OGH 8ObS7/05w

OGH8ObS7/05w28.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und ADir. RR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Janina B*****, Angestellte, *****, vertreten durch Mag. Michael Lang, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle Wien, 1040 Wien, Operngasse 17-21, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (EUR 1.349,56), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2004, GZ 9 Rs 124/04b-11, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5. April 2004, GZ 7 Cgs 177/03z-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil in seinem die ursprüngliche Klageforderung betreffenden Teil und der darauf entfallenden Kostenentscheidung wiederhergestellt wird und daher zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 1.349,56 netto zu zahlen und ihr die mit EUR 674,56 bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 437,13 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 72,85 Umsatzsteuer) und die mit EUR 300,09 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 50,01 Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen des Arbeitgebers der Klägerin wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 20. 4. 2001 der Konkurs eröffnet.

Unstrittig ist, dass am 28. 6. 2001 eine Prüfungs- und eine Berichtstagsatzung stattfand und dass mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 12. 3. 2002 (Bekanntmachung 14. 3. 2002) die Schließung des Unternehmens angeordnet wurde.

Das seit 15. 6. 1998 bestehende Arbeitsverhältnis wurde vom Masseverwalter am 20. 3. 2002 gemäß § 25 KO gekündigt und endete am 31. 5. 2002.

Die Klägerin hatte ihr Entgelt für die Zeit bis zum 31. 12. 2001 erhalten; für die Zeit ab 1. 1. 2002 erfolgten keine Entgeltzahlungen mehr.

Im Konkursverfahren meldete die Klägerin die Gehälter für die Zeit vom 1. 1. bis zum 31. 5. 2002 von je EUR 385,68 netto monatlich, anteilige Sonderzahlungen für diese Zeit von EUR 321,- netto monatlich und ihre Abfertigung an. Sie begehrte in diesem Umfang von der Beklagten Insolvenz-Ausfallgeld. Die Beklagte erkannte der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld für die beantragte Abfertigung zu, wies jedoch das die laufenden Bezüge betreffende Begehren mit Bescheid vom 4. 12. 2003 ab, weil die Klägerin ihrer Austrittsobliegenheit iSd § 3a Abs 2 Z 5 IESG nicht nachgekommen sei.

Die Beklagte begehrte daraufhin mit ihrer Klage Insolvenz-Ausfallgeld von EUR 1.349,56 netto (Gehälter von Jänner bis März 2002 zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen). Sie hätte frühestens in den ersten Februartagen die Nichtzahlung des Jänngergehaltes bemerken können und hätte daher auch dann, wenn sie zu diesem Zeitpunkt ausgetreten wäre, einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis 31. 3. 2002 erworben. In diesem Umfang hätte ihr Begehren daher nicht abgewiesen werden dürfen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Nach § 3a Abs 2 IESG wäre der Klägerin bei der hier zu beurteilende Konstellation der behauptete Anspruch nur zugestanden, wenn sie infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihr zukommenden Entgelts wegen der ungebührlichen Schmälerung oder Vorenthaltung des gebührenden Entgelts ausgetreten wäre. Demnach hätte sie spätestens per 28. 2. 2003 ihren Austritt erklären müssen, um ihren Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu wahren. Dies habe sie versäumt, sodass ihr Begehren abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 30. 3. 2004 dehnte die Klägerin ihr Begehren um weitere EUR 899,44 auf EUR 2.249 netto aus. Sie berief sich dabei auf das Urteil des EuGH vom 11. 9. 2003, Rs-201/01 , aus dem sie ableitete, dass § 3a Abs 2 Z 5 IESG europarechtswidrig und daher nicht anzuwenden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in vollem Umfang statt. Die Klägerin hätte frühestens im Lauf des Februar 2002 ihren berechtigten vorzeitigen Austritt erklären können. Nach § 20 Abs 2 AngG hätte in diesem Fall das Dienstverhältnis unter Berücksichtigung einer zweimonatigen Kündigungsfrist zum Jahresquartal am 30. 6. 2002 rechtlich geendet. Schon deswegen gebührten der Klägerin nach § 3a Abs 2 IESG die Entgelte einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen für die Zeit bis zum 31. 5. 2002. Nach dem von der Klägerin zitierten Urteil des EuGH liege kein Missbrauch des Dienstnehmers vor, der innerhalb von drei Monaten nach Kenntnisnahme der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis austrete. Dieses Urteil wirke unmittelbar und mache die nationale Bestimmung des § 3a Abs 2 Z 5 IESG unanwendbar, nach der der Dienstnehmer nach der Nichtzahlung des ersten fälligen Entgelts den vorzeitigen Austritt erklären müsse.

Das Berufungsgericht hob mit Beschluss vom 29. 4. 2004 das angefochtene Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren im Umfang von EUR 899,44 netto als nichtig auf und wies in diesem Umfang das Klagebegehren zurück. Durch die Klageerhebung sei der Bescheid der Beklagten im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft getreten. Der verbleibende, vom ursprünglichen Klagebegehren nicht erfasste Teil des Bescheides sei in Rechtskraft erwachsen. Der während des Verfahrens erfolgten Klageausdehnung sei daher Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegengestanden.

Im Übrigen gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil der Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des verbleibenden Klagebegehrens ab; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung des EuGH sei nicht einschlägig, weil sie das Stadium vor Konkurseröffnung betroffen habe, während es hier um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Zeitpunkt der Konkurseröffnung hinaus gehe. Die gegen die Anwendung des § 3a Abs 2 Z 5 IESG vorgebrachten Einwände seien daher verfehlt. Da die Klägerin ihrer aus dieser Bestimmung resultierenden „Austrittsverpflichtung" nicht nachgekommen sei, bestehe ihr Anspruch somit nicht zu Recht.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur zu beurteilenden Rechtsfrage erst eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (8 ObS 8/04s) vorliege.

Gegen dieses Urteil - der gleichzeitig gefasste Beschluss des Berufungsgerichtes erwuchs in Rechtskraft - richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis berechtigt.

Nicht berechtigt ist jedoch der abermals erhobene Einwand der Revisionswerberin, § 3a Abs 2 Z 5 IESG verstoße gegen die Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20. 10. 1980 (Insolvenz-RL) und sei daher nicht anzuwenden. Schon das Berufungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die vom Rechtsmittelwerber zitierte Entscheidung des EuGH vom 11. 9. 2003, RsC-201/01 , einen völlig anders gelagerten Sachverhalt sowie einen anderen Sicherungszeitraum, nämlich den Zeitraum vor Verwirklichung des Insolvenztatbestandes betrifft. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass es den Mitgliedstaaten nach der angesprochenen Richtlinie frei steht, den Sicherungszeitraum vor dem in Art 3 der RL festgelegten Zeitpunkt vorzusehen (vgl Art 4 Abs 2 RL). § 3a Abs 2 Z 5 IESG betrifft aber die Zeit nach Konkurseröffnung, für die die durch das IESG gewährte Sicherung über die durch Art 4 Abs 2 erster Gedankenstrich normierte Mindestsicherung hinausgeht. Der Oberste Gerichtshof hat daher schon in seiner bisherigen Rechtsprechung zu §§ 3a Abs 2 Z 5 und 3a Abs 3 IESG unter eindeutiger Klarstellung der Zielsetzungen dieser Regelungen in der in diesen Bestimmungen zum Ausdruck gebrachten „Austrittsobliegenheit" des Arbeitnehmers keine Unvereinbarkeit mit der Zielsetzung der Richtlinie 80/987 erblickt (8 ObS 17/04i; vgl auch 8 ObS 19/01d; 8 ObS 8/04s).

Im Zuge der Verpflichtung zur allseitigen Prüfung der Sach- und Rechtslage, die den Obersten Gerichtshof aus Anlass der zulässigen Rechtsrüge der Klägerin trifft, sind jedoch folgende Überlegungen anzustellen:

Die durch § 3a Abs 2 Z 5 IESG und durch § 3a Abs 3 IESG geschaffene Austrittsobliegenheit des Arbeitnehmers verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden Arbeitnehmeransprüche nicht mehr zu Lasten des Fonds gehen soll (Gahleitner, § 3a IESG: Sicherung des laufenden Entgelts - "Austrittspflicht" und Ausfallshaftung, ZIK 1997, 201 ff [203]). Das wesentliche Risiko liegt darin, dass der Arbeitnehmer von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses absieht, obwohl das laufende Entgelt nicht mehr aus der Masse getragen werden kann. Durch das Unterlassen einer Beendigungserklärung vergrößern sich die Kosten für das laufende Entgelt um weitere Perioden (8 ObS 316/01f; 8 ObS 8/04s; 8 ObS 14/04y).

In seiner erst nach der Erlassung des angefochtenen Berufungsurteils ergangenen Entscheidung 8 ObS 14/04y hat der Oberste Gerichtshof dazu die Auffassung vertreten, dass die in § 3a Abs 2 Z 5 bzw § 3a Abs 3 IESG normierte Austrittsobliegenheit vor dem Hintergrund ihrer eben dargestellten Zielsetzung zu sehen ist, aber keinen Pönalecharakter hat. Daraus hat er - in sinngemäßer Heranziehung des im Privatversicherungsrecht für zulässig erachteten Kausalitätsgegenbeweises bei Verletzung von Obliegenheiten (vgl dazu RIS-Justiz RS0116979) - den Schluss gezogen, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Verletzung der Austrittsobliegenheit auf den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten keinen Einfluss hatte, die Verletzung der Austrittsobliegenheit nicht anspruchsvernichtend wirkt. Diese sinngemäße Heranziehung des Kausalitätsgegenbeweises sei wegen der ähnlichen Zielsetzung der den Versicherten treffenden Obliegenheiten (Verminderung der den Versicherer treffenden Gefahr) auch sachgerecht und stehe mit dem Zweck des § 3a Abs 2 Z 5 IESG bzw § 3a Abs 3 IESG nicht in Widerspruch.

Diese Überlegungen, von denen abzugehen kein Anlass besteht, kommen auch hier zum Tragen: Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Klägerin auf laufendes Entgelt (inklusive aliquoter Sonderzahlungen) für die Zeit bis einschließlich März 2002. Hätte die Klägerin Ende Februar 2002 ihren Austritt erklärt - dass ein Austritt zu diesem Zeitpunkt rechtzeitig gewesen wäre, gesteht die Beklagte zu - wären ihr die nunmehr geforderten Beträge als Kündigungsentschädigung zugestanden. Wie im der Entscheidung 8 ObS 14/04y zugrunde liegenden Fall wurde daher die Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds durch das Unterbleiben des Austritts nicht vergrößert.

Die in der Revisionsbeantwortung gegen die in 8 ObS 14/04y vertretene Rechtsauffassung vorgebrachten Einwände bieten keine Veranlassung, davon abzugehen. Der von der Beklagten ins Treffen geführte Zweck des § 3a Abs 2 Z 5 IESG steht dieser Rechtsauffassung nicht entgegen, zumal sie ja nur zum Tragen kommt, wenn die Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds auch ohne Austritt des Arbeitnehmers nicht größer ist, als sie bei Erfüllung der Austrittsobliegenheit gewesen wäre. Auch der Hinweis der Beklagten, dass die Forderung der Klägerin im Falle eines dem § 3a Abs 2 Z 5 IESG entsprechenden Austritts eine Masseforderung gewesen wäre, während nunmehr die Gefahr einer Umqualifizierung der Forderung bloß in eine Konkursforderung zu Lasten des Fonds erhöht werde, ist unzutreffend. Bei der von der Klägerin im Verfahren geltend gemachten Forderung handelt es sich um laufendes Entgelt für die Zeit bis einschließlich März 2002 und damit jedenfalls um eine Masseforderung. Eine Vergrößerung der Belastung des Fonds durch den Umstand, dass die Klägerin nicht ausgetreten ist, sondern das Arbeitsverhältnis vom Masseverwalter nach § 25 KO beendet wurde, ist daher nicht zu erkennen. Damit kann aber unter den hier gegebenen Umständen auch von einer Überwälzung des Risikos der Unternehmensfortführung auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nicht die Rede sein.

In Stattgebung der Revision war daher die Berufungsentscheidung iSd Wiederherstellung des Ersturteils, soweit es die noch verfahrensgegenständliche Forderung betrifft, abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 77 ASGG.

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