VfGH G159/2019 ua

VfGHG159/2019 ua4.12.2019

Unsachlichkeit der für Wiederaufnahmeanträge geltenden Frist betreffend Anträge auf Aufhebung eines "abgeleiteten" Bescheides wegen absoluter Nichtigkeit des "Grundlagenbescheides" nach der Bundesabgabenordnung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5
BAO §207, §208, §209, §209a, §252, §295 Abs4, §302, §304
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:G159.2019

 

Spruch:

I. 1. Der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl Nr 194/1961, idF BGBl I Nr 70/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl Nr 194/1961, idF BGBl I Nr 76/2011 war verfassungswidrig.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2020 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Die Bundeskanzlerin ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E4256/2018 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Beschwerdeführer war im Jahr 2005 als atypisch stiller Gesellschafter an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, für die ein Feststellungsbescheid nach §188 BAO für das Jahr 2005 (Grundlagenbescheid) am 9. November 2006 erlassen wurde. Unter Berücksichtigung dieses Grundlagenbescheides wurde die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2005 mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 (abgeleiteter Bescheid) festgesetzt.

Nach einer Außenprüfung bei der Mitunternehmerschaft erging am 11. Oktober 2011 eine als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation, woraufhin gemäß §295 Abs1 BAO am 17. Oktober 2011 ein berichtigter Einkommensteuerbescheid 2005 erlassen wurde. Das gegen die als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation eingebrachte Rechtsmittel wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 23. April 2014 zurückgewiesen, da diese Erledigung des Finanzamtes auf Grund einer mangelhaften Adressierung als "Nichtbescheid" anzusehen sei. Daraufhin erließ das Finanzamt am 27. Oktober 2014 einen betragsmäßig gleichlautenden Grundlagenbescheid, gegen den Beschwerde erhoben wurde.

Am 14. November 2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 17. Oktober 2011 gemäß §295 Abs4 BAO, da dieser auf einem "Nichtbescheid" basiere.

Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 wies das Finanzamt Graz-Stadt diesen Antrag zurück, da die Eingabe nicht fristgerecht erfolgt sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom 6. September 2018 als unbegründet ab. Die Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid vom 27. Oktober 2014 war im Zeitpunkt der Fällung dieses Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes noch vor dem Bundesfinanzgericht anhängig.

Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, dass die Verjährungsfrist der Einkommensteuer 2005 mit 31. Dezember 2005 zu laufen begonnen habe. Während der laufenden fünfjährigen Verjährungsfrist sei ein Einkommensteuerbescheid erlassen worden, weshalb sich die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert habe. Am 17. Oktober 2011 (somit im "Verlängerungsjahr") sei gemäß §295 Abs1 BAO ein berichtigter Einkommensteuerbescheid ergangen. Dagegen sei weder Berufung erhoben worden, noch seien seitens des Finanzamtes weitere nach außen erkennbare (verjährungsfristverlängernde) Amtshandlungen gesetzt worden. In Bezug auf die Einkommensteuer 2005 sei daher am 31. Dezember 2012 Verjährung eingetreten. Der Antrag nach §295 Abs4 BAO sei am 14. November 2014, somit nach Eintritt der Verjährung, eingebracht worden. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages sei daher als unbegründet abzuweisen.

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer die zur Zahl E4256/2018 protokollierte, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Satzes "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 70/2013 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 13. Juni 2019 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3.1. §295 Abs4 letzter Satz BAO sieht im abgabenrechtlichen System von Grundlagen- und abgeleiteten Bescheiden für die Aufhebung 'abgeleiteter' Bescheide, die im Gefolge einer als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation ergehen, zeitliche Beschränkungen vor:

3.1.1. §295 Abs1 BAO regelt, dass im Fall einer Änderung oder des Wegfalls des Grundlagenbescheides der nachfolgende (abgeleitete) Bescheid entsprechend zu ändern oder aufzuheben ist. Nach §295 Abs1 letzter Satz BAO kann mit der Abänderung oder Aufhebung gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

Erfolgt eine Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens und ergeht ein geänderter Grundlagenbescheid, ist der auf Basis des ursprünglichen Grundlagenbescheides erlassene abgeleitete Bescheid an den geänderten Grundlagenbescheid anzupassen. Wird gegen den im Zuge des Wiederaufnahmsverfahrens geänderten Grundlagenbescheid Beschwerde erhoben, so kann die Abgabenbehörde die Anpassung des abgeleiteten Bescheides dennoch vornehmen oder aber bis zum Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheides zuwarten.

3.1.2. Erweist sich in dem gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation gerichteten Beschwerdeverfahren, dass diese nach Form und Inhalt kein Bescheid ist und daher die Beschwerde zurückzuweisen ist, kann bei langer Dauer des Beschwerdeverfahrens der Fall eintreten, dass ein unmittelbar nach Ergehen der als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation an diese angepasster Bescheid – so gegen den 'abgeleiteten' Bescheid keine Beschwerde erhoben worden ist – bereits in Rechtskraft erwachsen ist, obgleich er ohne Grundlagenbescheid ergangen ist.

3.1.3. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass für diesen Fall eines nach Ergehen einer als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation erlassenen 'abgeleiteten' Bescheides §295 Abs1 BAO keine Handhabe bietet, den rechtswidrig ergangenen (weil nicht von einem Grundlagenbescheid abgeleiteten) Bescheid nach Eintritt der Rechtskraft aufzuheben.

3.1.4. Der Verfassungsgerichtshof geht weiters vorläufig davon aus, dass bis zur Einführung der Regelung des §295 Abs4 BAO durch BGBl I 76/2011 im Fall einer eingetretenen Rechtskraft des 'abgeleiteten' Bescheides der Abgabepflichtige die Aufhebung dieses Bescheides im Rahmen eines Antrages auf Wiederaufnahme geltend machen konnte, wobei dieser nach der im Zeitpunkt der Einführung des §295 Abs4 BAO geltenden Fassung des §304 BAO, BGBl I 57/2004 auch nach Eintritt der Verjährung zulässig war, wenn der Antrag vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides gestellt wurde. Hiebei bestand allerdings für den Abgabepflichtigen das Risiko, mit dem – innerhalb der Frist des §304 BAO gestellten – Antrag wegen groben Verschuldens infolge von Anfang an ausreichender Erkennbarkeit des Fehlens der Bescheidqualität nicht durchzudringen, weshalb es angezeigt sein konnte, gegen den 'abgeleiteten' Bescheid Rechtsmittel zu erheben (vgl auch VwGH 21.12.2016, Ro 2015/13/0005).

3.1.5. Mit BGBl I 76/2011 wurde in §295 BAO ein Absatz 4 eingeführt, der bestimmt, dass auf Antrag der Partei Änderungsbescheide aufzuheben sind, die auf Grundlage eines 'Dokumentes' erlassen wurden, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides nach §188 BAO aufweist, für das sich aber im Zuge des Beschwerdeverfahrens herausstellt, dass das 'Dokument kein Bescheid ist' (vgl §295 Abs4 erster Satz BAO). Nach §295 Abs4 letzter Satz BAO ist dieser Antrag vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 BAO maßgeblichen Frist zu stellen.

3.1.6. Der Gesetzgeber begründet diese, mit BGBl I 76/2011 eingeführte Regelung wie folgt (RV 1212 BlgNR 24. GP , 30 f):

'Stellt sich erst im Laufe eines Berufungsverfahrens (oder eines VwGH-Beschwerdeverfahrens) heraus, dass eine als Feststellungsbescheid (Feststellung von Einkünften nach §188 BAO) intendierte Erledigung ein absolut nichtiger Verwaltungsakt (ein 'Nichtbescheid') ist, aber von der rechtlichen Existenz eines Feststellungsbescheides ausgehende Änderungsbescheide (§295 Abs1 BAO) erlassen und formell rechtskräftig wurden, so erscheint ein Antragsrecht auf Beseitigung solcher zu Unrecht von den Tatbestandsvoraussetzungen für ihre Erlassung ausgehender (rechtswidriger) Bescheide zweckmäßig.

Ein solches Antragsrecht dient der Vermeidung aufwendiger Verwaltungsverfahren, sowohl für die Abgabenbehörden (erster und zweiter Instanz) als auch für die Abgabepflichtigen, und dient daher der Vermeidung von Kosten für die Verwaltung und für die Abgabepflichtigen. Ein derartiger (vermeidbarer) Mehraufwand würde insbesondere durch aufwendige, die Einkommensteuer- bzw Körperschaftsteuerverfahren betreffende Wiederaufnahmsverfahren (vor allem bei Wiederaufnahmsanträgen die Prüfung des der Bewilligung allenfalls entgegenstehenden groben Verschuldens des Wiederaufnahmswerbers) entstehen.

Weiters soll die Möglichkeit antragsgemäßer Aufhebung rechtswidriger, zu Unrecht auf §295 Abs1 BAO gestützter Bescheide vorsorglich eingebrachte Berufungen gegen solche Änderungsbescheide vermeiden; solche Berufungen werden bereits derzeit gegen Änderungsbescheide eingebracht mit der bloßen (sicherheitshalber vorgebrachten) Behauptung, es lägen ihnen 'Nichtbescheide' zugrunde (etwa als Folge fehlerhafter Adressierungen, mangelnder tatsächlicher Zustellung, fehlenden Hinweises auf die Zustellfiktion des §101 Abs3 BAO oder keine Zustellung an die nach §81 BAO vertretungsbefugte Person). Die Erledigung solcher Berufungen setzt Ermittlungen des für die Erhebung der betroffenen Einkommensteuer (bzw Körperschaftsteuer) zuständigen Finanzamtes voraus. Ein derartiger Verwaltungsaufwand würde nicht anfallen, wenn dem Abgabepflichtigen bekannt ist, dass er den auf §295 Abs1 BAO gestützten Bescheid für den Fall, dass sich nachträglich im die Feststellung der Einkünfte betreffenden Berufungsverfahren herausstellt, dass sich die Berufung gegen einen absolut nichtigen Verwaltungsakt richtet, auf Antrag aufheben lassen kann.'

3.1.7. Mit der Einführung des §295 Abs4 BAO durch BGBl I 76/2011 wurde sohin neben der Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag ein vereinfachtes Verfahren für jene Fälle geschaffen, in denen 'abgeleitete' Abgabenbescheide auf als Feststellungsbescheiden intendierten Enunziationen beruhen und in Rechtskraft erwachsen, wobei sich aus dem letzten Satz der Regelung ergibt, dass die für die Wiederaufnahme des Verfahrens geltende zeitliche Begrenzung auch für Anträge gemäß §295 Abs4 BAO gelten soll.

3.1.8. Aus §304 BAO in der für den Anlassfall maßgebenden Fassung BGBl I 14/2013 ergibt sich, dass ein Antrag nach §295 Abs4 BAO nur dann die Aufhebung eines in Rechtskraft erwachsenen 'abgeleiteten' Abgabenbescheides zu bewirken vermag, wenn der Antrag vor Eintritt der Verjährung der dem Bescheid zugrunde liegenden Abgabe gestellt wird. Dies dürfte faktisch voraussetzen, dass die Tatsache des Vorliegens eines Nichtbescheides vor Eintritt der Verjährung des Abgabenanspruches, der dem 'abgeleiteten' Bescheid zugrunde liegt, hervorkommt. Gerade in Fällen, in denen ein in Rechtskraft erwachsener Feststellungsbescheid nach Wiederaufnahme des Verfahrens abgeändert werden soll, kann somit – auch wegen eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens, in dem die Rechtmäßigkeit der im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Erledigung überprüft wird – der Fall eintreten, dass erst nach Eintritt der Verjährung der dem 'abgeleiteten' Bescheid zugrunde liegenden Abgabe feststeht, dass die Enunziation kein Bescheid ist.

3.2. Vor diesem Hintergrund scheint Abs4 letzter Satz leg.cit. in mehrfacher Hinsicht gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen:

3.2.1. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

3.2.2. Der Gerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Rechtzeitigkeit eines Antrages gemäß §295 Abs4 BAO nach dem letzten Satz dieser Bestimmung davon abhängen dürfte, ob das Verfahren betreffend die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation vor Eintritt der Verjährung der dem 'abgeleiteten' Bescheid zugrunde liegenden Abgabe abgeschlossen werden konnte.

Damit dürften aber gegen den letzten Satz des §295 Abs4 BAO jene Bedenken bestehen, die den Gerichtshof mit dem Erkenntnis VfSlg 20.218/2017 zur Aufhebung des §304 BAO idF BGBl I 14/2013 veranlasst haben. In diesem Erkenntnis hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich das Anknüpfen an eine Verjährungsfrist von grundsätzlich drei bzw fünf Jahren deshalb als unsachlich erweist, weil damit die Möglichkeit einer Wiederaufnahme bei Ergreifung eines Rechtsmittels in vielen Fällen faktisch ausgeschlossen ist, die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des verwaltungsbehördlichen Verfahrens ihre Bedeutung für den Betroffenen aber gerade nach Abschluss eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens entfaltet.

Vergleichbaren Bedenken begegnet die Anknüpfung des Antrages gemäß §295 Abs4 BAO an die nach §304 BAO maßgebliche Frist. Damit dürfte nämlich bei Ergreifung eines Rechtsmittels gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation in vielen Fällen ein Antrag gemäß §295 Abs4 BAO hinsichtlich des 'abgeleiteten' Abgabenbescheides faktisch ausgeschlossen sein, obgleich die Möglichkeit eines solchen Antrages ihre Bedeutung erst nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangt.

3.2.3. Ferner dürfte die Konsequenz, dass ein 'abgeleiteter' Abgabenbescheid in Rechtskraft erwächst, nur dann eintreten, wenn die Abgabenbehörde mit der Erlassung des 'abgeleiteten' Bescheides nach Ergehen der als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation nicht zugewartet haben sollte. Wartet sie hingegen – wie in §295 Abs1 letzter Satz BAO als Möglichkeit vorgesehen – mit der Erlassung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Grundlagenbescheides zu, ist die Erlassung eines geänderten abgeleiteten Bescheides jedenfalls ausgeschlossen, wenn hervorkommen sollte, dass die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation kein Bescheid ist.

Es dürfte aber dem Gleichheitssatz widersprechen, den Abgabepflichtigen in Fällen, in denen die Abgabenbehörde mit der Erlassung des 'abgeleiteten' Abgabenbescheides nicht zuwartet und die Tatsache des Vorliegens eines Nichtbescheides erst nach Eintritt der Verjährung hervorkommt, mit den Folgen eines unmittelbar nach Ergehen der als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation erlassenen 'abgeleiteten' Abgabenbescheides zu belasten, wenn diese Konsequenz nicht eingetreten wäre, hätte die Abgabenbehörde mit der Erlassung des abgeleiteten Bescheides bis zum Eintritt der Rechtskraft des Grundlagenbescheides zugewartet.

3.2.4. Diesen Bedenken dürfte auch nicht entgegenstehen, dass ein Grundlagenbescheid selbst nach Ergehen eines Abgabenbescheides erlassen werden kann (vgl dazu VfSlg 7144/1973). Auch wenn ein solcher nach Ergehen des 'abgeleiteten' Bescheides wirksam erlassener Grundlagenbescheid betragsgleich an die Stelle einer Enunziation treten sollte, die nicht als Bescheid zu qualifizieren war, wäre nach der vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen, dass es mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar wäre, in solchen Fällen einen Antrag auf Aufhebung des 'abgeleiteten' Bescheides generell oder auch nach Eintritt der Verjährung auszuschließen. Ein 'abgeleiteter' Abgabenbescheid, der gleichsam ex post durch einen nachträglich ergangenen Grundlagenbescheid 'bestätigt' würde, wäre nämlich ungeachtet dessen als rechtswidrig zu beurteilen, dürfte dieser 'abgeleitete' Bescheid doch ohne Rechtsgrundlage in die Rechtskraft des dem 'abgeleiteten' Bescheid vorausgehenden Abgabenbescheides eingreifen (vgl auch VwGH 24.9.2014, 2011/13/0061)."

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, das Verfahren einzustellen, in eventu auszusprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird, sowie für den Fall der Aufhebung beantragt, für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten zu bestimmen. Den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken tritt sie wie folgt entgegen (Hervorhebungen im Original):

"III. Zum Prüfungsumfang:

1. Der in Prüfung gezogene letzte Satz des §295 Abs4 BAO sieht eine Befristung des Parteiantrags auf Aufhebung eines (rechtskräftigen) 'abgeleiteten' Bescheides, der auf einer als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation beruht, vor und verweist bezüglich der Antragstellung dynamisch auf die für Wiederaufnahmsanträge nach §304 BAO maßgebliche Frist.

Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken richten sich nach Auffassung der Bundesregierung nicht gegen die Befristung des Antrags nach §295 Abs4 BAO an sich, sondern gründen sich vielmehr auf die im Anlassfall (noch) anzuwendende Fassung des §304 BAO (BGBl I Nr 14/2013), welche an die Verjährungsfristen des §207 BAO anknüpft, bzw den in §295 Abs4 letzter Satz BAO enthaltenen Verweis auf diese Norm.

Es mag zwar stimmen, dass in solchen Fällen grundsätzlich mit der Aufhebung der verweisenden Norm vorzugehen ist, um die Bedeutung der verwiesenen Norm in ihrem unmittelbaren Sachzusammenhang unangetastet zu lassen (VfSlg 18.033/2006), doch ist (bzw war) im konkreten Fall der Sitz der im Prüfungsbeschluss dargelegten Verfassungswidrigkeit nach Ansicht der Bundesregierung ausschließlich in der Bestimmung des §304 BAO in der Fassung BGBl I Nr 14/2013 gelegen und nicht in der verweisenden Norm des §295 Abs4 letzter Satz BAO. Da die verwiesene Norm des §304 BAO in der Fassung BGBl I Nr 14/2013 vom Verfassungsgerichtshof bereits als verfassungswidrig aufgehoben wurde (VfSlg 20.218/2017) und sohin nach Auffassung der Bundesregierung die im gegenständlichen Prüfungsbeschluss dargetane Verfassungswidrigkeit bereits beseitigt wurde, stellt die Bundesregierung zur Erwägung, dass die (darüberhinausgehende) Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §295 Abs4 letzter Satz BAO sich als überschießend erweisen könnte.

Die Bundesregierung übersieht dabei nicht, dass durch ein Verbleiben der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §295 Abs4 letzter Satz BAO im Rechtsbestand im konkreten Anlassfall kein der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes entsprechendes Ergebnis erzielt werden kann; dies vermag aber nach Ansicht der Bundesregierung nichts daran zu ändern, dass den im Prüfungsbeschluss dargetanen Bedenken durch die Aufhebung der verwiesenen Norm – nämlich jener des §304 BAO in der Fassung BGBl I Nr 14/2013 – bereits Rechnung getragen wurde. Die Bundesregierung weist diesbezüglich darauf hin, dass die Möglichkeit bestanden hätte, in der betreffenden aufhebenden Entscheidung gemäß Art140 Abs7 B‑VG die Wirkung der Aufhebung des §304 BAO in der Fassung BGBl I Nr 14/2013 über den damaligen Anlassfall hinaus zu erstrecken.

Die Bundesregierung stellt darüber hinaus zur Erwägung, dass es mit den vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss geltend gemachten Bedenken nicht unvereinbar zu sein scheint, den in Anfechtung gezogenen letzten Satz des §295 Abs4 BAO nach einer allfälligen Aufhebung mit einem gleichlautenden Wortlaut neu zu erlassen.

2. Weiters gibt die Bundesregierung zu bedenken, dass – ungeachtet einer allfälligen Aufhebung des §295 Abs4 letzter Satz BAO – die Frist gemäß §302 Abs1 BAO, wonach die Aufhebung von Bescheiden grundsätzlich nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig ist, weiterhin bestehen würde. Mangels einer entsprechenden Sonderregelung würde sohin eine Aufhebung gemäß §295 Abs4 BAO aufgrund der Anordnung des §302 Abs1 BAO (weiterhin) nur innerhalb der Verjährungsfrist zulässig sein. Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wären sohin auch durch eine allfällige Aufhebung des §295 Abs4 letzter Satz BAO nach Ansicht der Bundesregierung nicht beseitigt und es wäre für den Ausgang des konkreten Anlassfalls nichts gewonnen.

3. Zusammengefasst vertritt die Bundesregierung daher die Ansicht, dass das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen ist.

IV. In der Sache:

1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist (vgl ua VfSlg 19.532/2011) und ausschließlich beurteilt, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung aus den in der Begründung des Einleitungsbeschlusses dargelegten Gründen verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Einleitungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2. Der Verfassungsgerichtshof führt in seinem Prüfungsbeschluss aus, durch die Anknüpfung des Antrags gemäß §295 Abs4 letzter Satz BAO an die nach §304 BAO maßgebliche Frist sei in vielen Fällen ein derartiger Antrag '[…] bei Ergreifung eines Rechtsmittels gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation [...] faktisch ausgeschlossen […], obgleich die Möglichkeit eines solchen Antrages ihre Bedeutung erst nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangt.' Die Rechtzeitigkeit eines Antrages gemäß §295 Abs4 letzter Satz BAO hänge nach der im Anlassfall anzuwendenden – aber seit 1. Jänner 2019 nicht mehr aktuellen – Rechtslage sohin davon ab, ob das Verfahren betreffend die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation vor Eintritt der Verjährung der dem 'abgeleiteten' Bescheid zu Grunde liegenden Abgabe abgeschlossen werden konnte.

Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass der Verfassungsgerichtshof vor Inkrafttreten des §295 Abs4 BAO die Behandlung einer Beschwerde im Zusammenhang mit einer als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation abgelehnt hat, weil er nicht erkennen konnte, '[…] dass das [...] anzuwendende Rechtsschutzinstrumentarium der BAO verfassungsrechtlich bedenkliche Lücken enthielte.' (vgl VfGH 23.2.2010, B1466/09). Da sohin das gänzliche Fehlen einer entsprechenden Antragsmöglichkeit nach der dargestellten Judikatur keine Verfassungswidrigkeit bewirkt hat, vermag die Befristung des seit dem Abgabenänderungsgesetz 2011 in §295 Abs4 BAO normierten Antragsrechts nach Auffassung der Bundesregierung auch keine solche zu bewirken.

3. Zur Befristung von Anträgen nach §295 Abs4 BAO im Allgemeinen ist auszuführen, dass wenn der Gesetzgeber auf der einen Seite mit der Bestimmung des §295 Abs4 BAO die Durchbrechung der Rechtskraft zum Zweck der Steigerung der Rechtsrichtigkeit behördlicher Entscheidungen normiert, dieser Rechtskraftdurchbrechung jedoch andererseits Schranken in Gestalt der Wiederaufnahmefrist setzt, es sich um einen Ausgleich von Rechtsrichtigkeit und Rechtsbeständigkeit, wie er jedem Verfahrensrecht immanent ist, handelt. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden könne, '[…] wenn er das Recht zur Antragstellung zur Aufhebung in Rechtskraft erwachsener Bescheide mit Hinweis auf §304 BAO in einer der verfassungskonformen Auslegung zugänglichen Weise befristet' (vgl VfGH 18.9.2014, E1159/2014, VwGH 21.12.2016, Ro 2015/13/0005).

Dem zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes lag §304 BAO in der Fassung BGBl I Nr 57/2004 zu Grunde. §304 litb BAO in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2018 entspricht von der Grundkonzeption her der Regelung des §304 litb BAO in der Fassung BGBl I Nr 57/2004. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu §295 Abs4 iVm. §304 litb BAO in der Fassung BGBl I Nr 57/2004 vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die gegenwärtige Rechtslage jedenfalls als verfassungskonform zu beurteilen ist.

4. Darüber hinaus ist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wie auch des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach es den jeweiligen Abgabepflichtigen freistehe, die 'abgeleiteten' Bescheide mangels Bescheidqualität der ihnen bekannten Erledigungen, auf die sich diese gründen, mit Beschwerde zu bekämpfen (vgl ua VfGH 9.6.2016, E908/2015; VwGH 21.12.2016, Ro 2015/13/0005). Wird gegen einen solcherart 'abgeleiteten' Bescheid kein Rechtsmittel erhoben, so lässt der Abgabepflichtige '[…] für den Fall einer späteren Zurückweisung der Rechtsmittel gegen die als Grundlagenbescheide herangezogenen Erledigungen das Erfordernis einer Rechtskraftdurchbrechung entstehen. Dass der Gesetzgeber in §295 Abs4 BAO in der Folge ein für den Fall des Vorliegens einer Zurückweisung vereinfachtes, aber ebenfalls an die Bedingungen des §304 BAO geknüpftes Verfahren zur Aufhebung von einem Nichtbescheid abgeleiteter Bescheide einführte, bedeutete lediglich eine zeitliche Begrenzung der solcherart möglichen alternativen Geltendmachung der fehlenden Bescheidqualität des Grundlagenbescheides.' (vgl VwGH 1.6.2017, Ra 2015/15/0031).

Auch im konkreten Anlassfall wäre es dem Beschwerdeführer sohin freigestanden, Beschwerde gegen den (berichtigten) Einkommensteuerbescheid 2005 vom 17. Oktober 2011 mit dem Vorbringen, dass es dem Grundlagenbescheid vom 11. Oktober 2011 an Bescheidqualität mangle, zu erheben.

5. Der Verfassungsgerichtshof äußert in seinem Prüfungsbeschluss zudem gleichheitsrechtliche Bedenken dahingehend, dass die Unanfechtbarkeit eines 'abgeleiteten' Bescheides infolge Eintritts der Rechtskraft insofern vom Willen der Abgabenbehörde abhängig sei, als diese nur dann eintrete, wenn die Abgabenbehörde mit der Erlassung des 'abgeleiteten' Bescheides nicht zugewartet habe, was aber gemäß §295 Abs1 letzter Satz BAO als Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen sei.

Auch diesbezüglich ist auf die dem Abgabepflichtigen eingeräumte Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde gegen den auf einem Nichtbescheid beruhenden 'abgeleiteten' Bescheid hinzuweisen, womit sich das Erfordernis einer Rechtskraftdurchbrechung im Falle der späteren Zurückweisung eines Rechtsmittels gegen die als Grundlagenbescheid intendierte[…] Enunziation nicht ergibt.

6. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass der in Prüfung gezogene letzte Satz des §295 Abs4 BAO nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

5. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes anschließt, weitere Bedenken vorbringt und den Antrag stellt, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass der Bund ihr die im Gesetzesprüfungsverfahren entstandenen Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen habe.

6. Darüber hinaus ist beim Verfassungsgerichtshof ein zu G226/2019 protokollierter, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützter Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des letzten Satzes des §295 Abs4 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 76/2011 anhängig.

6.1. Dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 29. Juni 2017 zugrunde, mit dem die Beschwerde gegen eine Zurückweisung eines – mit Eingabe vom 10. Dezember 2012 gestellten – Antrages nach §295 Abs4 BAO und eines Antrages nach §303 BAO, beide betreffend den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999, als unbegründet abgewiesen wurde, da die Anträge nach Ablauf der Frist des §304 BAO idF BGBl I 57/2004 gestellt worden seien.

6.2. Der Verwaltungsgerichtshof legt seine Bedenken wie folgt dar:

"Die vom Verfassungsgerichtshof im Beschluss vom 13. Juni 2019, E4256/2018-12, unter Pkt. III geäußerten Bedenken sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die im Revisionsfall geltende Rechtslage [§295 Abs4 BAO idF BGBl I 76/2011; §304 BAO idF BGBl 57/2004] übertragbar, auch wenn die zeitliche Beschränkung für die Antragstellung nach §295 Abs4 BAO durch das Abstellen auf die Frist für die Wiederaufnahme in §304 BAO aufgrund der unterschiedlichen Regelungen des §304 BAO in der oben zitierten und in der dem Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes zugrundeliegenden Fassung, falls diese im Revisionsfall nicht anzuwenden ist, eine andere ist.

Durch die zeitliche Beschränkung des Antragsrechts nach §295 Abs4 letzter Satz BAO kann es auch nach der im Revisionsfall geltenden Rechtslage in Fällen, in denen ein in Rechtskraft erwachsener Grundlagenbescheid nach Wiederaufnahme des Verfahrens abgeändert werden soll (insbesondere wegen eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens, in dem die Rechtmäßigkeit der im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Erledigung überprüft wird), dazu kommen, dass erst nach Ablauf der Frist für die Wiederaufnahme des davon abgeleiteten Bescheids nach §304 BAO und damit nach Ablauf der Frist für die Antragstellung nach §295 Abs4 BAO feststeht, dass die abändernde Enunziation im Feststellungsverfahren kein Bescheid ist. In diesem Fall wäre ein Antrag gemäß §295 Abs4 BAO ausgeschlossen, obwohl die Möglichkeit eines solchen Antrags ihre Bedeutung erst nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens gegen die als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangt.

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich auch dem vom Verfassungsgerichtshof geäußerten weiteren Bedenken an, wonach es dem Gleichheitssatz widersprechen dürfte, den Abgabepflichtigen in Fällen, in denen die Abgabenbehörde nicht von der in §295 Abs1 letzter Satz BAO normierten Möglichkeit Gebrauch macht, mit der Erlassung des abgeleiteten Bescheids bis zum Eintritt der Rechtskraft des Grundlagenbescheids zuzuwarten, und die Tatsache des Vorliegens eines Nichtbescheids erst nach Ablauf der Frist für die Wiederaufnahme hervorkommt, mit den Folgen eines – unmittelbar nach Ergehen der als Grundlagenbescheid intendierten Enunziation erlassenen – abgeleiteten Abgabenbescheids zu belasten, wenn diese Konsequenz nicht eingetreten wäre, hätte die Abgabenbehörde mit der Erlassung des abgeleiteten Bescheids bis zum Eintritt der Rechtskraft der als Grundlagenbescheid intendierten Erledigung zugewartet."

6.3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"Hinsichtlich der Argumente, die aus Sicht der Bundesregierung dafür sprechen, dass der in Prüfung gezogene letzte Satz des §295 Abs4 der Bundesabgabenordnung (BAO) nicht verfassungswidrig ist, wird auf die in Kopie angeschlossene Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G159/2019, GZ BMVRDJ-603.518/0003-V/2019, verwiesen. Es wird insbesondere darauf hingewiesen, dass auch in dem beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Anlassverfahren, ungeachtet einer allfälligen Aufhebung des §295 Abs4 letzter Satz BAO, die Frist gemäß §302 Abs1 BAO, wonach die Aufhebung von Bescheiden grundsätzlich nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig ist, weiterhin bestehen würde. Für den Ausgang des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahrens wäre daher nichts gewonnen. Die Norm, auf die sich der Verweis in der angefochtenen Bestimmung bezieht, unterscheidet sich im Verfahren G159/2019 (§304 BAO idF BGBl I Nr 14/2013) vom nunmehrigen Verfahren (§304 BAO idF BGBl I Nr 57/2004). Indes bestehen aus der Sicht der Bundesregierung gegen die Bestimmung nunmehr noch weniger Bedenken hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit, weil zusätzlich zur Frist, die auf die Verjährung abstellt, eine Frist, die auf den Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides abstellt, zur Auswahl steht."

6.4. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt und weitere Bedenken vorbringt.

7. Außerdem ist beim Verfassungsgerichtshof ein zu G248/2019 protokollierter, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützter Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des letzten Satzes des §295 Abs4 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 70/2013 anhängig.

7.1. Dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 6. September 2018 zugrunde, mit dem die Beschwerde gegen eine Zurückweisung eines – mit Eingabe vom 9. Dezember 2014 gestellten – Antrages nach §295 Abs4 BAO betreffend den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 als unbegründet abgewiesen wurde, da der Antrag erst nach Eintritt der Verjährung gestellt worden sei.

7.2. In seinem Antrag schließt sich der Verwaltungsgerichtshof den im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Juni 2019, E4256/2018, geäußerten Bedenken an.

7.3. Die Bundesregierung verweist auf ihre zu G159/2019 sowie zu G226/2019 erstatteten Äußerungen.

7.4. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

1. §295 Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl I 76/2011 lautet:

"§295. (1) Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

(2) Ist ein Bescheid von einem Abgaben‑, Meß‑, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid abzuleiten, so gilt Abs1 sinngemäß.

(3) Ein Bescheid ist ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Mit der Änderung oder Aufhebung des Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des anderen Bescheides oder der nachträglich erlassene andere Bescheid rechtskräftig geworden ist.

(4) Wird eine Berufung, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines

- Feststellungsbescheides (§188) oder eines

- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs1) auf Antrag der Partei (§78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen."

2. §295 BAO idF BGBl I 70/2013 lautet:

"§295. (1) Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

(2) Ist ein Bescheid von einem Abgaben‑, Meß‑, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid abzuleiten, so gilt Abs1 sinngemäß.

(3) Ein Bescheid ist ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Mit der Änderung oder Aufhebung des Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des anderen Bescheides oder der nachträglich erlassene andere Bescheid rechtskräftig geworden ist.

(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines

- Feststellungsbescheides (§188) oder eines

- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs1) auf Antrag der Partei (§78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen.

(5) Die Entscheidung über Aufhebungen und Änderungen nach den Abs1 bis 3 steht der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des aufzuhebenden bzw zu ändernden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§284 Abs3) zuständig gewesen wäre. Ist die diesbezügliche Zuständigkeit auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen, so steht die Entscheidung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu."

3. §304 BAO idF BGBl I 57/2004 lautet:

"§304. Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein

a) innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§207 bis 209 Abs2) von sieben Jahren zulässig wäre, oder

b) vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides

eingebrachter Antrag gemäß §303 Abs1 zugrunde liegt."

4. §304 BAO idF BGBl I 14/2013 lautet:

"§304. Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht ist."

5. §207 BAO idF BGBl I 13/2014 lautet:

"E. Verjährung.

§207. (1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.

(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß §17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und §24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. Das Recht, einen Verspätungszuschlag, Anspruchszinsen, Säumniszuschläge oder Abgabenerhöhungen festzusetzen, verjährt gleichzeitig mit dem Recht auf Festsetzung der Abgabe.

(3) Das Recht zur Verhängung von Zwangs‑, Ordnungs- und Mutwillensstrafen sowie zur Anforderung von Kostenersätzen im Abgabenverfahren verjährt in einem Jahr.

(4) Das Recht, den Ersatz zu Unrecht geleisteter oder die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, sowie das Recht auf Rückforderung zu Unrecht zuerkannter Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen von Abgaben verjährt in fünf Jahren. Abs2 zweiter Satz gilt sinngemäß.

(5) Abs2 zweiter Satz gilt sinngemäß für Abgaben, deren vorsätzliche Verkürzung nicht in den Anwendungsbereich des Finanzstrafgesetzes fällt."

6. §208 BAO idF BGBl I 112/2012 lautet:

"§208. (1) Die Verjährung beginnt

a) in den Fällen des §207 Abs2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, soweit nicht im Abs2 ein anderer Zeitpunkt bestimmt wird;

b) in den Fällen des §207 Abs3 mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Voraussetzung für die Verhängung der genannten Strafen oder für die Anforderung der Kostenersätze entstanden ist;

c) in den Fällen des §207 Abs4 mit dem Ablauf des Jahres, in dem die rückzufordernden Beihilfen, Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen geleistet wurden;

d) in den Fällen des §200 mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewißheit beseitigt wurde;

e) in den Fällen des Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses im Sinn des §295a mit Ablauf des Jahres, in dem das Ereignis eingetreten ist.

(2) Bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer unterliegenden Erwerben von Todes wegen oder Zweckzuwendungen von Todes wegen beginnt die Verjährung frühestens mit Ablauf des Jahres, in dem die Abgabenbehörde vom Erwerb oder von der Zweckzuwendung Kenntnis erlangt."

7. §209 BAO idF BGBl I 105/2010 lautet:

"§209. (1) Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§77) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist. Verfolgungshandlungen (§14 Abs3 FinStrG, §32 Abs2 VStG) gelten als solche Amtshandlungen.

(2) Die Verjährung ist gehemmt, solange die Geltendmachung des Anspruches innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht möglich ist.

(3) Das Recht auf Festsetzung einer Abgabe verjährt spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (§4). In den Fällen eines Erwerbes von Todes wegen oder einer Zweckzuwendung von Todes wegen verjährt das Recht auf Festsetzung der Erbschafts- und Schenkungssteuer jedoch spätestens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der Anzeige.

(4) Abweichend von Abs3 verjährt das Recht, eine gemäß §200 Abs1 vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinn des §200 Abs1 durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches."

8. §209a BAO idF BGBl I 117/2016 lautet:

"§209a. (1) Einer Abgabenfestsetzung, die in einer Beschwerdevorentscheidung oder in einem Erkenntnis zu erfolgen hat, steht der Eintritt der Verjährung nicht entgegen.

(2) Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Beschwerde oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§85) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Beschwerde oder der Antrag vor diesem Zeitpunkt, wenn ein Antrag auf Aufhebung gemäß §299 Abs1 vor Ablauf der Jahresfrist des §302 Abs1 oder wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens rechtzeitig im Sinn des §304 eingebracht wurde.

(3) Sofern nicht Abs1 oder 2 anzuwenden ist, darf in einem an die Stelle eines früheren Bescheides tretenden Abgabenbescheid, soweit für einen Teil der festzusetzenden Abgabe bereits Verjährung eingetreten ist, vom früheren Bescheid nicht abgewichen werden.

(4) Abgabenerklärungen gelten als Anträge im Sinn des Abs2, wenn die nach Eintritt der Verjährung vorzunehmende Abgabenfestsetzung zu einer Gutschrift führen würde.

(5) Soweit die Verjährung der Festsetzung einer Abgabe in einem Erkenntnis (§279) nicht entgegenstehen würde, steht sie auch nicht der Abgabenfestsetzung in dem Bescheid der Abgabenbehörde entgegen, der den gemäß §278 oder §300 aufgehobenen Bescheid ersetzt, wenn dieser Bescheid binnen einem Jahr ab Bekanntgabe (§97) des aufhebenden Beschlusses bzw innerhalb der Frist des §300 Abs1 litb ergeht.

(6) Wird eine Bescheidbeschwerde oder ein Vorlageantrag nach Eintritt der Verjährung gemäß §209 Abs3 erster Satz zurückgenommen, so steht der Eintritt der Verjährung der Festsetzung einer Abgabe, soweit sie hinterzogen ist, nicht entgegen, wenn diese Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Zurücknahme der Bescheidbeschwerde oder des Vorlageantrages erfolgt."

9. §252 BAO idF BGBl I 14/2013 lautet:

"§252. (1) Liegen einem Bescheid Entscheidungen zugrunde, die in einem Feststellungsbescheid getroffen worden sind, so kann der Bescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind.

(2) Liegen einem Bescheid Entscheidungen zugrunde, die in einem Abgaben‑, Mess‑, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid getroffen worden sind, so gilt Abs1 sinngemäß.

(3) Ist ein Bescheid gemäß §295 Abs3 geändert oder aufgehoben worden, so kann der ändernde oder aufhebende Bescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, dass die in dem zur Änderung oder Aufhebung Anlass gebenden Bescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind."

10. §302 BAO idF BGBl I 14/2013 lautet:

"§302. (1) Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden sind, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß §299 jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§97) des Bescheides zulässig.

(2) Darüber hinaus sind zulässig:

a) Berichtigungen nach §293 innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft des zu berichtigenden Bescheides oder wenn der Antrag auf Berichtigung innerhalb dieses Jahres eingebracht ist, auch nach Ablauf dieses Jahres;

b) Aufhebungen nach §299 auch dann, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der sich aus Abs1 ergebenden Jahresfrist eingebracht ist."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Verfahren

1.1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe.

1.2. Nach Auffassung der Bundesregierung sei das zu G159/2019 eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, da sich die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes in seinem Prüfungsbeschluss auf jene Fassung des §304 BAO bezogen hätten, die der Verfassungsgerichtshof mit VfSlg 20.218/2017 aufgehoben hat, und zudem wegen der Frist des §302 Abs1 BAO die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken durch eine allfällige Aufhebung des §295 Abs4 letzter Satz BAO nicht beseitigt wären.

1.3. Diesen Ausführungen ist aus nachstehenden Gründen nicht zu folgen:

1.3.1. Wenn die Bundesregierung in ihrer erstatteten Äußerung die Auffassung vertritt, dass sich die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken nicht gegen die Befristung des Antrages an sich richteten, sondern auf die im Anlassfall (noch) anzuwendende Fassung des §304 BAO idF BGBl I 14/2013 bezogen seien, welche an die Verjährungsfristen des §207 BAO anknüpfe, übersieht sie, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss seine Bedenken gerade nicht auf die im Prüfungsbeschluss anzuwendende Fassung des §304 BAO gestützt hat.

1.3.1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat vielmehr festgehalten, dass jene Bedenken, die gegen die Anknüpfung des §295 Abs4 BAO an die nach §304 BAO maßgebliche Frist sprechen, jenen Bedenken vergleichbar sind, die im Erkenntnis VfSlg 20.218/2017 zur Aufhebung des §304 BAO idF BGBl I 14/2013 geführt haben, da die Möglichkeit eines Antrages nach §295 Abs4 BAO – vergleichbar mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, der seine Bedeutung erst nach Abschluss eines Rechtsmittelverfahrens entfaltet – ihre Bedeutung erst nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens gegen die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangt.

1.3.1.2. Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss seine Bedenken auch damit begründet, dass die Konsequenz eines wegen Fristablaufes nicht aufhebbaren, ohne Rechtsgrundlage abgeleiteten Bescheides dann nicht eintreten kann, wenn die Abgabenbehörde – so wie in §295 Abs1 BAO als Möglichkeit vorgesehen – mit der Erlassung des abgeleiteten Bescheides bis zum Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheides zuwartet. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes richten sich im Prüfungsbeschluss somit nicht gegen die mit VfSlg 20.218/2017 aufgehobene Fassung des §304 BAO, sondern gegen die Unsachlichkeit der Anknüpfung des Antragsrechts an eine Frist, die von der Erlassung der Erledigung im dem abgeleiteten Bescheid zugrunde liegenden Feststellungsverfahren unabhängig ist.

1.3.2. Der Bundesregierung ist im Übrigen auch nicht darin zu folgen, dass das Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen wäre, da im Fall einer Aufhebung des §295 Abs4 letzter Satz BAO wegen §302 Abs1 BAO für den Anlassfall nichts gewonnen wäre:

1.3.2.1. Nach §302 Abs1 BAO idF BGBl I 14/2013 sind Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß §299 BAO jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§97 BAO) des Bescheides zulässig. Der Gesetzgeber regelt damit unabdingbare Fristen für die Abänderung, Zurücknahme oder Aufhebung von Abgabenbescheiden, die nicht gelten, soweit anderes bestimmt ist.

1.3.2.2. Für den hier zu beurteilenden Fall wird durch §295 Abs4 BAO anderes bestimmt:

Mit Einführung des §295 Abs4 BAO wurde eine spezielle Regelung geschaffen, um auf als Grundlagenbescheid intendierte Enunziationen gestützte Änderungsbescheide auf Antrag aufzuheben, wenn der Antrag innerhalb der nach §304 BAO maßgeblichen Frist gestellt wurde. §295 Abs4 letzter Satz BAO knüpft dabei nicht an die Fristen der Verjährung an, sondern stellt auf die für die Wiederaufnahme des Verfahrens vorgesehene Frist ab und trifft somit eine Regelung, die die Anwendung des §302 BAO ausschließt. Entfällt somit aber §295 Abs4 letzter Satz BAO, kann §302 BAO nicht zur Anwendung gelangen, da der Gesetzgeber mit §295 Abs4 BAO eine Regelung außerhalb des Anwendungsbereiches des §302 BAO geschaffen hat.

1.4. Diese Erwägungen gelten sinngemäß auch für die vom Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Anträge.

1.5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Gesetzesprüfungsverfahren als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, denen sich der Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen nach Art140 B‑VG angeschlossen hat, konnten in den Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:

2.2. Wie die Bundesregierung zutreffend erkennt, normiert §295 Abs1 BAO einen Rechtskraftdurchbrechungstatbestand für Abgabenbescheide, die von einem Feststellungsbescheid abzuleiten sind. Im Fall einer nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides ist der abgeleitete Abgabenbescheid ohne Rücksicht auf den Eintritt der Rechtskraft von Amts wegen durch einen neuen, an den Feststellungsbescheid angepassten Bescheid zu ersetzen oder – wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen – aufzuheben.

2.3. Wie die Bundesregierung weiters zutreffend erkennt, ist §295 Abs1 BAO nicht auf Fälle anzuwenden, in denen von einer als Feststellungsbescheid intendierten Enunziation ein Abgabenbescheid abgeleitet worden ist und in weiterer Folge die Beschwerde betreffend diese als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation wegen Nichtvorliegens eines Bescheides zurückgewiesen wird. Eine Änderung des "abgeleiteten" Bescheides kann in solchen Fällen nicht von Amts wegen erfolgen, da §295 Abs1 BAO die Anpassung an das Vorliegen eines Feststellungsbescheides knüpft.

2.4. Bis zur Einführung des §295 Abs4 BAO konnte ferner – wie auch dem Prüfungsbeschluss zu entnehmen ist – die Rechtskraft des von einer als Feststellungsbescheid intendierten Enunziation abgeleiteten Bescheides nur im Rahmen der sachlichen und zeitlichen Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens durchbrochen werden, soferne nicht vorsorglich gegen den abgeleiteten Bescheid ein Rechtsmittel erhoben worden ist.

2.5. Mit der Einführung des §295 Abs4 BAO wurde eine weitere Möglichkeit geschaffen, durch Antragstellung die eingetretene Rechtskraft zu durchbrechen. Mit diesem Rechtsbehelf sollte ausweislich der Materialien (RV 1212 BlgNR 24. GP , 30 f) auch zur Vermeidung von Verwaltungsaufwand die Notwendigkeit der Einbringung vorsorglich erhobener Rechtsmittel vermieden werden.

2.6. Vor diesem Hintergrund erweist sich die in §295 Abs4 letzter Satz BAO enthaltene Befristung, wonach der Antrag vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 BAO maßgebenden Frist zu stellen ist, als unsachlich:

2.6.1. Ein Antrag gemäß §295 Abs4 BAO wird danach faktisch nur dann zur Anpassung eines von einer als Feststellungsbescheid intendierten Enunziation abgeleiteten Bescheides führen können, wenn der Umstand, dass die als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation kein Bescheid ist, vor Ablauf der durch §304 BAO bestimmten Frist hervorkommt. Endet das Beschwerdeverfahren betreffend die als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation dagegen nach Ablauf der in §304 BAO geregelten Frist durch Zurückweisung der Beschwerde mangels Vorliegens eines Feststellungsbescheides, wäre ein nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens gestellter Antrag auf Abänderung des abgeleiteten Bescheides als verspätet zurückzuweisen.

2.6.2. Einen sachlichen Grund dafür, den Abgabepflichtigen mit den Folgen eines solchen von einer als Feststellungsbescheid intendierten Enunziation abgeleiteten Bescheides nach Ablauf der Frist für Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu belasten, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, erlangt die Möglichkeit eines Antrages, einen solchen rechtswidrigen Bescheid gemäß §295 Abs4 BAO aufzuheben, ihre Bedeutung gerade erst durch den Abschluss des Beschwerdeverfahrens betreffend die als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation (vgl VfSlg 20.218/2017, 13.778/1994).

2.6.3. Die für Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens geltende Frist erweist sich auch deshalb als unsachliche Beschränkung eines Antrages gemäß §295 Abs4 BAO, da der Gesetzgeber mit einer solchen Frist gänzlich außer Betracht lässt, dass der Abgabepflichtige mit den Folgen eines rechtswidrigen, in Rechtskraft erwachsenen Bescheides dann nicht belastet wird, wenn die Abgabenbehörde mit der Erlassung des abgeleiteten Bescheides bis zur Rechtskraft des Feststellungsbescheides zugewartet hätte. Demgemäß ist der Ausschluss einer Rechtskraftdurchbrechung wegen Ablaufs der für eine Wiederaufnahme des Verfahrens geltenden Frist in Fällen unsachlich, in denen die Abgabenbehörde mit der Erlassung abgeleiteter Bescheide nicht bis zur Rechtskraft des Feststellungbescheides zuwartet, beruht doch der rechtskräftige abgeleitete Bescheid in solchen Fällen auf einer Enunziation, deren mangelnde Normativität die diese erlassende Abgabenbehörde zu verantworten hat.

2.7. Wenn die Bundesregierung dagegen einwendet, der Abgabepflichtige hätte die Möglichkeit, gegen den abgeleiteten Bescheid (vorsorglich) Beschwerde zu erheben und damit den Eintritt der Rechtskraft hintanzuhalten, verkennt sie, dass der Rechtsbehelf des §295 Abs4 BAO vom Gesetzgeber gerade mit dem Ziel geschaffen worden ist, solche vorsorglichen Beschwerden zu vermeiden. Die von der Bundesregierung ins Treffen geführte Alternative bestätigt vielmehr, dass ein Antrag nach §295 Abs4 BAO auch nach Ablauf der Frist des §304 BAO zulässig sein muss, um einen gleichwertigen Ersatz für die Einbringung vorsorglicher Beschwerden zu schaffen.

2.8. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem zu G226/2019 protokollierten Antrag ausführt, erweist sich die Regelung der Antragsfrist nach §295 Abs4 letzter Satz BAO auch in jenen Fällen als unsachlich, in denen §304 BAO idF BGBl I 57/2004 anwendbar ist und daher ein Antrag auch dann zulässig ist, wenn er vor Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides eingebracht wird. Der Gesetzgeber hat nämlich durch Anknüpfen an die Rechtskraft des abgeleiteten Bescheides – ebenso wie durch Anknüpfen an den Eintritt der Verjährung – in unsachlicher Weise nicht berücksichtigt, dass das Antragsrecht seine rechtserhebliche Bedeutung im Zeitpunkt der Zurückweisung der Beschwerde betreffend die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangt.

IV. Ergebnis

1. Der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl I 70/2013 ist daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Da §295 Abs4 BAO idF BGBl I 76/2011 bereits außer Kraft getreten ist, ist auszusprechen, dass der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl I 76/2011 verfassungswidrig war (Art140 Abs4 B‑VG).

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG.

4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.

5. Die Verpflichtung der Bundeskanzlerin zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz im Gesetzesprüfungsverfahren (vom – hier nicht gegebenen – Fall des §65a VfGG abgesehen) im VfGG nicht vorgesehen ist.

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