BVwG L519 2166551-1

BVwGL519 2166551-17.2.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §22 Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AVG §73 Abs1
BFA-VG §3 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art. 130 Abs1 Z3
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §16
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L519.2166551.1.00

 

Spruch:

L519 2166551-1/25E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF über den Antrag auf internationalen Schutz von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Raphael SEIDLER, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des am 06.08.2015 gestellten Antrags auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.05.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG stattgegeben.

 

II. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 06.08.2015 wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen.

 

IV. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird

XXXX gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen XXXX eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Iran, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 06.08.2015 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Am 07.08.2015 erfolgte die Erstbefragung des BF. Der BF hätte aus politischen Gründen seine Heimat verlassen, da er sich im Iran von 2006 bis 2014 in Haft befunden hätte, wobei er ursprünglich zu 30 Jahren Haft verurteilt worden sei. Nach vorzeitiger Entlassung habe er sich sofort zum Verlassen des Heimatlandes entschlossen.

 

Von staatlicher Seite habe er aktuell keine Sanktionen zu befürchten. Er werde weder behördlich gesucht, noch bestehe ein Haftbefehl gegen ihn. Er habe bis zu seiner Ausreise bei seiner Familie gelebt. Im Falle der Rückkehr würden ihm dennoch gemäß Angaben zu den Rückkehrbefürchtungen erneut Verhaftung und Folter drohen.

 

Der BF legte ein Schreiben des Ahwazischen Vereins zur Verteidigung der Menschenrechte in Englisch vor.

 

I.2. In weiterer Folge wurde sein Verfahren zugelassen und ihm eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt.

 

I.3. Am 20.02.2017 brachte der BF beim BFA über die Rechtsberatung - VMÖ Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) ein und stellte den Antrag, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möge über seinen Antrag in der Sache entscheiden bzw. in Stattgabe der Beschwerde die Verletzung der Entscheidungsfrist feststellen. Seit der Erstbefragung seien keine Verfahrensschritte durch das BFA erfolgt. Die belangte Behörde sei nach § 73 Abs. 1 AVG verpflichtet, über den Antrag des Beschwerdeführers ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach Antragseinbringung einen Bescheid zu erlassen. Eine Entscheidung sei bis dato nicht ergangen und es treffe die belangte Behörde das alleinige Verschulden an der Verletzung der Entscheidungspflicht.

 

I.4. Der BF wurde für den 09.05.2017 zur Einvernahme vor die belangte Behörde geladen, wobei der Termin abberaumt wurde, da inzwischen das BVwG zuständig geworden sei.

 

I.5. Mit 03.08.2017 legte das BFA dem BVwG ohne weitere Verfahrensschritte den gg. Verfahrensakt vor, dieser langte am 04.08.2017 beim BVwG ein und wurde das Beschwerdeverfahren in der Folge der nunmehr zuständigen Abteilung des BVwG zugewiesen.

 

I.6. Das BFA erstattete im Gefolge der Vorlage eine Stellungnahme, wonach es an der Verzögerung der Erledigung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz aufgrund der allgemeinen Flüchtlingskrise kein überwiegendes Verschulden träfe. Die verspätete Übermittlung wurde damit begründet, dass die Säumnisbeschwerde "zwischen die Akten" gerutscht und erst jetzt entdeckt worden sei.

 

I.7. Mit verfahrensleitendem Beschluss des BVwG vom 13.11.2017, wurde dem BFA gemäß § 19 Abs. 6 AsylG idgF der Auftrag erteilt, den BF zu seinen Gründen für den gg. Antrag auf internationalen Schutz zu befragen, ihm die Vorlage der maßgeblichen Beweismittel für sein Vorbringen aufzutragen und ihm die länderkundlichen Informationen des Bundesamtes zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis zu bringen.

 

I.8. Das BFA hat mit dem Beschwerdeführer am 09.01.2018 eine Einvernahme durchgeführt. Dabei gab der BF zusammengefasst an, dass er dem Arab Struggle Movement für Liberation of Ahwaz angehöre und aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt werde. Der im Iran für seinen Akt zuständige Beamte XXXX werde nun von der EU als politischer Verbrecher gesucht. Wegen seiner Abstammung oder Religion habe er keine Probleme gehabt. Er sei im Iran zu einer Haftstrafe verurteilt worden, habe in Haft gesundheitliche Probleme bekommen und im Zuge einer Verlegung in ein Krankenhaus fliehen können.

 

Der BF verzichtete auf eine Einsicht in die Länderinformationen.

 

Der BF legte einen iranischen Personalausweis, ein iranisches Gerichtsurteil samt Übersetzung, ein Deutschzertifikat A1, eine UNHCR Zusammenfassung über den Iran, eine Bestätigung der Vereinten Nationen, Fotos und Zeitungsartikel, Bericht vom BMI und UNHCR, Berichte von UN sowie Berichte von weiteren Organisationen und Perssemitteilungen vor.

 

Zudem gab der BF Links im Internet bekannt, unter welchen Interviews vom ihm einsehbar wären. Die Videos wurden mit einem Dolmetscher in Augenschein genommen und gaben die Angaben des BF wieder. Auch hinsichtlich Theaterstücken (der BF habe Kunstprojekte im Iran organisiert) wurde auf YouTube nachgesehen und wurden dementsprechende Videos in Augenschein genommen. Es gäbe auch einen Bericht in deutscher Sprache. Er habe im Iran politische Kunstprojekte gemacht, daher sei er eingesperrt worden.

 

I.9. Am 14.05.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten, an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Vertretung teilnahm. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der Verhandlung ferngeblieben.

 

Im Verlauf der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei, Erörterung der vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Dokumente sowie den diversen Schreiben u.a. von der Ahwasi Organisation.

 

I.10. Mit Schreiben vom 16.01.2019 wurden dem BF aktuelle Länderfeststellungen übermittelt und wurde ihm Parteiengehör gewährt. Eine Stellungnahme hierzu langte nicht ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

 

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen iranischen Staatsangehörigen, welcher zur Volksgruppe der Araber gehört und sich zum sunnitischen Islam bekennt. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

 

Der BF ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer im Iran - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

 

Der BF stammt aus der Region XXXX und hat 10 Jahre die Schule besucht. Im Anschluss hat er eine Ausbildung zum Elektriker absolviert und für eine Erdölfirma bzw. ein Theater gearbeitet. Er spricht neben Arabisch auch Farsi.

 

Im Iran leben nach wie vor drei Brüder und zwei Schwestern des BF. Die Ehegattin des BF lebt mit den beiden gemeinsamen Kindern in der Türkei.

 

Der BF ist strafrechtlich in Österreich bislang unbescholten und lebt von der Grundversorgung. Der BF hat einen Kurs besucht und die Deutschprüfung A1 abgelegt.

 

Der BF hat keine familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich. Er hat über das Hilfswerk zweitweise bei Veranstaltungen ehrenamtlich mitgeholfen.

 

Die Identität des BF steht nicht fest.

 

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein.

 

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

 

Aus der Aktenlage ergibt sich, dass der BF nach Ablauf der Entscheidungsfrist eine Säumnisbeschwerde eingebracht hat.

 

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Iran:

 

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran werden folgende

Feststellungen getroffen:

 

Politische Lage

 

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 6 .2018a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 9.2017). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2018a).

 

Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: 19.05.2017). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis - Majles-e Shorâ-ye Eslami/ Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar und April 2016 statt. Über dem Präsidenten, der laut Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer [auch Oberster Rechtsgelehrter oder Revolutionsführer], seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran) und auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 9.2017). Der Revolutionsführer ist oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter, kann zentrale Entscheidungen aber nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Die Mitgliedschaft und Allianzen untereinander unterliegen dabei ständigem Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 2.3.2018).

 

Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein europäisches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AA 6 .2018a, FH 1.2018, BTI 2018).

 

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln. Zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind

Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2018a).

 

Parteien nach westlichem Verständnis gibt es nicht, auch wenn zahlreiche Gruppierungen nach dem iranischen Verfahren als "Partei" registriert sind. Bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden keine Parteien, sondern Personen gewählt (AA 6 .2018a, vgl. GIZ 3.2018a). Zahlreiche reformorientierte Gruppierungen wurden seit den Präsidentschaftswahlen 2009 verboten oder anderweitigen Repressionen ausgesetzt. Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA 6 .2018a).

 

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 1.2018, vgl. AA 2.3.2018).

 

Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) genannten Abkommen und dessen Umsetzung am 16. Jänner 2016 führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft: Die mit dem iranischen Atomprogramm begründeten Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs- und Delegationsaustausch mit dem Iran, zahlreiche neue Wirtschaftsverträge wurden unterzeichnet. Die Erwartung, dass durch den erfolgreichen Abschluss des JCPOA die reformistischen Kräfte in Iran gestärkt werden, wurde in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt: Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher noch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt war die Publikation der Bürgerrechtscharta im Dezember 2016. Die rechtlich nicht bindende Charta beschreibt in 120 Artikeln die Freiheiten, die ein iranischer Bürger haben sollte (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dass sich die USA aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran zurückziehen werde, stieß international auf Kritik. Zudem will Trump die in der Folge des Wiener Abkommens von Juli 2015 ausgesetzten Finanz- und Handelssanktionen wiedereinsetzen (Kurier 9.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Auch wenn die allgemeine Lage insgesamt als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land. Sie haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 20.6.2018).

 

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht. Am 7. Juni 2017 ist es nichtsdestotrotz in Teheran zu Anschlägen auf das Parlamentsgebäude und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini gekommen, die Todesopfer und Verletzte forderten (AA 20.6.2018b).

 

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b, vgl. BMeiA 20.6.2018).

 

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am

6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben (AA 20.6.2018b).

 

Quellen:

 

 

 

 

Verbotene Organisation

 

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände (vgl. Art.279 bis 288 IStGB sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des IStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 2.3.2018).

 

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 2.3.2018). KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv. Dies sind politische Gruppierungen, aber vor allem PJAK und Komala erscheinen momentan weniger aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Im FFM-Bericht des Danish Immigration Service erklärt eine Quelle, dass sie noch nie davon gehört hätte, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. das Verteilen von Flyern angeklagt wurde. Andererseits ist es aber laut einer anderen Quelle schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Aufmalen von politischen Slogans an eine Wand erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

Volksmudschaheddin (Mudjahedin-e-Khalq - MEK, MKO; People's Mojahedin Organisation of Iran - PMOI; National Council of Resistance of Iran - NCRI)

 

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, "iranische Volksmudschahedin") gilt in Iran als Terror-Organisation, die für die Ermordung von 17.000 IranerInnen verantwortlich gemacht wird (ÖB Teheran 9.2017). Es handelt sich um eine linksgerichtete Gruppierung, die in den 1960er Jahren gegründet wurde, um sich gegen den Schah zu stellen. Nach der Islamischen Revolution 1979 wendete sie sich gegen die klerikalen Führer. Die Führung in Teheran macht die Gruppierung für Tausende Morde an iranischen Zivilisten und Beamten verantwortlich. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren verlegten die Volksmudschaheddin ihr Camp in den Irak (Global Security o.D., vgl. ACCORD 7.2015). Experten sind sich einig, dass die Volksmudschaheddin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016). In Bezug auf die Demonstrationen, die Ende 2017/Anfang 2018 in den großen Städten Irans stattfanden, gab der Oberste Führer Khamenei den Großteil der Schuld an den Demonstrationen der MEK und erkannte somit das Ausmaß des Einflusses dieser Gruppierung an (Iran Focus 18.1.2018, vgl. Arab News 22.1.2018). Weiters kritisierte Präsident Rohani den französischen Präsidenten Macron, dass eine terroristische Gruppierung, die gegen das iranische Volk arbeitet und zu Gewalt aufruft, in Frankreich eine Basis hat [der von Maryam Rajavi geführte Nationale Widerstandsrat hat seinen Sitz in Frankreich] (Iran Focus 18.1.2018)

 

Die Entwaffnung der Kämpfer der Volksmudschaheddin im Camp Ashraf und an anderen Orten nahe Bagdad bei der US-Invasion im Irak erfolgte durch die Amerikaner. Die MEK-Führung habe sich von Saddam Hussein distanziert und ihre Opposition gegenüber der islamischen Regierung in Teheran betont. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die MEK aus Sicht der Amerikaner neu erfunden. Die MEK-Führung stellt sich selbst als demokratische und populäre Alternative zum islamischen Regime dar und behauptet, über Unterstützung der iranischen Bevölkerungsmehrheit zu verfügen. Diese Behauptung wird von AkademikerInnen und anderen Iran-ExpertInnen bestritten. Im Exil hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Guardian 21.9.2012, vgl. ACCORD 9.2013). Die Streichung der MEK von der Liste terroristischer Organisation durch die EU und die Vereinigten Staaten 2012 wurde von iranischer Seite scharf verurteilt. Verbindungen zur MEK gelten als moharebeh (Waffenaufnahme gegen Gott), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die MEK konzentriert sich auf das Beeinflussen der öffentlichen Meinung und auf das Sammeln von Informationen zur Situation im Land. Iran führt eine Liste mit ca. 100 MEK-Unterstützern (hauptsächlich Anführern), die nicht nach Iran zurückkehren können, da sich das Interesse der Behörden auf sie richten würde. In Bezug auf die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für die MEK gibt es widersprüchliche Informationen. Einerseits gibt es Informationen, die besagen, dass die MEK die größte militante iranische Oppositionsgruppe sei, mit dem Ziel die Islamische Republik zu stürzen, und die iranische Regierung und der Sicherheitsapparat die MEK als die am meisten ernstzunehmende regimekritische Organisation betrachten. Andererseits gibt es Berichte, die der MEK wenig bis gar keine Unterstützung der Bevölkerung zusprechen. Die MEK hat keine große Basis in Iran und auch die Untergrundbewegung ist klein. Nur einige MEK-Aktivisten sind in Iran aufhältig (ACCORD 7.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

 

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität, und man wollte die "Arianisierung" der Kurden durch die Zentralregierung verhindern. 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Eben dort hat auch die PKK ihre Basen und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK. Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Die PJAK ist die einzige kurdische Partei, die noch immer aktiv für ihre Ziele - z. B. Selbstbestimmung - in Iran kämpft. Angaben über die Stärke der PJAK-Kämpfer sind schwierig. Schätzungen liegen bei ca. 3.000 Kämpfern. Es gibt auch einige Einheiten mit weiblichen Kämpferinnen (BMI 2015, ACCORD 7.2015).

 

Die PJAK liefert sich seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 2.3.2018). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen - insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß. Zusammenstöße zwischen Kurden und iranischen Sicherheitskräften, welche insbesondere im zweiten Quartal 2016 zunahmen und, neben hunderten Festnahmen, auch zu Toten und Verletzten führten, nähren Befürchtungen, dass Kurden zukünftig vermehrt Repressalien ausgesetzt sein könnten, nicht zuletzt um Sympathiebekundungen mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden hintanzuhalten. Hier gilt es jedoch anzumerken, dass von kurdischer Seite Gewalttätigkeiten gegen iranische Sicherheitskräfte zunahmen. So bestätigte etwa die Demokratische Partei Kurdistans in Iran im September 2016, dass die Peschmerga, Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan, einen bewaffneten Konflikt mit iranischen Regierungstruppen in den kurdischen Gebieten Irans begonnen hätten. Iran wird weiter mit allen Mitteln aufrührerische Tendenzen unterdrücken wollen (ÖB Teheran 9.2017). Die PJAK erscheint momentan weniger aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Bei der PJAK gibt es zwei Arten von Mitgliedschaft: Professionelle Mitglieder, die unter anderem auch militärisches Training erhalten und Waffen tragen. Diese sind unverheiratet und haben ihr Leben der PJAK gewidmet. Sie werden von der PJAK z.B. in kurdische Dörfer oder Städte entsandt, wo sie versuchen, die Leute zu organisieren und verschiedene Komitees und legale Organisationen zu gründen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Professionelle Mitglieder nehmen an militärischen und politischen Aktivitäten der PJAK teil. Als zweite Gruppe werden die semi-professionellen oder lokalen Mitglieder genannt, die ein ganz normales Leben mit ihren Familien führen. Sie nehmen nicht an militärischen Aktivitäten teil, führen aber politische Aktivitäten aus, wie z.B. Flyer verteilen. Um ein semi-professionelles Mitglied zu werden, muss man das Ausbildungsprogramm der Partei durchlaufen. Neben diesen beiden Gruppen gibt es auch noch die Sympathisanten, die selten auch Flyer verteilen oder an Demonstrationen teilnehmen. Diese sind nicht direkt an der Organisation von Demonstrationen beteiligt und haben auch keine Verbindung zur Organisation der Partei. Die Sympathisanten arbeiten unter der Führung der semi-professionellen Mitglieder. Da die PJAK in Iran eine verbotene Organisation ist, müssen sowohl Mitglieder als auch Sympathisanten mit ernstzunehmenden Strafen rechnen, wenn ihre Aktivitäten enthüllt werden (DIS/DRC 30.9.2013).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

 

Neben der PJAK stehen weitere kurdische Gruppierungen, denen die Regierung separatistische Tendenzen unterstellt, im Zentrum der Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte. Hierzu zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI). Letztere wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft (AA 9.12.2015, vgl. BMI 2015).

 

Die kurdischen Oppositionspartien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Die KDPI wurde 1945 gegründet und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt. Die KDPI fordert kurdische Autonomie (TRAC o. D.) innerhalb eines demokratischen Iran (MERIP o.D.). Das Hauptquartier der KDPI, die sich in ihrer Geschichte mehrmals gespalten hat, befindet sich im Irak (MERIP o.D., vgl. ACCORD 7.2015).

 

Komalah (SKHKI) hat ihre Zentrale in der Autonomen Kurdischen Region Irak. Es gibt Parteimitglieder und -sympathisanten. Organisiert ist sie in einzelnen Zellen, die von Mitgliedern geführt werden. Die Mitglieder einer Zelle teilen sich die Arbeit auf, aber nur eine Person nimmt Kontakt zur Zentrale auf. Sympathisanten hören das Parteiradio, schauen Komala TV und beteiligen sich an Aktivitäten, die von Komala empfohlen werden. Die Zellen fungieren als eine Art Schirmorganisation, die eine große Anzahl an Sympathisanten abdecken. Geheime Aktivitäten der Partei in Iran werden von der Einheit "Takesh" durchgeführt. Komala erlaubt ihren Mitgliedern in Iran nicht, sich in größeren Gruppen als zwei oder drei Personen zu treffen (DIS/DRC 30.9.2013). Die Komala ist in Iran verboten (BMI 2015). Die Komala erscheint momentan weniger aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 9.2017).

 

Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Er ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 2.3.2018).

 

Obwohl das Beschwerderecht garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

 

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 20.4.2018). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die unter Anwendung von Folter gemacht wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 18.1.2018). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 18.1.2018).

 

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 15.8.2017).

 

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

 

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

 

 

 

 

 

 

 

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

 

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor auf der Tagesordnung (ÖB Teheran 9.2017). Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen. Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qesas-und Hudud-Delikten:

 

* "Hudud" (Verstoß gegen das Recht Gottes) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

 

* "Qesas"(Vergeltung) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 31.500 €). Für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten ist Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen (AA 9.12.2015).

 

Die "Taazirat"-Vorschriften (vom Richter verhängte Strafen), Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud- und Qesas-Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum (AA 9.12.2015).

 

Entgegen anfänglicher Erwartungen ist in der Strafrechtsnovelle die Steinigung als Bestrafung für Ehebruch noch immer vorgesehen, auch wenn der Richter auf eine andere Form der Hinrichtung ausweichen kann. Darüber hinaus wurden alternative Maßnahmen für Kinder im Alter von 9 bis 15 implementiert, wie zum Beispiel Besuche beim Psychologen oder die Unterbringung in einer Besserungsanstalt, Auch nach neuem Strafrecht ist die Verhängung der Todesstrafe für Minderjährige möglich, wobei im Einzelfall auch die mangelnde Reife des Täters festgestellt und stattdessen eine Haft- oder Geldstrafen verhängt werden kann (AA 9.12.2015).

 

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 2.3.2018).

 

Im Frühling 2016 wurde ein Gesetz zu politischen Verbrechen erlassen, welches zwar eine Sonderbehandlung für politische Häftlinge einführt (eigene Gefängnisse, keine Gefängniskleidung), den Begriff "politisches Vergehen" aber sehr offen definiert, weshalb weiter willkürliche Verfolgung zu befürchten ist. Statistiken zur Zahl der politischen Gefangenen sind nicht verfügbar. Es wird aber von mehr als 1.000 politischen Gefangenen ausgegangen, wobei diese Zahl auch Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung festgehalten werden, beinhaltet (ÖB Teheran 9.2017).

 

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 2.3.2018).

 

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 2.3.2018).

 

Es gibt verfahrensrechtliche Bestimmungen, die den Richtern die Anweisung geben, islamische Quellen und Fatwas zu kontaktieren, wenn es keinen Gesetzestext zum Vorfall gibt (DIS 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums und die Revolutionsgarden welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 20.4.2018). Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC) ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer. Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 2.3.2018).

 

Der Oberste Rechtsgelehrte hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem innerhalb des Sicherheitsapparates. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 20.4.2018).

 

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, sind aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018).

 

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis in Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügeln durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/enger Mantel oder das Hervortreten von Haarsträhnen unter dem Kopftuch, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt für eine Verhaftung reichen (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 1.2018). Die Elitetruppe der Islamischen Republik betreibt den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügt damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der 'Sepah Pasdaran' Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die gesammelten Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018).

 

Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Es gelingt ihm nur kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor je nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

 

Berichten zufolge, versucht die Regierung die wirtschaftliche Dominanz der Revolutionsgarden (IRGC), die zu Korruption führte, einzudämmen. Es sollen zumindest ein Dutzend Mitglieder der IRGC und den IRGC nahestehende Geschäftsleute inhaftiert worden sein, und andere sollen gezwungen worden sein, Einkünfte aus verdächtigen Geschäftsvereinbarungen zurückzuzahlen (FH 1.2018).

 

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist zu sagen, dass nicht bekannt ist, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist, jeden zu überwachen. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 24.4.2018

 

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nichtregistrierten Gefängnissen, aber auch aus "offiziellen" Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 2.3.2018).

 

Die Justizbehörden verhängten und vollstreckten auch 2017 weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkamen. In einigen Fällen wurden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhielten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben. Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. außereheliche Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten in zahlreichen Fällen Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstreckten auch erniedrigende Strafen (AI 22.2.2018).

 

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, u.U. ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. So wurden etwa im Mai 2016 mehr als 30 Studenten wegen Teilnahme an einer Party mit Alkohol und Tanz zu je 99 Peitschenhieben verurteilt. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auspeitschungen werden zum Teil auch öffentlich vollstreckt. Berichten zufolge werden auch die Strafen der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung noch angewandt - auf die Anwendung letzterer kann die/der ursprünglich Verletzte jedoch gegen Erhalt eines "Abstandsgeldes" verzichten (ÖB Teheran 9.2017).

 

Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 9.2017, vgl. HRC 5.3.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

Korruption

 

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz willkürlich, und so bleibt Korruption ein ernstes und allgegenwärtiges Problem in allen Bereichen des Beamtenapparates. Die meisten Beamten betätigten sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte "bonyads", leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption; nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 2.3.2018).

 

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionsindex von 2017 auf Platz 130 (2016: 131) von 180 untersuchten Ländern (TI 21.2.2018, vgl. GIZ 3.2018b). Es konnte sich in Iran kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln, dieses Problem wird durch die weit verbreitete Korruption noch verschärft (GIZ 3.2018b).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran nicht möglich. Alle Menschenrechtsorganisationen bedürfen einer staatlichen Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 2.3.2018). Auf Anfragen und Berichte reagierten Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachungen. Unabhängige Menschenrechtsgruppen sehen sich weiterhin Belästigungen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen, aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 20.4.2018).

 

In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland; Kritik an der Islamischen Republik wird hart verfolgt, etwa durch Straftatbestände wie "Propaganda gegen das Regime" oder "Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit". Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sitzen in ihrer überwiegenden Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Entsprechende Zahlen sind mangels offizieller Angaben nicht vorhanden. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen (AA 2.3.2018).

 

Menschenrechtsorganisationen sind in Iran nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Es gibt auch immer wieder Bestrebungen, die Gesetzgebung für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter zu verschärfen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung laut eigenen Angaben ungehindert arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, müssen NGOs ohne Registrierung und unter der Gefahr der Verfolgung arbeiten. Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des "Defenders of Human Rights Center", deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet) (ÖB Teheran 9.2017).

 

NGOs, die sich mit nicht-politischen Themen, wie z.B. Armut und Umwelt, beschäftigen, können relativ frei von Restriktionen arbeiten. Andere Gruppierungen, vor allem solche, die im Bereich Menschenrechtsverletzungen arbeiten, werden unterdrückt (FH 1.2018). Zahlreiche friedliche Regierungskritiker wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert. Betroffen waren Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende, Filmemacher, Musiker, Schriftsteller, Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtlerinnen und Aktivisten, die sich für die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten einsetzten. Im Visier standen außerdem Umweltschützer, Gewerkschafter, Gegner der Todesstrafe, Rechtsanwälte sowie Aktivisten, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für Massenhinrichtungen und das Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren forderten (AI 22.2.2018). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 9.2017).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Zu den größten menschenrechtlichen Problemen gehören die hohe Anzahl an Exekutionen, Folter, harsche und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, politische Gefangene, widerrechtliche Einmischung in die Privatsphäre, schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit. Weiters Frauen- und LGBTI-Rechte und eingeschränkte politische Partizipation, sowie Korruption. Es gab nur wenige Unternehmungen seitens der Regierung, diese Probleme zu untersuchen, gerichtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem in Iran (US DOS 20.4.2018). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 8.12.2016). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des "Defenders of Human Rights Center", deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit waren 2017 weiterhin stark eingeschränkt. Die Behörden inhaftierten zahlreiche Personen, die friedlich Kritik geäußert hatten. Die Gerichtsverfahren waren in aller Regel unfair. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen waren noch immer an der Tagesordnung und blieben straflos. Es wurden weiterhin Auspeitschungen, Amputationen und andere grausame Körperstrafen vollstreckt. Die Behörden billigten, dass Menschen wegen ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder einer Behinderung in starkem Maße diskriminiert und Opfer von Gewalt wurden. Hunderte Menschen wurden hingerichtet, einige von ihnen in der Öffentlichkeit. Tausende saßen weiterhin in den Todeszellen, darunter Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Ende Dezember 2017 gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen Armut, Korruption und politische Unterdrückung zu protestieren. Es waren die größten Kundgebungen gegen die iranische Führung seit 2009 (AI 22.2.2018). Vereinzelt wurden auch Rufe nach einem Ende der Islamischen Republik laut. Einige Personen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitsbehörden getötet und hunderte wurden inhaftiert (FH 1.2018). Laut dem rezenten Bericht der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran wurden bei den Protesten 22 Personen getötet, die Polizei bestätigte mindestens 1.000 Verhaftungen landesweit, ein Mitglied des Parlamentes sprach von 3.700 Verhafteten. Angeblich wurde eine große Anzahl an Studenten, die nicht an den Demonstrationen teilnahmen, präventiv in Haft genommen (HRC 5.3.2018).

 

Im März 2017 verlängerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran. Die iranische Regierung verweigerte sowohl der Sonderberichterstatterin als auch anderen UN-Experten weiterhin die Einreise. Im Mai wurde Präsident Hassan Rohani für eine zweite Amtszeit gewählt. Der Wahl ging ein Zulassungsprozess voraus, der von Diskriminierung geprägt war: Der Wächterrat schloss Hunderte Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung von einer Kandidatur aus. Dass Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein sollen, zu Ministern ernannt wurden, stieß in der Öffentlichkeit auf Kritik. Die EU und die iranische Regierung berieten über eine Wiederaufnahme des Menschenrechtsdialogs. Gleichzeitig verbüßten mehrere iranische Menschenrechtsverteidiger Gefängnisstrafen, weil sie Kontakt zu Vertretern der EU und der UN hatten. Die Regierungen Australiens, Schwedens, der Schweiz und weiterer Länder nahmen bilaterale Gespräche mit Iran über Menschenrechte auf (AI 22.2.2018).

 

Gegen Journalisten, Online-Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger wird weiterhin vorgegangen, ohne Rücksicht auf nationale und internationale rechtliche Standards (HRW 18.1.2018).

 

Wie schon 2013 versprach Rohani auch im Wahlkampf 2017, die Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit zu stärken. In seiner ersten Amtszeit von 2013-17 konnte die Regierung den Erwartungen nach einer Liberalisierung im Innern allerdings nicht gerecht werden. Die Menschenrechtslage in Iran bleibt vier Jahre nach Amtsantritt einer gemäßigten Regierung trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunst- und Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die außerordentlich hohe Anzahl an Hinrichtungen (AA 6 .2017a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Meinungs- und Pressefreiheit

 

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht "schädlich" für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die "Rechte der Öffentlichkeit" sind (ÖB Teheran 9.2017). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 2.3.2018, vgl. BTI 2018, AI 22.2.2018). So spiegelt zwar die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider. Geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers. Bei Abweichungen drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen "Propaganda gegen das System" bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten wie auch von konservativen Zeitungen. Auch 2016 und 2017 wurden reformorientierte wie konservative Zeitungen mit zeitweisen Publikationsverboten belegt, u.a. im Januar 2016 "Bahar", im Juni 2016 die Reformzeitung "Qanun" und die konservative Website "Jahan" und für einen Tag im November 2017 sogar die dem Revolutionsführer nahestehende erzkonservative Keyhan, weil die den Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien wider das nationale Sicherheitsinteresse angeheizt hatte (AA 2.3.2018). "Propaganda" gegen den Staat ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden - dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet. Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert. Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierten Anschuldigungen wie etwa "regimefeindliche Propaganda" verhängt (ÖB Teheran 9.2017).

 

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weitverbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sog. Jamming) zu unterbinden. Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden "geblockt" (AA 2.3.2018, vgl. FH 1.2018). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe sog. VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber "gefiltert" bzw. mitgelesen. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyber-Krieg" gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist grundsätzlich nur mit Gerichtsanordnung möglich, außer die nationale Sicherheit ist betroffen (AA 2.3.2018).

 

Obwohl die Behörden auch im Jahr 2017 weiterhin Journalisten verhafteten, fiel die Anzahl von Journalisten in den Gefängnissen laut dem Committee to Protect Journalists von 45 im Dezember 2012 auf 5 im Dezember 2017 (FH 1.2018). Dutzende Journalisten und Online-Medienaktivisten wurden 2017 strafrechtlich verfolgt (HRW 18.1.2018). Die Behörden gestatteten es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestraften jene, die diese Einschränkungen verletzten oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisierten (US DOS 20.4.2018).

 

Die 1997 unter Khatami gegründete "Association of Iranian Journalists" wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Persia berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstreckten sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige wurden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Persia hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran - wie alle politischen Gefangenen - besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Im vergangenen Jahr traten mindestens zehn inhaftierte Journalisten in Hungerstreik, weil ihnen im Gefängnis eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wurde (AA 2.3.2018).

 

Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wurde in den letzten Jahren massiv vorgegangen. Oft wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt, zum Teil sogar zum Tode. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikationen und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt, Satellitenschüsseln sind verboten (jedoch weit verbreitet, wenn auch manchmal durch Abmontieren kurzfristig beeinträchtigt). Regimefeindliche oder "islamfeindliche" Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 9.2017).

 

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde jüngst eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 9.2017).

 

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als "Bürgerrecht" und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema "Cyberspace" hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2016 wurde immer wieder von Polizeiaktionen gegen Instagram (u.a. "Operation Spider") und andere soziale Netzwerke wegen "islamfeindlicher" Inhalte (etwa Werbung für Tattoostudios oder Make-up) und von zahlreichen Festnahmen berichtet. Ende Mai 2016 wurde angekündigt, dass die Anbieter von Messaging-Apps binnen eines Jahres die Daten über iranische Staatsbürger auf Server innerhalb Irans transferieren müssen, um Datenschutz- und Sicherheitsbedenken auszuräumen. Nur Dienste, die dem Folge leisten, könnten auch weiterhin in Iran angeboten werden (ÖB Teheran 9.2017). Der in Iran sehr beliebte Messenger Dienst Telegram wurde am 30.4.2018 gesperrt, da er angeblich die nationale Sicherheit gefährde. Die Iraner sollen auf den Messenger Soroush umsteigen, der unter staatlicher Kontrolle steht (ROG 4.5.2018).

 

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um einen Platz verbessert und liegt nun an Position 164 (2017: 165) (ROG 2018).

 

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenschüssel, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Filme aus Hollywood, von denen Raubkopien überall auf den Straßen zu kaufen sind. Die dürftige Qualität und die islamische Zensur schrecken niemanden ab (GIZ 3.2018c).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Entsprechend finden Versammlungen der Opposition nicht statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden. Ebenfalls ist eine unabhängige gewerkschaftliche Betätigung nicht möglich. Denn auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil mit dem Vorwurf der "Propaganda gegen das Regime" und "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 2.3.2018).

 

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften. Erlaubt sind nur "Islamische Arbeitsräte" unter der Aufsicht des "Haus der Arbeiter" (keine unabhängige Institution) (ÖB Teheran 9.2017). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft (ÖB Teheran 9.2017, vgl. FH 1.2018). Gewerkschafter wurden erneut inhaftiert, die wegen Beteiligung an friedlichen Demonstrationen zu Haftstrafen verurteilt, aber später freigelassen wurden (HRW 18.1.2018).

 

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen von Parteienlandschaften westlich-demokratischer Prägung; auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Die entscheidende Konfliktlinie im iranischen Parlament liegt aktuell zwischen den Rohani-/Rafsanjani-Loyalen, den Reformern und Moderaten einerseits und den Anhängern der Revolutionstreuen (Parlamentspräsident Ali Larijani, Oberster Führer Khamenei) andererseits. Besonders geschwächt wird eine potentielle Opposition stets dadurch, dass bei Wahlen (sowohl Präsidenten- als auch Parlamentswahlen) der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vornimmt. Kandidaten werden streng "ausgesiebt". Dies gilt vor allem bei Präsidentschaftswahlen - 2013 wurden von mehreren hundert registrierten Kandidaten lediglich acht genehmigt - in etwas geringerem Maße bei Parlamentswahlen, wo 2012 von über 5.000 registrierten Bewerbern immerhin noch über 3.000 bzw. 2016 von etwa 12.000 Bewerbern letztendlich 6.230 genehmigt wurden. An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen ( (ÖB Teheran 9.2017, vgl. GIZ 3.2018a).

 

Der Spielraum für außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen allumfassenden Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u. a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.). Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisation so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen auf Grund diffuser Strafrechtstatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen, etwa wegen Drogendelikten (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard standen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 22.2.2018, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 9.2017).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Schätzungen gehen von ca. 226.000 Häftlingen bei einer offiziellen Kapazität von 140.000 Plätzen aus. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden. Auch wurde berichtet, dass Häftlingen der Kontakt zu Familienangehörigen über lange Zeit untersagt oder nur sehr eingeschränkt gewährt wird. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind. Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Auch ist von mangelnder Hygiene auszugehen (ÖB Teheran 9.2017, vgl. US DOS 20.4.2018). Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Für politische Gefangene sind die Haftbedingungen von Fall zu Fall unterschiedlich und reichen vor allem in der Untersuchungshaft bzw. in irregulärer Haft vor einem Gerichtsverfahren von schlechten hygienischen Bedingungen über unzureichende medizinische Versorgung bis hin zur Verweigerung lebenswichtiger Medikamente (AA 2.3.2018).

 

In den Gefängnissen werden auch Körperstrafen vollzogen, auch von Misshandlungen mit Elektroschocks wurde berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit politischen Häftlingen. Als weitere Foltermethoden wird von Prügeln, Einzelhaft sowie Vergewaltigungen berichtet. Eines der berüchtigtsten Gefängnisse ist nach wie vor das im Norden Teherans gelegene Evin-Gefängnis, das sich Großteils in unterirdischen Anlagen befindet, was den psychischen Druck (Mangel an Tageslicht) verstärkt. Manche seiner Trakte unterstehen nicht der Justiz/Polizei, sondern direkt den Nachrichtendiensten der Revolutionsgarden. Häftlinge stehen unter enormem psychischen Druck, es kommt zu häufigen und systematischen Erniedrigungen, die oft das Ziel verfolgen, Häftlinge zu brechen. Im Sommer 2009 gab es Berichte über extreme Übergriffe: Häftlinge wurden (was in einem islamischen Land noch schwerer wiegt als in Mitteleuropa) gezwungen, ganz leicht bekleidet oder überhaupt nackt zu exerzieren, dabei mit Wasser bespritzt, etc. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Dabei ist zu bedenken, dass die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft in Iran manchmal fließend sind. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in "sichere Häuser" gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen, und wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten werden. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 9.2017). Von Hungerstreiks in iranischen Gefängnissen wird des Öfteren berichtet, in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 9.2017, vgl. HRW 18.1.2018).

 

Es war nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern oder anderweitig zu misshandeln, insbesondere während Verhören. Gefangene, die sich im Gewahrsam des Ministeriums für Geheimdienste oder der Revolutionsgarden befanden, mussten routinemäßig lange Zeiträume in Einzelhaft verbringen, was den Tatbestand der Folter erfüllte (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Die Todesstrafe steht auf Mord, Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Mohareb", Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen, sowie auf Vergehen wie Drogenkonsum, oder außerehelichen Geschlechtsverkehr. Vor allem bei Drogendelikten wurde die Todesstrafe häufig angewendet (2015 etwa 65% aller Hinrichtungen), regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung, z.T. öffentlich, und auch gegen (zum Tatzeitpunkt) Minderjährige (ÖB Teheran 9.2017). Bei den Straftatbeständen dominieren weiter Drogendelikte, gefolgt von Mord und Sexualdelikten. Der Teil Hinrichtungen, die öffentlich vollstreckt werden, hat sich bei 5% stabilisiert (2016: 5%, 2015: 7%, 2014: 10%). Es wird über erfolgte Hinrichtungen nicht offiziell informiert. Es ist davon auszugehen, dass Iran auch 2016 das Land mit der weltweit höchsten Hinrichtungszahl im Verhältnis zur Bevölkerung war (AA 2.3.2018). Die Zahlen zu den Hinrichtungen variieren etwas. Amnesty International berichtet, dass in Iran 2017 mindestens 507 Personen hingerichtet wurden, das wäre ein Rückgang um 11% im Vergleich zum Vorjahr. In Iran fanden mindestens 31 öffentliche Hinrichtungen statt. Berichte aus dem Jahr 2017 deuten darauf hin, dass in Iran mindestens fünf Personen hingerichtet wurden, die zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Tat jünger als 18 Jahre waren (AI 12.4.2018). Die UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran berichtet, dass 2017 482 Exekutionen gemeldet wurden. Im Jahr 2016 wären es 530 und im Jahr 2015 969 gewesen (HRC 5.3.2018).

 

Am 16.7.2017 wurde eine Gesetzesänderung betreffend Todesstrafe aufgrund von Drogendelikten im Parlament verabschiedet. Demzufolge sollen jene, die Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begangen haben, nicht zum Tode verurteilt werden. Über Drug Lords, gewalttätige Drogenstraftäter, und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder 2 Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, soll jedoch weiterhin die Todesstrafe verhängt werden (ÖB Teheran 9.2017). Der Anteil der Hinrichtungen wegen Drogendelikten sank 2017 auf 40% (AI 12.4.2018a). Im Oktober 2017 wurde das neue Gesetz verabschiedet, das die Drogenmenge, die Voraussetzung für ein Todesurteil ist, erhöhte. Für zahlreiche Drogendelikte war die Todesstrafe jedoch weiterhin zwingend vorgeschrieben (AI 22.1.2018, vgl. HRW 18.1.2018). Der Wächterrat akzeptierte das Gesetz im Oktober 2017 und es trat am 14.11.2017 in Kraft. Am 21.11.2017 verlautbarte der Teheraner Staatsanwalt, dass

3.300 Personen, die wegen Drogenvergehen verurteilt wurden, Berufungen im Zuge des neuen Gesetzes einlegten (HRW 18.1.2018, vgl. HRC 5.3.2018). Rund 4.000 inhaftierte Iraner, die derzeit aufgrund von drogenbezogenen Straftaten zum Tode verurteilt sind, könnten infolge einer richterlichen Anordnung, die auf einer kürzlich erlassenen Änderung des Gesetzes zum Drogenhandel basiert, ihre Strafe aufgehoben sehen. Die Anordnung wurde am 9.1.2018 vom Leiter der Justizbehörde, Sadegh Larijani, erlassen. Sie setzt die Todesurteile, die in Zusammenhang mit Drogenkriminalität stehen, vorerst aus, während diese nachgeprüft werden. Sie fordert auch, dass die Richter alle Todesurteile widerrufen, die nicht den neuen vom Parlament aufgestellten Kriterien bezüglich der Todesstrafe entsprechen. Nach der Gesetzesnovelle darf die Todesstrafe nur bei Verurteilungen im Zusammenhang mit Drogen vollstreckt werden, wenn die Fälle folgendes beinhalten (Global Voices 3.3.2018):

 

 

 

 

 

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlende Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger vor dem Prozess bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet. Es ist auch zumindest ein Fall bekannt, bei welchem die Entscheidung des Obersten Gerichts über die Berufung gegen die Todesstrafe nicht abgewartet wurde. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der "Steinigungsliste". Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar. Weiterhin finden in Iran Hinrichtungen von Straftätern statt, die zum Zeitpunkt ihrer Tat unter 18 Jahre alt waren. Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren. 2016 wurden mindestens 5 jugendliche Straftäter hingerichtet, drei davon aufgrund von Drogendelikten. In der Vergangenheit konnten einige wenige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund internationalen Drucks (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AA 2.3.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha'i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist im Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 2.3.2018, vgl. ÖB Teheran 9.2017).

 

Anerkannte religiöse Minderheiten - Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen - werden diskriminiert, nicht anerkannte nicht-schiitische Gruppen - Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Grad verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung - im Vergleich mit anderen Ländern der Region - nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten). Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa - unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke - eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Moslems anwesend sind. Es gibt Berichte von gesellschaftlicher Diskriminierung von Bahai aufgrund ihrer Religion. Dennoch geht die Verfolgung hauptsächlich von staatlichen Akteuren aus. Der Auswanderungsdruck ist auf Grund der für alle Iraner geringeren wirtschaftlichen Perspektiven auch bei den Angehörigen der anerkannten religiösen Minderheiten weiterhin groß (ÖB Teheran 9.2017).

 

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwangen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründete. Muslime, die keine Schiiten waren, durften weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wurde weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten waren, erhielten hohe Gefängnisstrafen, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichten. Es gab weiterhin Razzien in Hauskirchen. Personen, die sich zum Atheismus bekannten, konnten jederzeit willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie liefen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 22.2.2018).

 

Anerkannten ethnischen Gemeinden ist es verboten, Christen mit muslimischem Hintergrund zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Persisch sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 2.3.2018).

 

Auch die Aussagen und Ansichten von schiitischen Geistlichen werden beobachtet. Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen (US DOS 15.8.2018).

 

Laut der in den USA ansässigen NGO "United for Iran" waren 2016 198 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 31 wegen "Beleidigung des Islam" und 12 wegen "Korruption auf Erden" inhaftiert (US DOS 15.8.2017).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

Sunniten

 

Sunniten sehen sich vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 3.2018c). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen und Probleme hätten, Regierungsjobs zu bekommen (FH 1.2018).

 

Im Oktober 2015 befanden sich mindestens 33 sunnitische Männer - überwiegend Kurden - im Todestrakt, nachdem sie wegen "moharebeh" ("Waffenaufnahme gegen Gott") verurteilt worden waren. Rund 150 Sunniten sind derzeit aufgrund ihres Glaubens bzw. damit verbundener Anklagen inhaftiert. Im August 2016 wurden rund 22 Sunniten u.a. wegen Gotteslästerung hingerichtet. Am 25. April 2017 wurden etwa 20 Personen während ihres morgendlichen Gebets verhaftet und an einen unbekannten Ort überführt. Personen, die vom schiitischen zum sunnitischen Glauben übertreten und dies öffentlich kundtun, werden zunehmend verfolgt und in manchen Fällen ebenfalls wegen Gotteslästerung hingerichtet (ÖB Teheran 9.2017). In den letzten Jahren wurden Sunniten wiederholt daran gehindert, ihre eigenen Eid-Gebete abzuhalten. Diskriminiert werden Sunniten auch fallweise bei der Arbeitssuche (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AI 22.2.2018).

 

Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind. In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung jedoch ohne Einschränkungen möglich (AA 2.3.2018). Bei der Ausgrenzung von Sunniten spielt oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben. Dort gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde persischsprachigen Medien zufolge erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Iran gehört mit etwa 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde . Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,3%. Dabei ist die iranische Gesellschaft weit heterogener als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Balutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen mit etwa zwei Millionen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran im Moment das viertgrößte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten des Iran leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. Dennoch sind Entwicklungen wie etwa im Irak oder Afghanistan in Iran nicht zu erwarten. Abseits eines gern gepflegten Patriotismus zur eigenen Ethnie sind separatistische Bewegungen ethnischer Minderheiten kein vielen Nachbarstaaten vergleichbares Problem. Sie beschränken sich auf einige Gruppierungen in Balutschistan und Kurdistan, wobei gerade hier die Regierung immer wieder gern selbst Separatismus unterstellt, um diesem mit Gewalt zuvorzukommen (GIZ 3.2018c).

 

Es sind keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt. Von Diskriminierungen im Alltag (rechtlich, wirtschaftlich und/oder kulturell, z.B. Zugang zu Wohnraum, Wasser und Bildung) wurde jedoch betreffend u.a. Angehöriger der arabischen Gemeinschaft der Ahwazi, Aseris, Belutschen, Kurden und Turkmenen berichtet. Der Gebrauch ihrer jeweiligen Muttersprache in Behörden und Schulen ist weiterhin verboten, trotz entsprechender Zusagen von Präsident Rohani während seines Wahlkampfes im Jahr 2013. Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzten, wurden bedroht, festgenommen und bestraft (ÖB Teheran 9.2017).

 

Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 2.3.2018). Die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, sind allerdings zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015). In der Provinz Sistan und Belutschistan berichteten viele Dorfbewohner, dass es ihnen an Wasser, Elektrizität, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mangele. In der verarmten Provinz sind die Analphabetenquote bei Mädchen und die Kindersterblichkeit sehr hoch. Angehörigen ethnischer Minderheiten, die die Verletzung ihrer Rechte kritisieren, drohen willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen, grob unfaire Gerichtsverfahren, Gefängnisstrafen und die Todesstrafe. Geheimdienste und Sicherheitsorgane beschuldigten Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, sie würden "separatistische Strömungen" unterstützen, die Irans territoriale Integrität bedrohten (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 6.6.2018

 

 

 

Araber

 

Ahwazi Araber (nach Schätzungen rund 2 Mio.) sind (wie auch Kurden) zumeist sunnitischen Glaubens. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind viele Araber Analphabeten und es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate. Von Arabern bewohnte Gebiete sind oft nicht an Wasser und Elektrizität angeschlossen (ÖB Teheran 9.2017). Die arabische Minderheit (überwiegend Schiiten) in Iran fühlt sich Diskriminierungen ausgesetzt. Sie leidet unter Umweltproblemen (Verschmutzung, Staubstürme) sowie wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und macht eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khusestan) durch die Zentralregierung dafür verantwortlich. Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld, die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen (AA 2.3.2018).

 

Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Die von Arabern bewohnten südlichen Teile Irans sind reich an Erdölvorkommen. Obwohl nicht erwiesen ist, dass Araber aufgrund ihrer Ethnizität verfolgt werden, ist zu beobachten, dass sie häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen zu sehr hohen Strafen verurteilt wurden. Nach friedlichen Protesten aus verschiedenen Anlässen wurden z.B. im März und April 2015 kurzzeitig über 1.100 Ahwazi Araber festgenommen (ÖB Teheran 9.2017).

 

Im Vorfeld des Feiertags Eid al-Fitr wurden im Juni 2017 Sicherheitskräfte nach Ahwaz beordert, um Versammlungen zu verhindern. Geplant waren Solidaritätsveranstaltungen zur Unterstützung von Familien arabischer Ahwazi, die aus politischen Gründen im Gefängnis saßen oder hingerichtet worden waren. Mehr als ein Dutzend Personen wurden willkürlich festgenommen, viele weitere zu Verhören einbestellt. Der Menschenrechtsverteidiger Mohammad Ali Amouri, der zur Ahwazi-Minderheit gehört, sitzt weiterhin in der Todeszelle (AI 22.2.2018).

 

Die Regierung schränkte kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 18.1.2018), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

 

Grundversorgung

 

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 9,3 Mio. IRR im Monat (ca. 200 Euro). Das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf liegt bei ca. 400 Euro (AA 2.3.2018).

 

Seit dem Amtsantritt der Regierung Rohani 2013 konnte sich die iranische Wirtschaft etwas erholen. Der Abschwung der Wirtschaft (-6,6 % im Jahr 2012; -1,9 % im Jahr 2013) konnte 2014 gestoppt werden. Im Jahre 2016 konnte die Regierung schon ein Wirtschaftswachstum von 4,6% verzeichnen. Das weitere Wachstum ist wesentlich von den Sanktionserleichterungen abhängig und ohne einen stark zunehmenden Außenhandel nicht realistisch. Seit Anfang 2014 ist es der iranischen Regierung gelungen, den Abwärtstrend des Rial zu stoppen. Im iranischen Jahr 1394 (2014/2015) betrug die durchschnittliche Inflation 14,7%; derzeit liegt sie bei ca. 10%. Es ist abzusehen, dass sich die Währung durch die positiven Impulse des Atomabkommens auf die iranische Wirtschaft auch zukünftig stabil halten wird. Die Aufhebung der Sanktionen hat nur sehr langsam Konsequenzen für den Durchschnittsiraner. Kritiker warten ungeduldig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und ein Wirtschaftswachstum, das nicht nur in der Ölwirtschaft, sondern auch in der Privatwirtschaft, etc, zu spüren ist. In seiner zweiten Amtszeit setzt Präsident Rohani daher verstärkt auf den weiteren Ausbau der Wirtschaft. Ausländische Investoren sollen für den iranischen Markt gewonnen werden, um Arbeitsplätze zu schaffen. Eine nachhaltige Erholung der iranischen Wirtschaft wird nämlich auch davon abhängen, ob es der Regierung gelingt, die Devisenknappheit und das Inflationsproblem langfristig unter Kontrolle zu bringen. Devisenreserven befinden sich Großteils im Ausland und können von der iranischen Regierung nur eingeschränkt verwendet werden. Beide Problembereiche sind eng mit dem Zugang zu ausländischen Devisenquellen und Investitionen aus dem Ausland verbunden. Gegenwärtig halten sich sowohl einheimische als auch ausländische Investoren aufgrund der derzeit noch nicht absehbaren politischen Risiken mit Investitionen zurück (ÖB Teheran 9.2017).

 

Aufgrund der im Vergleich zu Europa extrem jungen Bevölkerung strömen jedes Jahr viele Berufseinsteiger auf den Arbeitsmarkt. Um diesen Menschen Arbeit zu geben, wäre die Schaffung von rund 1 Mio. Arbeitsplätzen pro Jahr erforderlich. Die Arbeitslosenrate in Iran betrug im Juni 2016 nach offiziellen Statistiken 10,7% mit Tendenz nach oben. Inoffiziellen Zahlen zufolge ist der Wert jedoch fast doppelt so hoch. Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen aber auch ein gewaltiger "brain drain", der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen wird (ÖB Teheran 9.2017). Ende Dezember 2017 entstanden Proteste aufgrund der schlechten ökonomischen Lage in einigen Städten (FH 1.2018).

 

Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht fast komplett unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen, auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln. Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe. Erst in den letzten Jahren wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin staatlich subventioniert ist, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hob er den Benzinpreis an oder begrenzte die ausgegebenen Rationen, führte das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen. Vor diesem Hintergrund darf man davon ausgehen, dass der Modernisierung der Infrastruktur des Erdölsektors nach dem Ende der Sanktionen eine hohe Priorität eingeräumt werden wird (GIZ 3.2018b).

 

Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads. Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil‑)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company (GIZ 3.2018b).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

 

Sozialbeihilfen

 

Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Einzahlungsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch i.H.v. 800.000 IRR (ca. 20 Euro) pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld i.H.v. 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 450.000 IRR (ca. 11 Euro, sog. Yarane). Dabei handelt es sich jedoch um ein auslaufendes System, das keine Neuaufnahmen zulässt. Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 2.3.2018).

 

Kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung sind als Teil des Sozialwesens für alle iranischen Bürger gewährleistet. Weitere Leistungen können vom Arbeitgeber angeboten werden (IOM 2017).

 

Eine staatliche Arbeitslosenhilfe gibt es nicht, es sei denn der Rückkehrer oder dessen Arbeitgeber haben monatliche Beiträge an eine entsprechende Versicherungsfirma gezahlt. Die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung ist für alle Arbeitnehmer verpflichtend. Die Sozialversicherung sichert allen Arbeitnehmern einen Schutz bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter und Berufsunfällen zu. Von 15.000 Obdachlosen in Iran im Jahr 2015 waren 5.000 Frauen. Arbeitnehmer im Alter von 18 bis 65 Jahren werden vom Sozialversicherungssystem erfasst. Die Finanzierung ist zwischen Arbeitnehmer (7% des Lohns), Arbeitgeber (20-23%) und dem Staat, welcher den Beitrag des Arbeitnehmers um weitere 3% erhöht, aufgeteilt. Das Sozialversicherungssystem ist für Selbständige zugänglich, sofern diese zwischen 12% und 18% ihres Einkommens freiwillig zahlen. Beamte, Soldaten, Polizisten und die Revolutionsgarden (IRGC) haben ihre eigenen Rentensysteme (IOM 2017).

 

Es gibt einige NGOs, die gezielt in Not geratene Personen unterstützen. Dazu zählt zum Beispiel BEHZISTI, welche beispielsweise Drogensüchtigen, alleinerziehenden Müttern, Personen mit Einschränkungen etc. hilft. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem Sozial-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen etc. Der Zugang ist für alle Bürger gleich, dennoch gibt es zusätzliche Unterstützungen, die von den Communities/Organisationen getragen werden: Z.B. The Imam Khomeini Relief Foundation eine gemeinnützige Organisation, die im März 1979 gegründet wurde und ärmliche Familien unterstützt (IOM 2017).

 

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die sadeqe, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, das der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt (GIZ 3.2018b).

 

Quellen:

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Zwar ist es fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung (100% in Städten, 95% auf dem Land), aber die Qualität schwankt. Die medizinische Versorgung ist in Teheran und anderen großen Städten ausreichend bis gut (GIZ 3.2018c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 18.6.2018a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede einzelner Regionen. Zum Beispiel liegt der Unterschied der Lebenserwartung im Vergleich mancher Regionen bei 24 Jahren. Folgende sieben Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als die Referenz-Provinz Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Chorasan sowie Sistan und Belutschistan. Politische Reformen wurden bereits unternommen, um einen gleichmäßigeren Zugang zu Gesundheitsdiensten zu schaffen. Nichtsdestotrotz gibt es noch eine Vielzahl an Haushalten, die sich keine ausreichende gesundheitliche Versorgung leisten können. Gesundheitsdienste sind geographisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 9.2017).

 

Seit der islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert jedem Staatsbürger das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung. Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität. Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs. Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird. Dank eines Entwicklungsprogrammes für die Erweiterung der prä-stationären kostenlosen Notfalldienste konnte die Anzahl dieser von weniger als 600 zur Zeit der Revolution auf nahezu 2000 im Jahr 2013 vergrößert werden. Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen "Behvarz" (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) und für durchschnittlich 1.500 Personen zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird, und mehr als 85% der ländlichen Bevölkerung in dieser Weise "nahversorgt" werden (In Städten übernehmen sog. "Gesundheitsposten" in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser). Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren (ca. 3.000 landesweit) anzufinden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an ca. 730 städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 9.2017).

 

Dem Gesundheitsministerium ist auch die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten "Hohen Versicherungsrat" (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Ein Hauptversicherer ist die "Organisation für Sozialversicherung" (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in dessen System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden. Die "Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste" (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Dadurch stieg die Anzahl an Versicherten in Iran von 40% in 1994 auf 90% in 2010. Für anerkannte Flüchtlinge wurde eine eigene Versicherungsorganisation geschaffen. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die "Imam Khomeini Stiftung", um nicht versicherte Personen, etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge (ÖB Teheran 9.2017). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, indem die Versorgung des Kranken mit Dingen des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 3.2018c).

 

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen durchschnittlich 55% der Gesundheitsausgaben von den versicherten Personen in bar direkt an die Gesundheitsdienstleister entrichtet werden ("Out-of-pocket expenditure" ohne staatliche oder von Versicherungen unterstützte Hilfeleistungen), sei es bei staatlichen oder größtenteils privaten sekundären oder tertiären Einrichtungen (ÖB Teheran 9.2017).

 

Die Regierung versucht kostenfreie medizinische Behandlung und Medikamentenversorgung für alle Iraner zu gewährleisten. Es gibt zwei verschiedene Krankenversicherungen: entweder durch die Arbeit oder privat. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI genannt: www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern gedeckt (IOM 2017).

 

Versicherung durch Arbeit:

 

Regierungsangestellte profitieren vom kostenfreien Zugang zur staatlichen Krankenversicherung. Private Firmen decken die Unfallversicherung für ihre eigenen Mitarbeiter.

 

Private Versicherung:

 

Mit Ausnahme von Regierungsangestellten müssen sich alle iranischen Bürger selbst privat versichern, wenn deren Arbeitgeber dies nicht bereits erledigen. Um die Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig.

 

Salamat Versicherung:

 

Diese neue Versicherung wird vom Ministerium für Gesundheit angeboten und deckt bis zu 90% der Behandlungskosten. Die Registrierung erfolgt online unter:

http://www.bimesalamat.ir/isc/ISC.html (IOM 2017).

 

Zugang speziell für Rückkehrer

 

Anmeldeverfahren: Alle iranischen Bürger einschließlich Rückkehrer können beim Tamin Ejtemaei eine Krankenversicherung beantragen, http://www.tamin.ir/ Notwendige Dokumente: Eine Kopie des iranischen Geburtszertifikats, ein Passfoto, und ein vollständiges medizinisches Check-up sind notwendig. Weitere Dokumente können jedoch noch verlangt werden (IOM 2017).

 

Zuschüsse hängen von der gewählten Versicherung des Klienten ab, über die er/sie während der Registrierung ausführlich informiert wird. Jegliche Kosten werden vom Arbeitgeber getragen, sobald die Person eine Arbeit in Iran aufnimmt. Andernfalls müssen die Kosten selber getragen werden (IOM 2017).

 

In den zahlreichen Apotheken [Persisch: daru-khane] sind die meisten auch in Europa gebräuchlichen Medikamente zu kaufen und nicht sehr teuer (GIZ 3.2018c). Trotz kürzlicher Sanktionen gegen Iran, die zu einer vorläufigen Knappheit bestimmter Medikamentengruppen geführt haben, gibt es generell keinen Mangel an Medikamenten, Spezialisten sowie Behandlungsmöglichkeiten. Pharmazeutische Produkte werden unter der Aufsicht des Gesundheitsministeriums ausreichend importiert. "The Red Crescent" ist die zentrale Stelle bezüglich des Imports von speziellen Medikamenten, die für Patienten in bestimmten Apotheken erhältlich sind. Generell sind alle Medikamentengruppen in Iran erhältlich, welche üblicherweise in kleinen Mengen ausgeteilt werden, um den Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt zu unterbinden. Darüber hinaus gibt es vor allem in größeren Städten mehrere private Kliniken, die für Privatpatienten Gesundheitsdienste anbieten. In jedem Bezirk gibt es Ärzte sowie Kliniken, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren (AA 2.3.2018).

 

Zum Thema Rückkehrer gibt es kein systematisches Monitoring das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 9.2017).

 

Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).

 

In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen berichtet der FFM-Bericht, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie in Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird wohl nichts geschehen (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (AA 2.3.2018). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).

 

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach IStGB wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 2.3.2018).

 

Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom "Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium" betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt (AA 2.3.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

Dokumente (einschließlich Überprüfung)

 

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran; vgl. AA 2.3.2018). Dies schließt jegliche Art von Urkunden wie Reisedokumente, Geburts- oder Heiratsurkunden sowie Gerichtsurteile ein (AA 9.12.2015). Die vorgelegten Dokumente sind in den meisten Fällen echt, der Inhalt gefälscht oder verfälscht. Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich (ÖB Teheran 9.2017). Die afghanische Botschaft hat laut UNHCR jedenfalls kürzlich begonnen, Identitätsnachweise an afghanische Personen in Iran auszustellen (ÖB Teheran 9.2017).

 

Auch Bescheinigungen über die Betätigung in politischen Parteien oder Mitgliedsausweise insbesondere "monarchistischer" (d.h. Schah-Treue) Gruppen sind leicht zu beschaffen. Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes, insbesondere auch die oben genannten Mitgliedsausweise, sind einfach bei den zuständigen Stellen zu beschaffen (AA 9.12.2015).

 

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 2.3.2018).

 

Quellen:

 

 

Islamischen Republik Iran

 

 

 

II.1.3. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem BF in seinem Heimatland Iran eine begründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Iran der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

 

Weiters konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Iran eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung des BF in den Iran zulässig und möglich ist.

 

2. Beweiswürdigung:

 

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

 

II.2.2. Die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie seinen Sprach- und Ortskenntnissen.

 

II.2.3 Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprungeshandelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten - von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen - diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten -immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen -allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

 

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348).

 

Die erstinstanzlich vorgelegten Berichte, welche aus den Jahren 2013 bis Jänner 2017 stammen, sind von vornherein nicht geeignet, die wesentlich aktuelleren Feststellungen, welche dem BF im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht wurden, in Zweifel zu ziehen (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Gleiches gilt für den in der Verhandlung vom rechtsfreundlichen Vertreter zitierten Bericht aus dem Jahr 2013.

 

II.2.4. Die Feststellung zum Nichtvorliegen einer asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen Gefährdung des Beschwerdeführers ergibt sich einerseits aus dem teilweise als unglaubwürdig erachteten Vorbringen des BF sowie andererseits aus den detaillierten, umfangreichen und aktuellen Länderfeststellungen insbesondere zur Lage von Ahwazi im Iran und den Ergebnissen des ergänzenden Ermittlungsverfahrens.

 

Hinweise auf asylrelevante, die Person des Beschwerdeführers betreffende Bedrohungssituationen konnte dieser nicht glaubhaft machen.

 

II.2.4.1. Im Allgemeinen ist das Vorbringen eines Asylwerbers dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt.

 

Das Vorbringen des Asylwerbers muss genügend substantiiert sein, was insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist ua. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck ist, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt (siehe etwa VwGH 24.06.1999, Zahl: 98/20/0435 bzw. VwGH 20.5.1999, Zahl:

98/20/0505).

 

Der BF erfüllte diese vorgenannten Kriterien für die Erstattung eines glaubwürdigen Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht.

 

Die Wiedergabe von tatsächlich selbst erlebten Umständen bzw. Ereignissen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man nicht lediglich -wie im gegenständlichen Fall - objektive Rahmenbedingungen darlegt, sondern entspricht es vielmehr der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönlich Erlebtes detailreich, oft weitschweifend unter Angabe der eigenen Gefühle bzw. unter spontaner Rückerinnerung, Zeit-Ort-Verknüpfungen und an auch oft unwesentliche Details oder Nebenumstände berichten.

 

Das Vorbringen des BF ließ teilweise Details vermissen und gestaltete sich als lediglich vage.

 

Der BF machte unter anderem auch ausweichende, teils widersprüchliche Angaben und steigerte zudem sein Vorbringen.

 

Weiter spricht bereits gegen die Glaubwürdigkeit des BF, dass er mehrere sichere Länder durchreiste und offenbar auch in der Türkei Kontakt wegen einem Asylantrag mit UNHCR aufnahm und schließlich dennoch illegal in Österreich einreiste, um hier einen Asylantrag zu stellen. Der BF hat damit nicht die erste ihm sich bietende Möglichkeit genutzt, einen Asylantrag zu stellen bzw. Asyl zu erhalten.

 

II.2.4.2. Es war zwar als glaubhaft anzusehen, dass der BF im Iran tatsächlich an Theaterstücken mitgewirkt hat und auch Mitbegründer einer Ahwaitischen Vereinigung war, zumal er sich diesbezüglich auch in keine gröberen Widersprüche verwickelte und Beweismittel (You Tube Videos) hierzu vorlgegen konnte. Zudem war aufgrund der vorgelegten Fotos nachvollziehbar, dass der BF an Demonstrationen im Iran teilgenommen hat und legte er auch einen gewissen Kenntnisstand zutage.

 

Es kann auch noch angenommen werden, dass der BF - wie in der Erstbefragung angegeben - sich tatsächlich im Iran von 2006 bis 2014 wegen dieser Betätigung in Haft befunden hat.

 

In der Erstbefragung gab der BF jedoch insbesondere an, dass er ursprünglich zwar zu 30 Jahren Haft verurteilt worden sei, nach seiner "vorzeitigen Entlassung" habe er sich aber sofort zur Ausreise aus dem Iran entschlossen. Im Falle der Rückkehr befürchte er zwar, dass ihm erneut Folter und Verhaftung drohen würden. Explizit nachgefragt gab der BF erstbefragt jedoch an, dass er von staatlicher Seite aktuell keine Sanktionen zu befürchten habe. Er werde weder behördlich gesucht, noch bestünde ein Haftbefehl.

 

Demgegenüber hat der BF in der Folge sein Vorbringen gesteigert und in der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie der mündlichen Verhandlung behauptet, dass er nicht aus dem Gefängnis vorzeitig entlassen wurde, sondern geflohen sei und deshalb nunmehr der Geheimdienst nach ihm suche. Dazu ist festzuhalten, dass das BVwG davon ausgeht, dass der BF seine tatsächliche Verurteilung und bereits verbüßte Haft dafür herangezogen hat, um darauf einen ihm relevant erscheinenden Fluchtgrund aufzubauen. Das einzige von ihm vorgelegte Beweismittel hierzu - eine Anfrage eines Gerichtsbediensteten an die Staatsanwaltschaft betreffend eine Überstellung - ist nicht geeignet, einen Ausbruch aus dem Gefängnis oder eine noch offene Haftstrafe zu belegen. Im Schreiben scheint zwar auf, dass der BF zu einer Haftstrafe von 30 Jahren verurteilt wurde, das Schreiben stammt aber aus dem Jahr 2012 und hat der BF selbst erstbefragt angegeben, 2014 vorzeitig entlassen worden zu sein bzw. unmittelbar nach Haftende ausgereist zu sein. Demnach kann es zwar sein, dass der BF tatsächlich im Jahr 2012 wie im Schreiben erwähnt noch überstellt bzw. verlegt wurde und finden sich auch keine gegenteiltigen Anhaltspunkte.

 

Im Zusammenhang mit der später behaupteten angeblichen Flucht aus dem Krankenhaus bzw. des angeblich weiterhin gegen ihn bestehenden Haftbefehls ergaben sich jedoch gravierende Widersprüche in den Angaben des BF.

 

So gab der BF vor dem BFA an, dass er wegen einer Erkrankung ins Krankenhaus gekommen sei und dort von der Frau, den Kindern und dem Bruder besucht worden sei. Im Zuge dessen hätten ihm diese die gute Nachricht überbracht, dass ein Fluchtversuch geplant ist. Demgegenüber gab der BF in der mündlichen Verhandlung an, dass seine Eltern ihn im Jahr 2014 im Gefängnis besucht hätten und diese schon bemerkten, dass sein Gesundheitszustand schlecht gewesen sei und in der Folge die Flucht geplant worden wäre. Über Vorhalt, dass gemäß Angaben in der Erstbefragung der Vater bereits im Jahr 2013 verstorben sei, antwortete der BF in der Verhandlung, dass er nicht Mutter und Vater, sondern seine Geschwister und Frau gemeint habe. Auch dieser Personenkreis stimmt jedoch nicht mit dem ursprünglich vor dem BFA genannten Personen überein.

 

Schon vor der belangten Behörde konnte der BF im Übrigen nicht aufklären, wie er denn tatsächlich im Gefängnis seine Flucht geplant haben kann. Dass in einem Gefängnis Derariges passieren kann ist auch vor dem Hintergrund, den der BF erklärend schilderte, dass es keine Kameras oder Mikrofone gäbe und niemand dort arabisch verstehen würde, nicht erklärbar. Ein gewisses Grundmaß an Sicherheitsvorkehrungen ist auch gerade in iranischen Gefängnissen gegeben. Auch die Frage, wie der BF das Spital unbemerkt verlassten konnte, beantwortete er in der mündlichen Verhandlung mit der kurzen, undetaillierten Aussage: "Ich bin mit der Person, die mich besucht hat bei einer anderen Tür rausgegangen. Es wurde alles für mich vorbereitet. Es war schon ein Auto bereitgestellt."

 

Nicht nachvollziebar ist auch die Angabe des BF, dass er nur einen Tag im Krankenhaus wegen Nierensteinen und Erkrankungen verbracht habe. Dies schon vor dem Hintergrund, dass gerade Nierensteine nicht wie vom BF behauptet einfach mit Medikamenten behandelt werden und nach einem Tag Krankenhaus abgehen würden. Ebensowenig ist plausibel, dass gerade in einem Krankenhaus, in welchem gemäß Angaben des BF bekanntermaßen öfter Straftäter behandelt werden, die Sicherheitsvorkehrungen "lasch" sind und es gerade einen einzigen Soldaten im ganzen Krankenhaus zu seiner Bewachung gegeben hätte. Zudem verwickelte sich der BF in diesem Zusammenhang in Widersprüche, indem er vor dem BFA noch angegeben hat, dass er nicht wisse, was mit dem Soldaten "vor seinem Zimmer" passiert sei. Zwar gab der BF auch vor dem BVwG an, dass lediglich ein Soldat zur Bewachung abgestellt gewesen wäre, dieser hätte jedoch - explizit und nach mehreren Nachfragen - nicht vor seiner Zimmertür, sondern beim Haupteingang des Krankenhauses Wache gehalten.

 

Unstimmig mit dem angeblichen Fluchtversuch ist auch das erstinstanzliche Vorbringen des BF, dass er bis zu seiner Ausreise an seiner Heimatadresse aufhältig gewesen sei. Nicht erklärbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Familie des BF gemäß seinen Angaben erst 6 Monate nach der Flucht des BF ausgereist sei und der BF in diesem Zusammenhang keinerlei Probleme der Familienmitglieder im Iran erwähnte. Es wäre nicht verwunderlich, hätte die Polizei sich bei seiner Familie bei einer tatsächliche Flucht aus dem Gefängnis nach dem Aufenthaltsort des BF erkundigt. Zudem erhellt es sich auch nicht, wo die Kernfamilie bzw. nunmehr die Familie des BF ohne Probleme lebt, wenn tatsächlich die Häuser des BF sowie seines Vaters vom Staat beschlagnahmt geworden wären.

 

Während es dem BF auch möglich war, ausführlichst und detailliert beginnend mit dem Jahr 1925 über die allgemeine Lage in Ahwaz sowie seine Tätigkeiten (Demonstrationsteilnahmen, Theateraufführungen) zu berichten, war sein Vorbringen zu seinem Fluchtversuch sehr vage. Es erhellt sich für das Gericht auch nicht, warum der BF ein Schreiben eine Überstellung betreffend vorlegen kann, jedoch kein Urteil oder gerichtliche Schreiben zur angeblichen Beschlagnahme der Häuster der Familien in Vorlage brachte. In der Verhandlung gab der BF beispielsweise auch auf die Frage nach Problemen mit staatlichen Behörden ausweichend an, dass sie viel zu viel Probleme mit allen staatlichen Behörden gehabt hätten. Nachgefragt wurde vom BF dann weit aushohlend ausgeführt, dass er 1996 mit der Politik und kulturellen Arbeit begonnen hätte. Nochmals nachgefragt führte er aus, dass die wichtigsten Behörden, mit welchen er Probleme gehabt hätte, der Geheimdienst und die Revolutionsgarde gewesen wären.

 

Soweit der BF behauptete, er hätte eine NGO gegründet, ist dazu festzuhalten, dass der BF in diesem Zusammenhang gerade keine explizite Verfolgung geltend machte. Vielmehr führte er selbst diverse ehemalige Mitarbeiter an und vermeinte, dass ein Großteil im Gefängnis gewesen sei, jetzt jedoch nur mehr eine Person inhaftiert sei. Diese Mitarbeiter der damals illegalen NGO würden nach wie vor ohne angeführte Probleme in XXXX leben, was eine Verfolgungsgefahr in diesem Zusammenhang für den BF gerade nicht wahrscheinlich erscheinen läßt.

 

Festzuhalten ist auch, dass der BF selbst angegeben hat, dass auch die Theateraufführungen illegal gewesen sind und er zudem auch Mitglied einer illegalen Partei war, welche vom iranischen Staat als terroristische Vereinigung eingestuft wird.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Verhaftung des BF behaupteter Maßen im Zusammenhang mit Teilnahmen an illegalen Demonstrationen im Zeitraum zwischen 2005 und 2006 zu beurteilen. Es liegt im legitimen Strafverfolgungsinteresse eines Staates, illegale Demonstrationen zu verhindern und die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen zu sanktionierten (vgl. auch rechtliche Ausführungen unten).

 

Letztlich gab der BF - nach mehrmaligen Vorhalten und Wiederholungen der Fragestellungen aufgrund der vagen und ausweichenden Antworten - an, dass er wegen der Demonstrationsteilnahmen festgenommen und im Jahr 2007 verurteilt wurde.

 

Entgegen den Angaben in der Erstbefragung, nicht von staatlicher Seite verfolgt zu werden führte der BF plötzlich in der Verhandlung an, dass gegen ihn ein Haftbefehl existiere. Er konnte jedoch nicht einmal den Grund - für einen neuerlichen Haftbefehl- angeben und behauptete er nicht einmal, dass er wegen der Flucht gesucht werde. Vielmehr führte er wiederum aus, dass der Haftbefehl aufgrund seiner Demonstrationsteilnahmen erlassen worden sei, und steigerte sein Vorbringen zudem absolut unglaubwürdig dahingehend, dass ihm auch vorgehalten worden sei, zu Israel Kontakt zu haben. Nachgefragt würde dies allen vom Geheimdienst vorgeworfen werden, welche man verurteilt sehen wolle. An dieser Stelle sei zudem erwähnt, dass der BF am Ende der mündlichen Verhandlung plötzlich völlig aus der Luft gegriffen behauptete, dass man ihn im Falle der Rückkehr töten würde. Nachgefragt behautpete er erstmalig, dass man über ihn die Todesstrafe verhängt hätte, wobei er dann doch relativierend meinte, dass er zu 30ig Jahren Gefängnis verurteilt worden sei, aber bei einer Rückkehr sofort getötet werden würde. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, zumal ein Asylwerber keine sich bietende Gelegenheit ungenützt vorübergehen lassen würde, ein zentrales entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten (vgl. VwGH, 07.06.2000, 2000/01/0250).

 

Zudem blieb der BF absolut vage in den Angaben zum Gerichtsverfahren an sich. So ordnete er die Gerichtsverhandlungen zeitlich nicht einmal monatlich ein und tätigte auch in diesem Zusammenhang ausweichende Angaben, womit eine genaue Überprüfung der Angaben des BF wohl verhindert werden sollte. Wie schon erwähnt ist das Schreiben aus dem Jahr 2013 letztlich nicht geeignet zu belegen, dass gegen den BF im Jahr 2015 im Ausreisezeitpunkt ein Haftbefehl bestand oder eine noch offene Haftstrafe vorgelegen wäre. Das Schreiben des Ahwazischen Vereins zur Verteidigung der Menschenrechte aus dem Jahr 2015 mag noch ein Hinweis darauf sein, dass der BF tatsächlich Ahwazi ist. Die darüber hinausgehenden Ausführungen betreffend einer Folter des BF im Gefängnis können mangels direkter Wahrnehumung derselben durch die Aussteller des Beweismittels keine Beweiskraft entfalten und ist lediglich von einem Gefälligkeitsschreiben aufgrund der Angaben des BF in diesem Zusammenhang auszugehen. Gleichsam kann der vorgelegte Internetbericht vom 17.03.2015 nicht zugunsten des BF als Beweis einer Verfolgung ausschlagen, da einerseits darin vorwiegend über eine im Gefängnis erlittene Folter berichtet wird und andererseits dieser Bericht auf den Angaben des BF selbst basiert und somit nicht als unabhäniger, recherchierter Zeitungsbericht angesehen werden kann. In welchem Zusammenhang der Bericht über den Mord an einem Regimegegner in Den Haag mit dem Fluchtvorbringen stehen soll, ist nicht ersichtlich und verkennt auch das BVwG nicht, dass es sich bei Arabern aus Ahwaz um eine Minderheit im Iran handelt (vgl. unten). Zudem wird auch nicht bestritten, dass es ein den früheren Vize-Präsidenten zugeordnetes Schreiben aus 2005/2006 gibt, in welchem diskriminierende Maßnahmen vorgesehen sind. Diesen Umständen mangelt es jedoch im Zusammenhang mit der Ausreise des BF im Jahr 2015 an der notwendigen Aktualität. Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise mangelt, sind nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet; die wohlbegründete Furcht müsste vielmehr bis zur Ausreise andauern (VwGH 23.01.1997, 95/20/0221).

 

II.2.4.3. Zum vorgelegten Schreiben von UNHCR ist festzuhalten, dass dies lediglich den Wunsch des BF darlegt, um Asyl in der Türkei anzusuchen. Es handelt sich dabei noch nicht einmal um ein UNHCR Refugee Certificate, wobei selbst eine derartige Anerkennung als UNHCR-Mandatsflüchtling für Staaten nicht unmittelbar rechtlich verbindlich ist.

 

II.2.4.4. Was die nunmehrig in der Verhandlung behauptete exilpolitische Aktivität des BF betrifft, so ist zu diesem geltend gemachten Nachfluchtgrund feszuhalten, dass der BF selbst in der mündlichen Verhandlung dies nicht erwähnte, sondern lediglich von seinem rechtsfreundlichen Vertreter Ausführungen hierzu getroffen wurden. Es wurden hierzu jedoch keinerlei Beweismittel vorgelegt und erhellt sich insbesondere mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht, dass dem BF im Falle der Rückkehr in diesem Zusammenhang eine Gefahr drohen würde.

 

Untergeordnete exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, auf die Verhältnisse im Heimatland ernsthaft einzuwirken, und aus der Sicht des iranischen Staates keine Gefahr begründen, können kein Gefährdungspotential entfalten. Selbst mit Internetauftritten wie einem Weblog und regimekritischen Artikeln und Bildern in Facebook hebt sich jemand nicht aus der Masse der iranischen Asylwerber hervor, die im Internet präsent sind. Schon die Masse der Internetportale, Blogs und sonstiger Seiten von iranischen Oppositionellen - geschätzt 60.000 - spricht gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Daran ändert nichts, wenn etwa die Teilnahme an einer Demonstration hinzukommt, über die im deutschen Fernsehen berichtet wurde (VG Würzburg, U.v. 18.04.2012 - W 6 K 11.30147 5381344).

 

Gegenständliche Ausführungen sind auch auf den vorliegenden Fall umzulegen und kann nicht auf eine Gefährdung des BF im Falle der Rückkehr aus diesem Grunde geschlossen werden.

 

In Anbetracht der Tatsache, dass der iranische Staat realistischer Weise nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen kann, muss sich das Interesse auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements eine potentielle Gefahr für den ausschließlichen Machtanspruch des Regimes im Iran darstellen könnten. Einer realen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran würden sich daher solche führenden Persönlichkeiten der Oppositionsgruppen aussetzen, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam (z.B. als Redner, Verantwortlicher oder leitender Funktionsträger) in Erscheinung treten und zum Sturz des Regimes aufrufen.

 

Das Verhalten des Beschwerdeführers erweist sich aber gerade als nicht derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Der Beschwerdeführer ist insgesamt betrachtet mit den dargelegten Ausführungen in der hg. Verhandlung hinsichtlich seiner Aktivitäten in Österreich nicht als überzeugtes und aktives Mitglied einer regimekritischen Bewegung nach außen erkennbar in Erscheinung getreten, weshalb in weiterer Folge auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die von ihm geschilderte Aktivität den iranischen Behörden bekannt ist und ein Interesse der Behörden an seiner Person begründet.

 

Das BVwG lässt zwar die länderkundlichen Feststellungen nicht unberücksichtigt, wonach Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann in den Iran zurückkehren, von Repressionen bedroht sein können und der iranische Geheimdienst VEVAK primär gegen oppositionelle Exil-Aktivitäten arbeitet. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Regierung politische Aktivitäten der Araber einschränkt und arabische Ahwazi inhaftiert wurden.

 

Es ist jedoch aufgrund der exilpolitischen Aktivitäten, welche sich gemäß Angaben in der Verhandlung auf die Teilnahme an Demonstrationen und Organistion derselben beschränkt, nicht davon auszugehen, dass dies allein für die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrlevanten Verfolgung (die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht - VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069) durch die iranischen Behörden im Rückkehrfall des BF in den Iran ausreicht und ist diese Aktivität nicht einer öffentlichen regimekritischen Äußerung, wie in den Länderfeststellungen erwähnt, gleichzuhalten.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von "Rückkehrern", die sich im Ausland exilpolitisch betätigt haben, in Bezug auf den geltend gemachten Nachfluchtgrund darauf an, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Betätigung in das Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte.

 

Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen, einerseits, ob der Asylwerber auffällig "regimekritisch" in Erscheinung getreten ist, andererseits, ob er aus der Sicht der Behörden des Herkunftsstaates als Gefahr für das Regime eingeschätzt werden konnte (VwGH, 22.05.2001, 2000/01/0076; VwGH, 14.01.2003, 2001/01/0398; VwGH, 08.04.2003, Zl. 2002/01/0078).

 

In das Blickfeld der Sicherheitskräfte können zwar exponierte Personen geraten, nicht jedoch Personen, die Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung verrichten (exilpolitische Aktivitäten niedrigen Profils).

 

Zu den exilpolitischen Aktivitäten niedrigen Profils, zählen unter anderem die mit einer schlichten Vereinsmitgliedschaft verbundene regelmäßige Zahlung von Mitgliedsbeiträgen sowie von Spenden, schlichte Teilnahme an Demonstrationen, Ordnertätigkeit bei Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, Verteilung von Flugblättern und Verkauf von Zeitschriften, Helfertätigkeit bei Informations- und Bücherständen, Platzierung von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in Zeitschriften. (Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 273/04.A.19.04.2005; OVG Münster, Urteil vom 27.06.2002, Az.: 15. A 373/01.A)

 

Eine Möglichkeit, aufgrund der genannten in Österreich gesetzten Aktivitäten des BF in das Blickfeld der iranischen Behörden zu gelangen und im Rückkehrfall asylrelevanter Gefährdung ausgesetzt zu sein, ist im Lichte der obzitierten Judikatur und auch der einschlägigen Länderfeststellungen, zu verneinen.

 

Nach Ansicht des BVwG ist es im Lichte der bisherigen Ausführungen im Falle des BF für die Begründung einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit erforderlich, dass einfache Mitglieder oder Sympathisanten und untergeordnete Aktivitäten für arabisch ahwazisch exiloppositionelle Gruppen erkennbar und identifizierbar öffentlichkeitswirksam nach außen treten, sodass sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in den iransichen Behörden und Sicherheitskräften erkannt und identifiziert werden können und darüber hinaus wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates existent ist.

 

Dafür sind die Tätigkeiten des BF nicht ausreichend. Es ist nicht als realistisch anzusehen, dass jede Person, welche an Veranstaltungen der arabisch -ahwazischen Exiliraner teilnimmt, als möglicher Regimefeind erkannt und verfolgt wird. Ferner reicht auch allein die mögliche Identifizierbarkeit des Beschwerdeführers nicht zur Annahme aus, er hätte deswegen bei einer Rückkehr in den Iran eine Verfolgung zu befürchten, zumal im bisherigen Verfahren nicht hervorgekommen ist, dass sich der Beschwerdeführer besonders hervorgetan oder exponiert hätte.

 

II.2.4.5. Explizit verneinte der BF vor dem BFA auch eine Verfolgung wegen seiner Abstammung, Religionszugehörigkeit bzw. Volksgruppenzugehörigkeit. Allgemeine oder individuelle Probleme allein aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit hat der BF auch in der mündlichen Verhandlung nicht ins Treffen geführt.

 

In diesem Zusammenhang ist schon darauf zu verweisen, dass seine Geschwister im Iran leben und er keine Probleme seiner Familienangehörigen aufgrund deren ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit erwähnte.

 

Das BVwG lässt die in das Verfahren integrierten länderkundlichen Feststellungen zur Volksgruppe der Araber und zur Lage der Sunniten im Iran allgemein und die vorgelegten Berichte, wonach Ahwaz-Araber aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden würden bzw. Diskriminierungen ausgesetzt sind, nicht unberücksichtigt, doch hat der BF weder dargelegt, inwiefern konkret seine Person davon betroffen wäre, noch ergibt sich aus den aktuellen, dem BF zur Kenntnis gebrachten Länderfeststellungen, dass alle zur Ethnie der Ahwaz Araber gehörenden Personen gravierende Probleme zu erwarten hätten.

 

Im Länderbericht ist dazu festgehalten:

 

Es sind keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt. Von Diskriminierungen im Alltag (rechtlich, wirtschaftlich und/oder kulturell, z.B. Zugang zu Wohnraum, Wasser und Bildung) wurde jedoch betreffend u.a. Angehöriger der arabischen Gemeinschaft der Ahwazi, Aseris, Belutschen, Kurden und Turkmenen berichtet. Der Gebrauch ihrer jeweiligen Muttersprache in Behörden und Schulen ist weiterhin verboten, trotz entsprechender Zusagen von Präsident Rohani während seines Wahlkampfes im Jahr 2013. Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzten, wurden bedroht, festgenommen und bestraft (ÖB Teheran 9.2017).

 

Auch wenn Angehörige der Gruppe der Ahwazi Araber, welche, wie auch die BF, zumeist sunnitischen Glaubens sind (rd. 2 Millionen im Iran) den aktuellen Ausführungen der Staatendokumentation des BFA zufolge teilweise Diskriminierungen ausgesetzt sein mögen, so kann daraus nicht auf eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK geschlossen werden. Dazu ist auch auf die seitens des UNHCR vertretene Auffassung zu verweisen, wonach bloße Diskriminierung in der Regel noch nicht Verfolgung bedeutet (UNHCR, Auslegung Art. 1, Abs. 16).

 

Besonders schwerwiegende Formen der Diskriminierung sind allerdings zweifellos als Verfolgung anzusehen, ebenso wie stetige und anhaltende Diskriminierungen durch ihre Kumulierung auf Verfolgung hinauslaufen können (UNHCR, Handbuch, Abs 51-54).

 

Ein vergleichbarer Fall, auf den die obzitierte höchstgerichtliche Judikatur umgelegt werden kann, liegt hier jedoch nicht vor.

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich aus den länderkundlichen Informationen zur Thematik Ahwazi Araber und Sunniten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Angehörige dieser Ethnie und dieser Religion schon alleine wegen dieser Zugehörigkeit Verfolgung iSd GFK ausgesetzt wären.

 

Diesbezüglich ist grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind dahin gehend hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.

 

Zusammenfassend ist zu den vorgelegten Berichten insgesamt festzuhalten, dass in diesen in keiner Weise substantiiert dargetan wird, inwieweit sich daraus eine asylrelevante Verfolgung oder die Notwendigkeit der Gewährung von subsidiärem Schutz konkret für den BF ergeben soll.

 

II.2.4.6. Zusammenfassend ist zum Vorbringen des BF auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben des BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.

 

Das BVwG gewann vielmehr den Eindruck, dass der BF primär aus wirtschaftlichen bzw. privaten Gründen nach Österreich reiste, was letztlich auch durch seine Weiterreise von der Türkei aus belegt ist.

 

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung - wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung - eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.

 

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

II.3. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Zu A)

 

II.3.1. Säumnisbeschwerde:

 

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

 

Gemäß § 8 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist (Abs 1). In die Frist werden nicht eingerechnet

1. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist; 2. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (Abs 2).

 

Gemäß § 16 VwGVG kann die Behörde im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen (Abs 1). Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen (Abs 2).

 

Gemäß § 22 Abs. 1 AsylG ist abweichend von § 73 Abs. 1 AVG über einen Antrag auf internationalen Schutz längstens binnen 15 Monaten zu entscheiden.

 

Das BFA hat gemäß § 3 Abs 2 BFA-VG (unter anderem) die Pflicht, über Anträge auf internationalen Schutz zu entscheiden, und es obliegt dem BFA, in weiterer Folge das Asylverfahren unter Beachtung der Bestimmungen der §§ 17ff AsylG zu führen und über den Antrag zu entscheiden. Besondere Bedeutung kommt dabei der Bestimmung des § 18 AsylG zur Pflicht des BFA, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, sowie jener des § 19 AsylG, wonach ein Asylwerber grundsätzlich persönlich von dem zur jeweiligen Entscheidung berufenen Organ einzuvernehmen ist, zu. Nach Abschluss der für eine Entscheidung notwendigen Ermittlungen ist demnach bescheidmäßig über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz abzusprechen.

 

Im konkreten Fall stellte der Beschwerdeführer am 06.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Schriftsatz vom 20.02.2017 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG. Zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde war die sechsmonatige Entscheidungsfrist gemäß § 73 Abs. 1 AVG bereits verstrichen, weshalb sich aufgrund der - unbestrittenen - Säumigkeit des Bundesamtes die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht als zulässig erweist.

 

Wie sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes und aus dem oben dargestellten Verfahrensgang ergibt, sind nach der niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.08.2015 bis zur Erhebung der Säumnisbeschwerde durch den Beschwerdeführer am 20.02.2017 keinerlei Ermittlungsschritte getätigt worden. Das Bundesamt leitete die Säumnisbeschwerde samt Akten an das Bundesverwaltungsgericht weiter und merkte lediglich an, dass nach individueller Prüfung des Verwaltungsakts eine Erledigung nicht fristgerecht erfolgen könne. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Säumnisbeschwerde lag sohin eine Behördenuntätigkeit von ca. 1 1/2 Jahren vor, wobei keine Anhaltspunkte hervorkamen, wonach die Säumnis des Bundesamts nicht auf ein überwiegendes Verschulden dieser Verwaltungsbehörde zurückzuführen wäre. Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht war daher auch berechtigt.

 

In Folge der zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde ist die Zuständigkeit, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 06.09.2014 zu entscheiden, auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen (VwGH vom 27.05.2015, Ra 2015/19/0075).

 

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 06.08.2015 gestellt wurde und somit die seit 01.06.2016 geltende Entscheidungsfrist gemäß §22 Abs. 1 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 über einen Antrag auf interanationalen Schutz binnen 15 Monaten zu entscheiden im konkreten Fall keine Anwendung findet. Sowohl die in § 73 Abs. 1 AVG als auch die in § 22 Abs. 1 AsylG normierte Frist zur Entscheidung über den Antrag durch das BFA sind - unabhängig davon, ob der Gesetzgeber mit der Anordnung des § 22 Abs. 1 AsylG 2005 auch jene Verfahren erfassen wollte, die am 1. Juni 2016 noch anhängig waren und in denen zu diesem Zeitpunkt die Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG bereits abgelaufen war (vgl. VwGH vom 22.06.2017, Zl. Ra 2017/20/0133) - jedenfalls abgelaufen.

 

Im gegenständlichen Fall waren zum Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde seit der Antragstellung mehr als 15 Monate vergangen. Bis zu diesem Zeitpunkt erließ das BFA als zuständige Behörde keinen über den Antrag absprechenden Bescheid. Eine allfällige Unterbrechung der Entscheidungsfrist iSd § 8 Abs. 2 VwGVG wurde nicht aktenkundig und wurde in der Folge auch nicht binnen der dreimonatigen Frist des § 16 VwGVG nachträglich ein Bescheid erlassen.

 

In Ansehung des § 8 Abs. 1 und 2 VwGVG war die Beschwerde daher zulässig und ist dieser - da von der belangten Behörde keine besonderen weiteren Gründe aufgezeigt wurden, welche zur Situation beginnend mit 2015 betreffend des Massenzustroms hinzugetreten wären - iS der Entscheidung des VwGH vom 22.06.2017, Zl. Ra 2017/20/0133 (vgl. auch VwGH vom 20.09.2017, Zl. Ra 2017/19/0208) zu folgen. Sie ist berechtigt, zumal die belangte Behörde lediglich ein Vorbringen dahingehend erstattete, dass sie aufgrund der allgemeinen Situation an der nicht fristgerechten Erledigung des Antrags des BF kein überwiegendes Verschulden traf.

 

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten

 

II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

 

"§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) ...

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1.-dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2.-der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

 

..."

 

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

 

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

II.3.2.2. Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen des BF zum behaupteten Ausreisegrund bzw. zur Verfoglgung die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr "Status eines Asylberechtigten"] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

 

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die vom BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Auch kann im Rahmen einer Prognoseentscheidung (vgl. Putzer, Asylrecht Rz 51) nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren Gefahr von Übergriffen zu rechnen hätte (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

 

Rein hypothetisch betrachtet und ohne hierdurch den behaupteten ausreiskausalen Sachverhalt, nämlich die Flucht aus der Inhaftierung und eine sofortige Inhaftierung nach Rückkehr als glaubwürdig werten zu wollen, wäre selbst im Falle der Wahrunterstellung dieser Umstände für den BF nichts gewonnen.

 

Was den Umstand betrifft, wonach der BF in der Türkei zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, so ist festzuhalten, dass der BF insbesondere selbst angegeben hat, Parteimitglied bei Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) gewesen zu sein und in diesem Zusammenhang "politisch aktiv" gewesen zu sein. Auch wenn der BF von sich aus nicht konkret angegeben hat, was nunmehr letztlich zur Verurteilung geführt hat, kann davon ausgegangen werden, dass ihm vor allem die Mitgliedschaft bei einer illegalen Terrororganisation (PKK) vorgeworfen wird.

 

Die Kernfrage, welche sich letztlich in diesem Zusammenhang stellt, ist jene, ob die (Straf‑)Verfolgung im gegenständlichen Fall einen gerechtfertigten bzw. legitimen oder ungerechtfertigten Eingriff des iranischen Staates in die persönliche Sphäre des BF darstellt. Die Unterscheidung zwischen legitimen Verfolgungen und solchen, die der verfolgten Person die Flüchtlingseigenschaft verleihen, wird in der englischen Rechtsterminologie offensichtlich. Der Begriff "prosecution" umschreibt die rechtsstaatlich legitime strafrechtliche Verfolgung von Delinquentinnen und Delinquenten. Im Gegensatz dazu bezeichnet "persecution" jene Verfolgungshandlungen, die ihre Motivation in den in § 3 Absatz 1 AsylG genannten Gründen finden. Die als persecution zu qualifizierenden Verfolgungen sind somit im Sinne des Asylgesetzes verpönt und machen die verfolgten Personen zu Flüchtlingen. Liegt kein unzulässiger Eingriff iSv "persecution" vor, ist die Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben.

 

Im Handbuch von UNHCR über die Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, welchem in Österreich zwar keine normative Wirkung zukommt, jedoch als Auslegungshilfe für die GFK heranzuziehen ist, ist zum oa. Problembereich Folgendes ausgeführt:

 

" ...

 

Es muss zwischen Verfolgung und Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen bestehendes Recht unterschieden werden. Normalerweise sind Personen, die vor Strafverfolgung oder Bestrafung wegen eines Deliktes fliehen, keine Flüchtlinge. Ein Flüchtling ist ja das Opfer - oder potentielle Opfer - von Ungerechtigkeit, und nicht ein Flüchtling vor der Gerechtigkeit.

 

... Mitunter verwischen sich jedoch die Trennungskriterien. Erstens kann eine Person, die sich eines Verstoßes gegen die Gesetze schuldig gemacht hat, einer so exzessiven Bestrafung unterworfen werden, dass diese einer Verfolgung im Sinne der Definition gleichkommt. Darüber hinaus kann die strafrechtliche Verfolgung aus einem in der Definition genannten Gründe (z.B. in Bezug auf die "illegale" religiöse Unterweisung eines Kindes) schon in sich den Tatbestand der Verfolgung erfüllen.

 

... Zweitens kann es Fälle geben, in denen eine Person, die eine strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen eines Deliktes zu fürchten hat, darüber hinaus "begründete Furcht vor Verfolgung" haben kann. In solchen Fällen ist die betreffende Person ein Flüchtling. Es kann jedoch auch notwendig werden, Überlegungen darüber anzustellen, ob das fragliche Verbrechen nicht so schwer ist, dass eine der Ausschlussklauseln auf den Antragsteller Anwendung findet.

 

... Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines Deliktes einer Verfolgung im Sinne des Abkommens gleichkommt, ist es unumgänglich, sich mit den Gesetzen des betreffenden Landes auseinander zu setzen, da es möglich ist, dass ein Gesetz nicht den anerkannten Grundsätzen der Menschenrechte entspricht. Häufiger jedoch ist weniger das Gesetz, als vielmehr die Art, wie es angewandt wird, diskriminierend. Eine strafrechtliche Verfolgung wegen einer Verletzung "der öffentlichen Ordnung", z.B. wegen der Verteilung von Flugblättern, mag ein Mittel zur Verfolgung eines Einzelnen wegen des politischen Inhalts der Veröffentlichung sein.

 

... Da der Umgang mit den Gesetzen eines anderen Landes offensichtlich mit Schwierigkeiten verbunden ist, werden die staatlichen Stellen sich oft gezwungen sehen, sich bei ihrer Entscheidung der Gesetze ihres eigenen Landes als Gradmesser zu bedienen. Eine wertvolle Hilfe bei der Rechtsfindung können auch die, in verschiedenen internationalen Verträgen enthaltenen Grundsätze zur Frage der Menschenrechte sein; ..."

 

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist daher vorerst die Frage zu stellen, ob das Verhalten des iranischen Staates, die Mitgliedschaft in einer illegalen Terrororganisation oder das Propagieren einer Terrororganisation bzw. die illegale Demonstrationsteilnahme aufgrund dieser Mitgliedschaft unter Strafe zu stellen per se eine ungerechtfertigte Verfolgung darstellt, was zweifelsfrei zu verneinen sein wird, zumal sich ähnliche Bestimmungen auch im österreichischen Strafrecht befinden. Vor dem Hintergrund der Ausführungen zum Charakter der ASMLA bzw. deren Splittergruppen und nahestehenden Organisationen wird davon auszugehen sein, dass es sich bei der ASMLA um eine terroristische bzw. kriminelle Organisation handelt, deren Mitgliedschaft bzw. Unterstützung ein bestrafungswürdiges Verhalten darstellt. Ebenso sprechen die seitens der ASMLA und der ihr nahestehenden Organisationen verübten Anschläge eine klare Sprache und bedarf es vor diesem Hintergrund wohl keiner weitschweifender Ausführungen, dass hier das kriminelle Motiv vor dem politischen bei weitem überwiegt.

 

Seitens des erkennenden Gerichts besteht daher kein Anlass zur Annahme, die nach dem iranischem Recht pönalisierte Mitgliedschaft bzw. Unterstützung krimineller Organisationen, namentlich der ASMLA stelle "persecution" dar [vgl. hierzu hinsichtlich der PKK zB OGH 19.11.1996, 14O244/96(14Os142/96) wonach es sich bei der PKK (bzw. deren Teilorganisationen) um eine kriminelle Organisation im Sinne des § 278a StGB handelt (OGH 18.10.1994, 11Os 112, 114/94-14 -Anm.:

§ 278b war damals noch nicht Bestandteil der österr. Rechtsordnung].

 

Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafdrohung ist im Rahmen eines Vergleichs mit der ho. Rechtslage (exemplarisch: § 278a StGB "Kriminelle Vereinigung": Freiheitsstrafe von 6 Monaten - 5 Jahren; § 278b StGB "Terroristische Vereinigung": Freiheitsstrafe von 1 - 10 Jahren; 278c "Terroristische Straftat": Überschreitung der Strafdrohung der Höchststrafe für das Grunddelikt um die Hälfte, max. zeitlich begrenzte Haftstrafe 20 Jahre) in einer Zusammenschau mit dem rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des iranischen Staates, sowie eines besonderen generalpräventiven Bedürfnisses im Hinblick auf das Bestreben, Straftaten mit terroristischen Hintergrund zu verhindern, davon auszugehen, dass die seitens des iranischen Staates festgesetzten Strafdrohungen nicht unverhältnismäßig sind bzw. geht letztlich das BVwG davon aus, dass der BF bereits vorzeitig entlassen wurde.

 

Das gegen den BF geführte Ermittlungs- bzw. Strafverfahren entspricht daher dem legitimen Strafverfolgungsanspruch des iranischen Staates und ist darin keine Verfolgungshandlung gelegen, die gegen den BF aufgrund eines seiner Person innewohnenden Merkmals iSd GFK gerichtet wäre. Es ist im Lichte des Vorbringens auch nicht erkennbar geworden, dass das gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungs- oder Strafverfahren aus Konventionsgründen unfair oder parteiisch durchgeführt wurde.

 

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist daher letztlich davon auszugehen, dass das Gerichtsverfahren und die gegen den BF hierbei verhängte Haftstrafe den in der GFK angeführten Begriff der "Verfolgung" nicht erfüllt, weshalb die Gewährung von Asyl - unabhängig von einer vorzeitigen Haftentlassung oder Flucht aus der Haft - aus diesem Grunde ausscheidet.

 

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

 

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

 

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1.-der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2.-...

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung

nach § 3 ... zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

..."

 

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies war dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

 

Art. 2 EMRK lautet:

 

"(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

 

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

 

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

 

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

 

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."

 

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

 

Art. 3 EMRK lautet:

 

"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

 

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

 

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

 

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

 

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

 

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele:

VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein "ausreichend reales Risiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren"", derselbe in Migralex: "Abschiebeschutz von Traumatisieren"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

 

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

 

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

 

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

 

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

 

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 führt der VwGH unter Verweis auf die innerstaatlichen (§§ 8, 11 AsylG) sowie europarechtlichen (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011- Statusrichtlinie) Bestimmungen aus, dass schon mehrfach in der Judikatur darauf hingewiesen wurde, dass das Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung vor dem Hintergrund der Statusrichtlinie zu beachten ist. Weiters wird ausgeführt, dass allein die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich bei der Auslegung ist und nach dessen Rechtsprechung ein Drittstaatsangehöriger "nur dann Anspruch auf subsidiären Schutz hat ..., wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, eine der drei in Art. 15 der Richtlinie definierten Arten eines ernsthaften Schadens zu erleiden" (vgl. zuletzt EuGH 24.4.2018, C-353/16 , MP, Rn. 28, mwN).

 

Art. 15 der Statusrichtlinie definiert als "ernsthaften Schaden" die Todesstrafe oder Hinrichtung (lit. a), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland (lit. b) und "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" (lit. c).

 

Der EuGH hat im Zusammenhang mit der Bedrohung durch Akteure (lit. b) im Urteil vom

 

18. Dezember 2014, C-542/13 , M'Bodj ausgeführt, dass der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger nach Art. 3 EMRK nicht abgeschoben werden kann, noch nicht bedeutet, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Subsidiärer Schutz verlange nach dieser Auslegung durch den EuGH dagegen, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden muss und dieser nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

Auch aus der Entscheidung des EuGH in der Rs Abdida, C-562/13 geht hervor, dass eine klare Unterscheidung zwischen der Gewährung von subsidiären Schutz einerseits und der Non-refoulement Entscheidung andererseits notwendig ist (vgl. VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 Rz 32).

 

§ 8 Abs. 1 AsylG ist gemäß dem Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 unionsrechtskonform so auszulegen, dass diese Bestimmung - ungeachtet ihres unterschiedslos auf Verletzungen von Art. 2 und 3 EMRK abstellenden Wortlautes - nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorsieht, in denen dies nach Art. 15 lit. a-c der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie geboten ist. Demnach ist für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlich, dass ein ernsthafter Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht wird oder der ernsthafte Schaden von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgeht. Es muss demnach nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind. Dies entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können" (Rz. 30ff). In diesem Sinne ist auch der fehlerhaften Umsetzung der Statusrichtlinie durch den Gesetzgeber Rechnung zu tragen und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechend dem Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden.

 

Zusammengefasst bedeutet dies, dass Fragen in Bezug auf die von den oa. Akteuren nicht konkret verursachte allgemeine Lage im Herkunftsstaat der bP, wie etwa die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage bzw. Behandlungsmöglichkeiten im Krankheitsfall, eine allenfalls allgemein existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse), etc. nicht vom Schutzumfang des Art. 15 und 18 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011 umfasst sind, weshalb im Rahmen einer richtlinienkonformen Interpretation des § 8 AsylG davon auszugehen ist, dass derartige Umstände nicht zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führen können, zumal es der Statusrichtlinie widerspricht, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (vgl. Erk. d. VwGH vom 21.11.2018, Ra 2018/01/0461, bzw. Erk. d. VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Derartige Fragen sind daher an einer anderen Stelle des gegenständlichen Erkenntnisses zu klären (vgl unten).

 

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtssprechung folgende Überlegungen angestellt:

 

Da sich der Herkunftsstaat der bP nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet (dies kann auch in Bezug auf den Konflikt um die Kontrolle der Regionen Abchasien und Südossetien bzw. jene Regionen Zentralgeorgiens, welche unmittelbar an Abchasien oder Südossetien angrenzen nicht angenommen werden), kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die bP als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

 

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

 

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der bP (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es bestehen aber keine Hinweise, dass der BF eine mit dieser Strafe bedrohte Handlung begangen hätte) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

 

Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.

 

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

 

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

 

§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

 

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer

Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

 

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

 

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."

 

§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von

Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

 

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

 

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

 

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

 

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

 

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

 

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels

gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

 

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

 

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

 

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

 

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

 

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

 

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

 

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

 

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

 

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

 

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

 

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

 

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

 

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

 

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

 

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

 

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

 

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

 

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

 

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

 

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

 

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

 

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

 

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

 

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

 

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

 

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

 

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

 

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde."

 

§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

 

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich

eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

 

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

 

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

 

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

 

II.3.4.2. Der gegenständliche, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt der BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

 

Es liegen keine Umstände vor, dass dem BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich auch nichts dargelegt.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

 

II.3.4.4. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und lebt auch sonst mit keiner ihm nahe stehenden Person zusammen, der Wohnungskollege ist lediglich vom gleichen Stamm wie der BF und hat er mit diesem auch vor seiner Ausreise nicht zusammen gelebt. Er möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit April 2016 im Bundesgebiet auf. Er reiste rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Er bezieht Grundversorgung, arbeitet nicht und hat einen Deutschkurs besucht sowie die Prüfung A1 abgelegt. Der BF ist strafrechtlich bislang unbescholten.

 

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

 

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

 

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

 

II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:

 

 

Der BF ist seit April 2016 in Österreich aufhältig. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnte seinen Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren. Hätte er diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wäre er rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und er sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würde.

 

 

Der BF verfügt über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.

 

 

Der BF begründete sein Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt des BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

 

Letztlich ist auch festzuhalten, dass der BF nicht gezwungen ist, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihm frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74 mwN).

 

 

Der BF ist -in Bezug auf sein Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, hat hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und war im Asylverfahren nicht in der Lage, seinen Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen.

 

Er ist auch nicht Mitglied bei einem Verein oder einer Organisation und besucht weder eine Schule noch eine sonstige Bildungseinrichtung. Die zeitweiligen Hilfstätigkeiten über das Hilfswerk können noch keine außerordentliche Integration belegen und konnte er letztlich nur den Zuständigen dort sowie zwei weitere Vornamen von dort tätigen Personen benennen, was gerade nicht für eine besondere Integration spricht.

 

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die -hier bei weitem nicht vorhandenen-Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

 

Der BF verbrachte den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran, wurde dort sozialisiert bekennt sich zum dortigen Mehrheitsglauben des Islam und spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass im Iran Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises des Beschwerdeführers existieren, da nichts darauf hindeutet, dass er vor seiner Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätte. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

 

 

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

 

Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

 

 

Der BF reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein.

 

 

Dem BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass dem BF die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass er in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätte.

 

 

Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.

 

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

 

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

 

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

 

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

 

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

 

Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich -abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

 

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für eine bP grundsätzlich nicht mehr möglich, ihren Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.

 

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist der BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

 

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

 

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

 

Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

 

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art "Handreichung des Staates" - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

 

Wenn man - wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt - dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

 

In seinem Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.

 

Der GH führte weiter -wiederum auf seine Vorjudikatur verweisendaus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als "fait accompli" mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer getroffen, weil es der Erstbeschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall Erstbeschwerdeführerin trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.

 

Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

 

Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

 

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

 

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

 

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

 

II.3.4.7. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der vom BF in seinem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnisse mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

 

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

 

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

 

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Der BF hält sich im Vergleich zu seinem Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf, arbeitet illegal und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar. Der BF hat den Großteil des Lebens im Iran verbracht und wurde dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zum Iran eine - wenn überhaupt vorhandene - Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

 

Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer des BF in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären wäre.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

II.3.4.8. Zulässigkeit der Abschiebung

 

II.3.4.8.1. Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre, für den BF dort der Gefahr einer Verfolgung aus einem Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK bestünde oder einer Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegenstünde.

 

Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Iran unzulässig wäre und wurden im gegenständlichen Erkenntnis bereits entsprechende Ausführungen getätigt, welche auch die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.

 

II.3.4.8.2. Eine im § 50 Abs. 3FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.

 

II.3.4.8.3. Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen in Bezug auf die Republik Iran nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

 

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

 

Weitere, in der Person des BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

 

Zur individuellen Versorgungssituation des BF wird weiter festgestellt, dass dieser im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Beim BF handelt es sich um einen mobilen, gesunden, arbeitsfähigen Menschen. Einerseits stammt der BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört er keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

Auch steht es dem BF frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das -wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.

 

Ebenso kam hervor, dass der BF im Herkunftsstaat über soziale Anknüpfungspunkte in Ahwaz, wo er auch vor seiner Ausreise gelebt hat, verfügt. Im Herkunftsstaat leben außerdem die in den Feststellungen angeführten Familienangehörigen des BF.

 

Darüber hinaus ist es dem BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

 

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

 

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine, allfällige überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.

 

Im vorliegenden Fall konnten auch seitens des BF keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts.

 

Aufgrund der oa. Ausführungen ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die Abschiebung der bP in ihren Herkunftsstaat zulässig ist.

 

II.3.4.9. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen des BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

 

II.3.4.10. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung und keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht, ist die Beschwerde gegen den entsprechenden Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.

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