OGH 7Ob194/23i

OGH7Ob194/23i22.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI P* H*, vertreten durch Mag. Verena Schwarzinger und andere Rechtsanwälte in Tulln, gegen die beklagte Partei N* AG, *, vertreten durch Dr. Peter Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 1. September 2023, GZ 2 R 90/23d‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 19. April 2023, GZ 30 Cg 11/23v‑10, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00194.23I.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.599,99 EUR (darin 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist bei der Beklagten privathaftpflichtversichert. Art 7 der vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2003) enthält folgenden Risikoausschluss:

„(5) Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen verursachen durch Haltung oder Verwendung von

[…]

5.3 Kraftfahrzeugen […]“.

[2] Der Kläger nahm am 10. 9. 2022 an einer Busreise teil, stand während der Fahrt auf, weil er die im Reisebus vorhandene Toilette benutzen wollte, und wurde aufgrund einer starken Bremsung gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Hierdurch entstanden Schäden am Bus (an der Windschutzscheibe und der dortigen Plastikverkleidung). Der Busunternehmer begehrt deshalb vom Kläger in einem Prozess Schadenersatz, insbesondere weil der Kläger die Anweisung des Busfahrers missachtet habe, während der Fahrt angeschnallt sitzen zu bleiben.

[3] Der Kläger erhebt nunmehr gegen den beklagten Versicherer Klage auf Feststellung dessen Deckungspflicht für diesen Schadensfall, der vom Versicherungsschutz umfasst sei.

[4] Die Beklagte wendete den Risikoausschluss nach Art 7.5.3 AHVB 2003 ein. Der Kläger habe das Kraftfahrzeug insofern verwendet, als er als Insasse des im Betrieb befindlichen Fahrzeugs zum Zweck der Fortbewegung befördert worden sei. Weiters ergebe sich die Verwendung des Kraftfahrzeugs dadurch, dass er die im Reisebus vorhandene Toilettenanlage habe aufsuchen wollen. Der am Kraftfahrzeug entstandene Schaden stehe im zeitlichen, örtlichen und kausalen Zusammenhang mit der Verwendung des Kraftfahrzeugs.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Vom Versicherungsschutz ausgenommen werden solle das erhöhte Risiko, das von Kraftfahrzeugen ausgehe. Die Ausschlussklausel umfasse nach ihrem Wortlaut nur Schäden, die durch die Haltung oder Verwendung eines Kraftfahrzeugs verursacht worden seien. Der allgemeine Sprachgebrauch meine „damit nicht Schäden am Fahrzeug selbst“. Entgegen der Auffassung der Beklagten handle es sich um keinen Schaden, der durch die Verwendung des Fahrzeugs durch den Kläger entstanden wäre. Dies stehe auch im Einklang mit der Zielsetzung der Ausschlussklauseln in den Privathaftpflichtversicherungen, nämlich dass die mit der Haltung oder Verwendung von Kraftfahrzeugen verbundene erhöhte Gefahr zur Vermeidung einer Doppelversicherung allein von der KFZ‑Haftpflichtversicherung gedeckt und daher von der Haushaltsversicherung ausgeschlossen sein solle; die KFZ‑Haftpflichtversicherung decke aber nur Schäden Dritter ab, nicht hingegen Schäden am versicherten Fahrzeug selbst. Der Deckungsanspruch bestehe daher zu Recht.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Rechtlich führte es unter Bezugnahme auf die Entscheidung zu 7 Ob 155/21a aus, dass weder der Schadenseintritt am Bus selbst noch der Aspekt Deckungslücke die Anwendung der Ausschlussklausel nach Art 7.5.3 AHVB 2003 hindere. Der Begriff „verwenden“ eines Kraftfahrzeugs beschränke sich nicht auf dessen aktives Steuern oder ein sonstiges zum Betrieb gehöriges Verhalten, sondern umfasse nach allgemeinem Sprachgebrauch zwanglos auch dessen passives Nutzen als Fortbewegungsmittel. Der vorliegende Schaden sei gerade in Verbindung mit den aus der Fortbewegung mit einem Kraftfahrzeug resultierenden besonderen Kräften entstanden, nämlich durch die auf den Körper des Klägers wirkenden bremsbedingten „Fliehkräfte“. Damit habe der Kläger diesen Schaden „durch Verwendung des KFZ“ verursacht, sodass der Risikoausschluss des Art 7.5.3 AHVB 2003 zum Tragen komme, welcher zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.

[7] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Privathaftpflichtversicherte jenen Schaden, den er als Fahrgast eines Kraftfahrzeugs am Kraftfahrzeug verursache, auch dann „durch Verwendung“ des Kraftfahrzeugs im Sinn des Risikoausschlusses nach Art 7.5.3 AHVB 2003 verursache, wenn er keine aktive Betriebshandlung setze.

[8] Dagegen wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise stellte er einen Aufhebungsantrag.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

[11] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T8]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[12] 2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[13] 3. Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Risikoausschluss gemäß Art 7.5.3 AHVB 2003 vorliegt, also ob der Schaden vom Versicherungsnehmer durch Verwendung eines kennzeichenpflichtigen Kraftfahrzeugs verursacht wurde. Durch diesen Risikoausschluss soll das erhöhte Risiko, das von Kraftfahrzeugen ausgeht, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden (7 Ob 159/08w; 7 Ob 178/22k; Maitz, AHVB [2018], 132).

[14] 3.1. Liegen zwei Haftpflichtversicherungsverträge (hier: KFZ‑Haftpflichtversicherung und private Haftpflichtversicherung) vor, bemüht sich die Rechtsprechung bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen zwar darum, den Deckungsschutz der einzelnen Arten der Haftpflichtversicherung so abzugrenzen, dass sie nahtlos ineinander greifen, also sich weder überschneiden noch eine Deckungslücke lassen. Dabei handelt es sich aber nur um ein Auslegungsprinzip, nicht jedoch um einen zwingenden Rechtssatz, der sich gegenüber anderslautenden vertraglichen Vereinbarungen durchsetzen könnte; es müssen durch die Auslegung weder ein Überschneiden der Versicherungsbereiche noch Deckungslücken jedenfalls verhindert werden (7 Ob 155/21a mwN).

[15] 3.2. Der Oberste Gerichtshof orientiert sich bei der Auslegung des Begriffs „Verwendung des Kraftfahrzeugs“ in der privaten Haftpflichtversicherung an § 2 Abs 1 KHVG (7 Ob 177/04m; 7 Ob 159/08w; 7 Ob 178/22k). Der Begriff der Verwendung gemäß § 2 Abs 1 KHVG ist nach ständiger Rechtsprechung weiter als der Begriff des Betriebs im Sinn des § 1 EKHG (RS0116494 [T1]). Er erfasst die Verwendung (den Gebrauch) des Fahrzeugs schlechthin (RS0088976; RS0088978).

[16] 3.3. Der in der privaten (oder betrieblichen) Haftpflichtversicherung eng auszulegende Risikoausschluss (vgl 7 Ob 178/22k [Rz 16]; RS0107031) betreffend die Verwendung eines Kraftfahrzeugs soll das besondere aus der Haltung und Verwendung von Kraftfahrzeugen resultierende Risiko ausschließen, weil es Zweck der in der Haushaltsversicherung eingeschlossenen Haftpflichtversicherung ist, Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson abzudecken (7 Ob 33/23p mwN). Damit besteht eine Deckungspflicht der Haushaltsversicherung nur dann, wenn der Schaden nicht aus einer Verwendung eines Kraftfahrzeugs entstanden ist (vgl RS0110470 [T2]).

[17] 3.4. Eine zweckorientierte Auslegung des Ausschlusstatbestands erfordert die Verwirklichung einer primär von der Verwendung des Kraftfahrzeugs unmittelbar ausgehenden Gefahr, nicht aber die Realisierung anderer (zB betrieblicher) Risiken, die in irgendeinem Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug stehen. Der Schaden muss somit dem Kraftfahrzeugrisiko näher stehen als dem betrieblichen Risiko, also bei natürlicher Betrachtung diesem zuzuordnen sein (7 Ob 178/22k [Rz 17] mwN; ähnlich Palten in VersRdSch 1–2/2023, 28 [41]: Risikoausschluss, wenn beim Benützen fahrzeugtypische Funktionen im Vordergrund stehen).

[18] 3.5. Im gegenständlichen Fall greift der Risikoausschluss nach Art 7.5.3 AHVB 2003:

[19] Der Kläger hat als Fahrgast den Bus durch sein Mitfahren entsprechend dem Risikoausschluss nach Art 7.5.3 AHVB 2003 „verwendet“. Der Schaden ist nicht bloß dadurch entstanden, dass er während der Fahrt aufstand und sich auf den Weg zur im Reisebus vorhandenen Toilette begab, sondern dadurch, dass er aufgrund einer starken Bremsung des Busses gegen die Windschutzscheibe geschleudert wurde, wodurch dem Busunternehmer ein Schaden entstand. Damit realisierte sich die primär vom Kraftfahrzeugbetrieb ausgehende Gefahr und damit jenes spezifische Risiko aus der Verwendung eines Kraftfahrzeugs, das von der Haftpflichtversicherung ausgenommen werden soll. Es besteht ein ursächlicher Zusammenhang des vom klagenden Versicherungsnehmer verursachten Schadens am Reisebus (an der Windschutzscheibe und der dortigen Plastikverkleidung) mit einem bestimmten Betriebsvorgang des Kraftfahrzeugs (der starken Bremsung), sodass von einer Verwendung im Sinn des Risikoausschlusses auszugehen ist.

[20] 4. Die Revision ist daher nicht berechtigt.

[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO.

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