BVwG I402 1401141-1

BVwGI402 1401141-11.6.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:I402.1401141.1.00

 

Spruch:

I402 1401141-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX), geb. XXXX, StA. Marokko, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.07.2008, Zl. 08 02.514-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2015 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF wird das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt III. des Bescheides zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung insoweit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste seinen eigenen Angaben zufolge am 14.03.2008 mit einem Lkw illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.03.2008 gab er an, er sei marokkanischer Staatsbürger, trage den Namen XXXX und sei am XXXX geboren. In der EU würden keine Familienangehörigen leben. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass nach dem Tod seiner Eltern sein Onkel seine Obsorge übernommen habe. Dieser habe ihn geschlagen und schlecht behandelt und habe ihn zwingen wollen, ungute Arbeiten zu machen.

2. Am 02.04.2008 erfolgte vor dem Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden: belangte Behörde) eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, wobei er folgende Angaben machte: Seine Eltern seinen verstorben, es würde nur mehr sein Onkel Said leben. Zwischen 2002 und 2008 habe er in Casablanca als Bau- und Möbeltischler gearbeitet. Sein Name sei XXXX, der Araber, der den Asylantrag für ihn ausgefüllt habe, habe das falsch ausgefüllt. Zum Fluchtgrund befragt gab er an, dass er vor seinem Onkel Angst habe, der ihn geschlagen und ihm alles verboten habe. Er habe nicht in die Schule gehen dürfen und habe das verdiente Geld dem Onkel abgeben müssen. Für den Fall einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, niemanden mehr zu haben außer seinem Onkel. Niemand würde sich um ihn kümmern. Der Onkel behandle ihn nicht wie seine eigenen Kinder, er wäre in Marokko ganz alleine.

3. In einer weiteren Einvernahme durch die belangte Behörde am 15.07.2008 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er keine psychischen oder physischen Probleme habe. Er habe im Herkunftsstaat keine Schule besucht. Seine Eltern seien verstorben, als er 7 Jahre alt gewesen sei. Er sei zu seinem Onkel gezogen und habe den Beruf des Tischlers erlernt. Er sei ledig und habe keine Kinder. In seiner Heimat sei er nicht vorbestraft und nicht von Polizei, Gericht oder einer Staatsanwaltschaft gesucht oder jemals verhaftet oder festgenommen worden. Er habe in seiner Heimat keine Probleme mit den Behörden gehabt. Er sei in seiner Heimat nicht Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei. Er sei in seiner Heimat von staatlicher Seite nicht aus Gründen der Rasse, der Religion oder der politischen Gesinnung verfolgt worden. In Österreich sei er keiner legalen Beschäftigung nachgegangen, er werde von Freunden unterstützt, manchmal gehe er auch zur Moschee, wo er Essen bekomme. Seine Freunde in Österreich seien ebenfalls Marokkaner und Asylwerber. Diese würden ihn unterstützen. Er besuche keinen Deutschkurs, sei nicht Mitglied in einem Verein und sei auch nicht karitativ tätig. Zu den im Rahmen der Einvernahme vorgelegten Länderberichten zu Marokko gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.

4. Mit Bescheid vom 30.07.2008 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz "bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I.) sowie "bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf [seinen] Herkunftsstaat Marokko" (Spruchpunkt II.) ab. Darüber hinaus sprach die belangte Behörde "gemäß § 10 Absatz 1 AsylG" die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen habe, weil er von seinem Onkel schlecht behandelt worden sei. Dieser Sachverhalt sei nicht GFK-relevant. Im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Marokko laufe der Beschwerdeführer nicht Gefahr, eine gegen Art. 2 oder 3 EMRK bzw. das 6. oder 13. ZPEMRK verstoßende Behandlung zu erfahren. Auch wäre ihm nicht die Lebensgrundlage gänzlich entzogen, er würde nicht in eine existenzbedrohende Notlage kommen. Es ergäben sich keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wäre. Die erlassene Ausweisungsentscheidung würde nicht in das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers eingreifen, weil ein solches nicht vorliegen würde.

5. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung an den Asylgerichtshof (nunmehr Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht) und begründete diese wie folgt: Der Beschwerdeführer könne nur Arabisch sprechen, nicht jedoch schreiben, weshalb ihm die Unkenntnis über die Reiseroute nicht angelastet werden könne. Da die Registrierungsrate von Geburten in Marokko niedrig sei, seien viele Minderjährige nicht in der Lage, ihr Alter in Situationen, in denen sie ansonsten Schutz erhalten würden, zu beweisen. Dass der Beschwerdeführer nie angeführt habe, im Falle seiner Rückkehr essenzielle Sorgen zu haben, sei aktenwidrig. Insbesondere dem Aspekt des besonderen Schutzes und der Orientierung am Kindeswohl sei im Verfahren nicht entsprechend Rechnung getragen worden. Die Feststellung, wonach es zu keiner Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK komme, sei auf Grund mangelhafter Erhebungen bzw. Beweiswürdigung zu Stande gekommen, diese Gefahr bestehe tatsächlich, weshalb die Zuerkennung subsidiären Schutzes, die Zuerkennung aufschiebender Wirkung, die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und die Behebung der Ausweisung des Beschwerdeführers beantragt werde.

6. Das Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren war zwischen 31.03.2011 und 03.05.2011 sowie zwischen 23.11.2011 und 10.07.2013 gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt. Auf Grund der Fortsetzung des Verfahrens am 10.07.2013 wurde der Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 17.03.2015 vorgelegt.

7. Der Beschwerdeführer und die belangte Behörde wurden zur mündlichen Verhandlung am 27.05.2015 geladen. Dem Beschwerdeführer wurden die Ladung zu dieser Verhandlung sowie Länderberichte zu Marokko durch Organe der PI Saggen am 22.04.2015 persönlich ausgehändigt. Der Beschwerdeführer ist der Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben, das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Abwesenheit verhandelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, der Niederschriften über seine weiteren Einvernahmen durch die belangte Behörde (am 02.04.2008 und am 15.07.2008), des Beschwerdevorbringens, der Länderberichte zur Lage in Marokko (Stand des zugrunde liegenden BFA-Länderunformationsblattes 26.11.2014, aktualisiert durch Einschau in die Quellen im Jänner 2015) werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und ist marokkanischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Er hat in Marokko keine Schulbildung absolviert und war sechs Jahre lang als gelernter Tischler erwerbstätig.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer durch politische Aktivitäten (wie etwa der Teilnahme an Demonstrationen) in Marokko exponiert hat und deswegen behördlich gesucht oder verfolgt wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

Eine reale (über die bloße Möglichkeit hinaus gehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat oder tödlicher Übergriffe durch Dritte wird nicht festgestellt.

Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu sein, wird nicht festgestellt:

Insbesondere wird eine solche reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung weder im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe noch im Hinblick auf den Gesundheitszustand in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Bedingungen im Herkunftsstaat, noch im Hinblick auf die allgemeinen humanitären Bedingungen im Herkunftsstaat in Verbindung mit der persönlichen Lage des Beschwerdeführers (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlage), noch im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.

Eine solche mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene Gefahr wird auch nicht im Hinblick auf eine etwaige ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt.

1.2.1. Zur Situation in Marokko (offenkundig nicht relevante Teile der Länderberichte werden im Folgenden ausgelassen)

1. Politische Lage

Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat, unterteilt in 16 Regionen, die ihrerseits in 61 Provinzen ("Wilayas") unterteilt sind. Unter dem Stichwort "weitreichende Regionalisierung" wird seit längerer Zeit eine Dezentralisierung vorbereitet (AA 6.2014a). Als Folge von Demonstrationen im Frühjahr 2011 führte der König neben weiteren Reformen eine neue Verfassung ein (CRS 18.10.2013). Die am 1.7.2011 in Kraft getretene Verfassung bringt im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land: Erstmals wurde auf staatsrechtlicher Ebene ein Grundrechtskatalog eingeführt und der Primat eingegangener völkerrechtlicher Verpflichtungen vor dem innerstaatlichen Recht stipuliert. Diese Verfassung wurde durch Referendum (97 Prozent Zustimmung) angenommen, sodass Staats- und Regierungsform demokratisch legitimiert sind. Die Verfassung sieht selbst ein Verfahren zu ihrer Änderung vor; allerdings sind der Disposition des Verfassungsgesetzgebers neben dem islamischen Charakter des Staates und der monarchischen Staatsform insbesondere das demokratische Prinzip und der Grundrechts-Acquis entzogen (ÖB 9.2014). Auch nach der neuen Verfassung verbleiben aber substantielle Machtbefugnisse in den Händen des Königs (CRS 18.10.2013). Sie belässt beim König maßgebliche exekutive Reservat- und Gestaltungsrechte; er steht über den Staatsgewalten und ist staatsrechtlicher Kontrolle entzogen. In Bezug auf die Königsmacht bringt die Verfassung nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung, aber keinen Bruch mit dem bisherigen politischen System an sich. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Neu ist die Einführung einer regionalen Staatsebene mit demokratischen Institutionen und Selbstverwaltung, die allerdings erst im Detail zu konzipieren und umzusetzen ist. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2014).

Das Land ist eine konstitutionelle Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (direkter Nachkomme des Propheten Mohammed) (AA 6.2014a; vgl. CRS 18.10.2013). Der König hat den Vorsitz im Ministerrat. Er ist befugt, Minister zu entlassen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen (USDOS 27.2.2014). Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Folgende Ressorts werden als sogenannte "Souveränitätsministerien" (Ministères de Souveraineté) nach wie vor personell direkt vom König besetzt bzw. stehen unmittelbar unter seiner Kontrolle: Inneres; Äußeres; Verteidigung; Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen (GIZ 9.2014). Regierungschef Benkirane von der Partei Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) amtiert seit den letzten Parlamentswahlen am 25.11.2011. Er ist der erste Regierungschef Marokkos, der einer Partei des politischen Islam angehört. Die Wahlen brachten eine Vierparteienkoalition bestehend aus den moderaten Islamisten (PJD), der konservativen Istiqlal, der zentristischen Popular Movement (MP) und der linken Progress and Socialism Party (PPS). Mitte 2013 verließ die Istiqlal Partei die Regierungskoalition nach Meinungsverschiedenheiten mit der PJD. Dies führte zu einem Mehrheitsverlust der Regierung und die National Rally of Independence (RNI) trat schließlich der Regierung bei (AA 6.2014a; vgl. CRS 18.10.2013). Der neuen Regierung steht nun wieder eine aus drei größeren Parteien bestehende Opposition gegenüber: Die sozialdemokratische Socialist Union of Popular Forces (USFP) und die Party of Authenticity and Modernity (PAM) und nunmehr statt der RNI die Istiqlal Partei (CRS 18.10.2013).

Quellen:

2. Sicherheitslage

Marokko steht im Kampf gegen den Terrorismus im Lager des Westens. Die marokkanischen Dienste gelten als gut unterrichtet und operationell fähig; die laufende Aushebung von Terrorzellen spricht für deren Effizienz. Allerdings konnte z.B. das spektakuläre Attentat auf des Innenstadt-Cafe "Arganá" in Marrakesch (April 2011) mit 17 Toten nicht verhindert werden. AQIM und andere islamisch-fundamentalistische Gruppierungen, Salafisten und IS-Kämpfer werden als Staatsfeinde Nummer eins betrachtet. Besondere Sorge gilt seit Ausbruch der Mali-Krise einer vermuteten Verbindung der Polisario mit fundamentalistischen Elementen aus dem Sahel (AQIM, Ansareddine, Mujao) sowie aus Syrien und dem Irak (ÖB 9.2014).

Im vergangenen Jahrzehnt waren marokkanische Staatsbürger in terroristische Aktivitäten im Ausland verwickelt und Marokko war von Terroranschlägen im eigenen Land betroffen. Die Behörden scheinen besorgt, dass marokkanische Extremisten mit Erfahrung im Irak, Afghanistan, Syrien, oder Libyen oder nach ihren Aufenthalten in Westeuropa radikalisiert zurückkehren und Terroranschläge in Marokko durchführen (CRS 18.10.2013; vgl. ÖB 9.2014) bzw. Terrornetzwerke bilden (ÖB 9.2014). Bei einer gemeinsamen Operation der spanischen und marokkanischen Polizei sind am 26.9.2014 in der spanischen Enklave Melilla und der marokkanischen Nachbarstadt Nador neun verdächtige Dschihadisten mit Verbindungen zu der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) festgenommen worden. Nach spanischen Informationen handelt es sich dabei um einen spanischen Anführer und acht Marokkaner. Einige von ihnen seien als "Kämpfer" aus Syrien zurückgekehrt und hätten einschlägige Erfahrungen im Waffen- und Sprengstoffgebrauch. Hauptaufgabe der Zelle sei es gewesen, neue Rekruten für die Konflikte in Syrien, dem Irak und Libyen anzuwerben. Die marokkanischen Behörden schätzten unlängst selbst die Zahl der Dschihadisten in ihrem Land mit IS-Verbindungen auf bis zu zweitausend. Die spanischen und marokkanischen Sicherheitskräfte haben in den letzten Monaten ihre Zusammenarbeit verstärkt und dabei schon mehrere Zellen, die vor allem von Melilla aus operierten, zerschlagen (FAZ 26.9.2014). Inzwischen haben sich einige in Syrien und im Irak kämpfende marokkanische Dschihadistenführer zum IS bekannt. Dies nährt Befürchtungen, dass es in Marokko selbst zu einer Spaltung der radikalen Islamisten kommen könnte. Aus der Salafiyya dschihadiyya könnten sich Elemente lösen und sich zum IS bekennen und dessen gewalttätiges Vorgehen in Marokko selbst kopieren. Die bekanntesten radikalen Geistlichen in Marokko lehnen derzeit allerdings bisher die Idee des vom IS propagierten Kalifats ab (Magharebia 14.11.2014).

Quellen:

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 27.2.2014). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 27.2.2014; vgl. ÖB 9.2014) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Einflussnahme auf Richter und anderes Justizpersonal bzw. Korruption sind gemäß NGOs, Anwälten und Regierungsbeamten weit verbreitet (USDOS 27.2.2104).

Die Staatsführung bezeichnet die Reform des Justizwesens als eine der Hauptbaustellen der Regierungsagenda. Eine Hohe Kommission zur Ausarbeitung einer Justizreform wurde 2012 unter Vorsitz des Justizministers einberufen, die 2013 ein breitangelegtes Konzept für den Neuaufbau des Justizsektors vorgelegt hat, das seitdem in Diskussion steht. Eine methodische Schwäche ist darin zu ersehen, dass die Rechtsberufe in die Reformarbeiten nicht auf gleicher Augenhöhe eingebunden sind, was zu einem mitunter polemisch geführten Diskurs des federführenden Justizministers mit den Standesvertretern von Richterschaft, Rechtspflegern und Gerichtsbeamten und dem Barreau führt. Im Zentrum steht die richterliche Unabhängigkeit: Hauptverhandlungsgegenstand bilden das Verfassungs- Durchführungsgesetz über den Obersten Justizrat, als zentrales Organ richterlicher Selbstverwaltung, und das Richter- und Staatsanwaltsdienstgesetz. Parallel werden Novellierungen von Prozessrecht, Strafvollzugsrecht und Materiegesetzen wie dem Presserecht vorangetrieben (ÖB 9.2014).

Es gilt die Unschuldsvermutung. Gesetzlich ist ein faires Verfahren mit dem Recht auf Berufung für alle Bürger vorgesehen. Dieses Recht wird vor allem bei Fällen mit Westsahara-Bezug nicht immer respektiert. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Verhandlung anwesend zu sein und rechtzeitig einen Anwalt zu konsultieren, obwohl diese Rechte nicht immer gewährleistet sind (USDOS 27.2.2014). Verwaltungsentscheidungen können vor Verwaltungsgerichten appelliert werden, der Instanzenzug führt zum Kassations-Gerichtshof. Die Verfassung sieht eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (Oberster Justizrat, Gleichstellungs-Rat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 9.2014).

Quellen:

4. Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die Nationalpolizei (DGSN) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den "Forces auxiliaires" handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Autobahnen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und ist als Bestandteil der militärischen Struktur dem König als oberstem militärischen Befehlshaber zugeordnet. Die Justizpolizei untersteht ebenfalls in letzter Instanz dem König. Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist zwar effektiv, jedoch besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 27.2.2014). Es existieren zwei Nachrichtendienste, der Auslandsdienst DGED ("Direction Générale d'Etudes et de Documentation") und der Inlandsdienst DGST ("Direction Générale de la Surveillance du Territoire"). Die Streitkräfte einschließlich der Gendarmerie Royale verfügen über eigene Nachrichtenabteilungen (ÖB 9.2014).

Quellen:

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Im Art. 22 der neuen Verfassung wird Folter unter Strafe gestellt. Zuvor war sie nur durch einfaches Gesetz verboten. Trotzdem gibt es immer wieder Berichte über Folterungen und Gewaltanwendung gegenüber Gefangenen durch Sicherheitskräfte, vor allem während Untersuchungshaft (AI 13.5.2014; vgl. USDOS 27.2.2014). Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweise nicht anzunehmen ist, werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert. Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte), UN Sonderbeauftragter für Folter Juan Mendez, Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, die frühere UN-HCHR Navi Pillay. Trotz wiederholter Ankündigungen hat Marokko das Fakultativprotokoll zur Antifolter-Konvention noch nicht ratifiziert. Justizminister Ramid hat jüngst die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen (ÖB 9.2014).

Quellen:

6. Korruption

Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung das Gesetz nicht effektiv um. Bedienstete sind häufig in Korruptionsfälle verwickelt und gehen straffrei aus. Korruption stellt bei der Exekutive, inklusive der Polizei, bei der Legislative und in der Justiz ein ernstes Problem dar. Es gibt Berichte von Korruption im Bereich der Regierung und auch von deren strafrechtlicher Verfolgung, u.a. auch in bedeutenden Fällen. Die Instance centrale de prévention de la corruption (ICPC) ist die zentrale Behörde zur Korruptionsbekämpfung; sie verfügt aber nicht über die Kompetenz, verbindliche Antworten von Regierungsinstitutionen einfordern zu können. Die Behörde stellt fest, dass sich die Situation im Bereich der Korruptionsbekämpfung nicht signifikant verbessert hat und dass es den Maßnahmen der Regierung an einer strategischen Dimension und ernsthaften Bemühungen mangele (USDOS 27.2.2014).

Im Kampf gegen die Korruption wurde ein Gesetzesentwurf über den Status der zentralen Behörde zur Korruptionsprävention ausgearbeitet und öffentlich präsentiert, mit dem Ziel die Befugnisse dieser Institution zu stärken (EC 27.3.2014). Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2013 den 91. von insgesamt 177 Plätzen (TI 2014).

Quellen:

7. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Menschenrechtsorganisationen publizieren Berichte über Menschenrechtsfälle. Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensitivität der jeweiligen Angelegenheit. Alles, was den Themenbereich Westsahara betrifft, wird mit besonderem Argwohn betrachtet. Die Regierung trifft sich gelegentlich mit Vertretern der beiden größten Menschenrechtsorganisationen (Organisation Marocaine des Droits Humains/OMDH und Association Marocaine des Droits Humains/AMDH) aber auch von Transparency Marokko und der OMP, der Dachorganisation im Bereich Haftbedingungen. Sie reagiert auch auf Vorschläge dieser Gruppen (USDOS 27.2.2014).

Der NGO-Bereich/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechts-Verteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH und die AMDH. Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen (ÖB 9.2014).

Quellen:

8. Ombudsmann

Menschenrechtsangelegenheiten werden durch den Nationalen Rat für Menschenrechte (CNDH), die interministerielle Abordnung über Menschenrechte (DIDH) (USDOS 27.2.2014; vgl. EC 27.3.2014), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 27.2.2014).

Der CNDH wurde - nach den Pariser Kriterien - als nationale Grundrechtsinstitution eingerichtet und ist in der Verfassung direkt verankert (ÖB 9.2014). Er wird von den meisten Menschenrechtsorganisationen und der breiten Öffentlichkeit als glaubwürdige und proaktive Regierungsorganisation zum Schutz der Menschenrechte gesehen (USDOS 27.2.2014; vgl. ÖB 9.2014) und erstellt Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten. Seine Aufgabe liegt in der Beobachtung und Aufzeigung menschenrechtsrelevanter Entwicklungen und Sachverhalte, er kann Wahrnehmungen durch Vorort-Inspektionen machen, ohne dass ihm der Zugang verwehrt werden darf. Eigene Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten stehen allerdings nicht offen. 14.000 - ein Drittel - der an den CNDH gerichteten Beschwerden betreffen Justiz, Strafvollzug und behauptete Menschenrechtsverletzungen. Der CNDH legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung bis hin zur Intervention. Im Wege von Begutachtungsverfahren und durch Stellungnahmen zu einzelnen Gesetzesvorhaben übt der CNDH kraft seines moralischen Gewichts nicht selten Einfluss auf Gesetzesinhalte aus wo Menschenrechtsinteressen betroffen sind. 13 Außenstellen des CNDH wurden in Provinzstädten eingerichtet, sodass eine stärkere räumliche Nähe zu potentiellen Beschwerdeführern angeboten wird (ÖB 9.2014).

Quellen:

9. Wehrdienst

Die allgemeine Wehrpflicht ist seit dem 31.8.2006 abgeschafft. Frauen ist mit der Gesetzesänderung der Zugang zu allen Truppengattungen geöffnet worden. Die Armee stellt einen Ausweg aus Armut, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit dar. Die marokkanischen Streitkräfte sind nicht in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt. Allerdings befindet sich der Großteil der Armee dauerhaft und unverändert auf dem Gebiet der Westsahara (A 23.6.2013).

Quellen:

9.1. Wehrdienstverweigerung / Desertion

Desertion steht unter Strafe. Bestrafungen aufgrund von Wehrdienstverweigerung und Desertion sind der Botschaft bisher jedoch nicht bekannt geworden. Ein Großteil aller Wehrstrafdelikte verjährt nach drei bzw. fünf Jahren (A 23.6.2013).

Quellen:

10. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen; als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Allerdings sind caveats angebracht:

• Die Verfassung selbst stellt den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) quasi als "Baugesetze" des Rechtsgebäudes

• In der Verfassung sind über 20 Verfassungsdurchführungsgesetze und weitere einfache Durchführungsgesetze vorgesehen, die erst zu geringem Teil existieren und bis Ende der laufenden Legislaturperiode (2016) erlassen werden müssen.

• Die Fortgeltung des vorhandenen Rechtsbestandes, der mit der neuen Verfassungslage, v.a. in Bereichen wie Familien-, Medien- und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist (Juristen sprechen von einer Million zu novellierender Paragraphen) (ÖB 9.2014).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme sind die mangelnde Möglichkeit der Bürger, die konstitutionellen Vorgaben bezüglich der Regierungsform des Landes (Monarchie) zu ändern, Korruption auf allen Ebenen der Regierung und weitverbreitete Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipen durch die Sicherheitskräfte. Zeitweise gelingt es Behörden nicht, Kontrolle über die Sicherheitskräfte zu bewahren. Weitere Probleme sind die Anwendung exzessiver Gewalt sowie die Anwendung von Folter seitens der Sicherheitskräfte, überlange Untersuchungshaft und schlechte Haftbedingungen. Die Regierung beschränkt die Meinungs- und Pressefreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 27.2.2014).

Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nichtfestzustellen, sofern die Tabuthemen "König", "Islam" und "territoriale Integrität Marokkos" nicht berührt werden. Die marokkanische Regierung begründet Strafverfolgungsmaßnahmen stets mit Verstößen gegen marokkanische Strafgesetze. Marokkanische NGOs behaupten, dass Strafverfahren oftmals nur als Deckmantel zur Verfolgung politisch Andersdenkender dienen (A 23.6.2013).

Quellen:

11. Meinungs- und Pressefreiheit

[...]

12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

[...]

13. Todesstrafe

Die Todesstrafe wird in Marokko zwar weiter verhängt (zum Beispiel gegen den Hauptattentäter des Anschlags von Marrakesch im April 2011), aber seit 1993 nicht mehr vollstreckt (AA 6.2014a; vgl. HRW 21.1.2014). Es gibt eine Koalition von Menschenrechtsorganisationen in Marokko, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt (AA 6.2014a).

Quellen:

14. Religionsfreiheit

[...]

15. Religiöse Gruppen

[...]

16. Frauen/Kinder

Die Lage der Frauen in Marokko ist gekennzeichnet durch teils erhebliche Diskrepanzen zwischen ihrem rechtlichen Status und der Lebenswirklichkeit. Insbesondere im ländlich geprägten Raum haben es Frauen mit tradierten gesellschaftlichen Zwängen aufgrund traditionell-islamischer Werte zu tun. Zwar garantiert die neue Verfassung im Art. 19, dass "Männer und Frauen gleichberechtigt die Rechte und Freiheiten ziviler, politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Natur" genießen, jedoch findet sich bereits in der Verfassung eine Einschränkung dieser Rechte durch die explizite Bezugnahme auf den Islam als Staatsreligion (A 23.6.2013).

Obwohl die Änderung des Familienrechts zugunsten der Frauen vom 6.2.2004 ("Moudawana") mit den Grundsätzen "Abschaffung der Gehorsamspflicht der Ehefrau" (A 23.6.2013; vgl. GIZ 8.2014), "Anhebung des grundsätzlichen Ehefähigkeitsalters" der Frau auf 18 Jahre (A 23.6.2013), "Abschaffung der Hinzuziehung eines Vormunds zur Eheschließung für volljährige Frauen" (A 23.6.2013; vgl. GIZ 8.2014), Einführung der gerichtlichen Ehescheidung und weitgehende Gleichstellung von Männern und Frauen im Scheidungsrecht (Abschaffung der einseitigen Verstoßung durch den Ehemann) (GIZ 8.2014), "Polygamie nur noch in genehmigten Ausnahmefällen" und mit der Einrichtung von Familiengerichten eine für die arabisch/islamische Welt richtungsweisende Verbesserung der Rolle der Frau geschaffen hat, gibt es nach wie vor Defizite in der Verwirklichung der Gleichberechtigung, wie z.B. die ungleiche Behandlung im Erbrecht (A 23.6.2013). Von einer wirklichen rechtlichen und sozialen Gleichstellung sind Frauen und Männer in Marokko noch weit entfernt. In der marokkanischen Gesellschaft dominieren weiterhin patriarchale Einstellungen und diskriminierende Verhaltensweisen. Viele der ehrgeizigen Gesetzesreformen werden bislang nur partiell umgesetzt. So wird das Mindestheiratsalter oftmals durch Ausnahmegenehmigungen umgangen (GIZ 8.2014).

Marokko hat sich durch internationale Abkommen zur Beseitigung der Diskriminierung gegenüber Frauen verpflichtet, allerdings wurden hier mit dem Vorrang des Islams begründete Einschränkungen gemacht (A 23.6.2013). Seit Mitte der 1980er Jahre sind in Marokko immer mehr NGOs entstanden, die sich gleichzeitig für Demokratie und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen. Die politisch einflussreichsten dieser NGOs sind die Association Democratique des Femmes Marocaines (ADFM), die Federation de la Ligue Democratique pour la Défense des Droits des Femmes (FLDDF), die AMDF (Association Marocaine des Droits des Femmes) (GIZ 8.2014); vgl. USDOS 27.2.2014) und die UAF (Union de L'Action Féminine) (GIZ 8.2014). Diese fördern politische und zivile Rechte von Frauen. NGOs fördern ebenfalls die Alphabetisierung von Frauen und klären diese über Hygiene, Familienplanung und Kindeserziehung auf (USDOS 27.2.2014). Neben den politisch verankerten Frauenrechte-NGOs gibt es zahlreiche parteiübergreifende, thematisch arbeitende Fraueninitiativen, die sich punktuell zu Aktionsgruppen oder längerfristig zu Netzwerken zusammengeschlossen haben, so zum Beispiel die Beratungsstelle für weibliche Opfer sexistischer Gewalt in Casablanca und das Netzwerk ANARUZ gegen genderbasierte Gewalt (GIZ 8.2014).

Vergewaltigung steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre, wenn das Opfer minderjährig ist zehn bis zwanzig Jahre. Die Regierung setzt das Gesetz üblicherweise nicht um. Innereheliche Vergewaltigung steht nicht unter Strafe. Häusliche Gewalt steht ebenso wenig explizit unter Strafe, jedoch sind allgemeine Bestimmungen des Strafrechts für diese Fälle anwendbar (USDOS 27.2.2014). Besonderes Aufsehen und auch weltweite Empörung erregte das Schicksal der 16-jährigen Amina Filali, die Opfer einer Vergewaltigung wurde und sich anschließend im März 2012 das Leben nahm. Hintergrund war eine Besonderheit des marokkanischen Strafrechts, dessen Art. 475 des Strafgesetzbuches Vergewaltigern von minderjährigen Frauen eine strafrechtliche Verfolgung in den Fällen ersparte, in denen es nach der Tat zu einer Eheschließung mit dem Opfer kam. Dieses Vorgehen sollte die Ehre der Frau und der Familie erhalten bzw. wiederherstellen. Nach der Heirat mit ihrem Peiniger wählte das Mädchen nach einigen Monaten den Freitod (A 23.6.2013). Am 22.1.2014 haben die Abgeordneten im Parlament einstimmig eine Gesetzesänderung des Strafgesetzes beschlossen, wodurch der Täter nach einer Vergewaltigung nicht mehr durch Heirat mit dem Opfer einer Haftstrafe entgehen kann (Jeuneafrique 23.1.2014).

Im Berufsleben stellt sich die Lage der Frauen als schwierig dar. Zwar spielen sie eine wichtige Rolle im Erwerbsleben und bekleiden auch häufiger Führungspositionen. So wurde kürzlich eine Frau an die Spitze des Unternehmerverbandes CGEM gewählt, außerdem bekleidet eine Frau den Posten der Informationsdirektorin bei dem staatlichen TV-Sender 2M. Die Situation ist jedoch durch ein starkes Stadt-Land-Gefälle gekennzeichnet. So liegt die Analphabetenrate bei Frauen auf dem Land bei ca. 90 Prozent, im Gegensatz dazu liegt die landesweite Quote Schätzungen zufolge bei 40 Prozent. Die Lebenssituation ist für alleinstehende (oft geschiedene) Frauen im großstädtischen, westlich geprägten Bereich eher unproblematisch. Eine Teilhabe am sozialen und wirtschaftlichen Leben ist die Regel. Im ländlichen Bereich spielt der Einfluss der Traditionen und damit auch der religiösen Elemente eine große Rolle. Der soziale Druck bis hin zu Kleidungsvorschriften ist dort teilweise sehr hoch (A 23.6.2013).

Quellen:

17. Homosexuelle

[...]

18. Bewegungsfreiheit

Gesetzlich ist innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit gewährleistet. Die Behörden respektieren dieses Recht üblicherweise, obwohl die Regierung Reisebewegungen in als militärisch heikel angesehenen Regionen, wie den entmilitarisierten Gebieten der Westsahara, einschränkt. Gesetzlich sind ebenso Auslandsreisen gestattet, und dieses Recht wird üblicherweise respektiert. Staatsbedienstete und Soldaten müssen bei den für sie zuständigen Ministerien um eine schriftliche Genehmigung für Auslandsreisen ansuchen (USDOS 27.2.2014).

Sahraouis genießen innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Mit Ausnahme von Polisario-Angehörigen und Personen, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzen, können sie Pässe erhalten und das Land verlassen. Auch Kontakte zu westlichen politischen Beobachtern und Botschaftsvertretern sind ihnen möglich (A 23.6.2013).

Quellen:

19. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

[...]

20. Grundversorgung/Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist im Wesentlichen gewährleistet, subventioniert werden z.B. Benzin, Brot und Zucker. Die Landflucht vor allem in die Elendsviertel der großen Städte ist unverändert hoch. Staatliche soziale Unterstützung ist nicht vorhanden; vielfältige religiös-karitative Organisationen sind tätig (A 23.6.2013). Eine entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger hat nach wie vor die Großfamilie (A 23.6.2013; vgl. ÖB 9.2014).

König Mohammed VI. und die Regierung streben eine durchgreifende Modernisierung des Landes an. Marokko soll zu einem Schwellenland mit diversifizierter Industrie und wettbewerbsfähigem Dienstleistungssektor werden, das seine Chancen neben dem Hauptpartner EU verstärkt im Maghreb und im französischsprachigen Afrika sucht. Marokko zeigt sich 2014 wirtschaftlich stabil, der langjährige Aufschwung hält an. Regierung und Zentralbank gehen 2014 von einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 3-4 Prozent aus (AA 6.2014b).

Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Leuten, Armut und Analphabetismus (besonders in ländlichen Gegenden) bleiben hoch (CRS 18.10.2013; vgl. ÖB 9.2014). Gemäß der Weltbank leben 8 Millionen Marokkaner oder einer von vier in "absoluter Armut oder sind von dieser bedroht". Soziökonomische Probleme führen zu Emigration und sozialen Unruhen und können zur Radikalisierung beitragen. Der Staat versucht durch Sozialprogramme, Initiativen zur Vergabe von zusätzlichen Stellen im öffentlichen Dienst und Gehaltserhöhungen sowie Subventionen für Güter des täglichen Bedarfs gegenzusteuern (CRS 18.10.2013).

Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org ), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/ ) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbau. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/ arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.500 Dirham (ca. 225 €). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als durchaus bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche

Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.711 MAD, wobei allerdings die Hälfte der - zur SV angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) bei 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara weniger (ÖB 9.2014).

Quellen:

21. Medizinische Versorgung

Das marokkanische Gesundheitssystem ist in den Städten im Allgemeinen gut entwickelt, während die ländlichen Gebiete schlechter ausgestattet sind. In den Städten gibt es auch privat geführte Krankenhäuser, die qualitativ hochwertige Leistungen anbieten. Die medizinischen Einrichtungen außerhalb der Städte sind eher einfach und altmodisch, die medizinische Versorgung ist jedoch grundsätzlich gut. Seit kurzem modernisieren marokkanische Krankenhäuser sich durch den Kauf spezieller Ausrüstung, um höherwertigere Behandlungen anbieten zu können (IOM 6.2014). Dagegen ist die Notfallversorgung auf dem Land, insbesondere in den abgelegenen Bergregionen, unzureichend. Laut UNICEF haben nur 40 Prozent der Frauen auf dem Land Zugang zu einer medizinisch betreuten Entbindung (A 23.6.2013). Als Zentren der primären Gesundheitsversorgung betreuen Krankenhäuser die Patienten und bieten eine kostenlose Erstversorgung von leichten Notfällen. In den Zentren der primären Gesundheitsversorgung ist der Zugang kostenlos. Zuständig ist das jeweils nächstgelegene Zentrum am Wohnort. Alle Distrikte Marokkos verfügen über diese Gesundheitszentren, auch die weniger entwickelten Bezirke auf dem Land. Um behandelt werden zu können, sollte der Personalausweis mitgebracht werden (IOM 6.2014). Grundsätzlich sind medizinische Dienste kostenpflichtig; wenn der Betroffene jedoch seine Mittellosigkeit nachweist, trägt er zumindest in den öffentlichen Polikliniken keine Kosten. In Notfällen wird dort häufig sofort geholfen und die Klärung finanzieller Fragen verschoben (A 23.6.2013). Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Ein Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 €), beim Facharzt ab 200 (17 €) Dirham bis 500 (45 €) Dirham und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.500 Dirham/225 €) (ÖB 9.2014).

Die medizinische Versorgung in Rabat soll, soweit sie durch private Institutionen/Krankenhäuser durchgeführt wird, "größtenteils mitteleuropäischen Standard" erreichen, wie sich aus dem Bericht des Regionalarztes des Auswärtigen Amtes vom Oktober 2012 ergibt. Trotz dieses hohen Standards fehlen bei der stationären Patientenversorgung häufig Technische Assistenten und Krankenpfleger. Selbst sehr gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren noch nicht, dass im Krankheitsfalle die Versorgung und das Management des Patienten automatisch gut funktionieren. Gerade bei Notfällen erwies sich das Gesundheitssystem oft als unzuverlässig. In Rabat und Casablanca gibt es Privatkliniken auf hohem medizinischem Niveau, die die meisten Behandlungen ermöglichen. In den übrigen größeren Städten ist die medizinische Versorgung bei Notfällen (Unfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.) möglich. Auch viele chronische Krankheiten können in Marokko behandelt werden. Psychiatrische oder auch AIDS-Dauerbehandlungen sind in öffentlichen Einrichtungen zwar nach dem Stand der Wissenschaft möglich; die Unterfinanzierung des Gesundheitssystems wird in Form von Kapazitätsbeschränkungen und nicht immer transparenter Vergabe von Behandlungsplätzen aber auch hier deutlich. Ähnliches gilt für die Versorgung mit teuren Spezialmedikamenten, bei der es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommt. Bei ausreichenden finanziellen Mitteln ist aber fast jedes Medikament erhältlich, sei es lokal produziert oder importiert (A 23.6.2013)

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio Personen im RAMED erfasst (knapp 3 Prozent der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten gestioniert. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis ("Carte RAMED"), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationäre Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 9.2014).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca.1200 EW); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen in der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED - System fällt noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 9.2014).

Quellen:

22. Behandlung nach Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach hiesigen Erkenntnissen von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Den Behörden ist bekannt, dass eine Reihe von Asylanträgen lediglich dazu dienen soll, eine längerfristige Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland zu erlangen, ebenso wie die Unterscheidung zwischen tatsächlicher oppositioneller Gesinnung in Verbindung mit entsprechenden Aktivitäten und einer lediglich zu Asylzwecken vorgetäuschten politischen Motivation. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (A 23.6.2013).

Eine Rückkehrhilfe für aus dem Ausland nach Marokko Heimkehrende durch staatliche Institutionen ist nicht bekannt. Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von der IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit der IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung (ÖB 9.2014).

Quellen:

23. Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Die Regierung betrieb 20 Kinderschutzzentren, davon fünf speziell für Mädchen. Diese Zentren waren ursprünglich als Alternative zum Gefängnis geplant, werden aber nun immer häufiger zur Unterbringung von straffälligen oder obdachlosen Kindern, Opfern von häuslicher Gewalt, Drogenabhängigen und von in Not geratenen Kindern verwendet (USDOS 27.2.2014). Neben den staatlichen Waisenhäusern besteht eine Reihe von privaten Organisationen, die sich obdachloser Minderjähriger annehmen. Zurückkehrende Minderjährige können grundsätzlich von diesen Organisationen provisorisch untergebracht und anschließend in marokkanische Pflegefamilien vermittelt werden (A 23.6.2013).

Es gibt keine spezifischen Gesetze, die sich mit rückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen befassen. Im Allgemeinen werden in solchen Fällen die Gesetze über den Kindesschutz und Kinder in einer schwierigen Situation schlagend. Ein Jugendrichter kann entscheiden, ob solche Kinder entweder den Eltern, einem Vormund oder einer anderen vertrauenswürdigen Person übergeben oder diese für nicht mehr als 3 Monate bei gesundheitlichen und/oder psychologischen Problemen oder bei Verhaltensauffälligkeit in ein entsprechend zuständiges Zentrum verwiesen werden. Bezüglich der Auffindung der Familienangehörigen im Falle einer Rückkehr Minderjähriger bestehen im Allgemeinen keine formalen Verfahrensabläufe. Es gibt ein Abkommen zwischen Spanien und Marokko, welches regelt, dass eine Rückkehr nur dann erfolgen soll, wenn Garantien über die Reintegration des Kindes in einen Familienverband bzw. Pflegeinstitution vorliegen. Ebenso bestehen keine formellen Prozesse bezüglich der Zuweisung zu Betreuungs- und Aufsichtsmaßnahmen. Formelle Prozessabläufe gibt es nur in Zusammenhang mit spezifischen Projekten wie dem von IOM oder von Catalyuna Magrib. In bestimmten Situationen kann nach der Rückkehr eines Kindes finanzielle Hilfe zwischen 6 Monaten und einem Jahr für die Familie gewährt werden. Im Rahmen des europäischen Reintegrationsunterstützungsnetzwerkes (ERSO) wurde im Jänner 2011 ein spezielles Programm in Marokko gestartet, geleitet von der NGO Cardev in Partnerschaft mit Caritas (Österreich), Maatwerk bij Terugkeer (Niederlande), Caritas International (Belgien), ACCEM (Spanien), Raphaels-Werk (Deutschland), Caritas Europa und Terre d'Asile (Frankreich). Dieses Programm bietet Reintegrationshilfe für freiwillige Rückkehrer an. Es beinhaltet auch medizinische, soziale und psychologische Hilfe für rückkehrende Kinder. Zusätzlich sorgt die NGO Main dans la Main für Unterstützung von rückkehrenden Frauen mit oder ohne Kinder. IOM selbst biete finanzielle Unterstützung durch sein Reintegrationsprogramm an, um die familiären Bedürfnisse und die Ausbildung oder Schulbildung abzudecken. Derzeit besteht jedoch keine solide Infrastruktur für die Rückkehr und Integration von Kindern. Es gibt auch keinen Mechanismus betreffend der Überprüfung des Wohlergehens des Kindes nach seiner Rückkehr, ausgenommen dem, der durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz des Kindes besteht (ECRE 12.2011).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Lage in Marokko

Die (unter Punkt 1.2.1. getroffenen) Feststellungen zur Situation in Marokko beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom November 2014 und einer Einschau in Quellen im Jänner 2015. Die zugrunde liegenden Berichte wurden dem Beschwerdeführer zur Wahrung des Parteiengehörs mit der Anberaumung der mündlichen Verhandlung schriftlich zur Kenntnis gebracht und in der Verhandlung dargetan. Der Beschwerdeführer hat sich dazu nicht schriftlich geäußert, der mündlichen Verhandlung ist er ohne Angabe von Gründen ferngeblieben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seiner individuellen Bedrohungs- und Rückkehrsituation

Die im Verfahren vor der belangten Behörde getätigten Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität sowie seiner familiären, geografischen, beruflichen und sozialen Herkunft hält das Bundesverwaltungsgericht für unbedenklich und legt sie seinen Feststellungen zugrunde. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vom 15.07.2008, wonach er weder psychische noch physische Probleme habe; Gegenteiliges ist im Verfahren weder geltend gemacht worden noch sonstwie hervorgekommen.

Die Angaben zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers erscheinen glaubwürdig, insbesondere vor dem Hintergrund der (damaligen) Minderjährigkeit des Beschwerdeführers, dessen Eltern bereits verstorben sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 51 B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes. Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen. Dies trifft auf das vorliegende Verfahren zu.

3.1.2. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Derartige Regelungen kommen für das vorliegende Verfahren nicht zur Anwendung, weshalb es der Einzelrichterzuständigkeit unterliegt.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A.I. des vorliegenden Erkenntnisses)

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG verweist).

Zentraler Aspekt des aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes des AsylG 2005 ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation fürchten würde (vgl. zB VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 23.09.2009, 2007/01/0284). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen.

Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280; 16.12.1998, 96/01/1251, 08.06.2000, 99/20/0092).

Einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung kommt nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Handlungen hintanzuhalten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrechtliche Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (zB VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 24.05.2005, 2004/01/0576; 19.11.2010, 2007/19/0203; 28.06.2011, 2011/01/0102).

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 26.11.1998, 98/20/0309; 23.09.1998, 98/01/0224; 21.12.2000, 2000/01/0132).

3.2.2. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor der schlechten Behandlung durch seinen Onkel geflüchtet ist. Dies begründet für sich genommen keinen Sachverhalt, der die Gewährung von Asyl rechtfertigt. Einerseits konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass die Behandlung durch den Onkel die Gravität bzw. Intensität erreicht, welche für eine Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention notwendig ist. Andererseits steht es dem nunmehr volljährigen Beschwerdeführer frei, seinen Wohnort innerhalb Marokkos frei zu wählen und somit dem Einflussbereich des Onkels zu entgehen. Anhaltspunkte dafür, dass auch in diesem Fall eine vom Onkel ausgehende Gefährdung zu befürchten wäre, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dem Beschwerdeführer die Inanspruchnahme der staatlichen marokkanischen Behörden zumutbar, eine diesbezügliche Schutzunwilligkeit oder -unfähigkeit geht aus den Länderberichten zu Marokko nicht hervor.

Da eine entsprechende Verfolgungsgefahr sohin nicht glaubhaft gemacht wurde, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A.I. des vorliegenden Erkenntnisses)

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

3.3.2. Die Richtlinie (RL) 2004/83/EG (auch: Statusrichtlinie) normiert als "Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz", dass der Drittstaatsangehörige (der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt) vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland (...) tatsächlich Gefahr liefe, einen "ernsthaften Schaden" im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden (Art. 2 lit. e RL 2004/83/EG ).

Unter "ernsthaftem Schaden" versteht die RL 2004/83/EG die folgenden drei Fälle: a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind diese Fallgruppen abschließend zu verstehen und umfassen beispielsweise nicht die Konstellation, "in [der] eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ..., die ein an einer schweren Krankheit leidender Antragsteller bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland erfahren könnte, auf das Fehlen einer angemessenen Behandlung in diesem Land zurückzuführen ist, ohne dass dem Antragsteller die Versorgung absichtlich verweigert würde". Dieser Rechtsprechung zufolge ist eine gesetzliche Regelung eines Mitgliedstaates richtlinienwidrig, wenn sie die Zuerkennung von subsidiärem Schutz insoweit "günstiger" regelt, als sie diese Zuerkennung für Konstellationen vorsieht, die über jene hinaus gehen, die in Art. 15 Buchstabe a, b oder c festgelegt sind (vgl. EuGH [Große Kammer] 18.12.2014, Rs. C-542/13 , M'Bodj, Rz. 41-43).

Mit den in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 festgelegten Tatbeständen der Zuerkennung von subsidiärem Schutz divergiert das österreichische Gesetz von der Richtlinie insofern, als die gesetzlichen Tatbestände über jene Konstellationen hinausgehen, für die die RL 2004/83/EG eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz vorsieht. Dies folgt daraus, dass nach dem AsylG 2005 subsidiärer Schutz auf Antrag nicht nur in den in Art. 15 der Richtlinie genannten Fällen, sondern in umfassender Weise immer dann zu gewähren ist, wenn die Verpflichtung zur Rückkehr eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde (womit zB auch die Fälle der Rückkehr trotz lebensbedrohlicher, nicht anderweitig behandelbarer Krankheiten oder die Fälle des Entzugs jeglicher Lebensgrundlage erfasst wären) und kein Ausschluss- bzw. Aberkennungsgrund iSd. § 8 Abs. 3a AsylG 2005 gegeben ist (vgl. VwGH 28.08.2014, 2013/21/0218). Der aufgezeigte Normenkonflikt zwischen dem AsylG 2005 und Art. 15 der RL 2004/83/EG darf in einem Verfahren über einen Antrag gemäß § 3 und 8 AsylG 2005 nicht so gelöst werden, dass der Verfahrensgegenstand in "richtlinienkonformer" Weise auf die in Art. 15 RL 2004/83/EG festgelegten Falltypen eingeschränkt (und nur noch bei Vorliegen dieser Fälle subsidiärer Schutz zuerkannt) wird. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass eine derartige Einengung des Anwendungsbereichs des § 8 Abs. 1 AsylG sowohl mit dem Zweck, der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut der zitierten Rechtsnorm, vor allem aber auch mit den korrespondierenden sonstigen Normen des AsylG und des FPG in Konflikt geriete (zur Historie des § 8 AsylG vgl. einerseits die Rechtsprechung, die der Gesetzgeber - etwa bei Erlassung des FrÄG 2009 - vorfand [VwGH 26.07.2007, 2007/01/0479; 23.09.2009, 2007/01/0515; 16.12.2009, 2007/01/0918, 0919] sowie die Bezugnahme auf Rechtsprechung in den Materialien zu § 8 Asylg 1997 idF AsylG-Novelle 2003, RV 120 BlgNR 22. GP , sowie zu § 8 AsylG 2005 die RV 952 BlgNR 22. GP ). Die innerstaatliche Gesetzessystematik stünde einer solchen Einschränkung entgegen, weil die Berücksichtigung der nicht durch Art. 15 RL 2004/83/EG abgedeckten, jedoch als Abschiebehindernis nach der EMRK geltenden Fälle ansonsten im Gesetz nicht entsprechend in einem antragsgebundenen Verfahren verankert wäre, zumal der innerstaatliche Gesetzgeber zweifellos davon ausgeht, dass zur Entscheidung über diese Frage auf Antrag ausnahmslos das Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz zu beschreiten ist (vgl. auch § 51 Abs. 2 FPG). Dies bedeutet aber, dass der Gesetzgeber voraussetzt, dass ein solcher auf Art. 2 oder 3 EMRK oder auf das 6. oder 13. ZPEMRK gestützter Antrag im positiven Fall durchwegs (es sei denn im Fall von - hier nicht relevanten - Ausschlussgründen) mit der Gewährung von subsidiärem Schutz zu erledigen ist. Eine "richtlinienkonforme" Einschränkung würde insgesamt betrachtet somit die Grenzen der Interpretation des innerstaatlichen Gesetzes überschreiten und könnte daher nicht mehr als Akt richtlinienkonformer Interpretation vorgenommen, sondern nur mehr im Wege der unmittelbaren, gesetzesverdrängenden Anwendung der Richtlinie bewirkt werden. Letzteres verbietet sich im vorliegenden Zusammenhang aber deswegen, weil eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für den Einzelnen begründen kann, so dass dem Einzelnen gegenüber eine Berufung (des Staates) auf die Richtlinie als solche, dh. eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie zu Lasten des Einzelnen, nicht möglich ist (EuGH 14.07.1994, Rs. C-91/92 , Faccini Dori, Slg 1994, I-3325, Rz 20; EuGH 13.07.2000, Rs. C-456/98 , Centro-Steel, Slg. I-6007, Rz 15).

Das Urteil des EuGH vom 18.12.2014, Rs. C-542/13 , M'Bodj, führt daher nach derzeitiger Rechtslage zu keiner (den Umfang einschränkenden) Modifikation des nach dem AsylG 2005 geltenden Prüfungsmaßstabs für die Zuerkennung von internationalem Schutz. Anderes gälte freilich im Fall von (den Umfang ggf. ausdehnende) Wirkungen der Richtlinie zu Gunsten des Einzelnen.

3.3.3. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko (zB) einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt (u.a.) des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582; VwGH vom 31.05.2005, 2005/20/0095).

3.3.4. Im Rahmen der bei Beurteilung des subsidiären Schutzes auch vorzunehmenden Prüfung, ob der Antragsteller einer "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" ausgesetzt wäre (Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG ) ist nicht gefordert, dass der Antragsteller beweist, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH 17.02.2009, Rs. C-465/07 , Elgafaji, Rn 45).

3.3.5. Wie bereits ausgeführt wurde, bedeutet die Situation des Beschwerdeführers keine ihn konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität. Es ergeben sich daraus auch keine sonstigen für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechenden Hinweise. Es kann angesichts der Feststellungen auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ihn in Marokko eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige relevante (allgemeine oder individuelle) Bedrohung oder Gefährdung erwarten würde.

3.3.6. Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten "Schwelle" des Art. 3 EMRK), gibt es, wie festgestellt, im Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, zumal der Beschwerdeführer bereits in Marokko eine Berufsausbildung absolviert hat (Bau- und Möbeltischler) und erwerbstätig war. Vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen kann im Zusammenhalt mit dem genannten Vorbringen des Beschwerdeführers daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat in seiner Existenz bedroht wäre. Er wäre grundsätzlich in der Lage, längerfristig eine Lebensgrundlage zu sichern. Weiters geht aus den - insofern unbestrittenen - Länderfeststellungen (sowohl der belangten Behörde als auch des Bundesverwaltungsgerichts) hervor, dass in Marokko NGOs zur Unterstützung von Rückkehrern bestehen; davon, dass der Beschwerdeführer davon ausgeschlossen wäre, kann nicht ausgegangen werden.

3.3.7. Das Vorliegen dermaßen akuter und schwerwiegender Erkrankungen, welche in Marokko nicht behandelbar wären und im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK führen könnten, wurde weder behauptet, noch bot sich dafür im Beschwerdefall ein Anhaltspunkt.

3.3.8. Es sind weiters keine Hinweise darauf bekannt, dass in Marokko aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd. Art. 2 und 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK ausgesetzt wäre.

3.3.9. Im Hinblick auf die gegebenen Umstände kann daher ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden.

3.3.10. Daher ist die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A.II. des vorliegenden Erkenntnisses)

3.4.1. § 75 Abs. 20 AsylG 2005 lautet in der geltenden Fassung (auszugsweise)

"(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

[2. - 6. ...]

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen."

3.4.2. Hinweise auf bereits erfolgte nachhaltige Integrationsschritte des Beschwerdeführers liegen nicht vor, so dass das Bundesverwaltungsgericht bei diesem Verfahrensstand nicht ohne weiteres eine Entscheidung über die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung treffen könnte.

3.4.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach der neuen Rechtslage neu zu prüfen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (zum Erfordernis der Glaubhaftmachung einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung von erheblicher Intensität und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit s die in Pkt. II.3.2.1. zitierte Rechtsprechung; dass das Urteil M'Bodj auf die Interpretation des § 8 AsylG keine einschränkenden Wirkungen zulasten des Beschwerdeführers auslöst, weil die innerstaatliche Rechtslage keinen Interpretationsspielraum belässt und Richtlinien nicht unmittelbar zu Lasten Einzelner wirken dürfen, ergibt sich eindeutig aus der dargestellten innerstaatlichen Rechtslage und Urteilen wie zB jenen in den Rs. Faccini Dori oder Centro-Steel; zu den Voraussetzungen des subsidiären Schutzes siehe ansonsten die in Pkt. II.3.3.3. bis 3.3.4. zitierte Judikatur), weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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