OGH 9ObA118/17v

OGH9ObA118/17v28.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * Dr. *, vertreten durch Dr. Herwig Fuchs, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen (restlich) Feststellung (Streitwert 560.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Juni 2017, GZ 15 Ra 17/17p‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120327

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

1. Der Kläger arbeitete als geschäftsführender Oberarzt an einer Klinik. Er wurde am 3. 12. 2015 unverzüglich in die Ärztliche Direktion bestellt, wo er bei einem Mitarbeitergespräch mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, er hätte durch Mobbing bei Mitarbeitern der Klinik Gesundheitsschäden verursacht. Um das Gespräch aufzuzeichnen, aktivierte der Kläger vor seinem Beginn die Tonbandaufnahmefunktion seines iPods und steckte dieses ein, ohne die anderen Gesprächsteilnehmer von der Aufzeichnung zu informieren.

Nachdem ihm mit Schreiben vom 11. 12. 2015 auf den 31. 5. 2016 gekündigt worden war, focht der Kläger diese Kündigung gerichtlich an. In jenem Arbeitsrechtsprozess brachte er am 20. 4. 2016 einen Schriftsatz ein, den er damit einleitete, dass das als Kündigungsgrund behauptete Mobbing in Wahrheit nicht stattgefunden habe und der wahre Kündigungsgrund darin liege, dass er in seiner Funktion als geschäftsführender Oberarzt auf verschiedene Missstände in der Patientenversorgung und Behandlungsfehler hingewiesen habe. Im Schriftsatz stellte er hierzu vier konkrete Sachverhalte unter Nennung der Namen der Patienten, deren Geburts- und Operations- bzw Behandlungsdaten sowie von medizinischen Zusammenhängen dar. Der Schriftsatz war in persönlicher Kenntnis des Klägers erstellt worden. Der Beklagtenvertreter wies mit Schreiben an den Klagsvertreter vom 26. 4. 2016 darauf hin, dass der Schriftsatz „eine Mehrzahl von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallenden personenbezogenen Details beinhaltet“, er mit Vortrag in der mündlichen Verhandlung Bestandteil derselben und damit öffentlich würde, eine „sachliche Rechtfertigung für eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht“ nicht erkennbar sei und der Kläger entlassen werden würde, sollten die betreffenden Ausführungen des Schriftsatzes zum Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vortrags erhoben und damit zum Bestandteil der öffentlichen Verhandlung gemacht werden. In der Tagsatzung vom 28. 4. 2016 belehrte der vorsitzende Richter den Kläger darüber, „dass ein Vortrag des Schriftsatzes ON 8 nicht erforderlich sei und der Kläger auch erst nach einer etwaigen Präzisierung der Kündigungsgründe durch die beklagte Partei das Vorbringen auch später erstatten müsse und solle“. Der Klagsvertreter trug gleichwohl nach Rücksprache mit dem Kläger und in dessen Kenntnis von seinem Inhalt den Schriftsatz gemäß § 177 ZPO vor. Eine Entbindung von der ärztlichen Verschwiegenheit durch die betroffenen Patienten lag nicht vor. Ein Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit war nicht gestellt worden.

Daraufhin wurde dem Kläger noch mit Schreiben vom selben Tag die Entlassung mit der Begründung ausgesprochen, er habe trotz des Schreibens vom 26. 4. 2016 und des Hinweises des vorsitzenden Richters, dass es des Vorbringens rechtlich nicht bedürfe, auch den sensiblen Inhalt des Schriftsatzes in der Tagsatzung vorgetragen und diesen und damit im Besonderen auch die darin enthaltenen patienten- und personenbezogenen Daten zum Inhalt der öffentlichen Verhandlung gemacht. Dieses Verhalten mache es dem Krankenhausträger unmöglich, den Kläger weiterhin zu beschäftigen.

Rechtliche Beurteilung

2. Auf das Dienstverhältnis zwischen den Parteien ist das (Tiroler) Landesbedienstetengesetz (LBedG) anzuwenden. Der Kläger beruft sich im Revisionsverfahren nach wie vor darauf, dass seine Entlassung nach § 75 Abs 2 LBedG nicht gerechtfertigt gewesen sei. Nach lit b dieser Bestimmung liegt ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, insbesondere vor, „wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig gemacht hat, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers als unwürdig erscheinen lässt“.

3. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs‑ oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen (RIS‑Justiz RS0106298 [T18]). Dies gilt – hier interessierend – auch für die gleichfalls nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Frage, ob sich ein Bediensteter einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflicht schuldig gemacht und dadurch das Vertrauen für den Dienst eingebüßt hat (vgl RIS‑Justiz RS0105955 [T1]).

4. Ob Vertrauensunwürdigkeit vorliegt – hier im Sinne der zitierten Entlassungsbestimmung –, hängt davon ab, ob für den Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet sind. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Diesbezüglich entscheidet allerdings nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers, sondern ein objektiver Maßstab, der nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung des Umstands des Einzelfalls anzuwenden ist (RIS‑Justiz RS0108229).

5. Nach § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 sind der Arzt und seine Hilfspersonen zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Die Verschwiegenheitspflicht besteht nach § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 (in der hier noch maßgeblichen Fassung vor der Novelle zum ÄrzteG BGBl I 2017/25) nicht, „wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist“.

Ein Arzt darf daher „in eigener Sache“ Berufsgeheimnisse jedenfalls nur im unbedingt notwendigen Ausmaß preisgeben (RIS-Justiz RS0127872). Ob das Vorliegen höherwertiger Interessen eine Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht rechtfertigt, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl RIS‑Justiz RS0117236; 7 Ob 50/12x).

6. Das Berufungsgericht ging vertretbar davon aus, dass am 28. 4. 2016 die Offenbarung der persönlichen Daten der Patienten in nicht anonymisierter Form nicht unbedingt notwendig war; warum eine Schwärzung der Namen der Patienten unterblieb, ist tatsächlich nicht einsichtig (vgl Goricnik, DRdA 2016, 138 [Glosse zu 9 ObA 43/15m]). Wenn das Berufungsgericht aufgrund des Verhaltens des Klägers– der trotz der Hinweise des gegnerischen Rechtsanwalts und des vorsitzenden Richters nach Rücksprache mit seinem eigenen Rechtsanwalt von diesem den gesamten Schriftsatz vortragen ließ und damit auch die persönlichen Daten der Patienten in den Prozess einführte – die Befürchtung der beklagten Partei für gerechtfertigt hielt, dass deren Belange durch den Kläger gefährdet seien, ist dies ebenso vertretbar. Gerade die Verletzung der Geheimhaltungspflicht muss bei objektiver und vernünftiger kaufmännischer Erwägung beim Dienstgeber die gerechtfertigte Befürchtung auslösen, dass auch künftighin Informationen nicht mit der gebotenen Vertraulichkeit behandelt würden (RIS‑Justiz RS0029511 [T2]). Hinzukommt, dass der in einer offensichtlichen Vertrauensposition befindliche Kläger ein dienstliches (Mitarbeiter-)Gespräch heimlich aufzeichnete, was schon für sich genommen den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit begründen kann (RIS‑Justiz RS0031784). Nach ständiger Rechtsprechung ist an das Verhalten von Arbeitnehmern in leitender Position ein strengerer Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0029341 [T22]).

7. Der Hinweis des Revisionswerbers, beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit sei nicht nur der letzte, unmittelbar zur Entlassung führende Vorfall, sondern das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers innerhalb eines längeren Zeitraums zu berücksichtigen, ist grundsätzlich richtig (RIS-Justiz RS0081395). Richtig ist auch, dass zwar das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers bei der Beurteilung der Entlassung berücksichtigt werden kann, aber der eigentliche Anlass eine gewisse Mindestintensität aufweisen muss (RIS-Justiz RS0029600 [insb T2, T4, T5]), sowie dass beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit das Gesamtbild des Verhaltens des Dienstnehmers berücksichtigt werden muss und nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden darf (RIS-Justiz RS0029790).

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers hat das Berufungsgericht diese Grundsätze aber berücksichtigt und in vertretbarer Weise auf den vorliegenden Fall angewandt. Es hat nicht nur den letzten Vorfall – das Verhalten in der Tagsatzung vom 28. 4. 2016 – berücksichtigt, sondern eine Zusammenschau dieses Verhaltens mit dem vorherigen Geschehen vorgenommen (Berufungsurteil Seite 61). Dass das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers innerhalb eines längeren Zeitraums zu berücksichtigen ist, bedeutet keine Verpflichtung des Gerichts zur Befassung mit der gesamten Dauer des – hier seit dem Jahr 1982 währenden – Dienstverhältnisses des Entlassenen.

Im Übrigen bedeutet die Rechtsprechung, wonach beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht nur der letzte, unmittelbar zur Entlassung führende Vorfall, sondern das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers innerhalb eines längeren Zeitraums zu berücksichtigen ist, nicht, dass das Vertrauen nicht auch bereits durch eine einzelne Handlung verloren gehen kann (vgl RIS‑Justiz RS0029600 [T5]; Pfeil in Schwimann/Kodek,ABGB4 § 1162 Rz 128; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 25 Rz 11; Tarmann-Prentner in Reissner, AngG § 25 Rz 61).

8. Nichts zu gewinnen ist für den Revisionswerber letztlich auch aus der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache 28274/08 (Heinisch/Deutschland), wonach bei wahrgenommenen Missständen zuerst dem Vorgesetzten oder einer anderen kompetenten Stelle Bericht erstattet werden sollte und nur in Fällen, in denen eine derartige Vorgangsweise inpraktikabel erscheint, Informationen – als letzter Ausweg – an die Öffentlichkeit weitergegeben werden dürfen. Weder ist das Arbeitsgericht, welches der Kläger zur Bekämpfung seiner Kündigung anrief, eine kompetente Stelle, um die von ihm angenommenen Missstände fortgesetzter Fehlbehandlungen abzustellen, noch hat der Kläger vor seiner Entlassung eine kompetente Stelle außerhalb der Klinik zwecks Abstellen der von ihm angenommenen Missstände befasst; unstrittig brachte er ob der aus seiner Sicht bestehenden gravierenden und gegebenenfalls auch strafrechtlich relevanten Missstände erst nach seiner Entlassung eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltsschaft ein (zur Berechtigung zur Erstattung einer Strafanzeige wider den eigenen Arbeitgeber 9 ObA 43/15m = DrdA 2016/14 [Goricnik]).

Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Revision bedürfte es einer auffallenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts. Eine solche liegt nicht vor. Da die Revision keine entscheidungsrelevante Rechtsfrage aufzeigt, der die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zukäme, ist sie zurückzuweisen.

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