OGH 7Ob97/21x

OGH7Ob97/21x29.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* R*, vertreten durch MMag. Clemens Rainer‑Theurl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M* G*, vertreten durch Dr. Hanspeter Feix und Dr. Renate Palma, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung und Einwilligung in die Einverleibung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 25. März 2021, GZ 1 R 4/21d‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133207

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Voraussetzung für die Ersitzung ist insbesondere, dass der echte (§ 1464 ABGB) Besitz während der gesamten Ersitzungszeit (§ 1477 ABGB) redlich ist (§ 1463 ABGB) und (hier) zumindest 30 Jahre (§ 1470 ABGB) gedauert hat (vgl 3 Ob 54/16m).

[2] Redlichkeit nach § 326 ABGB verlangt nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel, also an die rechtmäßige Zugehörigkeit einer Sache im weiteren Sinn, im Gegensatz zum unredlichen Besitzer, der vermuten muss, dass die Sache einem anderen gehört (RS0010172). Redlich ist derjenige, der eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält; maßgeblich ist der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung, also das Vertrauen auf einen gültigen Titel (2 Ob 37/20k mwN). Die Redlichkeit des Besitzes wird gemäß § 328 ABGB vermutet, sodass dem Ersitzungsgegner der Beweis der Unredlichkeit obliegt (RS0010185).

[3] Die Beurteilung der Redlichkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0010185 [T7]; RS0010184 [T13]).

[4] 1.2. Wer die Ersitzung auf einen Zeitraum von dreißig oder vierzig Jahren stützt, bedarf nach § 1477 ABGB keiner Angabe des rechtmäßigen Titels; die gegen ihn erwiesene Unredlichkeit des Besitzes schließt aber auch in diesem längeren Zeitraum die Ersitzung aus.

[5] Für diese uneigentliche (lange) Ersitzung ist die Rechtmäßigkeit des Besitzes somit nicht erforderlich, sie setzt nur die Redlichkeit und die Echtheit des Besitzes voraus (RS0034087 [T1]).

[6] 1.3. Nach § 1500 ABGB kann das aus der Ersitzung oder Verjährung erworbene Recht demjenigen, welcher im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, zu keinem Nachteil gereichen.

[7] Der unbelastete Erwerb von Grundstücken ist aber nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen; bei dessen Offenkundigkeit ist Gutgläubigkeit zu verneinen (vgl RS0011676). Um den Liegenschaftserwerber des Schutzes des § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, ist daher erforderlich, dass diesem sowohl im Zeitpunkt des Erwerbsgeschäfts als auch seines Ansuchens um Einverleibung die etwa vom Grundbuchstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war (RS0034776). Besteht der indizierte Verdacht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen, löst dies Nachforschungspflichten des Erwerbers aus (RS0034776 [T22]).

[8] Zur „Offenkundigkeit“ und allenfalls bestehenden Nachforschungspflichten bestehen bereits durch eine Vielzahl von höchstgerichtlichen Entscheidungen gefestigte Leitlinien (vgl 1 Ob 32/21v mwN):

[9] Für die Offenkundigkeit etwa einer Dienstbarkeit ist wesentlich, ob man – vom dienenden Grundstück aus betrachtet – bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer (bestimmten) Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633). Bedenken über die Vollständigkeit des Grundbuchstandes können sich aus der Natur ergeben, wenn Spuren auf dem Grundstück oder sichtbare Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorgefunden werden, die ihrem Zweck nach das Dienen des Grundstücks offenkundig erkennen und daher das Bestehen fremder Rechte vermuten lassen (vgl RS0034803 [T7, T19]); dann müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Deren Unterlassung ist aber etwa dann nicht vorzuwerfen, wenn sich die wahrgenommenen Einrichtungen mit anderen verbücherten Rechten erklären lassen (vgl RS0034870 [T3, T4]). Für einen Fahrlässigkeitsvorwurf genügt bereits die Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage (2 Ob 11/10x; RS0034776 [T9]); bereits leichte Fahrlässigkeit genügt (vgl 2 Ob 11/10x mwN).

[10] Woraus sich die Offenkundigkeit für den Erwerber bzw aus welchen Umständen sich für diesen die Pflicht (und die Tiefe) von Nachforschungen ergibt, hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich auf das Bestehen des nicht verbücherten Rechts beruft (vgl RS0034870). In der Beantwortung von Fragen zum Bestehen und zum Umfang der Nachforschungspflicht liegt wegen ihrer Einzelfallbezogenheit in der Regel nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine klare Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (RS0107329).

[11] 2. Die Vorinstanzen sind von diesen Leitlinien nicht abgewichen, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung wird von der Revision des Beklagten nicht aufgezeigt.

[12] 2.1. Hier steht fest, dass die Beklagte mehr als dreißig Jahre das nach dem Grundbuchstand im Eigentum des Beklagten (und zuvor seines Vaters) stehende Grundstück mit (von anderem Ort hierher versetzter) Almhütte wie als Eigentümerin und die Zufahrt dazu wie als Wegeberechtigte in gutem Glauben, hierzu berechtigt zu sein, benützt hat, zumal die Väter der Streitteile zuvor einen schriftlichen (Kauf‑)Vertrag hierüber abgeschlossen hatten (der jedoch in der Folge nie verbüchert wurde). Das Berufungsgericht bejahte neben der Erfüllung der Ersitzungsvoraussetzungen durch die Klägerin deren Offenkundigkeit für den Beklagten und dessen zumindest leichte Fahrlässigkeit, angesichts der vom Grundbuchstand abweichenden ihm bekannten tatsächlichen Situation nicht weiter nachgeforscht zu haben.

[13] 2.2. Hier wurden die Liegenschaft und der Weg hiezu vom Rechtsvorgänger der Klägerin und der Klägerin selbst benutzt und Umbauarbeiten durchgeführt, was dem Beklagten seit seinem siebenten Lebensjahr bekannt war, sodass in der Verneinung späteren lastenfreien Erwerbs des Beklagten nach § 1500 ABGB keine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht liegt.

[14] 2.3. Die Ersitzung nach § 1477 ABGB bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit nicht der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, weil sie kein rechtsgeschäftlicher Akt ist (vgl RS0066126; RS0126379). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es daher auf die zeitliche Fassung von grundverkehrsrechtlichen Landesvorschriften über die Genehmigung von Rechtsgeschäften nicht ankommt, hält sich ebenfalls nicht korrekturbedürftig im Rahmen der Rechtsprechung.

[15] 2.4. Dass im Zusammenhang mit dem vertraglichen Titel zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird, gilt auch für die nach der Revision behauptetermaßen fehlenden Feststellungen zum angeblichen Charakter des Vaters des Beklagten, welcher den Abschluss eines Kaufvertrags als ausgeschlossen erscheinen lasse.

[16] Abgesehen davon, dass der Abschluss eines solchen schriftlichen Vertrags für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellt wurde, ist die Auslegung einer nach Form und Inhalt unbestrittenen Urkunde eine – nur den Einzelfall betreffende (vgl RS0042936) – Frage rechtlicher Beurteilung (RS0043422 [T1]). Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, wenn sich nicht aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (vgl RS0043422 [T6, T13]), womit der Frage des (bloß) inneren Charakters (bloß) einer Vertragspartei keine Bedeutung zukommen kann.

[17] Die Revision macht insgesamt auch hier keine erhebliche Rechtsfrage geltend.

[18] 2.5. Mit dem Hinweis, schon die Stattgebung einer Beweisrüge zeige, dass die vom Berufungsgericht nunmehr getroffene Feststellung (zur nicht erweislichen Zustimmung der Gemeinde zur Versetzung der Almhütte) durchaus rechtlich relevant sei, zeigt die Revision schließlich nicht konkret auf, warum die – wie dargelegt keiner Rechtmäßigkeit bedürftige – „lange‟ Ersitzung durch die Klägerin von den Vorinstanzen zu Unrecht bejaht worden wäre, zumal schon das Berufungsgericht auf die mangelnde Relevanz hinwies.

[19] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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