European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00078.18Y.0524.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Die Gefährdung absolut geschützter Rechte ist grundsätzlich verboten (RIS‑Justiz RS0022946). Daraus werden Sorgfalts‑ und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet (RIS‑Justiz RS0022946 [T10]). Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt (1 Ob 97/15v mwN). Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (RIS‑Justiz RS0022778; RS0023719). Ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS01120361), weil dabei die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind.
2.1. Auch bei Verfolgungsschäden geht es regelmäßig um die Frage der Haftung für eine Schädigung absolut geschützter Rechtsgüter. Ganz allgemein gilt bei Verletzung fremder absolut geschützter Rechte, dass das Rechtswidrigkeitsurteil aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu finden ist (RIS‑Justiz RS0022917; RS0022939; RS0022656). Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, welche Verhaltenspflichten die Normadressaten überhaupt erfüllen können bzw welche ihnen zumutbar sind, weiters die Eignung des in Frage stehenden Verhaltens, einen schädigenden Erfolg herbeizuführen und schließlich der Wert der bedrohten Güter und Interessen (RIS‑Justiz RS0022899). Es ist auch auf die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung fremder Interessen Bedacht zu nehmen, wobei diese Wahrscheinlichkeit durch das Ausmaß der Außerachtlassung der Sorgfalt mitbestimmt wird (RIS‑Justiz RS0023175). Stets entscheiden die Umstände des Einzelfalls, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt (RIS‑Justiz RS0022917 [T10]).
3. Wenngleich keine Rechtspflicht besteht, nicht zu flüchten, fehlt es an einem allgemein anerkannten Interesse des einer Straftat Verdächtigen an der Flucht. Ein solches Verhalten wird von der Allgemeinheit vielmehr missbilligt. Eine Rechtswidrigkeit ist als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung zu bejahen, wenn durch das Fluchtverhalten für ein nach öffentlich‑rechtlichen Vorschriften zur Verfolgung berechtigtes und unter Umständen dazu verpflichtetes Organ eine gesteigerte, vermeidbare Gefahrenlage geschaffen wird, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht (RIS‑Justiz RS0023175 [T2]). Die Feststellung der Identität von Personen, die der Beteiligung an einer Straftat verdächtig sind, liegt im öffentlichen Interesse (1 Ob 97/15v).
3.1. Die Vorinstanzen beurteilten den vorliegenden Sachverhalt dahingehend, dass der Beklagte durch sein Verhalten, nämlich seine zunächst erklärte Zustimmung und vorgegebene Kooperationsbereitschaft sowie die sodann vorgetäuschten gesundheitlichen Beschwerden und seine unerwartete, plötzliche Flucht eine Gefahrenlage geschaffen habe. Der Kläger, für den hinreichende Gründe vorlagen, anzunehmen, dass der – mittlerweile auch verurteilte – Beklagte straffällig geworden sein könnte (§§ 28a Abs 1 zweiter Fall und 31b Abs 1 zweiter Fall SMG), habe entsprechend seiner beruflichen Einsatzpflicht die Verfolgung aufgenommen und sich dadurch dem erhöhten Risiko von Nachteilen ausgesetzt, das mit einem „schnellen Rennen“, wie es zur Verfolgung von flüchtenden Tatverdächtigen erforderlich sei, zwangsläufig einhergehe. Gerade im Zusammenhang mit einem unerwarteten Fluchtversuch erhöhe sich das Risiko, sich im Zuge eines plötzlich und mit großer Kraftanstrengung gestarteten Sprints zu verletzen, ohne dass es des Hinzutretens von weiteren Umständen wie Dunkelheit oder Unebenheiten des Geländes bedurfte. Die vorzunehmende Interessenabwägung rechtfertige es, das mit der Verfolgung einhergehende Risiko der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des verfolgenden Polizeibeamten auf den Beklagten zu verlagern. Die verfolgungsbedingten Verletzungen des Klägers, der aufgrund der plötzlichen Kraftanstrengung Muskelverletzungen erlitten habe, die zu einem Sturz und einer weiteren Verletzung an der Schulter geführt hätten, seien dem Beklagten somit objektiv, aber auch subjektiv vorzuwerfen, weil er damit rechnen habe müssen, verfolgt zu werden und er auch habe voraussehen können, dass sein Verfolger möglicherweise zu Schaden kommen könnte. Es liege kein so atypischer Geschehensablauf vor, der die Adäquanz ausschließen würde.
Diese von den Vorinstanzen anhand der Umstände des Einzelfalls vorgenommene Beurteilung hält sich Rahmen der bereits bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur, wogegen der Beklagte keine nachvollziehbaren Argumente zu erheben vermag. Insbesondere führt es nicht zu einer Interessenabwägung zu seinen Gunsten, dass der Kläger ihm im Hinblick auf die vorgetäuschten gesundheitlichen Beeinträchtigungen entgegenkam und keine weiteren Sicherungsmaßnahmen setzte.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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