VwGH 2012/15/0136

VwGH2012/15/01364.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamts Hollabrunn Korneuburg Tulln in 3430 Tulln an der Donau, Albrechtsgasse 26-30, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Wien, vom 19. Juni 2012, Zl. RV/0132-W/11, betreffend Einkommensteuer 2009 (mitbeteiligte Partei: B K in M), zu Recht erkannt:

Normen

EStG §34 Abs3;
EStG §34;
MTDG 1992 §11 Abs3;
MTDG 1992 §2 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:2012150136.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die 1947 geborene Mitbeteiligte machte in ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2009 außergewöhnliche Belastungen geltend, die vom Finanzamt nur teilweise anerkannt wurden, wobei vor dem Verwaltungsgerichtshof allein die Aufwendungen für den Besuch eines Fitnessstudios strittig sind.

Gegen den Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes erhob die Mitbeteiligte Berufung.

Mit Berufungsvorentscheidung änderte das Finanzamt daraufhin den Einkommensteuerbescheid betreffend außergewöhnliche Belastungen teilweise ab, anerkannte die Aufwendungen für das Fitnessstudio inklusive Fahrtkosten aber weiterhin nicht. Diese könnten nur dann zu einer außergewöhnlichen Belastung führen, wenn sie im direkten Zusammenhang mit einer Krankheit stünden, aus medizinischen Gründen zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich erforderlich seien (eine andere Behandlung also nicht oder kaum Erfolg versprechend erscheine) und unter ärztlicher Begleitung und Aufsicht erfolge. Diese Voraussetzungen könnten durch eine vor Beginn des Trainings ausgestellte ärztliche Bestätigung nachgewiesen werden. Einem ärztlichen Gutachten könne es gleichgehalten werden, wenn von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung oder auf Grund beihilfenrechtlicher Bestimmungen Zuschüsse geleistet würden, weil zur Erlangung dieser Zuschüsse ebenfalls in der Regel ein ärztliches Gutachten vorgelegt werden müsse. Aufgrund bloßer ärztlicher Empfehlungen, Hinweise oder Vorschläge könnten die Aufwendungen für das Fitnessstudio inklusive Fahrtkosten nicht berücksichtigt werden.

In ihrem Vorlageantrag gegen die abweisende Berufungsvorentscheidung brachte die Mitbeteiligte zu den Aufwendungen für das Fitnessstudio vor, sie sei im Dezember 2007 während eines ärztlich verordneten Kuraufenthaltes in Folge eines Kreislaufkollapses gestürzt und habe sich einen Schädelbasis-, Kiefer- und Felsenbeinbruch zugezogen. In den folgenden Monaten im Jahr 2008 habe sie unter schweren Schwindelattacken gelitten, habe daher nur wenig Bewegung und auch kein Wirbelsäulentraining machen können, was ihre chronischen Wirbelsäulen- und Gelenkprobleme noch verstärkt habe. Alle Fach- und Rehab-Ärzte hätten sie auf die Notwendigkeit des Muskelaufbaues dringend hingewiesen. Sie habe daher auf Grund der Zuweisung ihres Hausarztes im Jahr 2008 eine Therapie beim Physiotherapeuten Y begonnen, welcher im Gebäude seiner Praxis mit ihr heilgymnastische Übungen und Wirbelsäulenkräftigung an den für sie geeigneten Geräten (eines Fitnessstudios) durchgeführt habe. Um diese Geräte benützen zu dürfen, müsse sie Mitglied im Fitnessstudio sein. Da sich diese regelmäßigen Übungen und das "WS"(Wirbelsäulen)-Training, zusätzlich zu weiteren ärztlich verordneten Physiotherapien, die sie immer wieder benötige, als hilfreich gezeigt hätten, habe sie die Mitgliedschaft weitergeführt, um weiterhin unter der Aufsicht der gut ausgebildeten Trainer (auch ausgebildete Wirbelsäulen-Trainer) ihre Übungen zu machen und auch an der Wirbelsäulengymnastik (mit Physiotherapeut Y), "Gesunder Rücken" bzw. am "Sling-Training" teilnehmen zu können. Eine Kopie des Kursplans mit den für sie geeigneten Trainingsstunden liege bei. Da diese regelmäßigen Übungen auf Grund der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung sehr wichtig und ursprünglich ja auch vom Hausarzt verordnet worden seien, ersuche sie, diese Kosten von EUR 659,14 anzuerkennen.

Zudem legte sie ein Schreiben des Hausarztes und Arztes für Allgemeinmedizin vom 18. August 2010 vor, das lautet:

"An das Finanzamt

(Die Mitbeteiligte) leidet unter folgenden Erkrankungen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und die Mitbeteiligte und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss dabei außergewöhnlich sein (Abs. 2), zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4), wobei sie nicht bereits Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben sein darf.

Zwangsläufig erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 dann, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Gesundheitsmaßnahme führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Die Aufwendungen müssen vielmehr zwangsläufig erwachsen, womit es erforderlich ist, dass die Maßnahmen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, 2001/15/0116).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits betreffend Kuraufenthalte ausgesprochen hat, ist zum Nachweis der Zwangsläufigkeit die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten ärztlichen Zeugnisses oder Gutachtens erforderlich, aus dem sich die Notwendigkeit und Dauer der Reise sowie das Reiseziel ergeben. Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn zu einem Kuraufenthalt von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung oder auf Grund beihilfenrechtlicher Bestimmungen Zuschüsse geleistet werden, weil zur Erlangung dieser Zuschüsse ebenfalls in der Regel ein ärztliches Gutachten vorgelegt werden muss (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, 2001/15/0116).

Daraus hat die belangte Behörde an sich zutreffend abgeleitet, dass auch für die Anerkennung der beschwerdegegenständlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung die Zwangsläufigkeit dieser Ausgabe durch ein vor Beginn des Besuches des Fitnessstudios ausgestelltes ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden müsste, aus dem sich die Notwendigkeit und die Dauer des Fitnessstudiobesuches ergäben.

Die Notwendigkeit eines vorfeldweisen ärztlichen Gutachtens hat im Übrigen auch der Bundesfinanzhof zur insofern vergleichbaren deutschen Rechtslage in einem Urteil vom 14. August 1997, III R 67/96, betreffend Aufwendungen für eine "medizinische Trainingstherapie" in einem ärztlich betreuten Sportstudio hervorgestrichen, weil derartige Aufwendungen ihrer Natur nach nicht ausschließlich von Kranken, sondern mitunter auch von Gesunden getätigt werden, um ihre Gesundheit zu erhalten, ihr Wohlbefinden zu steigern oder ihre Freizeit sinnvoll und erfüllt zu gestalten.

Im Beschwerdefall liegt hinsichtlich des Besuchs des Fitnessstudios durch die Mitbeteiligte kein vorfeldweises ärztliches Gutachten vor. Eine ärztliche Verordnung liegt lediglich für eine Therapie beim Physiotherapeuten vor.

Das nach der Rechtsprechung für die Annahme einer Zwangsläufigkeit erforderliche vorfeldweise ärztliche Gutachten wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass im Beschwerdefall eine ärztliche Überweisung an einen Physiotherapeuten für eine bestimmte Therapie vorliegt und der Physiotherapeut im Rahmen dieser Therapie seinerseits als weitere Maßnahme ein "Weiterüben" in einem Fitnessstudio empfiehlt. Daran ändert auch nichts, dass der Physiotherapeut das Weiterüben der Mitbeteiligten im Rahmen seiner zusätzlichen Tätigkeit im Fitnessstudio allenfalls (fallweise) überwacht. Ein solcher von der belangten Behörde offenbar angenommener mittelbarer ärztlicher Verordnungszusammenhang reicht keinesfalls aus, um eine Zwangsläufigkeit zusätzlicher Maßnahmen iSd § 34 EStG 1988 darzutun.

Die Bedeutung einer zu Grunde liegenden ärztlichen Anordnung ergibt sich im Übrigen auch aus den gesetzlichen Bestimmungen betreffend den physiotherapeutischen Dienst selbst. Eine Berechtigung von Physiotherapeuten zu weiterführenden Verordnungen ist daraus nicht ableitbar. Vielmehr stellt § 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Regelung der gehobenen medizinischtechnischen Dienste (MTD-Gesetz), der das Berufsbild des physiotherapeutische Dienstes festlegt, ausdrücklich auf das notwendige Vorliegen ärztlicher Anordnung ab. Demnach umfasst der physiotherapeutische Dienst "die eigenverantwortliche Anwendung aller physiotherapeutischen Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung im intra- und extramuralen Bereich, unter besonderer Berücksichtigung funktioneller Zusammenhänge auf den Gebieten der Gesundheitserziehung, Prophylaxe, Therapie und Rehabilitation. Hiezu gehören insbesondere mechanotherapeutische Maßnahmen, wie alle Arten von Bewegungstherapie, Perzeption, manuelle Therapie der Gelenke, Atemtherapie, alle Arten von Heilmassagen, Reflexzonentherapien, Lymphdrainagen, Ultraschalltherapie, weiters alle elektro-, thermo-, photo-, hydro- und balneotherapeutischen Maßnahmen sowie berufsspezifische Befundungsverfahren und die Mitwirkung bei elektrodiagnostischen Untersuchungen" (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof). Demgegenüber zählt § 2 Abs. 1 letzter Satz MTD-Gesetz ohne ärztliche Anordnung lediglich die Beratung und Erziehung Gesunder in den genannten Gebieten zum Berufsbild des physiotherapeutische Dienstes. Jede eigenmächtige Heilbehandlung ist gemäß § 11 Abs. 3 MTD-G zu unterlassen.

Selbst bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung bestimmter Übungen würde freilich nicht jeder Besuch eines Fitnessstudios zu einer außergewöhnlichen Belastung führen. Wesentlich wäre die Einbettung des Fitnessstudiobesuchs und der dabei absolvierten Trainingseinheiten in eine ärztlich überwachte Behandlung. So könnte sich ein physiotherapeutisch begleiteter Besuch eines Fitnessstudios beispielsweise dann und insoweit als zwangsläufig erweisen, wenn im Rahmen einer ärztlich verordneten physikalischen Therapie nach einem festen Trainingsplan laufend auch konkrete selbstständige Trainingseinheiten in einem Fitnessstudio zu absolvieren sind und eine regelmäßige Überwachung dieser Selbstübungseinheiten im Rahmen der physikalischen Therapie gewährleistet ist.

Indem die belangte Behörde im Beschwerdefall ohne Nachweis einer unmittelbaren und ausreichend konkretisierten ärztlichen Einzelverschreibung eine steuerliche Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein Fitnessstudio als außergewöhnliche Belastung anerkannt hat, hat sie jedenfalls bereits die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 4. September 2014

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