VwGH 87/03/0263

VwGH87/03/026322.6.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Ortmayr über die Beschwerde des RN in V, BRD, vertreten durch Dr. Hanns Forcher - Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, Anichstraße 6, gegen die in einer gemeinsamen Ausfertigung ergangenen Bescheide des Landeshauptmannes von Tirol und der Tiroler Landesregierung vom 1. Oktober 1987, Zl. IIb2-V-6314/1-1987, betreffend Zurückweisung des Einspruches gegen eine Strafverfügung wegen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes und der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §17;
AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs1;
VStG §47;
VStG §49 Abs1;
ZustG §2;
ZustG §9 Abs1;
ZustG §9;
AVG §17;
AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs1;
VStG §47;
VStG §49 Abs1;
ZustG §2;
ZustG §9 Abs1;
ZustG §9;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 1. Juni 1987 wurde der Beschwerdeführer mehrerer Übertretungen des KFG schuldig erkannt und es wurden deswegen über ihn Geldstrafen von insgesamt S 3.100,-- verhängt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass der Strafbetrag bis zur Höhe von S 1.800,-- durch die eingehobene Sicherheitssumme, die gemäß § 37 Abs. 5 VStG für verfallen erklärt werde, abgedeckt sei, sodass restlich noch S 1.300,-- zu bezahlen seien. Die Strafverfügung wurde zur Zustellung an den in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Beschwerdeführer am 10. Juni 1987 abgefertigt und laut Zustellzeugnis dem Beschwerdeführer am 8. Juli 1987 zu eigenen Handen zugestellt.

Einen Tag nach der Abfertigung der Strafverfügung, und zwar mit dem am 11. Juni 1987 bei der Behörde eingelangten Schriftsatz, teilte der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgewiesene Rechtsanwalt mit, dass er vom Beschwerdeführer mit der Vertretung beauftragt worden sei. Er ersuche, sämtliche Ladungen und Schriftstücke an ihn zuzustellen und stellte den Antrag auf Übermittlung des Verwaltungsstrafaktes an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck zum Zwecke der Akteneinsicht.

Nach Akteneinsicht erhob der Beschwerdeführer mit dem am 29. Juni 1987 zur Post gegebenen Schriftsatz desselben Tages Einspruch gegen die Strafverfügung und zugleich Berufung gegen den Bescheid, mit dem gemäß § 37 Abs. 5 VStG die erlegte Sicherheitssumme von S 1.800,-- für verfallen erklärt werde. Mit Eingabe vom 17. Juli 1987 (eingelangt bei der Behörde am 20. Juli 1987) erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er sich mit den einzelnen ihm vorgeworfenen Übertretungen auseinander setzte und in der er abschließend den Antrag stellte, nach Einholung und Aufnahme der beantragten Beweise das Verwaltungsstrafverfahren ersatzlos einzustellen und ihm die erlegte Sicherheitssumme von S 1.800,-- auszufolgen.

Mit Bescheid vom 19. August 1987 wies die Bezirkshauptmannschaft Schwaz den Einspruch des Beschwerdeführers vom 29. Juni 1987 gemäß § 49 Abs. 1 VStG zurück. Zur Begründung führte die Behörde aus, die Strafverfügung vom 3. Juni 1987 sei auf Grund des Europäischen Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen über die Regierung der Oberpfalz in Regensburg dem Beschwerdeführer am 8. Juli 1987 zugestellt worden. Ein Bescheid werde erst mit dem Zeitpunkt seiner Erlassung, das sei der Zeitpunkt der Zustellung rechtlich existent. Der vom Beschwerdeführer die Strafverfügung, von der er im Rahmen der Akteneinsicht zufällig Kenntnis erlangt habe, eingebrachte Einspruch somit zu einem Zeitpunkt erhoben worden, als noch keine Strafverfügung rechtlich existent gewesen sei. Diese Strafverfügung habe es zu diesem Zeitpunkte nicht gegeben. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17. Juli 1987 beziehe sich ausdrücklich auf den Erlag einer Sicherheitssumme. In diesem Schriftsatz sei keinerlei Bezug auf die zwischenzeitlich erlassene Strafverfügung enthalten. Aus diesem Schriftsatz gehe eindeutig hervor, dass er sich nicht auf die Strafverfügung beziehe; es werde lediglich beantragt, den Beschwerdeführer die erlegte Sicherheitssumme auszufolgen.

Über die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung entschied mit den in einer gemeinsamen Ausfertigung ergangenen Bescheiden vom 1. Oktober 1987 der Landeshauptmann hinsichtlich der Übertretung des KFG und die Landesregierung hinsichtlich der Übertretungen der StVO dahin, dass die Berufung als unbegründet abgewiesen werde. In der Begründung wurde dargelegt, nach § 49 Abs. 1 VStG könne der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach der Zustellung schriftlich, telegrafisch oder mündlich Einspruch erheben und zugleich die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Nach § 62 Abs. 1 AVG, der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung finde, könnten Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anders bestimmt sei. Im vorliegenden Fall sei die Strafverfügung vom 3. Juni 1987 am 10. Juni 1987 abgefertigt worden. Die Rechtswirkung eines Bescheides trete erst ein, wenn er nach außen mitgeteilt, das sei verkündet, oder zugestellt worden sei. Die Tatsache, dass einer Partei der Inhalt eines Bescheides anlässlich ihrer Vorsprache bei der Behörde mitgeteilt worden sei, könne nicht als mündliche Verkündigung eines Bescheides gewertet werden. Erst einen Tag nach Abfertigung, und zwar am 11. Juni 1986 (richtig 1987), sei der Behörde mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführer einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt habe. Dieser habe in der Folge mit Schreiben vom 29. Juni 1987 Einspruch gegen die Strafverfügung, die der Beschwerdeführer am 8. Juli 1987 erhalten habe, erhoben. Zu diesem Zeitpunkt sei die gegenständliche Strafverfügung nicht existent gewesen, sodass die Zurückweisung des Einspruches zu Recht erfolgt sei, da gegen Strafverfügungen nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 VStG eine Einspruchsfrist in der Dauer von "zwei Wochen nach der Zustellung" eingeräumt sei. Es sei der Erstbehörde zuzustimmen, dass die Eingabe vom 17. Juli 1987, die als Stellungnahme bezeichnet werde und sich auf den Erlag einer Sicherheitssumme beziehe, nicht als Einspruch gegen die Strafverfügung aufzufassen sei. Wenn auch nach § 9 Zustellgesetz dann, wenn eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt sei, diese Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt sei, diese Person als Empfänger zu bezeichnen habe, sei im Gegenstandsfalle der Vertreter des Beschwerdeführers erst ab 11. Juni 1987 zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt. Nur für den Fall der Missachtung dieser Bestimmung gelte die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen sei.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangten Behörden legten die Verwaltungsstrafakten vor und beantragten in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist - dies sei vorweg bemerkt - nur die Frage, ob die Zurückweisung des Einspruches zu Recht erfolgte, ob also die Ansicht der belangten Behörde zutrifft, es könne ein Einspruch gegen eine Strafverfügung rechtens nur nach ihrer Zustellung erhoben werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 4. Juni 1987, Zl. 86/02/0198, 0199, unter Hinweis auf das auch vom Beschwerdeführer in der Beschwerde zitierte Erkenntnis 15. März 1961, Slg. Nr. 5522/A, zur Frage, ob ein Bescheid vor seiner Zustellung mit Berufung bekämpft werden kann, ausgesprochen, dass die Berufung gegen einen nicht erlassenen Bescheid im Einparteienverfahren (nur) solange als unzulässig anzusehen ist, als der Bescheid noch nicht zugestellt ist. Ist aber der Bescheid bereits nach außen - wie hier die Strafverfügung durch ihre Abfertigung - in Erscheinung getreten und die Bescheidzustellung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vor Zustellung des Bescheides eingebrachte Berufung bereits rechtswirksam vollzogen, dann ist eine Zurückweisung der Berufung aus dem Grunde ihrer vorzeitigen Erhebung nicht (mehr) zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich nicht veranlasst, im Beschwerdefall, in dem es zwar nicht um eine Berufung, sondern um einen Einspruch gegen eine Strafverfügung geht, für den aber dieselben Erwägungen zu gelten haben, von dieser Rechtsansicht abzugehen.

Dem steht auch der Wortlaut des § 49 Abs. 1 VStG nicht entgegen, wie die belangte Behörde meint. Der Zweck der Regelung des § 49 Abs. 1 VStG, dass der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach der Zustellung Einspruch erheben kann, liegt - wie der Beschwerdeführer zutreffend erkannte - darin, dass damit ein spätester Zeitpunkt für die Erhebung des Einspruches festgesetzt wird. Das entscheidende Element dieser Frist ist daher ihr Ende. Die ausdrückliche Regelung ihres Beginnes in dieser Gesetzesstelle verfolgt lediglich den Zweck, dieses Ende, nicht aber einen frühesten Zeitpunkt für die Erhebung des Einspruches gegen die Strafverfügung zu bestimmen (vgl. dazu sinngemäß die Ausführungen in allem zu § 26 Abs. 1 VwGG ergangenen hg. Beschluss vom 11. März 1988, Zl. 88/11/0031).

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist demnach entscheidend, ob und wann die vom Beschwerdeführer beeinspruchte Strafverfügung erlassen wurde. Denn die Zurückweisung des Einspruches wäre jedenfalls dann als rechtswidrig zu erkennen, wenn die Strafverfügung noch gar nicht erlassen wurde.

Eine Strafverfügung gilt in jenem Zeitpunkt als erlassen, in dem jeder andere Bescheid - auch die Strafverfügung ist als Bescheid anzusehen - als erlassen zu gelten hat, mit der Einschränkung, dass die Strafverfügung stets nur schriftlich erlassen werden kann (vgl. S 48 Abs. 2 VStG sowie Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen II, S. 325, und Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 4. Auflage, Rdz. 892). Unter "Erlassung" ist die Mitteilung nach außen zu verstehen, die bei einer Strafverfügung mit ihrer ordnungsgemäßen Zustellung an den Beschuldigten, die auch in der Form der unmittelbaren Ausfolgung bei der Behörde gegen eine schriftliche Übernahmsbestätigung erfolgen kann (vgl. § 24 Zustellgesetz), bewirkt wird. Mit der Zustellung wird die Strafverfügung gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam.

Die bloße Tatsache, dass der Beschwerdeführer von der Strafverfügung durch Akteneinsicht Kenntnis erlangte und sich von der Strafverfügung eine Ablichtung anfertigte, bedeutet nicht, dass die Strafverfügung als erlassen zu gelten hätte, weil durch die bloße Gewährung von Einsicht in ein bei der Behörde verbleibendes Schriftstück eine rechtswirksame Erlassung nicht erfolgen kann (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Mai 1985, Slg. Nr. 11762/A). Die Erlassung der Strafverfügung kann auch nicht in der an den Beschwerdeführer persönlich am 8. Juli 1987 durch die Regierung der Oberpfalz in Regensburg erfolgten Zustellung erblickt werden, weil zu diesem Zeitpunkte bereits ein Zustellungsbevollmächtigter gemäß § 9 Zustellgesetz bestellt war und dies der Behörde auch mitgeteilt wurde. Dass diese Mitteilung erst einen Tag nach der Abfertigung der Strafverfügung an den Beschwerdeführer persönlich bei der Behörde einlangte, änderte nichts an der Existenz des Zustellungsbevollmächtigten im Zeitpunkt der Zustellung, weshalb die Zustellung an den Beschwerdeführer selbst ebenfalls keine Rechtswirkungen auslöste (vgl. dazu den zu § 26 Abs. 1 AVG 1950 ergangenen Beschluss eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1980, Slg. Nr. 10327/A). Erst mit einer - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem Zustellgesetz nicht für zulässig erachteten - Sanierung der Zustellverfügung im Sinne des § 9 Abs. 1 zweiter Satz Zustellgesetz könnte von einer rechtswirksamen Zustellung der Strafverfügung und damit auch von ihrer Existenz mit den daran geknüpften Folgen, wovon eine dieser Folgen der Beginn des Fristenlaufes für den Einspruch ist, ausgegangen werden.

Ob nun dem im Verwaltungsstrafverfahren ausgewiesenen Vertreter des Beschwerdeführers als Zustellungsbevollmächtigten die Strafverfügung tatsächlich zugekommen ist, kann auf Grund der Aktenlage nicht beurteilt werden. Der Vertreter des Beschwerdeführers äußerte sich diesbezüglich nicht. Die bloße Kenntnisnahme von einem Bescheid im Wege der Akteneinsicht ist jedenfalls nicht dem tatsächlichen Zukommen im Sinne des § 9 Zustellgesetz gleichzuhalten (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1985, Zl. 85/02/0249). Ebenso wenig erweist die Tatsache, dass der ausgewiesene Rechtsanwalt, der auch Zustellungsbevollmächtigter ist, gegen die Strafverfügung Einspruch erhob, noch nicht, dass das Straferkenntnis dem Rechtsanwalt tatsächlich zugekommen ist, hatte doch der Vertreter des Beschwerdeführers vom Inhalt der Strafverfügung, von der er sich anlässlich der Akteneinsicht eine Fotokopie anfertigte, Kenntnis (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1984, Slg. Nr. 11615/A). Es ist daher weder aktenkundig, dass die Strafverfügung dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist, noch setzt sich die belangte Behörde in der Begründung in Verkennung der Rechtslage damit auseinander, was den Verwaltungsgerichtshof an einer nachprüfenden Kontrolle der angefochtenen Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit hindert.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985 und den Antrag des Beschwerdeführers, der nur gegenüber dem Land Tirol Kosten verzeichnete.

Wien, am 22. Juni 1988

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte