Normen
AVG §56;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
VStG §49 Abs1 impl;
VwGG §26 Abs1 impl;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.530, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 28. April 1988 erteilte die Baubehörde erster Instanz der Beschwerdeführerin, einer Aktiengesellschaft mit dem Sitz in der BRD, gemäß den §§ 70 und 73 der Bauordnung für Wien (BO) die nachträgliche Bewilligung für Abweichungen vom bewilligten Bauvorhaben sowie gemäß § 128 BO unter Vorschreibung von Auflagen die Bewilligung zur Benützung von im Dachgeschoß des Hauses 1010 Wien, S-straße 28, errichteten Wohnungen. Dieser Bescheid sollte nach der Zustellverfügung lediglich der Beschwerdeführerin (mit Sitz in der BRD) als Bauwerberin, Grundeigentümerin und einzigen Verfahrenspartei zugestellt werden. Nachrichtlich ergingen auch Abschriften u.a. an die A. Baugesellschaft m.b.H. als Bauführer und den Architekten Dipl. Ing. P. als Planverfasser. Eine Bevollmächtigung zur Zustellung an diese Personen war nicht erteilt worden.
Mit Schreiben vom 16. Juni 1988, das bei der Baubehörde erster Instanz am 21. Juni 1988 einlangte, erhob die Beschwerdeführerin Berufung mit folgendem Wortlaut:
"Sehr geehrte Damen und Herren, gegen die Vorschreibung hinsichtlich der Rauchfänge lfd. Nr. 1-24 im Bescheid vom 28.4.88 erheben wir Berufung.
Begründung mit entsprechenden Unterlagen, die zur Zeit noch erarbeitet werden, wird kurzfristig nachgereicht."
Diese Begründung wurde mit Schriftsatz vom 14. Juli 1988 nachgereicht und bei der Baubehörde erster Instanz am 19. Juli 1988 abgegeben.
Am 27. Juli 1988 wurde der Bescheid der Baubehörde erster Instanz auf Grund des Europäischen Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen, BGBl. Nr. 67/1983, im Wege des Regierungspräsidiums Freiburg an die Beschwerdeführerin in der BRD zugestellt.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 8. September 1988 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurück. Begründet wurde dies lediglich damit, dass gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 die Berufung innerhalb der Berufungsfrist zufolge des Abs. 5 dieser Gesetzesstelle daher innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides vollständig eingebracht werden müsse. Da ein begründeter Berufungsantrag einen wesentlichen Bestandteil der Berufung bilde, ohne den eine dem Gesetz entsprechende Berufung nicht vorliege, sei, wenn der begründete Antrag erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachgetragen werde, die Berufung verspätet. Da die Begründung der Berufung jedenfalls erst nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist eingebracht worden sei, sei spruchgemäß zu erkennen gewesen, zumal in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen erstinstanzlichen Bescheides ausdrücklich auf das Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages hingewiesen worden sei und somit dessen Fehlen nicht als Formgebrechen im Sinne der §§ 61 Abs. 5 und 13 Abs. 3 AVG 1950 angesehen werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf meritorische Rechtsmittelerledigung verletzt erachtet.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Erstmals in der Gegenschrift stellt sich die belangte Behörde auf den Standpunkt, dass überhaupt keine zulässige Berufung vorlag. Nun ist es richtig, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, dass eine Beschwerde mangels eines anfechtbaren Bescheides zurückzuweisen ist, wenn in einem Einparteienverfahren die behördliche Erledigung nicht zugestellt oder verkündet worden und daher in der Rechtswelt nicht in Erscheinung getreten ist (siehe u.a. Beschluss vom 14. April 1982, Zlen. 82/01/0087, 0088).
Die am 21. Juni 1988 bei der belangten Behörde eingelangte Berufung erwies sich samt der am 19. Juli 1988 nachgereichten Begründung zu diesem Zeitpunkt als unzulässig, weil damals weder eine mündliche Verkündung noch eine Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgt und somit kein Bescheid erlassen worden war. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch etwa im Erkenntnis vom 4. Juni 1987, Zlen. 86/02/0198, 0199, ausgesprochen, dass eine Zurückweisung mangels eines bekämpfbaren Bescheides nur solange zulässig ist, als dessen rechtswirksame Zustellung noch nicht erfolgt ist. Ist aber die Bescheidzustellung im Zeitpunkt der Entscheidung über die vor Zustellung des Bescheides eingebrachte Berufung bereits rechtswirksam vollzogen, so ist eine Zurückweisung der Berufung aus dem Grunde ihrer vorzeitigen Erhebung nicht (mehr) zulässig.
Zu der im angefochtenen Bescheid angenommenen Verspätung der Berufung ist es zwar richtig, dass erst mit der Ergänzung eine wirksame Berufung vorlag, was jedoch an der Rechtzeitigkeit nichts ändert.
Der Zweck der Normierung einer Rechtsmittelfrist liegt nämlich darin, dass sich daraus der späteste Zeitpunkt zulässiger Einbringung des Rechtsmittels ergibt. Das entscheidende Element einer solchen Frist ist daher ihr Ende. Die ausdrückliche Regelung ihres Beginnes im § 63 Abs. 5 AVG 1950 verfolgt lediglich den Zweck, dieses Ende, nicht aber einen frühesten Zeitpunkt für die Erhebung der Berufung gegen einen Bescheid zu bestimmen (vgl. dazu die Ausführungen in dem zu § 26 Abs. 1 VwGG ergangenen Beschluss vom 11. März 1988, Zl. 88/11/0031, und in dem zu § 49 Abs. 1 VStG 1950 ergangenen Erkenntnis vom 22. Juni 1988, Zl. 87/03/0263).
Der von der belangten Behörde in der Gegenschrift unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Dezember 1983, Zl. 82/02/0286, dargelegten Auffassung, dass die Beschwerdeführerin durch die Einbringung des unbegründeten Berufungsantrages am 21. Juni 1988 zu erkennen gegeben habe, dass sie auf die Zustellung des Bescheides verzichte, weshalb die belangte Behörde den Beginn des Laufes der Berufungsfrist anscheinend mit 21. Juni 1988 angenommen hat, ist entgegenzuhalten, dass dem oben genannten Erkenntnis - anders als nach dem hier vorliegenden Sachverhalt - ein Mehrparteienverfahren zu Grunde lag. In einem solchen Verfahren hat die "übergangene Partei" die Möglichkeit, entweder die Zustellung des Bescheides zu verlangen oder sofort auf Grund des ihr unmittelbar aus der Parteistellung erfließenden Rechtes gegen den Bescheid, der ihr zwar nicht zugestellt, durch Zustellung an eine andere Verfahrenspartei aber als "erlassen" anzusehen ist, ein Rechtsmittel einzubringen, wobei sie damit zu erkennen gibt, auf die Zustellung des Bescheides zu verzichten.
Da auch die nachgereichte Begründung mit der erst eine wirksame Berufung vorlag, noch vor Ablauf der durch die Zustellung in Gang gesetzten Berufungsfrist eingebracht wurde, ist die Zurückweisung der Berufung wegen Verspätung rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen, da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Wien, am 4. Juli 1989
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