VwGH 2011/13/0061

VwGH2011/13/006124.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des B in B, vertreten durch die Prof. Dr. Thomas Keppert Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG in 1060 Wien, Theobaldgasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 15. März 2011, Zl. RV/3562- W/09, betreffend Einkommensteuer 1994 und 1996, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §209a Abs2;
BAO §295 Abs1;
BAO §303 Abs1;
BAO §209a Abs2;
BAO §295 Abs1;
BAO §303 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

An den Beschwerdeführer, der neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch solche aus der Beteiligung an Mitunternehmerschaften bezog, ergingen im Juli 1995 und im Juni 1997 Einkommensteuerbescheide für die beiden Streitjahre 1994 und 1996, in denen die geltend gemachten negativen Einkünfte aus einer der Mitunternehmerschaften berücksichtigt wurden. Aus Gründen, die mit anderen Beteiligungen des Beschwerdeführers zusammenhingen, wurden diese Bescheide wiederholt, zuletzt im September bzw. Oktober 2000 gemäß § 295 Abs. 1 BAO geändert.

Am 19. Dezember 2005 erließ das Finanzamt für beide Streitjahre gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen es die negativen Einkünfte aus der strittigen Beteiligung nicht mehr berücksichtigte. Es stützte sich dabei auf als Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO intendierte Erledigungen eines anderen Finanzamtes vom 16. Dezember 2005 betreffend die Mitunternehmerschaft. Der Beschwerdeführer ließ die geänderten Einkommensteuerbescheide zunächst unbekämpft.

Mit Schreiben vom 13. März 2006, zur Post gegeben am 14. März 2006, beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der geänderten Einkommensteuerbescheide vom 19. Dezember 2005 gemäß § 299 BAO und in eventu die Wiederaufnahme der Verfahren. Er brachte vor, erfahren zu haben, dass in Bezug auf keines der beiden Streitjahre ein wirksamer Feststellungsbescheid ergangen sei.

Das Finanzamt erließ am 25. Juli 2006 mit "Abweisungsbescheid 1994" und "Abweisungsbescheid 1996" überschriebene Bescheide, in deren Spruch jeweils der "Antrag vom 14.03.2006 auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides vom 19.12.2005" abgewiesen wurde. In der gesonderten gemeinsamen Begründung dieser Bescheide wurde zunächst dargelegt, dass die gegen die Erledigungen vom 16. Dezember 2005 erhobene Berufung noch unerledigt und der Aufhebungsantrag des Beschwerdeführers aus diesem Grund abzuweisen sei. "Ebenso" sei auch sein Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen gewesen, "da keine neuen Tatsachen hervorgekommen sind, sondern eine Abänderung gem. § 295 Abs. 1 BAO aufgrund eines Feststellungsbescheides erfolgt ist". Der Text endete mit dem Hinweis, es werde "von Amts wegen eine Abänderung bzw. eine Aufhebung der abgeleiteten Bescheide" erfolgen, wenn "im Zuge des Rechtsmittelverfahrens die o.a. Feststellungsbescheide abgeändert oder aufgehoben werden".

Mit Beschluss vom 29. Dezember 2008 wies die belangte Behörde die gegen die Erledigungen vom 16. Dezember 2005 erhobene Berufung mit der Begründung, diese Erledigungen seien "nicht wirksam ergangen", als unzulässig zurück.

Mit Schriftsatz vom 6. April 2009 machte der Beschwerdeführer geltend, seine Wiederaufnahmsanträge vom März 2006 seien noch unerledigt, weil sich der Spruch der Abweisungsbescheide vom Juli 2006 nur auf die Aufhebungsanträge bezogen habe. Die Ansicht des Beschwerdeführers, die den geänderten Einkommensteuerbescheiden vom Dezember 2005 zugrunde gelegten, die Mitunternehmerschaft betreffenden Erledigungen seien "ein rechtliches Nichts" gewesen, sei durch die belangte Behörde inzwischen bestätigt worden. Der Beschwerdeführer beantrage "daher nunmehr die Erledigung der Wiederaufnahmeanträge" vom März 2006. "Nur für den Fall", dass diese Wiederaufnahmsanträge entgegen dem Wissensstand des Beschwerdeführers bescheidmäßig erledigt worden seien, beantrage er neuerlich die Wiederaufnahme der Verfahren unter Berufung darauf, dass ihm die Entscheidung der belangten Behörde vom Dezember 2008 erst mit Schreiben vom 21. Jänner 2009 zur Kenntnis gelangt sei. Abschließend verwies er auf die Ankündigung einer amtswegigen Abänderung oder Aufhebung der Bescheide am Ende der Begründung der Abweisungsbescheide vom Juli 2006 sowie auf einen Erlass, dem zufolge die Wiederaufnahme in Fällen dieser Art auch zu bewilligen sei, wenn in der Zwischenzeit ein wirksamer Grundlagenbescheid ergangen sei, und wonach dies "übrigens auch dann" zu geschehen habe, "wenn die Bemessungsverjährung der Erlassung eines (de(n) zwischenzeitig erlassenen Grundlagenbescheid berücksichtigenden) neuerlichen Änderungsbescheides entgegensteht" (SWK 2005, S 926).

Mit Bescheid vom 19. August 2009 sprach das dafür zuständige Finanzamt aus, eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften der strittigen Mitunternehmerschaft habe zu unterbleiben, weil es an den Merkmalen der Mitunternehmerschaft fehle.

Das für den Beschwerdeführer zuständige Finanzamt erließ daraufhin am 2. September 2009 zwei im Wesentlichen gleichlautende Bescheide, die unter der Überschrift "Einkommensteuerbescheid" 1994 bzw. 1996 und "Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 (4) BAO zu Bescheid vom 19.12.2005" jeweils aussprachen, "Das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für das Jahr" 1994 bzw. 1996 werde "gem. § 303 (4) BAO wiederaufgenommen", und deren Begründung jeweils lautete: "Ihrem Antrag v. 13.3.2006 auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO wird stattgegeben."

Mit gleichem Datum erließ das Finanzamt neue Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1994 und 1996, in denen es die zuletzt in den Bescheiden von September und Oktober 2000 berücksichtigten negativen Einkünfte aus der strittigen Mitunternehmerschaft wie schon in den Bescheiden vom Dezember 2005, aber nunmehr unter Berufung auf den Grundlagenbescheid vom August 2009, nicht mehr berücksichtigte.

Gegen die Einkommensteuerbescheide vom 2. September 2009 erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er machte darin und in einem ergänzenden Schreiben im Wesentlichen geltend, das "Verfahrensziel der Wiederaufnahme" sei in Fällen dieser Art die ersatzlose Beseitigung der auf Nichtbescheide gestützten Abänderungsbescheide und es sei nicht zulässig, die Abänderung unter Berufung auf einen späteren Feststellungsbescheid aufrechtzuerhalten. Sollten die Bescheide vom 2. September 2009 hingegen so gemeint sein, dass die Bescheide vom 19. Dezember 2005 nicht mit geänderter Begründung aufrechterhalten, sondern aufgehoben würden und es sich bei den mit Berufung bekämpften Bescheiden um neue abgeleitete Bescheide handle, so stünde dem die Verjährung entgegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie stellte im Sachverhalt fest, das Finanzamt habe die Wiederaufnahme der Verfahren "mit der Begründung" verfügt, "dass dem Wiederaufnahmeantrag des Bw stattgegeben werde", und bezog sich in ihren rechtlichen Erwägungen darauf, dass "der Wiederaufnahmsantrag vom 6. April 2009" innerhalb der Fünfjahresfrist gemäß § 304 lit. b BAO eingebracht worden sei. Da der Wiederaufnahmsantrag "rechtzeitig im Sinn des § 304 eingebracht" worden sei, stehe der Ablauf der absoluten Verjährungsfrist gemäß § 209a Abs. 2 BAO der Abgabenfestsetzung nicht entgegen. Nach Erlassung des Bescheides vom 19. August 2009 sei dieser für die Abgabenfestsetzung bindend gewesen. Eine ersatzlose Beseitigung der geänderten Einkommensteuerbescheide vom 19. Dezember 2005 sei nicht in Betracht gekommen, weil es bei einer Wiederaufnahme nicht zum Aufleben früherer Bescheide komme und angesichts der Einkünfte des Beschwerdeführers seine Einkommensteuer für die beiden Streitjahre betreffende Bescheide zu erlassen gewesen seien.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Es ist unstrittig, dass die bekämpften Einkommensteuerbescheide vom 2. September 2009 nach Ablauf der zehnjährigen absoluten Verjährungsfrist des § 209 Abs. 3 BAO ergingen.

§ 209a Abs. 2 BAO lautete in der Fassung vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 14/2013:

"(2) Hängt eine Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§ 85) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Berufung oder der Antrag vor diesem Zeitpunkt, wenn ein Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 vor Ablauf der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 oder wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens rechtzeitig im Sinn des § 304 eingebracht wurde."

Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war gemäß § 304 lit. b BAO in der Fassung vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 14/2013 "rechtzeitig im Sinn des § 304" BAO, wenn er innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides eingebracht wurde. Dies traf, wie die belangte Behörde zutreffend darlegt, auf den (nur hilfsweise gestellten) Antrag vom 6. April 2009 und umso mehr auf den (primär aufrechterhaltenen) Antrag vom März 2006 zu.

Mit den rechtskräftigen Wiederaufnahmebescheiden vom 2. September 2009 hat das Finanzamt - trotz der erkennbar bloß versehentlichen Bezugnahme auf § 303 Abs. 4 BAO (in der Fassung vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 14/2013) im Spruch und entgegen der Ansicht der belangten Behörde, es sei dem Eventualantrag von 2009 stattgegeben worden - jeweils dem Wiederaufnahmsantrag vom März 2006 betreffend die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 19. Dezember 2005 stattgegeben.

Der Ansicht der belangten Behörde, dies habe die Erlassung abgeleiteter Einkommensteuerbescheide nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist ermöglicht und eine ersatzlose Aufhebung der Abänderungsbescheide vom Dezember 2005 sei nicht in Betracht gekommen, ist jedoch nicht zu folgen. Diese Ansicht impliziert, auch ohne Vorliegen des neuen Grundlagenbescheides vom August 2009 - der von dem für den Beschwerdeführer zuständigen Finanzamt abgewartet und wiederholt urgiert wurde - wären die Abänderungsbescheide vom Dezember 2005 in Stattgebung des Wiederaufnahmsantrages nicht ersatzlos aufzuheben, sondern ohne Bindung an die Bescheide vom September und Oktober 2000 durch neue Einkommensteuerbescheide zu ersetzen gewesen. Dem steht entgegen, dass mit den Abänderungsbescheiden vom Dezember 2005 von einer Befugnis zum Eingriff in die Rechtskraft der Bescheide vom September und Oktober 2000 Gebrauch gemacht worden war und sich der Wiederaufnahmsantrag vom März 2006 darauf bezog, dass die Voraussetzungen für einen solchen Eingriff nicht gegeben waren. Das Rechtsschutzziel des Antrags war demnach, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht, in dieser besonderen Verfahrenssituation nicht nur eine Durchbrechung von Rechtskraft, nämlich des Abänderungsbescheides, sondern auch die Beseitigung eines rechtswidrigen Eingriffs in die Rechtskraft der zuletzt unangefochten gebliebenen Einkommensteuerbescheide vom September und Oktober 2000.

Dass der darauf gerichtete Antrag bei Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes zur ersatzlosen Aufhebung der Abänderungsbescheide zu führen hatte, ergibt sich aus der hg. Rechtsprechung zu Berufungen gegen Abänderungsbescheide, die sich auf nichtige Grundlagenbescheide stützen. In dem Erkenntnis vom 24. November 1998, 93/14/0203, auf das der Beschwerdeführer in der Berufung hinwies, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, die zwischenzeitliche Erlassung eines (wirksamen) Grundlagenbescheides ändere nichts daran, dass die Berufungsbehörde der Berufung gegen den zuvor erlassenen, auf einen Nichtbescheid gestützten Abänderungsbescheid durch dessen Aufhebung stattzugeben habe. Das Finanzamt, so der Verwaltungsgerichtshof, werde "unvorgreiflich der Frage der Verjährung" einen auf den nun vorliegenden Grundlagenbescheid gestützten neuen Abänderungsbescheid zu erlassen haben (vgl. seither noch das Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, 2007/15/0294). Dieses Erkenntnis, auf das die belangte Behörde in ihrer Entscheidung nicht einging, bringt damit auch zum Ausdruck, dass die Frage der Verjährung in einem solchen Fall zu prüfen ist und die neue Abgabenfestsetzung auf der Grundlage des späteren Feststellungsbescheides nicht im Sinne des § 209a Abs. 2 BAO von der Erledigung der Berufung gegen den früheren, mangels Vorliegens eines Feststellungsbescheides rechtswidrigen Abänderungsbescheid abhängt. Für den Wiederaufnahmsantrag kann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten, wohingegen sich die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Kommentarstelle (Ritz, BAO3 § 304 Tz 8) nicht auf die hier zu beurteilende Verfahrenskonstellation bezieht (vgl. zu dieser auch den vom Beschwerdeführer zitierten Erlass und ähnlich nun Ritz, BAO5, § 295 Tz 21e, zu der mit 1. September 2011 in Kraft getretenen Vorschrift des § 295 Abs. 4 BAO).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 24. September 2014

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