OGH 8ObS12/14v

OGH8ObS12/14v30.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** J*****, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen Insolvenz‑Entgelt (restlich 2.808,34 EUR netto), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Juli 2014, GZ 8 Rs 75/14d‑8, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 18. Februar 2014, GZ 14 Cgs 234/13y‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBS00012.14V.1030.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Kläger war bis 11. 7. 2013 bei der W***** GmbH beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe zur Anwendung.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 14. 1. 2013 wurde zu AZ 5 S 4/13t über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers das Konkursverfahren eröffnet. Am 21. 3. 2013 fand die Berichtstagsatzung statt, bei der zunächst die Fortführung des Unternehmens beschlossen wurde. Am 3. 7. 2013 wurde mangels Zustandekommens eines Sanierungsplans das Unternehmen geschlossen. Mit 11. 7. 2013 wurde der Austritt des Klägers vom Masseverwalter zur Kenntnis genommen.

Das Entgelt ab Mai 2013 hat der Kläger nicht mehr erhalten; die Fälligkeit des Mai-Lohnes ist am 15. 6. 2013 eingetreten.

Mit Bescheid vom 7. 11. 2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenz‑Entgelt (Entgelt und Weihnachtsremuneration vom 1. 5. 2013 bis 11. 7. 2013) ab.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 3.512 EUR netto. Am 15. 6. 2013 habe er sich bei seinem Chef nach dem ausständigen Lohn erkundigt. Ihm sei mitgeteilt worden, dass das Entgelt in den nächsten Tagen ausbezahlt werde. In der Folge sei er vom Masseverwalter über die Unternehmensveräußerung in Kenntnis gesetzt worden. Seinen Austritt habe der Masseverwalter zur Kenntnis genommen.

Die Beklagte entgegnete, dass der Kläger spätestens am 30. 6. 2013 seinen berechtigten vorzeitigen Austritt hätte erklären müssen, um eine Sicherung seiner Ansprüche nach dem IESG zu erreichen. Tatsächlich sei der Austritt jedoch verspätet erfolgt. Aus diesem Grund seien die geltend gemachten Ansprüche nicht gesichert.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 2.808,34 EUR netto (Entgelt und Weihnachtsremuneration bis 30. 6. 2013); das Mehrbegehren von 703,66 EUR netto (Ansprüche vom 1. 7. 2013 bis 11. 7. 2013) wies es ab. Die Verletzung der Austrittsobliegenheit wirke nicht anspruchsvernichtend, wenn der Arbeitnehmer nachweise, dass sich diese Verletzung auf dem Umfang der Leistungspflicht nicht ausgewirkt habe. Auch im Fall des rechtzeitigen Austritts bestünden die Ansprüche des Klägers jedenfalls bis zum 30. 6. 2013 zu Recht. Der Ansicht der Beklagten, wonach durch den verspäteten Austritt eine Vernichtung des gesamten Anspruchs eintrete, sei mangels Pönalecharakter der Austrittsobliegenheit nicht zu folgen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der alleinige Zweck der Austrittsobliegenheit nach § 3a Abs 2 Z 5 IESG könne nur darin bestehen, die Beklagte von einer Mehrbelastung zu schützen, die durch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entstehe. Der Insolvenz‑Entgelt‑Fonds solle nicht mit den Mehrkosten aus einem verspäteten Austritt belastet werden. Dementsprechend habe der Oberste Gerichtshof auch im Zusammenhang mit der Verletzung von Austrittsobliegenheiten nach dem IESG den Kausalitätsgegenbeweis zugelassen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, ob dieser Gegenbeweis auch nur einen Teil der Ansprüche betreffen könne, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine gänzliche Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1.1 Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Gelingt ihm dies nicht, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.

1.2 Die Beklagte bestreitet nicht, dass der Austritt des Klägers (in Erfüllung seiner Austrittsobliegenheit unter Berücksichtigung einer angemessenen Nachfrist) am 30. 6. 2013 rechtzeitig gewesen wäre und er in diesem Fall einen (gesicherten) Anspruch in Höhe seines laufenden Entgelts samt aliquoter Sonderzahlungen (jedenfalls) bis 30. 6. 2013 gehabt hätte. Sie steht allerdings auf dem Standpunkt, dass bei einem verspäteten Austritt das Insolvenz‑Entgelt zur Gänze und nicht nur im Ausmaß jener Ansprüche verloren geht, die im Fall eines rechtzeitigen Austritts nicht zustehen würden.

Damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2.1 § 3a Abs 2 Z 5 IESG betrifft die Zeit nach der Insolvenzeröffnung und normiert eine „Austrittsobliegenheit“ des Arbeitnehmers, sobald der Masseverwalter das gebührende Entgelt erstmals nicht vollständig zahlt (vgl 8 ObS 1/10w). Die mit dieser Bestimmung (siehe auch § 3a Abs 3 IESG) geschaffene Austrittsobliegenheit verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden Arbeitnehmeransprüche nicht mehr zu Lasten des Insolvenz‑Entgelt‑Fonds gehen soll. Das wesentliche Risiko liegt darin, dass der Arbeitnehmer von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses absieht, obwohl das laufende Entgelt nicht mehr aus der Masse getragen werden kann. Durch das Unterlassen einer Beendigungserklärung vergrößern sich die Kosten für das laufende Entgelt um weitere Perioden (8 ObS 7/05w mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0119116).

2.2 In der Entscheidung 8 ObS 7/05w hat der Oberste Gerichtshof seine bereits in der Entscheidung zu 8 ObS 14/04y vertretene Auffassung bekräftigt, wonach die in § 3a Abs 2 Z 5 bzw § 3a Abs 3 IESG normierte Austrittsobliegenheit vor dem Hintergrund ihrer Zielsetzung keinen Pönalecharakter hat (vgl auch RIS‑Justiz RS0119672). Daraus wurde ‑ unter sinngemäßer Heranziehung des im Privatversicherungsrecht für zulässig erachteten Kausalitätsgegenbeweises bei Verletzung von Obliegenheiten (vgl RIS‑Justiz RS0116979) ‑ der Schluss gezogen, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Verletzung der Austrittsobliegenheit „auf den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten keinen Einfluss hatte“ , die Verletzung der Austrittsobliegenheit nicht anspruchsvernichtend wirkt. Diese sinngemäße Heranziehung des Kausalitätsgegenbeweises sei wegen der ähnlichen Zielsetzung der den Versicherten treffenden Obliegenheiten auch sachgerecht und stehe mit dem Zweck des § 3a Abs 2 Z 5 IESG bzw § 3a Abs 3 IESG nicht in Widerspruch.

Daran anknüpfend stellte der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung klar, dass den Gegenstand des Verfahrens die Ansprüche der dortigen Klägerin auf laufendes Entgelt (inklusive aliquoter Sonderzahlungen) für die Zeit bis einschließlich März 2002 bildeten. Daran schloss sich folgende Beurteilung an:

„Hätte die Klägerin Ende Februar 2002 ihren Austritt erklärt ‑ dass ein Austritt zu diesem Zeitpunkt rechtzeitig gewesen wäre, gesteht die Beklagte zu ‑ wären ihr die nunmehr geforderten Beträge als Kündigungsentschädigung zugestanden. Wie in dem der Entscheidung 8 ObS 14/04y zugrunde liegenden Fall wurde daher die Belastung des Insolvenz‑Ausfallgeld‑Fonds durch das Unterbleiben des Austritts nicht vergrößert.“

In der Folge wies der Oberste Gerichtshof schließlich noch einmal darauf hin, dass die Belastung des Insolvenz‑Entgelt‑Ausfallgeld‑Fonds nach der Zweckbestimmung des § 3a Abs 2 Z 5 IESG auch ohne Austritt des Arbeitnehmers nicht größer sein dürfe, als diese bei Erfüllung der Austrittsobliegenheit gewesen wäre.

3.1 Die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Rechtsfrage ist ausgehend von diesen Grundsätzen in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt. Entgegen den Hinweisen der Beklagten in der außerordentlichen Revision liegt die Besonderheit der zitierten Vergleichsentscheidungen nicht etwa darin, dass der Anspruch als Kündigungsentschädigung nach § 1 Abs 3 Z 3a IESG gesichert gewesen sei. Vielmehr ist es auch in diesen Entscheidungen ausschließlich um laufendes Entgelt gegangen. Die Bezugnahme auf die Kündigungsentschädigung hat sich lediglich auf die Vergleichsrechnung, also auf die Frage bezogen, ob es im Vergleich zu einem rechtzeitigen Austritt des Arbeitnehmers zu einer Mehrbelastung des Insolvenz‑Entgelt‑Fonds kommen würde.

Konkret ausgedrückt bedeutet dies, dass die geltend gemachten Ansprüche insoweit gesichert sind, als sie ‑ für den geltend gemachten Zeitraum betragsmäßig gleich, gegebenenfalls aber aus dem Titel der Kündigungsentschädigung ‑ auch bei rechtzeitigem Austritt zugestanden wären. Die Wendung „keinen Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht“ in den zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs drückt aus, dass sich die Leistungspflicht der Beklagten durch den verspäteten Austritt nicht erhöhen darf. Sie ist aber nicht dahin zu verstehen, dass die Sicherungspflicht zur Gänze entfallen würde, wenn auch nur ein Teil der geltend gemachten Ansprüche im Fall des rechtzeitigen Austritts nicht zustehen würde. Vielmehr ist ein geltend gemachter Entgeltanspruch nur dann nicht gesichert, wenn er bei rechtzeitigem vorzeitigen Austritt nie (auch nicht aus dem Titel der Kündigungsentschädigung) entstanden wäre (vgl 8 ObS 8/04s).

3.2 Auf die Entscheidung 8 ObS 17/04i kann sich die Beklagte nicht berufen, weil sich dieser Entscheidung nicht entnehmen lässt, dass der Obersten Gerichtshof von der Fälligkeit des Jänner‑Lohnes mit 31. 1. 2003 und von einer Austrittsobliegenheit im Februar 2003 ausgegangen wäre. Vielmehr ist in dieser Entscheidung mit Bezug auf die darin referierte Vergleichsentscheidung vom sofortigen Austritt die Rede. Der Unterschied zur darin referierten Vergleichsentscheidung wurde darin gesehen, dass es sich dort um eine Angestellte mit einer (dreimonatigen) Kündigungsfrist gehandelt hat.

Soweit sich aus der Entscheidung 8 ObS 17/04i aber dennoch eine Abweichung zur vorliegenden Beurteilung im Anlassfall ableiten lassen sollte, ist sie mittlerweile überholt.

4. Im Anlassfall hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass dem Kläger nach der Vergleichsrechnung (auf Basis des Kollektivvertrags) die Ansprüche bis 5. 7. 2013 zugestanden wären. Das Erstgericht hat dem Kläger aber (unbekämpft) ohnedies nur die Ansprüche für den Zeitraum vom 1. 5. 2013 bis 30. 6. 2013 zugesprochen. Diese Beurteilung steht mit den dargelegten Grundsätzen jedenfalls im Einklang und erweist sich somit als nicht korrekturbedürftig.

Insgesamt weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen von der gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht ab. Da es der Beklagten nicht gelungen ist, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, war die Revision zurückzuweisen.

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