VwGH 2011/10/0095

VwGH2011/10/009518.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des F O in Innsbruck, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 28. Februar 2011, Zl. Va-456-45867/1/13, betreffend Grund- und Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Normen

GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 lita;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 litb;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 litc;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2;
GrundsicherungG Tir 2006 §6;
GrundsicherungG Tir 2006;
EMRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 lita;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 litb;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2 litc;
GrundsicherungG Tir 2006 §6 Abs2;
GrundsicherungG Tir 2006 §6;
GrundsicherungG Tir 2006;
EMRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Grundsicherung durch Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Juli 2010 und Übernahme der für das Jahr 2009 nachgeforderten Betriebskosten abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, soweit damit über Grundsicherungs- bzw. Mindestsicherungsleistungen für den Zeitraum ab August 2010 entschieden wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck vom 27. Oktober 2010 wurden die Anträge des Beschwerdeführers auf Gewährung von Grundsicherung zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Juli 2010 und auf Übernahme der für das Jahr 2009 nachgeforderten Betriebskosten der Mietwohnung des Beschwerdeführers gemäß § 1 des Tiroler Grundsicherungsgesetzes - TGSG, LGBl. Nr. 20/2006, iVm § 5 der Tiroler Grundsicherungsverordnung, LGBl. Nr. 99/2010, abgewiesen. Zur Begründung wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Einkommen des Beschwerdeführers und seiner Familie im Juli 2010 die Summe der anzuwendenden Richtsätze um EUR 247,63 überstiegen habe. Bei den Betriebskosten des Jahres 2009 handle es sich um Schulden aus der Vergangenheit, welche von der Sozialhilfe nicht abzudecken seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Februar 2011 hat die Tiroler Landesregierung der dagegen gerichteten Berufung des Beschwerdeführers teilweise stattgegeben und den Bescheid der Behörde erster Instanz dahin abgeändert, dass dem Beschwerdeführer für den Zeitraum von September 2010 bis einschließlich November 2010 eine monatliche Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs in der Höhe von monatlich EUR 59,46 gewährt werde. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wesentlich - aus, der Beschwerdeführer lebe mit seiner Frau und zwei minderjährigen Kindern seit November 2008 in einer 102,66 m2 großen Mietwohnung der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft F. an einer bestimmten Adresse in Innsbruck. Für die Wohnung sei eine Kaution von EUR 3.878,39 bezahlt worden. Der monatliche Mietzins betrage EUR 860,33 (inklusive Betriebskosten). Für das Jahr 2009 bestehe eine Betriebskostennachzahlungspflicht in der Höhe von EUR 690,57. Bereits im Sommer 2010 seien an den Beschwerdeführer insgesamt EUR 2.275,-- von verschiedenen karitativen Organisationen und vom Tiroler Grundsicherungsfonds überwiesen worden, um eine drohende Delogierung wegen eines qualifizierten Mietrückstandes zu verhindern. Ein im August 2008 vom Beschwerdeführer aufgenommener Kredit sei mittlerweile getilgt.

Die Gattin des Beschwerdeführers verdiene aus einem Arbeitsverhältnis monatlich EUR 276,40 und aus einem weiteren Arbeitsverhältnis monatlich EUR 963,55. Der Beschwerdeführer habe von August 2009 bis November 2010 eine Invaliditätspension in der Höhe von monatlich EUR 195,66 erhalten. Im Dezember 2010 habe sich diese Invaliditätspension auf EUR 274,64 und ab Jänner 2011 auf EUR 341,05 erhöht. Von 1. September 2009 bis 31. August 2010 habe die Mietzinsbeihilfe monatlich EUR 258,-- betragen. Seit 1. September 2010 betrage diese Beihilfe EUR 147,--. Da der Beschwerdeführer die Mietzinsbeihilfe zunächst nicht für die Miete verwendet habe, werde sie seit Juni 2010 direkt an den Vermieter überwiesen.

Vor dem Juli 2010 habe der Beschwerdeführer zwei in London studierende Kinder unregelmäßig mit Beträgen von EUR 100,-- bis EUR 300,-- unterstützt. Im März 2010 habe er seine Verwandten in Nigeria mit einem Betrag von EUR 4.000,-- unterstützt, um für seinen Vater ein angemessenes Begräbnis ausrichten zu können.

Für die Monate Juli und August 2010 ergebe sich aus diesem Sachverhalt auf Grundlage des für diesen Zeitraum maßgeblichen Tiroler Grundsicherungsgesetzes - TGSG, LGBl. Nr. 20/2006, Folgendes:

Der Beschwerdeführer sei als Hauptunterstützter anzusehen. Ihm stehe ein Richtsatz in der Höhe von EUR 400,60 zu. Für seine Ehegattin als Mitunterstützte sei ein Richtsatz von EUR 278, 60, für die beiden minderjährigen Kinder als Mitunterstützte mit Anspruch auf Familienbeihilfe ein Richtsatz von je EUR 155,70 zu berücksichtigen. Bei einem Vierpersonen-Haushalt könnten die Miet- und Betriebskosten nur bis zu einer Nutzfläche von 80 m2 übernommen werden. Der monatliche Mietbedarf könne daher nur mit dem auf die Nutzfläche von 80 m2 entfallenden Anteil der gesamten monatlichen Kosten von EUR 860,33 berücksichtigt werden und betrage somit EUR 670,43. Aus all dem ergebe sich ein Grundsicherungsbedarf für die ganze Familie in der Höhe von EUR 1.661,03. Dem stehe das monatliche Familieneinkommen von EUR 1.900,27 (inklusive Sonderzahlungen) gegenüber, sodass sich für die Monate Juli und August 2010 kein Fehlbetrag ergebe.

Seit September 2010 seien die Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes - TMSG, LGBl. Nr. 99/2010, für die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und die dort geregelten (höheren) Mindestsätze anzuwenden. Unter Berücksichtigung dieser Mindestsätze ergebe sich bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen eine Mindestsicherung für September bis November 2010 in der Höhe von monatlich EUR 59,46. Da sich die Invaliditätspension des Beschwerdeführers ab Dezember 2010 erhöht habe, ergebe sich ab diesem Monat kein Mindestsicherungsanspruch.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2009 angerechnet hätte werden müssen, sei auszuführen, dass in der Vergangenheit eingegangene Schulden keinen von der Sozialhilfe abzudeckenden Bedarf darstellten.

Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, beim Anspruch auf Sozialhilfe handle es sich um ein "ziviles Recht" im Sinn von Art. 6 EMRK, weshalb darüber ein unabhängiges Gericht zu entscheiden gehabt hätte.

Dem ist zu entgegnen, dass der Anspruch auf Sozialhilfe nicht zum Kernbereich des Zivilrechts zählt und daher die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof den Anforderungen des Art. 6 EMRK genügt (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1987, B 267/86, VfSlg. 11.500, und vom 30. September 2005, B 1741/03, VfSlg. 17.644)

Der Verwaltungsgerichtshof tritt daher der Anregung des Beschwerdeführers nicht näher, die Prüfung der gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit der Landesregierung als Berufungsbehörde in Sozialhilfeangelegenheiten beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.

Der Beschwerdeführer hat am 5. Juli 2010 Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Monat Juli 2010 und die Übernahme der Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2009 beantragt. Die Behörde erster Instanz hat diese Anträge mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 abgewiesen, wobei sich auch aus der Begründung (Gegenüberstellung des Einkommens für Juli 2010 mit dem Richtsatz für diesen Monat) deutlich ergibt, dass über Grundsicherungsleistungen für andere Monate als den Juli 2010 nicht entschieden wurde. Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid über die dagegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers entschieden. Sache dieses Berufungsverfahrens war die den Inhalt des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides bildende Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Grundsicherung für den Monat Juli 2010 und Übernahme der Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2009 (vgl. Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Rz 59 zu § 66 und die dort zitierte hg. Judikatur). Soweit die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Grundsicherung bzw. Mindestsicherung für den Zeitraum nach Juli 2010 abgesprochen hat, hat sie somit ihre funktionelle Zuständigkeit überschritten und den angefochtenen Bescheid mit - von Amts wegen wahrzunehmender - Unzuständigkeit belastet.

In diesem Umfang war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der für die Gewährung von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts im Monat Juli 2010 maßgebliche § 6 des Tiroler Grundsicherungsgesetzes - TGSG, LGBl. Nr. 20/2006 hat folgenden Wortlaut:

"§ 6

Lebensunterhalt

(1) Der Lebensunterhalt umfasst den Aufwand für die allgemeinen Grundbedürfnisse, wie Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege und Hausrat, sowie den Aufwand für die besonderen persönlichen Bedürfnisse. Zu den besonderen persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zum sozialen Umfeld und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß.

(2) Bei der Unterkunft besteht die Grundsicherung in der Übernahme der Miet-, Betriebs- und Heizkosten, sofern sie den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen, mit folgender Maßgabe:

a) die Miet- und Betriebskosten sind bei einem Einpersonenhaushalt bis zu einer Nutzfläche von höchstens 40 m2 und bei einem Zweipersonenhaushalt bis zu einer Nutzfläche von höchstens 60 m2 zu übernehmen; bei mehr als zwei Personen in einem Haushalt erhöht sich die Höchstnutzfläche für jede weitere Person um jeweils 10 m2, höchstens jedoch bis zu einer Nutzfläche von insgesamt 110 m2,

b) bei größeren Nutzflächen als jenen nach lit. a sind die Miet- und Betriebskosten zu übernehmen, wenn diese nicht höher sind als jene, die für eine Höchstnutzfläche nach lit. a, die der Haushaltsgröße des Hilfesuchenden entsprechen würde, zu übernehmen wären,

c) in besonders begründeten Fällen können zur Vermeidung einer besonderen Härte die Miet- und Betriebskosten von Unterkünften mit größeren Nutzflächen als jenen nach lit. a unabhängig von der weiteren Voraussetzung nach lit. b übernommen werden, sofern sie den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen.

(3) Als Nutzfläche einer Unterkunft gilt die Gesamtbodenfläche der Wohnung abzüglich der Wandstärken. Auf das Höchstausmaß sind auch Küchen, Garderoben, Bäder und sonstige Anlagen, Vorzimmer, Dielen und Nischen anzurechnen. Stiegenhäuser, Treppen, offene Balkone und Terrassen sowie Keller und Dachbodenräume, die nicht Wohnzwecken dienen, sind bei der Berechnung der Nutzfläche nicht zu berücksichtigen.

(4) Über die Gewährung der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Ausnahme der Hilfe nach Abs. 2 lit. c ist im Verwaltungsweg zu entscheiden, soweit im § 4 Abs. 3 nichts anderes bestimmt ist. Die Gewährung der Hilfe nach Abs. 2 lit. c obliegt dem Land Tirol als Träger von Privatrechten."

Die für diesen Monat maßgebliche Tiroler Grundsicherungsverordnung, LGBl. Nr. 99/2010, hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 1

Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes

Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst

Maßnahmen zur Deckung des Aufwandes für:

a) Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Instandhaltung der Bekleidung, Kleinhausrat, Reinigung, Bildung und Erholung in einem für den Hilfesuchenden angemessenen Ausmaß, Benützung von Verkehrsmitteln und sonstige kleinere Bedürfnisse des täglichen Lebens,

b) Unterkunft (insbesondere Mietkosten einschließlich Kautionen, unabdingbarer Kosten für die Errichtung von Bestandverträgen, der Kosten einer allfälligen Grundausstattung mit Möbeln und erforderlichem Hausrat; Betriebs- und Heizkosten),

c) Bekleidung.

...

§ 5

Bemessung des Lebensunterhaltes

(1) Soweit die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form von Geldleistungen gegeben wird, sind unter Anrechnung der nach § 3 des Tiroler Grundsicherungsgesetzes einzusetzenden eigenen Kräfte und Mittel zu gewähren:

a) zur Deckung des Aufwandes im Sinn des § 1 lit. a monatliche Leistungen bis zu folgenden Höchstbeträgen (Richtsätze):

  1. 1. für Alleinstehende 468,20 Euro
  2. 2. für Hauptunterstützte 400,60 Euro
  3. 3. für Mitunterstützte ohne Anspruch auf Familienbeihilfe 278,60 Euro

    4. für sonstige Mitunterstützte sowie für Bezieher der erhöhten Familienbeihilfe 155,70 Euro.

    Alleinstehende sind Personen, die mit keinen unterhaltsberechtigten oder unterhaltsverpflichteten Angehörigen und mit keinem Lebensgefährten in Haushaltsgemeinschaft leben. Als Hauptunterstützte gelten Personen, die mit Ehegatten, mit Lebensgefährten oder sonst in Familiengemeinschaft mit unterhaltsberechtigten Angehörigen (Mitunterstützte) leben;

    b) zur Deckung des Aufwandes für die Unterkunft im Sinn des § 1 lit. b nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 des Tiroler Grundsicherungsgesetzes eine Beihilfe in Höhe der tatsächlichen Kosten unter Berücksichtigung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit;

    ..."

    Der Entscheidung der belangten Behörde über den Grundsicherungsanspruch des Beschwerdeführers für den Monat Juli 2010 liegt die Auffassung zu Grunde, dass dem Einkommen des Beschwerdeführers und seiner Gattin die Summe der Richtsätze für die Familienangehörigen und der auf die Teilfläche von 80 m2 entfallende Anteil der tatsächlichen Wohnkosten gegenüberzustellen sei.

    Der Beschwerdeführer bestreitet die festgestellte Höhe des Einkommens und der Wohnkosten nicht; ebenso wenig wendet er sich gegen die Anwendung der von der belangten Behörde herangezogenen Richtsätze.

    Soweit er rügt, die belangte Behörde habe die Anzahl der in der Wohnung lebenden Personen und die Größe der Wohnnutzfläche im Sinn von § 6 Abs. 3 TGSG nicht ausreichend erhoben, macht er schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel geltend, weil er gar nicht behauptet, dass im Juli 2010 mehr als vier Personen in der Wohnung gelebt hätten und die Wohnnutzfläche im Sinn von § 6 Abs. 3 TGSG weniger als die von der belangten Behörde festgestellten 102,66 m2 umfasse.

    Weiters macht der Beschwerdeführer geltend, dass am Innsbrucker Wohnungsmarkt eine 80 m2 große Wohnung inklusive Heiz- und Betriebskosten in der Regel weit über EUR 1.000,-- pro Monat koste. Es sei dem Gesetz nicht zu entnehmen, dass eine über der zulässigen Höchstnutzfläche liegende Wohnung nicht angemietet werden dürfe oder die Kosten hierfür nicht zur Gänze zu übernehmen seien. Vielmehr sei der Wohnungsaufwand aus Mitteln der Grundsicherung abzudecken, wenn er in vergleichbarer Höhe mit dem Aufwand für eine der Nutzflächenobergrenze entsprechende Wohnung liege. Die belangte Behörde hätte daher die tatsächlichen Wohnungskosten den ortsüblichen Kosten für eine 80 m2-Wohnung gegenüberstellen müssen.

    Gemäß § 6 Abs. 2 TGSG besteht die Grundsicherung bei der Unterkunft in der Übernahme der Miet-, Betriebs- und Heizkosten, sofern sie den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen. Das ortsübliche Maß übersteigende Wohnungskosten können daher nicht aus Mitteln der Grundsicherung getragen werden, würde dies doch den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit widersprechen. Gemäß § 6 Abs. 2 lit. a TGSG bestehen überdies Höchstgrenzen für die Nutzfläche. Diese beträgt für einen Vierpersonen-Haushalt 80 m2. Es bestehen keine Bedenken gegen die - im vorliegenden Fall angewendete - Vorgangsweise der belangten Behörde, bei größeren Wohnungen nur jenen Anteil der Kosten für die Berechnung von Sozialhilfeleistungen zu berücksichtigen, der der Höchstnutzfläche entspricht. Die gesamten Kosten einer größeren Wohnung können - abgesehen von der gemäß § 6 Abs. 2 lit. c TGSG dem Land Tirol als Träger von Privatrechten eingeräumten Möglichkeit zur Vermeidung besonderer Härten - gemäß § 6 Abs. 2 lit. b leg. cit nur berücksichtigt werden, wenn sie nicht höher sind als die Kosten einer der Höchstnutzgrenze entsprechenden Wohnung.

    Die Gesamtkosten der 102,66 m2 großen Wohnung des Beschwerdeführers wären somit nur dann bei der Berechnung der Grundsicherungsleistung zu berücksichtigen, wenn sie nicht höher wären als die ortsüblichen Kosten einer 80 m2-Wohnung. Um diese Voraussetzung zu erfüllen, müssten die Kosten der mehr als 100 m2 großen Wohnung des Beschwerdeführers deutlich unter dem ortsüblichen Ausmaß liegen. Dass dies bei der von einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft angemieteten Wohnung der Fall sei, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren in keiner Weise vorgebracht.

    Die belangte Behörde hat daher ihrer Entscheidung über den Grundsicherungsanspruch des Beschwerdeführers für Juli 2010 zu Recht nur den anteiligen Wohnungsaufwand für 80 m2 zugrunde gelegt.

    Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, dass die Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2009 zu berücksichtigen gewesen wäre, und bringt dazu u.a. vor, "Altschulden" seien bei einer dadurch verursachten existenziellen Notlage mit Bedrohung der Wohnversorgung von der Sozialhilfe abzudecken.

    Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

    Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei in der Vergangenheit eingegangenen Schulden nicht um einen aus Mitteln der Sozialhilfe abzudeckenden Bedarf (vgl. etwa die zu vergleichbaren Bestimmungen der Sozialhilfegesetze anderer Bundesländer ergangenen Erkenntnisse vom 22. April 2002, Zl. 2002/10/0053, und vom 31. März 2003, Zl. 2002/10/0095). Für die Frage, ob und in welcher Höhe Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren ist, sind daher Rückzahlungsverpflichtungen des Hilfsbedürftigen für in der Vergangenheit eingegangene Schulden grundsätzlich nicht als einkommensmindernd zu berücksichtigen. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich Schulden aus der Vergangenheit noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Hilfegewährung im Sinn einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage auswirken (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2002, Zl. 2001/11/0168). Bereits im Erkenntnis vom 20. Dezember 1988, Zl. 87/11/0006, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Mietschulden aus früheren Perioden - auch aus solchen, in denen keine Sozialhilfe bezogen wurde - zu berücksichtigen sind, wenn infolge der offenen Schuld eine Notlage in Ansehung des Unterkunftsbedarfs droht.

    Der Beschwerdeführer hat in der Berufung vorgebracht, die Betriebskostennachforderung für 2009 nicht bezahlen zu können. Wegen der offenen Forderungen sei bereits ein Räumungstermin angesetzt worden. Damit hat er eine auf Grund der rückständigen Forderung drohende aktuelle Notlage geltend gemacht. Die belangte Behörde hat sich damit nicht auseinandergesetzt, sondern die Berücksichtigung der Verpflichtung zur Nachzahlung von Betriebskosten bei der Entscheidung über die Grundsicherung für Juli 2010 allein mit dem Hinweis abgelehnt, dass es sich um Schulden aus der Vergangenheit handle.

    Daher war der angefochtene Bescheid, soweit damit über die Gewährung von Grundsicherung für den Monat Juli 2010 und die Übernahme der Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2009 abgesprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

    Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

    Wien, am 18. April 2012

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