Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin führte 17 Jahre lang eine Tankstelle der Beklagten. Sie verkaufte in dieser Zeit Treibstoffe im Namen und auf Rechnung der Beklagten. Dem Vertragsverhältnis der Streitteile liegt der am 14. 1./20. 1. 1998 geschlossene Tankstellenpachtvertrag und der als Ergänzung zu diesem Vertrag mit Wirksamkeit vom 1. 4. 2006 abgeschlossene Franchise-Vertrag zu Grunde. Nach Punkt 3.2 des Tankstellenpachtvertrags ist die Beklagte jederzeit zur fristlosen Aufkündigung des Vertrags berechtigt, wenn „der Pächter gegen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Führung der Tankstelle oder zur Wahrung der Interessen der Verpächterin verstößt" (3.2.3), wenn „der Pächter trotz schriftlicher Abmahnung und Einräumung einer Nachfrist von einem Monat gegen die Verpflichtung zur Sauberhaltung, pfleglichen Behandlung, Instandhaltung und erforderlichenfalls Instandsetzung, Ergänzung oder Erneuerung von Teilen des Pachtobjektes in Verzug bleibt ..." (3.2.5) oder wenn „der Pächter trotz Mahnung unter Setzung einer Nachfrist von 8 Tagen gegen sonstige Bestimmungen dieses Tankstellenpachtvertrages oder Bestimmungen anderer Verträge verstößt oder solche Vertragsverletzungen nach bereits einmal erfolgter Abmahnung wiederholt" (3.2.8). Im Franchise-Vertrag verpflichtete sich die Beklagte ua, den Standort unter Einhaltung der im Franchise-Handbuch definierten Standards in sauberer und zweckmäßiger Weise zu führen.
Mit Schreiben vom 20. 10. 2006 löste die Beklagte den Tankstellenpachtvertrag samt Zusatzvereinbarungen und Nebenverträgen mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund auf.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten 162.781,32 EUR sA. Die Beklagte habe den Vertrag ungerechtfertigt fristlos gelöst, weshalb der Klägerin Schadenersatz für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist (somit für die Zeit bis 20. 6. 2007 49.352,47 EUR) zustehe. Darüber hinaus stehe der Klägerin ein Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG in Höhe von 113.428,90 EUR zu.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe den Tankstellenpachtvertrag zu Recht aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst, weshalb die Klägerin weder einen Schadenersatz- noch einen Ausgleichsanspruch habe.
Gegenstand dieses Rekursverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die vorzeitige Auflösung des Vertrags berechtigt war bzw - wenn dies nicht der Fall ist - ob die Klägerin ein Mitverschulden an der vorzeitigen Auflösung zu verantworten hat. Das dazu von der Klägerin erstattete umfangreiche Vorbringen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Klägerin habe immer wieder die Pflicht zur Sauberhaltung und laufenden Instandsetzung der Tankstelle verletzt. Sie habe wiederholt die von ihr zu verkaufenden Waren mangelhaft präsentiert und wichtige Werbemaßnahmen nicht umgesetzt. Mehrmals sei ihre fehlende Kundenorientierung festgestellt worden (fehlende Preisetiketten und -schilder; Fremdwerbung, Überkleben der Markenzeichen der Beklagten; irreführende Preisangaben). Bei Kontrollen seien regelmäßig abgelaufene und gesundheitsgefährdende Lebensmittel vorgefunden worden; Dienstkleidung und Namensschilder hätten wiederholt gefehlt. Mit Schreiben der Beklagten vom 4. 10. 2006 seien die Missstände der Klägerin gegenüber abermals aufgezeigt worden; die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass die Beklagte bei einem wiederholten Verstoß von ihrem Recht zur vorzeitigen Vertragsauflösung Gebrauch machen werde. Die Klägerin habe auch diese Mahnung ignoriert. Anlässlich eines weiteren Tankstellenbesuchs seien erneut die gleichen Mängel festgestellt worden. Die Beklagte sei daher zur sofortigen Auflösung des Vertrags berechtigt gewesen.
Für den Fall, dass die vorzeitige Auflösung des Vertrags als nicht berechtigt erachtet werde, wendete die Beklagte ein, dass die Klägerin ein Mitverschulden an der Auflösung treffe, sodass ihr auch in diesem Fall der geltend gemachte Schadenersatz nicht in der begehrten Höhe zustehe.
Die Klägerin bestritt, wesentliche Vertragsbestimmungen iSd § 22 Abs 2 Z 3 HVertrG verletzt zu haben. Die von der Beklagten behaupteten Sachverhalte seien bei laufendem Geschäftsbetrieb (mit durchschnittlich 500 Geschäftsfällen pro Tag) nicht völlig zu vermeiden. Sie habe aber die Tankstelle ordnungsgemäß geführt und alle zumutbaren und erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen getroffen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 94.643,91 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab.
Zur Frage der Berechtigung der vorzeitigen Auflösung traf es im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Area-Manager der Beklagten unternahm an der Tankstelle der Klägerin Qualitätskontrollen. Solche Kontrollen fanden am 10. 1. 2006 und am 9. 3. 2006 statt, wobei am 9. 3. 2006 die festgestellten Beanstandungen kontrolliert wurden. Weitere Kontrollen erfolgten am 23. 3. und am 27. 4. 2006. Wegen festgestellter Beanstandungen führte er am 18. 5. 2006 eine Nachkontrolle und einen weiteren „Station-Quality-Check" durch. Bei den jeweiligen Kontrollen blieben 5 bzw 2 und 4 Beanstandungen übrig. Ob hinsichtlich der 4 Beanstandungen vom 18. 5. 2006 eine Kontrolle oder eine weitere Beanstandung erfolgte, ist nicht feststellbar. In weiterer Folge führte ein anonymer Kunde einen Testkauf durch („Mystery-Check"), wobei auch dabei Mängel festgestellt und in der Folge am 8. 6. 2006 durchbesprochen wurden. Am 11. 7. 2006 erfolgte eine Nachkontrolle, wobei von den festgestellten Mängeln ein Mangel übrig war. Der letzte „Station-Quality-Check" wurde am 21. 8. 2006 durchgeführt. Bei einer Nachkontrolle am 26. 9. 2006 waren bis auf 6 Mängel alle behoben. Beim Qualitiy-Check war festgestellt worden, dass die Temperatur beim Leberkäse zu niedrig war (die Messung erfolgte allerdings bei einem frisch zubereiteten Stück, das noch nicht zum Verkauf bestimmt war), dass die O*****-Fahne verwickelt war, die Abdeckung für die Plastikhandschuhe fehlte und ein O*****-Teppich nicht ausgelegt war. Ferner waren die Preisetiketten nicht „aktuell". Auch ein Werbeplakat für „Sturm- und Kernöl-Verkauf" in der Größe von 10 x 5 cm wurde moniert.
Die Beklagte schrieb der Klägerin vor, ein bestimmtes Basis-Sortiment zu führen und immer alle vier „Basis-Sandwiches" zum Verkauf anzubieten. Da die Sandwiches rasch verkauft wurden, konnten nicht immer alle vier Basis-Sandwiches angeboten werden, weil es nicht immer möglich war, die Sandwiches sofort neu herzustellen.
Aufgrund der örtlichen Witterungsverhältnisse verwickelte sich die O*****-Fahne bei der Tankstelle der Klägerin öfters als andernorts. Die Klägerin hatte den von der Beklagten angeschafften O*****-Teppich weisungsgemäß ausgelegt.
Der Kontrollor der Beklagten besprach die Checks nicht mit der Klägerin durch, sondern mit deren Lebensgefährten, der von der Klägerin dazu aber nicht bevollmächtigt war. Der Lebensgefährte hat die Klägerin nur einmal über einen gravierenden Mangel informiert. Dieser Mangel wurde in der Folge umgehend behoben. Die Beklagte wies die Klägerin mit eingeschriebenem Brief auf Mängel hin, worauf die Klägerin für Abhilfe sorgte. „Bei diesen Mängelschreiben wurden jedoch die Besuchsprotokolle bzw die Station-Quality-Checks nicht besprochen".
Anlässlich eines weiteren Tankstellenbesuchs von Vertretern der Beklagten am 3. 10. 2006 fiel auf, dass die Klägerin abgelaufene Ware in der Kühlung für Molkereiprodukte hatte. Es waren dies ein Jausenspeck und sieben Packungen Speisetopfen, wobei das Haltbarkeitsdatum um mehr als eine Woche überschritten war. Zudem fiel eine unzureichende Bestückung der Sandwich-Vitrine auf (nur zwei der vier Basis-Sandwiches wurden angeboten). Die Präsentation von Öl- und Scheibenklar-Produkten wurde als unzureichend ausgestellt. Diese Mängel wurden der Klägerin mit Schreiben vom 4. 10. 2006 mitgeteilt. Die Klägerin war aber - was dem Kontrollor der Beklagten bekannt war - vom 24. 9. 2006 bis 8. 10. 2006 auf Urlaub im Ausland.
Bei einem weiteren Kontrollbesuch am 17. 10. 2006 fand der Kontrollor 4 Camembert-Packungen in der Kühltruhe vor, die einen Tag abgelaufen waren. Dass diese Packungen gesundheitsschädlich oder verdorben waren, steht nicht fest. Weitere Mängel waren nicht ersichtlich. Nach Verständigung des Gebietsleiters erklärte die Beklagte daraufhin die Auflösung des Vertrags und forderte die Klägerin auf, die Tankstelle sofort zu verlassen.
Bis 2003 war die Klägerin mehrmals von der Beklagten für die Führung der Tankstelle ausgezeichnet worden. Auch anlässlich von Hygieneprüfungen in den Jahren 2005 und 2006 erhielt die Klägerin Urkunden ausgefolgt.
Auf dieser Grundlage erachtete das Erstgericht die vorzeitige Auflösung des Vertrags als nicht gerechtfertigt. Früher festgestellte Mängel seien regelmäßig behoben worden; teilweise - wie etwa der Vorwurf, die Flagge sei verwickelt gewesen - stellten sie überhaupt keine relevanten Mängel dar. Die Auflösung sei letztendlich nur deshalb erfolgt, weil 4 Camembert-Packungen um einen Tag abgelaufen gewesen seien. Diese Lebensmittel seien jedoch weder verdorben noch gesundheitsgefährdend gewesen. Es sei nicht unzulässig, solche Waren - allerdings ausreichend gekennzeichnet - zu verkaufen. Der Klägerin könne daher nur die Unterlassung einer solchen Kennzeichnung vorgeworfen werden. Dies reiche aber zur Rechtfertigung der vorzeitigen Auflösung des Vertrags der Klägerin, die damals zudem mit Wissen der Beklagten auf Urlaub gewesen sei, nicht aus. Die Beklagte hätte daher nur mit ordentlicher Kündigung vorgehen können.
Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche seien daher - mit gewissen, hier nicht interessierenden Abstrichen - berechtigt.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil über Berufung beider Parteien auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Auch das Berufungsgericht erachtete die vorzeitige Auflösung des Vertrags durch die Beklagte als nicht berechtigt.
Auf Tankstellenunternehmens- bzw Tankstellenpachtverträge sei das HVertrG anwendbar. Was als wichtiger Grund für die Auflösung eines Handelsvertretervertrags anzusehen sei, könne nur im Einzelfall beurteilt werden. Für Handelsvertreter seien als Richtschnur die in § 22 HVertrG (demonstrativ) aufgezählten Gründe maßgebend, die - wie hier - einzelvertraglich erweitert bzw ergänzt werden könnten. Nach § 22 Abs 2 dritter Fall HVertrG sei als Auflösungsgrund insbesondere anzusehen, wenn der Handelsvertreter andere wesentliche Vertragsbestimmungen verletze. Hier seien ausdrücklich bestimmte Gründe für die vorzeitige Vertragsauflösung vereinbart worden, die sich als Konkretisierung des § 22 Abs 2 Z 3 HVertrG darstellten.
Letztlich ausschlaggebend für die Auflösung sei gewesen, dass die Klägerin neuerlich abgelaufene Ware - nämlich vier um einen Tag abgelaufene Camembert-Packungen - zum Verkauf angeboten habe. Dass die Klägerin diese Waren nicht - jedenfalls nicht ohne besondere Kennzeichnung - anbieten hätte dürfen, sei unstrittig. Ebenso wenig sei zu bezweifeln, dass das Anbieten von abgelaufenen Waren gegen ihre vertragliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Führung der Tankstelle verstoßen habe. Dabei sei es ohne Belang, ob die angebotenen Lebensmittel noch genießbar gewesen seien. Diese Vertragsverletzung stelle aber für sich allein - andere Mängel seien zuletzt nicht vorgelegen - noch keinen wichtigen Grund iSd § 22 Abs 2 dritter Fall HVertrG dar, der die Beklagte zur sofortigen Auflösung des Vertrags berechtigt hätte. Schließlich komme es im allgemeinen Geschäftsverkehr immer wieder vor, dass abgelaufene Produkte nicht rechtzeitig aus den Verkaufsregalen genommen werden. Richtig sei, dass für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags und damit für das Vorliegen eines wichtigen Auflösungsgrunds das Gesamtverhalten des Vertragspartners ein entscheidender Wertungsgesichtspunkt sei. Entsprechend der Rechtsprechung zum Entlassungsrecht müsse aber der eigentliche Anlassfall für die vorzeitige Vertragsauflösung aus wichtigem Grund eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um frühere Pflichtverletzungen einbeziehen zu können. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Dazu komme, dass die vorzeitige Auflösung bei sonstiger Verwirkung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Bestehen eines wichtigen Grunds erklärt werden müsse. Die Beklagte könne sich daher auf die von ihr seit Jänner 2006 erhobenen Mängel nicht stützen.
Im Zusammenhang mit dem Begehren der Klägerin auf Zuspruch von Kündigungsentschädigung setzte sich das Berufungsgericht mit dem Mitverschuldenseinwand der Beklagten auseinander:
Löse ein Vertragspartner den Vertrag unberechtigt vorzeitig auf, komme grundsätzlich kein Mitverschulden des anderen Partners an der rechtswidrigen Vertragsauflösung in Betracht. Die Berücksichtigung eines Miverschuldens der Klägerin an der ungerechtfertigten vorzeitigen Vertragsauflösung durch die Beklagte hätte nur zur Folge, dass ein zur Erhebung des Schuldvorwurfs nicht ausreichendes Verhalten zu einer Minderung der Rechtsfolgen der unberechtigten vorzeitigen Auflösung führe. Dies sei aber nicht der Zweck der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Partners an der vorzeitigen Auflösung. Dass die Klägerin ein zusätzliches für die vorzeitige Vertragsauflösung kausales schuldhaftes Verhalten gesetzt habe und sie insofern ein Mitverschulden an der ungerechtfertigten vorzeitigen Vertragsauflösung treffe, habe die Beklagte nie behauptet.
Zur Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche erachtete das Berufungsgericht das Verfahren mit Überlegungen, die im Rekursverfahren nicht in Frage gestellt werden (Festellungsmängel zur Höhe), als ergänzungsbedürftig.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil zur Frage, ob ein Handelsvertretervertrag wegen mehrfacher Verletzung vereinbarter Vertragspflichten nur dann aufgelöst werden könne, wenn die letzte zur Auflösung geführte Vertragsverletzung eine gewisse Mindestintensität aufweise, noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, ihn im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig. Das Berufungsgericht hat sowohl im von ihm in der Begründung des Zulassungsausspruchs aufgezeigten Zusammenhang als auch im Zusammenhang mit dem Mitverschuldenseinwand der Beklagten Grundsätze der Rechtsprechung zur vorzeitigen Beendigung von Arbeitsverhältnissen auf die vorzeitige Auflösung des Handelsvertretervertrags übertragen. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen.
Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur (mangelnden) Berechtigung der vorzeitigen Auflösung des Vertrags und zur Verneinung des Mitverschuldenseinwands der Beklagten sind zutreffend. Es kann daher auf die dazu vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).
Ergänzend ist den Ausführungen der Rekurswerberin wie folgt entgegenzutreten:
Zur Berechtigung der vorzeitigen Auflösung:
Die Handelsvertreter-Gesetzgebung ist seit jeher durch die Annahme einer gewissen wirtschaftlichen Unterlegenheit des Handelsvertreters gegenüber dem Geschäftsherrn bzw durch das Bild des wirtschaftlich schwächeren, abhängigen Handelsvertreters geprägt (Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 55; Nocker, Der Handelsvertretervertrag Rz 2). Die Rechtsprechung hat daher im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung von Handelsvertreterverhältnissen wiederholt unter Hinweis auf die Parallelität zwischen dem Handelsvertretervertrag und dem Arbeitsvertrag auch für das Handelsvertreterrecht auf von der arbeitsrechtlichen Judikatur erarbeitete Grundsätze zurückgegriffen (so etwa 7 Ob 292/98m zur Obliegenheit der unverzüglichen Geltendmachung von Auflösungsgründen und zur Auflösungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung; vgl ferner RIS-Justiz RS0111862 ua; Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 451 ff).
Dass - wie die Rekurswerberin geltend macht - bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses auch das Gesamtverhalten des Vertragspartners eine wesentliche Rolle spielt, ist richtig. Nicht nur ein einzelner grober Verstoß, sondern auch mehrere, an sich minder schwere Verstöße können dazu führen, dass das Gesamtverhalten des Handelsvertreters als für den Geschäftsherrn unzumutbar erscheint. Es ist daher das Gesamtverhalten des Partners zu bewerten, wobei insoweit auch Verfehlungen berücksichtigt werden können, die nicht unmittelbar vor der vorzeitigen Auflösung gesetzt worden sind (8 Ob 255/99m; 7 Ob 292/98m; Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 459). Diesen ebenfalls der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung entsprechenden Grundsatz hat das Berufungsgericht ohnedies berücksichtigt. Es hat aber zu Recht darauf verwiesen, dass er nach der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung nur dann zum Tragen kommt, wenn der eigentliche Anlassfall für die vorzeitige Beendigung eine gewisse Mindestidentität erreicht und damit geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im konkreten Fall zu begründen (9 ObA 124/98w; 9 ObA 92/03z; 9 ObA 169/05a; 8 ObA 17/07v ua). Nichts anderes kann aber im insoweit völlig vergleichbaren Handelsvertreterverhältnis gelten. Dies ergibt sich schon aus der unbestritten auch im Handelsvertreterrecht geltenden Voraussetzung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und der auch hier den die Auflösung Erklärenden treffenden Obliegenheit der unverzüglichen Geltendmachung von Auflösungsgründen.
Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass das Fehlverhalten der Beklagten, das hier zum Anlass für die vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses genommen wurde, die für die vorzeitige Auflösung eines 17 Jahre dauernden Vertragsverhältnisses der hier zu beurteilenden Art und Bedeutung nicht die erforderliche Mindestidentität aufweist, ist nicht zu beanstanden. Dass vier um einen Tag abgelaufene Camembert-Packungen im Kühlregal vorgefunden werden, soll - trotz des Umstands, dass nicht festgestellt wurde, dass der Käse nicht mehr zum Verzehr geeignet oder gar gesundheitsschädlich war - nicht bagatellisiert werden. Vergleichbare Fehler kommen aber im Geschäftsleben erfahrungsgemäß auch bei grundsätzlich sorgfältiger Betriebsführung mitunter vor und erreichen daher nicht jene Mindestintensität, die im Sinne der eben dargestellten Rechtslage für die sofortige Auflösung eines derart lange bestehenden Tankstellenvertrags erforderlich wäre.
Damit erweist sich aber - ohne dass auf frühere Vertragsverletzungen der Klägerin Bedacht zu nehmen wäre - die vorzeitige Auflösung des Vertrags als unberechtigt. Auf die im Rekurs geltend gemachten Feststellungsmängel im Zusammenhang mit früheren Vertragsverletzungen der Klägerin braucht daher nicht eingegangen zu werden.
Zum Mitverschuldenseinwand der Beklagten:
Bereits vor dem Inkrafttreten des HVertrG 1993 sah der damalige § 24 Abs 2 HVertrG 1921 vor, dass - wenn beide Teile ein Verschulden an der vorzeitigen Lösung des Vertragsverhältnisses traf - der Richter nach freiem Ermessen zu entscheiden hatte, ob und in welcher Höhe ein Ersatz gebührt. Jabornegg (Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 478) plädierte schon auf der Grundlage dieser Bestimmung unter Hinweis auf die vergleichbare Vorschrift des § 32 AngG und auf die dazu vertretenen Lehrmeinungen, dass auch der eine unbegründete vorzeitige Auflösung aussprechende Vertragspartner den gegen ihn gerichteten Ansprüchen ein Mitverschulden des Erklärungsgegners entgegenhalten kann. Mit dem HVertrG 1993 hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich klargestellt: Der im Übrigen in seiner Formulierung der Vorgängerbestimmung des § 24 Abs 2 HVertrG 1921 entsprechende § 23 Abs 2 dieses Gesetzes stellt nunmehr ausdrücklich auf „ein Verschulden an der begründeten oder unbegründeten vorzeitigen Auflösung" ab.
Auch die Mitverschuldensregelungen des § 1162c ABGB und des § 32 AngG, deren Formulierung dem § 24 Abs 2 HVertrG weitestgehend entspricht, werden von der Rechtsprechung auch dann angewendet, wenn sich die von einem Teil erklärte vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwar als ungerechtfertigt erweist, der Erklärungsempfänger aber ein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, das im Zusammenwirken mit einem ebenfalls schuldhaften Verhalten des Erklärenden für die Auflösung ursächlich war (8 ObA 17/04i; 8 ObA 41/02s; RIS-Justiz RS0028246). Dabei geht die Rechtsprechung aber davon aus, dass die Mitverschuldensregel nicht dazu dient, dem Erklärenden durch teilweise Berücksichtigung seiner zu „schwachen" Auflösungsgründe wenigstens einen Teil seines unbegründeten Anspruchs zu retten oder die ihn aufgrund der unberechtigten Auflösung treffenden Rechtsfolgen zu mindern (RIS-Justiz RS0021719; 8 ObA 41/02s; Kuras, AngG-Kommentar § 32 Rz 12). Im Sinne dieser Rechtsprechung ist daher die Frage nach dem Auflösungsgrund zu klären, die nicht mit jener nach einem allfälligen Mitschulden vermengt werden darf. Tatbestände, die sich nicht als taugliche Auflösungsgründe erwiesen haben, müssen für die Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens außer Betracht bleiben. Die Mitverschuldensregel kann bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung nur dort greifen, wo der Erklärungsemfänger ein Verhalten gesetzt hat, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichendem Verhalten für die Auflösung kausal war. Die „Kausalität" des Verhaltens ist hier auf die Auflösungserklärung zu beziehen. Das kausale Verhalten des Erklärungsempfängers (unberechtigt entlassener Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer unberechtigt ausgetreten ist) für die Auflösungserklärung kann daher etwa in einer Verletzung von Informationsverpflichtungen bestehen, die den Erklärenden in die Lage versetzt hätten, die mangelnde Berechtigung seiner Auflösungserklärung zu erkennen und davon Abstand zu nehmen (Kuras, AngG-Kommentar § 32 Rz 12; in diesem Sinn nimmt die Rechtsprechung ein Mitverschulden des unberechtigt entlassenen Arbeitnehmers an, der dem Arbeitgeber einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten schuldhaft nicht bekannt gibt, wenn der Arbeitgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrunds die Entlassung nicht ausgesprochen hätte RIS-Justiz RS0101991; 9 ObA 108/05f; 8 ObA 52/04m).
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass diese Grundsätze über Funktion und Grenzen der Berücksichtigung eines Mitverschuldens an der unberechtigten vorzeitigen Auflösung iSd § 1162c ABGB bzw des § 32 AngG auch für die weitestgehend gleichlautende Bestimmung des § 23 Abs 2 HVertrG 1993 zu übertragen sind. Auch im Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist davon auszugehen, dass die Mitverschuldensregel nicht dazu dient, dem Erklärenden durch teilweise Berücksichtigung seiner zur Rechtfertigung der Auflösung zu „schwachen" Auflösungsgründe die ihn aufgrund der unberechtigten Auflösung treffenden Rechtsfolgen zu mindern.
Damit ist dem Berufungsgericht aber beizupflichten, dass hier die Voraussetzungen für die Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin an der vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses durch die Beklagte nicht vorliegen. Jenes Verhalten der Klägerin, das die Beklagte erfolglos zum Anlass für die vorzeitige Auflösung des Vertrags herangezogen hat, kann im Sinne der dargestellten Rechtsprechung die Anwendung des § 23 Abs 2 HVertrG nicht rechtfertigen. Ein Verhalten der Klägerin, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichendem Verhalten für die vorzeitige Auflösung kausal war, hat aber die Beklagte nicht geltend gemacht.
Das Berufungsgericht hat daher die Anwendung des § 23 Abs 2 HVertrG zu Recht abgelehnt.
Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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