OGH 9Ob56/24m

OGH9Ob56/24m23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. K* GmbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 1.) Vertragsaufhebung und 2.) 66.184,28 EUR sA, über die Revision der zweitbeklagten Partei (Revisionsstreitwert: 56.474,05 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. März 2024, GZ 1 R 6/24v‑92, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 25. Oktober 2023, GZ 4 Cg 33/21x‑85, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00056.24M.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.693,76 EUR (darin 448,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 17. 2. 2017 von der erstbeklagten Fahrzeughändlerin einen VW Multivan Edition TDI 4MOTION Euro 6 um 72.070 EUR. In diesem von der Zweitbeklagten hergestellten Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA288 verbaut, der unter die Schadstoffklasse Euro 6b fällt. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG . Im Fahrzeug kommt ein „Thermofenster“ zum Einsatz; es verfügt über eine aufrechte EG-Typengenehmigung. Hätte der Kläger gewusst, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, hätte er das Fahrzeug nicht erworben.

[2] Der Kläger begehrt die Aufhebung des Kaufvertrags sowie die Zahlung von 66.184,28 EUR sA (Kaufpreis abzüglich eines Benützungsentgelts von 5.885,72 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Eventualiter begehrt er zum einen 15.000 EUR, und zwar gegenüber der Erstbeklagten aus dem Titel der Wertminderung und gegenüber der Zweitbeklagten aus dem Titel der Vermögensschädigung gemäß § 1331 ABGB und zum anderen begehrt er die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehe. Er stützt sein Klagebegehren ua gegenüber der Erstbeklagten auf einen von dieser veranlassten wesentlichen Geschäftsirrtum (in eventu gemeinsamen Irrtum), List sowie Wandlung und Schadenersatz ex contractu und gegenüber der Zweitbeklagten auf Schadenersatz ex delicto aufgrund listiger Irreführung (in eventu fahrlässiger Irreführung) sowie Haftung aufgrund von Schutzgesetzverletzung. Die Zweitbeklagte habe vorsätzlich im Fahrzeug eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung verbaut.

[3] Die Beklagte wandte ua ein, dass im Fahrzeug keine bzw keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Eine Prüfstanderkennung mit unterschiedlichen Betriebsmodi wie im Vorgängermotor EA189 (Umschaltlogik) sei hier nicht verbaut. Der im Fahrzeug verbaute Motor verfüge zwar über ein Thermofenster, dieses sei in seiner konkreten Ausgestaltung aber eine zulässige Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug sei verkehrs- und betriebssicher und von keiner Rückrufaktion des Deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen. Es drohe auch kein Entzug der aufrechten Typengenehmigung.

[4] Soweit für das Revisionsverfahren relevant brachten die Beklagten noch vor, dass die Ausgestaltung der temperaturgesteuerten Emissionsregulierung (von –15 Grad Celsius bis +42 Grad Celsius) dem KBA für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp offengelegt und nicht beanstandet worden sei. Obwohl die erst seit 22. 4. 2016 in Geltung stehenden AES/BES-Anforderungen (Anmerkungen des Senats: AES = Auxiliary Emission Strategy; BES = Base Emission Strategy; beides: detaillierte Darstellung, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen) für den gegenständlichen Fahrzeugtyp keine Anwendung fänden, habe die Zweitbeklagte auf freiwilliger Basis die relevante Dokumentation der Emissionsstrategien (und damit des Thermofensters) beim KBA nachgereicht. Beanstandungen seien nicht erfolgt. Ungeachtet dessen treffe die Zweitbeklagte auch kein Verschulden hinsichtlich der Implementierung des Thermofensters. Es werde auf die Entscheidung 2 Ob 152/21y verwiesen, wonach der Beklagten die Unkenntnis der konkreten rechtlichen Erfordernisse nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, weil die zuständige Behörde demselben Rechtsirrtum unterlegen sei und die Beklagte auf die Bewilligung der Behörde vertrauen habe dürfen. Compensando werde ein Benützungsentgelt von 16.000 EUR eingewendet.

[5] Das Erstgericht wies die Klagebegehren zur Gänze ab. Das im Fahrzeug verbaute Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren, weil es dazu führe, dass bei einer Unterschreitung der Temperatur von +12 Grad Celsius die Abgasrückführung reduziert werde, sodass im normalen Fahrbetrieb mehr NOx ausgestoßen würden als im Rahmen des EG-Typengenehmigungsverfahrens angegeben. Der Beweis des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , insbesondere dass das Thermofenster dem Motorschutz diene, sei den Beklagten nicht gelungen. Für den Kläger sei daraus aber nichts gewonnen. Gewährleistungs- und Irrtumsansprüche seien verjährt und der Erstbeklagten könne kein listiges Verhalten vorgeworfen werden. Dieser sei auch das Verhalten der Zweitbeklagten nicht zurechenbar. Ein Schadenersatzanspruch gegen die beiden Beklagten scheitere bereits daran, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, weil kein Entzug der Typengenehmigung bzw der Benützungsbewilligung drohe. Der Zweitbeklagten könne auch keine Schutzgesetzverletzung (kein Pflichtenverstoß) vorgeworfen werden, weil sie das Thermofenster gegenüber dem KBA offengelegt habe. Die Zweitbeklagte habe davon ausgehen dürfen, dass die Genehmigung des Thermofensters durch die Behörde eine zulässige Vorgangsweise darstelle, womit sie sich erfolgreich auf einen Rechtsirrtum berufen könne. Andere Haftungsgrundlagen bestünden nicht.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Mit Teilurteil (hinsichtlich der Zweitbeklagten) erkannte es die Klagsforderung als mit 56.474,05 EUR zu Recht, die Gegenforderung der Zweitbeklagten als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Zweitbeklagte, dem Kläger 56.474,05 EUR samt 4 % Zinsen seit 7. 5. 2020 Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen. Das Mehrbegehren von 15.595,95 EUR samt Zinsen wies es gegenüber der Zweitbeklagten ab. Die Entscheidung über die gegen die Erstbeklagte gerichteten Klagsansprüche hob es auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück.

[7] Es teilte zunächst die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass im Motor eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Ein Verstoß des Fahrzeugherstellers gegen diese Schutznorm verursache beim Fahrzeugkäufer jedoch einen Schaden, der in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs liege. Diesem Schadenersatzanspruch stehe auch nicht entgegen, dass das Fahrzeug über eine aufrechte Zulassung verfüge. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei aber auch das Verschulden der Zweitbeklagten zu bejahen. Die Zweitbeklagte habe nicht nachweisen können, dass sie an der Übertretung der Schutzgesetzverletzung kein Verschulden treffe. Ein Rechtsirrtum sei nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlegen sei und die Beteiligten auf die Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften. Im Anlassfall sei dem KBA der exakte Temperaturbereich des Thermofensters erst im Jahr 2019 offengelegt worden. Eine Kenntnis über den genauen Temperaturbereich des Thermofensters wäre für das KBA aber bereits im Zuge des Typengenehmigungsverfahrens erforderlich gewesen, um verlässlich beurteilen zu können, ob das Fahrzeug so ausgerüstet sei, dass die Bauteile, welche das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussten, so konstruiert, gefertigt und montiert seien, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der VO 715/2007/EG entspreche. Davon könne aber bei einem Verschweigen der konkreten Bedatung des Thermofensters keine Rede sein. Somit liege kein deckungsgleicher Irrtum des KBA vor, der zu einem entschuldbaren Rechtsirrtum der Zweitbeklagten führen würde.

[8] Der Kläger müsse sich sein – linear zu berechnendes – Benützungsentgelt (15.595,95 EUR) im Rahmen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, wodurch die Ersatzpflicht der Zweitbeklagten unmittelbar vermindert werde. Eine (zusätzliche) Berücksichtigung als Gegenforderung habe daher nicht zu erfolgen. Ausgehend vom objektiven Erklärungswert sei davon auszugehen, dass die Eventualbegehren nur für den Fall der gänzlichen Klagsabweisung gestellt worden seien, weshalb über diese zufolge der teilweisen Stattgabe der Hauptbegehren nicht entschieden habe werden müssen.

[9] Die erstgerichtliche Entscheidung über die gegen die Erstbeklagte gerichteten Klagebegehren sei aufzuheben, weil sich bislang nicht beurteilen lasse, ob Gewährleistungsansprüche gegen diese verjährt seien.

[10] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht gegen das Teilurteil zugelassen, weil vom Obersten Gerichtshof bislang noch nicht geklärt worden sei, ob es für eine erfolgreiche Berufung auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum durch einen Fahrzeughersteller ausreiche, wenn dieser der Typengenehmigungsbehörde gegenüber allgemeine Informationen zum Vorliegen eines Thermofensters erteile, oder ob es dafür einer exakten Bedatung des Thermofensters (noch vor dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs) bedürfe.

[11] Dem schloss sich die Zweitbeklagte zwecks Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision nach § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt habe, indem es ohne Beweiswiederholung Feststellungen getroffen habe, die in Widerspruch zu jenen des Erstgerichts stünden. Dem gegenüber bestritt der Revisionsgegner das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision der Zweitbeklagten.

[12] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[13] Die vom Berufungsgericht und der Zweitbeklagten als erheblich erachtete Frage der Voraussetzungen für einen Rechtsirrtum in der gegenständlichen Konstellation ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beantwortet und bedarf keiner weiteren Klärung:

[14] 1. Das Erstgericht stellte fest, dass die Zweitbeklagte das Thermofenster dem KBA noch vor der Typengenehmigung (9. 11. 2016) offengelegt hat. Das Berufungsgericht ging in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass die Zweitbeklagte die konkrete Bedatung des Thermofensters verschwiegen habe. Ob das Berufungsgericht dieser Beurteilung – ohne Beweiswiederholung – tatsächlich andere Feststellungen zugrunde gelegt oder den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt lediglich rechtlich anders beurteilt hat, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden. Schon das (weitere) Vorbringen der Zweitbeklagten ist nicht geeignet, einen entschuldbaren Rechtsirrtum zu begründen.

[15] 2. Zunächst ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass die Haftung des Fahrzeug-/Motorherstellers nicht schon deshalb entfällt, weil das KBA (oder eine andere Behörde) noch keine unzulässige Abschalteinrichtung beim Motor EA288 festgestellt hat (zuletzt 10 Ob 52/23d Rz 18 mwN).

[16] 3. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt mehrfach betont, dass der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, ohne Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums spricht (10 Ob 36/23a Rz 39 mwN). Nach mittlerweile herrschender Rechtsprechung ist ein Rechtsirrtum dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (10 Ob 27/23b Rz 34; RS0008651 [T9]). Im gegebenen Zusammenhang setzt die erfolgreiche Berufung auf einen Rechtsirrtum überdies voraus, dass der Behörde die konkrete Abschalteinrichtung vor ihrer Entscheidung – und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten – bekannt war, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann. Zur Beurteilung eines Rechtsirrtums bedarf es daher Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der der Beklagten zurechenbaren Personen darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war (10 Ob 27/23b Rz 32 ff; zuletzt 10 Ob 52/23d Rz 19 mwN). Die dafür erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die geeigneten Beweismittel zu nennen, ist Sache der Beklagten (6 Ob 155/22w Rz 72; 10 Ob 52/23d Rz 19 mwN),

[17] 4. Dazu hat die Zweitbeklagte aber kein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet. Insbesondere fehlt im gesamten Verfahren jede Behauptung darüber, welche der Zweitbeklagten zurechenbare Personen aufgrund der Typengenehmigung durch das KBA auch tatsächlich darauf vertraut haben, dass und warum die konkrete verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig gewesen wäre. Auch fehlt jedes Vorbringen zum (deckungsgleichen) Irrtum des KBA.

[18] Die Revision der Zweitbeklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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