VwGH Ro 2021/03/0010

VwGHRo 2021/03/001013.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Mag. T L in L, vertreten durch die Lorenz Rechtsanwalts GmbH in 4020 Linz, Museumstraße 7/3. OG, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. April 2021, Zl. LVwG‑851530/7/HW, betreffend eine Angelegenheit nach der RAO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Ausschuss der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer), zu Recht erkannt:

Normen

AMSG 1994 §37b
AMSG 1994 §37b Abs7
AZG §19d Abs1
RAO 1868 §15 Abs2
RAO 1868 §2 Abs1
VwRallg
WTBO §19 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021030010.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht ‑ durch Bestätigung eines im Vorstellungsweg ergangenen Bescheids der belangten Behörde ‑ den Antrag der Revisionswerberin vom 3. September 2020 auf Ausstellung der großen Legitimationsurkunde für die bei ihr tätige Rechtsanwaltsanwärterin Mag. K gemäß § 15 Abs. 2 RAO abgewiesen.

2 Dem legte das Verwaltungsgericht ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ zusammengefasst Folgendes zu Grunde:

Mag. K habe das Diplomstudium der Rechtswissenschaften am 21. März 2017 abgeschlossen, von 1. Juni 2017 bis 30. November 2018 die Gerichtspraxis absolviert und an Ausbildungsveranstaltungen im Ausmaß von zwölf Halbtagen teilgenommen.

Sie sei seit 5. Dezember 2018 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen und seit diesem Zeitpunkt bei der Revisionswerberin als Rechtsanwaltsanwärterin tätig; dem Arbeitsverhältnis liege „grundsätzlich ein Beschäftigungsvertrag auf Vollzeitbasis“ zu Grunde. Daneben gehe Mag. K keiner weiteren beruflichen Tätigkeit nach.

Seit 23. März 2020 befinde sich Mag. K in „COVID‑19‑Kurzarbeit“, in deren Rahmen sie von 23. März 2020 bis 28. Februar 2021 näher genannte (die „Vollzeitbeschäftigung“ nicht erreichende) Arbeitsstunden erbracht habe.

3 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung legte das Verwaltungsgericht zunächst dar, dass unter der von § 15 Abs. 2 RAO für die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde geforderten achtzehnmonatigen „praktischen Verwendung“ eine solche iSd § 2 RAO zu verstehen sei.

4 Gemäß § 2 Abs. 1 RAO sei die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt nur anrechenbar, soweit die Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt werde, wobei insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem MutterschutzG anrechenbar seien. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§ 14a und 14b AVRAG oder dem BEinstG sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MutterschutzG oder dem Väter‑KarenzG sei die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.

5 Die belangte Behörde habe in ihrem Bescheid ausgeführt, dass unter einer hauptberuflichen Tätigkeit eine „Normalarbeitszeit, also eine Vollzeitarbeit iS einer rund 40‑Stunden‑Woche“ zu verstehen sei.

6 Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 13. Oktober 2006, B 293/05, ausgesprochen, dass es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, wenn eine Betätigung im Ausmaß von nur fünfzehn Wochenstunden als nicht dem Erfordernis der Hauptberuflichkeit entsprechend beurteilt werde. Dies ergäbe sich, so der Verfassungsgerichtshof, „schon daraus, dass nach § 2 Abs. 1 letzter Satz RAO für die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutz‑ oder dem Eltern‑Karenzurlaubsgesetz eine Mindestzeit im Ausmaß der Hälfte der Normalarbeitszeit (von 40 Stunden) gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben“ sei.

7 Die Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem MutterschutzG sollten (wie sich auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe) gemäß § 2 Abs. 1 RAO grundsätzlich keine Unterbrechung der „hauptberuflichen Ausübung der Tätigkeit“ bewirken. Zudem sei nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 RAO in bestimmten Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit bzw. einer Teilzeitbeschäftigung die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt anzurechnen. Dies spreche dafür, dass ansonsten ‑ also abgesehen von den in § 2 Abs. 1 RAO ausdrücklich geregelten Fällen ‑ die Verwendung bei einem Rechtsanwalt bei einer reduzierten Arbeitszeit grundsätzlich nicht als Zeit der „praktische[n] Verwendung bei einem Rechtsanwalt“ iSd § 15 Abs. 2 RAO anrechenbar sei.

Die in § 2 Abs. 1 RAO ausdrücklich geregelten Fälle, die lediglich Umstände beträfen, die in der Person des konkreten Rechtsanwaltsanwärters lägen, unterschieden sich zudem von einer „COVID‑19‑Kurzarbeit“, weil diese eine aufgrund wirtschaftlicher bzw. betriebsbedingter Notwendigkeiten reduzierte Arbeitszeit darstelle. Die unterschiedliche Behandlung sei daher auch nicht gleichheitswidrig.

Da eine achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt nicht vorliege, weil die COVID‑19‑Kurzarbeitszeiten nicht anzurechnen seien, fehle es an einer notwendigen Voraussetzung für die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde; der Antrag sei deshalb abzuweisen gewesen.

8 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit von „COVID‑19‑Kurzarbeit‑Zeiten“ gemäß §§ 2 und 15 RAO vorliege.

9 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hat mit Beschluss vom 27. September 2021, E 2074/2021‑5, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.In der Begründung führte er u.a. Folgendes aus:

Der Verfassungsgerichtshof könne die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art. 144 Abs. 2 B‑VG). Ein solcher Fall liege vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich seien.

Die Beschwerde rüge die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art. 2 StGG und Art. 7 B‑VG. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer ‑ allenfalls grob ‑ unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob der Antrag auf Ausstellung der großen Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs. 2 RAO zu Recht abgewiesen wurde, nicht anzustellen. Demgemäß sei beschlossen worden, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

10 Die Revisionswerberin erhob gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts zudem die vorliegende ordentliche Revision.

11 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision zurück- bzw. in eventu abweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

13 Im Revisionsfall ist lediglich strittig, ob die für die Revisionswerberin tätige Mag. K das für die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde nach § 15 Abs. 2 RAO bestehende Erfordernis einer achtzehnmonatigen praktischen Ausbildung bei einem Rechtsanwalt erfüllt. Die Parteien des Verfahrens gehen insoweit übereinstimmend und auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zutreffend davon aus, dass die für die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde erforderliche „praktische Verwendung“ bei einem Rechtsanwalt oder der Finanzprokuratur iSd § 15 Abs. 2 RAO inhaltlich jener zu entsprechen hat, wie sie in § 1 Abs. 2 lit. d und § 2 Abs. 1 RAO für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte gefordert wird.

14 Unstrittig ist, dass Mag. K ab 5. Dezember 2018 bis 28. Februar 2021 als Rechtsanwaltsanwärterin bei der Revisionswerberin tätig gewesen ist und dass sie in diesem Zeitraum ansonsten keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist; ab 23. März 2020 hat sie sich in „COVID‑19‑Kurzarbeit“ befunden und dabei näher festgestellte (eine durchschnittliche 40‑Stunden‑Woche nicht erreichende) Arbeitsstunden geleistet.

15 Würden auch jene Zeiten, in denen sie sich in Kurzarbeit befunden hat, auf die erforderliche Praxiszeit angerechnet, hätte sie schon im Zeitpunkt der Antragstellung (3. September 2020) das maßgebende Erfordernis erfüllt. Erfolgte keine solche Anrechnung, wäre dies nicht der Fall.

16 Die belangte Behörde wie auch das Verwaltungsgericht haben die Auffassung vertreten, die von § 2 Abs. 1 RAO geforderte „hauptberufliche“ Ausübung der Tätigkeit verlange das Arbeiten im Rahmen einer „Normalarbeitszeit“ im Sinne einer „40‑Stunden‑Woche“; die geleistete Kurzarbeit sei daher nicht anzurechnen.

17 Dagegen führt die Revisionswerberin (wie schon im Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem Verwaltungsgericht) zusammengefasst Folgendes ins Treffen:

18 Mag. K habe, wie im verfahrenseinleitenden Antrag geltend gemacht, schon mit 5. Juni 2020 das Erfordernis einer 18monatigen praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt erfüllt. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 RAO verlange nämlich nur, dass die Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt werde, nicht aber eine Vollzeitbeschäftigung im Sinne einer 40‑Stunden‑Woche. Die gesetzliche Formulierung lasse erkennen, dass Personen, die die Tätigkeit als Berufsanwärter neben einem anderen Beruf ausübten, sich nicht in gleichem Ausmaß der Berufsvorbereitung widmen könnten wie jene, die vorwiegend Tätigkeiten ausübten, die direkt dem Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen des Rechtsanwaltsberufs dienten. Die Regelung ziele daher auf die Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenberuf, nicht aber auf ein bestimmtes zeitliches Ausmaß der hauptberuflichen Tätigkeit. So habe auch der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. September 1989, B 1207/88 (bezogen auf die ‑ vergleichbare ‑ Beschäftigung eines Wirtschaftstreuhänder‑Berufsanwärters), ausgesprochen, dass auch solchen Personen, die zwar weniger als die übliche Zeit bei einem Wirtschaftstreuhänder tätig seien, dies aber hauptberuflich, diese Zeit auf die erforderliche Ausbildungszeit anzurechnen sei.

19 Bei Kurzarbeit handle es sich ausgehend von der üblichen arbeitsrechtlichen Terminologie um die zeitlich absehbare Reduktion der betriebsüblichen Normalarbeitszeit aufgrund wirtschaftlicher bzw. betrieblicher Notwendigkeiten zur Sicherung der Arbeitsplätze, idR auf Basis einer Sozialpartnervereinbarung, regelmäßig verbunden mit Entgeltkürzungen bzw. Entschädigungen nach dem AMFG. Sie stelle keine Teilzeitarbeit iSd AZG dar. Eine solche liege vielmehr gemäß § 19d Abs. 1 AZG dann vor, wenn die mit dem Arbeitnehmer vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit die (gesetzliche) Normalarbeitszeit ‑ von vornherein ‑ im Durchschnitt unterschreite. Die Gründe für eine solche Vereinbarung könnten vielfältig sein. Für Teilzeitbeschäftigte gelte derselbe Kündigungs- und Entlassungsschutz wie für Vollzeitbeschäftigte, nicht aber ‑ anders als bei der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ ‑ ein besonderer Kündigungsschutz. Die von Mag. K verrichtete Kurzarbeit sei daher keiner Teilzeitbeschäftigung gleichzusetzen, sondern als hauptberufliche Tätigkeit zu beurteilen.

20 Entgegen der Argumentation des Verwaltungsgerichts wohne nicht nur den in § 2 Abs. 1 RAO genannten Fällen des Urlaubs und der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem MutterschutzG ein persönliches Element inne, sondern auch der „COVID‑19‑Kurzarbeit“, weil daran nicht bloß ein betriebliches Interesse bestehe, sondern auch das Interesse des Betroffenen am Erhalt des Arbeitsplatzes. Zu betonen sei auch, dass das Ziel der gesetzlichen Regelung, die erforderliche Ausbildung des Berufsanwärters durch dessen hauptberufliche und in persönlicher Anwesenheit zu erbringende Tätigkeit zu gewährleisten, auch bei Anrechnung der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ erreicht werde, zumal der Berufsanwärter auch in diesem Zeitraum praktische Erfahrungen sammeln könne, anders als in den in § 2 Abs. 1 RAO normierten Zeiten eines Urlaubs oder einer Dienstverhinderung wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschutz, in denen er gänzlich abwesend sei und auch keiner Betreuung und Beaufsichtigung seitens des Ausbildners unterliege. Entgegen dem Verwaltungsgericht sei daher eine analoge Anwendung der gesetzlichen Regelung, wonach auch die genannten Zeiten voll anrechenbar seien, auf den Fall der COVID‑19‑Kurzarbeit geboten.

21 Anders als die belangte Behörde vertrete auch die Rechtsanwaltskammer Wien die Auffassung, dass die Zeit der praktischen Verwendung im Rahmen der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ anzurechnen sei. Da die RAO bundesweit gelte, müsse auch die Anrechnung der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ bundesweit einheitlich erfolgen, zumal eine Ungleichbehandlung jene Ausbildungsanwälte benachteilige, deren Berufsanwärter ‑ mangels Anrechnung ‑ erst später und weniger weitreichend eingesetzt werden könnten.

22 Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

23 Die im Revisionsfall relevanten Bestimmungen der RAO, RGBl. Nr. 96/1868 in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 156/2020, lauten (auszugsweise) wie folgt:

Erfordernisse zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft.

§ 1. (1) Zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in (Anm.: jetzt: Republik Österreich) bedarf es keiner behördlichen Ernennung, sondern lediglich der Nachweisung der Erfüllung der nachfolgenden Erfordernisse und der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. (§§ 5 und 5a)

...

(2) Diese Erfordernisse sind:

...

d) die praktische Verwendung in der gesetzlichen Art und Dauer;

...

§. 2. (1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; anrechenbar sind insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§ 14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter‑Karenzgesetz ist die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs. 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens sieben Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten einer an ein Studium des österreichischen Rechts (§ 3) anschließenden universitären Ausbildung bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn damit im Zusammenhang ein weiterer rechtswissenschaftlicher akademischer Grad erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs. 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist;

3. eine sonstige praktische rechtsberufliche Tätigkeit im In- oder Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen und sie unter der Verantwortung einer entsprechend qualifizierten Person oder Stelle erfolgt ist.

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat Leitlinien dazu zu beschließen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß praktische Verwendungen im Sinn der Z 2 und 3 angerechnet werden; diese Leitlinien haben insbesondere auch Angaben dazu zu enthalten, welche Anforderungen von jener Stelle oder Person, bei der die praktische Verwendung absolviert oder von der diese überwacht wird, zu erfüllen und in welcher Form die erforderlichen Nachweise über Art und Inhalt der praktischen Verwendung zu erbringen sind. Die Leitlinien sind auf der Website der Rechtsanwaltskammer zu veröffentlichen und dort dauerhaft bereitzustellen.

(4) Die praktische Verwendung kann frühestens vom erfolgreichen Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts (§ 3) an gerechnet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach Abs. 1 bis 3 ist ausgeschlossen.

...

§ 15. (1) Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(2) Substitutionsberechtigt ist ein Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat. Das Erfordernis der Rechtsanwaltsprüfung kann auf Ansuchen eines Rechtsanwalts vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer aus rücksichtswürdigen Gründen denjenigen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern erlassen werden, die ein Studium des österreichischen Rechts (§ 3) abgeschlossen haben und mindestens eine siebenmonatige Praxis bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft sowie eine achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt oder bei der Finanzprokuratur nachzuweisen vermögen. Die Nachsicht der Rechtsanwaltsprüfung gilt jedoch nur für die Dauer der Verwendung des Rechtsanwaltsanwärters bei demjenigen Rechtsanwalt, auf dessen Ansuchen sie bewilligt wurde.

...

(4) Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer hat den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen die Substitutionsberechtigung nach Abs. 2 (große Legitimationsurkunde) oder die Vertretungsbefugnis nach Abs. 3 (kleine Legitimationsurkunde) ersichtlich ist.“

24 Der Revisionswerberin ist zuzugestehen, dass eine isolierte Betrachtung des Wortlauts der in Rede stehenden Regelung der „Hauptberuflichkeit“ ihre Auffassung zu stützen scheint, damit werde keine „Normalarbeitszeit“ gefordert: Festzuhalten ist zunächst, dass die beiden für die Anrechenbarkeit zu erfüllenden Voraussetzungen, wonach die Tätigkeit des Berufsanwärters „hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit“ ausgeübt wird, kumulativ („und“) bestehen müssen. Die Ausübung einer weiteren beruflichen Tätigkeit schadet also solange nicht, als diese nicht den „Hauptberuf“ bildet, und sie nicht die „eigentliche“, den „Hauptberuf“ darstellende anwaltliche Ausbildung beeinträchtigt.

25 Diesem Erfordernis wäre an sich auch dann Genüge getan, wenn die anwaltliche Ausbildung des Berufsanwärters dessen einzige Berufstätigkeit darstellt, aber in einem (auch deutlich) geringeren zeitlichen Ausmaß erfolgt, als es dem üblichen Verständnis einer Normalarbeitszeit entspricht; also etwa auch dann, wenn der Rechtsanwaltsanwärter seine Ausbildungstätigkeit nur im Rahmen einer „Zehn-Stunden-Woche“ ausübt und im Übrigen privaten, nicht beruflichen Angelegenheiten nachgeht.

26 Schon der systematische Zusammenhang mit den weiteren Regelungen in § 2 Abs. 1 RAO, aber auch ein Blick auf historische Genese und Gesetzesmaterialien belegen allerdings das Gegenteil einer solchen, im Ergebnis von der Revisionswerberin vertretenen Auffassung:

27 Dass der Gesetzgeber mit der Wendung „hauptberuflich“ das Verständnis einer „Normalarbeitszeit“ vor Augen hatte, zeigt insbesondere der letzte Satz des § 2 Abs. 1 RAO, der bestimmte Fälle der „Herabsetzung der Normalarbeitszeit“ betrifft und anordnet, dass diesfalls nur die tatsächlich geleistete Ausbildungszeit („Ausbildungszeit ..., auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde“) anzurechnen ist, sodass also etwa bei einer Herabsetzung der Normalarbeitszeit für ein Jahr von 40 Stunden auf 10 Stunden pro Woche für das betreffende Jahr nur drei Monate anzurechnen wären (so das Beispiel in den Materialien). Diese Regelung wäre unverständlich, käme es auf das Bestehen einer „Normalarbeitszeit“ gar nicht an und wäre die Ausbildungszeit nicht bloß verhältnismäßig, sondern voll, unabhängig von ihrem zeitlichen Ausmaß und damit ihrer „Intensität“ anzurechnen.

28 Dieser Auslegungsbefund wird bestätigt durch die historische Genese der fraglichen Regelung:

29 Das im Revisionsfall relevante Erfordernis der „Hauptberuflichkeit“ in § 2 Abs. 1 RAO geht im Kern zurück auf die Novelle BGBl. Nr. 556/1985, mit der dem § 2 Abs. 1 RAO der Satz „Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.“ angefügt wurde.

Die Novelle stand im Zusammenhang mit dem Entfall des Doktorats als obligatorische Berufsvoraussetzung und weiteren „flankierenden Maßnahmen“ (IA 146/A, 26. GP ), wobei „besonderes Augenmerk der Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter gewidmet werden“ sollte, und betont wurde, dass nicht nur die Abhaltung von Ausbildungsveranstaltungen, sondern auch die Verlängerung der Praxiszeit der besseren Ausbildung dienen solle.

30 Durch die Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 erhielt § 2 Abs. 1 RAO folgende Fassung:

„(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. Nr. 221, oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz, BGBl. Nr. 651/1989, ist anrechenbar, wenn sie zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit umfaßt; sie ist im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit zu berücksichtigen.“

31 In den Erläuterungen der Regierungsvorlage (RV 1638 BlgNR 20. GP ) wird dazu nur ausgeführt, dass entsprechend dem notariellen Berufsrecht nunmehr auch nach der RAO eine praktische Verwendung als Rechtsanwaltsanwärter in Form einer Teilzeitbeschäftigung unter gewissen Voraussetzungen als Praxiszeit anrechenbar sein soll.

32 Mit der Novelle BGBl. I Nr. 111/2007 erhielt § 2 Abs. 1 RAO folgende ‑ im Wesentlichen (bis auf den Entfall des Ausdrucks „beeideten“ in der Wortfolge „beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater“ mit der Novelle BGBl. I Nr. 159/2013) auch heute geltende ‑ Fassung:

„(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; anrechenbar sind insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§ 14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz ist die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.“

33 Die Erläuterungen in der Regierungsvorlage (RV 303 23. GP ) führen dazu Folgendes aus:

„Nach § 2 Abs. 1 RAO ist die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder Eltern‑Karenzurlaubsgesetz (jetzt: Väter‑Karenzgesetz) ist nur anzurechnen, wenn sie ‚zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit‘ umfasst. Es ist nicht einzusehen, warum einerseits bei einer Herabsetzung der Normalarbeitszeit aus anderen berücksichtigungswürdigen Gründen, etwa nach §§ 14a und 14b AVRAG (Familienhospizkarenz) oder für begünstigte Behinderte (vgl. 8 ObA 111/03m), andererseits bei einer Herabsetzung um mehr als die Hälfte diese Anrechnung nicht zum Tragen kommen soll, wenn keine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Wird die Normalarbeitszeit z.B. für ein Jahr auf ein Viertel (d.h. bei einer Normalarbeitszeit von 40 Stunden auf 10 Stunden pro Woche) herabgesetzt, so sind für dieses Jahr nur 3 Monate anzurechnen.

Anders als in § 117 Abs. 4 NO wird in der RAO nirgends normiert, dass Zeiten des gesetzlichen Urlaubs, der Verhinderung wegen Krankheit oder Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz anrechenbar sind. Es kann zwar schon nach bisheriger Rechtslage (hinsichtlich des Mutterschutzes schon auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften) davon ausgegangen werden, dass diese Zeiten prinzipiell keine Unterbrechung der ‚hauptberuflichen Ausübung der Tätigkeit‘ bewirken; dennoch soll es der Klarheit halber im Gesetz festgehalten werden.“

34 Auf die Verankerung der „Hauptberuflichkeit“ mit der Novelle BGBl. Nr. 556/1985 folgte also erstmals mit der Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 eine zweifach eingeschränkte Möglichkeit der Anrechnung einer Teilzeitausbildung (nämlich nur in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem MutterschutzG und dem Eltern‑KarenzurlaubsG und zudem nur dann, wenn maximal auf die Hälfte der Normalarbeitszeit herabgesetzt wird).

Die Novelle BGBl. I Nr. 111/2007 erweiterte die Möglichkeiten einer Anrechnung von Teilzeitbeschäftigungen zweifach: Einerseits entfiel das Erfordernis, dass die Teilzeit „zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit“ umfassen muss, andererseits wurde der Katalog möglicher anrechenbarer Teilzeitbeschäftigung erweitert um die Fälle nach §§ 14a und 14b AVRAG (also bei Sterbebegleitung naher Angehöriger und bei Begleitung schwersterkrankter Kinder) und nach dem Behinderteneinstellungsgesetz ‑ BEinstG (Herabsetzung der Normalarbeitszeit für begünstigte Behinderte). Unverändert blieb die Regelung insoweit, als anzurechnen nur im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit ist, also verhältnismäßig.

35 Regelungen betreffend die Anrechnung von COVID‑19‑Kurzarbeit wurden vom Gesetzgeber in anderen Gesetzen getroffen, etwa im Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017, BGBl. I Nr. 137/2017 (WTBG 2017). Hier bestimmt der Abs. 4 von § 239a („Sonderregelungen ‑ COVID‑19“):

„(4) Berufsanwärter, deren Eigenschaft zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes gemäß § 42 festgestellt war, behalten diese Eigenschaft auch dann, wenn der sie beschäftigende Wirtschaftstreuhänder nach dem 16. März 2020 Kurzarbeit gemäß § 37b des Arbeitsmarktservicegesetzes, BGBl. Nr. 313/1994, angemeldet hat und das Ausmaß der Beschäftigung des Berufsanwärters dadurch vorübergehend weniger als das gemäß § 40 Abs. 1 Z 2 erforderliche Ausmaß beträgt. § 13 Abs. 3 ist auf diese Zeiten gleichermaßen anzuwenden.“

36 Zeiten der COVID‑19‑Kurzarbeit sind danach also auch dann verhältnismäßig (vgl. § 13 Abs. 3 WTBG 2017) anzurechnen, wenn sie, anders als von § 40 Abs. 1 Z 2 WTBG 2017 grundsätzlich gefordert, nicht zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit erreichen.

37 Eine entsprechende (vergleichbare) gesetzliche Regelung in der RAO unterblieb aber: Zwar wurde mit einem Initiativantrag vom 18. Juni 2020 (IA 717/A, BlgNR 27. GP) eine Änderung des § 2 Abs. 1 RAO dahin vorgeschlagen, dass auch „Zeiten der COVID‑19‑Kurzarbeit“ voll anrechenbar seien, was durch die bestehende „Ausnahmesituation“ gerechtfertigt sei; dieser „Anlauf“ führte aber nicht zur Gesetzwerdung.

38 Auf dieser Grundlage ist zunächst Folgendes festzuhalten:

39 § 2 Abs. 1 RAO verlangt für die Anrechnung der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt grundsätzlich eine Vollzeittätigkeit. Wird eine solche ausgeübt, sind auch Zeiten einer Verhinderung wegen gesetzlichen Urlaubs, Krankheit, Unfall, oder eines Beschäftigungsverbots nach dem MutterschutzG voll anrechenbar.

40 Von diesem Verständnis der „Hauptberuflichkeit“ im Sinne einer Vollzeitbeschäftigung geht ‑ entgegen der Revision ‑ im Übrigen auch der Verfassungsgerichtshof aus (vgl. VfGH 21.6.1997, B 29/97: Die Wertung der praktischen Verwendung eines bloß ein Drittel der wöchentlichen Normalarbeitszeit als Rechtsanwaltsanwärter tätigen ordentlichen Universitätsprofessors als nicht hauptberuflich wurde als nicht willkürlich beurteilt; VfGH 13.10.2006, B 293/05: Die Beurteilung einer bloß 15stündigen Wochenarbeitszeit eines Berufsanwärters, der keine sonstige Berufstätigkeit ausübte, als nicht dem Erfordernis der Hauptberuflichkeit entsprechend wurde nicht beanstandet).

41 In dem von der Revision als Beleg für ihre Auffassung angesprochenen Erkenntnis vom 30. September 1989, B 1207/88, hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung des § 19 WT‑BO, wonach nur eine hauptberuflich bei einem Wirtschaftstreuhänder tätige Person Berufsanwärter sein könne, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet: Der Gesetzgeber könne bei einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgehen, dass sich Personen, die die Tätigkeit als Berufsanwärter neben einem anderen Hauptberuf ausüben, nicht in gleichem Ausmaß der Berufsvorbereitung werden widmen können, wie Personen, die als Berufsanwärter bei einem Wirtschaftstreuhänder vorwiegend Tätigkeiten ausüben, die direkt dem Erwerb der Erfahrungen und Kenntnisse des Wirtschaftstreuhänderberufs dienen. Der Gesetzgeber könne dabei auch davon ausgehen, dass Personen, die zwar weniger als die übliche Arbeitszeit bei einem Wirtschaftstreuhänder tätig sind, aber diese Tätigkeit hauptberuflich ausüben, wenn und insoweit eine umfassende Ausbildung gewährleistet ist, als Berufsanwärter (mit entsprechend längerer Praxiszeit) tätig sein können, nicht aber jene Personen, die ebenfalls nur einen Teil ihrer Zeit in einer Wirtschaftstreuhänderkanzlei arbeiten, dies aber neben der vollen Belastung in einem anderen (Haupt-)Beruf tun.

Die Revisionsausführungen übergehen also den - auch vom Verfassungsgerichtshof betonten ‑ Umstand (längere Praxiszeit), dass eine „die übliche Arbeitszeit in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei“ nicht erreichende Beschäftigung nach § 19 Abs. 4 WT‑BO nur „verhältnismäßig“ ‑ also gerade nicht voll ‑ anzurechnen ist.

42 Die Regelung des § 2 Abs. 1 RAO dient erkennbar der Sicherstellung einer umfassenden, qualitativ hochstehenden Ausbildung (vgl. nur etwa die oben zitierten Gesetzesmaterialien; so etwa auch VfGH 13.10.2006, B 293/05).

43 Als Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis einer Vollzeitbeschäftigung lässt der letzte Satz des § 2 Abs. 1 RAO die Anrechnung auch in den dort genannten Fällen einer Herabsetzung der Normalarbeitszeit zu, wobei diese Zeiten aber nur aliquot anzurechnen sind, weshalb dann eine längere Praxiszeit erforderlich ist.

44 Entgegen der Revision kann aus der arbeits(vertrags)rechtlichen Einordnung der Kurzarbeit (die Revision macht geltend, bei Kurzarbeit handle es sich nicht um Teilzeitbeschäftigung und zieht daraus den Schluss, dass deshalb das Erfordernis der „Hauptberuflichkeit“ erfüllt werde) für die Beantwortung der revisionsgegenständlichen Frage nichts gewonnen werden:

45 Gemäß § 3 Abs. 1 AZG darf die tägliche Normalarbeitszeit acht und die wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreiten, soweit im Folgenden nicht anderes bestimmt wird.

46 Gemäß § 19d Abs. 1 AZG liegt Teilzeitarbeit vor, wenn die vereinbarte Wochenarbeitszeit die gesetzliche Normalarbeitszeit oder eine durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgelegte kürzere Normalarbeitszeit im Durchschnitt unterschreitet.

47 Gemäß § 97 Abs. 1 Z 13 ArbVG können Betriebsvereinbarungen iSd § 29 leg. cit. zur Anordnung der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit geschlossen werden. Schon in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 840 , 13. GP) zur Stammfassung (BGBl. Nr. 22/1974) dieser Bestimmung wird der Unterschied zwischen Kurzarbeit und Teilzeitbeschäftigung betont:

„Von Kurzarbeit zu unterscheiden und damit von diesem Mitwirkungsrecht nicht erfaßt ist die Teilzeitbeschäftigung (die gegenüber der Normalarbeitszeit geringere Beschäftigungsdauer des Teilzeitbeschäftigten beruht in der Regel nicht ‑ wie bei der Kurzarbeit ‑ auf nachträglicher Verkürzung der Normalarbeitszeit, sondern auf einer bei Abschluß des Arbeitsvertrages geschlossenen Vereinbarung).“

48 Unter Anknüpfung an die „übliche arbeitsrechtliche, dem Arbeitsmarktförderungsgesetz (§§ 27 Abs. 1 lit. d, 29, 30) zugrunde liegende Terminologie“ hat der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis vom 27. November 1990, 89/08/0031, festgehalten, dass Kurzarbeit von solchen Arbeitnehmern verrichtet wird, „die in einer auf Grund wirtschaftlicher bzw. betrieblicher Notwendigkeiten vorübergehend reduzierten Arbeitszeit mit entsprechender Engeltkürzung beschäftigt werden, für deren Entschädigung dem Dienstgeber unter bestimmten Voraussetzungen nach den zitierten Bestimmungen des AMFG Beihilfen gewährt werden“.

49 Gemäß § 5 Abs. 3 Z 1 ASVG liegt kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vor, wenn das im Kalendermonat gebührende Entgelt den in Abs. 2 genannten Betrag (Geringfügigkeitsgrenze) nur deshalb nicht übersteigt, weil infolge Arbeitsmangels im Betrieb die sonst übliche Zahl von Arbeitsstunden nicht erreicht wird (Kurzarbeit) oder die für mindestens einen Monat oder auf unbestimmte Zeit vereinbarte Beschäftigung im Lauf des betreffenden Kalendermonates begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde.

50 Gemäß § 37b Abs. 7 AMSG sind wirtschaftliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Epidemien (COVID‑19) Schwierigkeiten im Sinne des Abs. 1 Z 1 (also Betroffenheit eines Betriebs „durch vorüber gehende nicht saisonbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten“). Sie begründen daher einen Anspruch auf Beihilfe zur Kurzarbeit für Arbeitgeber, die zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit Kurzarbeit für Arbeitnehmer durchführen.

51 Die im Zuge der COVID‑19‑Pandemie für betroffene Unternehmen vorgesehene Möglichkeit, Beihilfen bei Kurzarbeit gemäß § 37b AMSG zu erhalten, war zunächst befristet für drei Monate ab 1. März 2020 vorgesehen und wurde in der Folge verlängert. Bei der Kurzarbeit kam es zu einer vorübergehenden Herabsetzung der Arbeitszeit in einem Durchrechnungszeitraum auf mindestens 10 % und maximal 90 % der Normalarbeitszeit. Auf die Beihilfen bei Kurzarbeit gemäß § 37b AMSG besteht bei Erfüllung der Voraussetzungen ein durchsetzbarer Rechtsanspruch (vgl. VfGH 14.7.2020, G 202/2020 u.a., 2.3.6.3).

52 Rechtspolitische Zielsetzung dieser Regelung ist neben der Vermeidung von Arbeitslosigkeit bzw. der Erhaltung des Beschäftigtenstands (vgl. § 37b AMSG) auch die ‑ damit einhergehende ‑ Unterstützung von Unternehmen, die sich aufgrund der Pandemie in unvorhersehbaren und vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden (vgl. die Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe, BGS/AMF/0702/9990/2020).

53 Auch wenn nach dem Gesagten also Unterschiede zwischen Teilzeitbeschäftigung und Kurzarbeit bestehen mögen, ist für die Anrechenbarkeit der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt iSd § 2 Abs. 1 RAO grundsätzlich - neben den weiteren vom Gesetz verlangten, hier nicht strittigen Voraussetzungen - nur das zeitliche Ausmaß dieser Verwendung bedeutsam; nicht entscheidend ins Gewicht fällt hingegen, ob die „COVID‑19‑Kurzarbeit“ als „Teilzeitbeschäftigung“ im oben genannten Sinn anzusehen ist oder nicht.

54 Entgegen der Revision kann auch nicht gesehen werden, dass die im Gesetz genannten Tatbestände, bei denen eine volle Anrechnung erfolgt, im Wege der Analogie um den Fall einer COVID‑19‑Kurzarbeit erweitert werden könnten: Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die gesetzlichen Regelungen betreffend die Anrechenbarkeit von Ausbildungszeiten eine planwidrige Unvollständigkeit erkennen ließen. Eine ‑ gegebenenfalls durch Analogie zu schließende ‑ Lücke wäre dort anzunehmen, wo das Gesetz (solange seine Ergänzung nicht etwa einer von ihm selbst gewollten Beschränkung widerspricht) gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, was dann der Fall wäre, wenn es in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen ‑ unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers ‑ eben dieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher ‑ schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung ‑ auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen.

55 Die historische Genese und die Gesetzesmaterialien machen aber deutlich, dass der Gesetzgeber die Anrechenbarkeit auf die im Gesetz genannten Fälle beschränkt wissen wollte; eine vom Gesetzgeber ungewollte „Lücke“ kann daher schon deshalb nicht angenommen werden.

56 Gegen eine Gleichbehandlung der im Gesetz genannten Tatbestände und einer COVID‑19‑Kurzarbeit hat das Verwaltungsgericht zudem ins Treffen geführt, dass die gesetzlich geregelten Fälle lediglich Umstände beträfen, die in der Person des konkreten Rechtsanwaltsanwärters lägen, während letzteres durch wirtschaftliche bzw. betriebsbedingte Notwendigkeiten begründet werde. Dem hält die Revision entgegen, dass auch der Kurzarbeit ‑ wegen des Interesses des Betroffenen am Erhalt des Arbeitsplatzes ‑ ein persönliches Element innewohne, was eine analoge Anwendung erlaube.

57 Dazu ist Folgendes festzuhalten: Eine ‑ von der Revision geforderte ‑ „volle“ Anrechnung von Zeiten einer COVID‑19‑Kurzarbeit auf die von § 2 Abs. 1 RAO verlangte praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt, insoweit also eine Gleichbehandlung mit „Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz“, wäre unvereinbar mit dem gesetzlichen Ziel der Regelung (Sicherstellung einer den hohen Erfordernissen der Anwaltstätigkeit entsprechenden Ausbildung): Es bedarf keiner weitwendigen Begründung, dass ein etwa nur zu 10 % der üblichen Arbeitszeit bei einem Rechtsanwalt tätiger Rechtsanwaltsanwärter nicht die gleiche Ausbildung erfahren kann wie jener, der (was das Gesetz grundsätzlich verlangt) dort in Vollzeit tätig ist. Dagegen kann auch nicht erfolgreich ins Treffen geführt werden, dass zu den Zeiten der im Gesetz genannten („verglichenen“) Tatbestände gar keine Ausbildung erfolgt, handelt es sich bei diesen im Gesetz genannten Tatbeständen, jedenfalls bei typisierender Betrachtungsweise, doch um relativ kurze und damit kaum ins Gewicht fallende Verhinderungen, was auf die „COVID‑19‑Kurzarbeit“ - ungeachtet des Umstands, dass sie nicht auf Dauer angelegt ist ‑ nicht zutrifft.

58 Es besteht aber auch keine Grundlage für eine analoge Anwendung des letzten Satzes des § 2 Abs. 1 RAO auf die Zeiten der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ und damit deren aliquote Anrechnung: Dass der Gesetzgeber die Anrechenbarkeit auf die im Gesetz genannten Fälle beschränkt wissen wollte, wurde schon oben betont. Zu ergänzen ist, dass dem Gesetzgeber das Phänomen der Kurzarbeit bekannt sein musste (Kurzarbeit erforderlich machende wirtschaftliche Schwierigkeiten gab es ebenso wie eine gesetzliche Regelung der Kurzarbeit schon vor der Erweiterung der „Teilzeitregelung“ des § 2 Abs. 1 letzter Satz RAO durch die Novelle BGBl. I Nr. 111/2007).

59 Der Gesetzgeber hat also ‑ ungeachtet der Erweiterung ‑ eben nicht alle Formen einer nicht die Vollzeit erreichenden Beschäftigung als ‑ aliquot ‑ auf die Ausbildungszeit anrechenbar normiert.

60 Die im Gesetz genannten Fälle unterscheiden sich von der „COVID‑19‑Kurzarbeit“ nicht nur dadurch, dass sie jeweils in der Person des betroffenen Anwärters liegen, während von „COVID‑19‑Kurzarbeit“ der gesamte Betrieb bzw. die Gesamtwirtschaft erfasst wird, sondern auch dadurch, dass auf die Herabsetzung der Normalarbeitszeit in den im Gesetz genannten Fällen ein Rechtsanspruch besteht, während für die „COVID‑19‑Kurzarbeit“ eine vertragliche Einigung (regelmäßig der Sozialpartner) erforderlich ist. Entscheidend ins Gewicht fallen dürfte aber der Umstand, dass es sich bei den im Gesetz genannten Fällen jeweils nicht nur um persönliche Umstände in der Person des Betroffenen handelt, sondern vielmehr zudem um besonders einschneidende, die persönliche Lebensführung massiv beeinflussende Situationen (Sterbebegleitung eines nahen Angehörigen nach § 14a AVRAG; Begleitung von schwersterkrankten Kindern nach § 14b AVRAG; Vorliegen einer Behinderung nach dem BEinstG; Kinderbetreuung nach dem MutterschutzG bzw. dem Väter‑KarenzG), die es dem Betroffenen regelmäßig nicht zumutbar erscheinen lassen bzw. sogar unmöglich machen, seine Kraft in einem solchen Ausmaß der Berufstätigkeit zu widmen, wie es üblicherweise eine Vollzeitbeschäftigung erfordert.

61 Eine ‑ Lückenschließung durch Analogie erforderlich machende - verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung kann insoweit also nicht gesehen werden. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot geltend machenden Beschwerde der Revisionswerberin abgelehnt hat, offenbar ebenfalls keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der relevanten Bestimmung gehegt hat.

62 Nach dem Gesagten erweist sich die Revision als unbegründet; sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

63 Diese Entscheidung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unter Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil das Verwaltungsgericht ‑ ein Tribunal iSd EMRK bzw. ein Gericht iSd GrC ‑ eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

64 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die USt im gesetzlichen Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 13. Dezember 2021

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