16.8.2018

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html Zugriff 29.8.2018

- USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm Zugriff 21.8.2018

 

1.3.6. Zur Situation von Konvertiten im Irak

Auf Basis einer Anfragebeantwortung von ACCORD wird festgestellt:

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, schreibt in einer Anfragebeantwortung zu Apostasie und Atheismus im Irak vom August 2018, dass ein gesetzlicher Widerspruch zwischen den garantierten Rechten einerseits und dem Islam als Rahmen für die Gesetzgebung andererseits bestehe, der bei der Anwendung des Gesetzes Spielraum für unterschiedliche Auslegungen ermögliche. Auf der einen Seite sei es erlaubt, seinen Glauben frei zu wählen, da andererseits aber Apostasie als unvereinbar mit dem islamischen Gesetz gelte, könne dies theoretisch eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Apostasie und Konversion vom Islam zu einer anderen Religion würden daher als illegal und aus Sicht der islamischen Gesetze als strafbar eingestuft, sie seien jedoch nicht als Straftatbestände im Strafgesetzbuch angeführt. Daher sei der rechtliche Status von ApostatInnen und KonvertitInnen im Irak derzeit unklar. RechtsexpertInnen, die 2010 vom NGO-Netzwerk Institute for War and Peace Reporting (IWPR) interviewt worden seien, hätten erklärt, dass Richter das Gesetz frei nach ihren religiösen Überzeugungen interpretieren könnten. Dies bedeute, dass der Richter sich in Fällen, in denen das Gesetz nicht explizit das Erlaubte und das Verbotene definiere, auf islamisches Recht stützen könne. Ein irakischer Richter und Angestellter im Justizministerium habe IWPR gegenüber angegeben, dass es kein Gesetz gebe, das bestimme, wie mit einem Konvertiten zu verfahren sei, in solchen Fällen müsse man auf islamische Regelungen zurückgreifen, da der Islam die Hauptquelle der Gesetzgebung sei (Landinfo, 29. August 2018, S. 2-3).

Im Folgenden geht der Bericht auf Fälle strafrechtlicher Verfolgung bei Apostasie ein. Laut Landinfo seien in den konsultierten Quellen keine Informationen gefunden worden, die über strafrechtliche Verfolgung von KonvertitInnen im Zentralirak berichten würden (Landinfo, 29. August 2018, S. 7).

 

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Förderung der praktischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Juni 2019 einen Bericht zum Irak mit Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für Asylentscheider. Laut dem Bericht sei der Abfall vom Glauben im Irak ungewöhnlich und werde generell als unnatürlich angesehen. Trotz der Anerkennung religiöser Diversität würden Personenstandsgesetze die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Artikel 26 des Gesetzes zur Nationalen Identifikationskarte bestätige das Recht für NichtmuslimInnen, zum Islam zu konvertieren, räume aber umgekehrt MuslimInnen nicht das Recht auf Konversion ein. MuslimInnen, die eine andere Religion annehmen würden, könnten ihre Religionszugehörikeit auf ihrem Personalausweis (national identity card) nicht ändern und seien weiterhin als MuslimInnen registriert. Ein 2015 erlassenes Gesetz zur national identity card bekräftige die Einschränkung, der zufolge ein Muslim nach Konversion zu einer anderen Religion seine Religionszugehörigkeit auf seinem Personalausweis nicht ändern könne. Ein neues elektronisches und biometrisches Personalausweissystem werde derzeit im Irak eingeführt, bei dem Informationen zur Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers auf dem Chip gespeichert würden, jedoch nicht auf der Karte selbst erkennbar seien (EASO, Juni 2019, S. 65).

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juni 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass es in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) etwa 2.000 registrierte Mitglieder evangelikaler Kirchen gebe, während eine unbekannte Anzahl, zumeist vom Islam zum Christentum Konvertierte, ihre Religion im Geheimen ausüben würden. Personenstandsgesetze und gesetzliche Bestimmungen würden die Konversion von MuslimInnen zu anderen Religionen verbieten. Während das Zivilgesetz einem Nichtmuslimen in einem einfachen Prozess ermögliche, zum Islam überzutreten, verbiete das Gesetz die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion. Der USDOS-Bericht merkt ferner an, dass der neue irakische Personalausweis (national identity card) nicht mehr die Religionszugehörigkeit des Ausweisinhabers angebe. Das Online-Antragsformular verlange aber trotzdem die Angabe dieser Information (USDOS, 21. Juni 2019, Section 1 and 2).

In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak geht das Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) unter Berufung auf verschiedene Quellen auf die Lage von KonvertitInnen ein. Das Strafgesetz verbiete die Konversion vom Islam zum Christentum (oder jeglicher anderen Religion) nicht, das Gesetz sehe jedoch auch keine rechtliche Anerkennung einer Änderung der Religionszugehörigkeit vor. Aus diesem Grund weise ein Personalausweis einen Konvertiten weiterhin als Muslim aus. Es gebe nur sehr selten Berichte von Fällen, in denen Personen offen vom Islam zum Christentum übergetreten seien. Berichten zufolge würden KonvertitInnen ihre Konversion geheim halten, da in der irakischen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber KonvertitInnen weit verbreitet sei und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansehen würden. Eine öffentliche Konversion würde wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, den Stamm oder die Familie des Betreffenden sowie durch islamistische bewaffnete Gruppen führen (UNHCR, Mai 2019, S. 81).

Das britische Innenministerium (UK Home Office) schreibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 zusammenfassend, dass die rechtliche Situation bezüglich der Konversion vom Islam zu einer anderen Religion unklar sei. Das Strafrecht verbiete die Konversion vom Islam nicht, das Personenstandsgesetz erkenne eine solche Konversion jedoch rechtlich nicht an. Eine Konversion könne Schwierigkeiten mit sich bringen, unter anderem, was die Beantragung von Dokumenten, Eheschließungen und die Anmeldung von Kindern an bestimmten Schulen anbelange (UK Home Office, August 2016, S. 5).

Die Website Hathalyoum, die Nachrichten anderer irakischer Onlinemedien sammelt und nach Regionen und Themen sortiert anbietet, veröffentlicht im Februar 2017 einen ursprünglich bei Zaman Press erschienenen Artikel zur gesetzlichen Lage bei einer Ablegung des muslimischen Glaubens im Irak. Ein Richter für Personenstandsrecht habe angegeben, dass das irakische Gesetz einer Person, die den muslimischen Glauben abgelegt habe, keine Strafe auferlege. Es gebe jedoch einige rechtliche Auswirkungen, die wichtigsten darunter seien die Auflösung des Ehevertrags mit einer muslimischen Frau und der Ausschluss vom Erbe. Irakische Gerichte hätten generell nur selten mit Fällen von Religionsänderung zu tun. Ein weiterer Richter im Bereich Personenstandsrecht habe hingegen erklärt, dass das irakische Gesetz einem Muslim nicht erlaube, eine andere Religion anzunehmen. Anträge auf Änderung der muslimischen Religionszugehörigkeit zu einer anderen Religion würden von den Gerichten mit der Begründung zurückgewiesen, dass dies rechtlich nicht zulässig und der Antragsteller ein Abtrünniger sei (Hathalyoum, 1. Februar 2017).

 

Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Fälle von Verfolgungshandlungen gegenüber zum Christentum Konvertierten

Es konnten nur wenige Informationen zu gegen KonvertitInnen gerichteten Verfolgungshandlungen gefunden werden. Informationen zur allgemeinen Lage von ChristInnen wurden nicht in diese Anfragebeantwortung einbezogen.

UNHCR erwähnt in seiner bereits oben angeführten, im Mai 2019 veröffentlichten Feststellung des internationalen Schutzbedarfs, dass Berichten zufolge KonvertitInnen ihre Konversion geheim halten würden, da in der irakischen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber KonvertitInnen weit verbreitet sei und Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansehen würden. Eine öffentliche Konversion würde wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, den Stamm oder die Familie des Betreffenden sowie durch islamistische bewaffnete Gruppen führen.

Das EASO zitiert in einer im Juli 2017 veröffentlichten Niederschrift zu einem Herkunftsländerinformationstreffen im April 2017 den Leiter der Organisation Ceasefire Centre for Civilian Rights, Mark Lattimer. Laut dessen Aussage gehe man im Irak davon aus, dass eine Person in eine Religion hineingeboren werde und diese bis zu seinem Tod behalte. Nicht nur im Islam, sondern auch in anderen Religionsgemeinschaften im Irak werde der Abfall vom Glauben nicht nur als Beleidigung empfunden, sondern auch als unnatürlich angesehen Open Doors, ein überkonfessionelles christliches Hilfswerk mit evangelikaler Ausrichtung, das sich in über 50 Ländern der Welt für ChristInnen einsetzt, schildert in seiner Länderübersicht zum Irak (Stand: 2019), dass Christen mit muslimischem Hintergrund vor allem dem Druck der Großfamilie ausgesetzt seien. Sie würden ihren Glauben oft geheim halten, um Bedrohungen durch Familienmitglieder, Clan-Führer und die Gesellschaft in ihrem Umkreis zu vermeiden. KonvertitInnen würden riskieren, ihre Erbschaftsrechte zu verlieren sowie das Recht auf und die Mittel für eine Eheschließung. Es wird weiters angeführt, dass im September 2018 ein Konvertit zum Christentum von seinem Schwiegervater getötet worden sei, nachdem dieser von seiner Konversion Kenntnis erlangt hatte (Open Doors USA, Stand: 2019).

 

Auswirkungen einer Konversion zum Christentum auf den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt

Es konnten keine Informationen zu Auswirkungen einer Konversion zum Christentum auf die Arbeits- beziehungsweise Wohnungssuche gefunden werden. Dies lässt nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf die Lage dieser Personengruppe zu.

Ein Mitarbeiter eines Immobilienbüros im Stadtteil Jadiryia in Bagdad (ein Stadtteil, in dem der Universitätscampus liegt und in dem unter anderem hohe Regierungsbeamte und Minister wohnen, Anm. ACCORD), erklärte in einer Auskunft an ACCORD, dass zur erfolgreichen Vermietung die Ansässigkeitsbescheinigung sowie der Personalausweis vorzulegen seien. Beide Dokumente weisen nicht die Religionszugehörigkeit des Besitzers aus [Gemeint sind vermutlich die neuen Personalausweise, vgl. EASO und USDOS oben, Anmerkung ACCORD]. Weiters werde in seinem Büro manchmal ein Auszug des Vorstrafenregisters verlangt, doch dies sei nicht in allen Bezirken Bagdads der Fall. Darüber hinaus werde nach dem Namen des potentiellen Mieters, einem Arbeitsverhältnis und der finanziellen Situation gefragt. Schließlich werde in manchen Fällen ein Bürge aus der Gegend verlangt. Religion spiele dabei keine Rolle (Mitarbeiter eines Immobilienbüros in Jadiryia, 21. Juli 2019).

 

Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft; Verhalten schiitischer Milizen oder anderer Personengruppen (abseits der Gruppe Islamischer Staat) gegenüber zum Christentum konvertierten Personen; Auswirkungen einer Konversion zum Christentum auf den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt vom 26.07.2019, abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/2013463.html

Diese Anfragebeantwortung stützt sich auf die folgenden Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 26. Juli 2019)

 

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Bestrafung bei Abfall vom Islam und Konversion zum Christentum [a-9511-1], 12.Februar 2016 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/local_link/319330/458476_de.html

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Konvertiten zum Christentum (Rechtslage bei Konversion, Schutz vor der Familie, Interne Fluchtalternative) [a-9867], 3.Oktober 2016 (verfügbar auf ecoi.net) https://www.ecoi.net/de/dokument/1435676.html

 EASO – European Asylum Support Office: EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26April 2017, Brussels, Juli 2017

https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf

 EASO – European Asylum Support Office: Country Guidance: Iraq; Guidance note and common analysis, Juni 2019

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf

 Hathalyoum: Bestraft das irakische Gesetz einen “Abfall" vom Islam? Die Justiz antwortet [هل يعاقب القانون العراقي من "يرتد" عن الإسلام؟.. القضاء يجيب], 1.Februar 2017

https://hathalyoum.net/articles/1221371-هل-يعاقب-القانون-العراقي-من-يرتد-عن-الإسلام؟-القضاء-

 Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Irak: Apostasi og ateisme, 29. August 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442030/4792_1535643188_irak-respons-apostasi-og-ateisme-grha-29082018.pdf

 Mitarbeiter eines Immobilienbüros in Jadiryia: Auskunft an ACCORD, 21.Juli 2019

 Open Doors: World Watch List – Iraq, Stand: 2019

https://www.opendoorsusa.org/christian-persecution/world-watch-list/iraq/

 UK Home Office: Country Information and Guidance Iraq: Religious minorities, August 2016

https://www.ecoi.net/en/file/local/1094770/1226_1471438137_cig-iraq-religious-minorities.pdf

 UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019

https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05-protection-considerations-iraq.pdf

 USDOS – US Department of State: 2018 Report on International Religious Freedom: Iraq, 21.Juni 2019

https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

 

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak sowie die anderen oben genannten Quellen. Zudem wurde am 05.11.2019 eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Original vorgelegten irakischen Reisepasses, Personalausweises sowie Staatsbürgerschaftsnachweises fest. In der Erstbefragung gab er an, mit einem Reisepass ausgereist zu sein, diesen aber in der Türkei gelassen zu haben. Bei der Befragung durch das BFA legte er den Reisepass dann allerdings vor.

Die Feststellungen zu seiner Familie ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers gegenüber der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Gegenüber der belangten Behörde gab er am 27.10.2016 an, dass seine Eltern verschwunden seien. Er habe zuletzt im März 2016 Kontakt zu ihnen gehabt, da hätten sie sich in der Türkei aufgehalten. Dies bestätigte er auch in der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019.

Dass sein Schwager und seine Schwester gemeinsam mit ihren Kindern am 27.12.2016 freiwillig in den Irak zurückgekehrt sind, ergibt sich aus einem Schreiben der Caritas vom 16.12.2016 und dem Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, welche sich im Gerichtsakt zu I420 2141484-1 befinden.

Dass der Beschwerdeführer an einem Ausschlag leidet, ergibt sich aus seinen Angaben gegenüber dem BFA und aus einem Befund eines Hausarztes vom 18.01.2016; dass er ansonsten gesund ist, aus seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung.

In der Erstbefragung sprach der Beschwerdeführer davon, zehn Jahre die Schule besucht zu haben, gegenüber dem BFA gab er zwölf Jahre an. In der Einvernahme durch die belangte Behörde gab er am 27.10.2016 an, dass er selbst nicht gearbeitet, sondern vom Einkommen seines Vaters gelebt habe. Zugleich erwähnte er, dass er im Irak Betriebswirtschaftslehre studiert habe.

Seine Lebensumstände in Österreich ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und aus den folgenden vorgelegten Dokumenten:

 Bestätigung der Teilnahme am Basisbildungskurs vom 12.05.2017 bis zum 22.12.2017

 Bestätigung der Teilnahme an Deutschkursen (vom 26.11.2018 bis 29.01.2019, vom 04.02.2019 bis 28.03.2019)

 Bestätigung der Teilnahme am „Brückenkurs Pflichtschulabschluss“ Sommersemester 2019

 Bestätigung des ehrenamtlichen Engagements am Bauhof der Wohnsitzgemeinde vom 26.11.2018

 Anmeldung zum Pflichtschulabschlusskurs vom 30.10.2019

 Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 vom 14.05.2019

 Empfehlungsschreiben

 Fotos von der Kirchengemeinde

 Taufbestätigung der XXXX (Freie Christengemeinde Pfingstgemeinde) vom XXXX 2018

 

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.3.1. Zur Verfolgung durch schiitische Milizen

Der Beschwerdeführer hatte in seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.10.2015 vorgebracht, im Irak von Schiiten bedroht zu werden. Konkret führte er aus: „Ich werde von den Schiiten bedroht. Sie haben meinen Vater angeschossen und jetzt ist er behindert. Meinen Cousin haben sie getötet und wenn ich geblieben wäre, wäre ich der nächste gewesen. Ich würde gerne weiter studieren.“ Im Gegensatz dazu erklärte er bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am 27.10.2016, dass sein Vater nicht angeschossen, sondern Opfer einer Autobombe geworden sei. Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung aber nicht angeben, woher er wissen will, dass dies das Werk der Miliz gewesen sei. Zudem erwähnte er gegenüber dem BFA, dass er gemeinsam mit einem Bruder und seinem Vater zur medizinischen Behandlung des Vaters nach Jordanien gereist sei. Diese Fahrt ins Ausland wurde in der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 dann nicht mehr erwähnt, dort hieß es dagegen, der Vater sei zwei Monate im Krankenhaus gelegen. Nach den Aussagen des Schwagers gegenüber dem BFA am 27.10.2016 sei sein Schwiegervater drei Monate im Krankenhaus gewesen. Außerdem sagte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass er nach dem Vorfall mit seinem Vater in ein Haus am Land gezogen sei, das sein Schwager gemietet habe; sein Schwager habe auch dort gelebt. Das passt wiederum nicht gut damit zusammen, dass er erklärt hatte, dass die Autobombe im August 2015 gezündet worden sei und sein Schwager den Irak tatsächlich aber bereits im Juli 2015 verlassen hatte, wie sich aus dem Bescheid des BFA vom 15.11.2016 zur Zl. 1083811504/151155374, mit dem der Antrag des Schwagers auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ergibt.

In der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 war der Beschwerdeführer auch nicht in der Lage, ein stimmiges Bild über die angebliche Bedrohung durch die Miliz zu geben: So meinte er zunächst, dass er selbst nie eine persönliche Begegnung mit Angehörigen der Milizen gehabt habe, dann aber wieder, dass er mit seinem Bruder und seinem Vater zusammen gewesen sei, als ein Angehöriger der Miliz sie bedroht und nach seinem Schwager gefragt habe. Dies scheint überhaupt der einzige konkrete Vorfall gewesen zu sein, von dem der Beschwerdeführer selbst berichten konnte. Es war ihm allerdings auch nicht möglich nachvollziehbar anzugeben, warum sein Schwager bzw. seine Familie derart im Fokus der Miliz gestanden haben sollte; danach befragt, meinte er in der Verhandlung am 05.11.2019: „Erstens: Jeder kennt die religiösen Probleme. Zweitens: Wir sind eine Familie und leben in einem Haus. Mein Schwager hatte einen Supermarkt und er hat mit ihnen gestritten. Der Bruder meines Schwagers wurde mitgenommen. Daraufhin floh die Familie meines Schwagers, aber wir sind geblieben.“

Insbesondere in Bezug auf die Ermordung seines Cousins ist das Vorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich. Gegenüber dem BFA meinte der Beschwerdeführer, dass sein Cousin, ein Geschäftspartner des Vaters, im Juni 2015 umgebracht worden sei. Dies wäre daher zu einem Zeitpunkt gewesen, als sich der Beschwerdeführer noch im Irak aufgehalten habe. Im völligen Widerspruch dazu meinte er dann in der mündlichen Verhandlung, dass sein Cousin Anfang 2016, als der Beschwerdeführer den Irak bereits verlassen hatte, ermordet worden sei.

Zudem ist es bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer angegeben hatte, dass die schiitische Miliz insbesondere seinen Schwager XXXX verfolgt hätte; dennoch kehrte dieser freiwillig in den Irak zurück, was auch dagegen spricht, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Familie in Bagdad tatsächlich durch eine Miliz bedroht sind.

Die belangte Behörde hatte im angefochtenen Bescheid außerdem zu Recht darauf verwiesen, dass sich die Angaben seines Schwagers in dessen Verfahren (vgl. dazu den Bescheid des BFA vom 15.11.2016 zur Zl. 1083811504/151155374, mit dem dessen Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde) nicht mit denen des Beschwerdeführers decken. Der Schwager des Beschwerdeführers hatte von einem Konflikt mit einer einzelnen Person gesprochen, die seine Schwester hatte heiraten wollen und zu einer schiitischen Miliz gehörte. Davon hatte der Beschwerdeführer nie erzählt. Während der Beschwerdeführer erklärt hatte, seine Familie sei in ein vom Schwager gemietetes Haus am Land geflüchtet, meinte dieser, dass er sich die letzten zwei Monate vor seiner Ausreise bei seiner Tante versteckt habe.

Mit der Beschwerde wurden einige Dokumente in Kopie und in arabischer Sprache vorgelegt; dabei handelt es sich unter anderem um Haftbefehle für einen „ XXXX “ und um eine Klageschrift eines Bruders des Beschwerdeführers gegen diese Person. Darin wird ausgeführt, dass der Beklagte am 19.07.2014 einen Sprengsatz unter dem Auto des Vaters angebracht habe; durch die Explosion sei der Vater verletzt und ein Unbeteiligter getötet worden. Vom Beschwerdeführer selbst wurde nie erwähnt, dass jemand durch die Autobombe getötet worden sei, er hatte auch nie einen konkreten Verdächtigen genannt oder „ XXXX “ erwähnt. Außerdem hatte er den Vorfall auf August 2015 datiert. Die vorgelegten Unterlagen können daher das Vorbringen in keiner Weise belegen, sondern stehen diese geradezu in Widerspruch zu den Aussagen des Beschwerdeführers.

Es kann auch dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak nicht entnommen werden, dass jeder Sunnit - alleine in Bagdad leben über eine Million Sunniten – aufgrund seines Glaubens im Irak automatisch der Gefahr einer systematischen Verfolgung ausgesetzt ist. Auch EASO hält fest, dass alleine die Zugehörigkeit zur sunnitischen Gemeinschaft noch nicht ausreicht, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zu begründen (EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019)). Auch wenn die Kriegsgeschehnisse der vergangenen Jahre zu starken Ressentiments der Glaubensgruppen untereinander geführt haben, welche sich in Bagdad schließlich auch in die Bildung von „sunnitischen“ und von „schiitischen“ Vierteln niedergeschlagen hat, ist es für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft dennoch möglich, im Irak zu leben, zu arbeiten, staatliche und politische Posten zu besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (vgl. dazu VwGH, 29.06.2018, Ra 2018/18/0138).

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer in Bagdad keine Verfolgung durch schiitische Milizen aufgrund seiner Zugehörigkeit zu seiner Familie bzw. zu der seines Schwagers zu befürchten hat. Dazu passt auch, dass der Beschwerdeführre in der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 eine solche Verfolgung auch gar nicht mehr geltend machte, sondern angab, zu befürchten, dass sein Schwager ihn wegen seiner inzwischen erfolgten Konversion zum Christentum töten werde.

2.3.2. Zur Konversion des Beschwerdeführers:

Der neu entstandene Fluchtgrund einer Konversion zum Christentum war noch nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen; der Beschwerdeführer begann sich erst vor etwa zwei Jahren und damit nach Erlassung des verwaltungsbehördlichen Bescheides für das Christentum zu interessieren. Am XXXX 2018 wurde er bei einer Freien Christengemeinde/Pfingstgemeinde getauft.

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 21.08.2019 wurde behauptet, dass sich der Beschwerdeführer schon länger von seinem ursprünglichen Glauben abgewandt habe. In der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 gab der Beschwerdeführer ebenfalls an, dass er bereits in Bagdad nicht mehr muslimischen Glaubens gewesen sei und nur von seiner Familie dazu gezwungen worden sei, sich an muslimische Riten zu halten. Dies ist aus Sicht der erkennenden Richterin aus den folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

Im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 27.10.2016 wurde der Beschwerdeführer nämlich auch gefragt, ob er im Irak Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses gehabt habe, was er verneinte. Der Beschwerdeführer hatte zudem sowohl bei der Erstbefragung am 15.10.2015 wie auch etwa ein Jahr später bei der Einvernahme durch die belangte Behörde angegeben, zur islamischen Glaubensgemeinschaft zu gehören. Dies passt nicht damit zusammen, dass er in der mündlichen Verhandlung erstmals davon spricht, dass er von seinem Vater als Student misshandelt und eingesperrt worden sei, weil er sich geweigert habe, in die Moschee zu gehen. Wenn er sich tatsächlich bereits im Irak von seinem muslimischen Glauben abgewandt hätte, hätte er nicht gegenüber der Polizei und der belangten Behörde davon gesprochen, dass er sunnitischen Glaubens ist und hätte er Probleme wegen seiner Religionszugehörigkeit nicht verneint.

Zudem wurde in der Beschwerde noch behauptet, dass der Beschwerdeführer wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit im Irak verfolgt werden würde – wenn er sich tatsächlich vom islamischen Glauben abgewandt gehabt hätte, wäre davon auszugehen, dass dies als eine Verfolgung wegen einer ihm unterstellten Religionszugehörigkeit beschrieben worden wäre.

In der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 erzählte der Beschwerdeführer dann auch von einem Traum, den er in Bagdad gehabt habe und der sein Leben verändert habe und in dem ihm Jesus Christus erschienen sei. Konkret gab er zu Protokoll: „Mein Vater fragte, was das solle. Ich sagte ihm, das ich nicht mehr in die Moschee gehe. Ich hatte 20 Tage Hausarrest und wurde viel geschlagen. Ich wurde geschlagen und bekam wenig zu essen, es war keine Gerechtigkeit zu Hause. Nach 2 Wochen bis 20 Tagen habe ich im Schlaf einen Traum gehabt. Das hat mein Leben verändert. Ich war in schmutziger Bekleidung und der Traum war sehr dunkel. Es kam eine sehr schöne Person mit sehr schöner Kleidung, sie wusch mein Gesicht und sagte „Er sei mit mir“. Nachdem ich aufgewacht bin, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“

Wenn er diesen Traum tatsächlich gehabt hätte, wäre davon auszugehen, dass der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge befragte Pastor seiner Glaubensgemeinschaft, der mit ihm zahlreiche Gespräche geführt hat, von dieser Erweckungserfahrung wüsste. Der Traum als Erweckungserlebnis scheint vorgebracht worden zu sein, um seine angebliche Abwendung vom islamischen und Hinwendung zum christlichen Glauben zu untermauern.

Das Bundesverwaltungsgericht geht zusammengefasst davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nicht, wie von ihm behauptet, bereits in Bagdad vom islamischen Glauben abgewandt hatte. Es ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer erst, als er von einem Mitbewohner zur Freikirche mitgenommen wurde, für den christlichen Glauben zu interessieren begann. Es fällt diesbezüglich auf, dass der Beschwerdeführer in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, die seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach – neben ihm - von insgesamt rund 16 bis 17 Iranern und Afghanen bewohnt wird und dass etwa vier bis fünf Personen davon der gleichen Freigemeinde wie er angehören. Der Pastor der Freikirche gab in der Verhandlung an, dass er 2015 begonnen habe, in Flüchtlingsunterkünften aktiv Mitglieder für seine Gemeinde anzuwerben. Der Zugang zur „Freien Christengemeinde/Pfingstgemeinde“ war für den Beschwerdeführer daher leicht möglich. In diesem Zusammenhang muss auch festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer, wenn er sich tatsächlich bereits im Irak von seinem früheren Glauben abgewandt und nach einem anderen Glauben gesucht hätte, nicht zwei Jahre in Österreich gewartet hätte, ehe er mit christlichen Kirchen in Kontakt trat.

Bereits der Umstand, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner angeblich bereits in Bagdad erfolgten Abwendung vom islamischen Glaubens nicht die Wahrheit sagte, ist ein erstes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Konversion und Glabenspraxis dar.

Doch auch die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Konversion per se lässt aufgrund nachfolgender Überlegungen keinen anderen Schluss zu, als von der Unglaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben und in weiterer Konsequenz von einer Scheinkonversion auszugehen.

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH, 29.08.2019, Ra 2019/19/0303 und VwGH, 26.03.2019, Ra 2018/19/0530). Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 ausführlich zu seinem Wissen über den christlichen Glauben und seiner inneren Überzeugung befragt; darüber hinaus wurden der Pastor seiner Pfingstgemeinde und das Ehepaar, welches die wöchentlichen Bibelkreise, an denen der Beschwerdeführer teilnimmt, veranstaltet, als Zeugen befragt.

Der Beschwerdeführer konnte einige der ihm gestellten Wissensfragen beantworten, was jedoch für sich allein betrachtet nicht dazu geeignet ist, eine Konversion im Sinne einer inneren Haltung glaubhaft darzulegen. So ist davon auszugehen, dass es nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich einen grundsätzlichen Wissensstand zu Glaubens- und Bibelinhalten durch entsprechendes Lernen anzueignen und sind im Internet entsprechende Fragenkataloge speziell für im Asylverfahren vorgebrachte Konversionen abrufbar (vgl. etwa https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/tl_files/PDF-Dokumente/Beratungsmaterialien/Haubner Konversion zum Christentum als Fluchtgrund im Asylverfahren.pdf; Zugriff am 17.11.2019). Zudem steht aufgrund der Zeugenaussagen außer Zweifel, dass der Beschwerdeführer einige Monate lang einen Taufvorbereitungskurs besuchte und seit etwa einem Jahr einen wöchentlichen Bibelkurs. Es ist nachvollziehbar, dass ein gebildeter Mann wie der Beschwerdeführer aus diesen Kursen Wissen mitnimmt. So konnte der Beschwerdeführer einige der zehn Gebote nennen und angeben, dass diese von Moses empfangen worden seien und wusste er auch, dass Jesus von 12 Aposteln begleitet worden war. Allerdings bleiben seine Angaben relativ oberflächlich, so erklärte er auf die Frage nach den zehn Geboten etwa: „Man soll nicht töten. Man soll nicht stehlen. Man darf keine uneheliche Beziehung führen. Man soll Vater und Mutter ehren. Man soll Gott lieben. Man soll den Samstag oder Sonntag ehren.“ Hier fällt etwa auf, dass der Beschwerdeführer von der Reihenfolge abweicht; auch seine Antwort auf die Frage, wie es zu den zehn Geboten gekommen sei, blieb eher vage: „Vom alten Testament, von Moses. Jesus hat das auch im neuen Testament erwähnt.“ In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer als ehemaliger Student der irakischen Bildungselite zuzurechnen ist und daher seine vagen Antworten nicht auf seinen Bildungsstand zurückgeführt werden können.

Wenn der Beschwerdeführer in der Verhandlung in Bezug auf die ihm gestellten Wissensfragen nicht gänzlich überzeugen konnte, so kommt dem in der Gesamtbetrachtung dennoch nur eine untergeordnete Rolle zu. Entscheidend ist vielmehr, dass er in Bezug auf Fragen zu seinem persönlichen Bezug zu christlichen Inhalten bzw. zu seiner Hinwendung zum Christentum in der Verhandlung wenig überzeugend wirkte.

Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich auf der Suche nach einer neuen religiösen Heimat gewesen wäre, wäre davon auszugehen, dass er sich über die verschiedenen Glaubensrichtungen informiert hätte. Der Beschwerdeführer erklärte zwar, dass er sich informiert habe und auch bei einer katholischen Kirche gewesen wäre, doch war er überhaupt nicht in der Lage, die Unterschiede zwischen den verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen zu benennen, wie der folgende Ausschnitt aus dem Verhandlungsprotokoll vom 05.11.2019 zeigt:

„Richterin (RI): Warum wurden Sie Mitglied dieser Gemeinde und nicht z.B. der katholischen oder der evangelischen Kirche?

Beschwerdeführer (BF): Ich sehe keinen Unterschied, aber diese Gemeinde ist für mich wie eine Familie. Ich liebe sie.

RI: Was unterscheidet diese Gemeinde etwa von der katholischen oder der evangelischen Kirche?

BF: Ich habe mich informiert, ich war einmal bis zweimal bei der katholischen Kirche.

RI: Was sind die Unterschiede?

BF: Es gibt keinen großen Unterschied. Wir beten alle für den Gott Jesus.“

Bei einem gebildeten, seinen Angaben nach seit Jahren nach einer religiösen Heimat suchenden Menschen wäre von einer näheren Auseinandersetzung mit den verschiedenen Glaubensrichtungen auszugehen. Auch die Antwort auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zwischen dem Christentum und dem Islam blieb vage und oberflächlich: „Der wichtige Punkt für mich ist, dass ich einen Gott angebetet habe. Im Islam gibt es Angst, wenn jemand etwas nicht macht, wird er gefoltert, aber beim Christentum ist es so, dass ich Jesus liebe und Jesus liebt mich. Das Kreuz wegen meiner Sünden….“.

Insbesondere ließ der Beschwerdeführer eine umfassende und eigeninitiative Wiedergabe von Bibelwissen verbunden mit eigenen spirituellen Gedanken, Details oder Zusammenhängen, wie es Personen, die sich tatsächlich einem neuen Glauben zugewandt haben und aus innerer Überzeugung den Drang haben, darüber zu sprechen, wohl eigen ist, vermissen. Dies zeigt sich auch am folgenden Ausschnitt der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2019:

„RI: Was ist ihre Lieblingsstelle aus der Bibel, was berührt Sie besonders?

BF: Matthäus 5,3.

RI: Worum geht es da?

BF: Ich kenne es nicht auswendig, aber es ist ein Gebet, dass ich jeden Tag lese.

RI: Warum berührt gerade das Sie so?

BF: Es gibt etwas Inneres, das ich nicht erklären kann. Es bewegt mich.

RI: Worum geht es da?

BF: Die traurigen Menschen in dieser Welt haben einen besseren Platz. Die Personen, die Probleme in der Welt haben, bekommen diese im Himmel gelöst.“

Tatsächlich handelt es sich dabei um die folgende Stelle des Matthäusevangeliums: „Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Der Beschwerdeführer behauptete, diese Bibelstelle jeden Tag zu lesen, dennoch bezeichnete er sie als „Gebet“ und war er nicht in der Lage, die kurze Bibelstelle wörtlich wiederzugeben bzw. eine tiefergehende Interpretation zu liefern. Es ist daher nicht glaubhaft, dass er sich tatsächlich regelmäßig mit diesem Text auseinandersetzt. Vielmehr wurde von der Leiterin des Bibelkreises erwähnt, dass sie gerade begonnen hätten, das Matthäusevangelium zu behandeln und der Beschwerdeführer dieses auch gerne vorlese. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nannte der Beschwerdeführer eine Bibelstelle, die im Bibelkreis behandelt worden war und in seinem Gedächtnis geblieben war – eine eigenständige Auseinandersetzung mit der bzw. innere Hinwendung zur Bibel ergibt sich daraus nicht.

Auch bei der Frage nach den christlichen Festen nannte der Beschwerdeführer nur die bekanntesten (Ostern, Weihnachten, Drei König und Pfingsten) und ließ bei seiner Antwort nach seinem liebsten christlichen Fest auch kein besonderes religiöses oder spirituelles Interesse erkennen: „Weihnachten. Wir richten den Weihnachtsbaum, es werden Geschenke gekauft.“

Aus diesen allgemeinen und unsubstantiierten Ausführungen des Beschwerdeführers kann nach Ansicht des Gerichts nur geschlossen werden, dass sich dieser nicht – über den Besuch des Taufvorbereitungskurses und des Bibelkreises hinaus – mit Bibel- und Glaubensinhalten eingehend auseinandergesetzt hat. Der Bibelkreis wurde von der Pfingstgemeinde/Freigemeinde im Übrigen, wie der Aussage des Leiters des Kreises in der Verhandlung zu entnehmen ist, extra für jene Mitglieder der Gemeinde geschaffen, die aus Afghanistan und dem Irak kommen und im November 2018 getauft wurden. Die Vergangenheit habe nämlich gezeigt, dass sich Gemeindemitglieder nach einem positiven Asylbescheid von der Gemeinde abgewandt hätten. Aus Sicht der erkennenden Richterin lässt sich damit auch erklären, dass der Beschwerdeführer sich weiterhin wöchentlich zu den Bibelkreisrunden begibt, da er ansonsten in der Gefahr wäre, von der Gemeinde keine weitere Unterstützung zu erfahren.

Die erkennende Richterin verkennt dabei nicht, dass die als Zeugen befragten Mitglieder der Glaubensgemeinschaft bzw. der ebenfalls befragte Pastor der Pfingstgemeinde/Freigemeinde davon berichten, dass der Beschwerdeführer engagiert sei, Lieblingslieder habe und laut mitbete. Wenn der als Zeuge befragte Pastor auf die Frage, warum er überzeugt sei, dass sich der Beschwerdeführer aus einem inneren Bedürfnis heraus hat taufen lassen, antwortet, dass dieser die Bibel studiere und im Gottesdienst mitmache und dies über so lange Zeit nicht vorgeheuchelt werden könne, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer sich im Kreis der Gemeinde durchaus wohlfühlen mag, dass dies aber nicht ausreicht, um von einer tiefen inneren Überzeugung auszugehen. Dem Beschwerdeführer musste bewusst sein, dass er, wenn er sich nicht mehr in der Gemeinde engagiert und den Bibelkreis nicht mehr besucht, aus der Pfinstgemeinde ausgeschlossen werden und dies wiederum Auswirkungen auf den Ausgang seines Asylverfahrens haben könnte.

Im Allgemeinen werden Antragsteller eine gute und überzeugende Begründung vorweisen müssen, damit Behörden und Gerichte davon überzeugt sind, dass es sich bei einer im Zufluchtsland erfolgten Konversion nicht um einen asyltaktisch geschaffenen Nachfluchtgrund handelt (Uwe Berlit/Harald Dörig/Hugo Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1) in: ZAR 9/2016). Wie bereits dargelegt wurde, gibt es Elemente in der Darstellung des Beschwerdeführers (so etwa das durch den Traum gesteigerte Vorbringen; das Vorbringen, dass er sich bereits im Irak vom Islam abgewandt habe, obwohl er sich im Verwaltungsverfahren immer als sunnitischer Moslem zu erkennen gegeben hatte und er sich auch erst nach Erlassung des negativen Asylbescheides erstmals mit dem christlichen Glauben auseinanderzusetzen begann; der Umstand, dass ein hoher Anteil seiner Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft konvertiert ist), die dafür sprechen, dass er sich aus asyltaktischen Gründen dem christlichen Glauben zugewandt hat. Auch die Annahme des Sakraments der Taufe alleine vermag noch keine Konversion im Sinne einer vollen inneren Überzeugung darzulegen, zumal der Beschwerdeführer sich bislang auch noch nicht offiziell bei den Behörden vom islamischen Glauben losgesagt hat. Und auch wenn der Beschwerdeführer sich aktiv am kirchlichen Leben seiner christlichen Gemeinde beteiligt, so kann auch dies als ein bewusst gesetztes außenwirksames Verhalten angesehen werden. Der Beschwerdeführer ließ in der mündlichen Verhandlung eine glaubhafte eigene Beschäftigung mit den christlichen Glaubensinhalten vermissen und konnte keine eigenen spirituellen Gedanken oder Eindrücke schildern. Der Beschwerdeführer vermochte daher keinen nachvollziehbaren Glaubenswandel darzulegen.

Zusammengefasst ist das erkennende Gericht der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer sich nicht aus ernsthafter innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hat. Er zeigte in der mündlichen Verhandlung keine substantiierte spirituelle Haltung, welche von einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben, welcher in Österreich frei gelebt werden kann, zugewendet und sich für die Taufe entschieden hat, zu erwarten wäre. Die dargelegten Aussagen des Beschwerdeführers vermitteln deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten und Inhalten der Bibel nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich zum Schein erfolgte.

Die nach außen hin gesetzten sichtbaren Aktivitäten des Beschwerdeführers, wie die erfolgte Taufe, die Teilnahme an Gottesdiensten und an einem Bibelkreis vermögen nach Ansicht der erkennenden Richterin nicht die dargelegten Punkte, welche gegen einen tatsächlichen Glaubenswandel des Beschwerdeführers sprechen, zu kompensieren und kann alleine aus solchen äußeren Faktoren, welche nichts über die innere Haltung aussagen, keine tatsächliche Konversion des Beschwerdeführers geschlossen werden. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur kommt es nicht auf den Formalakt der Taufe, der gegenständlich gegeben ist, sondern auf die tatsächliche religiöse Haltung an (VwGH, 21.12.2006, 2005/20/0624). Auch die in der Verhandlung einvernommenen Zeugen vermochten mit ihren Aussagen nichts an dieser Ansicht ändern, bestätigten diese doch nur die außenwirksam gesetzten Aktivitäten wie die Taufe und die Teilnahme am Bibelkreis, während etwa das angebliche Erweckungsmoment des Beschwerdeführers - der Traum, in dem ihm Jesus erschien - dem Pastor unbekannt war.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer keine ernsthafte Konversion hinter sich hat. Konversion (lat.: conversio ‚Umwendung, Umkehr‘) bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen sowie möglicherweise auch anderen Teilen der mit der fremden Religion verbundenen Kultur durch eine konvertierende Person. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen der erkennenden Richterin nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken. Eine innere Überzeugung des Glaubenswechsels liegt gegenständlich nicht vor.

Der Beschwerdeführer behauptete zu keinem Zeitpunkt wegen seiner Konversion zum Christentum bei einer Rückkehr von den irakischen Behörden verfolgt zu werden. Auch den oben zitierten Länderfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass Christen oder Konvertiten im Irak staatliche Verfolgung zu befürchten hätte. Nachdem die behauptete Verfolgung durch eine schiitische Miliz in Bagdad nicht glaubhaft ist, hat sein Glaubenswechsel diesbezüglich auch keine Relevanz.

Allerdings gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, eine Verfolgung durch seine Familie und seinen Schwager zu befürchten. Dazu muss zunächst festgestellt werden, dass es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes, wie bereits ausgeführt wurde, nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer bereits in Bagdad Probleme mit seiner Familie wegen seiner Abwendung vom Islam gehabt hätte. Ergänzend ist noch hinzuzufügen, dass sein – laut Angabe des Beschwerdeführers – strenggläubiger Schwager im Fall von bestehenden religiösen Differenzen nicht den Beschwerdeführer beauftragt hätte, gemeinsam mit seiner Ehefrau und den Kindern den Irak zu verlassen und nach Österreich zu reisen. Auch hätte er ihm dann im Juli 2015 keine Vollmacht erteilt, seine Geschäfte zu führen (eine entsprechende Vollmacht in Kopie war der Beschwerde beigelegt). Insgesamt erscheint der Konflikt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie konstruiert.

Während der Beschwerdeführer zudem in der mündlichen Verhandlung angab, seiner Familie nie von der Konversion erzählt zu haben (zu seinen Eltern habe er vorher den Kontakt verloren, sein Schwager habe nicht von ihm davon erfahren), wird in einem Empfehlungsschreiben von Freunden seiner Kirchengemeinde vom 28.10.2019 erklärt, dass der Beschwerdeführer ihnen gesagt habe, dass er seiner Familie von seinem Glaubenswechsel erzählt habe und daraufhin von ihnen mit dem Tod bedroht worden sei. Auch hier zeigen sich Unstimmigkeiten.

Soweit seine eigene Familie betroffen ist, gab der Beschwerdeführer außerdem an, dass seine ganze Familie den Irak verlassen und sich zum Zeitpunkt des letzten Kontaktes in der Türkei aufgehalten habe. Die Familie sei auf dem Weg nach Österreich gewesen. Entsprechend hatte er auch am 27.10.2016 geltend gemacht, dass er im Irak keine Angehörigen, Verwandten oder ihm nahestehende Personen haben würde. Eine Verfolgung durch seine Familie im Irak ist daher ohnehin nicht möglich, da sich seiner Aussage nach niemand mehr dort aufhält.

Sein Schwager kehrte allerdings gemeinsam mit der Schwester des Beschwerdeführers und den gemeinsamen Kindern Ende 2016 freiwillig in den Irak zurück. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer, vor etwa eineinhalb Jahren einen Drohanruf von seinem Schwager erhalten zu haben. Dieser habe ihn beschimpft und ihm gesagt, dass er eine Schande für die Familie sei. Abgesehen davon, dass er später dann wieder meinte, der Anruf sei zwei Jahre nach der freiwilligen Rückkehr seines Schwagers (und damit nicht vor eineinhalb Jahren, sondern vor weniger als einem Jahr) gewesen, konnte der Beschwerdeführer auch nicht wirklich angeben, wie sein Schwager von seiner Konversion erfahren haben soll; er meinte nur, ein Freund habe dies wohl seinem Schwager erzählt. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes erscheint dieser behauptete Drohanruf nicht glaubhaft, zumal der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 auch erklärte, dass er gar nicht wisse, ob sein Schwager in den Irak zurückgekehrt sei oder nicht, was auch gegen einen Kontakt spricht.

Es ist zudem davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben, dem er sich, wie die Beweiswürdigung zeigte, lediglich zum Schein zugewandt hat und diesen nicht tatsächlich und ernsthaft praktiziert, diesen umso weniger im Rückkehrfall in den Irak praktizieren bzw. ein diesbezügliches Bedürfnis haben wird; daher ergibt sich daraus keine Verfolgungsgefahr. Wie bereits dargelegt, ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer tatsächlich von seinem Schwager bedroht worden ist.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer im Irak keine Verfolgung wegen seiner (Schein-)Konversion droht.

Sonstige Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht. In der Gesamtsicht dieser Erwägungen gelangt daher das erkennende Gericht in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zum Schluss, dass der Beschwerdeführer den Irak aufgrund der allgemeinen instabilen Lage in seinem Herkunftsstadt verlassen hat und es ihm nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

2.4. Zu einer Rückkehrgefährdung:

Generell muss darauf hingewiesen werden, dass nach dem Sieg über den Islamischen Staat – jedenfalls in Bagdad - von einer eindeutigen Verbesserung der Sicherheitslage ausgegangen werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht bezweifelt aus den bereits weiter oben genannten Gründen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich von Milizen bedroht wird bzw. dass er aufgrund seines Glaubens mit Problemen zu rechnen hat.

Im Oktober 2019 gab es in Teilen Bagdads, insbesondere rund um den Tahrir-Platz, Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung. Aufgrund des restriktiven Vorgehens der Sicherheitskräfte wurden zahlreiche Anhänger der Protestbewegung getötet. Daraus ergibt sich aber keine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers, der nie vorgebracht hatte, sich oppositionspolitisch zu betätigen.

Der Beschwerdeführer machte im Verfahren, abgesehen von einem Hautausschlag, keinerlei gesundheitliche Einschränkungen geltend. Er ist erwerbsfähig und verfügt über eine umfassende Bildung. Es ist ihm zumutbar, sich wieder eine Existenz in Bagdad aufzubauen und an frühere Kontakte anzuknüpfen.

Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Bagdad zumutbar und möglich ist.

2.5. Zu den Länderfeststellungen:

Dem Beschwerdeführer wurde im Vorfeld der Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak übermittelt. Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht entgegen.

Zusätzlich wurde für gegenständliches Erkenntnis eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Konversion berücksichtigt, welche sich unter anderem auf EASO-Berichte und die aktuellen Empfehlungen von UNHCR zum Irak (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019) stützt. Den darin enthaltenen Feststellungen wurde vom Beschwerdeführer auch nicht entgegengetreten, vielmehr wurden diese in einer Stellungnahme vom 21.08.2019 nochmals ausdrücklich zitiert. Aufgrund der im Verfahren festgestellten Scheinkonversion des Beschwerdeführers stellen die in der Anfragebeantwortung genannten Probleme bzw. Bedrohungsszenarien für Konvertiten im Irak keine Gefahr für den Beschwerdeführer dar.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

In der Beschwerde wurde erklärt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines sunnitischen Glaubens im Irak verfolgt wird. Dazu stellt das European Asylum Support Office (EASO) fest, dass alleine die Zugehörigkeit zur sunnitischen Gemeinschaft noch nicht ausreicht, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zu begründen (EASO, Country Guidance: Iraq, Juni 2019). Auch wenn der Beschwerdeführer als Angehöriger der muslimischen Glaubensgemeinschaft sunnitischer Glaubensrichtung in Bagdad im Verhältnis zu den Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft in der Minderheit sein mag, kann eine systematische Verfolgung und Diskriminierung der Sunniten im Irak durch staatliche Stellen oder Privatpersonen im Lichte der vorliegenden aktuellen Länderberichte nicht festgestellt werden. Im Parlament, als auch generell auf politischer Ebene sind Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft vertreten. Sunniten nehmen, trotz der überwiegenden Präsenz schiitischer Milizen, am gesellschaftlichen und politischen Leben im Irak bzw. in Bagdad nach wie vor teil. Auch wenn die Kriegsgeschehnisse der vergangenen Jahre zu starken Ressentiments der Glaubensgruppen untereinander geführt haben, welche sich in Bagdad schließlich auch in die Bildung von „sunnitischen“ und von „schiitischen“ Vierteln niedergeschlagen hat, ist es für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft dennoch möglich, im Irak zu leben, zu arbeiten, staatliche und politische Posten zu besetzen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (vgl. dazu VwGH, 29.06.2018, Ra 2018/18/0138 und 25.04.2017, Ra 2017/18/0014).

Soweit der Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgung seiner Person bzw. seiner Familie durch schiitische Milizen behauptete, ist sein Vorbringen nicht glaubhaft.

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Beschwerdeführer zudem vor, dass er aufgrund seiner inzwischen erfolgten Konversion zum Christentum eine Verfolgung durch seinen Schwager befürchten würde.

Mit der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befasst (vgl. etwa das Erk vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0550; das Erk vom 17. September 2008, Zl. 2008/23/0675, je mwN). Entscheidend ist demnach, ob der Fremde bei weiterer Ausführung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Ob die Konversion bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist, ist nicht entscheidend (vgl. das Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/20/0544; das Erk. des VwGH vom 23.6.2015, Zl. Ra 2014/01/0120).

Es kommt nach der Rechtsprechung des EuGH darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (vgl. das Urteil des EuGH vom 5.9.2012, C-71/11 bzw. C-99/11 ).

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 können beim Erstantrag die subjektiven Nachfluchtgründe – müssen aber nicht – Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sein (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 3, K64).

Art. 10 Abs. 1. lit b der Statusrichtlinie definiert Religion insbesondere als theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Geschützt ist die Entscheidung aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen. Der einzelne darf sich zu seiner religiösen Grundeinstellung nach außen bekennen und an religiösen Riten im öffentlichen Bereich teilnehmen (OVG Sachsen, 03.04.2008, B 36/06 in Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 3, K40).

Wie oben beweiswürdigend dargelegt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft darlegen, dass er aufgrund des von der Rechtsprechung geforderten inneren Entschlusses tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert ist. Das Vorbringen des Beschwerdeführers war als unglaubwürdig zu qualifizieren, weswegen es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist.

Eine sonstige Bedrohung oder Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch war eine solche für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar.

Daher ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=0265b2aa-bb59-4583-b067-515fb0f33d4d&Position=1&Abfrage=Bvwg&Entscheidungsart=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=I403&VonDatum=01.01.2014&BisDatum=08.06.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=nigeria&Dokumentnummer=BVWGT_20180516_I403_2185375_1_00#hit104Irakhttps://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe ?ResultFunctionToken=0265b2aa-bb59-4583-b067-515fb0f33d4d&Position=1&Abfrage=Bvwg&Entscheidungsart=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=I403&VonDatum=01.01.2014&BisDatum=08.06.2018&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=nigeria&Dokumentnummer=BVWGT_20180516_I403_2185375_1_00#hit106 keine Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und der Ausspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen ist.

3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 idgF ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Wie in der Beweiswürdigung bereits dargelegt, war dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Verfolgung durch Milizen ebenso wie einer Verfolgung durch seinen Schwager wegen seiner Konversion die Glaubhwürdigkeit zu versagen, sodass nicht damit zu rechnen ist, dass er bedroht oder verfolgt wird, wenn er in den Irak zurückkehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, festgestellt, dass an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten ist.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH, 26.06.2019, Ra 2019/20/0050 bis 0053).

Derartige Umstände wurden vom Beschwerdeführer nicht dargelegt bzw. nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund, erwerbsfähig und verfügt über eine gute Schulbildung. Auch wenn er auf keinen Familienverband mehr zurückgreifen kann, wird er in keine existenzielle Notlage geraten. Die Mehrzahl jener, die humanitärer Unterstützung bedürfen, leben nicht in Bagdad, sondern in den Gegenden, die vom Konflikt mit dem IS am stärksten betroffen waren (UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, 55). Der Zugang zu Arbeitsplätzen und Erwerbsmöglichkeiten bleibt zwar vor allem für Binnenvertriebene und Rückkehrer eine Herausforderung, was sich wiederum deren Zugangsmöglichkeiten zu Nahrung, Unterkunft, Gesundheit, Bildung und öffentlichen Versorgungsdienstleistungen beeinträchtigt (UNHCR, Considerations, 59), doch weist der Beschwerdeführer als unabhängiger gesunder, junger Mann keine besonderen Vulnerabilitäten auf, die annehmen ließen, dass es ihm unmöglich sein sollte, in seiner Heimatstadt wieder Fuß zu fassen.Wie bereits ausgeführt wurde, ist gegenständlich nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die christliche Glaubenspraxis und Lebensführung verinnerlicht hätte bzw. diese im Irak weiter leben würde, so dass ihm auch daraus keine Nachteile entstehen werden.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, erster Spruchteil):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides – im Umfang des ersten Spruchteiles - gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, zweiter Spruchteil):

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK in Österreich. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in sein Privatleben. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH, 05.06.2019, Ra 2019/18/0078; 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; 06.09.2017, Ra 2017/20/0209; 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072; 20.06.2017, Ra 2017/22/0037).

Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. etwa VwGH 28.01.2016, Ra 2015/21/0191, mwN).

Im gegenständlichen Fall liegt eine derart außergewöhnliche Konstellation nicht vor. Der Beschwerdeführer hält sich seit etwas mehr als vier Jahren im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer erwarb in den vier Jahren seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkenntnisse und begann mit einem Kurs zum Erwerb des Pflichtschulabschlusses. Er ist ehrenamtlich am Bauhof tätig und hat zahlreiche Freundschaften im Rahmen seiner Kirchengemeinde geschlossen. Selbst unter Berücksichtigung der umfassenden Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers besteht allein dadurch noch keine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden kann und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl. dazu VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10).

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt aber nicht vor; bei dem Beschwerdeführer sind keine besonderen Vulnerabilitäten gegeben, zumal er gesund und damit erwerbsfähig ist.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des zweiten Spruchteiles von Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, dritter Spruchteil):

Mit angefochtenem Bescheid wurde zudem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig ist. Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse vom 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides – im Umfang des dritten Spruchteiles - gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids):

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Dass besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Berücksichtigt wurde insbesondere die Judikatur zur Scheinkonversion (VwGH, 29.08.2019, Ra 2019/19/0303 und VwGH, 26.03.2019, Ra 2018/19/0530).

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