OGH 9ObA52/24y

OGH9ObA52/24y23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Franz Xaver Berndorfer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei * Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Engelbrecht Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 2024, GZ 12 Ra 13/24d‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00052.24Y.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298), es sei denn, das Berufungsgericht hätte bei seiner Entscheidung den Beurteilungsspielraum überschritten.

[2] 2. Bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit kommt es vor allem darauf an, ob für den Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien, wobei nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falls und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RS0029833). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RS0029323). Schädigungsabsicht oder Eintritt eines Schadens sind nicht erforderlich (RS0029531).

[3] 3. Der Verweis des Revisionswerbers darauf, dass beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht nur der letzte, unmittelbar zur Entlassung führende Vorfall, sondern das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers innerhalb eines längeren Zeitraums zu berücksichtigen sei, ist grundsätzlich richtig (RS0081395). Allerdings bedeutet das nicht, dass das Vertrauen nicht auch bereits durch eine einzelne Handlung verloren gehen kann (9 ObA 118/17v mwN).

[4] 4. Dem Kläger ist zu Gute zu halten, dass er über einen sehr langen Zeitraum ein sehr erfolgreicher Mitarbeiter der Beklagten war. Allerdings ist die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass der Sachverhalt, auf den die Entlassung gestützt wurde, derart gravierend war, dass er geeignet war, zu einer nachhaltigen Vertrauensverwirkung zu führen, nicht zu beanstanden.

[5] Der Kläger hat im Wissen, dass der Bausparvertragspartner der Beklagten verstorben war, die von der Ehefrau gefälschte Unterschrift auf der Kündigung des Bausparvertrags als die des Vertragspartners bestätigt, die Kündigung des Vertrages elektronisch unter Verwendung des Beraterstempels eines Kollegen weitergeleitet und so die Auszahlung an die Witwe des Vertragspartners vor einer allfälligen Einantwortung ermöglicht. Dass die Familie des Vertragspartners mit ihm befreundet war und der Kläger dies – wie die Revision betont – aufgrund eines Ersuchens der Witwe machte, ist nicht geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in eine sachgerechte Wahrnehmung seiner Agenden zu stützen.

[6] 5. Da die Vorinstanzen damit vertretbar den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit bejaht haben, kommt es darauf, ob auch der Tatbestand der Untreue erfüllt ist, nicht an.

[7] 6. Der Kläger begehrt, die ihm gegenüber ausgesprochene Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, handelt es sich dabei um ein Rechtsgestaltungsbegehren, das eine wirksame Entlassung voraussetzt (RS0052018 [T10]). Wäre dagegen die Entlassung – wie in der Revision geltend gemacht – mangels Bevollmächtigung rechtsunwirksam ausgesprochen worden, so wäre eine Feststellungsklage (auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses) zu erheben gewesen (vgl RS0039015). Darüber hinaus ergibt sich aber aus den Feststellungen, dass die Entlassungsentscheidung vom dafür zuständigen Vorstandsmitglied getroffen wurde und die Erklärung gegenüber dem Kläger von dazu jedenfalls im konkreten Fall bevollmächtigten Personen unterfertigt wurde. Entgegen der Revision fehlt es diesbezüglich weder an erstgerichtlichen Feststellungen, noch ist das Berufungsgericht von diesen Feststellungen unzulässig abgewichen.

[8] 7. Den Arbeitgeber trifft die Obliegenheit, ihm bekannt gewordene Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen, widrigenfalls das Entlassungsrecht des Arbeitgebers erlischt (vgl RS0028965). Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber, sobald diesem alle für die Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gelangt sind, wobei der Kenntniserlangung durch den Arbeitgeber die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten gleich zu halten ist; die Kenntnis des bloß unmittelbaren Vorgesetzten reicht daher nicht (vgl RS0029321 [insb T5, T9]).

[9] 8. Nach den Feststellungen erfuhr die Innere Revision der Beklagten am 20. 2. 2023 vom Fehlverhalten des Klägers, ihm wurde die Möglichkeit zu einer Stellungnahme bis 23. 2. 2023 eröffnet und nach deren Einlangen die Entlassung ausgesprochen. Eine unangemessene Verzögerung ist bei diesem zeitlichen Ablauf nicht erkennbar. Dass zwischen dem Zeitpunkt, zu dem das Sachreferat erstmals eine Unregelmäßigkeit bemerkte, und der Informationsweitergabe an die Innere Revision bereits einige Tage vergangen waren, ist mangels Personalkompetenz des Sachreferats ohne Bedeutung.

[10] 9. Die Frage der Sozialwidrigkeit war vor diesem Hintergrund nicht zu prüfen.

[11] 10. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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