Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Beschwerdeführende Partei ist die Verlassenschaft nach Frau Dr. S (im Folgenden nur: S).
Die im Jahr 1926 geborene S bezog in den Streitjahren 2008 und 2009 Pensionseinkünfte. In der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2008 beantragte sie als "außergewöhnliche Belastung bei eigener Behinderung" u.a. die Berücksichtigung der Kosten für die Unterbringung im Einbettzimmer während mehrerer Krankenhausaufenthalte in Höhe von EUR 17.100,03 wegen Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe 4). Für das Jahr 2009 (Pflegestufe 5) machte S solche Kosten in Höhe von EUR 2.200,-
geltend. Weiters wurde in beiden Jahren ein Spitals‑)Selbstbehalt in Höhe von EUR 800,- als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht.
In den Verwaltungsakten liegt eine ärztliche Bestätigung des Facharztes Dr. R. vom 12. Februar 2009 mit folgendem Inhalt ein:
"Ich bestätige, dass bei meiner Patientin (S) volle Pflegebedürftigkeit in einem zeitlichen Ausmaß von 24 Stunden seit April 2008 besteht. Im Rahmen einer systemischen Erkrankung des Haltungs- und Bewegungsapparates hat die Patientin mehrfach operationspflichtige Verletzungen erlitten und ist auf Fremdpflege angewiesen.
Das Ausmaß der Pflege erforderte im stationären (Spitals‑)Bereich die Unterbringung in einem Einbettzimmer.
Auch sind Geringfügigkeiten zur Anhebung des individuellen Wohlbefindens, die in einem Spital sonst heute nicht mehr regelhaft vergeben werden, der Patientin zuzubilligen und im Sinne der Verbesserung der psychischen Situation ärztlich gut zu heißen".
Im Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 12. Oktober 2009 berücksichtigte das Finanzamt die geltend gemachten Spitalskosten in Höhe von EUR 17.100,03 als außergewöhnliche Belastung. Der Selbstbehalt in Höhe von EUR 800,- fand mangels entsprechenden Nachweises keine Berücksichtigung. Im Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 8. November 2010 berücksichtigte das Finanzamt die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen mangels Vorlage entsprechender Belege zur Gänze nicht.
S erhob sowohl gegen den Einkommensteuerbescheid für 2008 als auch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2009 Berufung, reichte für 2009 u.a. Belege hinsichtlich der Krankenhausaufenthalte nach und begehrte jeweils die Berücksichtigung der geltend gemachten Spitalskosten sowie des Selbstbehalts.
Mit Vorhalt vom 12. Jänner 2011 ersuchte das Finanzamt um Mitteilung, ob die in den Jahren 2008 und 2009 angefallenen Spitalskosten mit Ausnahme des Selbstbehalts von je EUR 800,- von der privaten Krankenversicherung der S getragen worden seien.
In Beantwortung dieses Vorhalts wurde im Schreiben vom 14. Februar 2011 mitgeteilt, die Kosten für die Krankenhausaufenthalte 2009 seien bis auf den Selbstbehalt in Höhe von EUR 800,- von der privaten Krankenversicherung "voll gedeckt" worden.
Mit Berufungsvorentscheidungen vom 22. Februar 2011 änderte das Finanzamt unter Verweis auf die Vorhaltsbeantwortung vom 14. Februar 2011 die Einkommensteuerbescheide für 2008 und 2009 ab und berücksichtigte jeweils den Selbstbehalt von je EUR 800,-, nicht jedoch die Spitalskosten als außergewöhnliche Belastung. Auch für das Jahr 2008 sei mangels anderslautender Mitteilung von der Tragung der Krankenhauskosten durch die private Krankenversicherung auszugehen.
Im als "Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide 2008 und 2009" bezeichneten Vorlageantrag vom 10. Mai 2011 wurde unter Hinweis auf eine beigelegte Bestätigung der Versicherungsanstalt vorgebracht, eine Nachfrage bei dieser habe ergeben, dass die Spitalskosten (Aufzahlungsbeträge für das Einzelzimmer) in Höhe von EUR 17.100,03 (für das Jahr 2008) und EUR 2.200,00 (für das Jahr 2009) doch nicht von der privaten Krankenversicherung refundiert worden seien. Diese müssten daher als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung finden.
Die belangte Behörde entschied im Sinne der (im angefochtenen Bescheid auch als Einkommensteuerbescheide bezeichneten) Berufungsvorentscheidungen des Finanzamts und stellte fest, dass die mittlerweile verstorbene S die Tragung von Spitalskosten in Höhe von EUR 17.100,03 für das Jahr 2008 und in Höhe von EUR 2.200,00 für das Jahr 2009 mittels entsprechender Belege nachgewiesen habe. Eine Berücksichtigung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung habe dennoch nicht zu erfolgen. In der vorgelegten ärztlichen Bestätigung vom 12. Februar 2009 sei die Notwendigkeit der Unterbringung in einem Einzelzimmer einerseits mit dem für S "erforderlichen Ausmaß der Pflege" und andererseits mit der erforderlichen "Anhebung des individuellen Wohlbefindens" von S begründet worden. Damit sei lediglich bekannt gegeben worden, dass aus medizinischen Gründen ein Aufenthalt im Einbettzimmer "tunlich" und die verursachten Kosten "indiziert" gewesen seien. Der ärztlichen Bestätigung seien jedoch keine "triftigen medizinischen Gründe" im Sinne von sich "konkret abzeichnenden, ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen" zu entnehmen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden. Die in der ärztlichen Bestätigung auch angesprochene "Anhebung des individuellen Wohlbefindens" würde in einer Vielzahl von Behandlungsfällen die Unterbringung in einem Einzelzimmer, gerade bei sehr alten Patienten, erfordern. Auch der Hinweis auf das hohe Alter von S und das damit im Zusammenhang stehende höhere Ruhebedürfnis träfe wohl auf die meisten schwer kranken Patienten ihrer Altersgruppe zu. Mangels triftiger medizinischer Gründe sei die Zwangsläufigkeit iSd § 34 Abs. 3 EStG 1988 nicht gegeben. Die aufgrund der Unterbringung in einem Einbettzimmer entstandenen zusätzlichen Kosten seien daher nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss dabei außergewöhnlich sein (Abs. 2), zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst dem Steuerpflichtigen eine Belastung zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Solche tatsächlichen Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere in der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 1. September 2015, 2012/15/0117, vom 4. September 2014, 2012/15/0136, und vom 26. Mai 2010, 2007/13/0051).
Allerdings ist die Zwangsläufigkeit des Aufwands stets nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen (vgl. das Erkenntnis vom 21. November 2013, 2010/15/0130). Bloße Wünsche, Befürchtungen oder Standesrücksichten der Betroffenen reichen nicht, um die Zwangsläufigkeit zu rechtfertigen. Zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind (vgl. nochmals das Erkenntnis vom 4. September 2014, 2012/15/0136, sowie weiters das Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, 2001/15/0116). Auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, können dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, wenn sie aus triftigen Gründen medizinisch geboten sind (vgl. Fuchs/Unger in Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer-Kommentar, § 34 EStG 1988 Anhang II - ABC Tz 35, mit Judikaturhinweisen).
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die ärztliche Bestätigung vom 12. Februar 2009 zum Ergebnis gelangt, dass S die zusätzlichen Kosten für die Unterbringung im Einbettzimmer während ihrer Spitalsaufenthalte mangels triftiger medizinischer Gründe nicht zwangsläufig habe tragen müssen.
Zwar ist der belangten Behörde insoweit zuzustimmen, als die Zwangsläufigkeit solcher Kosten zu verneinen wäre, würden sie lediglich der "Förderung des individuellen Wohlbefindens" der Steuerpflichtigen dienen.
Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid aber auch unter Zugrundelegung der ärztlichen Bestätigung vom 12. Februar 2009 davon aus, dass "das erforderliche Ausmaß an Pflege" nicht die Zwangsläufigkeit der Kosten für die Unterbringung im Einbettzimmer zu begründen vermöge, sei eine solche doch lediglich "tunlich" gewesen.
Damit setzt sich die belangte Behörde aber ohne nähere Begründung über den Inhalt der fachärztlichen Bestätigung hinweg.
Der ärztlichen Bestätigung ist nämlich zu entnehmen, dass der Facharzt wegen des Ausmaßes der Pflege die Unterbringung im Einzelzimmer ausdrücklich für erforderlich erachtete. Zu Recht wirft daher die Beschwerde der belangten Behörde auch Aktenwidrigkeit vor, wobei sie weiters geltend macht, bei Bekanntgabe der Bedenken hätte sie auch noch entsprechende Nachweise für die Zwangsläufigkeit der entstandenen Aufwendungen erbringen können.
Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandsersatzverordnung 2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 11. Februar 2016
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)