European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00074.14M.0123.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozesskosten.
Begründung:
Mit seiner am 7. 4. 2014 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Wiederaufnahme des im Spruch bezeichneten Abstammungsverfahrens und die Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Bludenz vom 13. September 1960, mit dem er als Vater der damaligen Klägerin und nunmehr Wiederbeklagten (in der Folge: Beklagte) festgestellt und zur Zahlung von Unterhalt verurteilt wurde.
Der Kläger habe im wiederaufzunehmenden Verfahren eingewendet, dass die Mutter des Kindes zum Zeitpunkt des gemeinsamen Verkehrs bereits von einem anderen Mann schwanger gewesen sei. Nach Vernehmung von Zeugen und Durchführung eines Blutgruppentests, aus dem sich kein Vaterschaftsausschluss ergeben habe, sei der Klage stattgegeben worden, weil der nunmehrige Kläger die Rechtsvermutung des § 163 ABGB aF nicht entkräften habe können. Er habe nach Abschluss dieses Verfahrens seine Unterhaltspflicht bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit der Beklagten erfüllt und das Thema dann als erledigt betrachtet.
Am 14. 2. 2014 habe er nur über Drängen seiner ehelichen Tochter ein Gerichtsmedizinisches Institut mit der Erstellung eines DNA‑Gutachtens über seine Vaterschaft zur Beklagten beauftragt. Dieses Gutachten, das ihm am 20. März 2014 zugekommen sei, gelange zu dem für den Kläger völlig überraschenden und erstaunlichen Ergebnis, dass er von der Vaterschaft zur Beklagten ausgeschlossen sei.
Dieses Gutachten sei ein neues Beweismittel, dessen Verwendung zur Klagsabweisung im früheren Verfahren führen hätte müssen, dessen Benützung ihm aber aufgrund des damaligen Standes der Technik unverschuldet unmöglich gewesen sei.
Die subjektive Klagefrist gemäß § 534 Abs 2 Z 4 ZPO habe nicht vor der Kenntnisnahme des Gutachtensergebnisses zu laufen begonnen und sei daher gewahrt. Eventualiter stellte der Kläger für den Fall, dass das Gericht seine Wiederaufnahmsklage dennoch als verfristet ansehen sollte, einen Wiedereinsetzungsantrag.
Das Erstgericht wies die Klage und den Wiedereinsetzungsantrag a limine als verspätet zurück.
Die DNA‑Analyse sei als den bisherigen Möglichkeiten neue Methode der Abstammungsfeststellung dank medialer Verbreitung seit vielen Jahren allgemein bekannt. Rechtfertigungsgründe für ein längeres Zuwarten mit der Geltendmachung des neuen Beweismittels seien nicht ersichtlich. Selbst wenn aber ausschließlich auf den subjektiven Kenntnisstand des Klägers abzustellen wäre, habe er allerspätestens bei Erteilung seines privaten Gutachtensauftrags am 14. 2. 2014 von der neuen Möglichkeit gewusst, sodass auch in diesem Fall die vierwöchige Klagefrist nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO bereits abgelaufen gewesen sei.
Die vierzehntägige Frist für die Erhebung des Wiedereinsetzungsantrags habe für den Kläger spätestens mit der Kenntnisnahme des Gutachtensergebnisses zu laufen begonnen.
Das Rekursgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge.
Gegen die Entscheidung über die Zurückweisung der Klage sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig, weil keine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage bestehe, ob die Klagefrist nach § 534 ZPO auch dann bereits mit der objektiv möglichen Geltendmachung des Sachverständigenbeweises zu laufen beginnt, wenn der Kläger nicht mit einem verfahrensrelevanten Ergebnis gerechnet hat.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs, über den in einem einseitigen Verfahren zu entscheiden ist, weil die Wiederaufnahmsklage vor Streitanhängigkeit zurückgewiesen wurde, ist zulässig (§ 528 Abs 1 und Abs 2 Z 2 zweiter Halbsatz ZPO; RIS‑Justiz RS0125126). Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt, weil die von den Vorinstanzen angenommene Verfristung der Wiederaufnahmsklage eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darstellt.
1. Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt in Frage, wenn im Vorprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen (RIS‑Justiz RS0040999).
Die neuen Tatsachen iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO müssen im vorangegangenen Verfahren bereits entstanden oder vorhanden gewesen sein. Bei den neuen Beweismitteln kommt es nicht darauf an, wann diese entstanden sind; sie müssen sich nur auf Tatsachen beziehen, die schon vor Verfahrensabschluss erster Instanz vorhanden waren (RIS‑Justiz RS0044437; vgl RS0124752).
Baut ein später eingeholtes Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode auf, die zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt war, handelt es sich um ein neues Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (RIS‑Justiz RS0044733 [T1]). Dass es sich bei der DNA‑Analyse um eine Erkenntnismethode handelt, die im Zeitraum des Vorverfahrens noch nicht verfügbar war, ist offenkundig. Der Kläger, der die im Vorprozess vergeblich eingewendete biologische Unmöglichkeit seiner Vaterschaft unter Berufung auf ein neu eingeholtes privates DNA‑Gutachten behauptet, macht damit grundsätzlich einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund geltend. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass eine Benützung dieses Beweismittels im Vorprozess geeignet gewesen wäre, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen.
2. Die vierwöchige Notfrist für die Erhebung einer Wiederaufnahmsklage (§ 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO) ist im Fall des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von dem Tag zu berechnen, an dem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen.
Der Wiederaufnahmskläger muss die Beweismittel zunächst so weit kennen, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann, andererseits beginnt die Frist nicht erst mit Erlangen der Gewissheit, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung führen werden (RIS‑Justiz RS0044635 [T6]).
Allein die Kenntnis, dass ein Beweismittel vorhanden ist, das allenfalls zugunsten des eigenen Standpunktes sprechen könnte, verpflichtet aber noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung (RIS‑Justiz RS0044646).
Nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO, der nur auf die Kenntnis der neuen Tatsachen bzw Beweismittel, aber nicht auf ein Kennenmüssen abstellt, ist der Wiederaufnahmskläger nicht verpflichtet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess schon aufgrund vager, eine Wiederaufnahmsklage für sich nicht rechtfertigender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes weitere Nachforschungen anzustellen (RIS‑Justiz RS0044626). Ein fahrlässiges Nichtwissen ist nur soweit beachtlich, als es die Geltendmachung des Beweismittels vor Schluss der Verhandlung im Vorprozess verhinderte (3 Ob 148/14g; RIS‑Justiz RS0044572 = 9 ObA 82/90).
3. Nach seinem Vorbringen hegte der Kläger vor Bekanntwerden des Ergebnisses des DNA‑Gutachtens keinen konkreten Verdacht gegen die Richtigkeit des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteils im Vorverfahren. Sein geschlechtlicher Verkehr mit der Mutter während der gesetzlichen Vermutungsfrist war unstrittig und das Verfahrensergebnis basierte ‑ neben Zeugenaussagen ‑ auf einem den wissenschaftlichen Möglichkeiten der Zeit entsprechenden Gutachten eines Sachverständigen.
Mangels konkreter und ernsthafter Zweifel des Klägers traf ihn aber auch keine Obliegenheit zu laufenden Nachforschungen über allfällige neue wissenschaftliche Erkenntnismethoden oder zur Erteilung privater Gutachtensaufträge, um seine angenommene Vaterschaft doch noch widerlegen zu können (vgl 3 Ob 148/14g).
4. Entscheidend für den Beginn der Klagefrist war nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO vielmehr jener Tag, an dem der Kläger Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der objektiv gesehen die Wiederaufnahme rechtfertigte, erlangt hat (3 Ob 148/14g; 4 Ob 123/13m; RIS‑Justiz RS0044790; RS0044635).
Bei der bloßen Verfügbarkeit einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode wie der DNA‑Analyse handelt es sich um ein Beweismittel, das für sich allein keine Beurteilung der Eignung für eine Wiederaufnahmsklage zulässt. Da der Kläger damit gerechnet hatte, ohnehin der Vater der Beklagten zu sein und ihn wie ‑ dargelegt ‑ keine Nachforschungspflicht traf, konnte die bloße Verfügbarkeit einer neuen Untersuchungsmethode die subjektive Klagefrist nicht auslösen. Allein durch die Verfügbarkeit eines neuen Beweismittels ändert sich der Kenntnisstand des Wiederaufnahmswerbers nicht in der nach § 534 Abs 2 Z 4 ZPO für den Fristbeginn vorausgesetzten Weise. Er kann daraus noch nicht darauf schließen, dass das Beweismittel tatsächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem anderen, günstigeren Verfahrensergebnis führen würde.
5. Solange der Kläger an seiner Vaterschaft zur Beklagten nicht ernstlich zweifelte, war er nicht verpflichtet, nur aufgrund von Medienberichten über neuartige Testverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, um einer Verfristung der Klage zu entgehen (vgl auch 8 Ob 65/10g).
Erst mit Vorliegen des Privatgutachtens war der Kläger in der Lage, einen form‑ und inhaltsgerechten Beweisantrag zu stellen (RIS‑Justiz RS0044635 [T1]), ohne die bereits im Vorprozess erfolglos aufgestellte Behauptung des Ausschlusses seiner Vaterschaft entgegen § 178 Abs 1 ZPO ohne ausreichende Anhaltspunkte und deshalb „ins Blaue“ zu wiederholen (3 Ob 148/14g; Fucik in Rechberger 4 § 178 ZPO Rz 1).
Ein über die bloße abstrakte Möglichkeit hinausgehender höherer Grad der Wahrscheinlichkeit der Eignung eines DNA‑Gutachtens, bei Benützung im früheren Verfahren eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0044676), also den Ausschluss seiner Vaterschaft erweisen zu können, war erst zu diesem Zeitpunkt gegeben (vgl 2 Ob 292/05p).
Nach seinem für die Entscheidung maßgeblichen Vorbringen ist dem Kläger das für ihn überraschende Ergebnis des Privatgutachtens am 20. 3. 2014 bekannt geworden. Da die Klage bereits am 7. 4. 2014 eingebracht wurde, ist die vierwöchige Klagefrist gewahrt.
Ein Eingehen auf die im Revisionsrekurs geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken erübrigt sich bei diesem Ergebnis.
Dem Revisionsrekurs des Klägers war Folge zu geben; das Erstgericht wird das gesetzmäßige Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten haben.
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