OGH 7Ob31/13d

OGH7Ob31/13d3.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** AG, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Ruhender Nachlass nach R***** L*****, Verlassenschaftskurator Mag. J***** R*****, vertreten durch Mag. Boris Knirsch und andere Rechtsanwälte in Wien und 2. N***** Co., Inc, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 60.060 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 20. Dezember 2012, GZ 5 R 127/12a‑30, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Zweitbeklagte hat ihren Sitz in Japan und ist Produzentin von Cyanamid, das sie an ein japanisches Unternehmen veräußerte. Dieses verkaufte das Cyanamid ihrerseits an die Importeurin C***** KG, deren Komplementär der zwischenzeitig verstorbene Erstbeklagte war. Von dieser KG kaufte es die Versicherungsnehmerin der Klägerin. Sie verfüllte das Cyanamid in Kesselwaggons auf dem Betriebsgelände der damaligen C***** AG, wo es gelagert wurde. Am 9. 8. 1998 explodierte ein mit Cyanamid gefüllter Kesselwaggon, was zu umfangreichen Schäden an umliegenden Gebäuden, Gleisanlagen und abgestellten Waggons führte. Ein Arbeiter erlitt Verletzungen und Gesundheitsschäden. Die Klägerin bezahlte für ihre Versicherungsnehmerin Sachschäden, die bei Nachbarn (privaten Personen und Gesellschaften) durch die Explosion an deren Gebäuden entstanden sind, und befriedigte auch die Ansprüche des verletzten Arbeiters.

Die Klägerin macht Regressansprüche aus der Solidarhaftung (mit ihrer Versicherungsnehmerin) gegen den Komplementär der Importeurin und gegen die Herstellerin des Produkts geltend. Sie stützt ihre Ansprüche auf Produkthaftung nach dem PHG, Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten, Eingriff in das Eigentum und die körperliche Integrität des Geschädigten, Verletzung von Schutzgesetzen und Schutzwirkung von Verträgen zugunsten Dritter. Zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Zweitbeklagte beim allgemeinen Gerichtsstand der Erstbeklagten stützt sich die Klägerin darauf, dass die Beklagten solidarisch regresspflichtig seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob die Zweitbeklagte grundsätzlich Art 6 EuGVVO unterliegt oder nicht, kann für den vorliegenden Rechtsfall dahingestellt bleiben, weil der Gerichtsstand der Streitgenossen gemäß § 93 JN, der nach Ansicht der Zweitbeklagten keine Anwendung zu finden habe, jedenfalls gegeben ist.

Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind gemäß § 41 Abs 2 JN die Klagsangaben maßgebend (RIS‑Justiz RS0115860). Was die sogenannten „doppelrelevanten“ Tatsachen betrifft, also jene, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs erfolgt, muss die Schlüssigkeit des Klagebegehrens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (RIS‑Justiz RS0116404, RS0056159). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die Frage der Zuständigkeit danach zu beurteilen ist, ob die Klagsangaben schlüssig sind, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Zu Recht ist nicht strittig, dass nach § 67 VersVG alle Ersatzansprüche des Versicherten auf den Versicherer übergehen, wobei es auf die Art eines solchen Anspruchs nicht ankommt. So gehen auch Ausgleichsansprüche, Regressansprüche, Bereicherungsansprüche über (RIS‑Justiz RS0080533, RS0080594), aber auch Ansprüche nach dem PHG (2 Ob 78/06v) und Ausgleichsansprüche nach § 896 ABGB (RIS‑Justiz RS0109248).

Die Argumentation der Zweitbeklagten, sie habe an ein japanisches Unternehmen geliefert, ihr Datenblatt entspreche dem japanischen Recht, sie habe nicht gewusst, wohin ihr Käufer das Produkt liefern werde, es sei ihr nicht zumutbar, für alle erdenklichen Länder der Erde dem jeweiligen nationalen Recht entsprechende Sicherheitsdatenblätter zu erstellen, wird der Boden durch das Vorbringen der Klägerin entzogen, dass das Cyanamid weder beim japanischen Händler noch beim österreichischen Importeur gelagert worden, sondern direkt von der Zweitbeklagten im internationalen Güterverkehr nach L***** verbracht worden sei. Damit hätten die Mitarbeiter der Zweitbeklagten gewusst, wohin das Cyanamid geliefert werde und wer es benötige.

Außervertragliche Schadenersatzansprüche im Sinn des § 48 Abs 1 IPRG aF sind alle Schadenersatzansprüche aus gesetzlicher Schadenshaftung und umfassen alle Haftungsarten, gleichgültig, ob es sich um Verschuldens‑, Gefährdungs‑ oder Risiko‑(Erfolgs‑)Haftung handelt. Die Grundsatzanknüpfung des § 48 Abs 1 IPRG aF verweist auf den Ort, an dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist, sohin den Handlungsort. Das ist bei Delikten durch aktives Tun jener Ort, an dem der Täter sich schädigend verhalten hat. Bei Unterlassungsdelikten ist an jenen Ort anzuknüpfen, wo eine Handlungspflicht des Verursachers bestanden hätte (RIS‑Justiz RS0121126). Wenn der Schädiger typischerweise mit der Schädigung jenseits der Grenzen des Handlungsstaats rechnen musste, besteht eine stärkere Beziehung zum Recht des Erfolgsorts, nach dem auch die Frage des Mitverschuldens zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0077491).

Unter der Verletzung einer gesetzlichen Verpflichtung ist auch die Verletzung von aus dem Vertrag resultierenden Schutzpflichten zu Gunsten Dritter zu verstehen. Bei Verletzung solcher Schutzpflichten ist daher deliktisch nach § 48 Abs 1 IPRG aF anzuknüpfen. Es sind allfällige Handlungspflichten im Inland zu beurteilen (4 Ob 230/06m, 10 Ob 66/07i je mwN = RIS‑Justiz RS0121565). Bei Schäden aus unerlaubten Handlungen ist das Recht des Tatorts maßgebend (RIS‑Justiz RS0009236). Die Produkthaftung ist auch wie eine außervertragliche Haftung im Sinn des § 48 aF IPRG zu qualifizieren. Besteht zwischen dem Geschädigten und dem Produzenten keine mit dem Produkt zusammenhängende Vertragsbeziehung, ist für die Produzentenhaftung das Recht des Vertriebsorts der Ware maßgebend (RIS‑Justiz RS0077274). Das Recht des Vertriebsorts ist das Recht des Markts, für den das Produkt bestimmt war (8 Ob 126/09a).

Ob hier ein Streckengeschäft vorliegt oder nicht, kann zur Zeit nicht beurteilt werden. Die Zweitbeklagte lieferte jedenfalls ihr Produkt nach dem Vorbringen der Klägerin direkt nach Österreich an das Unternehmen, bei dem es gelagert wurde. Die Vertreter der Zweitbeklagten wussten, dass das Cyanamid für den österreichischen Markt bestimmt war. Damit hält sich die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die der Beklagten vorgeworfene Unterlassung, im Sicherheitsdatenblatt ausreichend auf die Explosionsgefahr des von ihr hergestellten Cyanamids hinzuweisen, trotz japanischen Zwischenhändlers nach österreichischem Recht zu beurteilen ist, im Rahmen der Judikatur. Da gefährliche Produkte, wie hier behauptet, von der Zweitbeklagten direkt nach Österreich gebracht wurden, muss die Beklagte typischerweise mit Schäden in Österreich rechnen und sie hätte ihr Sicherheitsdatenblatt so gestalten müssen, dass den hier geltenden Gesetzen entsprechend auf die bestehende Explosionsgefahr hingewiesen wird. Die Handlungspflicht besteht in dem Zeitpunkt, in dem das Produkt die Grenze zu Österreich überschreitet. Damit liegen der Vertriebsort nach dem PHG, der Tatort und der Ort, an dem gehandelt hätte werden müssen, in Österreich.

Die Klägerin wirft der Zweitbeklagten einen Instruktionsfehler nach § 5 PHG vor, also eine unzureichende Darbietung des Produkts (vgl RIS‑Justiz RS0107606). Der Hersteller muss den Benützer auf gefährliche Eigenschaften des Produkts hinweisen (RIS‑Justiz RS0071549, RS0111166). Es ist zwar richtig, dass das PHG nur den Ersatz von Schäden vorsieht, wenn sie nicht ein Unternehmer erlitten hat (§ 2 Z 1 PHG). Daher können nicht alle geltend gemachten Ansprüche auf das PHG gestützt werden. Die Klägerin hat sich jedoch auch auf andere Rechtsgründe berufen. Ob sie berechtigt sind, kann erst das Hauptverfahren ergeben.

Beide Beklagten haben nach den Klagsangaben zu vertreten, dass sie nicht ausreichend auf die Explosionsgefahr hingewiesen haben. Sie haften daher den Geschädigten mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin solidarisch. Der Rückgriff bestimmt sich bei Haftung nach dem PHG nach § 12 Abs 2 PHG, sonst primär nach dem Innenverhältnis der Solidarverpflichteten (RIS‑Justiz RS0017571). Für den Regress tritt aber dann keine Haftung nach Kopfteilen im Innenverhältnis ein, sondern ein „gestufter“ Regress, wenn ‑ wie hier ‑ ein kausales Verhalten mehrerer Beteiligter im Verhältnis zu anderen Verpflichteten einheitlich zuzurechnen ist (RIS‑Justiz RS0017473). Aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls kann auch eine besondere Haftungseinheit gebildet werden, sodass ausnahmsweise ein Solidarregress zulässig ist (6 Ob 264/09f).

Damit hat das Rekursgericht im Rahmen der Judikatur erkannt, dass die Beklagten nach den schlüssigen Klagsangaben solidarisch regresspflichtig sind (sie haben dieselbe haftungsbegründende Unterlassung gesetzt) und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der Zweitbeklagten als Streitgenossin der Erstbeklagten zutreffend bejaht.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte