OGH 7Ob91/14d

OGH7Ob91/14d10.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** G*****, vertreten durch Dr. Oliver Koch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. C***** Z*****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, wegen 54.295,94 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. April 2014, GZ 11 R 42/14y‑52, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Jänner 2014, GZ 29 Cg 17/12a‑48, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00091.14D.0910.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden als Teilurteil bestätigt, das zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 54.295,94 EUR samt 4 % Zinsen seit dem 1. 9. 2011 zu bezahlen, und es werde festgestellt, dass die beklagte Partei für alle zukünftigen Schäden aus der Streptokokkeninfektion an der rechten Wange des Klägers vom Februar 2010 hafte, wird abgewiesen.

Hinsichtlich des darüber hinausgehenden sonstigen Feststellungsbegehrens, die beklagte Partei hafte für zukünftige Schäden aus der Behandlung mit Bio Alcamid in den Jahren 2007 bis 2008, und im Kostenpunkt werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist seit 25 Jahren Fachärztin für Dermatologie. Sie befasst sich seit geraumer Zeit mit Schönheitsbehandlungen.

Der 1981 geborene Kläger war bereits vor 2005 seit Jahren bei der Beklagten in Behandlung. Er ließ sich insbesondere die ihn störende Nasolabialfalte mit Hyaluronsäure unterspritzen und auch mehrfach Botox verabreichen. Sodann begann sich der Kläger für Permanentfiller zu interessieren.

Vor der ersten Anwendung des Permanentfillers Bio Alcamid am 23. 8. 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Verhärtungen entstehen könnten. Ob die Beklagte ihn noch über weitere negative Folgen des Fillers aufklärte, kann nicht festgestellt werden. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Nasolabialfalte nicht weiter unterspritzt werden könne, weil sie schon „voll“ sei. Die Applikationen des Fillers nahm die Beklagte kunstgerecht vor.

Die Beklagte erwarb in der Folge das Präparat nicht mehr, weil in der Literatur Stimmen laut wurden, dass dieses „etwaig nicht nur positive Auswirkungen“ habe. Sie teilte dem Kläger mit, wenn er weiterhin an diesem Interesse hätte, möge er es selbst bestellen. Dies tat der Kläger auch.

Am 23. 11. 2007 und zuletzt 14. 10. 2008 im Lippenbereich spritzte die Beklagte dem Kläger das von ihm mitgebrachte Bio Alcamid.

Im März und August 2009 unterzog sich der Kläger bei der Beklagten jeweils einer Botox‑Behandlung.

Am 16. 2. 2010 schwoll die rechte Wangenregion des Klägers an. Einige Tage zuvor hatte er sich mit einer Nadel einen Pickel in der unteren rechten Wange ausgedrückt. In einer Klinik in Deutschland wurde ein Abszess diagnostiziert. Beim Kläger lag keine Granulombildung vor. Ein Abstrich ergab Streptokokkenbefall. Ursache für die Entzündung war entweder eine Manipulation am Pickel oder eine Minimalverletzung. Derartige Streptokokkeninfektionen kommen häufig unabhängig vom Einbringen eines Fillers vor. Sie sind keine typischen Folgen des Permanentfillers, der drei Jahre zuvor implantiert wurde. Die Behandlung der Beklagten war nicht (mit‑)ursächlich für das massive entzündliche Geschehen im rechten Wangenbereich des Klägers. Die Infektion war vielmehr „schicksalhaft“.

Permanentfiller können ‑ „wie in der Literatur nach und nach bekannt wurde“ ‑ langwierige Entzündungsreaktionen zur Folge haben, die allerdings nichts mit der beim Kläger aufgetretenen Streptokokkeninfektion zu tun haben.

Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Zahlung von 54.295,94 EUR sA zu verpflichten, und die Feststellung, dass sie ihm für sämtliche zukünftige Schäden aus der Behandlung mit Bio Alcamid in den Jahren 2007 bis 2008 zu haften habe. Die Behandlung mit dem Permanentfiller sei nicht lege artis erfolgt, wodurch die Infektion verursacht worden sei. Die Beklagte habe ihn überdies nicht über allfällige mit der Behandlung von Permanentfillern verbundene Risken aufgeklärt. Die massive Infektion stelle eine typische Komplikation nach der Behandlung dar. Wäre der Kläger über diese Risken aufgeklärt worden, hätte er einer Verwendung des Permanentfillers nicht zugestimmt. Als Dauerfolgen bestünden eine Deformation des Gesichts, ständige Druckschmerzen sowie tiefe Narben. Auch Spätfolgen seien nicht mit Sicherheit auszuschließen. Weiters bestehe die Gefahr, dass sich entzündliche Prozesse/Infektionen in unterschiedlichen Stärken wiederholten, weil nach wie vor Bio Alcamid nicht nur in der rechten, sondern auch in der linken Gesichtshälfte vorhanden sei.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei mit der Wirkung der Hyaluronsäure nicht komplett zufrieden gewesen, sodass die Applikation von Permanentfillern erörtert worden sei. Die Beklagte habe ihn darüber aufgeklärt, dass Permanentfiller schon auf Grund des dauerhaften Verbleibens im Körper ein erheblich größeres Risikopotential in Bezug auf Entzündungen, Infektionen, Verhärtungen und Verformungen mit sich brächten. Sie habe ihn aufgefordert, sich bei Auftreten von Problemen unverzüglich bei ihr zu melden. Im Jahr 2008 habe die Beklagte den Kläger über Berichte informiert, dass bei Verwendung von Permanentfillern erhöhte Komplikationen auftreten könnten und dass sie nunmehr diese Substanz nicht mehr verwende. Der Kläger habe in der Folge das Präparat selbst besorgt und habe die Behandlung gewünscht, obwohl ihm das erhöhte Risiko bekannt gewesen sei. Die behaupteten Symptome stünden in keinem Kausalzusammenhang mit der von der Beklagten durchgeführten Behandlung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren insgesamt ab. Dem Kläger sei es nicht gelungen, einen Kausalzusammenhang zwischen der Behandlung und dem Permanentfiller durch die Beklagte und der lange Zeit später auftretenden Streptokokkeninfektion zu beweisen. Diese sei als schicksalhaftes Geschehen zu qualifizieren. Aus rechtlichen Erwägungen hätten weitere Feststellungen zu unterbleiben.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Es stehe fest, dass ein durch die Beklagte hervorgerufenes Ereignis, nämlich ein ärztlicher Eingriff oder eine verletzte Aufklärungspflicht bei der Applikation des Fillers, die Infektion nicht verursacht hätte, sodass insofern weitere nicht auszuschließende Spät‑ und Dauerfolgen aus möglicherweise anderer Ursache gar nicht beurteilt werden müssten. Eine bloß vorbeugende Feststellungsklage sei nicht vorgesehen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine erhebliche Rechtsfrage zur Entscheidung vorliege.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch zum Teil im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Zum Zahlungsbegehren:

Nach § 1299 ABGB hat der Geschädigte den Schaden, das Vorliegen eines Kunstfehlers und dessen Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit für den Schaden zu beweisen. Für den Beweis des Kausalzusammenhangs genügt es allerdings, wenn ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Ist der ursächliche Zusammenhang nicht zu beweisen, geht das zu Lasten des Geschädigten, nicht des Schädigers (RIS‑Justiz RS0026209). Dies gilt auch im Arzthaftungsprozess (RIS‑Justiz RS0026209 [T4, T5, T6]). Ärzte haben nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RIS‑Justiz RS0038202).

Ausgehend von den ‑ den Obersten Gerichtshof bindenden ‑ Feststellungen der Vorinstanzen (die Beweiswürdigung ist in der Revision nicht bekämpfbar [RIS‑Justiz RS0043371]) ist der Beklagten bei der Anwendung des Permanentfillers kein Behandlungsfehler unterlaufen. Der Filler war für die spätere Streptokokkeninfektion und die daraus resultierenden massiven Entzündungen im rechten Wangenbereich des Klägers nicht ursächlich. Da das Erstgericht eindeutige Feststellungen treffen konnte, stellen sich Fragen zur Beweislast und Beweiserleichterung nicht. Mangels Kausalität zwischen der Verabreichung des Permanentfillers und der Infektion des Klägers ist auch eine allfällige Aufklärungspflichtverletzung in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Zahlungsbegehren besteht nicht zu Recht.

Zum Feststellungsbegehren:

Soweit sich das Feststellungsbegehren auf allfällige Spätfolgen auf Grund der Infektion des Klägers im Februar 2010 bezieht, besteht es aus denselben Gründen wie das Zahlungsbegehren nicht zu Recht.

Der Kläger hat jedoch das Feststellungsbegehren ganz allgemein gefasst und auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Beklagte geltend gemacht. Er brachte vor, dass ihn die Beklagte nicht darauf aufmerksam gemacht habe, dass bei der Applikation von Permanentfillern auch noch nach Jahren mit entzündlichen Prozessen zu rechnen sei und dass er sich in diesem Fall der Behandlung nicht unterzogen hätte. Er erhebt somit auch eine sogenannte vorbeugende Feststellungsklage unabhängig von dem Vorfall im Februar 2010.

Während die frühere Judikatur das Interesse an der Feststellung für die Haftung künftiger Schäden nur dann zuerkannte, wenn bereits ein (Teil‑)Schaden eingetreten war, lässt die nunmehr herrschende Judikatur unter bestimmten Voraussetzungen auch die Feststellung einer (allfälligen) Ersatzpflicht für künftige Schäden aus einem bestimmten (zumindest potentiell schädigenden) Ereignis zu, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0038909). Die bloße Möglichkeit künftiger Schäden rechtfertigt die Erhebung einer Feststellungsklage, die nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Verjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde und dem Umfang nach dient (RIS‑Justiz RS0038976). In Fällen, in denen das Auftreten einer Erkrankung als Folge des schädigenden Ereignisses nicht mit der in der Medizin möglichen Sicherheit auszuschließen ist, wird von der Rechtsprechung nunmehr ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung einer „potentiellen“ Haftung für zukünftige Schäden bejaht (RIS‑Justiz RS0038976 [T 30, T 31, T 34]). Eine tatsächliche Gefährdung der Rechtssphäre des Klägers liegt vor, wenn der Beklagte seinen Anspruch verneint (RIS‑Justiz RS0039007).

Ihrer vorbeugenden Wirkung können Feststellungsklage und Feststellungsurteil indes nur dann gerecht werden, wenn ein aktueller Anlass zu einer solchen vorbeugenden Klärung gegeben ist (RIS‑Justiz RS0039071), der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtsposition des Klägers eine alsbaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RIS‑Justiz RS0039215).

In jedem Fall, in dem die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt wird, kann sich die Feststellung notwendigerweise nur auf das haftungsbegründende Verhalten, nicht aber auf einen in Zukunft konkret zu erwartenden Schaden und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs beziehen (RIS‑Justiz RS0038915). Sollte in Zukunft tatsächlich eine Erkrankung auftreten, müsste der Geschädigte demnach ‑ ungeachtet eines Feststellungsurteils ‑ im Leistungsprozess den Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensereignis und der Erkrankung unter Beweis stellen (vgl RIS‑Justiz RS0111722).

Der Kläger stützte sich im erstinstanzlichen Verfahren darauf, dass wegen des Permanentfillers Entzündungen in der Zukunft noch zu erwarten seien, die Beklagte ihn darüber nicht aufgeklärt habe und er sich bei Kenntnis dieser Gefahr nicht dazu entschlossen hätte, die Behandlung vornehmen zu lassen. Damit behauptet er einen Sachverhalt, der ihn grundsätzlich zur Erhebung einer vorbeugenden Feststellungsklage berechtigt. Auch wenn nach den Feststellungen für die Entzündungen im Februar 2010 der Permanentfiller nicht kausal war, so liegt der aktuelle Anlass für die Klagsführung im Sinne der Judikatur darin, dass nach dem Vorbringen des Klägers (das bisher nicht geprüft wurde) bekannt sei, dass bei Permanentfillern in der Zukunft typischerweise mit Entzündungsgeschehen im Gewebe zu rechnen sei, auch wenn die Applikation so lange zurückliege wie bei ihm. Im Gegensatz zur Rechtsmeinung der Vorinstanzen bedarf es daher dazu weiterer Feststellungen.

Es ist nicht ausreichend geklärt, ob der Beklagten eine Aufklärungspflichtverletzung vorzuwerfen ist, nämlich ob ihr die Gefahren des Permanentfillers bekannt waren oder zumindest als Fachärztin bekannt hätten sein müssen. Es ist auch unklar, ob die Beklagte den Kläger allenfalls in der Folge über die Gefahren aufklärte, als sie die Filler nicht mehr selbst zur Verfügung stellte. Es steht nicht fest, wie sich der Beklagte bei korrekter Aufklärung verhalten hätte, nämlich, ob er sich der Behandlung auch in diesem Fall unterzogen hätte. Sollte eine der Beklagten vorwerfbare Fehlberatung für die Zustimmung des Klägers zur Applikation der Filler kausal gewesen sein, ist im Sinn der dargestellten Rechtsprechung auch das rechtliche Interesse des Klägers zu prüfen, nämlich ob mit der in der Medizin möglichen Sicherheit nicht auszuschließen ist, dass beim Kläger auch in Zukunft noch die bekannten Spätfolgen eintreten könnten.

Erst nach Ergänzung der Feststellungen kann auch über diesen Teil des Feststellungsbegehrens im Sinn der dargelegten Judikatur abschließend entschieden werden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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