VwGH 2010/21/0303

VwGH2010/21/030315.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des L, vertreten durch Mag. Werner Purr, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 49/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 24. Juni 2010, Zl. FA7C-2- 9. I/1661-2009, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/122;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/122;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung -

beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 iVm § 11 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) ab.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 14. März 2004 illegal nach Österreich eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Dieser sei "in zweiter Instanz" am 16. Dezember 2008 "rechtskräftig negativ beschieden" und die negative Asylentscheidung mit einer Ausweisung verbunden worden.

In ihrer rechtlichen Beurteilung stellte die belangte Behörde vorweg fest, dass die nach § 44 Abs. 4 NAG geforderten (legalen) Aufenthaltszeiten im Beschwerdefall gegeben seien. Gesetzlich sei jedoch eindeutig klargestellt, dass die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen "und auch seine Selbsterhaltungsfähigkeit und dgl. entsprechend zu brücksichtigen und zu würdigen" habe. Grundvoraussetzung sei ein ausreichender Unterhalt gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG sowie das Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft und einer ausreichenden Versicherung.

Die ursprünglich vorgelegten Unterhaltsnachweise hätten sich im Wesentlichen auf den Verkauf der Straßenzeitung "Megaphon" sowie schließlich im Rahmen des Parteiengehörs auf "vorgelegte Unterhaltsnachweise in der Höhe von 500,74 Euro für den Monat Februar" (2010) und einen angeblichen gesamten Monatsverdienst von ca. EUR 800,-- bezogen. Weiters seien "entsprechende Bestätigungen" der Pfarre Sankt Andrä und eines Sportklubs vorgelegt worden, was aber nach Ansicht der belangten Behörde nicht geeignet sei, eine nachhaltige Integration im Sinne des § 44 Abs. 4 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 und 5 NAG nachzuweisen, zumal erstens von einem regelmäßigen und festen Einkommen ausgegangen werden müsse und zweitens bei Berücksichtigung einer allfälligen Steuer- und Sozialversicherungsleistung die entsprechende Richtsatzhöhe nicht erreicht werde. Auch Deutschkenntnisse auf dem erforderlichen "A2 Niveau" habe der Antragsteller nicht nachgewiesen, sodass eine Gesamtbetrachtung des Falles kein derartiges Ausmaß an Integration erkennen lasse, dass die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung geboten wäre. Zwar verfüge der Beschwerdeführer offensichtlich über einen "bestehenden Bekanntenkreis" im Bundesgebiet bzw. "über soziale und auch sportliche Aktivitäten innerhalb der Gemeinschaft", die jedoch nicht als ausreichend gewichtig anzusehen seien. In diese Richtung gehe schließlich auch die Stellungnahme der Fremdenpolizeibehörden im Hinblick auf die Zulässigkeit der Ausweisung, wo von keiner wirtschaftlichen Integration in Österreich ausgegangen werde. Seitens der belangten Behörde könne dem Beschwerdeführer folglich keine entsprechende Integration "im Hinblick auf die Selbsterhaltungsfähigkeit und ausreichende Beschäftigung" attestiert werden.

Dem Beschwerdeführer sei mehrfach die Gelegenheit gegeben worden, seiner Integration und vor allem das Vorliegen von Unterhaltsmitteln nachzuweisen. Er sei dazu jedoch während des gesamten Verfahrens nicht in der Lage gewesen.

Auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin sei erst gegen Ende des Verfahrens hingewiesen worden, in der schriftlichen Stellungnahme vom November 2009 beziehungsweise offensichtlich auch im Rahmen der fremdenpolizeilichen Einvernahme im Februar 2009, die von der Sicherheitsdirektion ihrer Stellungnahme vom 26. März 2010 zugrunde gelegt worden sei, sei nicht darauf Bezug genommen worden. Es könne jedenfalls nicht von einem gemeinsamen Familienleben gesprochen werden. Außerdem sei diese persönliche Beziehung während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers und auf Grund der Tatsache entstanden, dass die im Jahr 2008 verhängte rechtskräftige Ausweisung nachhaltig ignoriert worden sei.

Abschließend stellte die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen gemäß § 44 Abs. 4 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 und 5 NAG "im Hinblick auf eine nachhaltige Integration und wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit nicht dergestalt vorliegen", dass die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG geboten wäre.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 44 Abs. 4 NAG (in der hier anzuwendenden Fassung des FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122) ermöglicht die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" für besonders berücksichtigungswürdige "Altfälle", wofür solche Fremde in Betracht kommen, die sich zumindest seit 1. Mai 2004 durchgängig in Österreich aufhalten. Wann ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es sieht aber vor, dass die Behörde "dabei" den Grad der Integration des Fremden, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen hat.

Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 10 f) deuten darauf hin, dass andere Kriterien, die im Rahmen einer Prüfung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen wären, keine Bedeutung haben sollen. Gleichwohl können die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte auch in die Beantwortung der Frage einfließen, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, und zwar in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Daran kann auch deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 44 Abs. 4 NAG im Rahmen der erwähnten "Altfälle" erkennbar vor allem jene Konstellationen erfassen soll, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2010/21/0522).

Die belangte Behörde hat den Antrag unter anderem deshalb abgewiesen, weil sie die vom Beschwerdeführer erreichte Integration nicht für ausreichend erachtet hat. Bei der Beurteilung des Grades der Integration hat die belangte Behörde aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben seit über zwei Jahren eine Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin führt. Das entsprechende Vorbringen hat die belangte Behörde nur damit beantwortet, dass darauf "erst gegen Ende des Verfahrens" hingewiesen worden sei und jedenfalls nicht von einem gemeinsamen Familienleben gesprochen werden könne; außerdem sei die Beziehung während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers entstanden.

Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass auch eine aufrechte Lebensgemeinschaft ein Familienleben (im Sinn des Art. 8 EMRK) begründet (vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0197, mwN). Für die Beurteilung im Rahmen des § 44 Abs. 4 NAG kommt es auch nicht darauf an, ob das Privat- oder Familienleben in einer Zeit entstanden ist, in der sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255). Vielmehr ist (nur) zu beurteilen, inwieweit sich das bestehende Privat- oder Familienleben auf den Grad der Integration auswirkt. Das hat die belangte Behörde im Hinblick auf die - von ihr nicht bestrittene - Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin, der jedenfalls eine nicht unwesentliche Bedeutung für dessen Integration in Österreich zukommt, unterlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei Einbeziehung dieser Lebensgemeinschaft und unter Berücksichtigung der übrigen für die Integration des Beschwerdeführers sprechenden Umstände - insbesondere seiner Berufstätigkeit (aus den vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bestätigungen geht hervor, dass er nicht nur als Verkäufer einer Straßenzeitung, sondern auch als Zusteller und in der Vergangenheit überdies saisonal als Erntehelfer tätig war) - die Beurteilung nach § 44 Abs. 4 NAG dazu führen würde, dass von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall auszugehen ist.

Dennoch erweist sich die Antragsabweisung im Ergebnis im Sinn der weiteren Überlegungen der belangten Behörde als rechtmäßig, weil die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, wonach der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen darf, nicht erfüllt war. Der Nachweis dieser Erteilungsvoraussetzung kann zwar nach § 44 Abs. 4 NAG auch durch eine Patenschaftserklärung erfolgen, eine solche wurde aber vom Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Nach seinen eigenen Angaben bringt er monatlich ca. EUR 800,-- ins Verdienen. Davon hat er auf Grund des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Mietvertrages - dass für die Zukunft eine Kündigung dieses Mietverhältnisses geplant ist, ist irrelevant - EUR 350,-- für Miete und Betriebskosten aufzuwenden. Diese Ausgaben sind nach § 11 Abs. 5 NAG (in der Fassung des FrÄG 2009) von den Einkünften in Abzug zu bringen, wobei allerdings der Wert der freien Station nach § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG (in der Höhe von - im Jahr 2010 - EUR 250,50) unberücksichtigt bleibt. Daraus ergibt sich für den Beschwerdeführer ein verbleibendes Monatseinkommen in der Höhe von ca. EUR 700,--, wovon noch die von ihm zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen sind (Steuern waren hingegen entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht abzuziehen, weil das Jahreseinkommen des Beschwerdeführers die Grenze von EUR 11.000,-- offensichtlich nicht überschritten hat und er daher gemäß § 33 Abs. 1 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 nicht einkommensteuerpflichtig war), sodass sein verfügbares Einkommen jedenfalls unter der nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG maßgeblichen Richtsatzhöhe gemäß § 293 ASVG von (im Jahr 2010) EUR 783,99 lag.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war nicht zu berücksichtigen, weil er nicht innerhalb der Beschwerdefrist gestellt wurde (vgl. § 39 Abs. 1 Z 1 VwGG).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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