OGH 8ObA5/23b

OGH8ObA5/23b29.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner-Logar und MMMag. Nadja Auer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch die Maxl & Sporn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, in eventu Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2022, GZ 13 Ra 33/22h‑47, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00005.23B.0329.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war seit 1. 7. 2009 bei der Beklagten als Postzustellerin und Teamleiterin beschäftigt. Mit Dienstvertrag vom 25. 6. 2009 war zunächst ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden. Am 7. 10. 2009 unterfertigten die Streitteile einen unbefristeten Dienstvertrag, in dem die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für Bedienstete der Ö* AG gemäß § 19 Abs 3 Poststrukturgesetz (PTSG) vereinbart wurde. Aus gesundheitlichen Gründen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, als Zustellerin tätig zu sein. Am 3. 5. 2019 erhielt die Klägerin ein Schreiben, mit welchem die Beklagte das Dienstverhältnis aufkündigte. Mit Bescheid des Sozialministeriums vom 3. 7. 2019 wurde festgestellt, dass die Klägerin ab 14. 5. 2019 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört.

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands ihres Dienstverhältnisses, in eventu die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Es liege kein Kündigungsgrund nach § 48 Abs 2 der auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Dienstordnung in der Fassung vom 1. 1. 2009 vor, weil die Beklagte aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin leichtere Arbeiten zuzuweisen. Darüber hinaus sei die Kündigung mangels Zustimmung des Behindertenausschusses unwirksam. Hilfsweise werde die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit angefochten.

[3] Die B eklagte bestritt und wendete ein, dass der Kollektivvertrag für Bedienstete der Ö* AG anzuwenden sei, der die Kündigung unabhängig vom Vorliegen eines Kündigungsgrundes zulasse und dessen Anwendbarkeit im Dienstvertrag ausdrücklich vereinbart worden sei.

[4] Mit dem angef o chtenen Teilurteil wies das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren ab. Die Klägerin habe sich durch die Unterfertigung desDienstvertrags vom 7. 10. 2009 dem neuen Kollektivvertrag unterworfen, sodass es nicht mehr darauf ankomme, ob auf das ursprüngliche Dienstverhältnis die Dienstordnung anwendbar war oder nicht. Die Kündigung der Klägerin bedürfe keiner Zustimmung des Behindertenausschusses, weil für den Zeitpunkt der Kündigung keineverwaltungsbehördliche Feststellung der Behinderteneigenschaft vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Nach § 19 Abs 4 PTSG gilt die mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten vereinbarte Dienstordnung der Beklagten als Kollektivvertrag. Nach § 19 Abs 7 PTSG war aber vom Vorstand der Beklagten bis 31. 12. 1997 ein neuer Kollektivvertrag für die ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens neu eintretenden Bediensteten zu verhandeln. Dienstnehmer der Beklagten haben nach § 19 Abs 7 PTSG Anspruch auf die Anwendung dieses Kollektivvertrags, wenn sie dies innerhalb von fünf Jahren ab Inkrafttreten dieses Kollektivvertrags erklären.

[7] 2. Tatsächlich wurde der Kollektivvertrag für Bedienstete der Ö* AG erst am 30. 6. 2009 mit Wirksamkeit ab 1. 8. 2009 abgeschlossen, sodass die vom Gesetzgeber für die Verhandlung des Kollektivvertrags gesetzte Frist erheblich überschritten wurde. Nichtsdestoweniger hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 9 ObA 47/17b ausgesprochen, dass der neue Kollektivvertrag auch auf Altverträge anzuwenden ist, wenn dies anlässlich der Überführung eines befristeten in ein unbefristetes Dienstverhältnis vereinbart wurde. Der Einwand einer für den Dienstnehmer unzumutbaren Drucksituation, wie er auch von der Klägerin erhoben wird, wurde vom Obersten Gerichtshof in dieser Entscheidung ausdrücklich verworfen. Die Rechtswirksamkeit von Änderungen des Arbeitsvertrags zum Nachteil des Arbeitnehmers ist nämlich eine Folge der Vertragsfreiheit, sodass auch im Bereich des Arbeitsrechts kein allgemeines Verschlechterungsverbot besteht (RIS‑Justiz RS0034017; RS0034043; RS0034072).

[8] 3. Die Kündigung eines begünstigten Behinderten darf nach § 8 Abs 2 BEinstG erst ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss zugestimmt hat. Der Kündigungsschutz setzt nach § 14 Abs 1 und 2 BEinstG aber einen Bescheid der Verwaltungsbehörde voraus, mit welchem die Behinderteneigenschaft festgestellt wird. Ob einem Dienstnehmer Behinderteneigenschaft zukommt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausschließlich von der Verwaltungsbehörde zu beurteilen (RS0052584). Die Feststellung der Behinderteneigenschaft durch die Verwaltungsbehörde entfaltet Tatbestandswirkung und ähnelt in ihrer Funktion einer Statusentscheidung (RS0110351; RS0110655). Der Oberste Gerichtshof hat deshalb bereits ausgesprochen, dass der Kündigungsschutz eines begünstigten Behinderten nach dem BEinstG erst mit jenem – im Bescheid ausdrücklich festgestellten – Zeitpunkt beginnt, für den das Vorliegen einer Behinderung von der Verwaltungsbehörde festgestellt wurde (9 ObA 30/06m; 9 ObA 86/06x). Da die Behinderteneigenschaft der Klägerin erst ab 14. 5. 2019 festgestellt wurde, bleibt die Wirksamkeit der Kündigung vom 3. 5. 2019 unberührt.

[9] 4. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen wurden damit vom Obersten Gerichtshof bereits beantwortet, sodass die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

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