Normen
EStG §34 Abs6;
EStG §35 Abs1;
EStG §35 Abs3;
EStG §35 Abs5;
EStG §34 Abs6;
EStG §35 Abs1;
EStG §35 Abs3;
EStG §35 Abs5;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Beschwerdefall ist die Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung bei der Einkommensermittlung für das Jahr 2003 wegen von der Beschwerdeführerin geltend gemachter Pflegeheimkosten strittig.
Nachdem das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid 2003 als außergewöhnliche Belastungen u.a. nur den Freibetrag wegen Behinderung nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 im Betrag von 243 EUR abgezogen hatte, machte die Beschwerdeführerin in der Berufung geltend, dass sie wegen Betreuungsbedürftigkeit auf Grund ihrer Behinderung ("Grad der Behinderung = 50 %") in einem Pflegeheim wohne, sodass um Berücksichtigung der für 2003 geltend gemachten Pflegeheimkosten laut "beiliegender Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003" ersucht werde.
Die in der Berufung erwähnten Pflegeheimkosten waren in der "Beilage zur Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003" mit einem Betrag von 13.856 EUR ausgewiesen, wobei sich dieser Betrag aus den "Pflegeheimkosten" von 14.124 EUR abzüglich eines Betrages für Pflegegeld in Höhe von 268 EUR errechnete. Zu den Pflegeheimkosten enthielt die Beilage weiters den Vermerk: "Die Pflegeheimkosten werden ohne Verpflegung verrechnet; des weiteren hat die Steuerpflichtige noch einen aufrechten Haushalt - daher keine Kürzung um eine Haushaltsersparnis".
In den Verwaltungsakten liegt eine Bestätigung des Heimbetreibers ein, in der u.a. ausgeführt wird:
"Die Kosten für das Jahr 2003 betrugen:
von 01.01.2003 bis 31.12.2003 | EUR 14.208,-- |
Schwesternhilfen |
Die sonstigen Kosten wie elektrische Energie und Medikamente
werden gesondert verrechnet.
Die ärztliche Hilfe und ständige Pflege war und ist jederzeit gewährleistet."
In einer der Berufung teilweise stattgebenden Berufungsvorentscheidung vertrat das Finanzamt die Ansicht, dass die Kosten für eine Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden könnten, wenn die Aufwendungen durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht seien. Von einer "besonderen Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit" könne bei einem Anspruch auf ein Pflegegeld ab der Pflegestufe 1 ausgegangen werden. Die Beschwerdeführerin beziehe ab Dezember 2003 Pflegegeld der Pflegestufe 2. Die "Pflegeheimkosten werden daher auch erst ab Dezember 2003 als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes (gekürzt um das Pflegegeld) anerkannt".
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wies die für die Beschwerdeführerin einschreitende Beschwerdevertreterin darauf hin, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Behinderung seit 1998 in einem Alters- und Pflegeheim lebe. Wegen ihrer besonderen Pflege- bzw. Betreuungsbedürftigkeit liege rechtlich schon seit Jahren ein Anspruch auf das Pflegegeld vor, der jedoch wegen Unkenntnis der Beschwerdeführerin nicht früher geltend gemacht worden sei. Der Grad der Behinderung in Höhe von 50 % entspreche der Pflegestufe 2.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung "im Umfang der Berufungsvorentscheidung" teilweise Folge.
Strittig sei - so die belangte Behörde im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides -, ob die von der Beschwerdeführerin für das gesamte Jahr 2003 geltend gemachten Aufwendungen für den Aufenthalt im Heim als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt anzuerkennen seien, "obwohl die Bw. erst ab Dezember 2003 Pflegegeld der Stufe 2 in Höhe von monatlich EUR 268,- bezogen hat". Der im Jahr 1920 geborenen Beschwerdeführerin sei im Jahr 1995 amtsärztlich eine Erwerbsminderung in Höhe von 50 % bestätigt worden. Seit 1998 lebe sie in einem Alters- und Pflegeheim. Auf Grund "der Rechtsprechung und der Lohnsteuerrichtlinien" seien die Kosten für einen Aufenthalt in einem Alters- oder Pflegeheim nur dann als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, wenn der Aufenthalt im Heim aus Gründen der Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit gegeben sei, "wobei von einer solchen Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit ausgegangen wird, wenn ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 gegeben ist". Die Beschwerdeführerin habe erst am 1. Dezember 2003 den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 2 bescheidmäßig zuerkannt bekommen, "weshalb erst ab Dezember 2003 die Kosten des Heimaufenthaltes als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden können". Dass möglicherweise bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anspruch auf Pflegegeld bestanden habe, dieser jedoch aus Unwissenheit nicht früher geltend gemacht worden sei, "vermag nichts daran zu ändern, dass von Jänner bis November 2003 rechtlich kein Pflegegeldanspruch bestanden hat und daher die Voraussetzung für die Anerkennung der Heimkosten in diesem Zeitraum nicht gegeben war".
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
§ 34 Abs. 6 EStG 1988 idF StruktAnpG 1996, BGBl. Nr. 201/1996, und AbgÄG 1997, BGBl I Nr. 9/1998, lautet auszugsweise:
"Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
(...)
- Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).
- Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn der Steuerpflichtige selbst oder bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag der (Ehe)Partner (§ 106 Abs. 3) oder bei Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag oder den Unterhaltsabsetzbetrag das Kind (§ 106 Abs. 1 und 2) pflegebedingte Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) erhält, soweit sie die Summe dieser pflegebedingten Geldleistungen übersteigen."
Nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 idF StruktAnpG 1996, BGBl. Nr. 201/1996, steht einem Steuerpflichtigen bei außergewöhnlicher Belastung u.a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung ein Freibetrag zu, wenn er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) erhält. Die Höhe dieses Freibetrages bestimmt sich nach § 35 Abs. 3 leg. cit. nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Anstelle des Freibetrages können nach § 35 Abs. 5 EStG 1988 auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann der belangten Behörde nicht darin gefolgt werden, wenn sie im angefochtenen Bescheid die Anerkennung der geltend gemachten Pflegeheimkosten von der bescheidmäßigen Zuerkennung von Pflegegeld abhängig macht, "weshalb" erst ab Dezember 2003 die Kosten des Heimaufenthaltes als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden könnten (dass mit dem angefochtenen Bescheid die Anerkennung der geltend gemachten Heimkosten als außergewöhnliche Belastung - wie es die Gegenschrift darzustellen versucht - deshalb versagt worden wäre, weil die Beschwerdeführerin überhaupt keine Nachweise für die Heimunterbringung aus Gründen der Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit erbracht habe, ist im Übrigen dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen).
Der Bezug von pflegebedingten Geldleistungen ist zwar im zweiten der oben zitierten Fälle des § 34 Abs. 6 EStG 1988 Tatbestandsmerkmal, nicht jedoch im Rahmen des oben zitierten ersten Falles, der die außergewöhnlichen Belastungen wegen Behinderung im Sinne des § 35 leg. cit. anspricht, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (die bei Erhalt von pflegebedingten Geldleistungen nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 idF StruktAnpG 1996 nicht zustehen). Nach der Rechtsprechung sind zwar Unterbringungskosten in einem Alters- oder Pflegeheim so lange nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, als mit ihnen nicht auch besondere Aufwendungen abzudecken sind, die durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1987, 86/13/0084, und vom 27. Mai 2003, 97/14/0102), eine rechtliche Verknüpfung der Anerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung mit einem Bezug von Pflegegeld ergibt sich aber auch daraus nicht.
Da die belangte Behörde die Rechtslage in der aufgezeigten Weise verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 26. Mai 2010
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