Normen
AVG §56
B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §7a idF 2021/I/183
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022090097.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund jeweils Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit als Bescheid bezeichnetem Schriftstück der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 11. Jänner 2022 wurde aufgrund seiner Infektion mit SARS‑CoV‑2 die Absonderung des Revisionswerbers ab Zustellung bis einschließlich 20. Jänner 2022 an seiner Wohnadresse angeordnet. Die Absonderung könne vorzeitig enden, wenn das Testergebnis eines ab dem 15. Jänner 2022 durchgeführten, behördlich veranlassten PCR‑Tests negativ ausfalle oder mit CT‑Wert gleich/über 30 ausfalle.
2 Der Revisionswerber nahm die von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz zugewiesenen PCR‑Testtermine wahr. Die PCR‑Testergebnisse waren positiv, die CT‑Werte lagen unter 30.
3 Daraufhin wurde mit dem als Bescheid bezeichneten Schriftstück der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 20. Jänner 2022 die Verlängerung der Absonderung des Revisionswerbers an seiner Wohnadresse ab 21. Jänner 2022, frühestens ab Zustellung, bis einschließlich 27. Jänner 2022 angeordnet.
4 Die dagegen jeweils erhobenen Beschwerden des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) mit den angefochtenen Beschlüssen als unzulässig zurück und verpflichtete den Revisionswerber gemäß § 35 VwGVG iVm § 7a Epidemiegesetz 1950 (EpiG) jeweils zum Kostenersatz. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es jeweils für nicht zulässig.
5 Die Zurückweisung der Beschwerden begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass die Bescheide nicht der Bezirkshauptmannschaft Bludenz zuzurechnen seien. Die Unterfertigerin der bekämpften Bescheide habe zum Zeitpunkt der Bescheiderlassungen über keine Approbationsbefugnis für die genannte Bezirkshauptmannschaft verfügt. Die Bescheide seien daher nichtig.
6 Gegen diese beiden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts richten sich die vorliegenden Revisionen.
7 Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz erstattete in den vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren Revisionsbeantwortungen, in der jeweils die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt wird.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Revisionen wegen ihres sachlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Behandlung und Erledigung zu verbinden.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
10 Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, sind gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 34 Abs. 1a VwGG bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 In den übereinstimmenden Zulässigkeitsbegründungen wird geltend gemacht, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob bei Vorliegen eines „Nichtbescheides“, der zur tatsächlichen Absonderung geführt habe, das Verwaltungsgericht im Sinn einer „Gesamtbeschwerde“ gemäß § 7a EpiG verpflichtet gewesen wäre, festzustellen, dass diese Absonderung rechtswidrig gewesen sei. Prüfungsgegenstand sei die Rechtmäßigkeit der ‑ aufrechten oder bereits beendeten ‑ Absonderung „an sich“ als auch die Rechtmäßigkeit des der Absonderung zugrundeliegenden Rechtsakts. Das Verwaltungsgericht hätte aufgrund der „Absonderungsbeschwerde“ feststellen müssen, dass die Absonderung rechtswidrig gewesen sei, weil diese auf Grundlage eines „Nichtbescheids“ erfolgt sei.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich zu der im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmung des § 7a EpiG idF BGBl. I Nr. 183/2021, mit der der Rechtsschutz nach dem EpiG neu geregelt wurde, bereits im Erkenntnis vom 24. Mai 2022, Ra 2022/03/0006 bis 0010, auf das zur weiteren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG verwiesen wird, näher auseinandergesetzt und Folgendes ausgeführt (Unterstreichungen hinzugefügt):
„15 Nach § 7a Abs. 1 EpiG können Personen, die gemäß § 7 abgesondert werden oder abgesondert wurden oder denen gegenüber eine Absonderung angeordnet wurde, das Landesverwaltungsgericht mit der Behauptung, in ihren Rechten verletzt zu sein, anrufen. Für eine solche Beschwerde (im Folgenden auch: Absonderungsbeschwerde) gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG ‑ das sind Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ‑ anwendbaren Bestimmungen des VwGVG. Sofern die Absonderung noch andauert, hat das Landesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Absonderung maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
16 Diese Regelung über den Rechtsschutz bei Absonderungen entspricht damit nahezu vollständig ‑ über weite Strecken sogar wörtlich ‑ jener über den Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft nach § 22a BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG). Die Materialien zu § 7a EpiG stützen diesen Befund durch den Hinweis darauf, dass die nunmehr vorgesehene ‚Gesamtbeschwerde‘ nach dem Vorbild des § 22a BFA‑VG gestaltet sei. Sie nehmen dabei auch ausdrücklich auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, G 151/2014 u.a., VfSlg. 19.970/2015, Bezug, mit dem eine derartige Regelung, wonach mehrere verschiedene Beschwerdegegenstände durch prozessuale Verbindung in einem einheitlichen Verfahren vereint werden, als verfassungskonform erachtet worden sei.
17 Mit dem genannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof die Konzeption der ‚Schubhaftbeschwerde‘ nach § 22a BFA‑VG als einheitliches Rechtsmittel gegen verschiedene, allenfalls auch mehrere Beschwerdegegenstände als ‚Gesamtbeschwerde‘ geprüft. Eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA‑VG gegen das Verwaltungshandeln im Rahmen einer Schubhaft ‑ Schubhaftbescheid, Festnahme und Anhaltung ‑ könne sich demnach gegen drei mögliche Beschwerdegegenstände richten, wovon jeder einem Beschwerdegegenstand des Art. 130 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 B‑VG entspreche: Soweit sich die Beschwerde gegen einen Schubhaftbescheid richte, stütze sie sich auf Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG. Soweit sich Beschwerden gegen die Festnahme oder Anhaltung (soweit diese nicht von einem Bescheid gedeckt sind oder einen zugrunde liegenden Bescheid überschreiten) richteten, könnten sie auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG gestützt werden. Art. 130 Abs. 2 Z 1 B‑VG ermögliche darüber hinaus dem einfachen Gesetzgeber, Verhalten einer Verwaltungsbehörde zum Beschwerdegegenstand zu erklären, das nicht bereits ein Kontrollobjekt nach Art. 130 Abs. 1 B‑VG, also nicht typengebundenes Verwaltungshandeln ist. Unter diesen Tatbestand könnten Festnahme und Anhaltung, soweit es sich dabei um bloße Vollstreckungsmaßnahmen handle, subsumiert werden. § 22a BFA‑VG ordne eine Form des Rechtsschutzes an, die erfordere, dass hinsichtlich eines oder mehrerer dieser Beschwerdegegenstände (Schubhaftbescheid, Festnahme oder Anhaltung) ein einheitlicher Beschwerdeschriftsatz eingebracht werde.
(...)
18 Mit dem genannten Erkenntnis wurden § 22a Abs. 1 und 2 BFA‑VG idF BGBl. I Nr. 68/2013 (nur deshalb) als verfassungswidrig aufgehoben, weil die Regelung einer derartigen ‚Gesamtbeschwerde‘ die ausdrückliche Anordnung von einheitlichen Verfahrensregelungen erfordere. Der Gesetzgeber hat darauf mit der Einfügung des § 22a Abs. 1a BFA‑VG durch BGBl. I Nr. 70/2015 reagiert, wonach im Schubhaftbeschwerdeverfahren die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG zu gelten haben (vgl. entsprechend § 7a Abs. 3 erster Satz EpiG).
19 Aus § 7a EpiG ergibt sich somit nach den Gesetzesmaterialien und in systematischer Übertragung der Rechtslage zur Schubhaftbeschwerde vor dem Hintergrund des dargestellten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes, dass im Verfahren über eine Absonderungsbeschwerde mehrere Prüfungsgegenstände für das Verwaltungsgericht vorliegen können: Einerseits die Rechtmäßigkeit des der Absonderung zugrunde liegenden Rechtsakts, sei es ein Absonderungsbescheid (das Pendant zum Schubhaftbescheid) oder eine Absonderung in Form eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (das Pendant zu einer nicht von einem Schubhaftbescheid gedeckten Festnahme), und anderseits die Rechtmäßigkeit der Absonderung ‚an sich‘ als ‑ allenfalls noch andauernder ‑ Zustand (das Pendant zur Anhaltung als bloßer Vollstreckungsmaßnahme). Dabei ist nach § 7a Abs. 5 EpiG im Fall der zum Entscheidungszeitpunkt noch andauernden Absonderung die Feststellung zu treffen, ob zu diesem Zeitpunkt die für die Fortsetzung der Absonderung maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (‚Fortsetzungsausspruch‘).
20 Bereits aus dem Wortlaut des § 7a EpiG ergibt sich, dass das mit einer Absonderungsbeschwerde geltend gemachte Rechtsschutzinteresse nicht mit der Beendigung der Absonderung wegfällt, sondern dass auch nach Ende der Absonderung eine inhaltliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu ergehen hat.
(...)
22 Ausgehend davon ist auch der einer Absonderung zu Grunde liegende Rechtsakt - wie etwa ein Absonderungsbescheid - nachträglich auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dementsprechend ist auch eine ganzheitliche Beurteilung mit dem ‑ auf den Entscheidungszeitpunkt abstellenden ‑ Fortsetzungsausspruch nicht möglich. Die nachträgliche Aufhebung eines Absonderungsbescheides führt nicht zur formellen Klaglosstellung, weil damit nicht eine Rechtswidrigkeit der bis dahin andauernden Absonderung zum Ausdruck gebracht wird. Und es beginnt der Lauf der sechswöchigen Beschwerdefrist für eine Absonderungsbeschwerde ‑ auch in Bezug auf einen Absonderungsbescheid ‑ erst mit Beendigung der Absonderung. All diese Besonderheiten des Verfahrens über eine Absonderungsbeschwerde, die es mit dem Verfahren über Schubhaftbeschwerde teilt, lassen sich mit der Ansicht, allein schon die Beendigung der Absonderung führe jedenfalls zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses in Bezug auf eine Absonderungsbeschwerde, nicht vereinbaren.“
14 Bereits aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Rechtsschutz des § 7a EpiG einen Hoheitsakt (Bescheid, unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt) oder ein sonstiges der Behörde zurechenbares faktisches Handeln, das auf die Durchsetzung von Absonderungsmaßnahmen gerichtet ist, voraussetzt.
15 Das Verwaltungsgericht kam mit näherer rechtlicher Begründung zum Schluss, dass die beiden als Bescheid bezeichneten Schriftstücke „Nichtbescheide“ darstellen. Diese rechtliche Beurteilung wird vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen (vgl. im Übrigen zur fehlenden Approbationsbefugnis etwa VwGH 29.9.2022, Ra 2021/15/0052, mwN). Sind Verwaltungsakte aber absolut nichtig, ist so vorzugehen, als ob diese Verwaltungsakte nicht vorhanden sind. Sie sind rechtlich nicht existent, sodass es auch keiner Anfechtungsmöglichkeit oder Beseitigung dieser bedarf (vgl. in diesem Sinn VwGH 19.12.2000, 2000/12/0045; 2007/12/0085, mwN; siehe auch VwGH 27.1.2016, Ra 2015/03/0068).
16 Dass im konkreten Fall abgesehen von den solcherart wirkungslosen „Absonderungsbescheiden“ ein der Behörde zurechenbares faktisches Handeln, das auf die Durchsetzung von Absonderungsmaßnahmen (vgl. dazu § 7 EpiG) gerichtet war (etwa die Verbringung in ein Krankenhaus), vorlag, das möglicherweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Sinn von § 7a EpiG erfordern würde, wird vom Revisionswerber aber nicht behauptet. Der Umstand, dass sich der Revisionswerber an die (jedoch keine rechtliche Wirkung entfaltenden) Schriftstücke der Behörde gehalten hat, vermag nichts am Fehlen einer der Behörde zurechenbaren Handlung zu ändern, an die ein Rechtswidrigkeitsabspruch geknüpft werden könnte.
17 Die Rechtslage wurde insoweit bereits durch das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes klargestellt. Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts steht damit in Einklang.
18 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher ‑ nach Beschlussfassung darüber, sie wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Behandlung und Erledigung zu verbinden ‑ gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
20 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 14. September 2023
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