BFG RV/7104435/2019

BFGRV/7104435/201923.6.2020

Geltendmachung einer Haftung und Sicherstellungsauftrag

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2020:RV.7104435.2019

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Heinz Wöber Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung GmbH, Mariahilfer Straße 209, 1150 Wien, über die Beschwerde vom 3. Mai 2019 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 10. April 2019 betreffend Geltendmachung einer Haftung und über die Beschwerde vom 3. Mai 2019 gegen den Bescheid des Finanzamtes 4/5/10 vom 12. April 2019 betreffend Sicherstellungsauftrag zu Recht erkannt:

 

  • Abgabenart

  • Zeitraum

  • Betrag in Euro
  • Kapitalertragsteuer

  • 2008

  • 105.314,30
  • Umsatzsteuer

  • 2008

  • 3.450,00
  • Kapitalertragsteuer
  • 2009

  • 263.183,01
  • Umsatzsteuer

  • 2009

  • 7.500,00
  • Summe

 
  • 379.447,31

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

 

  • Abgabenart

  • Zeitraum

  • Betrag in Euro
  • Kapitalertragsteuer

  • 2008

  • 105.314,30
  • Umsatzsteuer

  • 2008

  • 3.450,00
  • Kapitalertragsteuer
  • 2009

  • 263.183,01
  • Umsatzsteuer

  • 2009

  • 7.500
  • Summe

 
  • 379.447,31

Entscheidungsgründe

Zu Spruchpunkt 1.:

 

Mit Bescheid vom 10. April 2019, Abgabenkontonummer ***2***, wurde der Beschwerdeführer (Bf.) vom Finanzamt Wien 4/5/10 als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma ***5***, Firmenbuchnummer ***4***, in Anspruch genommen und aufgefordert, den Betrag von € 505.929,76 zu entrichten. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft dafür zu sorgen habe, dass die Abgaben aus den Mitteln der Gesellschaft entrichtet werden. Bei Selbstbemessungsabgaben sei dabei maßgeblich, wann diese Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Der Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung konnte nicht erbracht werden, da aus den vorgelegten Unterlagen kein Anteil der geleisteten Zahlungen an den Gesamtverbindlichkeiten errechnet werden kann. Hinsichtlich der Geltendmachung von Unbilligkeit wegen langer verstrichener Zeit sei darauf zu verweisen, dass die Löschung im Firmenbuch am 18. Februar 2015 erfolgte und am 30. Mai 2016 ein Haftungsvorhalt erlassen worden sei. Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden des Haftungspflichtigen zurückzuführen sei, sei den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang vor den Billigkeitsgründen einzuräumen. Dem Bescheid waren die Abgabenbescheide und der Bericht und die Niederschrift über die Außenprüfung vom 23. Mai 2013 beigeschlossen.

Gegen diesen Bescheid hat der Bf. mit Eingabe vom 3. Mai 2019 Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bf. in den Jahren 2008 bis 2010 sämtliche Abgaben entrichtet habe, soweit diese aus damaliger Sicht bestanden haben. Die nachfolgenden Geschäftsführer hätten an der am 14. März 2012 begonnenen Außenprüfung nicht mehr mitgewirkt, weshalb Abgaben geschätzt wurden. Der Bf. selbst habe keine Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt. Im Zuge der Außenprüfung kam die Behörde zur Ansicht, dass von der ***5*** Scheinrechnungen gegen Bezahlung von Provisionen ausgestellt worden seien, ein gegen den Bf. von der Staatsanwaltschaft Wien geführtes Ermittlungsverfahren wurde per 14. Juli 2017 gemäß § 202 FinStrG eingestellt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft habe sich der Verdacht nicht erhärtet, dass der Bf. Scheinrechnungen erstellt habe. Der Bf. machte in der Folge Einwendungen gegen die Abgabenfestsetzung geltend. Den übermittelten Rechnungsabschlüssen sei überdies zu entnehmen, dass die jeweils offenen Verbindlichkeiten den Bestand an Barvermögen zum jeweiligen Bilanzstichtag bei weitem überstiegen hätten. Im Übrigen stelle die Haftungsinanspruchnahme des Bf. eine Unbilligkeit dar, weil eine Bereicherung in der von der Abgabenbehörde angenommenen Höhe von € 1.473.989,29 niemals stattgefunden habe, der Bf. über kein nennenswertes Vermögen oder Einkommen verfüge, welches ihm ermöglichen würde, die Abgaben in Höhe von € 505.929,76 zu bezahlen und er diesen Betrag auch im Verlauf seines restlichen Erwerbslebens nicht begleichen könne. Es könne dem Bf. nicht zur Last gelegt werden, dass die späteren Geschäftsführer ihrer Mitwirkungspflicht im Rahmen der Abgabenprüfung ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen seien. Darüber hinaus handle es sich um Abgaben aus Perioden, die bereits 10 Jahre zurückliegen. Der Bf. stellte den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 19. Juli 2019 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass auf die geltend gemachten Beschwerdegründe gegen die Abgabenbescheide im Haftungsverfahren nicht einzugehen sei, zumal der Bf. gemäß § 248 BAO Beschwerde gegen die Abgabenbescheide erhoben habe. Die Gesellschaft sei im Haftungszeitraum keineswegs zahlungsunfähig gewesen. Die vorgelegten Saldenlisten, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen seien stichtagsbezogen und können für einen Gleichbehandlungsnachweis nicht herangezogen werden. Im Rahmen des Ermessens sei der endgültige Abgabenausfall ein wesentliches Kriterium, weshalb die Geltendmachung der Haftung ermessenskonform sei.

Mit Eingabe vom 29. Juli 2019 stellte der Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2020 wendeten die Vertreter des Bf. ein, dass kein Geldzufluss an den Bf. erfolgt sei. Bereits dem Betriebsprüfungsbericht sei zu entnehmen, dass das Geld an die Käufer der der Scheinrechnungen zurückgeflossen sei und der Bf. nur eine Provision von 5 % erhalten habe. Ein offenkundig unrichtiger Abgabenbescheid könne nicht Grundlage für ein Haftungsverfahren sein. Zudem seien die Abgaben erst zu einem Zeitpunkt zur Vorschreibung gelangt, als der Bf. nicht mehr Geschäftsführer war und an der abgabenbehördlichen Prüfung nicht mehr mitwirken habe können. Von seinen Immobilienverkäufen sei dem Bf. nach Abzug der Bankverbindlichkeiten und der Immobilienertragssteuer kein nennenswertes Vermögen übriggeblieben. Der Vertreter des Finanzamtes führte aus, dass derzeit von der Richtigkeit des Abgabenverfahrens auszugehen sei, auf Grund der langen Verfahrensdauer sei jedoch eine Mäßigung des Haftungsbetrages in Betracht zu ziehen.

 

Sachverhalt:

Der Bf. war seit der Gründung der Firma ***5***, Firmenbuchnummer ***4***, im Jahre 2006 deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter. Mit Abtretungsvertrag vom 22. Dezember 2010 verkaufte der Bf. seine Gesellschaftsanteile zum Preis von € 1.000,00 an ***6***, der auch mit 29. Dezember 2010 die Geschäftsführung der Firma übernahm. Mit Abtretungsvertrag vom 3. September 2012 erfolgte ein neuerlicher Gesellschafter- und Geschäftsführerwechsel, neuer Geschäftsführer wurde ***7***.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 17. Jänner 2013, AZ. ***8***, wurde über das Vermögen der ***5*** das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 1. August 2013 wurde der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben, die Firma wurde am 18. Februar 2015 gemäß § 40 Firmenbuchgesetz infolge Vermögenslosigkeit gelöscht.

Bereits ab 14. März 2012 erfolgte die Eröffnung einer Außenprüfung gemäß § 147 Abs.1 BAO. Im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom 23. Mai 2013 wurde festgehalten, dass die Buchhaltungsunterlagen unvollständig, zum Teil unrichtig sind und von der Firma ***5*** Scheinrechnungen ausgestellt wurden. Zu den Geschäftsführern ***6*** und ***7*** konnte im Rahmen der Außenprüfung kein Kontakt hergestellt werden.

Am 27. Mai 2013 wurde mit Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 dem Masseverwalter der Primärschuldnerin für den Zeitraum 2008 aufgrund des Zuflusses von Kapitalerträgen gemäß § 93 EStG eine Kapitalertragsteuer in der Höhe von € 140.419,07 und für den Zeitraum 2009 eine Kapitalertragsteuer in Höhe von € 350.910,69 geltend gemacht. Am 5. Juni 2013 wurde mit Umsatzsteuerbescheiden 2008 bzw. 2009 des Finanzamtes Wien 4/5/10 dem Masseverwalter der Primärschuldnerin eine Umsatzsteuernachforderung für das Jahr 2008 in Höhe von € 4.600,00 und für das Jahr 2009 in Höhe von € 10.000,00 zur Entrichtung vorgeschrieben.

Mit Vorhalt des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 30. Mai 2016 wurde der Bf. aufgefordert, Gründe bekanntzugeben, weshalb die aushaftenden Abgaben in der Zeit als Geschäftsführer der Primärschuldnerin nicht entrichtet wurden. Der Bf. wurde weiters aufgefordert, die Verbindlichkeiten und Zahlungen an sämtliche Gläubiger und die Höhe der liquiden Mittel nachzuweisen, sollte die Gesellschaft nicht über ausreichende Mittel für die Abgabenentrichtung verfügt haben.

Mit Eingabe vom 22. August 2016 übermittelte der Bf. die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Saldenlisten Lieferantenkonten der Primärschuldnerin zum Stichtag 31. Dezember 2008, 31. Dezember 2009 und 31. Dezember 2010. In allen drei Jahren ist in der Gewinn- und Verlustrechnung ein Jahresüberschuss und in der Bilanz ein Bilanzgewinn ausgewiesen.

Der am ***9*** geborene Bf. geht einer Beschäftigung nach, verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von € 1.250,00 und Sparguthaben in der Höhe von € 2.000,00, ein Kraftfahrzeug der Marke Skoda 5J Fabia, Bj. 2011, und ein Leichtmotorrad der Marke Kymco S4, Bj. 2005.

An unbeweglichem Vermögen verfügte der Bf. über eine von ihm selbst bewohnte mit Kaufvertrag vom 10. Juli 2009 erworbene Eigentumswohnung EZ ***10***, KG ***11***, 72 m², auf welcher grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich AG in Höhe von € 75.000,00 lasteten, über eine mit Kaufvertrag vom 20. Februar 2015 erworbene Eigentumswohnung EZ ***12***, KG ***13***, 97 m², auf welcher grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenbank ***20*** in Höhe von € 452.200,00 lasteten und über ein mit Kaufvertrag von 30. April 2015 erworbenes Grundstück mit im Bau befindlichen Wohnhaus EZ ***14***, KG ***15***, 1.080 m², auf welchen grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich AG von € 700.000,00 lasteten.

Die Liegenschaft in Eisenstadt wurde in der Folge in Teilstücke zu 141 m² (Teilstück 2), 358 m² (Teilstück 3), 367 m² (Teilstück 4) und ein um 23 m² vergrößertes Restgrundstück aus dem Eigentum des ***16*** (Kaufpreis € 2.300,00) von 237 m² geteilt. Das Teilstück 2 veräußerte der Bf. mit Kaufvertrag vom 20. Oktober 2016 zum Preis von € 42.300,00 sowie den Hälfteanteil des Restgrundstückes zum Preis von € 11.850,00 an ***16***, das Teilstück 3 wurde mit Kaufvertrag vom 30. Mai 2018 zum Preis von € 395.000,00 an ***17*** verkauft und das Teilstück 4 mit Kaufvertrag von 30. Oktober 2018 zum Preis von 395.000,00 an ***18***. Mit Kaufvertrag vom 22. Juni 2017 veräußerte der Bf. die Eigentumswohnung EZ ***12***, KG ***13***, zum Preis von € 550.000,00.

Der Bf. ist für seine Ehegattin und drei Kinder sorgepflichtig.

Ein gegen den Bf. zu Zl. ***19*** geführtes finanzstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Wien am 14. Juli 2017 gemäß § 202 FinStrG eingestellt. Ein verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren ist nicht anhängig.

Mit Eingabe vom 14. Mai 2019 wurden gemäß § 248 BAO Beschwerden gegen die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenbescheide erhoben.

 

Beweiswürdigung:

Das Bundesfinanzgericht gründet den festgestellten Sachverhalt auf den Inhalt der vom Finanzamt Wien 4/5/10 vorgelegten Verwaltungsakten. Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen unbestritten.

 

Rechtliche Würdigung:

Gemäß § 224 Abs.1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung eines Haftungsbescheides geltend gemacht. In diesem ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 9 Abs.1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs.1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Nach dem durchgeführten Konkursverfahren und der Löschung der ***5*** im Firmenbuch steht fest, dass offenen Abgabenverbindlichkeiten bei der Primärschuldnerin uneinbringlich sind.

Im Beschwerdeverfahren gegen den Haftungsbescheid können - solange Bescheide über den Abgabenanspruch dem Rechtsbestand angehören - Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung (deren Höhe) nicht mit Erfolg erhoben werden (vgl. zB VwGH 24.2.2004, 99/14/0278; 18.4.2007, 2004/13/0046; 23.4.2008, 2004/13/0142; 24.2.2010, 2006/13/0112). Solche Einwendungen können nur im Rechtsmittelverfahren betreffend den Bescheid über den Abgabenanspruch mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden. In der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid können etwa das Nichtvorliegen des betreffenden Haftungstatbestandes, der Eintritt der Einhebungsverjährung (§ 238 BAO), das Erlöschen des Abgabenanspruches (zB durch Entrichtung) oder eine unrichtige Ermessensübung geltend gemacht werden.

Bringt der Haftungspflichtige sowohl gegen den Haftungsbescheid als auch gegen den maßgeblichen Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerden ein, so sind diese Beschwerden nicht gemäß § 267 zu einem gemeinsamen Verfahren zu verbinden (vgl zB VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601; 28.6.2001, 2000/16/0886). Vielmehr ist zunächst über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid zu entscheiden (zB VwGH 27.1.2011, 2010/16/0258; 29.9.2011, 2011/16/0085; 9.11.2011, 2011/16/0070), zumal von dieser Erledigung die Rechtsmittelbefugnis gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch abhängt (zB VwGH 19.4.2007, 2005/15/0129; 9.11.2011, 2009/16/0260; 18.3.2013, 2012/16/0049); letztere Bescheidbeschwerde wäre als unzulässig (geworden) gemäß § 260 Abs 1 lit a zurückzuweisen, würde der Haftungsbescheid mit Beschwerdevorentscheidung, Erkenntnis oder Beschluss aufgehoben (vgl VwGH 14.10.1981, 81/13/0081; UFS 18.4.2012, RV/0526-W/12).

Zur Geltendmachung einer Haftung gemäß § 9 BAO müssen die Verletzung von Pflichten, ein Verschulden des Vertreters und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit gegeben sein.

Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehören, die für den Bestand und Umfang einer Abgabenpflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen bedeutsamen Umstände nach Maßgabe der Abgabenvorschriften offenzulegen (VwGH 23.1.2003, 2001/16/0291), die Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen (zB VwGH 30.5.1989, 89/14/0043) und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben entrichtet werden.

Der die verfahrensgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten betreffende Sachverhalt wurde dem Finanzamt Wien 4/5/10 weder offengelegt, noch wurden die Abgaben entrichtet. Wurde eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hat, so verletzt der Vertreter dadurch keine abgabenrechtliche Pflicht.

Der Zeitpunkt für den zu beurteilen ist, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. (vgl. zB VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208), maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, somit unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird (VwGH 23.1.2003, 2001/16/0291).

In den Jahren 2008 bis 2010 war die Primärschuldnerin nicht in Zahlungsschwierigkeiten, vielmehr wurden Gewinne erzielt und war Liquidität vorhanden, zumindest einen Teil der verfahrensgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten zu entrichten. Hinsichtlich der vorgeschrieben Kapitalertragsteuer ergibt sich aus den Bestimmungen des § 78 Abs.3 EStG und 95 Abs.3 EStG zudem die Verpflichtung, dass die jeweilige Abfuhrabgabe zur Gänze zu entrichten ist (VwGH 27.8.2008, 2006/15/0010). Eine Prüfung der Gleichbehandlung aller Gläubiger findet dabei nicht statt.

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen (§ 20 BAO) der Abgabenbehörde. Dieses Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung (ZB VwGH 25.3.2010, 2009/16/0104). Gemäß § 20 BAO ist die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgaben zu.

Im Rahmen des Ermessens ist zu berücksichtigen, dass der Bf. nur über ein geringes Einkommen verfügt, wohl aber über unbewegliches Vermögen und nicht unwesentliche Einkünfte aus Immobilienverkäufen. Zugunsten des Bf. wird auch die Unbilligkeit angesichts lange verstrichener Zeit, die Abgabenschuldigkeiten entstammen der Periode 2008 bis 2010, zu berücksichtigen sein (VwGH 16.10.2014, Ro 2014/16/0066). Bei den Zweckmäßigkeitsgründen ist zu berücksichtigen, dass die Geltendmachung der Haftung gegenüber dem Vertreter die einzige Möglichkeit darstellt, einen Abgabenausfall zu verhindern. Die Kapitalertragsteuer wäre, um einen Abgabenausfall zu verhindern, vom Bf. lediglich einzubehalten und abzuführen gewesen. Unter Abwägung all dieser Umstände ist dem öffentlichen Interesse an der Einhebung der Abgaben der Vorzug vor den berechtigten Interessen des Bf. einzuräumen, wenngleich aufgrund lange verstrichener Zeit die jeweiligen Haftungsbeträge um 25 % herabzusetzen sind.

 

Zu Spruchpunkt 2.:

 

Mit Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 12. April 2019, Abgabenkontonummer ***2***, wurde gemäß § 232 BAO in das Vermögen des Bf. die Sicherstellung folgender Abgabenansprüche angeordnet.

  • Abgabenart

  • Zeitraum

  • Betrag in Euro
  • Kapitalertragsteuer

  • 2008

  • 140.419,07
  • Umsatzsteuer

  • 2008

  • 4.600,00
  • Kapitalertragsteuer
  • 2009

  • 350.910,69
  • Umsatzsteuer

  • 2009

  • 10.000,00
  • Summe

 
  • 505.929,76

Weiters wurde ausgesprochen, dass die Sicherstellung dieser Abgabenansprüche sofort vollzogen werden kann und die Maßnahmen nur bei Hinterlegung des Betrages von € 505.929,76 aufgehoben werden. Begründend wurde auf den Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 verwiesen. Um eine wesentliche Erschwerung der Abgabeneinbringung zu begegnen sei ein Sicherstellungsauftrag zu erlassen. Die Erschwerung der Einbringung sei zu befürchten, da das vom Finanzamt ermittelte Einkommen in krassem Missverhältnis zur Haftungsschuld stehe. Weiters seien seit dem Haftungsvorhalt vom 25. Mai 2016 zwei von drei Liegenschaften verkauft und somit einem eventuellen Zugriff der Abgabenbehörde entzogen worden.

Gegen diesen Bescheid hat der Bf. mit Eingabe vom 3. Mai 2019 Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Haftungsbescheid und die Abgabenbescheide seien zu Unrecht erlassen worden. Der Bf. beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 19. Juli 2019 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die das Festsetzungs- und Haftungsverfahren betreffenden Begründungen der Beschwerde gegen den Sicherstellungsauftrag nicht zum Erfolg verhelfen könne.

Mit Eingabe vom 29. Juli 2019 stellte der Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2020 wurden vom Beschwerdeführer Einwendungen gegen die Richtigkeit des Abgabenverfahrens erhoben. Von seinen Immobilienverkäufen sei dem Bf. nach Abzug der Bankverbindlichkeiten und der Immobilienertragssteuer kein nennenswertes Vermögen übriggeblieben.

 

Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 10. April 2019, Abgabenkontonummer ***2***, wurde der Bf. vom Finanzamt Wien 4/5/10 als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma ***5***, Firmenbuchnummer ***4***, in Anspruch genommen und aufgefordert, den Betrag von € 505.929,76 zu entrichten.

Mit Spruchpunkt 1. dieses Erkenntnisses wurden die Haftungsbeträge auf folgende Abgaben eingeschränkt:

  • Abgabenart

  • Zeitraum

  • Betrag in Euro
  • Kapitalertragsteuer

  • 2008

  • 105.314,30
  • Umsatzsteuer

  • 2008

  • 3.450,00
  • Kapitalertragsteuer
  • 2009

  • 263.183,01
  • Umsatzsteuer

  • 2009

  • 7.500,00
  • Summe

 
  • 379.447,31

Der Bf. hatte seit dem Vorhalt des Finanzamtes 4/5/10 vom 30. Mai 2016 Kenntnis, dass die Behörde beabsichtigt, ihn zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin heranzuziehen.

Der Bf. verfügt über ein geringfügiges Einkommen und mit Ausnahme von Immobilienbesitz über kein nennenswertes Vermögen. An diesem unbeweglichem Vermögen verfügte der Bf. zum Zeitpunkt, zu dem er erstmalig Kenntnis von der beabsichtigten Heranziehung zur Haftung erlangte, über eine von ihm selbst bewohnte mit Kaufvertrag vom 10. Juli 2009 erworbene Eigentumswohnung EZ ***10***, KG ***11***, 72 m², auf welcher grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich AG in Höhe von € 75.000,00 lasteten, über eine mit Kaufvertrag vom 20. Februar 2015 erworbene Eigentumswohnung EZ ***12***, KG ***13***, 97 m², auf welcher grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenbank ***20*** in Höhe von € 452.200,00 lasteten und über ein mit Kaufvertrag von 30. April 2015 Grundstück EZ ***14***, KG ***15***, 1.080 m², auf welchen grundbücherlich sichergestellte Verbindlichkeiten bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich AG von € 700.000,00 lasteten.

Die Liegenschaft in ***15*** wurde in der Folge in Teilstücke zu 141 m² (Teilstück 2), 358 m² (Teilstück 3), 367 m² (Teilstück 4) und ein um 23 m² vergrößertes Restgrundstück aus dem Eigentum des ***16*** (Kaufpreis € 2.300,00) von 237 m² geteilt. Das Teilstück 2 veräußerte der Bf. mit Kaufvertrag vom 20. Oktober 2016 zum Preis von € 42.300,00 sowie den Hälfteanteil des Restgrundstückes zum Preis von € 11.850,00 an ***16***, das Teilstück 3 wurde mit Kaufvertrag vom 30. Mai 2018 zum Preis von € 395.000,00 an ***17*** verkauft, das Teilstück 4 mit Kaufvertrag von 30. Oktober 2018 zum Preis von 395.000,00 an ***18***. Mit Kaufvertrag vom 22. Juni 2017 veräußerte der Bf. die Eigentumswohnung EZ ***12***, KG ***13***, zum Preis von € 550.000,00.

 

Beweiswürdigung:

Das Bundesfinanzgericht gründet den festgestellten Sachverhalt auf den Inhalt der vom Finanzamt Wien 4/5/10 vorgelegten Verwaltungsakten. Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen unbestritten.

 

Rechtliche Würdigung:

Gemäß § 232 Abs.1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch den Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Bei potentiell Haftungspflichtigen entsteht die Abgabenschuld als Gesamtschuld gemäß § 7 Abs 1 BAO erst mit der bescheidmäßigen Geltendmachung der Haftung. Nach Erlassung des Haftungsbescheides werden die betreffenden Abgaben nach § 224 Abs 1 BAO fällig und vollstreckbar. Innerhalb dieser Monatsfrist ist die Erlassung von Sicherstellungsaufträgen zulässig ( Stoll, BAO, 2402; VwGH 11.12.1996, 96/13/0048; 25.10.2000, 99/13/0220; 28.11.2002, 2002/13/0045, 0046; 3.7.2003, 2000/15/0044).

Der Haftungsbescheid wurde am 10. April 2019 erlassen und wie der Sicherstellungsauftrag vom 12. April 2019 am 17. April 2019 nach einem erfolglosen Zustellversuch beim angegebenen Postamt hinterlegt. Der Sicherstellungsbescheid wurde somit zulässigerweise erlassen.

Sicherstellungsaufträge setzen eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der betreffenden Abgaben voraus, Dies liegt vor, wenn aus der wirtschaftlichen Lage und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabenentrichtung voraussichtlich gesichert erscheint. (zB VwGH 27.8.1998, 98/13/0062, 22.4.1999, 97/15/0171, 19.3.2002, 97/14/0004, 26.7.2007, 2007/15/0131, 19.12.2013, 2012/15/0036, 11.2.2016, Ra 2015/13/0039).

Das Verfahren über eine Bescheidbeschwerde gegen einen Sicherstellungsauftrag hat sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem die Sicherstellung angeordnet worden ist, die erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren.

Seit der Bf. Kenntnis von der bevorstehenden Heranziehung zur Haftung für die Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin hat, hat er den überwiegenden Teil seines unbeweglichen Vermögens veräußert. Trotzdem die Grundstücke mit hohen Verbindlichkeiten grundbücherlich belastet waren, konnte er dabei Gewinne erzielen. Der Verbleib dieser Einkünfte ist ungewiss. Nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung sind diese Erlöse praktisch zur Gänze zur Tilgung von Bankdarlehen und zur Entrichtung der Immobilienertragsteuer verwendet worden. An bekanntem Vermögen des Bf. verblieb daher im Wesentlichen nur die in seinem Eigentum stehende und von ihm selbst bewohnte Wohnung EZ ***10***, KG ***11***. Da zu befürchten war, dass er auch diese Liegenschaft veräußert oder verschenkt und er ansonsten über kein nennenswertes exekutierbares Vermögen verfügt, war angesichts der hohen Abgabenforderungen die Abgabenentrichtung nur durch einen raschen Zugriff der Abgabenbehörde auf das verbleibende Vermögen des Bf. gesichert.

Die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages liegt im Ermessen (§ 20 BAO) der Abgabenbehörde. Gemäß § 20 BAO ist die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, weiter frei über sein Vermögen verfügen zu können. Dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgaben zu.

Im Rahmen des Ermessens ist zu berücksichtigen, dass der Bf., obwohl er große Teile seines unbeweglichen Vermögens bereits veräußert hat, noch über ein exekutierbares Vermögen verfügt. Angesichts der Höhe der drohenden Abgabenverbindlichkeiten war die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages gegenüber dem Haftungspflichtigen die einzige Möglichkeit, einen gänzlichen Abgabenausfall zu verhindern. Unter Abwägung all dieser Umstände ist dem öffentlichen Interesse an der Einhebung der Abgaben der Vorzug vor den berechtigten Interessen des Bf. einzuräumen.

Der Beschwerde war jedoch dahingehend teilweise Folge zu geben, als die im angefochtenen Bescheid angeführten Abgabenbeträge an den Haftungsbescheid laut Spruchpunkt 1. anzupassen waren.

 

Zu Spruchpunkt 3.:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine Rechtsfragen aufgeworfen worden sind, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, sich die Entscheidung auf die angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützt und die Ermessensentscheidung keine solche Rechtsfrage darstellt, ist eine Revision nicht zulässig.

 

 

Wien, am 23. Juni 2020

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 232 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Stichworte