OGH 7Ob292/98m

OGH7Ob292/98m14.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schenk und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Richard M*****, Handelsvertreter, *****, vertreten durch Simma & Bechtold, Rechtsanwälte KEG in Dornbirn, wider die beklagte Partei Rudolf F*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Manfred De Bock und andere, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen S 408.782,39 sA und Rechnungslegung, infolge Revision (Revisionsinteresse S 323.232,39) der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Mai 1998, GZ 2 R 93/98p-17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 2. Februar 1998, GZ 6 Cg 193/97p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den

Beschluß

gefaßt:

Der Antrag des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 177 EGV über die Frage, ob die Richtlinie 86/653 EWG des Rates vom 18. 12. 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter einer nationalen Rechtsprechung und Auslegung einer diese Richtlinien umsetzenden nationalen Norm entgegensteht, die bei nicht sofortiger Erklärung des vorzeitigen Austritts des Handelsvertreters gegenüber dem Geschäftsherrn zur Verwirkung der Schadenersatzansprüche bzw zum stillschweigenden Verzicht auf dieselben führt, wird zurückgewiesen.

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 15.255,-- (darin enthalten S 2.542,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloß am 24. 1. 1995 mit der Firma F***** einen schriftlichen Handelsvertretungsvertrag auf ein Jahr ab, der sich mangels einer - mindestens drei Monate vor Ablauf möglichen - Kündigung jeweils um ein weiteres (Kalender-) Jahr verlängerte. Der Vertrag sah je nach Preislage eine vom Netto-Rechnungsbetrag ohne Mehrwertsteuer zu berechnende Provision von 12 %, 9 % oder 6 % vor.

Der Beklagte war bis Ende 1992 Inhaber der Firma F***** gewesen und hatte am 1. 1. 1993 das Geschäft formal an seine Ehefrau übergeben. Er war dessen ungeachtet der Ansprechpartner des Klägers und hatte auch den Handelsvertretungsvertrag unterfertigt. Dem Kläger wurde erst im Laufe des Jahres 1996 die Übernahme des Betriebs durch die Ehegattin des Beklagten bekannt.

Der Kläger betreute unter anderem auch die Firmen P***** und G*****, denen ein besonderer Jahresumsatzbonus zugestanden worden war. Dieser Bonus wurde jeweils nach Jahresende abgerechnet, bis Ende 1995 bei der Berechnung der Provision des Klägers aber nicht berücksichtigt. Ab Jänner 1996 wurde im Hinblick auf den Bonus eine Minderung der Provisionen des Klägers vorgenommen, ohne daß sich der Beklagte mit dem Kläger darüber ins Einvernehmen setzte. Dem Kläger fiel die neue Vorgangsweise erstmals aufgrund der Provisionsabrechnung im Februar 1996 auf. Er hielt die Provisionskürzung nicht für vertragsgemäß. Seine Reklamation beim Beklagten blieb jedoch erfolglos. Der Beklagte richtete an den Kläger am 14. 3. 1996 folgendes Schreiben:

"Betrifft: Bestätigung von Vereinbarungen.

Sehr geehrter Herr M*****,

hiermit bestätigen wir wunschgemäß unser Gespräch vom 1. März 96 wie folgt:

1. Firma S*****, Villach: Dieser Kunde wird mit größter Wahrscheinlichkeit früher oder später dem Vertreter für Kärnten zugeteilt werden. Der Zeitpunkt bleibt jedoch völlig der Firma F***** überlassen.

2. Nachdem Rabatt-/Bonusvereinbarungen den Provisionssatz verändern können, sind diesbezügliche Abmachungen vorher zu besprechen.

3. Anbei Kopien der derzeit bestehenden Rabatt-/Bonusvereinbarungen.

4. Im Falle einer Beendigung der Zusammenarbeit wird das letzte Kalenderjahr nach tatsächlicher Rabatt-/Bonushöhe abgerechnet."

Der Kläger ersuchte in der Folge die Vorarlberger Wirtschaftskammer um Rechtsberatung und erhielt die Auskunft, daß eine einseitige Änderung des Handelsvertretungsvertrages durch den Geschäftsherrn nicht möglich sei. Es wurde ihm aber in Anbetracht der zu erwartenden Kürzung von (nur) ca S 2.000,--/Monat angeraten, das Vertragsverhältnis nicht zu beenden, sondern nach einer Lösung im Verhandlungswege zu suchen.

Weitere Gespräche, die der Kläger mit dem Beklagten über diese Frage führte, blieben ergebnislos. Der Beklagte beharrte darauf, die Abzüge weiter vorzunehmen. Der Kläger arbeitete normal weiter.

Mit Schreiben vom 27. 7. 1996 kündigte der Beklagte eine Verringerung der vereinbarten Provisionssätze auf 10 %, 8 % und 6 % an. Der Kläger verwies daraufhin in einem an den Beklagten und dessen Ehefrau gerichteten Schreiben vom 2. 10. 1996 auf die bestehende Vereinbarung. In der Folge wurde zwischen den Streitteilen über die Höhe der Provisionssätze (nicht mehr aber über die "Rabatt-Frage") ohne Ergebnis korrespondiert. Die Provisionen wurden vom Beklagten weiterhin stets auf Basis der vereinbarten Provisionssätze (12 %, 9 % und 6 %) berechnet. Die Provisionsabrechnungen wurden monatlich unter Anführung der Kunden, der bezogenen Waren, des bezahlten Preises, des gewährten Rabattes und der daraus resultierenden Provisionssätze erstellt.

Schließlich löste der Kläger per 21. 3. 1997 das Vertragsverhältnis vorzeitig auf. Bis dahin rechnete der Beklagte - sieht man davon ab, daß sich zufolge der Berücksichtigung der Bonusvereinbarungen mit den Firmen P***** und G***** insgesamt eine Provisionskürzung von S 20.775,-- ergab - immer korrekt ab.

Seit Beginn seiner Handelsvertretertätigkeit hatte sich der Kläger vergeblich darum bemüht, auch die Kärntner Firma S***** als Kunden übernehmen zu können.

Der Kläger begehrte zuletzt (nach Klagseinschränkung und -ausdehnung) S 408.782,39 sA. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den dem Kläger im Hinblick auf den den Firmen P***** und G***** gewährten Bonus nicht bezahlten Provisionen von S 20.775,--, sowie aus Schadenersatzforderungen von S 302.477,39 und S 85.550. Der Kläger brachte dazu im wesentlichen vor, aufgrund der ungerechtfertigten Provisionskürzungen den Handlungsvertretungsvertrag zu Recht vorzeitig aufgelöst zu haben. Bis zur konkreten Möglichkeit, ein anderes Einkommen zu erzielen, habe er Anspruch auf entgangene Provisionszahlungen von S 302.477,39. Darüberhinaus sei dem Kläger vereinbarungswidrig die Vertretung der Firma S***** vorenthalten worden; daraus resultiere ein Schaden von S 85.550,--. Zur Begründung seines weiters erhobenen Begehrens, ihm über alle provisionspflichtigen Geschäfte für den Zeitraum vom 1. 1. 1995 bis 1. 4. 1997 Buchauszug sowie Büchereinsicht zu gewähren und einen sich daraus ergebenden, sodann ziffernmäßig feststellbaren Guthabensbetrag an noch nicht ausbezahlter Provision in voller Höhe zu bezahlen, führte der Kläger aus, daß aufgrund der Provisionskürzungen berechtigte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der monatlichen Abrechnungen bestünden.

Der Beklagte bestritt das Klagsvorbringen und beantragte Klagsabweisung. Er wendete ein, die Provisionskürzung wegen der Rabattgewährung sei vertragsgemäß erfolgt. Das Ausmaß der Kürzung sei im übrigen zu gering, um darauf das Recht auf vorzeitige Auflösung des Handelsvertretungsvertrages ableiten zu können. Jedenfalls hätte der Kläger den Vertrag sofort nach Bekanntwerden der Kürzung auflösen müssen. Der Kläger habe sich dadurch, daß er über ein Jahr weitergearbeitet habe, eines allfälligen Auflösungsgrundes begeben. Die Betreuung des Kunden Samonig sei dem Kläger nicht zugesagt worden. Durch die vorzeitige Vertragsauflösung sei dem Beklagten ein Schaden entstanden, der als Gegenforderung kompensando eingewendet werde.

Das Erstgericht erachtete die Klagsforderung mit S 20.755,-- als zu Recht bestehend, wies die einredeweise geltend gemachte Gegenforderung zurück und erkannte den Beklagten daher schuldig, dem Kläger S 20.755,-- samt Zinsen zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Zuspruch weiterer S 388.027,39 sA wurde ebenso abgewiesen wie das Rechnungslegungsbegehren. Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Beklagte sei Vertragspartner des Klägers geworden und daher passiv klagslegitimiert. Der Beklagte habe die Provisionen des Klägers ungerechtfertigt und einseitig gekürzt und sei daher zum Ersatz der entsprechenden Beträge verpflichtet. Die einseitige Provisionskürzung stelle auch einen wichtigen Grund zur Auflösung des Vertragsverhältnisses durch den Kläger nach § 22 Abs 3 Z 2 lit a HVertrG 1993 dar; sie könne jedenfalls nicht als vernachlässigbar angesehen werden. Der Kläger habe jedoch seinen Schadenersatzanspruch durch nicht rechtzeitige Geltendmachung des Auflösungsanspruches verwirkt. Er habe dem Zustand, der durch die einseitige Provisionskürzung entstanden sei, durch die Fortsetzung seiner Tätigkeit für den Beklagten zugestimmt, zumal von Seiten des Beklagten keinerlei Rücknahme der Kürzung zu erwarten gewesen sei. Der Kläger hätte daher den Handelsvertretungsvertrag nur mit ordentlicher Kündigung beenden können, sodaß ihm kein Schadenersatzanspruch als Folge der vorzeitigen Auflösung zustehe. Einen Rechnungslegungsanspruch habe der Kläger nicht, da der Beklagte seinen Verpflichtungen auf Rechnungslegung jeweils nachgekommen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es erachtete die Feststellungsrügen für unberechtigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Kläger habe die vorzeitige Auflösung eines befristeten Dauerschuldverhältnisses aufgrund eines Verhaltens des Beklagten erklärt, das nach § 22 Abs 3 Z 2 lit a HVertrG 1993 ausdrücklich ein wichtiger Grund sei, der den Handelsverteter zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses berechtige. Die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses sei ganz allgemein dann zulässig, wenn einem Teil die Fortsetzung nicht zugemutet werden könne. Ausgehend vom Grunderfordernis der Unzumutbarkeit der weiteren vertraglichen Bindung, insbesondere auch der weiteren Tätigkeit für die andere Seite, aber auch aus Gründen der Rechtssicherheit - dem von der Lösungserklärung Bedrohten solle möglichst rasch Gewißheit verschafft werden, ob das Vertragsverhältnis beendet werde - werde in ständiger Rechtsprechung insbesondere zum Arbeitsrecht die Auffassung vertreten, daß der Anspruch der vorzeitigen Auflösung unverzüglich nach Bekanntwerden der wichtigen Gründe zu erfolgen habe. Es sei nur eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, wobei es auch eine Rolle spiele, ob der wichtige Grund in einem Dauerverhalten bestehe. Jedenfalls dürfe der Auflösende nicht wider Treu und Glauben mit der Auflösungserklärung so lange zuwarten, daß der Erklärungsempfänger aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Auflösenden auf die Geltendmachung der Auflösungsgründe schließen könne. Diese Grundsätze könnten auch auf den Fall der vorzeitigen Auflösung eines Handelvertretervertrages angewendet werden. Der Kläger habe zwar den vom Beklagten vorgenommenen Provisionskürzungen ausdrücklich widersprochen, habe aber vorerst keine Konsequenzen gezogen, sondern für den Beklagten weitergearbeitet, ohne die verkürzten Provisionsbeträge gerichtlich einzufordern. Wenngleich der Kläger dadurch nicht den Anspruch auf Zahlung der ihm zustehenden Provisionen verloren habe, habe der Beklagte doch berechtigterweise der Auffassung sein können, der Kläger werde das Vertragsverhältnis unter den ihm aufgezwungenen geänderten Verhältnissen fortsetzen. Dies umso mehr, als der Kläger auch die vertraglich eingeräumte Kündigungsmöglichkeit drei Monate vor Ablauf des Kalenderjahres verstreichen habe lassen. Es verstieße gegen Treu und Glauben, nach Kenntnis eines - auch fortwährenden - Auflösungsgrundes nicht nur nicht sofort die vorzeitige Auflösung zu erklären, sondern sogar die vertraglich vorgesehene Kündigungsmöglichkeit ungenutzt verstreichen zu lassen und für die Erklärung der vorzeitigen Vertragsauflösung einen opportun erscheinenden Zeitpunkt abzuwarten. Ein Abwarten wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn der Beklagte - etwa in Vergleichsverhandlungen - zu erkennen gegeben hätte, daß mit einer Rücknahme der Provisionskürzungen zu rechnen sei. Davon könne aber selbst nach dem Vorbringen des Klägers keine Rede sein. Soziale Erwägungen in dem vom Kläger erstmals in der Berufung geltend gemachten Sinne, daß er zumindest bis kurz vor Vertragsbeendigung keine andere Tätigkeit in Aussicht gehabt habe, könnten daran nichts ändern, weil diese Erwägungen auch im Arbeitsrecht nicht als Grund anerkannt würden, mit dem vorzeitigen Austritt zuzuwarten. Soweit sich der Kläger auf einen weiteren Fall ungerechtfertigter Provisionsreduzierung kurz vor der Vertragsbeendigung berufe, der "das Faß zum Überlaufen gebracht" habe, liege eine im Berufungsverfahren unbeachtliche Neuerung vor. Dem Erstgericht sei auch kein Verstoß gegen die Anleitungspflicht nach § 182 ZPO unterlaufen. Der Kläger habe sein Recht auf vorzeitige Vertragsauflösung durch sein Untätigwerden nach Kenntnis des Auflösungsgrundes verloren, sodaß er das Vertragsverhältnis bis zum Ende des Jahres 1997 fortsetzen hätte müssen. Ein durch die vorzeitige Beendigung entstandener Schaden sei somit nicht auf ein vertragswidriges Verhalten des Beklagten zurückzuführen. Einen ihm vorenthaltenen vertraglichen Anspruch auf Überlassung eines bestimmten Kärntner Kunden habe der Kläger nicht nachweisen können, sodaß auch diesbezüglich kein Schadenersatzanspruch bestehe. Auch die Abweisung des (im Sinne einer Stufenklage erhobenen) Rechnungslegungsbegehrens sei zu Recht erfolgt, da die Bedenken des Klägers an der Richtigkeit der regelmäßig übermittelten Abrechnungen unbegründet seien.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Obliegenheit, einen Auflösungsgrund nach § 22 Abs 3 HVertG 1993 unverzüglich geltend zu machen, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision, die die Abweisung von S 85.550,-- (Causa S*****) unbekämpft läßt, sich also nur mehr gegen die Abweisung von S 302.477,39 und die Abweisung des Rechnungslegungsbegehrens wendet, ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die behaupteten Aktenwidrigkeiten liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

In seiner Rechtsrüge tritt der Revisionswerber der Ansicht des Erstgerichtes entgegen, er habe dadurch, daß er, nachdem der Beklagte im Hinblick auf Rabattgewährungen entsprechende Provisionskürzungen erklärt hatte, das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten nicht unverzüglich aufgelöst hat, sein Recht auf vorzeitige Vertragsauflösung verloren. Die Revisionsausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, das Erfordernis der Unverzüglichkeit der vorzeitigen Auflösung dürfe nicht überspannt werden. Bei vorzeitiger Auflösung durch den Dienstnehmer sei zu bedenken, daß aufgrund dessen besonderen Abhängigkeit und häufigen Angewiesenseins auf den Arbeitsplatz aus dem Zögern bei der Geltendmachung eines Austrittsgrundes in wesentlich geringerem Maße auf die objektive Zumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder gar auf einen Verzicht auf das Austrittsrecht geschlossen werden dürfe. Auch sei es "wegen des jedem Handelsvertreterverhältnis innewohnenden Vertrauensprinzips" für jeden Handelsvertreter, der von Vertragsbrüchen seines Geschäftsherrn erfährt, geboten, "die weitere Vertragsabwicklung mit Rücksicht auf diese Vertragsbrüche abzuwarten". Sei das Verhalten des Vertragspartners änderbar, so könne die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erst dann als unzumutbar angesehen werden, wenn der Auflösungswillige den Vertragspartner auf die Rechtswidrigkeit und Untragbarkeit seines Verhaltens aufmerksam gemacht und ihm die Möglichkeit einer Änderung geboten habe. Das Verhalten des Vertragspartners sei in seiner Gesamtheit allenfalls über einen mehrere Monate dauernden Zeitraum hinweg zu beurteilen. In der vorliegenden Causa habe erst die weitere ungerechtfertigte Provisionsreduzierung im Fall T***** "das Faß zum Überlaufen gebracht"; erst kurz vor dem 21. 3. 1997 sei dem Kläger damit die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit dem Beklagten unzumutbar geworden. Im übrigen sei die zur Frage der Rechtzeitigkeit der Geltendmachung von Austrittsrechten ergangene Rechtsprechung zu Dienstverhältnissen nach dem Angestelltengesetz bzw gemäß §§ 1151 ff ABGB nicht "analogisierbar" (gemeint: analog anwendbar). Insbesondere stelle sich die Frage, ob diese "Analogisierung" (analoge Anwendung) im Zusammenhang mit den §§ 22 ff HVertG 1993 mit der Handelsvertreter-Richtlinie vereinbar sei. Jedenfalls sei dem Kläger ein stillschweigender Verzicht auf eine vorzeitige Vertragsauflösung nicht zu unterstellen.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden:

§ 22 Abs 3 HVertrG (der inhaltlich dem § 23 HVG entspricht, sodaß die dazu von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze anwendbar blieben) erlaubt dem Handelsvertreter die einseitige vorzeitige Auflösung des Handelsvertretungs-Vertragsverhältnisses durch besondere einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung aus besonderem Grund. Ein solcher besonderer (wichtiger) Grund liegt vor, wenn unter Berücksichtigung des Wesens und Zwecks des Vertrages und unter Gesamtwürdigung aller Umstände die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem ursprünglich im Vertrag vorgesehenen Beendigungszeitpunkt oder dem durch ordentliche Kündigung herbeizuführenden Endigungszeitpunkt für den Handelsvertreter im maßgeblichen Zeitpunkt der Auflösungserklärung unzumutbar erscheint (vgl SZ 60/218 mwN; 1 Ob 342/97v ua). Was als wichtiger Grund anzusehen ist, kann angesichts der Vielfalt des Lebens nur im Einzelfall beurteilt werden (Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 450, 452; Pfeil, Makler- und Handelsvertreterrecht 212), wobei also der Bezug zur Frage der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den entscheidenden Wertungsgesichtspunkt abgibt. Dabei kann auch das Gesamtverhalten des Vertragspartners eine wesentliche Rolle spielen. Denn für die Frage der Unzumutbarkeit macht es durchaus einen Unterschied, ob zB nur eine einmalige Vertragsverletzung vorliegt oder ob sich diese als konsequente Fortsetzung einer ganzen Reihe von - wenn auch immer nur kleineren - Verfehlungen darstellt. Bei einem Dauerverhalten ist freilich zu beachten, daß dann, wenn eine Tolerierung an sich denkbar wäre, auf die Vertragswidrigkeit oder Untragbarkeit dieses Verhaltens aufmerksam gemacht werden muß. Erst die Nichtbefolgung der Ermahnung begründet dann, die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses (Krejci in Rummel2 Rz 31 zu § 1162 ABGB). Da, wie bereits erwähnt, das Gesamtverhalten des Vertragspartners des Handelsvertretervertrages zu bewerten ist, können auch Verfehlungen berücksichtigt werden, die nicht unmittelbar vor der vorzeitigen Auflösung gesetzt worden sind (HS 3296).

Daß eine Verletzung der Provisionszahlungspflicht einen wichtigen Grund zur Vertragsauflösung darstellt, wird in § 22 Abs 3 Z 2 lit a HVertrG ausdrücklich angeführt. Im Revisionsverfahren stellt es auch keinen Streitpunkt mehr dar, daß die vom Beklagten vorgenommene Provisionsminderung ungerechtfertigt war. Der Kläger hat dagegen zunächst auch sofort protestiert. Er hat aber, als sein Protest nichts fruchtete, "normal weitergearbeitet" und erst ca 1 Jahr später das Vertragsverhältnis aufgelöst.

Von Lehre und Rechtsprechung wurde (schon zu § 21 HVG = nunmehr § 22 Abs 1 HVertrG) vertreten, daß die vorzeitige Auflösung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Bestehen eines wichtigen Grundes zu erfolgen hat (Jabornegg aaO 452 f; HS 3296/22 ua). Da die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund auf der Erwägung beruht, daß angesichts bestimmter Vorkommnisse die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses (jedenfalls) für einen Teil unzumutbar geworden ist, kann sich konsequenterweise derjenige nicht mehr darauf berufen, der mit der Geltendmachung des Auflösungsgrundes über eine angemessene Überlegungsfrist hinaus zugewartet hat. Speziell für das Arbeitsverhältnis wurde daher durchwegs eine Obliegenheit angenommen, bekanntgewordene Auflösungsgründe bei sonstiger Verwirkung unverzüglich geltend zu machen (für viele Krejci in Rummel2 Rz 158 ff zu § 1162 ABGB mwN). Wie Jabornegg (aaO, 453 mwN) ausführt, kann auch für das Handelsvertreter-Vertragsverhältnis letztlich nichts anderes gelten (vgl Feil aaO 212; HS 3296/22). Die Revisionsausführungen, wonach Handelsvertreterverhältnisse "insbesondere aufgrund der Selbständigkeit der Handelsvertreter andere Ziele und schutzwürdigere Interessen als Arbeitsverhältnisse" verfolgten, sind nicht nachvollziehbar. Da aufgrund der vom Handelsvertreter geschuldeten Vermittlungs- oder Abschlußtätigkeit für die nähere rechtliche Charakterisierung des Handelsvertretervertrages im wesentlichen neben dem Bevollmächtigungsvertrag iSd § 1002 ff ABGB der Dienstvertrag gemäß §§ 1151 ff ABGB in Betracht kommt (Jabornegg aaO, 22), ergeben sich Parallelen, die die Annahme der in Rede stehenden Obliegenheit auch für den Handelsvertretervertrag nahlegen. Sowohl Unternehmer als auch Handelsvertreter müssen also unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Bestehen eines wichtigen Grundes die vorzeitige Auflösung erklären. Ein sachlich nicht gerechtfertigtes Zuwarten muß objektiv dahin gedeutet werden, daß der Auflösungsberechtigte die Fortsetzung des Handelsvertreter-Vertragsverhältnisses trotz des Auflösungsgrundes im konkreten Fall nicht als unzumutbar empfindet, weshalb eine "Verwirkung" eintritt. Es versteht sich von selbst, daß diese Rechtsfolge ohne weiteres bei klaren und eindeutigen Verhältnissen eintreten kann. Bedarf zB ein vertragswidriges Verhalten eines Vertragspartners erst einer genaueren Untersuchung, um feststellen zu können, ob es die weitere Fortsetzung des Vertrages unzumutbar macht, so kann bis zum Abschluß der unverzüglich durchgeführten Ermittlungen zugewartet werden. Es kann unter Umständen auch notwendig sein, die rechtskräftige Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichtes abzuwarten. Außerdem darf der Auflösungsberechtigte in jedem Fall eine kurze, aber doch angemessene Überlegungsfrist beanspruchen. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Geltendmachung von Auflösungsgründen darf also nicht überspannt werden (Jabornegg aaO, 453).

Beurteilt man den vom Erstgericht festgestellten und vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhalt unter diesen Gesichtspunkten, ist die Auffassung der Vorinstanzen, der Kläger habe dadurch, daß er nach Kenntnisnahme des Auflösungsgrundes im Februar 1996 ein Jahr zugewartet hat, bevor er die Vertragsauflösung erklärte, das Recht zu dieser Erklärung verwirkt, zu billigen. Nach hM kann eine konkludente Willenserklärung nach § 863 ABGB auch dann vorliegen, wenn der Betreffende, der ein zu beurteilendes Verhalten setzt, nicht den Willen hatte, die der Erklärung entspricht. Entscheidend ist das Verständnis, das ein redlicher Erklärungsempfänger gewinnen durfte und gewonnen hat (vgl RIS-Justiz RS0014158). Abgesehen davon, daß im vorliegenden Fall nun schon die Dauer des Zuwartens des Klägers jeden Rahmen einer ihm zuzubilligenden Überlegungsfrist bei weitem sprengte, erscheint vor allem auch bedeutsam, daß der Kläger trotz des bereits einige Monate andauernden vertragswidrigen Verhaltens des Beklagten seine Kündigungsmöglichkeit zum Jahresende 1996 nicht wahrgenommen und damit einer weiteren Vertragsverlängerung um ein Jahr zugestimmt hat, obwohl nichts darauf hindeutete, daß der Beklagte sein vertragswidriges Verhalten ändern werde. Da die Vorinstanzen ausdrücklich festgehalten haben, daß der Kläger aufgrund der objektiven Umstände keinen Anlaß hatte, auf eine Änderung des Verhaltens des Beklagten zu hoffen bzw zu vertrauen, ist der Vorhalt des Klägers, sie hätten auf Vergleichsgespräche nicht Bedacht genommen, nicht zielführend. Dem Schreiben vom 21. 3. 1997 Beilage J, auf das sich der Revisionswerber dazu berufen will, ist ein Hinweis auf Vergleichsgespräche nicht zu entnehmen. Wenn der Kläger aber ungeachtet der fortgesetzten Provisionsverkürzungen durch den Beklagten sogar zu einer Vertragsverlängerung bereit war, durfte der Beklagte nach Treu und Glauben zweifellos davon ausgehen, daß der Kläger auch weiterhin mit einer Provisionskürzung einverstanden sein werde, zumal diese Kürzung, wie der Revisionswerber selbst betont, monatlich lediglich ca S 2.000,-- (genauer etwa S 1.750,--) ausmachte.

Der Einwand der Revision, die Provisionskürzungen hätten sich schließlich zum namhaften Fehlbetrag von S 20.775,-- summiert, ist nicht stichhältig. Da der Beklagte, wie bereits dargestellt wurde, keinerlei Anlaß hatte, einen Sinneswandel des Beklagten zu erwarten, mußte er auch schon vor Vertragsverlängerung annehmen, daß sich über den gesamten restlichen (bis 31. 12. 1996) bzw dann noch verlängerten Vertragszeitraum hinweg insgesamt eine entsprechend hohe Provisionsminderung ergeben werde.

Ein Vorbringen, wonach die Provisionskürzungen von monatlich S 1.750,-- allein für ihn noch erträglich gewesen wären und die Lage erst durch den "Fall T*****" unzumutbar geworden sei, hat der Kläger in erster Instanz nicht erstattet. Das Berufungsgericht hat daher auch seinen in der Revision wiederholten Einwand, erst der Fall T***** habe "das Faß zum Überlaufen gebracht", zutreffend als unbeachtliche Neuerung qualifiziert. Daran vermag die Erwähnung in der einen integrierenden Bestandteil des Ersturteils bildenden Beilage J, daß der Beklagte "sogar noch einen weiteren Fall ungerechtfertigter Provisionsreduzierung gesetzt" habe "(T*****)", nichts zu ändern. Da demnach als wichtige Auflösungsgründe nur die im Hinblick auf die Rabattgewährungen vorgenommenen Provisionskürzungen von insgesamt S 20.775,-- zur Verfügung stehen, muß auch der Einwand des Klägers, sein Vorgehen sei gesamthaft zu beurteilen, ins Leere gehen.

Auch der Hinweis auf die Ausführungen Jarboneggs (aaO, 453), daß für den Fall, daß der Auflösungsgrund in einem Dauerzustand besteht, die Auflösung jedenfalls solange erklärt werden könne, als der Auflösungsgrund weiterhin aktuell bleibe, schlägt nicht durch. Der Revisionswerber übersieht, daß hier der Beklagte, dadurch, daß er ungerechtfertigte Provisionskürzungen vornahm, fortgesetzt einzelne Verstöße begangen hat; ein "Dauerzustand" im Sinne eines einzigen, ständig andauernden Verstosses liegt nicht vor. Im übrigen wurde aber vom Obersten Gerichtshof zu 9 ObA 94/89, 9 ObA 319/89 und 8 ObA 2285/96d zum Arbeitsrecht ausgeführt, daß der Grundsatz der Unverzüglichkeit der vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund auch für Dauertatbestände gilt, falls das Unterbleiben der Auflösungserklärung zu der zwingenden Annahme des Unterganges des Auflösungsrechts durch Verzicht oder zum Wegfall des Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung führen müßte.

Daß auch der weitere Einwand des Klägers, er sei durch eine Auskunft der Wirtschaftskammer zur rechtsirrigen Auffassung gelangt, die Provisionskürzungen über einen längeren Zeitraum ohne weiteren Rechtsnachteil hinnehmen zu können, nicht stichhältig sein kann, bedarf keiner näheren Begründung.

Ausgehend davon, daß die Vorinstanzen demnach ohne Rechtsirrtum eine konkludente Zustimmung des Klägers zu den Provisionskürzungen unterstellt und daher zu Recht eine Verwirkung der Vertragsauflösungsberechtigung angenommen haben, mangelt es dem Begehren des Klägers auf Ersatz eines Schadens von S 302.477,39 an einem tauglichen Rechtsgrund.

Daran vermag auch der Hinweis des Revisionswerbers auf die EG-Richtlinie des Rats vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (verlautbart im ABIEG Nr L 382/17 am 31. Dezember 1986, 86/653/EWG; kurz Handelsvertreter-Richtlinie genannt) nichts zu ändern. Der Revisionswerber übersieht, daß sich Richtlinien an die Mitgliedstaaten richten und gegenüber dem einzelnen Bürger grundsätzlich nicht unmittelbar wirken; nur unter gewissen Voraussetzungen hat der EuGH Richtlinienbestimmungen unmittelbare Wirkung zuerkannt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, sich gegenüber den Bürgern darauf zu berufen, daß sie Richtlinien nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt haben. Richtlinienbestimmungen können demnach nur im Verhältnis Staat-Bürger unmittelbar wirken; im Verhältnis von Privaten untereinander kommt ihnen nach herrschender Auffassung keine unmittelbare Wirkung zu (4 Ob 155/98t = ZfRV 1998, 247).

Im übrigen wäre aus Art 17 Abs 5 der Handelsvertreter-Richtlinie, auf die sich der Revisionswerber berufen will, für den vorliegenden Rechtsfall nichts zu gewinnen, weil diese Bestimmung lediglich besagt, daß Handelsvertreter ihre Schadenersatzansprüche verlieren, wenn sie sie dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mitgeteilt haben. Auch aus den weiteren Bestimmungen der Richtlinie, zu deren Umsetzung in Österreich eben das HVertrG 1993 erlassen wurde, läßt sich für den Standpunkt der Revision nichts gewinnen.

Die Revision vermag daher auch keinen Umstand aufzuzeigen, der es geboten erscheinen ließe, dem Antrag des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 177 EGV nachzukommen. Es ist darauf hinzuweisen, daß das subjektive Recht, die Einholung einer Vorabentscheidung beim EuGH zu beantragen, einer Partei nicht zusteht. Sie kann solches nur anregen. Darauf gerichtete Anträge sind zurückzuweisen (WBl 1997, 171 uva).

Spruchgemäß ist daher dieser Antrag zurückzuweisen und die angefochtene Berufungsentscheidung zu bestätigen, zumal im Hinblick auf die grundsätzlich immer korrekten Provisionsabrechnungen des Beklagten auch dem Rechnungslegungsbegehren keine Berechtigung zukommen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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