BVwG W226 1437117-4

BVwGW226 1437117-420.3.2017

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W226.1437117.4.00

 

Spruch:

W226 1437114-4/3E

W226 1437115-4/3E

W226 1437116-4/3E

W226 1437117-4/3E

W226 2017401-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX ; 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX ; 3.) XXXX (BF3), geb. XXXX ; 4.) XXXX (BF4), geb. XXXX und 5.) XXXX (BF5), geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2017, Zlen. 1.) 13-619179804-150848517, 2.) 13-619178502-150848525, 3.) 13-830132405-150848541, 4.) 13-830132601-150848568 und 5.) 14-1048216301-150848584 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 1

AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 9, 55 Abs. 1a FPG, § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die verfahrensgegenständlichen Anträge sind untrennbar miteinander verknüpft, weshalb zur besseren Veranschaulichung eine gemeinsame Bearbeitung erfolgt, wobei die Beschwerdeführer in der im Spruch vorgenommenen Reihenfolge als BF1 bis BF5 und alle zusammen als die BF bezeichnet werden.

Erstes Verfahren:

BF1 bis BF4, Eltern und deren zwei minderjährige Kinder, gelangten Ende Jänner 2013 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellten am 31.01.2013 Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Sämtliche BF brachten vor, Staatangehörige der Russischen Föderation zu sein und aus Dagestan zu stammen.

Bei der am selben Tag stattgefundenen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab BF1 an, am 23.01.2013 mit seiner Familie mit einem Reisebus legal ausgereist und nach XXXX gefahren zu sein. Die Reisedokumente befänden sich beim Schlepper, den sie ihn XXXX getroffen hätten. Am 28.01.2013 sei die Familie mit einem Kleinbus weitergereist und schließlich am 31.01.2013 in Österreich angekommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte er vor, in Dagestan Zeuge eines Mordes gewesen zu sein. Fünf maskierte Männer des russischen Geheimdienstes – er habe sie durch das Wappen des FSB am Oberarm der Uniform erkennen können – hätten einen Nachbarn ermordet. Als sie mitbekommen hätten, dass BF1 die Tat beobachtet habe, hätten sie seine Wohnungstüre eingetreten und ihn erschießen wollen. Sie hätten dies aufgrund der Schreie der Kinder aber nicht getan und ihn stattdessen bedroht sowie geschlagen und schließlich mitgenommen. Er sei in einen Keller verbracht worden, in dem er die ganze Nacht verhört worden sei. Sodann habe man ihn in ein Büro zu einer namentlich genannten Person gebracht, die ihm erneut gedroht und verlangt habe, dass der Erstbeschwerdeführer ein Dokument unterzeichne, in dem er bezeuge, nichts von der Ermordung beobachtet zu haben. BF1 habe sich zunächst geweigert und sei wieder in den Keller gebracht worden. Schließlich habe er das Dokument doch unterschrieben und sei freigelassen worden. Auch sei er auf dem Weg zur Moschee von ihm unbekannten bewaffneten Männern festgehalten worden; es sei ihm jedoch gelungen, sich loszureißen und zu flüchten.

Bei der ebenfalls am selben Tag stattgefundenen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes von BF2 gab diese zur Ausreise im Wesentlichen dasselbe an wie ihr Ehemann. Zu ihren Fluchtgründen brachte sie vor, den von ihrem Mann beobachteten Mord selbst nicht gesehen zu haben, weil sie sich mit den Kindern in der Wohnung befunden und einen Film angesehen habe. Sie habe im Stiegenhaus Lärm gehört, ihr Mann sei nachsehen gegangen und als er zurückgekommen sei, sei er so schockiert gewesen, dass er nicht mehr sprechen habe können. Plötzlich habe jemand an der Türe geklopft und durch die Türe geschossen. Drei Männer hätten die Türe eingetreten und seien in die Wohnung eingedrungen. Sie hätten ihren Mann mitgenommen und BF2 bedroht, nicht nachzukommen. Weil sie Angst um ihren Mann und ihre Kinder habe, seien sie geflüchtet. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte sie, umgebracht zu werden.

Am 10.04.2013 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt, bei der BF2 angab, dass sich seine persönlichen Dokumente in der Wohnung seines Vaters befinden würden, in der BF1 mit seiner Familie gelebt habe. Diese könne er dort anfordern. Die Fluchtgründe betreffend wiederholte er im Wesentlichen das bereits Vorgebrachte und ergänzte, man habe einmal auch versucht, seine Frau mitzunehmen. Außerdem wisse er von seinem Schwager, dass man immer noch nach ihm suche.

Am selben Tag wurde auch BF2 einer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt unterzogen, in der sie angab, persönliche Dokumente in der Heimat zu besitzen.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, wiederholte sie ihr in der Erstbefragung erstattetes Vorbingen, bestätigte im Wesentlichen die Angaben ihres Mannes und ergänzte, sie habe sich an die Polizei gewandt, als ihr Mann mitgenommen worden sei. Diese habe ihr jedoch nicht helfen können bzw. wollen. Zwei Tage später sei ihr Mann spät abends wieder nach Hause gekommen. Er sei offensichtlich geschlagen worden. Sie hätten sich an niemanden wenden können, weil er einen Bart getragen habe und BF2 verschleiert gewesen sei. Zwei weitere Tage später habe ihr Mann in die Moschee gehen wollen, sei aber nicht mehr zurückgekehrt, sondern habe am nächsten Tag angerufen und erklärt, sie müssten ausreisen.

Mit Bescheiden vom 19.07.2013 wies das Bundesasylamt die Anträge von BF1 bis BF4 auf Gewährung von internationalem Schutz vom 31.01.2013 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab; unter einem wurden sie gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Das Bundesasylamt traf dabei zunächst Feststellungen zur Russischen Föderation sowie zur Rückkehrsituation und der Familiensituation von BF1 bis BF4 und führte sodann beweiswürdigend aus, dass das Vorbringen von BF1 und BF2 widersprüchlich sei sowie nicht nachvollziehbare bzw. unrealistische Passagen enthalten würde. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass BF1 bis BF4 im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland in eine Notsituation geraten würden. Trotz der in Österreich vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte stelle eine Ausweisung keinen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Rechte nach Art. 8 EMRK dar.

Die gegen die angeführten Bescheide des Bundesasylamts erhobenen Beschwerden von BF1 bis BF4 wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.03.2014 – mit Erkenntnissen vom 06.05.2014 gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit jeweils einer Rückkehrentscheidung an das BFA gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zurück.

Diese Entscheidung begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass sich in den Aussagen von BF1 und BF2 gravierende Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten aufgetan hätten.

BF1 bis BF4 würden an keinen akut lebensbedrohenden Krankheiten leiden und wären als Familienverband – zusammen mit sozialer und familiärer Unterstützung von in Dagestan lebenden Angehörigen – jedenfalls in der Lage, ihre Existenz in der Russischen Föderation zu sichern.

Mangels familiärer Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und mangels sozialer Integration in Österreich sowie aufgrund der erst kurzen Dauer ihres Aufenthalts stehe Art. 8 EMRK einer allfälligen Rückkehrentscheidung nicht entgegen.

Im fortgesetzten Verfahren betreffend die Prüfung der Erlassung von Rückkehrentscheidungen legten BF1 bis BF4 mehrere Deutschkurs-Besuchsbestätigungen, Einstellungszusagen sowie Unterstützungserklärungen für ihren Verbleib in Österreich vor. Weiters wurde BF1 am 18.11.2014 vor dem BFA einvernommen. Er gab dabei an, es habe sich zwischenzeitlich an seinen Angaben nichts geändert und er halte diese weiterhin aufrecht. Seit seinem Antrag halte er sich ununterbrochen in Österreich auf. Er verfüge über kein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Seit seiner Heirat lebe er mit BF2 in ständiger Ehegemeinschaft. BF2 erwarte das dritte Kind. Er lebe mit BF2 bis BF4 im gemeinsamen Haushalt. Sonst habe er keine Verwandten in Österreich. Er habe russischsprachige und auch österreichische Freunde, mit denen er eine Zeit lang Volleyball gespielt habe. Besondere Bindungen an Österreich habe er nicht. Zu seinen Deutschkenntnissen befragt, erklärte BF1 in deutscher Sprache, ein bisschen Deutsch zu sprechen; er besuche derzeit einen Sprachkurs und im Februar 2015 werde er an einer Prüfung der Niveaustufe A2 teilnehmen. In Dagestan habe er einen Schulabschluss mit Universitätsreife und einen Universitätsabschluss eines Technikums; seinen Abschluss habe er als Ökonom und Buchhalter gemacht. Er habe aber in dieser Sparte keine Arbeit bekommen und deshalb Schweißerarbeiten auf Baustellen durchgeführt. Bislang habe er in Österreich keine Ausbildungen in Anspruch genommen, aber nächstes Jahr könne er einen Schweißer-Kurs besuchen. Er führe gelegentlich in seiner Wohnsitzgemeinde diverse Arbeiten durch und erhalte hiefür einen geringen Stundenlohn. Seinen Lebensunterhalt bestreite er daher durch die Grundversorgung und er lebe in einer Unterkunft für Flüchtlinge. BF3 und BF4 seien gesund. BF3 besuche derzeit den Kindergarten und werde im nächsten Herbst die Schule besuchen. BF4 könne noch nicht den Kindergarten besuchen.

Mit Bescheiden des BFA vom 29.12.2014 wurde BF1 bis BF4 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen BF1 bis BF4 Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung von BF1 bis BF4 in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Weiters sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend hielt es fest, dass BF1 bis BF4 in ihrem Herkunftsstaat im Falle ihrer Rückkehr nicht die Lebensgrundlage entzogen wäre oder sie in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden. So seien BF1 und BF2 arbeitsfähig. Zudem würden im Herkunftsstaat zahlreiche Angehörige leben, von denen BF1 bis BF4 wirtschaftliche Unterstützung erhalten könnten. Aufgrund der Widersprüche hinsichtlich des Todestages des Vaters von BF1 und mangels Vorlage entsprechender Beweismittel habe zudem nicht festgestellt werden können, dass der Vater tatsächlich verstorben und daher die elterliche Wohnung an den Staat zurückgefallen sei. Darüber hinaus habe sich der Aufenthalt im Bundesgebiet alleine aufgrund der Betreibung des Asylverfahrens vorübergehend legalisiert. Angesichts der relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich seien überdies keine Aspekte einer außergewöhnlichen und schützenswerten Integration hervorgekommen.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das BVwG mit Erkenntnis vom 17.03.2015 als unbegründet ab.

Diese Entscheidung begründete es damit, dass die BF alle von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien und ansonsten keine familiären Bezugspunkte in Österreich aufweisen würden. Ein Eingriff in ihr Recht auf Familienleben sei somit nicht bewirkt.

Soweit man von einem durch eine Rückkehrentscheidung erfolgenden Eingriff in ihr Privatleben ausgehen würde, sei dieser als statthaft zu erachten: BF1 bis BF4 hätten sich nach illegaler Einreise erst seit Jänner 2013 im Bundesgebiet aufgehalten und hätten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens verfügt. Die Dauer ihres Asylverfahrens sei mit zwei Jahren nicht übermäßig lang. Die strafrechtliche Unbescholtenheit von BF1 und BF2 falle weder positiv noch negativ im Rahmen der Interessenabwägung ins Gewicht.

BF1 bis BF4 würden über starke Bindungen zum Herkunftsstaat verfügen. Insbesondere die Geschwister von BF1 sowie die Eltern und Geschwister von BF2 würden sich dort noch aufhalten.

BF1, der im Alter von fast XXXX Jahren nach Österreich eingereist sei, habe sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in der Russischen Föderation verbracht. Er beherrsche Russisch in Wort und Schrift und habe auch Sprachkenntnisse in Awarisch; weiters habe er dort seine Schulbildung erfahren und zuletzt als XXXX und XXXX gearbeitet. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich nach nur zwei Jahren Abwesenheit vom Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können werde.

Auch BF2, die im Alter von XXXX Jahren nach Österreich gereist sei, habe ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise in der Russischen Föderation verbracht. Sie beherrsche sowohl Russisch als auch Kumykisch in Wort und Schrift, sei in der Russischen Föderation in die Schule gegangen und habe vor der Geburt ihrer Kinder als Kosmetikerin und Kassiererin gearbeitet. Es sei daher davon auszugehen, dass sie sich nach nur zwei Jahren Abwesenheit vom Herkunftsstaat ebenso in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können werde.

Die im Kleinkindalter befindlichen BF3 und BF4 seien in der Russischen Föderation geboren und im Familienverband mit den Eltern aufgewachsen, weshalb davon auszugehen sei, dass sie mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes und ihrer Muttersprache vertraut gemacht worden seien.

BF1 und BF2 hätten die finanzielle Situation ihrer Angehörigen in Dagestan als gut beschrieben, weshalb keine existenzielle Notlage im Falle ihrer Rückkehr zu erkennen sei.

Im Gegensatz dazu seien BF1 bis BF4 in Österreich schwächer integriert.

BF1 verfüge über Deutschkenntnisse auf Niveau A2 und habe im April 2013 begonnen, einen Deutschkurs zu besuchen, er nehme aber darüber hinaus keine Bildungsmaßnahmen in Anspruch. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig, in Österreich – bis auf gelegentliche Arbeiten in der Wohnsitzgemeinde – nicht legal erwerbstätig und lebe von der Grundversorgung. BF1 helfe zwar in seiner Wohnsitzunterkunft mit, engagiere sich darüber hinaus aber in keinen Vereinen oder anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen.

BF2 verfüge ebenfalls über Deutschkenntnisse auf Niveau A2 und habe im April 2013 begonnen, einen Deutschkurs zu besuchen, nehme aber sonst ebenso keine Bildungsmaßnahmen wahr. Sie sei nicht selbsterhaltungsfähig, in Österreich nicht legal erwerbstätig und lebe von der Grundversorgung. BF2 engagiere sich zwar in ihrer Unterkunft, sei aber sonst kein Mitglied in Vereinen oder anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Aus den vorgelegten bedingten Bestätigungen potentieller zukünftiger Arbeitgeber hinsichtlich BF1 und BF2 sei nicht ein bereits erreichter Grad an Integration in wirtschaftlicher Hinsicht ableitbar, sondern bloß die noch ungewisse Möglichkeit deren künftigen Eintretens.

BF3 besuche seit April 2013 den Kindergarten und befinde sich mit ihren fünf Jahren erst im zweiten Jahr ihrer Sozialisation, sodass ihr die Anpassung an neue Lebensverhältnisse bei einer Rückkehr im Verbund mit ihrer gesamten Kernfamilie und auch angesichts der in der Russischen Föderation noch lebenden weiteren Verwandten zumutbar sei.

Die dreijährige BF4 habe ihre Sozialisation eben erst begonnen und es könne diese nicht als dermaßen fortgeschritten angesehen werden, dass sie nicht auch in ihrem Herkunftsstaat fortgesetzt werden könnte, zumal diese im Heimatland weiter in Obsorge ihrer Eltern sein werde.

Das Interesse von BF1 und BF2 an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich sei noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein hätten müssen.

Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen von BF1 bis BF4 an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stünden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nämlich ein hoher Stellenwert zu.

Für die am XXXX in Österreich geborene BF5 wurde am 10.12.2014 durch ihre Mutter (BF2) als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 29.12.2014 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab, erkannte ihr einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in die Russische Föderation zulässig sei; schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 17.03.2015 vollinhaltlich ab.

BF5 habe keine eigenen Fluchtgründe und könne sich auch im Rahmen des Familienverfahrens nicht auf einen ihren Eltern oder Schwestern zuerkannten Flüchtlingsstatus berufen. Sie leide an keinen lebensbedrohenden Krankheiten und ihre Existenz in der Russischen Föderation sei im Rahmen ihres Familienverbands gesichert. Als Neugeborene habe sie keine sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und ihre Familienangehörigen seien – mit Entscheidung vom selben Tag – ebenso von Rückkehrentscheidungen betroffen.

Diese Entscheidungen erwuchsen mit ihrer Zustellung in Rechtskraft.

Zweites Verfahren:

Die BF stellten am 13.07.2015 neuerlich Anträge (Folgeanträge) auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer am selben Tag durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gaben BF1 und BF2 an, dass die Fluchtgründe aus ihrem ersten Asylverfahren nach wie vor bestehen würden.

In Hinblick auf neue Beweismittel habe ihnen ihr Anwalt zur Stellung eines neuerlichen Asylantrags geraten. Neue Fluchtgründe gebe es allerdings nicht, seit dem Jahr 2013 hätten die BF Österreich nicht mehr verlassen. Im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation fürchteten sie um ihr Leben.

In einer schriftlichen Stellungnahme vom 05.08.2015 führten die BF aus, im Zuge ihres neuerlichen Antrages neue Beweismittel in Form von handschriftlich aufgesetzten und unterfertigten Bestätigungen von Nachbarn samt Reisepasskopien beigebracht zu haben. Diese Schreiben würden bestätigen, dass die BF weiterhin von russischen Sicherheitskräften gesucht würden; in diesem Zusammenhang werde häufig an ihrem ehemaligen Wohnort nach ihrem Verbleib gefragt. Diese Beweismittel hätten sie im Asylverfahren nicht vorlegen können, weil sie sie erst eine Woche vor der neuerlichen Antragstellung erhalten hätten. Dieser Umstand rechtfertige die Folgeantragstellungen und schließe die Annahme einer entschiedenen Sache aus.

Der Stellungnahme der BF sind mehrere Schreiben aus ihrem sozialen Umfeld in Österreich für eine Unterstützung für ihren Verbleib im Bundesgebiet sowie eine damit zusammenhängende Unterschriftenliste beigefügt.

BF1 und BF2 wurden vom BFA am 13.05.2016 niederschriftlich einvernommen.

Dabei wurden BF1 und BF2 zu den zur Begründung des Folgeantrages vorgelegten Unterlagen näher befragt, wo sie auch zur Erlangung dieser Unterlagen Ausführungen tätigten. Laut den Ausführungen von BF1 und BF2 seien alle BF gesund.

Vorgelegt wurden:

* Schreiben vom Rechtsanwalt;

* mehrere Unterstützer schreiben;

* ÖSD Zertifikate für Deutschkurse;

* Psychologisches Gutachten betreffend BF2;

* Zeitungsartikel;

* Sterbeurkunde betreffend XXXX , verstorben am XXXX , ausgestellt in XXXX am XXXX sowie

* Praktikumsbestätigung BF1, von der Firma XXXX .

Dem Einvernahmeprotokoll der Befragung von BF1 sind folgende Passagen zum Privat- und Familienleben zu entnehmen:

"F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: 31.01.2013

F: Seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Ich habe Österreich seit dem nie verlassen, ich bin seit 31.01.2013 durchgehend aufhältig.

F: Hatten Sie in Österreich oder in der EU jemals einen gültigen Aufenthaltstitel oder Visum zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: In der Früh bringe ich die Kinder in die Schule und in den Kindergarten. Dann arbeite ich ab und zu bei der Gemeinde. Wenn es dort gerade etwas Arbeit gibt. Wenn ich keine Arbeit habe, verbringe ich Zeit mit meiner Familie. Ich besuche 2-mal in der Woche oder manchmal auch öfters Deutschkurse und mit meinen Freunden fahre ich Fahrrad. In diesem Winter habe ich zum ersten Mal einen Schikurs gemacht. Hauptsächlich bin ich bei den Kindern zuhause damit ich ihr helfen kann, da es für meine Frau sehr schwierig ist alleine mit den Kindern.

F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?

A: Wenn die Gemeinde Arbeit hat, dann gehe ich dort gemeinnützig arbeiten.

F: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, falls Sie hier bleiben könnten?

A: Wenn ich hier in Österreich bleiben könnte würde ich versuchen Arbeit zu bekommen um meine Familie zu ernähren. Ich würde als Schweißer versuchen Arbeit zu finden. Ich machte ein Praktikum bei einer Schlosserei als Schweißer. Der Firmeninhaber hat mir gesagt, dass wenn ich einen positiven Asylantrag habe, er mich einstellen würde. Es gibt noch eine Firma, an die ich mich gewendet habe. Die Firma heißt XXXX . Auch die würden mich nehmen, wenn ich einen positiven Asylbescheid bekomme. Zweimal hatte ich ein Gespräch bei der Bürgermeisterin gehabt. Ich habe mit ihr über meine Arbeitsmöglichkeiten gesprochen. Sie hat mir verpochen mir bei der Arbeitssuche zu helfen. Der Name der Bürgermeisterin Frau XXXX . Sie hat mir gesagt, dass wenn bei der Sperrmülleinrichtung eine Stelle frei wird, dass ich diese Stelle bekomme. Zu diesem Zeitpunkt arbeite ich für die Gemeinde in einem Gymnasium. Dort streichen wir Wände.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich bekomme Sozialhilfe. Vom Staat bekomme ich Unterstützung und von meiner Gemeinnützigen Arbeit. Von der Gemeinde bekomme ich 3 €

die Stunde.

F: Wenn ja, wie hoch ist Ihr derzeitiges Einkommen?

A: 240 € von der GVS

F: Sind Sie gegenüber jemandem unterhaltspflichtig?

A: Nein.

F: In welcher Unterkunft leben Sie, wer kommt für die Miete auf?

A: Ich wohne mit meiner Familie in einem Flüchtlingsheim. Ich bin zwar auf der Suche nach einer Wohnung. Jedoch will uns keiner eine Wohnung noch geben, da wir keine Arbeit haben.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Ja die gesamten Bestätigungen habe ich heute vorgelegt.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2?

A: Ja.

F: Verfügen Sie über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder haben Sie einen Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule?

A: Hier habe ich keine Abschlüsse.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert? Wie war das Ergebnis, bzw. was resultierte daraus?

A: Ich habe Deutschkurse besucht und ein Praktikum in einer Schlosserei.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Früher haben wir in unserem Heim Versammlungen mit anderen Österreichern gehabt. Jetzt gibt es dort dafür aber keinen Raum mehr und wir treffen uns in einem Wettbüro. Das ist aber kein Verein, sonst es ist nur freiwillig. Ich habe auch an die Organisationen wie die Lebenshilfe und das Rote Kreuz gewendet. Um vielleicht einen Erste Hilfe Kurs zu machen, um vielleicht dort arbeiten zu können. Ich habe auch nächste Woche einen telefonischen Termin mit der Lebenshilfe.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A: Meine Kinder sprechen nur Deutsch. Sie wollen kein Russisch sprechen. Was mich betrifft, ich spreche gut Deutsch aber die Deutsche Sprache fällt mir nicht so leicht, aber ich bemühe mich. Ich habe viele Österreichische Freunde, mit denen ich mich unterhalte. Ich würde gerne mit meiner Familie hier in Österreich bleiben. Wir haben zwar eine andere Religion, aber unsere Kultur ist die gleiche. Wenn ich die Möglichkeit bekomme einen Beruf zu erlernen, würde ich das gerne machen. Wie schon gesagt rede ich oft mit den Österreichischen Freunden über deren Religion und meiner Religion. Bei unseren Gesprächen hatten wir nie streit. Die Leute hier sind sehr herzig und fein. Ich möchte gerne für das Land Österreich nützlich sein und hier arbeiten. Ich sehe hier viele Asylwerber aus dem arabischen Raum die nicht arbeiten wollen und die bekommen Asyl. Ich bekomme kein Asyl, das verstehe ich nicht. Ich möchte nützlich sein.

Anmerkung: Der ASt. wiederholt ab diesem Zeitpunkt sein Vorbringen bezüglich seiner Integration

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Nein.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO – Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

[ ]"

Dem Einvernahmeprotokoll der Befragung von BF2 sind folgende Passagen zum Privat- und Familienleben zu entnehmen:

"[ ]

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist und seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Am 31.01.2013 und bin seitdem durchgehend in Österreich aufhältig.

F: Hatten Sie in Österreich oder in der EU jemals einen gültigen Aufenthaltstitel oder Visum zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Ich besuche 3-mal in der Woche einen Deutschkurs, habe auch einen A2 Prüfung, das habe ich bereits vorgelegt. Ich kümmere mich um meine Kinder, ein Kind geht schon in die Schule, das andere in den Kindergarten und das andere ist noch zu Hause. Wir haben viele neue österreichische Freunde in Österreich. Wir gehen dort zu Besuch hin, oder die Leute kommen zu uns.

F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?

A: Nein. Ich habe im XXXX für die Gemeinde gekocht und habe dafür 3 Euro bekommen. Bevor ich mein jüngstes Kind bekommen habe, habe ich im Heim als Hausmeisterin gearbeitet und habe unseren Stock sauber gehalten. Unsere Heimleiterin hat das alles aufgeschrieben.

F: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, falls Sie hier bleiben könnten?

A: Ich würde gerne selbst arbeiten gehen, mein Mann natürlich auch. Und von diesem Einkommen würden wir dann leben. Wir haben in XXXX viele gute Bekannte und Freunde. Man hat uns versprochen, dass wir sofort eine Arbeit bekommen, sobald unser Asylverfahren abgeschlossen ist. Man hat uns auch hierher begleitet. Wir haben auch Empfehlungsschreiben mitgebracht, die von der Kanzlei kopiert werden.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Wir bekommen Sozialunterstützung und mein Mann arbeitet oft in der Gemeinde. Wir sind noch in der Grundversorgung und wohnen im Flüchtlingsheim. Wir suchen zwar eine Privatwohnung, aber das ist sehr teuer.

F: In welcher Unterkunft leben Sie, wer kommt für die Miete auf?

A: Wie erwähnt.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Wie erwähnt.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2? Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

A: Ja wie erwähnt. Gut, ich lerne jeden Tag. Und spreche mit meinen Freundinnen.

F: Sind Sie damit einverstanden, dass die nächsten 5 Fragen in deutscher Sprache gestellt werden?

A: Ja.

F: Verfügen Sie über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder haben Sie einen Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule?

A: In Russland ja. Schule 11 Klassen und Universität 5 Jahre.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert? Wie war das Ergebnis, bzw. was resultierte daraus?

A: Nur Deutschkurs.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

Anmerkung: ASt. versteht die Frage in Deutsch nicht. Die Frage wird auf Russisch gestellt.

A: Nein.

F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

A: Deutschkurs und Freundinnen. Meine Kinder gehen in die Schule und zweite in Kindergarten.

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?

Anmerkung: ASt. versteht die Frage in Deutsch nicht. Die Frage wird auf Russisch gestellt.

A: Nein, ich habe alle Freunde und Bekannte erst hier in Österreich kennen gelernt.

Anmerkung: Die Fragen werden wieder auf Russisch gestellt.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Bis auf meinen Mann und meine Kinder, habe ich keine Verwandte in Österreich.

F: Wo leben Ihre restlichen Verwandten?

A: Alle in Dagestan.

F: Haben Sie eine andere besondere Bindung an Österreich, die Sie anführen möchten?

A: Ich habe die Frage nicht verstanden.

Anmerkung: Die Frage wird wiederholt.

A: Nein habe ich nicht.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO – Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

F: Haben Sie für Ihre Kinder spezielle Asylgründe vorzutragen, oder sollen für Ihre Kinder die gleichen Asylgründe gelten, wie für Sie?

A: Ich habe als gesetzliche Vertreterin, nämlich als Mutter für meine Kinder Asylantrag gestellt. Ich habe zu diesem Verfahren bereits alle Angaben in meinen Einvernahmen gemacht. Diesen Angaben habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Für meine Kinder habe ich keine eigenen Asylgründe vorzubringen. Für meine Kinder sollten die gleichen Gründe gelten wie für mich. Meine Angaben gelten auch für meine Kinder.

F: Haben Ihre Kinder gesundheitliche Probleme?

A: Nein.

F: Wie sieht der Alltag Ihrer Kinder derzeit in Österreich aus?

A: XXXX besucht die Volksschule Süd 1 in XXXX und geht in die erste Klasse. Meine Tochter XXXX geht in den Kindergarten in XXXX . Und XXXX ist bei mir zu Hause. Meine Töchter besuchen Ihre Freundinnen. Wir möchten auch, dass Sie in der Schwimmbad gehen, aber das Schwimmbad wird zurzeit renoviert.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Ja, damit bin ich einverstanden.

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Ja, ich möchte noch etwas sagen. Meine Kinder haben sich sehr an das Leben hier gewöhnt. Sie können sich ein Leben in unserer Heimat nicht vorstellen. Wir sind sehr glücklich in XXXX und alle Leute die uns kennen, machen sich Sorgen um uns und wollen, dass wir hier bleiben können. Wir haben seit dem wir hier in Österreich sind nie irgendwelche Probleme gehabt, weder Strafen noch sonst irgendwas. Meine Kinder unterhalten sich praktisch nur mehr auf Deutsch. Sie vergessen Russisch eigentlich schon. Für uns wäre es sehr wichtig, dass wir hier bleiben können, besonders wegen den Kindern.

[ ]"

Am 18.05.2016 langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl postalisch die Kopien von vier in russischer Sprache gehaltenen, handschriftlichen Stellungnahmen samt Passkopien der jeweiligen Urheber ein. Diese bestätigten (zufolge der amtswegig veranlassten Übersetzung der Schreiben), dass uniformierte und maskierte Personen in den Eingang des Stiegenhauses sowie der Wohnung der BF gegangen seien und sich wiederholt nach dem Aufenthaltsort von BF1 erkundigt hätten.

Am 21.06.2016 vernahm das BFA jenen klinischen Psychologen, der in einem psychologischen Befundbericht vom 02.06.2015 festgehalten hatte, dass BF2 an einer stark ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung leide, weshalb ihre Abschiebung aus klinisch-psychologischer Sicht nicht vertretbar sei. In der Einvernahme gab der Psychologe im Wesentlichen zu Protokoll, den derzeitigen Gesundheitszustand von BF2 nicht zu kennen. Über die Vertretbarkeit ihrer Abschiebung könne er zum Einvernahmezeitpunkt keine Angaben tätigen.

Das BFA wies mit Bescheiden vom 30.09.2016 die (zweiten) Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Diese Entscheidungen begründete das Bundesamt damit, dass BF1 und BF2 bereits im ersten Asylverfahren ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt worden seien. Mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.05.2014 sei festgestellt worden, dass die BF keiner asylrelevanten Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt seien. Im Rahmen des nunmehrigen Verfahrens hätten BF1 und BF2 weder für sich noch für BF3 bis BF5 einen neuen maßgeblichen Sachverhalt geltend gemacht.

Bei den vorgelegten Beweismitteln handle es sich lediglich um kurz gehaltene, handschriftliche Schreiben von vier angeblichen Nachbarinnen, zu denen sich BF1 und BF2 zudem widersprochen hätten. Überdies stellten diese Schrieben keine tauglichen Beweismittel dar, weil es sich um bloße Kopien handle und derartige Schreiben Manipulationsmöglichkeiten unterlägen; selbst wenn sie nicht verfälscht seien, müssten sie als "Gefälligkeitsschreiben" beurteilt werden. Weiters hielt das BFA den BF vor, diese Beweismittel erst zu einem sehr späten Verfahrenszeitpunkt vorgelegt zu haben. Jedenfalls hätten sie die Fluchtgründe aus ihrem ersten Asylverfahren aufrecht gehalten und keinen wesentlich geänderten Sachverhalt behauptet. Schließlich seien auch keine neuen Refoulement-relevanten Umstände in Bezug auf den Herkunftsstaat der BF oder in Bezug auf ihre Personen hervorgekommen. Da diese Beurteilung für alle BF zu treffen sei, sei für keinen von ihnen aus dem Vorliegen eines Familienverfahrens etwas zu gewinnen.

Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 10./11.10.2016 wurde den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für die Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen die angeführten Bescheide vom 30.09.2016 erhoben die BF über ihre ausgewiesene Vertretung das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führten sie im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde einer falschen rechtlichen Beurteilung unterliege.

BF1 habe erst im Zuge des gegenständlichen Asylverfahrens konkret vorgebracht, dass er in seiner Abwesenheit von FSB-Kräften gesucht werde. Dies stelle eine relevante Sachverhaltsänderung dar, die nicht bloß Nebenumstände betreffe. Zudem hätten die BF diesen neuen Umstand durch die Vorlage von tauglichen Beweismitteln untermauert. Soweit die belangte Behörde die Beweiskraft der vorgelegten Schreiben anzweifle, sei festzuhalten, dass die Unterzeichnerinnen nach all ihren Möglichkeiten ihre Identität durch die Kopien ihrer Reisepässe nachgewiesen hätten. Da die Schreiben eigenhändig verfasst worden seien und die BF diese nur in Kopie vorlegen hätten können, seien nähere Echtheitskennzeichen nicht möglich.

Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnissen vom 14.11.2016 die Beschwerden gegen die Bescheide vom 30.09.2016 als unbegründet ab.

Dort wurde beweiswürdigend zum Gesundheitszustand von BF2 festgehalten, dass ein psychologischer Befundbericht vom 02.06.2015 vorliege, demzufolge BF2 an einer stark ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung leide. Dieser Befund sei am 21.06.2016 durch den von der belangten Behörde zeugenschaftlich befragten klinischen Psychologen auch nicht revidiert worden. Dieser habe lediglich angegeben, dass sich der Gesundheitszustand von BF2 verändert haben könnte.

Rechtlich begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass sich die BF auf keinen neuen Sachverhalt stützen würden, sondern den Sachverhalt aus dem ersten Verfahren bekräftigen würden. Auch im Lichte des Gesundheitszustandes von BF2 sei es zu keiner maßglichen Änderung der Sachlage gekommen.

Am 01.12.2016 erhoben die BF Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG.

Die belangte Behörde habe die Folgeanträge vom 13.07.2015 mit Bescheiden vom 30.09.2016 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ohne jedoch neuerlich eine Rückkehrentscheidung zu fällen. Unter Berücksichtigung des Zeitpunktes der Asylfolgeantragstellung am 13.07.2015 liege nunmehr jedenfalls eine Säumnis hinsichtlich der Entscheidung bezugnehmend auf die zu treffende Rückkehrentscheidung vor.

Mit der Säumnisbeschwerde wurde gleichzeitig eine Konvolut an Unterlagen vorgelegt und dort in einer Stellungnahme dargelegt, dass die BF sich im Bundesgebiet nachhaltig integriert hätten.

Vorgelegt wurden:

Bestätigung der Firma XXXX vom 25.11.2016, BF1 als Bauhilfsarbeiter einzustellen, wenn er einen positiven Bescheid erhalte bzw. eine gültige Arbeitserlaubnis bekomme sowie Führerschein des BF1 ausgestellt am 11.11.2016.

BF1 und BF2 wurden am 19.12.2016 vor dem BFA, RD Tiro, niederschriftlich einvernommen.

BF1 erklärte dabei, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. Er habe keine gesundheitlichen Probleme. Seit der letzten Einvernahme vor dem BFA habe sich sein Gesundheitszustand nicht verändert.

Nach Darlegung des Inhalts der Einvernahme, erklärte BF1, bisher immer die Wahrheit gesagt zu haben. Es sei auch alles richtig protokolliert und rückübersetzt worden. Er habe seinen Ausführungen auch nichts mehr hinzuzufügen.

Im Zuge der Einvernahme wurden neuerlich der Führerschein von BF1 und die Bestätigung der Firma XXXX vom 25.11.2016 vorgelegt. Weiters wurden vorgelegt:

Zu BF1:

* ÖSD Zertifikat A2 am 20.05.2015;

* Absolvierung eines Praktikums bei der Firma XXXX vom 10.03.2015;

* Schreiben des Geschäftsführers XXXX vom 06.10.2014 für das Engagement bei der XXXX ;

* Arbeitsbestätigung XXXX vom 18.05.2016;

* Bestätigung der Freiwilligenarbeit in einem näher bezeichneten Wohnhaus der XXXX (undatiert);

* Empfehlungsschreiben XXXX vom 27.05.2015, XXXX vom 04.06.2015 und XXXX vom 27.08.2015;

* Anzeige eines Volontariats beim AMS vom 09.12.2016 sowie

* Bestätigung der XXXX , Sommerreinigung vom 11.07.2016 bis 04.08.2016 samt Abrechnung der Stunden.

Zu BF2:

* Bestätigung der Volkshochschule XXXX vom 10.11.2014, Basisbildung/Grundkompetenzen sowie

* Psychologischer Befundbericht Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe vom 02.06.2015 mit den Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung, Opfer von Verbrechen oder Terrorismus, Panikstörungen, Schlafstörungen und Albträume.

Zu BF3:

* Volksschule XXXX vom 11.05.2016, Situationsbericht;

* Bestätigung Kindergarten XXXX vom 12.03.2014 sowie

* Schreiben des Klassenlehrers vom 15.12.2016.

Zu BF4:

* Bestätigung Kindergarten XXXX vom 10.05.2016.

Zu BF:

* Stellungnahme XXXX vom 12.05.2016;

* ÖSD Zertifikat A2 vom 10.06.2015;

* Empfehlungsschreiben XXXX (undatiert) und vom 15.12.2016, XXXX vom 11.06.2015; XXXX vom 07.06.2015, XXXX vom 24.03.2014, XXXX vom 04.03.2014; XXXX vom 24.03.2014, XXXX vom 23.03.2014 und XXXX (undatiert) sowie

* Mehrere Unterschriftenlisten für einen Verbleib der BF im Bundesgebiet aus Mai 2016.

BF1 erklärte, die Empfehlungsschreiben, Arbeitsbestätigungen und Zertifikate beim letzten Mal schon vorgelegt zu haben. Um kein Dokument zu übersehen wurden sämtliche Dokumente vom einvernehmenden Referenten in Kopie zum Akt genommen.

Darüber hinaus habe er keine Dokumente vorzulegen.

Befragt, ob sich in der Zwischenzeit irgendwelche Änderungen bezüglich seiner Person und Lebensumstände in der Heimat ergeben hätten, meinte er, keinen Kontakt mehr in die Heimat zu haben, weshalb er es nicht sagen könne. Er halte aber seine Angaben, die er bis jetzt dazu gemacht habe, aufrecht.

Er wolle seinen bisherigen Angaben nichts mehr hinzufügen. Er habe bereits damals alles erzählt.

Er sei illegal – ohne Papiere – in das Bundesgebiet eingereist.

Er halte sich seit knapp vier Jahren im Bundesgebiet auf und sei nur durch die anhängigen Asylverfahren zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen.

Er lebe mit seiner Frau und seinen drei minderjährigen Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft.

Er habe in Österreich sonst keine Verwandten.

In den letzten Jahren seines Aufenthaltes habe er einige Freunde gefunden, jedoch mit niemandem dieser Freunde in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

Er habe sonst keine besonderen Bindungen zu Österreich. Er sei nicht berufstätig, da er nicht arbeiten dürfe. Deshalb habe er auch keine berufliche Bildung.

Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

Er könne schon Deutsch und würde seine Deutschkenntnisse als mittel einstufen.

BF1 wurde in der Folge auf Deutsch befragt, welche Gründe er auf Deutsch für seine Integration angeben könnte, wobei er auf Deutsch antwortete. Er gab an, sehr viele Freunde zu haben. Er arbeite als Freiwilliger. Er arbeite bei der Lebenshilfe als Hausmeister. In seinem Heim arbeite er freiwillig als Hausmeister, Tischler und Schweißer. Er habe auch schon als Schweißer gearbeitet. Es sei ihm sehr wichtig, dass seine Kinder in Ruhe aufwachsen können. Seine Freunde würden XXXX heißen. Mit XXXX würden sie sich ein bis zwei Mal im Monat treffen. Dieser arbeite in der Schweiz. Ihre besten Freunde seien XXXX . Ein Freund sei XXXX , der der Vater der Freundin seiner Tochter sei. Sie würden gemeinsam spazieren und Eislaufen gehen. Er habe auch XXXX kennengelernt, der ihm die Arbeitsbestätigung geschrieben habe. BF1 habe diesem geholfen. Dieser habe ihm gesagt, bei diesem arbeiten zu können, wenn er die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfülle. Er suche schon lange eine Wohnung, was ohne positiven Bescheid sehr schwierig sei. Seine zwei Tochter gehe in den Kindergarten, habe dort eine Freundin, deren Mutter er auch kenne.

Er erklärte auch, dass einige österreichische Freunde mitkommen hätten wollen, um zu zeigen, dass BF1 hier in Österreich Freunde habe.

Er habe einen abgeschlossenen Deutschkurs und ein Deutschzertifikat auf dem Niveau A2. Er gehe zwei Mal in der Woche zu einem Deutschkurs, Niveau B1. Seine Frau besuche auch den B1 Deutschkurs.

Im Herkunftsstaat habe er an einer Wirtschaftshochschule einen Abschluss gemacht, das Diplom aber verloren.

In Österreich habe er abgesehen vom Deutschkurs keine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert. Das Problem sei, dass sie noch keinen positiven Bescheid hätten.

Befragt, ob er seit seiner Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen sei, meinte er, freiwillig mehreren Arbeiten nachzugehen und verwies er in diesem Zusammenhang auf die vorgelegten Bestätigungen. Er helfe noch beim Roten Kreuz.

Befragt, nach seinem derzeitigen Einkommen, meinte er, Taschengeld zu bekommen. Er bekomme € 3/h für die Gemeindearbeiten. Er verwies in diesem Zusammenhang erneut auf seine vorgelegten Unterlagen.

Unterstützungen (z.B. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld etc.) erhalte er nicht. Er erklärte auch, für niemanden unterhaltspflichtig zu sein.

Er und seine Familie würden in einem Flüchtlingsheim leben, seien sie aber auf der Suche nach einer Wohnung.

Er sei in Österreich unbescholten und in Österreich niemals mit einem Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung belegt worden.

Konkret danach befragt, erklärte er, Frau XXXX sei die Mutter der Schulfreundin seiner Tochter und Herr XXXX habe ihm die Bestätigung gegeben, wonach er bei diesem arbeiten könne, wenn er einen positiven Bescheid erhalte. Er habe diesem einmal beim Tragen geholfen und diesen über einen Freund kennengelernt.

Herr XXXX sei der Lehrer seiner ältesten Tochter, die die zweite Klasse besuche.

Er sei niemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel gewesen und sei in Österreich auch nie Opfer von Gewalt geworden.

Danach befragt, erklärte er, über die aktuelle Sicherheitslage in der Heimat Bescheid zu wissen.

BF1 wurden aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat vorgehalten und ihm die Möglichkeit gegeben, hiezu schriftlich Stellung zu nehmen. Er klärte, die allgemeine Situation in seiner Heimat zu kennen. Er verzichte auf die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hiezu.

BF1 wurde vorgehalten, dass es eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung mit einer Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen gebe, wobei er nicht freiwillig ausgereist sei. Es sei deshalb beabsichtigt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Er wurde aufgefordert, Gründe, die dagegen sprechen würden, zu nennen.

Er erklärte hiezu, eine Entscheidung bekommen zu haben, in der aber keine Frist gestanden sei. Es wäre besser und sicherer ins Gefängnis zu gehen, als in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Er habe nicht gegen das Gesetz verstoßen wollen. Es sei keine Absicht gewesen.

Abschließend erklärte er, dass er hier weiterleben wolle. Seine Kinder hätten sich voll und ganz in Österreich integriert.

BF2 erklärte im Zuge ihrer Befragung am selben Tag, sie sei psychisch und physisch in der Lage, Angaben zum Asylverfahren zu machen. Sie habe keine psychischen oder physischen Probleme. Sie verneinte, irgendwelche Krankheiten zu haben. Sie nehme auch keine Medikamente.

BF2 wurde der Gegenstand der Einvernahme dargelegt.

Sie habe im Verfahren bislang immer die Wahrheit gesagt. Ihr sei auch alles rückübersetzt und richtig protokolliert worden. Sie könne sich an ihre Angaben im bisherigen Verfahren sehr gut erinnern. Sie habe alles gesagt und sich in der Zwischenzeit keine Dokumente besorgt.

Bezüglich ihrer Person und ihrer Lebensumstände in der Heimat seien keine Änderungen eingetreten.

Zu ihren bisherigen Angaben meinte sie, dass sie damals bereits alles erzählt habe und ihre Ausführungen stimmen würden. In der Heimat würden die Leute immer noch nach ihr und ihren Mann fragen.

Sie sei illegal eingereist und sie halte sich seit vier Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf. Ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich habe sie nie gehabt.

Sie lebe in Österreich gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern in einem Flüchtlingsheim.

Sie habe in Österreich keine Verwandten.

Sie habe in Österreich einen Freundeskreise, habe mit Freunden aber noch nie im gemeinsamen Haushalt gelebt. Sie hätten in XXXX Österreicher kennengelernt, mit welchen sie sich angefreundet hätten. Es würden gegenseitige Besuche stattfinden.

Befragt, ob sie ihre Freunde namentlich nennen könnte, führte sie XXXX an, die wie eine Mutter für sie sei. Diese sei ständig in ihrer Nähe und würden sie viel gemeinsam unternehmen. XXXX helfe ihr auch des Öfteren. XXXX seien die Eltern einer Schulkameradin ihrer Tochter. Ihre Tochter besuche ihre Schulfreundin ca. zwei Mal in der Woche. Es würde eine sehr enge Freundschaft bestehen. XXXX würden ein großes Haus irgendwo auf dem Berg haben. Die beiden würden immer wieder Veranstaltungen machen, zu denen sie eingeladen werden. Sie würden mit dem Auto abgeholt werden und gemeinsam feiern. Die beiden hätten selbst keine Kinder und hätten schon im Spaß gesagt, dass sie am liebsten die Kinder von BF1 und BF2 adoptieren würden, was aber rechtlich nicht gehe, da sie schon älter seien. Sie habe noch weitere Freunde, die sie nennen könnte. Sie sei jedoch von keinem der Genannten finanziell abhängig.

Andere besondere Bindungen an Österreich konnte sie nicht anführen. Sie sei auch nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

Nach sonstigen integrativen Aspekten befragt, erklärte sie, dass es in ihrem Heim ein sogenanntes XXXX gebe, wo Zusammenführungen zwischen Österreichern und Asylwerbern stattfinden würden. Sie sei dort aktiv tätig und liefere hin und wieder Speisen für diese Treffen. An den Veranstaltungen der Schule würden sie und ihre Familie auch immer teilnehmen.

Sie spreche Deutsch und verstehe alles, wenn sie mit ihren Freunden spreche. Sie habe die Deutsch A2 Prüfung gemacht und besuche nunmehr einen Deutschkurs auf dem Niveau BF1. Sie gehe ohne Dolmetscher in die Schule und mache für eine tschetschenische Familie auch diverse Dolmetsch-Tätigkeiten. Sie besuche zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs.

Angemerkt wurde, dass BF2 die an sie gestellte Frage auf Deutsch beantwortet habe.

In der Russischen Föderation habe sie an der Uni studiert und das Studium abgeschlossen. Es sei eine Wirtschaftsfakultät gewesen, die sie als Managerin abgeschlossen habe. In diesem Beruf habe sie nie gearbeitet. Sie habe als Visagistin gearbeitet.

In Österreich habe sie keine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert.

Sie sei hier noch keiner legalen Beschäftigung nachgegangen. Sie habe ja offiziell nicht arbeiten dürfen, was sie aber gerne würde. Vor Geburt ihres letzten Kindes sei sie im Flüchtlingsheim als Hausmeisterin tätig gewesen.

Sie bekomme Sozialhilfe. Ihr Mann arbeite für die Gemeinde und bekomme € 3/h. Sie erhalte € 980/Monat für die gesamte Familie. Sie sei niemandem gegenüber unterhaltspflichtig.

Sie lebe im Flüchtlingsheim.

Sie sei unbescholten. Sie hätten im Zuge ihres ersten Asylantrages eine Rückkehrentscheidung bekommen.

Über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in ihrer Heimat wisse sie Bescheid.

BF2 wurden aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat vorgehalten. Sie erklärte hiezu, die allgemeine Situation in ihrer Heimat zu kennen und auf eine Stellungnahme hiezu zu verzichten. Sie wolle auch keine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben.

Befragt, ob sie für ihre Kinder zur beabsichtigen Rückkehrentscheidung eigene Gründe vorzutragen habe, erklärte sie, als gesetzliche Vertreterin für ihre Kinder einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie habe zu diesem Verfahren bereits alle Angaben in ihren Einvernahmen gemacht, denen sie nichts mehr hinzuzufügen habe. Für ihre Kinder habe sie keine eigenen Asylgründe vorzubringen und sollten für diese die gleichen Gründe wie für sie gelten. Ihre Kinder seien gesund. Zum Alltag der Kinder befragt, erklärte sie, dass ihre älteste Tochter die zweite Klasse Volksschule besuche. Die mittlere Tochter besuche den Kindergarten und die jüngste Tochter halte sich bei BF2 zuhause auf.

Abschließend wurde BF2 erklärt, dass betreffend BF2 mit Erkenntnis vom 17.03.2015 eine rechtkräftige Rückkehrentscheidung mit einer Frist zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen getroffen wurde, wobei sie nicht freiwillig ausgereist sei. Deshalb sei beabsichtigt, eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Nach Aufforderung hiezu Stellung zu beziehen, erklärte sie, dass sie und ihre Familie seit vier Jahren in Österreich aufhältig seien.

Sie würden zurzeit von Sozialhilfe leben. Ihr Mann arbeite gemeinnützig bei der Gemeinde Ihr Mann habe auch Arbeitsbestätigung von einer Firma, die Renovierungstätigkeiten durchführe. Ihr Mann würde bei einem positiven Bescheid demnach sofort eine Arbeit bekommen. Ihr Mann sei sehr geschickt und habe auch im Heim viele Sachen repariert. Sie hätten einen Brief an das AMS geschrieben, mit der Bitte, ob ihr Mann bei der Renovierungsfirma ein dreimonatiges Praktikum absolvierten könnte. Sie würden noch auf die Antwort vom AMS warten. BF2 habe eigentlich im Hotel als Zimmermädchen arbeiten gehen wollen. Dies wäre auch erlaubt gewesen, wobei das Kontingent für XXXX erschöpft sei und sie nur in größeren Städten arbeiten könnten. Im Falle der Verfügbarkeit von Dokument könnte sie auch sofort arbeiten gehen, sobald ihre Tochter drei Jahre alt sei.

Sie würden auch gerne in einer Privatwohnung leben, würden die Vermieter jedoch immer eine Arbeitsbestätigung sehen wollen. Eine solche hätten sie aber nicht.

Angaben zur sozialen und kulturellen Integration in Österreich habe sie bereits gemacht. Sie und ihre Familie seien mit Österreichern befreundet. Es gebe gegenseitige Besuche.

Der Mann von BF2 habe keine Eltern mehr im Herkunftsstaat. BF2 habe Kontakt zu ihrer Mutter über Whatsapp oder Skype.

Zum aktuellen Gesundheitszustand befragt, erklärte sie, dass sie alle vollkommen gesund seien.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom 13.02.2017 wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. (Spruchpunkt I.) In Spruchpunkt II. wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und in Spruchpunkt III. einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen die BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Festgestellt wurde das Familienverhältnis zwischen den BF. Sie würden an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen leiden und im Moment nicht in ärztlicher oder medikamentöser Behandlung stehen. Auch eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit von BF1 und BF2 habe nicht festgestellt werden können.

Umstände die gegen eine Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat sprechen würden, seien nicht hervorgekommen. Ins Treffen geführt wurden die Arbeitsfähigkeit von BF1 und BF2 sowie die familiären bzw. sozialen Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat.

Fest stehe, dass der Vater von BF1 Eigentümer einer Wohnung in XXXX sei, in der die BF vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat gelebt hätten. In dieser Wohnung lebe aktuell niemand. Das BFA stellte auch nicht fest, dass der Vater von BF1 verstorben sei und die Wohnung an den Staat zurückgefallen wäre.

Insgesamt wurde festgestellt, dass nicht davon auszugehen sei, dass die BF nach ihrer Rückkehr unterstandslos wären und in eine hoffnungslose Lage geraten würden. Auch die im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen würden keine wirtschaftlichen Probleme haben.

Zum Privat- und Familienleben wurde die Eigenschaft der BF als Familienangehörige untereinander festgestellt.

BF1 habe eine Arbeitszusage sowie ein Deutschzertifikat auf dem Niveau A2 vorgelegt. Es hätten jedoch keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hinweisen würden. Ergänzend wurde bei BF2 auf das Deutschzertifikat auf dem Niveau A2 und bei BF3 und BF4 auf den Schul- bzw. Kindergartenbesuch verwiesen.

Darüber hinaus würden keine Umstände vorliegen, die einer Rückkehrentscheidung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation entgegenstehen würden.

Nach Wiedergabe von aktuellen Länderinformationen zum Herkunftsstaat und insbesondere Dagestan führte das BFA beweiswürdigend aus, dass aufgrund der widersprüchlichen und ungereimten Ausführungen in diesem Zusammenhang, der Tod des Vaters von BF1 nicht glaubwürdig sei. Die mittlerweile vorgelegte Sterbeurkunde stelle keinen tauglichen Beweis dar, um das widersprüchlich Vorbringen zum Tod des Vaters in ein glaubwürdiges Licht zu rücken, handle es sich doch bei der vorgelegten Sterbeurkunde lediglich um eine Kopie. Derartige Schreiben würden jeglicher Manipulationsmöglichkeit unterliegen.

Es werde BF1 demnach nicht geglaubt, dass die Wohnung nach dem Tod seines Vaters an den Staat zurückgefallen sei, sei jedoch diesbezüglich auf die Vielzahl der Verwandten in der Heimat zu verweisen, aufgrund derer die BF nicht unterstandslos wären.

Festgehalten wurde, dass die Angaben zum Familien- und Privatleben in Österreich glaubwürdig seien und sich aus dem Akteninhalt ergeben würden.

Zur Lage im Herkunftsstaat wurde auf die unbedenklichen Länderinformationen verwiesen, wobei sowohl BF1 als auch BF2 auf eine Stellungnahme hiezu verzichtet hätten. Es wurde auch festgehalten, dass im Rahmen des ersten Asylverfahrens keine so schlechte Lage im Herkunftsstaat festgestellt werden habe können, dass eine Rückkehr nicht rechtskonform wäre. Seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung habe auch keine Verschlechterung der Lage erkannt werden könne.

Rechtlich wurde zur getroffenen Rückkehrentscheidung darauf verwiesen, dass durch diese nicht in das Familienleben der BF eingegriffen werde, da alle BF gleichermaßen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien.

Zum Privatleben in Österreich wurde auf die illegale und somit rechtswidrige Einreise im Jänner 2013 hingewiesen. Der Aufenthalt im Bundesgebiet sei demnach lediglich für die Dauer des Asylverfahrens legalisiert. BF1 habe im Bundesgebiet nie über einen über das Asylverfahren hinausgehenden Aufenthaltsstatus verfügt.

Er lebe nach wie vor von der Grundversorgung, sei mittellos, gehe gemeinnützigen Tätigkeiten nach, habe eine Arbeitszusage und besuche einen Deutschkurs.

Sein Aufenthalt sei jedoch lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert gewesen, wobei sein Privat- und Familienleben in dieser Zeit, in der ihm der ungewisse auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkte Aufenthalt bewusst gewesen sei, entstanden sei. Bereits durch die erste negative Entscheidung im Juli 2013 hätte ihm die Ungewissheit seines Aufenthaltes bewusst sein müssen.

Im Vergleich zum Lebensalter sei er erst kurze Zeit im Bundesgebiet. Er habe hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und sei er im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen, seinen Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Zusätzlich habe er diverse Empfehlungsschreiben und Bestätigungen in Vorlage gebracht.

Im Fall von BF1 hätten sich keine Anhaltspunkte für die Annahme besonderer sozialer oder wirtschaftlicher Beziehungen in Österreich ergeben.

Legale Arbeit, nennenswerte soziale Beziehungen oder eine etwa im Bundesgebiet absolvierte Berufsausbildung oder andere anhaltende Merkmale der Integration seien nicht vorgetragen worden und seien aufgrund der kulturellen Unterschiede, der vorliegenden Sprachbarriere und der nur kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich in der Regel auch nicht nachhaltig realisierbar.

In einer Organisation oder einem Verein sei er nicht Mitglied, sei in Österreich seit seiner Einreise keiner legalen Beschäftigung nachgegangen und er sei nicht anhaltend karitativ tätig.

BF1 lebe mit seiner Familie von der Grundversorgung und er sei nicht selbsterhaltungsfähig.

Die von ihm dargelegten Deutschkursbesuche, seine gemeinnützigen Tätigkeiten, die Arbeitszusage und der österreichische Führerschein seien ohne Hinzutreten integrationsverstärkender Momente nicht geeignet, ein schützenswertes Privatleben zu bilden, welches seiner Ausweisung entgegenstehen würde. Bei Deutschkursen und gemeinnützigen Tätigkeiten handle es sich vorwiegend um eine im Rahmen der Grundversorgung angebotene Maßnahme der Alltagsbewältigung und -strukturierung.

Die vorgelegte Unterschriftenliste würde keinen eindeutigen aussagekräftigen Hinweis auf einen solch hohen Grad der Integration liefern, als dass eine Rückkehrentscheidung ihn in seinem Recht auf Privatleben derart beeinträchtigen würde, dass eine solche nicht in Frage käme. Die vorgelegte Arbeitszusage sei hiezu ebenso nicht geeignet, belege diese aber, dass er weiterhin fähig und gewillt sei, in dieser Branche – wie schon im Heimatland – zu arbeiten.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der BF2 bereits entwurzelt wäre und sich in Dagestan nicht mehr zurechtfinden würde. Abgesehen von den vorhandenen Sprachkenntnissen würden sich dort seine Angehörigen und die Familienangehörigen seiner Frau aufhalten.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit verursache weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen.

Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen sei im vorliegenden Fall höher zu bewerten, als die privaten Interessen von BF1 an einem Verbleib in Österreich.

Aufgrund der getroffenen Gesamtbetrachtung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergebe sich, dass die Rückkehrentscheidung gerechtfertigt sei. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden keine Hinweise gefunden werden können, welche den Schluss zulassen würden, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen würde.

Es sei ihm auch kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 zu erteilen gewesen, da sich hiefür nach amtswegiger Prüfung keine Anhaltpunkte ergeben hätten.

Im Fall von BF1 sei eine Rückkehrentscheidung zu treffen gewesen, zumal die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.

Betreffend BF2 erging eine im Wesentlichen gleichlautende rechtliche Begründung, wobei betreffend BF3 bis BF5 auf ihr anpassungsfähiges Alter verwiesen wurde sowie das familiäre und soziale Umfeld, das die Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtern würde.

Von der Frist für die freiwillige Ausreise sei abzusehen gewesen, da die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gemäß § 18 BFA-VG aberkannt worden sei. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte deshalb, da im Fall der BF bereits seit der Entscheidung des BVwG vom 17.03.2015 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestanden hat.

Das zweijährige Einreiseverbot wurde verfügt, da die BF trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung des BVwG vom 17.03.2015 den Herkunftsstaat nicht verlassen hätten. Zudem hätten sie nicht vermocht, den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nachzuweisen.

Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht gemeinsam eingebrachte Beschwerde, mit der diese ihrem gesamten Inhalt nach angefochten wurden.

Als Beschwerdegründe wurden inhaltliche Rechtswidrigkeit als auch Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Moniert wurde, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, eine ordnungsgemäße Interessenabwägung durchzuführen. Die getroffenen Feststellungen würden keine Deckung im Verfahrensakt bzw. im Ermittlungsergebnis finden und seien schlichtweg als aktenwidrig zu qualifizieren.

So gehe die belangte Behörde nicht explizit von einem grundsätzlich schützenswerten Privatleben aus, habe aber dennoch Integrationsmerkmale erwähnt.

Es wurde festgehalten, dass BF1 im engen Rahmen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes einer legalen Beschäftigung im österreichischen Bundesgebiet nachgehe. Er sei wiederholt bei einer näher bezeichneten Stadtgemeinde als Aushilfsarbeiter tätig gewesen.

Sämtliche BF würden über nennenswerte soziale Beziehungen in Österreich verfügen.

Sie hätten einen großen Freundeskreis, der aus österreichischen Staatsbürgern bestehe, wobei vor dem BFA in der Einvernahme auch die jeweiligen Namen genannt worden seien.

In diesem Zusammenhang sei auch ein Konvolut an Unterlagen vorgelegt worden.

Die Ausübung einer Berufsausbildung – also eines Lehrverhältnisses – sei nur über eine entsprechende Beschäftigungsbewilligung des zuständigen AMS möglich. Eine solche für Fremde, die die Volljährigkeit erreicht hätten, zu erlagen, sei nicht möglich, was auch amtsbekannt sein müsste.

BF1 weise auch keine Sprachbarrieren auf, was aktenwidrig im Bescheid Eingang gefunden habe. Abgesehen vom Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse (Niveau A2) sei in der niederschriftlichen Einvernahme vom 19.12.2016 festgehalten worden, dass BF1 in einem gut verständlichen Deutsch ohne gravierende Probleme geantwortet habe.

Das BFA habe auch zu Unrecht auf den zu kurzen Aufenthalt der BF im Bundesgebiet hingewiesen. Diese seien bis zum Erlass der nunmehr angefochtenen Bescheide beinahe vier Jahre und ein Monat im Bundesgebiet aufhältig. Sie hätten sich in dieser Zeit durch die jeweilige Asylantragstellung bzw. Folgeantragstellung legal im Bundesgebiet aufgehalten. Sämtliche BF würden sich demnach seit mehr als vier Jahren und einem Monat legal im österreichischen Bundesgebiet aufhalten.

Den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden, wonach die BF nicht selbsterhaltungsfähig seien, wurde entgegengehalten, dass BF1 im Moment lediglich rechtlich möglich sei, als Aushilfsarbeiter bei der näher bezeichneten Stadt tätig zu sein. Er habe aber dargelegt, eine Beschäftigung als Bauhilfsarbeiter in Aussicht zu haben und diesbezüglich die Einstellungszusage eines österreichischen Arbeitgebers vorgelegt. Nach positiver Regelung des Aufenthaltes könnte BF1 demnach unverzüglich einer Beschäftigung nachgehen und wäre ein hinreichend gesicherter Lebensunterhalt gewährleistet. Derart wären auch die übrigen BF krankenversichert.

Inwiefern somit der Unterhalt in Österreich auf Dauer nicht gesichert werde, sei wiederum mit dem aktenevidenten Ermittlungsergebnis nicht vereinbar.

BF1 und BF2 würden im Übrigen ehrenamtliche Tätigkeiten ausführen, die vorwiegend als Maßnahmen der Alltagsbewältigung qualifiziert worden seien. Dabei werde verkannt, dass die geleisteten Tätigkeiten dem Gemeinwohl zukommen würden, jedoch nunmehr negativ behaftet würden.

BF1 und BF2 seien unbescholten.

Es sei auch nicht zu erkennen, inwieweit die BF ihre Mitwirkungspflicht verletzt hätten.

Das BFA habe die Rückkehrentscheidungen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, da es zum einen das Parteivorbringen, konkret die wiederholt erstattete Urkundenvorlage zu den Integrationsschritten ignoriert habe bzw. hierdurch auch leichtfertig vom Akteninhalt abgegangen sei. Letztlich habe die belangte Behörde dadurch willkürlich gehandelt, als sie den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen habe.

Es sei daher unumgänglich, im weiteren Beschwerdeverfahren zunächst in einem notwendigen einzelfallbezogenen Ermittlungsverfahren die richtigstellenden wesentlichen Feststellungen zur Integration der BF zu treffen.

Erst hierdurch sei letztendlich eine fehlerfreie Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK möglich.

Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde nach Wiedergabe der rechtlichen Bestimmung darauf verwiesen, dass diese rechtswidrig erfolgt sei.

Gegenständliche Beschwerde richte sich nicht gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz. Vielmehr wurde über die Anträge bereits mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.11.2016 entschieden. Die gegenständlichen angefochtenen Bescheide würden ausschließlich die (säumige) Sachentscheidung hinsichtlich einer allfälligen Rückkehrentscheidung darstellen.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung sei jedoch ausschließlich gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG möglich.

Die belangte Behörde habe sich demnach zu Unrecht auf § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG gestützt.

Beantragt wurde, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, zumal auch kein Aberkennungsgrund gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 bis 3 BFA-VG vorliege. Weder seien die sofortige Ausreise der BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich noch seien die BF einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt. Es bestehe auch keine Fluchtgefahr.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz vom 13.07.2015, der Einvernahmen von BF1 und BF2 vor dem BFA, zuletzt am von BF1 und BF2, zuletzt vor dem BFA am 19.12.2016, der im Verlauf des Verfahrens übermittelten Unterlagen, insbesondere zur Integration, der Erkenntnisse des BVwG vom 14.11.2016, der Säumnisbeschwerde vom 01.12.2016, der gemeinsamen Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des BFA, der Einsichtnahme in die Asylakten zu den rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren, der zahlreichen im Verlauf der Verfahren übermittelten Unterlagen auch zur Integration sowie der Einsichtnahme in die seitens der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid berücksichtigten Länderinformationen der Staatendokumentation zur Russischen Föderation (insbesondere Dagestan) und schließlich der eingeholten Auszüge (Strafregister, GVS und ZMR) werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Zur Person und zu den Fluchtgründen der BF:

BF1 bis BF4 stellten nach illegaler Einreise am 31.01.2013 Anträge auf internationalen Schutz. Für BF5 wurde durch ihre gesetzliche Vertretung am 10.12.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die ersten Asylverfahren wurden mit Erkenntnissen des BVwG vom 06.05.2014 (BF1 bis BF4) und 17.03.2015 (BF5) rechtskräftig negativ beendet.

Mit Erkenntnissen des BVwG vom 17.03.2015 wurden betreffend die BF Rückkehrentscheidungen getroffen, die zulässig ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt und ihnen eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

Die BF haben Österreich in der Folge nicht verlassen, sondern am 13.07.2015 die verfahrensgegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz gestellt.

Diese Anträge wurden mit Bescheiden vom 30.09.2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und diese Bescheide mit Erkenntnissen des BVwG vom 14.11.2016 als unbegründet abgewiesen.

Am 01.12.2016 wurde Säumnisbeschwerde erhoben, da das BFA die Anträge vom 17.03.2015 hinsichtlich allenfalls zu treffender Rückkehrentscheidungen nicht entschieden hat.

Die angefochtenen Bescheide datieren von13.02.2017, wobei diese am 16.02.2017 zugestellt wurden.

Betreffend die BF liegt eine rechtskräftige Entscheidung zu ihren ersten Anträgen auf internationalen Schutz dahingehend vor, dass ihnen der Status von Asylberechtigten und subsidiären Schutzberechtigten nicht zukommt, wobei die verfahrensgegenständlichen Folgeanträge insoweit mit Erkenntnissen des BVwG vom 14.11.2016 bereits rechtskräftig entschieden wurden, als auch mit den Folgeanträgen keine asylrelevanten bzw. sonstigen Gefahren im Herkunftsstaat dargelegt werden konnten, weshalb die Folgeanträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen waren.

Festzustellen war demnach, dass den BF im Herkunftsstaat keine asylrelevante Gefahr droht und sie im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären. Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die BF leiden an keinen dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Vielmehr sind die BF gesund.

BF1 bis BF4 sind illegal in das Bundesgebiet eingereist und halten sich seither durchgehend – vier Jahre und zwei Monate – im Bundesgebiet auf. BF5 hält sich seit ihrer Geburt am XXXX – zwei Jahre und vier Monate – im Bundesgebiet auf.

Sämtliche Beschwerdeführer haben sich aufgrund der Antragsstellung auf internationalen Schutz und der damit verbundenen vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, wobei sie nach negativem Abschluss des ersten Asylverfahrens und getroffener Rückkehrentscheidung nicht aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist sind, sondern unbegründete Folgeanträge auf internationalen Schutz gestellt haben.

Die BF beziehen seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes und sind nicht selbsterhaltungsfähig.

BF1 übt Freiwilligentätigkeiten gegen geringes Entgelt aus. Er hat eine Bestätigung vorgelegt, wonach er bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen als Bauhilfsarbeiter legal beschäftigt werden könnte.

BF1 und BF2 verfügen über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 und besuchen unverändert weiterführende Deutschkurse.

Weitere Aus-, Fort- oder Weiterbildung haben weder BF1 noch BF2 vorgetragen.

BF3 besucht die Volksschule, BF4 den Kindergarten, BF5 ist im Kleinkindalter.

Die BF entfalten rund um ihren Aufenthaltsort ein reges soziales Leben und haben hier bereits viele österreichische Freunde.

BF1 hat diverse Freiwilligentätigkeiten ausgeübt und helfen sowohl BF1 als auch BF2 engagiert in ihrem Flüchtlingsheim.

Eine Verpflichtungserklärung für die BF bzw. eine essentielle Unterstützung geht aus den übermittelten Empfehlungsschreiben bzw. Unterschriftenlisten nicht hervor.

BF1 und BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Im Herkunftsstaat halten sich Familienangehörige sowohl von BF1 als auch von BF2 auf, wobei BF2 nach wie vor mit diesen Kontakt pflegt.

Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation (und insbesondere Dagestan) wird Folgendes festgestellt:

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Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 21.9.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 2).

Bei der Parlamentswahl (Duma) am 18.9.2016 konnte die Regierungspartei Einiges Russland eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinen. Knapp über 54 Prozent der Wählerstimmen konnte die Partei Einiges Russland auf sich vereinigen, die absolute Mehrheit schlägt sich jedoch noch stärker bei der Sitzverteilung im Unterhaus der Föderalen Versammlung nieder. Durch ein Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ziehen insgesamt 343 Abgeordnete – mehr als je zuvor – für Einiges Russland in die Staatsduma ein: 140 Abgeordnete über die Parteiliste und zusätzliche 203 über Direktmandate. Von den verbleibenden 107 Sitzen gingen 42 Mandate an die Kommunistische Partei (KPRF), 39 Mandate an die nationalistische Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und 23 Mandate an die Partei Gerechtes Russland. Keine andere Partei schaffte es, über die Fünf-Prozent-Einzugshürde zu kommen. Durch Direktmandate ziehen außerdem ein Kandidat der rechtspopulistischen Partei "Rodina" (Heimat), ein Kandidat der Partei "Graschdanskaja Platforma" (Bürgerplattform) und der einzige unabhängige Kandidat, Waldislaw Resnik, in die Staatsduma ein. Letzterer wird aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Regierungspartei Einiges Russland von zahlreichen kritischen Medien de facto zu den Mandaten von Einiges Russland hinzugerechnet (Standard 20.9.2016).

In der neuen Duma werden somit vier Parteien vertreten sein: Einiges Russland mit der Mehrheit der Sitze sowie die systemische Opposition bestehend aus der Kommunistischen Partei, der LDPR und Gerechtes Russland. Unter systemischer Opposition sind die Parteien gemeint, die in der Duma vertreten sind, mehrheitlich mit der Regierungspartei stimmen, ihre Politik eng mit dem Kreml abstimmen und damit keine reale Opposition darstellen. Damit hat Einiges Russland gegenüber 2011 sogar noch einmal zugelegt. Die echte

Opposition ist dagegen chancenlos geblieben: Einerseits wurde ihre Führung und insbesondere der ursprünglich gemeinsame Kandidat Michail Kasjanow im Vorfeld diskreditiert. Anderseits sind die Führer der Opposition so stark zerstritten, dass mehrere Parteien angetreten sind und sich gegenseitig die wenigen Stimmen abgenommen haben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas sind nicht annähernd an die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Neben der Diskreditierung von Kandidaten dieser Parteien fehlte ihnen auch der Kontakt zur Bevölkerung. Die Kompromisslosigkeit ihres Führungspersonals sowie das Fehlen neuer, unverbrauchter Persönlichkeiten bestätigen nur die tiefe Krise und Irrelevanz der nicht-systemischen Opposition. Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent im Landesdurchschnitt und unter 30 Prozent in Moskau und Sankt Petersburg zeigt, wie wenig die Parteien Wähler motivieren konnten, und schwächt die Legitimität der zukünftigen Duma. Das war letztlich von der politischen Führung in Kauf genommen worden, um die Wahl unter Kontrolle zu haben. Eine Mehrheit für Einiges Russland in der Duma ist letztlich zweitrangig, da mit der systemischen Opposition ausschließlich Parteien im Parlament vertreten sind, die alle vom Kreml initiierten Gesetzesprojekte durchbringen können (Zeitonline 19.9.2016).

Quellen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 22.3.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Mit 238 von 450 Sitzen verfügt die Partei 'Einiges Russland' über eine absolute Mehrheit in der Staatsduma. Bei der Wahl am 4. Dezember 2011 wurde die Staatsduma erstmals für eine verlängerte Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Alle Abgeordneten wurden ausnahmslos über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Neben 'Einiges Russland' sind aktuell die Kommunisten mit 92 Sitzen, die formal linksorientierte Partei 'Gerechtes Russland' mit 64 Sitzen und die 'Liberaldemokraten' des Rechtspopulisten Schirinowski mit 56 Sitzen in der Staatsduma vertreten. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Duma-Wahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Ab der nächsten Wahl soll die Hälfte der Abgeordneten mittels relativer Mehrheitswahl in Einpersonen-Wahlkreisen (also in Wahlkreisen, in denen jeweils ein Kandidat/eine Kandidatin gewählt wird) bestimmt werden. Es soll wieder die Fünf-Prozent-Hürde gelten. Die nächste Duma-Wahl soll am 18. September 2016 stattfinden (AA 3 .2016a, vgl. GIZ 4.2016a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten (AA 3 .2016a).

Angesichts einer zunehmenden internationalen Isolierung des Landes und wachsender wirtschaftlicher Probleme war die russische Regierung 2015 bemüht, die Bevölkerung auf Begriffe wie Einheit und Patriotismus einzuschwören, "traditionelle Werte" zu betonen und Angst vor angeblichen inneren und äußeren Feinden des Landes zu schüren. Meinungsumfragen zufolge traf Präsident Wladimir Putin mit seiner Art, das Land zu führen, unverändert auf breite Zustimmung. Regierungskritiker wurden in den Massenmedien als "unpatriotisch" und "anti-russisch" verunglimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen. Am 27.2.2015 wurde Boris Nemzow, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, in Sichtweite des Kremls erschossen. Trauernde Menschen, die am Tatort an ihn erinnern wollten, wurden von den Moskauer Behörden und Regierungsanhängern schikaniert. Die Regierung stritt die immer zahlreicheren Beweise für eine militärische Beteiligung Russlands in der Ukraine weiterhin ab. Im Mai 2015 erklärte Präsident Putin per Erlass alle Verluste der russischen Armee bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis. Bis November 2015 hatten sich amtlichen Schätzungen zufolge 2700 russische Staatsbürger, die zum Großteil aus dem Nordkaukasus stammten, in Syrien und im Irak der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Unabhängige Experten nannten höhere Zahlen. Am 30.9.2015 begann Russland mit Luftangriffen in Syrien, die nach offiziellen Angaben den IS treffen sollten, sich häufig aber auch gegen andere Gruppen richteten, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ablehnten. Meldungen über zahlreiche zivile Opfer der Luftangriffe wurden von der russischen Regierung bestritten. Am 24.11.2015 schoss die Türkei ein russisches Kampfflugzeug ab, das in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Der Vorfall löste gegenseitige Schuldzuweisungen aus und führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern (AI 24.2.2016).

Quellen:

Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von 2,94 Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien, setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 16.3.2015).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in dem Kadyrow’schen Privatstaat. Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als »Mann des Volkes« in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der »Waldbrüder«, des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der »Siloviki«, das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete »Terrorverdächtige« können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich »reinigen«, was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015).

Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik, gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das »Kaukasus-Emirat«, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien – so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer – Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency‘ ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).

Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar, sowie die Extremisten im Nordkaukasus, die ihre Loyalität gegenüber dem IS bekundet haben. Der Generalsekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolai Patrushev sprach von rund 1.000 russischen Staatsangehörigen, die an der Seite des IS kämpfen würden, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikov hingegen sprach von mehreren Tausend Kämpfern). Laut einem rezenten Bericht der regierungskritischen Zeitschrift "Novaya Gazeta" nehmen die russischen Sicherheitsdienste diese Abwanderung nicht nur stillschweigend zur Kenntnis, sondern unterstützen sie teilweise auch aktiv, in der Hoffnung, die Chance auf eine Rückkehr der Extremisten aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak zu reduzieren. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresbeginn 2015 liefen rund 60 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf Art. 58 StGB (Teilnahme an einer terroristischen Handlung), Art. 205.3 StGB (Absolvierung einer Terror-Ausbildung) und Art. 208 StGB (Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme in ihr). Im nordkaukasischen Kreismilitärgericht wurde Ende August 2015 ein 26-jähriger Mann aus Dagestan wegen Absolvierung einer Terror-Ausbildung, Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung und illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Straflager verurteilt. Der Nordkaukasus ist und bleibt trotz anhaltender politischer wie wirtschaftlicher Stabilisierungsversuche ein potentieller Unruheherd innerhalb der Russischen Föderation. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Extremisten, teils ohne Rücksicht auf Verluste innerhalb der Zivilbevölkerung, trägt zur Bildung neuer Konflikte und Radikalisierung der Bevölkerung bei. Das Risiko einer Destabilisierung steigt darüber hinaus aufgrund der allfälligen Rückkehr von Kämpfern aus Syrien und dem Irak bzw. aufgrund des steigenden Einflusses des IS im Nordkaukasus selbst (ÖB Moskau 10.2015).

Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 8.2.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Quellen:

Dagestan

Die Sicherheitslage in Dagestan bleibt instabil. Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekunden jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten. Die Vertreter des sog. "traditionellen" Islam werden als korrupt angesehen und stehen im Verdacht, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region untertan zu sein. Die Erfolge des IS in Syrien und im Irak haben eine starke Anziehungskraft auf die Anhänger des Kaukasus-Emirats – einerseits wandern sie vermehrt in den Nahen Osten ab, um an der Seite des IS zu kämpfen, andererseits haben seit Jahresbeginn 2015 mehrere Kommandeure des Emirats ihre Loyalität gegenüber dem IS in Videos proklamiert. Im Juni 2015 gab der IS die Gründung des sog. Vilayat Kavkaz bekannt. Operativ ist der IS im Nordkaukasus zwar noch nicht in Erscheinung getreten, eine Intensivierung der Propaganda ist jedoch feststellbar. Es bleibt abzuwarten, ob der IS tatsächlich militärische und finanzielle Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus operativ tätig zu werden, oder ob der IS das "Vilayat Kavkaz" v.a. zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen. Die russischen Behörden zeigen sich jedenfalls alarmiert aufgrund dieser Entwicklung (ÖB Moskau 10.2015).

Angesteckt durch die Konflikte in Tschetschenien, hat sich die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und bleibt sehr angespannt. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität führen zu anhaltender Gewalt und Gegengewalt. Die beinahe täglichen Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Die Behörden gehen mit harter Repression gegen Rebellen und deren vermeintliche Anhänger in der Bevölkerung vor (AA 5.1.2016).

Gemäß verschiedenen Quellen ist Dagestan aktuell das Zentrum der Gewalt im Nordkaukasus. Sicherheitskräfte werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter illegale Inhaftierungen, gewaltsame Entführungen, außergerichtliche Tötungen, manipulierte Strafprozesse und Folter (SFH 25.7.2014).

2015 gab es in Dagestan 153 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 293), davon 126 Tote und 27 Verwundete (Caucasian Knot 8.2.2016).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (rund 1 %) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Konfrontation mit dem Westen laufen in Russland mehrere politisch motivierte Prozesse gegen ausländische Staatsangehörige (z.B. die ukrainische Pilotin Nadja Savchenko), die in einigen Fällen (z.B. ukrainischer Regisseur Oleg Sentsov oder estnischer Sicherheitsbeamter Eston Kohver) bereits zu Verurteilungen geführt haben und an der Unabhängigkeit der russischen Justiz von der Politik zweifeln lassen. Gleichzeitig ist ein Anstieg der Anklagen wegen Hochverrats gegen russische Staatsangehörige zu beobachten. Diese Prozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und nur wenige Informationen geraten in die Medien (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AA 5.1.2016).

Mehrere aufsehenerregende Prozesse machten 2015 die gravierenden und weit verbreiteten Mängel der russischen Strafjustiz deutlich. Dazu zählten Verstöße gegen den Grundsatz der "Waffengleichheit" und der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen in der Ermittlungsphase. Außerdem wurden unter Folter erpresste "Geständnisse", Aussagen geheimer Zeugen und andere geheime Beweise, die die Verteidigung nicht anfechten konnte, vor Gericht zugelassen und Angeklagten das Recht auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Weniger als 0,5% der Verfahren endeten mit einem Freispruch (AI 24.2.2016).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft – bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung – bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen". Auffällig bleibt die geringe Zahl aufgeklärter Straftaten gegen Journalisten oder Kritiker bzw. der sehr schleppende Verlauf von Ermittlungen in solchen Fällen. Auch die Morde an Oppositionspolitiker Boris Nemzow (27.02.2015) und Journalistin Politkowskaja können als Beispiel dafür dienen, dass sich Ausführende gegebenenfalls vor Gericht verantworten müssen, die eigentlichen Drahtzieher der Verbrechen häufig jedoch nicht ermittelt werden. Insgesamt sind die Unabhängigkeit von Ermittlungen und Rechtsprechung sowie die Gewaltenteilung in Russland nicht gewährleistet. Weiterhin mangelhaft ist der Vollzug von Gerichtsurteilen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Russland in der Sache häufig nicht vollständig umgesetzt, sondern nur in Bezug auf verhängte Entschädigungszahlungen (AA 5.1.2016).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Standard 6.4.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein – der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Standard 7.4.2016).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 5.1.2016).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Korruption

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Hochrangige Beamte wurden 2015 wegen Korruption angeklagt, darunter zwei Gouverneure von Sachalin und Komi. Medien spekulierten, dass dies eine neue Anti-Korruptionskampagne sein könnte, jedoch Korruptionsvorwürfe auch häufig wegen politischen Gründen vorgebracht werden und es nicht unbedingt darum geht, die Korruption vollständig zu beseitigen (USDOS 13.4.2016).

Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 4.2016a). Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern – Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015)

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

Quellen:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sogenannten NGO-Gesetzes aus 2012 müssen sich russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register der ausländischen Agenten eintragen. Mehrere Organisationen, die eine Eintragung verweigerten, wurden zu teilweise hohen Geldstrafen verurteilt; andere wiederum lösten sich aus Protest gegen das Gesetz ganz auf, bzw. gründeten nach Auflösung eine neue Organisation. Seit Juni 2014 hat das Justizministerium das Recht, NGOs auch gegen ihren Willen in das Register einzutragen. Ein positiver Schritt wurde im März 2015 gesetzt, als im Zuge einer Abänderung des NGO-Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wurde, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten (ÖB Moskau 10.2015, vgl. GIZ 4.2016a).

Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, das es erlaubt die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der Russischen Föderation, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten der NGO (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 24.2.2016). Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn eine Seite als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung eine Freiheitsstrafe von 2-6 Jahren vor. Als erste ausländische Organisation wurde die National Endowment for Democracy im Juli 2015 für unerwünscht erklärt (ÖB Moskau 10.2015). Im November und Dezember 2015 waren drei weitere Geber-Organisationen betroffen: die Open Society Foundation, die Open Society Institute Assistance Foundation und die US Russia Foundation for Economic Advancement and the Rule of Law. Zum Jahresende 2015 umfasste das beim Justizministerium geführte Verzeichnis "ausländischer Agenten" 111 NGOs. Sie mussten ihre gesamten Publikationen mit diesem stigmatisierenden Begriff kennzeichnen und aufwendige Berichterstattungspflichten erfüllen. Organisationen, die diesen Anforderungen nicht nachkamen, drohten hohe Geldstrafen. Keine einzige Organisation konnte sich vor Gericht erfolgreich gegen die Aufnahme in das Verzeichnis wehren. Sieben Organisationen wurden von der Liste gestrichen, nachdem sie keine Gelder mehr aus dem Ausland annahmen. 14 Organisationen, die auf der Liste standen, beschlossen, ihre Tätigkeit ganz einzustellen. Gegen das in der Liste der "ausländischen Agenten" verzeichnete Menschenrechtszentrum Memorial wurde im September 2015 eine Geldstrafe von 600.000 Rubel (rund 7.000 Euro) unter dem Vorwurf verhängt, es habe seinen Agentenstatus in Veröffentlichungen nicht deutlich gemacht. Die beanstandete Veröffentlichung stammte jedoch von der juristisch eigenständigen Schwesterorganisation "Gedenk- und Bildungszentrum Memorial", das sich nicht auf der Liste ausländischer Agenten befand und deshalb auch den Hinweispflichten nicht unterlag. Das Menschenrechtszentrum ging gerichtlich gegen die Entscheidung vor, verlor den Prozess jedoch. Nach einer routinemäßigen Überprüfung des Menschenrechtszentrums im November befand das Justizministerium, die von Memorial-Mitgliedern geäußerte Kritik an den Gerichtsverfahren zu den Bolotnaya-Protesten und an der russischen Ukrainepolitik untergrabe das verfassungsrechtliche Fundament des Landes und komme einem "Aufruf zum Sturz der amtierenden Regierung und zum politischen Systemwechsel" gleich. Das Ministerium übergab seine "Erkenntnisse" der Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen (AI 24.2.2016).

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 4.2016a).

Quellen:

Ombudsmann

Die Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, setzt sich in ihrem Jahresbericht 2014 für die Rechte Gefangener ein. Sie, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des konsultativen "Rats zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten üben auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen aus und setzen sich für Einzelfälle ein - mit allerdings begrenztem Einfluss. Die Menschenrechtsbeauftragte kritisiert Vorfälle von Folter in den russischen Gefängnissen. (AA 5.1.2016).

Sie kommentiert zahlreiche Menschenrechtsprobleme, wie die "Ausländische Agenten Liste" [NGO-Gesetz], Polizeigewalt, Haftbedingungen, die Behandlung von Kindern und Religionsfreiheit. In den Jahresberichten werden Menschenrechtsthemen angesprochen. Im letzten beispielsweise die Misshandlungen und das Töten von Journalisten, Einschränkungen des Internets, Transparenz bei gerichtlichen Prozessen und die Einhaltung der Menschenrechte in Gefängnissen. Die Leiter von einigen Menschenrechtsorganisationen bezeichneten Pamfilowa als effektiv als offizielle Fürsprecherin für Menschrechte, und sie spreche viele der Sorgen der NGOs an, trotz ihrer eingeschränkten Autorität und der selektiven Herangehensweise an die Themen. Das Büro der Ombudsfrau umfasst mehrere spezialisierte Abteilungen, die für die Untersuchung von Beschwerden zuständig sind. Ihre Effektivität variiert erheblich. Laut Jahresbericht 2014 erhielt das Büro 59.100 Beschwerden von Bürgern, staatlichen Organisationen und NGOs. Das ist ein Anstieg um ca. 44% im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

Rassendiskriminierung (1969)

Zusatzprotokoll (1991)

Zusatzprotokoll (2004)

Behandlung oder Strafe (1987)

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 6. Dezember 2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.7.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA 5.1.2016).

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA 5.1.2016).

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark beschnitten. Staatliche Stellen herrschten über Presse, Rundfunk und Fernsehen und weiteten die Kontrolle über das Internet aus. NGOs waren aufgrund des sogenannten Agentengesetzes nach wie vor Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, finanzielle Mittel aus dem Ausland zu erhalten, wurden durch ein neues Gesetz zum Verbot "unerwünschter" Organisationen drastisch eingeschränkt. Eine steigende Anzahl von Bürgern wurde inhaftiert und angeklagt, weil man ihnen vorwarf, die offizielle Politik kritisiert oder Materialien besessen bzw. in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die gemäß vage formulierter Sicherheitsgesetze als extremistisch eingestuft wurden oder aus anderen Gründen als rechtswidrig galten. Auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 2014, das wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen als Straftat definiert, sahen sich 2015 vier Personen mit Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. In mehreren aufsehenerregenden Prozessen traten einmal mehr die gravierenden Mängel des Justizwesens zutage. Flüchtlinge mussten zahlreiche Hürden überwinden, um anerkannt zu werden (AI 24.2.2016).

Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 3 .2016a).

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2016a).

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt (ÖB Moskau 10.2015).

Quellen:

Dagestan

Berichten zufolge werden den russischen Sicherheitskräften schwere Menschrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten (ÖB Moskau 10.2015).

Vollzugs- und Sicherheitsbehörden führten einige erfolgreiche Operationen gegen Untergrundkämpfer aus. Gleichzeitig verließen Hunderte Nordkaukasier Russland, um sich bewaffneten Gruppierungen wie dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Als Teil der Aufstandsbekämpfung werden Anhänger des Salafismus mit Aufständischen gleichgesetzt, bzw. als Kollaborateure angesehen. Die Polizei stellt Salafisten auf spezielle Beobachtungslisten, sperrt sie wiederholt ein, befragt sie, fotografiert sie und nimmt Fingerabdrücke und manchmal auch DNA-Proben. Auch salafistische Moscheen wurden gestürmt und Verdächtige verhaftet. Gegen Aktivisten und Journalisten, die über die Behandlung von Salafisten berichten, wird intensiv vorgegangen (HRW 27.1.2016).

Quellen:

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

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Bewegungsfreiheit

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 5.1.2016, vgl. US DOS 13.4.2016, FH 27.1.2016).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen (US DOS 13.4.2016).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 5.1.2016).

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 5.1.2016).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????????). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011, vgl. AA 5.1.2016).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Im August 2015 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland 75,9 Millionen, somit ungefähr 53 % der Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3%. Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 51 in 2016. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2016 den 153. Platz unter 178 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca 15%. 2015 gerät die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3,7% 2015 prognostiziert die russische Zentralbank für 2016 einen weiteren BIP-Rückgang um 1,0%. (GIZ 4.2016b).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2016a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt (ÖB Moskau 10.2015).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus – allen voran Tschetschenien – haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung. Um dem zu begegnen und den islamistischen Militanten den ideologischen Nährboden zu entziehen, hat die russische Regierung Initiativen in Medien gestartet und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Programme zur De-Radikalisierung und zum interkulturellen Dialog entwickelt. Der langfristige Erfolg solcher Maßnahmen bleibt dabei abzuwarten, in jedem Fall aber wird seitens Moskau versucht dem Nordkaukasus eine Perspektive zu schaffen (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 3.2016c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt wird:

Renten

Familienhilfe:

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

Behinderung

Wohnungswesen

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

Arbeitslosenhilfe

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 3.2016c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2016a, vgl. GIZ 3.2016c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 25.5.2016b).

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2015).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 3.2016c).

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Quellen:

Dagestan

In Dagestan stehen der Bevölkerung 36 zentrale Bezirkskrankenhäuser (3979 Betten), drei Bezirkskrankenhäuser (215 Betten), 102 Lokalkrankenhäuser (1970 Betten), vier Dorfkrankenhäuser (180 Betten), fünf zentrale Bezirkspolykliniken, 175 ärztliche Ambulanzen und 1076 ambulante Versorgungspunkte zur Verfügung. Spezialisierte medizinische Hilfe erhält man in zehn städtischen und 48 republikanischen Prophylaxe- und Heileinrichtungen. Es gibt fünf Sanatorien für Kinder, zwei Kinderheime, drei Bluttransfusionseinrichtungen, sowie sieben selbstständige Notdienste und 50 Notdienste, die in andere medizinische Einrichtungen eingegliedert sind (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, akutes Stresssyndrom, Panische Störungen, Schizophrenie etc.)

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sindt follow-up und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

Quellen:

Medikamente

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u. a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 10.2015).

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 5.1.2016).

Zahlreiche russische Staatsbürger, die sich im Ausland aufhalten, stehen in Opposition zur russischen Führung. Im Jahr 2013 hat etwa der ehemalige Schachweltmeister und Regimekritiker Garri Kasparow Russland vorerst verlassen. Der Ende 2013 nach zehnjähriger Haft amnestierte ehemalige Jukos-Eigner Michail Chodorkowskij lebt ebenfalls außerhalb Russlands. Auslieferungsersuchen der russischen Regierung in Bezug auf asylberechtigte Tschetschenen, wie z.B. den "Exilaußenminister" Achmed Sakajew, sind von der britischen Justiz abgelehnt worden. Apti Bisultanow, der ehemalige "Sozialminister" der tschetschenischen Separatistenregierung, sowie der ehemalige "Präsidentenberater" der Separatistenregierung Said-Hassan Abumuslimow leben in Deutschland. Russische Behörden werfen ihnen vor, Terrorismus zu propagieren oder zu verharmlosen. Es ist jedoch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts zu keiner Anklageerhebung gegen diese Personen gekommen (AA 5.1.2016).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die allgemeinen Feststellungen zur Russischen Föderation sind einem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation entnommen, die nicht nur für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sondern insbesondere auch für das Bundesverwaltungsgericht (§ 5 Abs. 6 BFA-G) zuständig ist, in dem auch die Bezug habenden Primärquellen genauestens aufgelistet sind. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Das BFA hat BF1 und BF2 die Möglichkeit gegeben, zu diesen Länderfeststellungen Stellung zu beziehen, wobei auf eine schriftliche Stellungnahme verzichtet wurde. Auch in der Beschwerde wurde diesen nicht entgegengetreten.

Zusammenfassend ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die BF dort allein aufgrund der dort herrschenden allgemeinen Lage weder einer asylrelevanten Gefährdung noch einer sonstigen Gefährdung ausgesetzt sind, wobei in mittlerweile zwei rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Zuletzt mit Erkenntnissen des BVwG vom 14.11.2016) festgehalten wurde, dass auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF diesen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Gefahr droht und sie bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in keine ausweglose Situation geraten würden. Auch der Gesundheitszustand der BF steht einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegen, zumal sich niemand der BF in medizinischer Behandlung befindet und in der Einvernahme vor dem BFA am 19.12.2016 seitens aller BF eine aktuelle Erkrankung verneint wurde. Auch BF2, die in der Vergangenheit an einer psychischen Erkrankung gelitten hat, erklärte am 19.12.2016, gesund zu sein. Im Fall der gut ausgebildeten BF1 und BF2, die jung, arbeitswillig- und arbeitsfähig sind, die im Herkunftsstaat in der Vergangenheit stets das finanzielle Auslangen gefunden haben und deren Familienangehörige sich nach wie vor im Herkunftsstaat aufhalten, konnte das BFA im angefochtenen Bescheid – wie auch bereits das BVwG zuvor im Erkenntnis vom 14.11.2016 – nicht erkennen, dass die BF im Fall einer Rückkehr in eine lebensbedrohende oder ausweglose Situation kommen würden. Dieses Ergebnis wurde auch in der Beschwerde nicht angezweifelt.

Die Übrigen Feststellungen zu integrativen Aspekten und zu den bisherigen Verfahren und Verfahrensschritten ergeben sich aus dem Akteninhalt – den Ausführungen von BF1 und BF2 in ihren Einvernahmen am 13.05.2016 und am 19.12.2016

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit von BF1 und BF2 ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellung zur mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit, der Abhängigkeit von der Grundversorgung ergibt sich aus den Ausführungen von BF1 und BF2 in ihren Einvernahmen sowie den eigeholten Auszügen (GVS und ZMR).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Am Rande war darauf hinzuweisen, dass § 16 Abs. 1 VwGVG einer Behörde im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG die Möglichkeit eröffnet, innerhalb einer (weiteren) Frist von drei Monaten einen Bescheid "nachzuholen". Diese Möglichkeit ist aus Sicht des Gesetzgebers auch als sogen. "zweite Chance" der belangten Behörde zu verstehen das betreffende Verfahren innerhalb dieser Frist weiterzuführen bzw. abzuschließen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Kommentar, S. 106).

Wie in den Feststellungen dargelegt, hat das BFA nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde durch die BF die angefochtenen Bescheide innerhalb der Frist von drei Monaten nach § 16 Abs. 1 VwGVG nachgeholt.

Zu A)

Zur Rückkehrentscheidung:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die BF halten sich seit Ende Jänner 2013 (BF1 bis BF4) bzw. Dezember 2014 (BF5) durchgehend im Bundesgebiet auf. Ihr Aufenthalt ist jedoch nicht im Sinne der soeben dargelegten Bestimmung geduldet gewesen und sind sie auch nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgten die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status von subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

( )

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

( )

kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Diese Bestimmungen sind auch bei der Zurückweisung eines Folgeantrags nach § 68 Abs. 1 AVG anzuwenden, da weiterhin eine rechtskräftige abweisende Entscheidung gemäß §§ 3 und 8 AsylG vorliegt (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

Die BF sind als "Kernfamilie" im selben Umfang von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen. Eine Rückkehrentscheidung stellt demnach keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK dar.

Ist im gegenständlichen Fall demnach ein Eingriff in das Familienleben iSd. Art. 8 EMRK zu verneinen, bleibt noch zu prüfen, ob mit der Rückkehrentscheidung in das Privatleben der BF eingriffen wird und ob ein derartiger Eingriff gerechtfertigt ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens der BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).

Gemäß der aktuellen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Integration von Asylwerbern stärker zu berücksichtigen, wenn – anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte – diese während eines einzigen Asylverfahrens erfolgt ist und von den Asylwerbern nicht schuldhaft verzögert wurde (vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung – ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre – 7 Jahre verstreichen). Diese Judikatur wurde durch die Einführung der lit. I in § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 im Rahmen der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011 umgesetzt und findet sich nunmehr in § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG.

Es kann dem Akteninhalt nicht entnommen werden, dass die Dauer des bisherigen Aufenthaltes der BF in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet liegt. Derartiges war auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Die Aufenthaltsdauer von vier Jahren und zwei Monaten ergibt sich vielmehr aus dem Umstand, dass sie das Bundesgebiet nach rechtskräftigem Abschluss ihrer Verfahren trotz Rückkehrentscheidungen (Erkenntnisse des BVwG vom 17.03.2015) sowie Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation nicht freiwillig verlassen wollten. Stattdessen haben sie Folgeanträge gestellt.

Mit einer Aufenthaltsdauer von mittlerweile mehr als vier Jahren, im Fall von BF5 liegt eine Aufenthaltsdauer von mehr als zwei Jahren vor, kann zwar im Falle von BF1 bis BF4 von keinem kurzen aber auch nicht von einem übermäßigen langen Aufenthalt ausgegangen werden. Der Dauer des Aufenthaltes kann demnach im gegenständlichen Verfahren – isoliert betrachtet – keine hervorgehobene Bedeutung für einen Verbleib der BF im Bundesgebiet zugemessen werden, zumal es sich bei den Anträgen um Folgeanträge handelt.

Hier war zur Abrundung auf die deutsche Rechtsprechung und zwar einen Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 10.05.2006, 11 s 2354/05 zu verweisen, der sich mit der aufenthaltsrechtlichen Stellung während eines langjährigen Aufenthaltes und der Berücksichtigung bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK auseinandergesetzt und sich dabei auf EGMR-Judikatur stützt: "Der EGMR hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Bedeutung der EMRK im Rechts des Aufenthalts von Ausländern vom 28.05.1985 (<Abdulaziz>, NJW 1986, 3007 ff.) betont, dass zum einen die Vertragsstaaten im Bereich des nicht klar umrissenen Begriffs der "Achtung" des Familien- und Privatlebens über einen weiten Ermessensspielraum verfügen und sie zum anderen das Recht haben, die Einwanderung von Personen, die nicht ihre Nationalität haben, in ihr Staatsgebiet zu kontrollieren. In seinen Entscheidungen vom 16.09.2004 (<Ghiban>, NVwZ 2005, 1046 ff.) und vom 07.10.2004 (<Dragan>, NVwZ 2005, 1043) hat der EGMR nochmals darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden. Die Vertragsstaaten hätten vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Auch wenn die Frage, welche rechtliche Qualität ein Aufenthalt haben muss, um Grundlage eines i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK schützenswerten Privat- oder Familienlebens sein zu können, in der Rechtsprechung des EGMR soweit ersichtlich noch nicht eindeutig geklärt ist (offen gelassen z. B. im Urteil vom 16.09.2004 <Ghiban>, a. a.O.), ist jedenfalls festzuhalten, dass allein ein langdauernder faktischer Aufenthalt auch aus der Sicht des EMRK nicht ausreichend ist. In der o.g. Entscheidung Ghiban heißt es ausdrücklich, Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfe nicht so ausgelegt werden, als verbiete er allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil dieser sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten habe (im Ergebnis ebenso EGMR vom 07.10.2004 in der Sache Dragan, a.a.O.). In beiden Verfahren hatten sich die Beschwerdeführer zwar viele Jahre in Deutschland aufgehalten, jedoch einen Aufenthaltstitel nicht oder nur für sehr kurze Zeit erlangt. Auf dieses fehlende Aufenthaltsrecht hat der EGMR bei seinen Entscheidungen jeweils maßgeblich abgestellt. Eine rechtsgrundsätzliche Festlegung im Sinne der Entbehrlichkeit eines rechtmäßigen Aufenthalts dürfte auch der Entscheidung des EGMR vom 16.06.2005 (<Sisojeva>, a.a.O.), nicht zu entnehmen sein. Zwar wird darin ein auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 EMRK begründeter Anspruch auf dauerhafte Legalisierung des Aufenthalts anerkannt. Der Fall ist indessen von der Besonderheit geprägt, dass die Beschwerdeführer zum einen lange Zeit ordnungsgemäß im Vertragsstaat gewohnt hatten und ihr aufenthaltsrechtlicher Status erst im Anschluss an politische Umwälzungen – die Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Lettlands – aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Frage gestellt worden ist und ihnen zum anderen jedenfalls die rechtliche Möglichkeit eröffnet war, einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Eine vergleichbare Situation ist bei den Antragstellern nicht gegeben."

Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 8.4.2008, 21.878/06, NL 2008, 86, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich).

Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande mwN).

Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da – wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte – die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 8.7.2009, 2008/21/0533; vgl. auch VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach 7 Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages – auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte – im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art. 8 EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.6.2010, 2010/18/0209; vgl. ähnlich auch VwGH 13.4.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0081).

In der Beschwerde wird im Wesentlichen moniert, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die übermittelten Unterlagen zu integrativen Aspekten entweder gar nicht berücksichtigt hat bzw. die damit nachgewiesene Integration nicht entsprechend in die durchzuführende Interessenabwägung einfließen hat lassen. Darüber hinaus wurden mit der Beschwerde keine weiteren Unterlagen übermittelt und auch das Vorbringen in der Beschwerde bezieht sich auf die vorgelegten Unterlagen und den damit verbundenen integrativen Aspekten, wobei das BFA in diesem Zusammenhang am 13.05. und 19.12.2016 niederschriftliche Einvernahme mit BF1 und BF2 durchgeführt hat.

Nach Durchsicht der rechtskräftigen Erkenntnisse des BVwG vom 17.03.2015, in welchen eine Rückkehrentscheidung betreffend die BF getroffen und ihre Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erachtet wurde in Zusammenhalt mit den Einvernahmen vom 13.05. und vom 19.12.2016, den vorgelegten Unterlagen sowie der vorgelegten Beschwerde, steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt, wie bereits in den Feststellungen dargelegt, fest.

Das BFA ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Eingriff in das Privatleben der BF durch eine Rückkehrentscheidung im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt ist. Die Feststellungen und die rechtliche Beurteilung des BFA weisen zwar – wie in der Beschwerde moniert – Schwächen auf, im Ergebnis wurde jedoch zu Recht eine Rückkehrentscheidung getroffen.

Die BF haben in der Zeit ihres Aufenthaltes durchaus Ansätze einer Integration gezeigt, jedoch keinesfalls eine fortgeschrittene Integration dargelegt.

Für integrative Aspekte der BF ins Treffen zu führen, sind ihre Deutschkenntnisse – im Fall von BF1 und BF2 jedenfalls auf dem Niveau A2. Dahingehend wurden entsprechende Prüfungsbestätigungen vorgelegt.

Die BF legten auch zahlreiche teils sehr persönliche Empfehlungsschreiben von österreichischen Staatsbürgern am Aufenthaltsort und in dessen Umgebung vor.

Die BF nehmen demnach offenbar am gesellschaftlichen Leben an ihrem Aufenthaltsort teil und ist vor allem BF1 ein Engagement in Form von diversen Hilfstätigkeiten gegen geringes Entgelt zuzuschreiben. BF1 und BF2 zeigen sich im Übrigen in ihrem Flüchtlingsheim engagiert.

Zuletzt hat BF1 auch eine Bestätigung eines Unternehmers ( XXXX ) vom 25.11.2016 vorgelegt, wonach er BF2 als Bauhilfsarbeiter anstellen könne, wenn er im Zuge des Asylverfahrens einen positiven Bescheid erhalten bzw. eine gültige Arbeitserlaubnis bekomme.

Zu den minderjährigen BF3 bis BF5 war festzuhalten, dass diese sieben, fünf und zwei Jahre alt sind. BF3 besucht die Volksschule und BF4 den Kindergarten.

Im Lichte des mehr als vier bzw. zwei Jahre (BF5) währenden Aufenthalts und der dargelegten integrativen Aspekte war natürlich von einem im Bundesgebiet entfalteten Privatleben der BF auszugehen, doch waren die aufgezählten positiven integrativen Schritte im Zuge einer Interessenabwägung einer näher Beurteilung im Lichte der dargelegten Judikatur zu den in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien zu unterziehen und im Übrigen mit den Kriterien in Relation zu setzen, die für eine Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat sprechen.

Zum vorgelegten Schreiben von XXXX , wonach BF1 allenfalls eine Arbeit als Bauhilfsarbeiter für den Fall der Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen erhalten könnte, war auszuführen, dass dieses Schreiben insbesondere nicht die Anforderungen an einen Vorvertrag erfüllt und keinerlei konkrete Ausführungen hinsichtlich Entlohnung enthält. Das unverbindliche Schreiben kann demnach nicht als verbindlicher arbeitsrechtlicher Vorvertrag gewertet werden. Im Zusammenhang mit einer Arbeitssuche muss jedoch unabhängig vom vorgelegten Schreiben festgehalten werden, dass BF1 im Herkunftsstaat über eine akademische Ausbildung verfügt, trotz der ihm im Bundesgebiet nach vier Jahren Aufenthalt lediglich die Möglichkeit zum Bauhilfsarbeiter offensteht. Mit einer derartigen Tätigkeit ist nicht erkennbar, wie es BF1 möglich sein soll, das Gehalt/den Lohn zur Erwirtschaftung des Lebensunterhalts für eine fünfköpfige Familie zu erzielen.

BF2, die drei minderjährige Kinder im Alter von zwei, fünf und sieben Jahren zu versorgen hat, ist in absehbarer Zeit die Aufnahme einer legalen Beschäftigung verwehrt, zumal in Österreich kein familiäres Umfeld zur zeitweisen Beaufsichtigung der Kinder zur Verfügung steht.

Es muss demnach festgehalten werden, dass von einer Selbsterhaltungsfähigkeit der fünfköpfigen Familie in absehbarer Zeit nicht auszugehen ist.

Es war schließlich auf die Judikatur zu verweisen, wonach die Integration als stark gemindert erachtet wird, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 5. 7. 2005, 2004/21/0124 u.a.).

Tatsache ist, dass im gegenständlichen Fall BF1 und BF2 bislang keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, auch wenn nicht verkannt wird, dass BF1 für Freiwilligentätigkeiten herangezogen wurde, für die es eine geringfügige Entlohnung gegeben hat.

Es mag im Übrigen zwar sein, dass sich der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber schwierig darstellt, dennoch gibt es bei entsprechenden Anstrengungen auch für Asylwerber die Möglichkeit, im Bundesgebiet wirtschaftlich tätig zu sein. Derartiges hat sich im Fall von BF1 und BF2 jedoch nicht ergeben, was beim dargelegten Aufenthalt von mehr als vier Jahren schwer nachvollziehbar ist.

Soweit Unterstützungsschreiben und sogar eine Unterschriftenliste vorgelegt wurden, leisten die verfassenden Personen keine nachhaltigen finanziellen Leistungen für die BF oder haben eine Verpflichtungserklärung für diese übernommen.

Trotz Unterstützung durch die örtliche Bevölkerung und die Gemeinde war es den BF bislang nicht einmal möglich, in eine private Unterkunft zu ziehen, sondern halten sie sich unverändert in einem Flüchtlingsheim auf.

Aus-, Fort- oder Weiterbildungen wurden abgesehen vom Führerscheinerwerb von BF1 und den Deutschkursbesuchen nicht vorgetragen. Das Beschwerdevorbringen, wonach volljährige Asylwerber keine Lehrstelle erhalten würden, ändert nichts daran, dass Asylwerbern bei entsprechenden Bemühungen Aus-, Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen offenstehen.

Die BF leben schließlich allesamt von der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig, wobei bereits dargelegt wurde, dass selbst im Falle einer absehbaren Beschäftigung als Bauhilfsarbeiter von keiner Selbsterhaltungsfähigkeit der fünfköpfigen Familie auszugehen ist.

Eine Integration in die österreichische Gesellschaft ist demnach in sozialer Hinsicht durchaus erfolgt, jedoch liegt keine wirtschaftliche Integration der BF im Bundesgebiet vor.

BF3 besucht mittlerweile die Volksschule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, BF4 besucht den Kindergarten und BF5 hält sich altersentsprechend bei ihren Eltern auf.

Obzwar BF3 und BF4 den überwiegenden Teil bzw. BF5 ihr gesamtes Leben in Österreich verbracht haben, befinden sich diese mit ihrem Alter von sieben, fünf und zwei Jahren in einem anpassungsfähigen Alter. Die Eltern weisen zwar Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 auf, ist jedoch bei diesem Sprachniveau davon auszugehen, dass eine Verständigung mit den Kindern in der Muttersprache erfolgt, wobei BF3 überhaupt erst mit knapp vier Jahren aus dem Herkunftsstaat ausgereist ist und demnach offenbar über entsprechende Sprachkenntnisse des Herkunftsstaates verfügt. Zumal sich BF3 und viel mehr noch BF4 und BF5 überwiegend im Familienverband aufhalten, ist auch von entsprechenden Sprachkenntnissen von BF4 und BF5 der Sprache des Herkunftsstaates auszugehen.

Zumal BF3 gerade am Beginn ihrer Schullaufbahn ist und BF4 und BF5 mit dieser noch nicht einmal begonnen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihnen eine Resozialisierung im Herkunftsstaat trotz damit verbundener Anstrengungen nicht möglich und zumutbar ist.

Bereits in den Vorverfahren wurde festgestellt, dass im Herkunftsstaat Familienangehörige aufhältig sind und hat BF2 im aktuellen Verfahren von unveränderten Kontakten zu Angehörigen im Herkunftsstaat berichtet. Hier war der notorisch bekannte familiäre Zusammenhalt innerhalb der kaukasischen Großfamilie hervorzuheben.

Zu BF5 war noch festzuhalten, dass diese zwar im Bundesgebiet geboren wurde, jedoch mit ihrem Alter von zwei Jahren, in keinem Alter ist, in dem von der Möglichkeit der Setzung integrativer Maßnahmen gesprochen werden kann. Vielmehr hält sich BF5 altersgemäß primär bei BF1 und BF2 auf.

Wie zuvor dargelegt, stellt sich die Situation bei einer Rückkehr dergestalt dar, dass davon auszugehen ist, dass für BF3 bis BF5 – mit Hilfe der Eltern und allenfalls weiterer Familienmitglieder – eine Relokation im Herkunftsstaat möglich sein wird, zumal sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden.

Es ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters von BF3 bis BF5 davon ausgegangen werden kann, dass für diese der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat – nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. etwa EGMR 26.01.1999, 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich: In dieser Zulässigkeitsentscheidung attestierte der Europäische Gerichtshof Kindern im Alter von 7 Jahren und 11 Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ; vgl. auch VwGH 25.03.2010, Zl. 2009/21/0216; 31.03.2008, Zl. 2008/21/0081; 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216). Aufgrund der altersgemäßen Anpassungs- und Lernfähigkeit ist davon auszugehen, dass BF3 bis BF5, die die Volksschule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, den Kindergarten bzw. noch nicht einmal den Kindergarten besuchen, auf lange Sicht gesehen nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wären. Zudem bedürfen alle drei aufgrund ihres Alters weiterhin der Unterstützung ihrer Eltern, welche wiederum ebenfalls von einer Rückkehr in die Russische Föderation betroffen sind, da die in deren Verfahren durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zugunsten einer Aufenthaltsbeendigung ausgegangen ist, woraus wiederum eine beträchtliche Relativierung der privaten Interessen der Minderjährigen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet resultiert. Eine Resozialisierung im Herkunftsstaat erscheint demnach möglich und zumutbar und ist von keiner Entwurzelung vom Herkunftsstaat auszugehen ist.

Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen hingegen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

Es wurde bereits eingangs ausgeführt, dass eine Rückkehr von BF3 bis BF5 nur gemeinsam mit den Eltern – BF1 und BF2 – möglich ist, da sie ein Familienleben iSd. Art. 8 EMRK begründen. Gesonderte Überlegungen im Falle einer alleinigen Rückkehr von BF3 bis BF5 müssen demnach nicht angestellt werden.

Zur Abrundung war in diesem Zusammenhang wiederum auf Ausführungen im Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 10.05.2006, 11 s 23547/05 zu verweisen, der sich mit der Berücksichtigung von minderjährigen Kindern im Rahmen einer Prüfung nach Art. 8 EMRK auseinandersetzt und zum Ergebnis kommt, dass die Sozialisation minderjähriger Kind nicht losgelöst von der Sozialisation der Eltern betrachtet werden kann. "Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen hingegen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau ist nach Auffassung des Senats bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs bei minderjährigen Kindern regelmäßig nicht nur deren Integration isoliert in den Blick zu nehmen und festzustellen, inwieweit sie selbst - etwa im Hinblick auf Sprachkenntnisse, Schulbesuch und persönlichen Umgang - in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt sind. Vielmehr kommt auch der Frage Bedeutung zu, in welchem Umfang sich ihre Familie in die bundesdeutschen Lebensverhältnisse integriert hat. Bei dieser familienbezogenen Gesamtbetrachtung sind auch solche Gesichtspunkte berücksichtigungsfähig, welche (etwa im Hinblick auf die unterbliebene Ausreise aus dem Bundesgebiet, die mangelnde wirtschaftliche oder soziale Integration, die Beachtung der bundesdeutschen Rechtsordnung etc.) auf das Verhalten der Eltern zurückzuführen sind (ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006, a. a.O.). Dafür, dass ein minderjähriges Kind sich das Verhalten seiner Eltern bei der Prüfung, ob der Eingriff in sein Privatleben durch legitime Ziele der Einwanderungskontrolle gerechtfertigt ist, "zurechnen" lassen muss, sprechen neben der Bezugnahme auf das "Familienleben" als paralleles Schutzgut des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch folgende Erwägungen: Für die Beurteilung der Verwurzelung von minderjährigen Kindern kommt es auch darauf an, inwieweit ihre innerfamiliären Lebensverhältnisse von der nationalen Herkunft der Gesamtfamilie geprägt sind. Darüber hinaus sind bei der für die aufenthaltsrechtliche Entscheidung relevanten Frage, ob eine (Re)Integration in das Land der Staatsangehörigkeit möglich ist, bei der beabsichtigten Rückführung minderjähriger Kinder die Fertigkeiten und möglichen Unterstützungsleistungen der Eltern sowie deren Verbindungen im Heimatland in Rechnung zu stellen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.11.2005, a.a.O., und Hess. VGH, Beschluss vom 15.02.2006, a.a.O). Ferner würde ein allein aus der Integration des minderjährigen Kindes hergeleitetes Aufenthaltsrecht dazu führen, dass den Eltern (und im weiteren auch den minderjährigen Geschwistern) ohne nähere Prüfung ihrer Integration unter Bezugnahme auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK in der Regel zumindest Abschiebungsschutz zu gewähren wäre, was einwanderungspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland in ganz erheblichem Maße berühren und zu einer einseitigen Gewichtung der privaten Belange des betroffenen Ausländers führen würde. Auch die Tatsache, dass minderjährige Kinder ihren Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig nicht alleine sichern können, sondern hierfür auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen sind, spricht dafür, deren wirtschaftliche Integration in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Die Konzeption des Aufenthaltsgesetzes geht schließlich ebenfalls davon aus, dass minderjährige Kinder grundsätzlich das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen (vgl. § 27 Abs. 1 i.V.m. §§ 29 Abs. 1 - 4, 32 Abs. 1 und 3, 34 AufenthG). Erst volljährige Kinder sind aufenthaltsrechtlich grundsätzlich selbständig zu behandeln, weil zwischen ihnen und ihren Eltern - anders als bei Minderjährigen - regelmäßig keine Beistands-, sondern eine bloße Begegnungsgemeinschaft besteht."

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

Die Unbescholtenheit von BF1 und BF2 fällt bei der vorzunehmenden Abwägung nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ins Gewicht. Laut Judikatur bewirkt die strafrechtliche Unbescholtenheit weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen. (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass BF1 bis BF4 illegal in das Bundesgebiet eingereist sind und unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben.

Im vorliegenden Fall haben die BF sich auch geweigert, nach rechtskräftig negativer Entscheidung des Antrages auf internationalen Schutz und durchsetzbarer Rückkehrentscheidung samt Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen. Vielmehr haben sie stattdessen einen weiteren unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Den privaten Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH v. 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u. v.a.).

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes die privaten Interessen der BF am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07), wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.

Zusammengefasst ist deshalb davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, jedenfalls in den Hintergrund treten.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Verhängung seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

Im Ergebnis verfügen die BF über keine relevanten familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Die Beschwerdeführer konnten auch keine hinreichenden eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Der persönliche, familiäre und berufliche Lebensmittelpunkt der BF lag bislang in der Russischen Föderation. Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende außergewöhnliche Integration in Österreich liegen nicht vor, auch wenn Ansätze einer Integration vor allem in gesellschaftlicher Hinsicht vorhanden sind.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe dass der angefochtene Bescheid einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben darstellt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK dar.

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen bestimmten Staat zulässig ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit den Entscheidungen des BVwG vom 22.05.2015 rechtskräftig verneint, wobei nach der oa. Beurteilung unverändert von diesem Ergebnis auszugehen ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit den Entscheidungen des BVwG vom 22.05.2015 rechtskräftig verneint, wobei nach der oa. Beurteilung unverändert von diesem Ergebnis auszugehen ist.

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in die Russische Föderation (Dagestan) ist gegeben, da nach den die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der Erkenntnisse des BVwG vom 14.11.2016 keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde, was auch im angefochtenen Bescheid erneut überprüft wurde. Aus den im angefochtenen Bescheid zitierten Länderinformationen ergibt sich keine für die BF veränderte Situation seit den rechtskräftigen Erkenntnissen des BVwG vom 18.03.2014 (BF1 bis BF4) bzw. vom 17.03.2015 (BF5). In der Beschwerde wurde der Beurteilung der Situation der BF im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat im angefochtenen Bescheid auch nichts Konkretes bzw. Substantiiertes entgegengehalten und war in diesem Zusammenhang auf die beweiswürdigenden Überlegungen zu verweisen.

Das BFA ist sohin zu Recht davon ausgegangen, dass eine Abschiebung der BF in die Russische Föderation zulässig ist.

Entfall der Frist für die freiwillige Ausreise:

§ 55 Abs. 1a FPG normiert als Konsequenz einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise entfällt. Es war in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass Grundlage der gegenständlichen Entscheidungen die Anträge auf internationalen Schutz vom 13.07.2015 sind.

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung:

Infolge des Verfahrensergebnisses konnten weitwendigen Überlegungen, ob das BFA zu Recht die aufschiebende Wirkung der Beschwerden aberkannt hat, unterlassen werden.

Zum befristeten Einreiseverbot:

Die belangte Behörde erließ über die BF aufgrund ihrer Mittellosigkeit ein befristetes Einreiseverbot und stützte es auf § 53 Abs. 1 iVm. 2 Z 6 FPG.

Im hier zu entscheidenden Beschwerdefall ist die Voraussetzung des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG 2005 erfüllt, weil die BF den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermochte. Schließlich verneinten BF1 und BF2 im Zuge ihrer Einvernahmen vor dem BFA aus Eigenem ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ihren Lebensunterhalt bestreiten die BF lediglich aus den Mitteln der staatlichen Grundversorgung. Im Übrigen hat das BFA in diesem Zusammenhang angeführt, dass gegen die BF vom BVwG mit Erkenntnissen vom 17.03.2015 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde, sie in der Folge jedoch nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist sind.

Aufgrund der aufgezeigten Umstände ist die Annahme der belangten Behörde gerechtfertigt, dass der Aufenthalt der BF die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet, weil sie den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögem (vgl. dazu die ausführliche Zusammenstellung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Gesetzesbestimmung im hg. Erkenntnis vom 25.04.2016, Zl. W230 2007105-1/18E).

Für die belangte Behörde bestand auch kein Grund, im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (arg: "kann") von der Erlassung des Einreiseverbotes Abstand zu nehmen, liegt doch die Voraussetzung des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG 2005 für die Erlassung eines Einreiseverbotes – das Unvermögen, den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen – eindeutig vor, sodass eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Verhängung eines Einreiseverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) liegen würde.

Zur Befristung des Einreiseverbotes besteht für das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung, die von der belangten Behörde mit zwei Jahren festgesetzte Befristungsdauer des Einreiseverbotes zu reduzieren, zumal in der Beschwerde die Begründung des befristeten Einreiseverbot und dessen Höhe durch das BFA in den angefochtenen Bescheiden nicht beanstandet wurde.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) - folgend: GRC - hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg.cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, Zl. U 466/11 ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Der VwGH hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Projiziert auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit BF1 und BF2 zu erörtern.

In der Beschwerde finden sich auch keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung notwendig ist, zumal sich dort – wie beweiswürdigend hinreichend dargelegt – keine substantiierten Ausführungen finden, die dies erforderlich machen würden. In der Beschwerde wird im Wesentlichen auf die vorgelegten Unterlagen zu integrativen Aspekten Bezug genommen, die im Akt einliegen und zu denen BF1 und BF2 in zwei Einvernahmen vor dem BFA ausreichend befragt wurden.

Auch die dem Bescheid des BFA zugrunde gelegten Länderinformationen waren – wie bereits in den Feststellungen und der Beweiswürdigung dargelegt – derart gestaltet, um den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig erheben zu können, wobei diesen seitens BF1 und BF2 weder in der Einvernahme am 19.12.2016 noch in der Beschwerde entgegengetreten wurde.

Dem Bundesverwaltungsgericht liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit BF1 und BF2 mündlich zu erörtern gewesen wäre, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unterbleiben konnte.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu

A) wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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