VwGH Ra 2020/10/0015

VwGHRa 2020/10/001525.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des W M in G, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Laurenzerberg 1/30, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. Dezember 2019, Zl. LVwG-AV-273/004-2018, betreffend Sozialhilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
SHG NÖ 2000 §2 Z2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100015.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 1. Februar 2018 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 9. Mai 2017 (eingelangt bei der Behörde am 29. Mai 2017) auf Hilfe bei stationärer Pflege durch Übernahme der Kosten für die Betreuungs- und Pflegemaßnahmen für den Zeitraum vom 1. Jänner 2017 bis zum 31. Mai 2017 abgewiesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. Dezember 2019 wurde eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. VwGH 26.9.2019, Ra 2018/10/0074, mwN).

7 Die vorliegende außerordentliche Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend, das Verwaltungsgericht sei von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 24.6.2015, Ra 2014/10/0055) abgewichen, wonach Zahlungsverpflichtungen für in der Vergangenheit eingegangene Schulden dann ausnahmsweise bei der Berechnung von Sozialhilfeleistungen zu berücksichtigen seien, wenn sie sich noch im Zeitraum der Entscheidung über die Hilfegewährung im Sinn einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage auswirkten. Diese Rechtsprechung sei im vorliegenden Fall einschlägig, da sich die dem Revisionswerber "für den gegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.05.2017 entstandenen Zahlungsverpflichtungen im Zeitraum der Entscheidung im Sinne einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage ausgewirkt" hätten. Der Verwaltungsgerichtshof werde die Rechtsfrage zu klären haben, ob dem Antrag des Revisionswebers "trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung einer rückwirkenden Gewährung" im Niederösterreichischen Sozialhilfegesetz (NÖ SHG) für den Zeitraum vom 1. Jänner 2017 bis zum 31. Mai 2017 stattzugeben sei. 8 Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann vorliegt, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage "abhängt". Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 22.10.2019, Ra 2018/10/0166, mwN).

9 Mit dem wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringen wird Derartiges aber schon deshalb nicht aufgezeigt, weil der Revisionswerber - dem mit Bescheid der belangten Behörde vom 3. Juli 2017 Hilfe bei stationärer Pflege durch Übernahme der Kosten für die Betreuungs- und Pflegemaßnahmen ab 1. Juni 2017 gewährt wurde - in der Revision selbst ausführt, dass die Mehrkosten, die vom Pflegheim infolge einer rückwirkenden Erhöhung des Pflegegeldes für den Zeitraum vom 1. Jänner 2017 bis zum 31. Mai 2017 vorgeschrieben worden seien, erst "mit Legung der Rechnung vom 01.07.2017 angefallen" seien. Es habe sich "erst mit Legung der Rechnung vom 01.07.2017 und sohin frühestens Anfang Juli 2017 eine Notlage beim Revisionswerber ergeben", die ihn "zur Antragstellung veranlasst" habe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9. Mai 2017 habe "diese Notlage daher noch nicht bestanden". Warum auf dieser Grundlage von einer im Zeitraum vom 1. Jänner 2017 bis zum 31. Mai 2017 vorgelegenen Notlage im Sinne des § 2 Z 2 NÖ SHG auszugehen gewesen wäre - noch nicht bestehende Zahlungsverpflichtungen sind von vornherein ungeeignet, eine derartige Notlage darzulegen -, wird nicht aufgezeigt. 10 Mit Blick auf den vom Revisionswerber eingenommenen Standpunkt ist zur Klarstellung aber auch darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes es sich bei in der Vergangenheit eingegangenen Schulden nicht um einen aus Mitteln der Sozialhilfe abzudeckenden Bedarf handelt. Für die Frage, ob und in welcher Höhe Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren ist, sind daher Rückzahlungsverpflichtungen des Hilfsbedürftigen für in der Vergangenheit eingegangene Schulden grundsätzlich nicht als einkommensmindernd zu berücksichtigen. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich Schulden aus der Vergangenheit noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Hilfegewährung im Sinn einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage auswirken (vgl. VwGH 18.4.2012, 2011/10/0095, mwN). Eine derartige aus früheren Schulden resultierende aktuelle Notlage hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in einer wegen früherer Schulden anhängigen Lohnpfändung erblickt, weil sich dadurch der dem Hilfesuchenden tatsächlich zur Verfügung stehende Betrag entsprechend verringert (vgl. den vom Revisionswerber genannten Beschluss VwGH 24.6.2015, Ra 2014/10/0055, mwN). Auch hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Mietschulden aus früheren Perioden - auch aus solchen, in denen keine Sozialhilfe bezogen wurde - zu berücksichtigen sind, wenn infolge der offenen Schuld eine Notlage in Ansehung des Unterkunftsbedarfs droht (vgl. nochmals VwGH 18.4.2012, 2011/10/0095, mwN). Der bloße Verweis auf eine Zahlungsverpflichtung legt allerdings noch nicht dar, dass sich diese Verpflichtung auch (bereits) im genannten Sinn auswirkt.

11 Davon abgesehen ist das Verwaltungsgericht aber auch - unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 2002, 99/11/0073 - zutreffend davon ausgegangen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den sozialhilferechtlichen Bestimmungen der Länder die Gewährung von Sozialhilfe für vergangene (vor der Antragstellung gelegene) Zeiträume nicht in Betracht kommt (vgl. neben dem genannten Erkenntnis 99/11/0073 etwa VwGH 28.2.2013, 2010/10/0053, VwSlg. 18.578 A; 14.12.2007, 2004/10/0170). Dass dem NÖ SHG eine Bestimmung zu entnehmen wäre, die Gegenteiliges vorsehen würde, wird in der Revision nicht behauptet. Entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen mangelt es daher insofern auch nicht an einer diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. 12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. März 2020

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